eJournals Kodikas/Code 32/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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Vilém Flussers Medientheorie umfasst empirisch nicht weniger als die gesamte Medienevolution, angefangen von der Werkzeugherstellung über die frühe Höhlenmalerei bis zu den so genannten 'Technobildern' und dem Digitalen. Die schrittweise Abstraktion auf dem Weg medialer Evolutionsstufen führt zu nicht mehr weiter verkleinerbaren Elementen, die wiederum eine Umkehr des Prozesses in Form medialer Gestaltung ermöglichen; in der neuen Medienkultur ist der Mensch nicht mehr Objekt oder Subjekt, sondern Projekt, denn auf der letzten Stufe dieses Weges steht das Designen bzw. die Entwerfbarkeit nicht nur von Bildwelten, sondern auch von Objekten und Körpern. Der folgende Beitrag skizziert Flussers Medientheorie im Hinblick auf diese letzte Stufe, mit der Flusser die historisch aktuelle Entwicklung vorwegnahm.
2009
321-2

Text - Bild - Körper

2009
Michael Hanke
Widerständigkeit als Quellpunkt der Semiose 21 anderen Seite eine performative Ästhetik nicht erlauben, das Ziel der Restituierung der spezifisch-ästhetischen Erfahrung an eine universale Semiotik-Kritik zu knüpfen. Literaturverzeichnis Adorno, Theodor W. 2003: Ästhetische Theorie, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Apel, Karl-Otto 1975: Der Denkweg von Charles Sanders Peirce. Eine Einführung in den amerikanischen Pragmatismus, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Barthes, Roland 1990: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III, aus dem Französischen von Dieter Hornig, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Barthes, Roland 1964: Mythen des Alltags, übersetzt von Helmut Scheffel, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Belting, Hans 2004: “Das Bild als anthropologisches Phänomen. Interview mit Hans Belting”, in: Sachs-Hombach, K. (Hrsg.) 2004: Wege zur Bildwissenschaft. Interviews, Köln: Herbert von Halem, 116-125 Benjamin, Walter 2007: Aura und Reflexion. Schriften zur Kunsttheorie und Ästhetik, ausgewählt und mit einem Nachwort von Hartmut Böhme und Yvonne Ehrenspeck, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Benjamin, Walter 1963: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Boehm, Gottfried 2007: “Einführung: Faszinationen und Argumente”, in: ders. 2007: Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin: Berlin University Press, 9-18 Böhme, Gernot 2001: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, München: Wilhelm Fink Böhme, Gernot 1999: Theorie des Bildes, München: Wilhelm Fink Böhme, Gernot 1995: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Bredekamp, Horst 2007: Galilei der Künstler. Der Mond. Die Sonne. Die Hand, Berlin: Akademie Verlag Derrida, Jacques 2003: Die Stimme und das Phänomen. Einführung in das Problem des Zeichens in der Phänomenologie Husserls, aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Derrida, Jacques 1983: Grammatologie, übersetzt von Hans-Jörg Rheinberger und Hanns Zischler, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Derrida, Jacques 1976: Die Schrift und die Differenz, übersetzt von Rodolphe Gasché, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Finke, Marcel 2007: “Materialität und Performativität. Ein bildwissenschaftlicher Versuch über Bild/ Körper”, in: Reichle, Ingeborg, Steffen Siegel und Achim Spelten (Hrsg.) 2007: Verwandte Bilder. Die Fragen der Bildwissenschaft, Berlin: Kadmos, S. 57-78 Fischer-Lichte, Erika 2004: Ästhetik des Performativen, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Foucault, Michel 9 2003: Die Ordnung des Diskurses, mit einem Essay von Ralf Konersmann, Frankfurt/ M.: S. Fischer Foucault, Michel 1974: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, aus dem Französischen von Ulrich Köppen, Frankfurt/ M: Suhrkamp Gumbrecht, Hans Ulrich 2004: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, übersetzt von Joachim Schulte, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Halawa, Mark A. 2008: Wie sind Bilder möglich? Argumente für eine semiotische Fundierung des Bildbegriffs, Köln: Herbert von Halem Hardwick, Charles S. (Hrsg.) 1978: Semiotic and Significs. The Correspondence between Charles S. Peirce and Victoria Lady Welby, Bloomington u.a.: Indiana University Press Holenstein, Elmar 1992: “Einführung: Semiotica universalis”, in: Jakobson, Roman 1992: Semiotik. Ausgewählte Texte (1919-1982), hrsg. von Elmar Holenstein, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 9-38 Jakobson, Roman 2005: Poetik. Ausgewählte Aufsätze (1921-1971), hrsg. von Elmar Holenstein und Tarcisius Schelbert, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Jakobson, Roman 1992: Semiotik. Ausgewählte Texte (1919-1982), hrsg. von Elmar Holenstein, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Jakobson, Roman 1933: “Vom Stummzum Tonfilm: Verfall des Films? ”, in: ders. 1992: Semiotik. Ausgewählte Texte (1919-1982), hrsg. von Elmar Holenstein, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 256-266 Jäger, Ludwig 2004: “Störung und Transparenz. Skizze zur performativen Logik des Medialen”, in: Krämer, Sybille (Hrsg.) 2004: Performativität und Medialität, München: Wilhelm Fink, 35-73 Mark A. Halawa 22 Kant, Immanuel 1974: Kritik der reinen Vernunft, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Mersch, Dieter 2002 a: Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, München: Wilhelm Fink Mersch, Dieter 2002 b: Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Mersch, Dieter 2001: “Aisthetik und Responsivität. Zum Verhältnis von medialer und amedialer Wahrnehmung”, in: Fischer Lichte, Erika u.a. (Hrsg.) 2001: Wahrnehmung und Medialität, Tübingen u.a.: Francke, 273-299 Pape, Helmut 2000: “Einleitung”, in: Peirce, Charles Sanders 2000: Semiotische Schriften, Band 1, hrsg. und übersetzt von Christian W.J. Kloesel und Helmut Pape, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 7-83 Peirce, Charles Sanders 1991: Vorlesungen über Pragmatismus, mit einer Einleitung und Anmerkungen hrsg. von Elisabeth Walter, Hamburg: Felix Meiner Peirce, Charles Sanders 1983: Phänomen und Logik der Zeichen, hrsg. und übersetzt von Helmut Pape, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Peirce, Charles Sanders 1904: “Brief an Lady Welby”, in: Hardwick, Charles S. (Hrsg.) 1978: Semiotic and Significs. The Correspondence between Charles S. Peirce and Victoria Lady Welby, Bloomington u.a.: Indiana University Press, 22-36 Peirce, Charles Sanders 1903 a: “Über Theoriebildung”, in: ders. 1991: Naturordnung und Zeichenprozess. Schriften über Semiotik und Naturphilosophie, mit einem Vorwort von Ilya Prigogine, hrsg. und eingel. von Helmut Pape, übersetzt von Bertram Kienzle, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 421-430 Peirce, Charles Sanders 1903 b: “Aus den Pragmatismus-Vorlesungen”, in: ders. 1970: Schriften II: Vom Pragmatismus zum Pragmatizismus, mit einer Einführung hrsg. von Karl-Otto Apel, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 299-388 Peirce, Charles Sanders 1903 c: “Pragmatism as the Logic of Abduction”, in: ders. 1998: The Essential Peirce. Selected Philosophical Writings, Volume 2 (1893-1913), hrsg. durch das Peirce Edition Project, Bloomington / Indianapolis: Indiana University Press, 226-241 Peirce, Charles Sanders ca. 1890: “Notizen über Evolution und die Architektonik von Theorien”, in: ders. 1991: Naturordnung und Zeichenprozess, mit einem Vorwort von Ilya Prigogine, hrsg. und eingel. von Helmut Pape, übersetzt von Bertram Kienzle, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 126-140 Peirce, Charles Sanders 1878: “Wie unsere Ideen zu klären sind”, in: ders. 1967: Schriften I: Zur Entstehung des Pragmatismus, mit einer Einführung hrsg. von Karl-Otto Apel, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 326-358 Peirce, Charles Sanders 1877: “Die Festlegung einer Überzeugung”, in: ders. 1967: Schriften I: Zur Entstehung des Pragmatismus, mit einer Einführung hrsg. von Karl-Otto Apel, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 293-325 Peirce, Charles Sanders 1868 a: “Fragen hinsichtlich gewisser Vermögen, die man für den Menschen in Anspruch nimmt”, in: ders. 1967: Schriften I: Zur Entstehung des Pragmatismus, mit einer Einführung hrsg. von Karl-Otto Apel, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 157-183 Peirce, Charles Sanders 1868 b: “Einige Konsequenzen aus vier Unvermögen”, in: ders. 1967: Schriften I: Zur Entstehung des Pragmatismus, mit einer Einführung hrsg. von Karl-Otto Apel, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 184-231 Saussure, Ferdinand de 3 2001: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, hrsg. von Charles Bally und Albert Sechehaye, übersetzt von Herman Lommel, mit einem Nachwort von Peter Ernst, Berlin u.a.: Walter de Gruyter Scholz, Oliver R. 2003: “Semiotik und Hermeneutik”, in: Posner, Roland, Klaus Robering und Thomas A. Sebeok (Hrsg.) 2003: Semiotik. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, 3. Teilband, Berlin u.a.: Walter de Gruyter, 2511-2561 Seel, Martin 2003: Ästhetik des Erscheinens, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Seel, Martin 2002: “Ästhetik und Hermeneutik. Gegen eine voreilige Verabschiedung”, in: ders. 2007: Die Macht des Erscheinens. Texte zur Ästhetik, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 27-38 Spielmann, Till 2002: Die Irreduzibilität der triadischen Zeichenrelation. Eine Studie zu Charles Sanders Peirces Programm einer dreistelligen Semiotik, unveröffentlichte Magisterarbeit, Universität Essen Waldenfels, Bernhard 2007: Antwortregister, Frankfurt/ M.: Suhrkamp Anmerkungen 1 Die von Bredekamp erwähnte “Doppelbestimmung” von Anschauung und Begriff findet sich in Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft. Dort heißt es: “Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriff sind blind” (Kant 1974: 99 [= A 52/ B 76, 77]). Widerständigkeit als Quellpunkt der Semiose 23 2 Es sei darauf hingewiesen, dass sich in Böhmes Semiotik-Kritik einige Ungenauigkeiten finden lassen, die hier lediglich skizziert werden können: Mitnichten handelt es sich bei der Semiotik um eine Disziplin, die ihren Ursprung allein der Analyse der Sprache und damit der Linguistik zu verdanken hat. Man vergegenwärtige sich etwa, dass Ferdinand de Saussure (als der wohl einflussreichste Vordenker einer am Modell der Sprache orientierten Zeichentheorie) die Semiologie keinesfalls der Linguistik unterordnete. Als “eine Wissenschaft, welche das Leben der Zeichen im Rahmen des sozialen Lebens untersucht”, bildet die Semiologie Saussure zufolge “einen Teil der Sozialpsychologie und infolgedessen einen Teil der allgemeinen Psychologie” (Saussure 3 2001: 19). Die Sprachwissenschaft hingegen ist für ihn “nur ein Teil dieser allgemeinen Wissenschaft [gemeint ist die Semiologie; M.A.H.]” (ebd.). Kurz: Vor dem Hintergrund der Saussureschen Zeichenlehre (zumindest derjenigen, die bekanntlich anhand von Vorlesungsmitschriften überliefert ist), auf die Gernot Böhme mit seiner Äußerung sicherlich unter anderem abzielte, wäre es wesentlich passender gewesen, die Semiologie als einen Teilaspekt der (Sozial-)Psychologie und die Linguistik als einen Teilaspekt der Semiologie aufzufassen. Ebenfalls bedenklich an Böhmes Bemerkungen ist die in der gegenwärtigen ästhetischen Debatte leider weit verbreitete Unterschlagung der Tatsache, dass der Begriff des Zeichens durchaus auch losgelöst von dem der Sprache untersucht worden ist - man denke etwa an die Semiotik Charles Sanders Peirces, auf die im dritten Kapitel des vorliegenden Aufsatzes näher eingegangen werden wird. 3 Obgleich sich Seel durch eine Affinität für eine Präsenzästhetik charakterisiert, distanziert er sich, anders als die Mehrheit seiner theoretischen Mitstreiter, ausdrücklich von einer absoluten Zurückweisung hermeneutischer und semiotischer Konzepte in der allgemeinen Ästhetik. Cf. dazu den Aufsatz “Ästhetik und Hermeneutik. Gegen eine voreilige Verabschiedung” (2002). 4 Dass die Dominanz des Rationalismus und Repräsentationalismus eng mit der Philosophie Descartes zusammenhänge und sich damit in den Geisteswissenschaften eine Untersuchung der “Produktion von Präsenz” (im Gegensatz zu der von “Repräsentation”) über Jahrhunderte verbeten habe, ist eine der Hauptthesen, die der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht in seinem vielbeachteten Buch Diesseits der Hermeneutik vorbringt (Gumbrecht 2004: 34, 50 f.; cf. dazu außerdem die Ausführungen in Mersch 2002 a: 217). 5 Cf. dazu exemplarisch die Arbeiten von Foucault 9 2003, 1974. 6 Zum Begriff der Aisthesis cf. auch die Arbeiten von Gernot Böhme (1995, 2001), auf den sich Mersch immer wieder bezieht. 7 Cf. Anm. 8. 8 Jäger (2004: 41) geht etwa davon aus, dass das Moment der “Störung” hinsichtlich der “sprachlichen Sinnproduktion” ein “zentrales Verfahren” darstellt, es demnach gerade nicht als eine “unerwünschte Aberration”, sondern ganz im Gegenteil als “konstitutives Element der Redeentfaltung aufzufassen ist”. Widerständigkeiten bzw. Phänomene der “Störung” stellen sich damit als “ein semiologisch produktiver Operator” (ebd.: 48) heraus. Als bedeutsam erweist sich diese These unter anderem aus zwei Gründen: Zum einen führt sie zu einer Relativierung der bisweilen harschen Kritik, die der sprachlogischen Semiologie in weiten Teilen der zeitgenössischen Geistes- und Kulturwissenschaften entgegengebracht wird. Zum anderen deckt sie sich weitestgehend mit den Überlegungen, die im weiteren Verlauf dieses Essays in Rekurs auf die Semiotik von Charles Sanders Peirce vorgetragen werden (cf. Kap. 3). 9 Cf. dazu das Kapitel “Das Zeichen als Elementarteilchen der Erkenntnis” in Halawa 2008: 54-63. 10 Auf die Wichtigkeit dieses Aspektes für die Peircesche Philosophie und Zeichenlehre weisen in hervorragender Weise die Beiträge von Till Spielmann (2002) und Helmut Pape (2000: 25) hin. 11 Cf. dazu etwa folgende Bemerkung Peirces: “[…] wo immer es Denken gibt, gibt es Drittheit” (1983: 58). 12 Obgleich Peirce in seinem Werk alleine schon aus relationslogischen Gründen der These von der Irreduzibilität stets treu geblieben ist, lässt sich, wie Karl-Otto Apel deutlich macht, sicherlich nicht leugnen, dass die kategorialen Schwerpunkte innerhalb des Peirceschen Denkens im Laufe der Jahre unterschiedlich gewichtet wurden. Was die Periode betrifft, in der Peirce seine Pragmatismus-Vorlesungen hielt, so lässt sich festhalten, dass spätestens jetzt die Irreduzibilitätsthese insofern entschieden ernst genommen wird, als neben der Drittheit und der Zweitheit nunmehr deutlicher als je zuvor die grundlegende Funktion der Erstheit für den Erkenntnisprozess in den Vordergrund gerückt wird. Das heißt: Neben der “Vermittlung zwischen dem Hier und Jetzt der individuellen brute facts [Zweitheit; M.A.H.] und dem Allgemeinen [Drittheit; M.A.H.]” (Apel 1975: 317) nimmt für Peirce ebenfalls “die Erfahrung des qualitativen Soseins [Erstheit; M.A.H.] der Tatsachen, die hier und jetzt lediglich mit dem Ich zusammenprallen, nicht aber als etwas begegnen” (ebd.: 318, Hervorhebung im Original), einen absolut gleichwertigen Platz in der Kategorientafel ein. Von Bedeutung ist dieser Aspekt unter anderem deshalb, weil mit dem Fehlen des “als etwas” deutlich wird, dass der von Mersch verteidigte Modus des “Dass” (quod) in der Tat spätestens mit den Pragmatismus-Vorlesungen von 1903 fest in die Kategorienlehre Mark A. Halawa 24 integriert ist. Die Peircesche Kategorientafel greift also nicht erst, sobald der Modus des “Was” (quid), der in der Drittheit aufgeht, erfüllt ist - täte sie dies, beginge sie, wie Peirce im Falle der Hegelschen Philosophie kritisierte (cf. dazu den weiteren Text oben), durch die Hypostasierung einer der drei Kategorien (hier: der Drittheit) einen Kategorienfehler. 13 Überall dort, wo es die diesem Text zugrundeliegenden Quellen ermöglichen, ebenfalls die entsprechenden Angaben aus den Collected Papers von Charles Sanders Peirce zu nennen, wird auf die in der Peirce-Forschung gebräuchliche Notation zurückgegriffen. Die erste Ziffer nennt demnach den entsprechenden Band der Collected Papers (hier: Band 5), während die dem Punkt folgenden Ziffern den entsprechenden Abschnitt (hier: die Abschnitte 82 bis 92) bezeichnen. 14 Cf. in diesem Zusammenhang erneut die oben zitierte Passage von Helmut Pape zu den Begründungszusammenhängen der drei Kategorien. 15 “Folgerung [d.h.: Drittheit; M.A.H.] ist wesentlich bewußt und unterliegt der Selbst-Kontrolle. Jede Operation, die nicht kontrolliert werden kann, jede Schlußfolgerung, die nicht verworfen wurde, ist, nicht nur wenn Kritik gegen sie geäußert wurde, sondern auch in dem Akt der Äußerung jenes Dekrets, nicht von der Art der rationalen Folgerung - ist nicht Schließen. Bewußtes Schließen ist wesentlich kritisch, und es ist müßig, das als gut oder schlecht zu kritisieren, was nicht kontrolliert werden kann” (Peirce 1991: 71, CP 5.108, Hervorhebungen im Original). Auf die ethischen Implikationen, die diese Äußerungen mit sich bringen, kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht eingegangen werden. 16 Im Falle dieses Zitats greife ich auf die Übersetzung in der von Karl-Otto Apel herausgegebenen Peirce-Ausgabe zurück, da sie, anders als im Falle der von Elisabeth Walther übersetzten und herausgegebenen Pragmatismus- Vorlesungen, näher an die ursprüngliche Formulierung heranreicht. So ist in der englischen Originalfassung von einer “extremely fallible insight” die Rede (Peirce 1903 c: 227). 17 Zum Zusammenhang von Synechismus und Tychismus cf. die Ausführungen in Peirce (ca. 1890). 18 Mersch schließt in diesem Zusammenhang insofern an das Denken Benjamins an, als auch er zum einen von einem Verlust der Aura überzeugt ist und er diesen zum anderen mit dem Einfluss des semiotischen Paradigmas in Zusammenhang bringt (cf. Mersch 2002 b: 106 f., wo von einer “Zerstörung des Auratischen die Rede ist”). 19 Auf den Zusammenhang von Semiotik (der Lehre von den Zeichen) und Hermeneutik (der Lehre vom Verstehen) kann hier nicht näher eingegangen werden (cf. dazu die Ausführungen in Scholz 2003). Text - Bild - Körper Vilém Flussers medientheoretischer Weg vom Subjekt zum Projekt Michael Hanke Vilém Flusser’s media theory reflects comprehensively upon the entire evolution of media from the very production of tools to early cave painting and on to the so called ‘technoimages’ and digital culture. The process of abstraction in the course of media evolution leads to elements that cannot be any longer minimized and which again allow for the invertion of the process in the form of medial design; in the new media culture, man is no longer object or subject, but project. Thus, the last step of this process is not only the designing of images, but also of objects and bodies. The following contribution presents Flusser’s media theory in respect to this latest level with which Flusser anticipates the current developments. Vilém Flussers Medientheorie umfasst empirisch nicht weniger als die gesamte Medienevolution, angefangen von der Werkzeugherstellung über die frühe Höhlenmalerei bis zu den so genannten ‘Technobildern’ und dem Digitalen. Die schrittweise Abstraktion auf dem Weg medialer Evolutionsstufen führt zu nicht mehr weiter verkleinerbaren Elementen, die wiederum eine Umkehr des Prozesses in Form medialer Gestaltung ermöglichen; in der neuen Medienkultur ist der Mensch nicht mehr Objekt oder Subjekt, sondern Projekt, denn auf der letzten Stufe dieses Weges steht das Designen bzw. die Entwerfbarkeit nicht nur von Bildwelten, sondern auch von Objekten und Körpern. Der folgende Beitrag skizziert Flussers Medientheorie im Hinblick auf diese letzte Stufe, mit der Flusser die historisch aktuelle Entwicklung vorwegnahm. 1 Vorbemerkung Vilém Flusser, nach allgemeiner Einschätzung ein einflussreicher Theoretiker und Pionier der Medienphilosophie (Grube 2004; Fahle/ Hanke 2009; Leschke 2003: 273-285; Mersch 2006: 136-154; Pias et al. 2004; Rosner 1997), gilt darüber hinaus auch als Kunst- und Fotografietheoretiker, Wissenschafts- und Kulturphilosoph, Kommunikations- und Kulturtheoretiker, und allgemein als Philosoph, je nach Standpunkt und Vereinnahmungsinteresse als jüdischer, Prager, brasilianischer oder deutscher Philosoph. 1 Diese Sichtweisen auf Flusser reflektieren auch die Bandbreite seiner Interessen und Blickwinkel, die, so die hier zugrunde gelegte Auffassung, in einer semiotisch grundierten Kommunikationstheorie ihren gemeinsamen Fluchtpunkt finden. Sie beinhaltet eine breit angelegte Medientheorie, für die Text und Bild, d.h. ein- und zweidimensionale Medien, zentrale Größen sind, und die die Evolution der Medien von der archaischen Bildpraxis zur linearen Schrift analysiert, und von hier, über die K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 32 (2009) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Michael Hanke 26 Fotografie, der Schnittstelle des Medienumbruchs zu den technischen Bildmedien, die Verbindung bis zur digitalen Gegenwart zieht. Weil diese Kulturtechniken und -praxen als Mediationen zwischen Mensch und Welt gelten, betreffen sie auch, worin die kulturanthropologische Komponente zum Tragen kommt, die Stellung des Menschen in der Welt und somit seinen Körper, wie im Folgenden weiter entfaltet wird. 2 Kommunikologie Flussers Kommunikationstheorie, die Kommunikologie (Flusser 1998a: 230f.) ist “die Lehre von der menschlichen Kommunikation, dem Prozess, dank welchem erworbene Informationen gespeichert, prozessiert und weitergegeben werden” (Bochumer Vorlesungen, Online Edition, Flusser Archiv Berlin, I1a01). Für sie ist die Feststellung programmatisch, dass Macht nicht mehr durch Besitz, sondern durch Information ermöglicht wird, und dass nicht mehr Ökonomie, sondern Kommunikation den Unterbau der Gesellschaft bestimmt (Flusser 1997: 155). Ihr Feld reicht von der zwischenmenschlichen, dialogischen Kommunikation bis hin zu ihren verschiedenen medialen Formen, und Flussers Werk spiegelt diese Breite wider, steht doch am Anfang seiner Entwicklung das Interesse an Sprache und Sprachphilosophie, später das Universum der technischen Bilder und der telematischen Informationsgesellschaft. Als ‘audiovisuelle Kommunikation’ (Kino, Fernsehen, Radio etc.) war das Thema Bild schon 1963 eine Komponente, die gemeinsam mit sprachlicher Kommunikation das Komplement zur Gesamtheit der Kommunikationsphänomene bildete; dabei wurden Grundbegriffe wie ‘Zeichen’, ‘Symbol’, ‘Bedeutung’, ‘Gedächtnis’, ‘Diskursuniversum’ und ‘Codes’, also die semiotische Basis der Kommunikationstheorie, und die Begriffe ‘Denotation’ und ‘Konnotation’ sowie allgemeiner von Sprachphilosophie und Logik zu festen Bezugsgrößen. Beeinflusst wurde Flusser hierbei zunächst von der Kybernetik mit ihren Begriffen von Entropie und Information, aber auch von Ernst Cassirer und seiner Theorie der symbolischen Formen, von der Dialogphilosophie Martin Bubers, sowie von den Arbeiten Ludwig Wittgensteins und Martin Heideggers, um nur einige zu nennen (vgl. hierzu jeweils die Beiträge in Fahle/ Hanke/ Ziemann 2009). Flussers Kommunikationsbegriff ist somit nicht informationstheoretisch verkürzt, sondern anthropologisch fundiert und philosophisch in vielfältiger Weise angereichert. Die damit verbundene Sensibilität für den Zusammenhang von Kommunikation und Kultur sowie, unter veränderten medialen Bedingungen, der Medienkultur, macht seinen Kommunikationsbegriff heute noch aktuell und in fruchtbarer Weise anschlussfähig. 3 Emergenzen kultureller Evolution und das Universum der technischen Bilder Nach Flussers philosophischer Anthropologie gestaltet der Mensch, als ‘Mängelwesen’ von Natur aus nur sparsam ausgestattet, seine Lebenswelt durch Kulturtechniken weitgehend selbst, wobei sich dem Menschen durch diese Evolution bzw. “Folge von Emergenzen” (Flusser 1998b: 76) über eine “Stufenleiter von Abstraktionen” sukzessiv neue symbolische Welten oder “abstrakte Universen” eröffnen. Aus dem Naturzustand des ungeschiedenen vierdimensionalen Lebensraums heraus wird als erste kulturelle Entwicklungsstufe das dreidimensionale Universum der Objekte entwickelt. Indem diese als zu behandelnde Gegenstände zu Problemen werden, bildet sich auch das Subjekt heraus, das diese umformt, ‘informiert’ und manipuliert. Technik, auch im Sinne Text - Bild - Körper 27 von Kulturtechniken, ist ‘die Methode der Freiheit’, dementsprechend zu handeln. Wenn die Epochen nach dem Material eingeteilt werden, aus dem Werkzeuge gemacht wurden, zeigt dies, “dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Technik ist” (Bochumer Vorlesungen, Online Edition, Flusser Archiv Berlin, I1a01). Schon das Steinschlagen gilt als technische Geste (Flusser 1994: 138), gilt Technik doch als theoriegeleitete Überwindung von Sein und Sollen: Der vorgefundene Stein wird nicht so akzeptiert, wie die Natur ihn erschaffen hat, sondern er wird umgeformt, gestaltet, und zwar gemäß gewissen Vorstellungen und Zielen. ‘Welt’ (unsere Lebenswelt) und ‘Subjekt’ (ihre Bewohner) sind das Ergebnis einer sich in technischer Arbeit realisierenden Beziehung (Flusser 1994: 143), der das Entwerfen - und damit Kreativität in ihren zahlreichen Ausprägungsformen - immer schon eingeschrieben ist. Die Subjekte entwickeln in der Folge von dieser Welt Vorstellungen - Repräsentationen - und zu realisierende Werte, die wiederum intentionales und wertbezogenes Handeln ermöglichen. Bloße Vorstellungen von Objekten, wie sie auf dieser Stufe ermöglicht werden, sind jedoch beschränkt auf das Subjekt und den Zeitpunkt ihres Vorkommens, also nur beschränkt kommunizierbar. Dies betrifft auch die Weitergabe von Kultur zwischen den Generationen, eine der wichtigen Funktionen von Kommunikation. Erst als bildhafte Darstellungen, wie mit dem Beginn der Höhlenmalerei, werden solche Vorstellungen und Wissenselemente intersubjektiv und funktional für eine Gemeinschaft; es ist diese Erweiterung der Repräsentationsleistung des Subjektes um seine Bildfähigkeit, die das zweidimensionale Universum der Flächen bzw. ‘imaginären Welt’, der traditionellen, vortechnischen Bilder (Höhlenmalereien, Fresken, Mosaiken, Kirchenfenster, Gemälde usw.) eröffnet. Das zweidimensionale Universum der Bilder und Flächen ist als Evolutionsstufe zwar ein Fortschritt, aber kein Endpunkt; auf sie folgt die Schrift. Sie bedient das Bedürfnis nach ordnenden und erklärungsmächtigen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen und Kausalität, und dieses neue Universum der Schrift und der Geschichte ist linear, eindimensional und ermöglicht die narrative und prozessuale Logik mit Anfang und Ende, Ursachen und Folgen, sowie in deren Folge “die begriffliche Welt” und “das konzeptuelle Universum der Texte, der Rechnungen, der Erzählungen und Erklärungen, welche als Projekte für nichtmagisches Handeln dienen” (Flusser 1985: 13). Es manifestiert sich bereits in normativen Tafeln etwa zur Regulierung der Flusskanalisation und ermöglicht allgemein die entwerfende Einstellung wie auch die rechnerische und das theoretische Entwerfen von Modellen für künftiges Verhalten. Die letzte Abstraktionsstufe ist das nulldimensionale Universum der Punktelemente, der Partikel, Quanten, Gene, Informationsbits, Entscheidungsmomente und Aktome. Als digitale können diese Punktelemente kalkuliert und komputiert werden, und auf ihnen basiert die “sekundäre imaginäre Welt” (Flusser 1998b: 76) des Universums der technischen Bilder (Flusser 1985: 14), bestehend aus Fotografien, Filmen, Video, Fernsehen, Kino, sowie auch Röntgenbildern und Computermodellen. Auf allen Stufen fungieren die jeweiligen Kulturerrungenschaften - Werkzeuge, Bilder, Texte und technische Bilder - als Mediationen zwischen dem Menschen und der durch den Abgrund der Abstraktion verlorenen Umwelt. Das “Verneinen der Lebenswelt” in ihrer vorgefundenen Form hat ihre Veränderung und Gestaltung zur Folge, “und diese Einstellung hat, Schritt für Schritt, die materielle Kultur der Werkzeuge, die imaginäre Kultur der Abbilder, die historische Kultur der Texte und schließlich die immaterielle Kultur der Algorithmen gezeitigt […]” (Flusser 1993a: 309). Michael Hanke 28 Mit den Evolutionsstufen geht jeweils die Entwicklung bestimmter Kompetenzen oder ‘Bewusstseinsebenen’ einher: ‘Tatkraft’ bei der Werkzeugherstellung, ‘Vorstellungskraft’ bei der Bildherstellung, ‘Begriffskraft’ bei der der Texte. Die Erzeugnisse und ihre jeweiligen Bewusstseinsstufen verstärken sich wechselseitig, z.B. “[ruft] die Geste des Schreibens […] Begriffskraft hervor, und die Begriffskraft verstärkt sich durch Schreiben.” Auch ersetzt keine der neu ausgeformten Stufen die vorangegangene, sondern jede “wird auf die nächste ‘aufgehoben’”, weshalb auch keineswegs “von einem Verdrängen der traditionellen Bilder und Texte durch die technischen Bilder zu sprechen ist”, sondern vielmehr “von einer radikalen Änderung dieser beiden Mediationen” (Flusser 1998b: 78). Der Zeitpfeil dieser kulturellen Evolution verläuft in eine Richtung vom Konkreten ins Abstrakte (Flusser 1985: 10) und ist in diesem Sinne progressiv, ‘Fortschritt’; eine Rückkehr gibt es nicht, weil es “unmöglich (ist), Verfremdungen ungeschehen zu machen (naiv sein zu wollen)” (Flusser 1998a: 155). Es bleibt nur der Aufbruch nach vorne auf die nächste Stufe. Wir können, was insbesondere für uns heute relevant ist, von der nulldimensionalen Ebene ausgehend ‘Projekte entwerfen’, also durch Komputation von Punktelementen Texte, Bilder, Objekte und Körper entwerfen und somit unsere Welt verändern bzw. gestalten; auf der linearen Ebene können wissenschaftliche Theorien, Modelle und Entwicklungen unter Veränderung unterschiedlicher Variablen simuliert werden (etwa zum Klimawandel); auf der zweidimensionalen Ebene können Bilder entworfen werden (von Häusern oder unserer eigenen Persönlichkeit), und die nächste Computergeneration wird auch in die Objekte und Körper vordringen. Es handelt sich um ein “Umdrehen der Abbilder in Vorbilder” (Flusser 1993a: 311). Das sogenannte Leben lässt sich, nur um zwei besonders erregende Beispiele anzuführen, nicht nur in Partikel, in Gene, analysieren, sondern die Gene können dank der Gentechnologie auch wieder zu neuen Informationen zusammengesetzt werden, um ‘künstliche Lebewesen’ zu erzeugen. Oder Computer können alternative Welten synthetisieren, die sie aus Algorithmen, also aus Symbolen des kalkulatorischen Denkens, projizieren und die ebenso konkret sein können wie die uns umgebende Umwelt (Flusser 1993a: 281). 4 Zeitdiagnose: Krise der Linearität, Kommunikationsrevolution und Entstehung des neuen Universums Wenn sich Flussers zweites Buch von 1965 an einer Philosophie der Sprache versucht, und eines seiner bekannteren von 1983 an einer Philosophie der Fotografie, so spiegelt sich hierin die Bandbreite seines Interesses vom Text zum Bild und damit auch seiner Kommunikationstheorie. Relevant an der Fotografie ist ihre paradigmatische Funktion für alle technischen Bildmedien, denn damit wird ein neuer Medientypus geschaffen, der in der Folge stufenweise ausgebaut und perfektioniert, beschleunigt und mit erhöhter Speicherkapazität ausgestattet wird, vom Analogen zum Digitalen fortschreitend. 2 Zwar wird der gesprochenen Sprache, “wahrscheinlich die älteste […] unter allen Symbolen”, als wichtigstem unter den Codes eine “hervorragende Rolle” (Flusser 1998a: 79) zugeschrieben, jedoch befindet sie sich nicht im Zentrum der gegenwärtigen Lage, “the present revolution in communication [the emergence of technical images (photos, films, videos, and computer images)] is having on our mental and social structures.” (Brief vom 7.2.1985, Flusser Archiv Berlin) Unter den in ihrer Gesamtzahl tatsächlich unerschöpflichen Codetypen hält Flusser in diesem Zusammenhang explizit drei für relevant: Bild, Text und Technobild (Flusser 1998a: 106). Text - Bild - Körper 29 Der Vorgang dieser so benannten “Kulturrevolution” (Flusser 1993a: 147), “Wende” (Flusser 1993a: 11) oder “Krise” (Flusser 1993a: 17) ist, wie alle solche Vorgänge, eingebunden in den allgemeinen Prozess der Medienevolution. Als bedeutsam für die gegenwärtige Lage gilt die Tatsache, dass diese “durch eine radikal neue Form von Codes erreicht wird, nämlich durch Technobilder”, bringen diese doch eine “neue Daseinsform” hervor, nämlich eine “Umkodierung der Welt und einer Umprogrammierung des Lebens darin” (Flusser 1998a: 49). Technische Bilder beenden Geschichte in ihrem durch Schrift geprägten Sinn und begründen daher die neue Epoche der ‘Nachgeschichte’ oder ‘posthistoire’ (Flusser 1993a: 314) - zwei Ausdrücke, die Flusser erstmals bereits 1967 gebraucht hat, um unsere Gegenwart auf einen Begriff zu bringen (Flusser 1993b: 142); jetzt sind es nicht mehr das Alphabet und die Pressekultur, sondern die Codes der Flächen (Bilder), die im posttypographischen Zeitalter des Technoimaginären dominieren. Wie bei dem Übergang von archaischer Bildzu Schriftkultur stehen wir heute bei den technischen Bildern an einem ähnlichen Medienumbruch, einer neuen Stufe kultureller Emergenz. Ausgeformt wird eine solche neue Stufe, wenn die vorherige aufgrund der - in Termini des 19. Jahrhunderts ausgedrückt - “inneren historischen Dialektik der Mediationen” (Flusser 1998a: 108), als “einer sich ihrer Struktur selbst bewusst werdende Denkart” (1998a: 107f.), ihre Vermittlungsleistung gegenüber der Welt verliert. So wie das bildgebundene magische Bewusstsein seine Vermittlungsfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt einbüßte, der Mensch sich hiervon entfremdete und einen neuen Standpunkt gewann, den des historischen Bewusstseins und der Texte, so stehen wir heute an demselben Punkt der Entfremdung von den Texten und ihrem historischen Bewusstsein. Entscheidend bei Flussers Diagnose ist, dass wir in der Abfolge der Mediationen dabei sind, die alte Stufe der Texte bzw. des linearen, wissenschaftlich-kausalen Denkens hinter uns zu lassen, zugunsten einer neuen, charakteristischerweise durch Bilder geprägten, die nur oberflächlich der früheren Bilderstufe gleicht, tatsächlich aber das Resultat einer langen Phase wissenschaftlicher und technisch-technologischer Entwicklung ist, aus deren Fundierungszusammenhang sie nicht herausgelöst werden kann. In die technischen Bilder geht die gesamte Entwicklung der Wissenschaft als Subtext ein, weshalb sie einer anderen, abstrakteren Bewusstseinsebene als die vorangegangenen entspringen, dem der kalkulier- und komputierbaren Elemente (Flusser 1985: 183). Die Perspektive auf Medien erfolgt bei Flusser von einer philosophischen Gegenwartsreflexion aus, die epistemologisch ausgerichtet und radikal semiotisch ist: Der Übergang zur Moderne und zur Postmoderne ist bewirkt durch das Umkodieren von Buchstaben in Zahlen und Algorithmen (als Wendepunkt dieser Entwicklung gilt Flusser Nikolaus von Kues). Dieses numerische Denken, epistemologische Grundlage der Neuzeit und Einbruch des Technischen zugleich, ist zwar immer tiefer in die Dinge vorgedrungen, dabei aber anstatt auf einen Grund auf eine immer feinere Partikulierung gestoßen. Beispiele sind das physikalische Weltbild, das nicht mehr sinnlich ist, sondern vielmehr eine Projektion des numerischen Denkens, das von der Neurophysiologie beschriebene digitale Prinzip der Reizwahrnehmung, wonach das Ich essenziell aus dem Prozessieren von kodierten Daten zu Wahrnehmungen besteht, und die von der Psychologie bewirkte Auflösung des Ich in bewusste und unbewusste Ebenen. Mit dem Abbau des Glaubens an die Solidität der Dingwelt ging auch derjenige an die Solidität des Subjekts einher. Die Auflösung der Dinge schlägt auf das Denken zurück, sodass das neuzeitliche numerische Denken auch den neuzeitlichen Glauben von innen her auflöst. Das Umkodieren des Denkens, das zu Wissenschaft, Technik und Aufklärung führte, erweist “sich als ein mörderisches und selbstmörderisches Unternehmen”, sowohl auf Michael Hanke 30 theoretischer wie praktisch-politischer Ebene. “Auschwitz, Hiroshima, Umweltverschmutzung und nukleare Drohung” (Flusser 1994: 15). Flusser zitiert hier affirmativ die Tradition des Kulturpessimismus von Nietzsche über die Existenzphilosophie zu Barthes, Foucault und Baudrillard. 5 Körper Der Kulturpessimismus mache die Kritiker der Kultur jedoch blind für das Neue, so Flusser (Flusser 1994: 23). Der Prozess des Umkodierens muss nicht zwingend in die besagte Richtung verlaufen, denn das ihm ursprünglich zugrunde liegende Motiv war es, eine neue Haltung gegenüber der Welt und dem Leben einzunehmen. Die Nulldimensionalität hat nicht nur die fortgeschrittene Kalkulierbarkeit des Menschen zur Folge (als physische, physiologische, mentale, soziale und kulturelle Sache); vielmehr ist zugleich mit dem Analysieren auch das Komputieren entstanden, das Synthetisieren von neuen Strukturen. Zersetzen (Analyse) ist die eine Richtung, Synthese, das Projizieren alternativer Welten und Menschen, die andere - Ergebnis einer Gegenwartsdiagnose, die sich auch nahezu wörtlich so bei Niklas Luhmann findet. 3 Aus der totalen Abstraktion führt der Weg zurück ins Konkrete, als “neue Praxis des Komputierens und Projizierens von Punktelementen zu Linien, Flächen, Körpern und uns angehenden Körpern” (Flusser 1994: 22). Der Mensch wird, so der programmatische Titel von Flussers letztem posthum publizierten Buch ‘Vom Subjekt zum Projekt’ oder, so ein anderer Aufsatztitel, ‘Vom Unterworfenen zum Entwerfer von Gewohntem’ (Flusser 1989): “Aus Subjekten werden wir zu Projekten. Wir beginnen, mühselig und stümperhaft, uns aus der Unterworfenheit aufzurichten” (Flusser 1989: 8f.). Subjekt und Objekt, Ich und Welt, sind keine ontologisch vorgegebenen Größen, sondern abgeleitete, und zwar von einem diesen Größen vorgelagerten Kommunikationsprozess. Indem der Mensch sich selbst zum Projekt erhebt, emanzipiert er sich von den Zwängen der Subjekt-Objekt-Konstellation und verwirklicht so das spezifisch Menschliche; Projizieren ist daher gleichbedeutend mit menschlicher Freiheit und steht im Gegensatz zum operieren und der Arbeit, und ‘Entwerfen’ ist somit die zentrale Kategorie dieser Utopie Vom Subjekt zum Projekt. Die Liste des zu Entwerfenden, dem jeweils ein Kapitel dieses Buches gewidmet ist, umfasst Städte, Häuser, Technik, Arbeit, Familien, Körper, Sex und Kinder (dies entspricht ungefähr der materiellen und sozialen Kultur). Diese setzen an bei den technischen Bildern, sind diese doch die ersten bereits geleisteten Projektionen aus der neuen Lebenseinstellung heraus. Leib und Körper zählen zu den Themen, mit denen sich Flusser, auch in Verbindung mit seiner Medientheorie, immer wieder beschäftigt hat, obwohl dies von seinen Verlegern kaum berücksichtigt wurde (Wagnermaier 2002: 113). Von dieser “Vielzahl bislang unbekannter Schriften im Körperkontext” (Wagnermaier 2002: 114) vermitteln selbständig publizierte Texte wie Von den Möglichkeiten einer Leibkarte (Flusser 2002b) und Haut (Flusser 2003) einen Eindruck. Der Körper bezieht seine Relevanz aus der biologischen Vernetzung, zugleich markiert er die letzte Grenze der gestalterischen und informationellen Selbstbestimmung. Zudem bedingt er Außen und Innen, Aus- und Eindruck, er ist die Schnittstelle zwischen Subjekt und objektiver Welt. Um mich in der Welt zu orientieren, muss ich mich zuvor in meinem eigenen Leib orientieren, und “[d]as eben macht die Welt zu meiner Lebenswelt: dass mein Leib zwischen ihr und mir vermittelt” (Flusser 2002b: 115). Die Instanzen, die die Interaktion zwischen Leib und Lebenswelt gewährleisten (etwa Seh- und Tastsinn) und die die Leibeserfahrungen und