eJournals Kodikas/Code 40/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2017
401-2

Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch

2017
Benjamin Weiß
K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch Benjamin Weiß (Bonn) Naked Lunch (Canada/ UK 1991, David Cronenberg) is a film based on William S. Burroughs ’ infamous novel of the same title as well as on factual events of Burroughs ’ life around the time of the creation of the novel. It serves as an example for self-reflective narration on at least two levels. On one more obvious level the narration focuses on the process of artistic expression through writing. One another level the process of narration itself is reflected by the film ’ s specific narrative strategies. This paper tries to show how these specific strategies (a major one is the transgression of the boundaries between different narrative levels) are used to construct or de-construct certain concepts of authorship represented by the film ’ s artist-hero. Cronenberg ’ s film thus develops its own position towards artistic production and to the process of creating art. Certain theoretical concepts on authorship as well as basic knowledge about William S. Burroughs ’ life and literary themes (sexuality, drug abuse, paranoia) are essential for this analysis. As a result it can be said that authorship in Naked Lunch is shown as necessarily coming with destruction of self and others. Writing is described as work which derives from complex inner processes and physical experiences - both in some way drug related - rather than from intellectual reflection and rational thought. 1 Einleitung - Der Autor auf der Leinwand Für den kanadischen Regisseur David Cronenberg - dessen Kino sich durch die fortwährende Darstellung des Monströsen, des Körperhorrors, des ‘ Abartigen ’ auszeichnet - scheinen Schriftsteller und ihreTätigkeit im Grunde nicht von besonderem Interesse zu sein (cf. Browning 2007: 121): “ The act of writing is not very interesting cinematically [ … ] It ’ s an interior act ” . Mit seiner hybriden Verfilmung des Romans Naked Lunch des US-amerikanischen Schriftstellers William S. Burroughs, zugleich als Literaturverfilmung und als Künstlerbiographie des Autors, wählte Cronenberg folglich einen anderen Fokus und suchte die Herausforderung: Naked Lunch galt lange Jahre als unverfilmbar. David Cronenberg sagte selbst, wollte man das Buch originalgetreu verfilmen, würde das 400 bis 500 Millionen US-Dollar kosten und das Resultat wäre in jedem Land der Welt verboten (cf. Beard 1996: 823). Der Roman war eines der letzten Literaturerzeugnisse, das sich wegen Obszönität vor Gericht verantworten musste (cf. Drews/ Stein 2010). Burroughs selbst Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [76] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL unterstützte dann Anfang der 1990er selber die Adaption seines Kulturomans durch den Kanadier David Cronenberg, 1 der sich in den 1970er und 1980 erst durch Horrorfilme (Scanners, Kanada 1981; The Fly, USA 1986; Dead Ringers, Die Unzertrennlichen, Kanada/ USA 1988) einen Namen gemacht hatte. Cronenberg hat William S. Burroughs in Interviews zu seinem Werk dabei immer wieder als wichtigen Einfluss auf sein bisheriges künstlerisches Schaffen angegeben (cf. Beard 1996: 822). Burroughs hatte nun wie nur wenige Autoren maßgeblichen Einfluss nicht nur auf Cronenberg, sondern auf die amerikanische Gegenkultur und wurde durch seinen Drogenkonsum und den offenen Umgang mit seiner Homosexualität skandalisiert. Nicht nur das Werk, auch der Autor und sein Image sind populärkulturelle Größen. Cronenberg verschmilzt nun in seiner Verfilmung Motive des Romans Naked Lunch mit Motiven und anderer Texte von Burroughs und mit biografischen Anspielungen auf den Autor William S. Burroughs, sodass seine Verfilmung von Naked Lunch zugleich auch eine Reflexion über Burroughs als Künstler ist. Diesen beiden Semantiken möchten die folgenden Ausführungen durch Rekonstruktion der filmischen Erzählebenen nachgehen. 2 Die Vermischung der Erzählebenen im Film Naked Lunch Der Film Naked Lunch bedient sich besonderer erzählerischer und ästhetischer Strategien, mit deren Hilfe bestimmte Konzeptionen von Autorschaft und des kreativen Prozesses verhandelt werden. Es fällt auf, dass die Erzählebenen in Cronenbergs Film Naked Lunch in der Forschung bisher nicht auf ihre mögliche metaleptische Strukur hin untersucht wurden. Auch sehr ausführliche Analysen des Filmes gehen praktisch kaum auf die narrative Struktur des Filmes ein. Aber wie schon bei David Cronenbergs Videodrome (Kanada 1983) vermischen sich auch in Naked Lunch an unterschiedlichen Stellen die Erzählebenen. Es scheint deshalb notwendig, in einem ersten Schritt aus narratologischer Perspektive kurz auf die im Film in diesem Kontext wichtigen Grundlagen für die Analyse der Erzählebenen und einer möglichen Überschreitung dieser Erzählebenen (narrativer Kurzschluss oder Metalepse) einzugehen. 2.1 Vorbemerkung: Narrative Kurzschlüsse/ Metalepsen in Literatur und Film Ein Erzähltext kann sich bekanntermaßen aus mehreren diegetischen Ebenen aufbauen. Kurz seien hier die Genetteschen Kategorien noch mal in Erinnerung gerufen, die durch Grimm 1996 und abgewandelt durch Kuhn 2011 von der Literatur in die Filmwissenschaft übertragen wurden. Die Diegese bezeichnet mit Genette “ das raumzeitliche Universum der Erzählung ” (cf. Genette 1998: 313). Die erste Instanz, welche die Rahmenerzählung hervorbringt, ist immer extradiegetisch, sprich die Erzählinstanz ist außerhalb der erzählten Geschichte angesiedelt (cf. Genette 1998: 163 f.). Wird innerhalb dieser Rahmenerzählung, also innerhalb der Diegese eine weitere Erzählung hervorgebracht, erfolgt dieser Erzählakt auf einer Ebene, 1 Zu der den Filmstart begleitenden Publikation Everything is permitted. The Making of Naked Lunch schrieb Burroughs selber das Vorwort und berichtet über die Entwicklung des Films, die von gegenseitigem Respekt zwischen Autor und Filmemachern geprägt gewesen sein soll (cf. Burroughs 1992: 15). Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch 77 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [77] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL die innerhalb der Diegese liegt. Wird in der Erzählung auf der 1. Stufe (extradiegetische Rahmenhandlung) beispielsweise von einer Figur erzählt, die wiederum eine Geschichte erzählt, haben wir es mit einer Erzählung 2. Stufe zu tun (intradiegetische Binnenerzählung), für die gilt, dass “ der Narrationsakt, der sie hervorbringt, ein Ergebnis ist, von dem in der ersten erzählt wird ” (Genette 1998: 163). Auf jeder Ebene können nun neue Erzählebenen eröffnet werden, die sich hierarchisch zueinander verhalten. In die 2. Stufe, die intradiegetische Ebene (erzähltes Erzählen), kann eine Erzählung 3. Stufe eingebettet sein, die Genette metadiegetisch 2 nennt (cf. Genette 1998: 165) (erzähltes erzähltes Erzählen, cf. Martinez und Scheffel 2005: 76). In vielen Erzähltexten sind diese Erzählebenen klar getrennt. Die Erzählebenen können sich allerdings auch gegenseitig durchdringen oder vermischen. In diesem Fall spricht man von einem narrativen Kurzschluss oder einer Metalepse. Ein solcher Kurzschluss kann sich zwischen allen Erzählebenen finden, das heißt, horizontal zwischen zwei gleichrangigen oder vertikal zwischen zwei hierarchisch angeordneten Erzählebenen vorliegen (cf. Genette 1998: 169). Bei einem solchen narrativen Kurzschluss wird dabei die Grenze zwischen der Welt des Erzählens und der erzählten Welt überschritten (cf. Martinez und Scheffel 2005: 79). Eine spezielle Form dieser Grenzüberschreitung stellt dabei die Mise-en-abyme dar, bei der sich Rahmen- und Binnengeschichte gegenseitig zu enthalten scheinen und eine Unterscheidung, welche Erzählebene die andere hervorbringt, nicht mehr möglich ist (cf. Martinez und Scheffel 2005: 79). 3 2.2 Wiederholungsmuster in der Handlung Auffällig sind in der verworrenen und absurden Filmhandlung eine ganze Reihe von Wiederholungsbeziehungen, die mit Hilfe von zwei sich ähnelnden Handlungen um die durch Drogenkonsum ausgelöste Ermordung der Ehefrau/ Geliebten eines Schriftstellers aufgebaut werden. Naked Lunch erzählt in einem ersten Handlungsabschnitt die Geschichte von William Lee 4 (oder kurz Bill Lee), einem Mann mit Drogenvergangenheit, der in New York City im Jahr 1953 sein Geld als Kammerjäger verdient. Seine Anstellung wird dadurch bedroht, dass seine Ehefrau Joan ihm große Mengen seines Wanzenpulvers stiehlt um es sich zu injizieren. Er selbst beginnt damit, den Stoff als Droge zu missbrauchen. Schließlich wird er von den Polizisten Hauser und O ’ Brian festgenommen, in deren Verhörzimmer er eine Unterhaltung mit einer riesigen Wanze halluziniert, die Bill den Auftrag gibt seine Frau zu töten, da sie angeblich als Agentin für die Interzone Inc. arbeitet. Um sich und seine Frau von der Sucht nach dem Wanzenpulver zu kurieren, wendet er sich an Dr. Benway, der ihm als angebliches 2 Folgerichtiger wäre vielleicht die etwas sperrige Bezeichnung intra-intradiegetisch (cf. Decker 2006). 3 Die Metalepse lässt sich in relativ simpler Form etwa anhand von The Purple Rose of Cairo (USA 1985, Woody Allen) veranschaulichen. Dort betrachtet die Protagonisten des Films ihrerseits einen Film im Kino, dessen Protagonist ‘ aus der Leinwand tritt ’ und somit Teil der übergeordneten Rahmenhandlung wird. Somit vermischen sich die Erzählungen erster und zweiter Ebene. 4 Bevor später auf einige der zahlreichen Anspielungen auf Burroughs ’ Biografie kurz eingegangen wird, scheint es hier notwendig anzumerken, dass sich der Name William Lee gleich in doppelter Hinsicht auf William S. Burroughs bezieht: Zum einen veröffentlichte Burroughs seinen frühen Roman Junky ursprünglich unter dem Pseudonym William Lee, zum anderen tauchen Figuren mit diesem Namen in zahlreichen Werken Burroughs auf, darunter etwa Naked Lunch oder Nova Express (cf. Sargeant 2001: 212). 78 Benjamin Weiß (Bonn) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [78] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Hilfsmittel ein Pulver aus dem “ schwarzem Fleisch ” eines Tausendfüßlers verabreicht. Kurz nachdem er seine Frau beim Ehebruch mit seinem Schriftstellerfreund Hank erwischt hat, sagt er zu Joan, es würde wieder Zeit für ihre “ Wilhelm-Tell-Nummer ” 5 , worauf hin sich diese ein Glas auf den Kopf stellt. Bei dem Versuch es ihr vom Kopf zu schießen, trifft er sie tödlich. Der zweite Handlungsabschnitt greift nun Motive des ersten Handlungsabschnitts auf und erzählt eine Variante der bisher erzählten Geschichte: In einer Bar trifft er kurz darauf den jungen Homosexuellen Kiki, der ihn mit einem Mugwump 6 bekannt macht, der ihm den Auftrag gibt, nach Interzone (einem Freihafen in Nordafrika 7 ) zu gehen, um dort als Agent zu arbeiten und “ Berichte ” abzufassen. Er trifft dort auf den US-amerikanischen Schriftsteller Tom Frost und seine Frau Joan, eine Reinkarnation seiner ermordeten Frau Joan Lee, mit der Bill eine Affäre beginnt. Joan Frost/ Lee wird allerdings ein Opfer der Haushälterin Fadela, die als die Schlüsselfigur im Drogenhandel mit dem “ schwarzen Fleisch ” in Interzone erscheint und die auch Joan Frost/ Lee in die Abhängigkeit zwingt. Bill Lee wird schließlich von seiner neuen Schreibmaschine (mit dem Aussehen eines Mugwumps) in einen Hinterhalt gelockt, bei dem sein junger Lover Kiki von dem Schweizer Dandy Cloquet geschändet und getötet wird. Er kann Joan Frost/ Lee am Ende in einer Drogenfabrik aufspüren, in der das extrem abhängig machende Mugwump-Sperma gewonnen wird. Schließlich stellt sich heraus, dass sich hinter Fadela eigentlich Dr. Benway verbirgt. Er bietet Bill an, für ihn zu arbeiten und für ihn in den Nachbarstaat Annexia zu gehen. Bill akzeptiert unter der Bedingung, dass er Joan Frost mitnehmen darf. Am Grenzübergang kommt es zur Wiederholung der “ Wilhelm-Tell-Nummer ” und wieder tötet Bill Joan durch einen Kopfschuss. Die Ermordung der Ehefrau/ Geliebten ist das zentrale Ereignis beider Filmhandlungen. 2.3 Erzählebenen und metaleptische Strukturen: Zum Verhältnis von Roman und Film Zu den beiden oben ausgeführten Handlungen, die um das erotische oder besser das Privatleben der Hauptfigur Bill arrangiert sind, wird im Film ein dritter Handlungsstrang durchgehend inszeniert, der sich um die Rolle Bills als Schriftseller und Künstler dreht und in folgender Szene kulminiert. 5 Im englischen Original “ William-Tell-Routine ” . Der Begriff der ‘ Routine ’ verweist auf ein angeblich von Allen Ginsberg betiteltes Prozedere zum Verfassen von Textfragmenten. “ Die Entwicklung dieser Routines - surreale, in alle Richtungen auf die Spitze getriebene Situationskomik - bildet einen absolut unentbehrlichen Schlüssel zu Burroughs ’ Schreibstil ” (cf. Miles 1993: 57). 6 Fantasiewesen, das auch im Roman Naked Lunch beschrieben wird (cf. Burroughs 2009: 68): “ Mugwumps haben keine Leber und ernähren sich ausschließlich von Süßigkeiten. Hinter ihren dünnen violetten Lippen verbirgt sich ein rasiermesserscharfer Schnabel aus schwarzem Knochen, mit dem sie sich in Kämpfen um ihre Kunden oft gegenseitig in Stücke reißen. Diese Kreaturen sondern aus ihrem erigierten Penis eine Flüssigkeit ab, die süchtig macht und lebensverlängernd wirkt, in dem sie den Stoffwechsel verlangsamt. ” Die Mugwumps im Film tragen im Vergleich hierzu penisartige Ausformungen am Kopf. 7 Der Name verweist auf die nordafrikanische Stadt Tanger im heutigen Marokko, die zwischen 1923 und 1956 als “ Internationale Zone Tanger ” unter der Verwaltung mehrerer internationaler Mächte stand und in der William S. Burroughs in den 1950er Jahren zeitweise lebte (cf. Miles 1993: 90 ff ). Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch 79 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [79] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Nach knapp zwei Dritteln des Films sieht man, wie Bill Lee auf den in einem Beutel verpackten Resten seiner kaputten Schreibmaschine (der sich kurz darauf als Beutel voll Drogen herausstellen wird) am “ Strand ” von Interzone liegt. Dort treffen ihn seine New Yorker Schriftstellerfreunde Hank und Martin 8 , die ihn auffordern, das Buch, aus dem er ihnen Fragmente geschickt hat, weiter zu schreiben, da angeblich sogar Martins Verleger daran interessiert wäre. 9 Bill bestreitet jede Kenntnis über einen von ihm verfassten Roman, hat er doch bisher nur “ Berichte ” für seine Auftraggeber verfasst. “ Ein Buch? Mein Buch? ” , fragt er überrascht, worauf Hank entgegnet: “ Ja, das was du ‘ Naked Lunch ’ nennst ” (cf. Naked Lunch, 1: 13: 18 − 1: 13: 22) 10 . Nach einem Schnitt sitzen die drei in Bills Wohnung und sehen das mit Blutflecken besudelte Manuskript, das nur aus losen Seiten besteht, durch. Bill sagt: “ Soll ich euch was sagen, Jungs? Die Seiten hab ich noch nie gesehen. Ich schätze, dass das ein verdammt mieser Schwindel ist ” (cf. Naked Lunch, 1: 13: 37 - 1: 13: 46). Bill glaubt eher an ein Komplott, seine Freunde meinen, er solle das Manuskript unter seinem Namen veröffentlichen, selbst, wenn es nicht von ihm sei. Im Anschluss rezitiert Hank folgenden Auszug aus dem Roman Naked Lunch: 11 [ … ] und machen uns auf nach New Orleans, vorbei an buntschillernden Seen und orangefarbenen Gasfackeln, Sümpfen und Müllhalden und Alligatoren, die zwischen zerbrochenen Flaschen und Konservendosen herumkriechen, an Neon-Arabesken von Motels und auf Inseln von Müll gestrandeten Zuhältern, die vorbeifahrenden Autos Flüche hinterherbrüllen. (Burroughs 2009: 24) Diese Textstelle hat mit der eigentlichen Handlung des Filmes ebenso wenig zu tun wie der an anderer Stelle angesprochene “ Bradley, der Käufer ” . Handlungslogisch erlebt der Zuschauer hier einen weiteren Bruch in der Handlungskontinuität. Dieser Bruch der Handlungskontinuität verweist aber zugleich durch das Zitat aus dem realen Roman Naked Lunch als im Film Naked Lunch entstandener Roman auf die filmexterne literarische Wirklichkeit. Hier macht der Film deutlich, dass er sich auch als die fiktive Entstehungsgeschichte des real existierenden Romans Naked Lunch begreift. Bei dem im Film auftauchenden Romanfragment handelt es sich nun zweifellos um eine (mit Genette gesprochen) intradiegetische Erzählebene, die innerhalb der extradiegetischen Rahmenhandlung (die Geschehnisse in New York und Interzone) situiert ist. Da der Film ja aber auch die Verfilmung dieses Romans ist, taucht hier die filmexterne Vorlage als intradiegetische Ebene auf, die auch die extradiegtische Eben des Films umfasst, der diese Vorlage insgesamt verfilmt. Auch wenn Cronenbergs Naked Lunch damit sicher kein idealtypisches Beispiel für eine Metalepse und eine Mise-en-abyme ist, kann hier sicher von der Vermischung der Erzählebenen gesprochen werden. Dabei kann zusätzlich argumentiert 8 Die realen Vorbilder für Hank und Martin sind unschwer als die Schriftsteller Jack Kerouac und Allen Ginsberg zu identifizieren. 9 Das Ganze ist eine Anspielung auf die reale Rolle Allen Ginsberg bei der Veröffentlichung des Romans Naked Lunch: Ginsberg hat nicht nur die Fragmente des Romans zusammengestellt, sondern Teile davon auch in Zeitschriften untergebracht und an Verleger geschickt. Zur Rolle von Ginsberg und Kerouac bei der Entstehung von Naked Lunch (cf. Miles & Grauerholz 2009: 307 - 325). 10 Hier wie im Folgenden wird die Laufzeitangabe nach der deutschen DVD-Veröffentlichung von Kinowelt/ Arthaus aus dem Jahr 2009 in Stunden: Minuten: Sekunden angegeben. 11 Die deutsche Synchronisation des Films ist leicht abweichend von der deutschen Übersetzung von Burroughs Roman. 80 Benjamin Weiß (Bonn) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [80] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL werden, dass Naked Lunch neben der fiktiven Werkgeschichte des Ursprungsromans auch, die Geschichte einer Figur ist (intradiegetische Ebene), die einen Roman schreibt, an dessen Handlung (intra-intradiegetische Ebene) die Figur selbst an manchen Stellen teilhat oder die Teilhabe halluziniert. Demzufolge wäre auch in der filmischen Diegese noch eine weitere Vermischung der narrativen Ebenen in den Film hinein gegeben. Riepe deutet diese Vermischung mit Bezug auf die visuelle Darstellung des Films psychoanalytisch: Mittels einer eigens entworfenen Bilder-Grammatik visualisiert er [David Cronenberg; BW] dabei Lacans Diktum, nach dem das Unbewußte strukturiert ist wie eine Sprache. So gelingt es Cronenberg, plausibel zu machen, dass Bill Lee den ihm vorgelesenen Text tatsächlich nicht kennen kann, weil dieser Text im Sinne des Freudschen ‘ Primärprozesses ’ das ausdrückt, was Lee in diesem Moment, in diesem Film, erlebt. Schreiben und Erleben fallen halluzinativ zusammen. (Riepe 2002: 131 f.) Wenn jetzt nun Schreiben und Erleben halluzinativ zusammenfallen, ist eine klare Trennung der Erzählebenen nicht mehr möglich. Was Teil des Romans im Film (also der intra-intradiegetischen Ebene) ist und was Teil der im Film vorgeführten Geschichte (also der intradiegetischen Ebene) um William Lee, den Schriftsteller und Agenten, wird vom Film verunklärt. Beide Ebenen beziehen sich in jedem Fall aufeinander und es gibt keine logische Auflösung, die den Status des Erzählten zweifelsfrei klären würde. Es bleibt also unklar, ob die “ Berichte ” , die Bill getippt hat, real oder Teil dessen geworden sind, was Hank und Martin als Naked Lunch identifizieren. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sehen nicht, dass der Protagonist überhaupt irgendetwas schreibt, was später in seinem Buchmanuskript auftaucht, dennoch ist das, was er in Interzone halluziniert, durch Aspekte des Romans geprägt, dessen Autor er sein soll, ohne selber dessen Zeilen zu kennen. Ebenso wenig ist klar, was subjektiv ist und was objektiv, was halluziniert ist und was nicht. Mit Sicherheit verfügt der Film auch nicht über eine allwissende Erzählinstanz (cf. Browning: 124). Zudem existiert der Text, den die beiden Schriftstellerfreunde ihm als Naked Lunch präsentieren und der fraglos das real existierende Buch des empirischen Autors William S. Burroughs sein soll, das der fiktive Autor William Lee in der fiktiven Filmhandlung Naked Lunch geschrieben hat, schon vor seiner Präsentation in der genannten Szene des Films. Schon in New York City rezitiert Martin, während Hank mit Bills Frau schläft, eine Passage aus Naked Lunch. 12 Bill selber rezitiert im Laufe des Filmes an einigen Stellen Romanpassagen (wobei dort an keiner Stelle die Herkunft der rezitierten Stellen fällt). Der Roman Naked Lunch scheint im Film somit zeitlich unabhängig von der Handlung zu existieren, was für die paradoxe Situation sorgt, dass der Film von einem Roman handelt, der erst entsteht, aber gleichzeitig auch bereits existiert. Daraus lässt sich folgern, dass der Roman Teil der 12 Es handelt sich um Teile der folgenden Passage (cf. Burroughs 2009: 67 f.): “ Jünger längst vergessener und nicht mehr vorstellbarer Berufe, die auf Etruskisch vor sich hin kritzeln, Junkies, süchtig nach Drogen die erst noch erfunden werden müssen, Schwarzmarkthändler des Dritten Weltkriegs, Skalpellkünstler, die telepathische Anlagen einfach wegschneiden, [ … ], Amtsträger noch nicht errichteter Polizeistaaten, Makler exquisiter Träume und Erinnerungen, getestet an sensibilisierten Zellen suchtkranker Junkies und eingetauscht gegen den Rohstoff des Willens, Säufer des Starken Saftes, eingeschlossen im durchscheinenden Bernstein der Träume. ” Die deutsche Synchronisation ist wiederum abweichend von der deutschen Romanübersetzung. Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch 81 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [81] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Welt ist, in der er geschrieben wird, allerdings erst konkrete Ausmaße (in Form eines Manuskripts) durch die halluzinierte Flucht nach Interzone annimmt, der die Tötung von Bills Frau Joan vorausgeht. Die vor der Handlung im Film liegende, diegetische Existenz des Romans zeigt sich auch darin, dass aus Burroughs Roman nicht nur mündlich durch Figuren Passagen wiedergegeben werden, sondern der Roman auch visuell metaphorisch impliziert wird, bevor er und dann später Teil der (Interzone-)Handlung wird. Nachdem Bill beim Pfandleiher seine Pistole gegen eine Schreibmaschine versetzt hat, wird an die Stelle der Schreibmaschine eine Figur gestellt, die einen Mugwump zeigt, der einen Gehängten schändet. Diese Schaufensterauslage verweist zunächst auf zahlreiche “ Hanging Routines ” in Burroughs Werk. 13 Ganz speziell bezieht sie sich wohl auf das Kapitel “ Hassans Spielzimmer ” (im Original “ Hassan ’ s Rumpus Room ” ) im Roman Naked Lunch, in dem ein Mugwump einen Jüngling schändet und tötet (cf. Burroughs 2009: 92 f.). Martin erwähnt im Film nun den Namen des Kapitels gegenüber Bill, die Figur im Schaufenster wird sozusagen sprachlicher Text. In der Filmerzählung ist die Schaufensterauslage, die auf “ Hassans Spielzimmer ” (und anderer solcher Szenen) anspielt auch eine Vorausdeutung auf ein späteres Ereignis, in dem Bill mit ansehen muss (oder halluziniert mit ansehen zu müssen), wie Kiki von einer Mutation Cloquets in einem Papageienkäfig geschändet wird. Auch hier zeigt sich wieder das Prinzip der Spiegelung und Wiederholung in der Diegese, das auch schon die Handlung strukturiert hat. 3 Die (De-)Konstruktion von Autorschaft An die Strategie des Films, die Ebene des fiktiven Romans im Film und die Ebene der filmischen Rahmenhandlung zu vermischen, lagern sich viele weitere Aspekte und Bedeutungen an, von denen das Konzept von Autorschaft und damit verbunden das Konzept des kreativen künstlerischen Prozesses die wichtigsten sind. Beide werden im Film Naked Lunch zusätzlich noch an Kontexte wie Drogensucht, Paranoia, Sexualität und Gewalt gebunden. Um die Argumentation vertiefen zu können, ist es in der Folge notwendig, den Begriff der Autorschaft etwas zu konkretisieren und einige Anmerkungen zu William S. Burroughs zu machen, die für den Zugang zur weiteren Analyse des Films Naked Lunch wichtig sind. Cronenberg selbst sagt, das Thema des Films sei “ der Schreibvorgang [ … ], der kreative Prozess und wie dieser sich auf das Leben bezieht ” (cf. Lindwedel 2011: 66). In zahlreichen Interpretationen wird dieser, vom Regisseur selbst stammenden, Lesart zugestimmt (cf. Beard 1996: 827, Hoberman 1992, Lindwedel 2001: 68 f.). Mit Manfred Riepe ist Cronenbergs Drehbuch zu Naked Lunch eine “ Deutung, die Burroughs ’ Biographie und Werk virtuell ineinander spiegelt ” (cf. Riepe 2002: 133). Mit Georg Seeßlen ist der Autor “ das Monster nicht als Schöpfer [ … ], sondern als Geschöpf seiner Schöpfungen [ … ] ” (cf. Seeßlen 1992), was bereits auf eine Vermischung der Erzählebenen - und die sich daraus ergebende 13 Diese Passagen handeln meist von jungen Männern, die gehängt werden und dabei unfreiwillig zum Orgasmus kommen und die dabei oft von als abstoßend beschriebenen Kreaturen geschändet werden (cf. Beard 2006: 297 f ). 82 Benjamin Weiß (Bonn) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [82] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL “ Monstrosität ” , also etwas nicht mehr Handhabbares - hinweisen mag. Im Folgenden soll zunächst der Begriff des Autors kurz geklärt werden und mit welchen Ansätzen man das Verhältnis von Biografie, Werk und Rezeption für den Film Naked Lunch erläutern kann. Dabei werden auch das Image des Autors Burroughs und die biografischen Bezüge zu und innerhalb seines Werks kurz erörtert. 3.1 Strukturalistische Ansätze zur Theorie der Autorschaft Durch die Verschmelzung von Werk und (fiktiver) Autorenbiografie in der handlung und der Diegese konfrontiert uns der Film Naked Lunch mit der Frage nach der Relevanz des Autors als Urheber und Figur für das Verstehen des Werkes, sowohl Roman als auch Film. Der Film selber setzt gezielt biografische Erklärungen für den Schreibdrang seines Helden ein und verbindet so mindestens postulativ Burroughs ’ Leben (oder das Leben des Autors an sich) identifikatorisch oder mit seinem Werk. Ein solches biografistisches Verständnis vom Verhältnis zwischen dem Autor und seinem Text ist in der Literaturwissenschaft schon seit längerer Zeit umstritten. Grundsätzlich hat die Konzentration auf einen Autor, die Katalogisierung und Kanonisierung seines Werkes, eine ordnungsstiftende Funktion für das Publikum, dem es dadurch zudem möglich wird, Lebens- und Wertvorstellungen mit der Literatur zu verknüpfen (cf. Jannidis et al. 2000 b: 7). In seinem sehr einflussreichen Aufsatz Der Tod des Autors wandte sich etwa Roland Barthes allerdings gegen die Konzeption vom Autor als Bezugsgröße für das Verstehen eines Textes: Der Autor beherrscht immer noch die literaturgeschichtlichen Handbücher, die Biografien der Schriftsteller. die Zeitschrifteninterviews und sogar das Selbstverständnis der Literaten, die in ihren Tagebüchern Person und Werk verschmelzen möchten. Unsere heutige Kultur beschränkt die Literatur tyrannisch auf den Autor, auf seine Person, seine Geschichte, seinen Geschmack, seine Leidenschaften. (Barthes 2000: 186) Barthes geht allerdings davon aus, dass jeder Text nur ein “ Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur ” ist (cf. Barthes 2000: 190). Der Schreiber habe “ überhaupt keine Existenz, die seinem Schreiben voranginge oder es übersteige [ … ] ” (cf. Barthes 2000: 189). Ihm zufolge ist die Instanz, bei der die Fäden schließlich zusammenlaufen daher viel mehr ein (entindividualisierter) Leser (cf. Barthes 2000: 192 f.). Damit vertritt Barthes, vereinfacht gesagt, die eher leserzentrierte Perspektive, die sich von den anderen beiden grundlegenden Positionen absetzt, die den Autor oder das Werk als Bezugsgröße sehen. Erstere Auffassung, nämlich das Werk und (seinen empirischen) Autor in enger Beziehung zu einander zu setzen, wurde in zahlreichen Ausführungen vertreten: Vom reinem Biografismus etwa bis hin zur psychoanalytischen Literaturwissenschaft eines Sigmund Freud. 14 Hier wird davon ausgegangen, dass der Autor als Urheber der sprachlichen Zeichens “ von sozialen und ökonomischen Bedingungen seiner Zeit sowie von literarischen Traditionen abhängig ” ist (cf. Jannidis et al. 2000 b: 14), deren Einflüsse sein Werk wesentlich prägen. Die dritte Position geht, neben der autor- und der leserzentrierten Perspektive, davon aus, dass die Textbedeutung sowohl unabhängig vom empirischem Urheber als auch vom Leser 14 Für einen Überblick (cf. Jannidis et al. 2000: 11 − 16). Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch 83 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [83] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL zu erschließen ist (cf. Jannidis et al. 2000 b: 16 ff.). Umberto Eco führt aus, dass sich die von ihm so bezeichnete Textintention nur aus der Textstrategie, also aus der Argumentation und den Bedeutungspotenzialen eines vorliegenden Textes, ableiten lässt (cf. Eco 2000: 280 f.). Persönliche Aussagen eines empirischen Autors zu seinem Werk, wären folglich nur in Bezug auf die Fragestellung relevant, “ ob er als empirische Person alle die vielfältigen Deutungsmöglichkeiten vor Augen hatte, zu denen sein Text anregte ” (cf. Eco 2000: 284). Etwaige Aussagen des Autors würden allerdings “ kein Urteil über die Interpretationen seines Textes rechtfertigen ” (cf. Eco 2000: 284). Eco beruft sich dabei auch auf Wayne Booth, der als vermittelnde Instanz zwischen realem Autor und Erzähler den ‘ impliziten Autor ’ nennt (cf. Booth 2000: 145 f.), der so etwas wie ein vom Text konstruiertes Bild des realen Autors darstellt (cf. Genette 2000: 236, der das als Kritik versteht). Im Folgenden soll hier die Größe des ‘ impliziten Autors ’ Verwendung finden, um das im Film konstruierte Image des Autoren Willim S. Burroughs zu untersuchen. Denn das Konzept scheint geeignet, einerseits Merkmale der im Film präsenten Figur mit den andererseits im Film eingestreuten Referenzen auf die filmexterne Person William S. Burroughs zu verknüpfen und auf diese Weise die Filmfigur als eine filmisch manifestes Zeichengeflecht zu beschreiben, das über die Filmhandlung hinaus auf das kulturelleWissen über den Autoren verweist. Ziel ist damit auch zu fragen, wie der Film das Image des Autoren Burroughs verarbeitet und welche Rückschlüsse sich daraus auch für das Verständnis des Films als Kunstwerk und seines Regisseurs ableiten lassen. 3.2 Das kulturelle Wissen über den Autor William S. Burroughs Selbst wenn man den Autor als Verstehensgrundlage eines Textes ablehnt, fällt es schwer das Werk von William S. Burroughs völlig losgelöst von ihm als Autor zu betrachten: Zum einen strotzt sein Werk vor biografischen Referenzen, zum anderen ist er wie kaum ein anderer Autor Teil der populären Kultur geworden. 15 Gespeist wird das Image von Burroughs in der Populärkultur durch drei Aspekte, die jede Burroughs-Rezeption zu prägen scheinen und die auch in Naked Lunch von David Cronenberg eine überaus wichtige Rolle spielen und im kulturellen Gedächtnis mit Burroughs verbunden werden: (i) Burroughs langjährige Drogensucht, (ii) seine Homosexualität und (iii) der Tod seiner Ehefrau Joan Vollmer, die Burroughs 1951 in Mexiko - nach eigenem Bekunden nicht absichtsvoll - erschoss. Burroughs ’ Biograf Barry Miles beschreibt die Szene, wie sie nach Burroughs Erinnerung ablief, folgendermaßen: Bill öffnete seine Reisetasche und kramte die Automatik hervor. Plötzlich sagte ich: ‘ Es ist Zeit für unsere Wilhelm-Tell-Nummer. Stell dir ein Glas auf den Kopf. ’ Eine Wilhelm-Tell-Nummer hatten sie bis dahin noch nicht im Repertoire, aber Joan, die ebenfalls ziemlich getankt hatte, lachte und balancierte ein Wasserglas auf ihrem Kopf. Bill drückte ab. Joan rutschte auf dem Stuhl in sich zusammen, und das Glas fiel scheppernd zu Boden ohne zu zerbrechen. (Miles 1993: 70) 15 Einige Beispiele: 1967 tauchte Burroughs auf dem Cover des Beatles-Albums St. Pepper ’ s Lonely Hearts Club Band auf, später kam es zu Kollaborationen mit Musikern wie Lou Reed, Kurt Cobain oder Tom Waits. Die Gruppe Steely Dan benannte sich gar nach einem in Naked Lunch auftauchenden Dildo. Er nahm selbst Musikalben auf und wirkte beispielsweise als Schauspieler in Drugstore Cowboy (USA 1989, Gus Van Sant) mit. 84 Benjamin Weiß (Bonn) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [84] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Bei Burroughs, geboren 1914 als Sohn einer gutsituierten Familie in St. Louis und gestorben 1997 in Lawrence (Bundesstaat Kansas), scheint durch diesen immer wieder kolportierten Todesfall die kollektive Wahrnehmung über ihn weitgehend von seinem Werk (und auch von der real existierenden Person) abgekoppelt zu sein. Programmatisch für sein Image ist schon alleine der Titel von Ted Morgans 1988 erstmals erschienener Biografie: Literary Outlaw. The Life and Times of William S. Burroughs. Barry Miles, Burroughs Biograf, schreibt etwa: Es ist die Idee Burroughs, die Anklang findet, nicht die Person; der populäre Burroughs, die Kult- Ikone, erreicht seine Leser auf dem Wege gedruckter und elektronischer Medien. (Miles 1993: 11 f., Hervorhebung im Original) Das zeigt sich auch daran, dass Burroughs beispielsweise als fiktive Person in anderen Romanen auftaucht, beispielsweise in On the Road von Jack Kerouac. 16 Auch in Rohstoff von Jörg Fauser taucht Burroughs auf und wird vom Erzähler in seinem typischen Auftreten beschrieben: William S. Burroughs empfing mich nachmittags um drei in seinem spärlich möblierten Apartment in der Duke Street, unweit Piccadilly Circus. Er trug einen schwarzen dreiteiligen Anzug, der mich an die Anzüge meines Großvaters, eines Volksschulrektors, erinnerte, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. (Fauser 2009: 94) Dieses “ dezidiert überzivilisierte[n] Auftreten ” (cf. Groh 2011: 211) ist auch eine der Komponenten, die das Erscheinungsbild William Lees in Cronenbergs Film prägt. Schon zu Beginn, als William Lee als Kammerjäger seinen ersten Hausbesuch abstattet und nur der Schatten eines Mannes mit Filzhut zu sehen ist, schließt der Film an diese bereits vorher bei Teilen des Publikums bekannte Ikonografie Burroughs ’ an (cf. Hantke 2007: 173). Darüber hinaus erinnert der Held im Film Naked Lunch an die ‘ hard boiled ’ -Helden einschlägiger Filme und Romane der schwarzen Serie. Anleihen an diese Filme und Romane lassen sich sowohl in der Melancholie der Erzählung als auch in gewissen Teilen der Personenkonzeption wiederfinden. 17 Dass im Erscheinungsbild die Intellektualität etwas hinter dieser ‘ hard boiled ’ -Aura zurücksteht, schlägt sich auch in der Besetzung William Lees mit Peter Weller nieder, “ der vordem eher durch proletarische, körperliche Darstellungen bekannt geworden ist. ” (cf. Seeßlen 1992) Mit Beard legt der Film mit dem Rückgriff auf das ‘ film noir ’ -Stereotyp, das starke männliche Stärke und Souveränität suggeriert, die Unzulänglichkeit offen, die diese männliche Fassade der Kontrolliertheit mit sich bringt (cf. Beard 2006: 306). Burroughs ’ Verbindungen zur Drogenkultur scheinen dazu im Gegensatz zu stehen. Das Überzivilisierte in der Erscheinung kompensiert im Image des Autors den stets drohenden Selbstverlust durch Drogen. Burroughs ’ Drogenerfahrung zeigt sich in zahlreichen Texten und privaten Aussagen. Sein erster Roman Junky handelt von der Drogenkarriere seines Erzählers in all ihren Aspekten (Verkauf, Beschaffungskriminalität, Entzug usf.) und The 16 In der lektorierten und 1957 erschienenen Fassung von On The Road trägt Burroughs noch das Pseudonym Old Bull Lee, erst in der 2007 veröffentlichten ursprünglichen Fassung tragen er (wie auch seine Frau Joan) Klarnamen. Zudem wird dort auch deren Konsum harter Drogen offen dargestellt. 17 Was Norbert Grob für andere von ihm so bezeichnete “ Noir-Fantasien ” bei David Cronenberg beschreibt, gilt auch zum Teil für Naked Lunch (cf. Grob 2011: 112). Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch 85 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [85] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Yage Letters, kompiliert aus dem Briefwechsel mit Allen Ginsberg, beschreibt Burroughs Suche nach der ominösen Droge Yage, die angeblich telepathische Fähigkeiten verleihen soll. 18 Auch der Roman Naked Lunch ist voll von expliziten Beschreibungen von Sucht und Drogenkonsum. Dementsprechend äußern sich Texte über Burroughs, über Naked Lunch und über andere Werke von Burroughs ausführlich zu dessen Drogensucht. Beispielsweise versammelt die 2009 in Deutschland erschienene “ ursprüngliche Fassung ” von Naked Lunch einige dieser Paratexte. Insbesondere sei auf “ Protokoll: Aussage über eine Krankheit ” (cf. Burroughs 2009: 269 − 277) und “ Brief eines Meistersüchtigen zum Thema gefährliche Drogen ” hingewiesen (cf. ebd.: 283 − 304). 19 Auch Burroughs Homosexualität und seine Vorliebe für junge Liebhaber sind fester Bestandteil der Burroughs-Rezeption. In seinen frühen Texten spielt Homosexualität mal mehr, mal weniger offen eine Rolle, der bedeutendste seiner frühen Texte stellt hierbei Queer dar. Was Naked Lunch und einige der späteren Romane vor allem aber berüchtigt machte, waren die absurd gewaltpornografischen Szenen, deren Opfer mitunter auch Minderjährige zu sein scheinen 20 und in denen auch Fantasiegeschöpfe wie überdimensionale Tausendfüßler und Mugwumps auftauchen. Wie bereits erwähnt, sind einige dieser Szenen mit Erhängungsszenarien verbunden. Burroughs selbst wollte diese Textstellen als satirische Anklage gegen die Todesstrafe verstanden wissen (cf. Beard 1996: 833). Literaturhistorisch wird Burroughs dann trotzdem nicht als genuin ‘ queerer ’ Autor wahrgenommen, sondern mit der “ Beat Generation ” assoziiert, zu der neben Burroughs etwa auch Allen Ginsberg und Jack Kerouac gerechnet werden. Es gibt zahlreiche wechselseitige Verflechtungen der Autoren in ihren jeweiligen Werken und auch in David Cronenbergs Naked Lunch wird dies thematisiert. 21 Burroughs wurde auch später auch durch die Einführung der so genannten ‘ Cut-Up ’ -Methode in der Literatur bekannt, die auf den Maler Brion Gysin zurückgeht (cf. Miles 1993: 147 ff.) und eine Technik beschreibt, bei der einzelne Fragmente des Geschriebenen wahllos getrennt und (scheinbar) zufällig wieder zusammengefügt werden. Naked Lunch ist trotz des Verzichts auf eine durchgehende Handlung und eine Kapitelabfolge, die weder einer Logik noch der Chronologie folgt, noch kein klassischer ‘ Cut-Up ’ -Text wie beispielsweise der später erschienene Roman Nova Express. Den Abschluss von Burroughs ’ literarischen Schreibens bildet die so genannte Red Night-Trilogie, die sich wieder an konventionellere Erzählformen annähert. Zudem wurde 18 Mittlerweile ist diese psychoaktive Substanz unter dem Namen Ayuahuasca geläufig und besitzt in manchen Milieus durchaus größere Verbreitung (cf. Hanske & Sarreiter 2015: 137 ff.). 19 Es ist allerdings anzumerken, dass Burroughs zwar selber lange Jahre seines Lebens drogensüchtig war, dass er aber durchaus ein ambivalentes Verhältnis zu Drogen hatte. Marshall McLuhan schreibt (cf. McLuhan 1995: 84): “ Burroughs verschmäht die halluzinogenen Drogen als etwas, das bloßen ‘ Inhalt ’ gebe, als Phantasien, Träume, die man für Geld haben kann. Junk (Heroin) ist notwendig, um den menschlichen Körper selbst zu einer Umwelt zu machen, welche das Universum miteinschließt. ” 20 Genaue Angaben machen die Texte nicht, im Original wird stets nur die Bezeichnung “ boy ” verwendet. Burroughs hat Vorwürfe, die ihm selbst Pädophilie unterstellten, mit aller Vehemenz zurückgewiesen (cf. Beard 2006: 298). 21 Historisch ist bekannt, dass der Romantitel Naked Luch auf Kerouac zurückgeht (cf. Miles 1993: 58.) Ginsberg schrieb beispielsweise das Vorwort zu Junky und erst 2008 (in Deutschland 2010) erschien der - bis dato nicht verlegte - gemeinsam von Burroughs und Kerouac verfasste Roman And the Hippos Were Boiled in Their Tanks (Und die Nilpferde kochten in ihren Becken). Burroughs schrieb seinen Beitrag zu dem Roman unter dem Pseudonym William Lee. 86 Benjamin Weiß (Bonn) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [86] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Burroughs in seinem späten Alter auch durch seine “ Shotgun Art ” in der Kunstszene bekannt (cf. Miles 1993: 281 ff.). Burroughs erscheint damit insgesamt einerseits ein typischer Vertreter der “ Beat Generation ” und der modernen amerikanischen Literatur zu sein; anderseits erinnert seine radikale Existenz auch an ein Dichterkonzept des großen einzelnen Schriftstellers, wie es dominant an die existenzialistischen Positionen der 1960er Jahre gebunden ist. In einem Nachruf skizzierte der Autor Jörg Magenau in der Tageszeitung taz William S. Burroughs ’ Image in wenigen Schlagworten als Ikone und “ Godfather ” der amerikanischen Subkultur der Moderne: Der rauschhafte Lüstling, das Vorbild der Popkultur, der Insektenvernichter, Barmixer, Junkie, Privatdetektiv, der Schriftsteller und der ‘ Vater der Beat Generation ’ ,William Seward Burroughs, ist mit 83 Jahren verstorben. (Magenau 1997: 1) 3.3 Biografische und literarische Bezugnahmen in Cronenbergs Naked Lunch David Cronenbergs Filmadaption speist sich sowohl aus mehreren literarischen Quellen wie auch aus zahlreichen biografischen Bezügen. Die Handlung des Films ist auch als fiktive Werkgeschichte lesbar und verwebt Teile des Romans Naked Lunch mit biografischen Anspielungen und zusätzlichen Motiven aus dem Werk Burroughs ’ . Mit Beard gibt es praktisch keine Figur, die sich nicht in irgendeiner Form auf Burroughs ’ Biografie oder sein Werk beziehen würde (cf. Beard 2006: 279). Die Schriftsteller Hank und Martin beziehen sich auf Jack Kerouac und Allen Ginsberg; das Ehepaar Frost auf Paul und Jane Bowles, die Burroughs aus Tanger kannte (cf. Miles 1993: 93). Die Figur des Kiki ist an einen Liebhaber Burroughs ’ angelehnt (cf. ebd.: 90 f.); die Polizisten Hauser & O ’ Brian entstammen ebenso Burroughs ’ Werk (etwa Junky und Naked Lunch) wie Dr. Benway, der eine besondere Rolle sowohl im Film als auch in Burroughs Werk spielt. 22 Am wichtigsten ist selbstverständlich die komplexe Bezugnahme von Cronenbergs Naked Lunch auf Burroughs 1959 erstmals erschienenen Roman Naked Lunch. Explizit als direktes Zitat haben nur wenige Passagen Eingang in den Film gefunden; stärker rekurriert der Film auf Charaktere, Themen ( “ das schwarze Fleisch ” , Insekten, Drogensucht) und Orte (Interzone) des Romans. Eine bedeutende Passage, die fast wörtlich im Film übernommen wurde, ist die “ talking asshole routine ” (cf. Browning 2007: 112), die im Roman aus dem Munde Benways, im Film aus dem Munde William Lees kommt. Sie handelt von einem Mann, der seinem Anus das Sprechen beibringt. Der Anus beginnt am Ende eigenständig zu denken und zu handeln und am Ende sind die Nervenstränge des Mannes so blockiert, dass das Gehirn funktionslos wird und der Anus vollkommen die Kontrolle über den Körper übernimmt (cf. Burroughs 2009: 154 f. und Naked Lunch, 1: 26: 13 - 1: 27: 57): “ Ganze Nervenbahnen wurden blockiert, infiltriert und atrophiert, so dass das Gehirn keine Befehle mehr 22 Nach Lindwedel etwa sind sowohl William Lee als auch der sadistische Dr. Benway “ Avatare und Masken des Autors ” (cf. Lindwedel 2011: 64). Was Benway betrifft, kann man das etwa im Roman Naked Lunch an einem Dialog zwischen dem Parteivorsitzenden und seinem Stellvertreter ablesen (cf. Burroughs 2009: 145): “ PV: ‘ [ … ] Dem Mann kann man einfach nicht trauen. Der ist zu allem fähig … Macht selbst aus einem Massaker noch eine Sexorgie …’ / SV I: ‘ Oder einen Witz. ’ / PV: ‘ Genau. Künstlertyp … Keinerlei Prinzipien. ’” Insofern ist der Sadist hier wohl genauso ein Künstlertypus wie der Schriftsteller, wobei beide eint, dass sie “ keinerlei Prinzipien ” haben. An dieser Stelle wird also das Konzept des Künstlers als moralische Instanz verworfen. Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch 87 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [87] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL erteilen konnte. ” Zum einen spiegelt sich diese “ talking asshole routine ” bereits an einer früheren Stelle im Film, als William Lee bei der Polizei die Unterhaltung mit einer Wanze halluziniert, die aus einer anusartigen Öffnung auf seinem Rücken spricht. Zum anderen steht die Passage auch für den Kontrollverlust des Protagonisten. Die Rationalität verliert also gegen das Nicht-Bewusste, das es nicht kontrollieren kann (cf. Beard 1996: 838). Zu Beginn sagt Bill zu seinem Freund Martin, man solle jeden vernünftigen Gedanken “ vertilgen ” (cf. Naked Lunch, 0: 04: 12 - 0: 04: 14). 23 Er ist zudem als Kammerjäger in der “ Vertilgungsbranche ” , dessen Wanzenpulver Pyrethrum sowohl Insekten tötet als auch als psychoaktive Substanz wirkt, sprich sowohl physisch (bei den Insekten) und psychisch (in Bezug auf das rationale Denken) “ vertilgend ” wirkt. Beard sieht in der “ talking asshole routine ” den Inhalt von Cronenbergs Film metaphorisch zusammengefasst: [ … ] [Naked Lunch] is in toto a story about a man who ‘ taught his asshole to talk ’ and receives orders from it, which result in catastrophe and perdition. He does [ … ] become a genuine artist this way, but the price is too high. (Beard 1996: 838 f.) Durch den Umstand, dass Selbst- und Kontrollverlust hier von Burroughs mit physischer Transformation korreliert werden, lässt sich nicht nur eine Brücke zu Burroughs eigenem literarischem Werk, sondern gerade auch zu anderen Filmen David Cronenbergs schlagen, vor allem zu Videodrome und The Fly (Die Fliege, USA 1996, David Cronenberg) (cf. Beard 1996: 829). Körpermetamorphosen finden sich - in ganz unterschiedlichen Szenarien - in vielen Filmen Cronenbergs. An dieser Stelle wird also diese dezidiert literarische Referenz in einen intertextuellen und intermedialen Kontext eingebettet und verweist damit auf die selbstreflexive Erzählstrategie des Films. Ein weiterer konkreter Hypotext, der in Cronenbergs Film durch den Beruf des Kammerjägers seinen expliziten Widerhall findet ist die Kurzgeschichte Exterminator! , die Teil des gleichnamigen Buchs ist 24 , das zwar mit dem Nachsatz “ a novel ” veröffentlicht worden ist, aber im Grunde nur eine lose Ansammlung von Stories ist. Der Begriff des “ Exterminators ” (in allen deutschen Übertragungen mit dem nicht ganz adäquaten Begriff des Kammerjägers übersetzt) taucht in Burroughs ’ Werk des Öfteren auf, mitunter auch im Roman Naked Lunch. William S. Burroughs hatte auch selbst mal als Kammerjäger gearbeitet (cf. Miles 1993: 46 f.). Als dritter Text von unmittelbarer Bedeutung für den Film ist das erst 1985 veröffentlichte Vorwort zu Burroughs ’ frühem Roman Queer. Von Bedeutung ist der Text deshalb, weil sich der Film der dort getroffenen Aussage von Burroughs anschließt, dass derTod Joan Vollmers erst der Ausgangspunkt seiner Schriftstellerkarriere war (cf. Taubin 1992: 8). Burroughs schreibt in diesem Vorwort: I am forced to the appalling conclusion that I would never have become a writer but for Joan ’ s death, and to a realization of the extent to which this event has motivated and formulated my writing. I live with the constant threat of possession, from Control. So the death of Joan brought me in contact with the invader, the Ugly Spirit, and maneuvered me into a life long struggle, in which I have had no choice except to write my way out. (Burroughs 1986: 18) 23 Im englischen Original sagt Bill “ exterminate all rational thought ” . 24 Das Wanzenpulver Pyrethrum wird in der Story genauso thematisiert, wie die strenge Rationierung durch einen Chinesen (cf. Burroughs 1979: 3 − 8). 88 Benjamin Weiß (Bonn) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [88] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Ansonsten wird der Tod seiner Frau nirgendwo in Burroughs ’ Werk erwähnt (cf. Browning 2007: 110), in Cronenbergs Film ist er jedoch wie hier im Vorwort zu Queer von zentraler Bedeutung. Es lässt sich die These wagen, dass Cronenbergs Film der Versuch einer medialen Reflexion über Burroughs ’ Schaffen mit den Mitteln des Werkes von Burroughs durch den Filter filmischer Zeichen ist (cf. Hoberman 1992). So löst im Film der Tod Joans das Schreiben Williams erst aus und der erste Bericht, den Bill in Interzone abfasst, trägt den Titel “ Report on the assassination of Joan Lee by Unknown Forces. ” (cf. Naked Lunch, 0: 29: 32). Man kann die “ Wilhelm-Tell ” -Routine auch sprachlich doppeldeutig lesen, also zum einen als Rückgriff auf den Schweizer Freiheitskämpfer, zum anderen aber auch als den Imperativ “ erzähle ” - im englischen “ to tell ” (cf. Riepe 2002: 134): Folgerichtig wird bei Cronenberg die Tötungsszene zum Schlüsselerlebnis für Bill Lee, das ihn aus seinem bürgerlichen, heterosexuell geprägten Leben als Kammerjäger ausbrechen läßt in die homosexuell getönte Drogenwelt von Interzone. [ … ] Dabei geht es nicht einfach um ein individualbiographisches Moment des Autors William S. Burroughs, sondern darum, daß Erzählen ( “ to tell ” ) stets nur um den Preis einer Verschuldung an der Gesellschaft möglich wird. “ (Riepe 2002: 135) Die erste Tötung Joans oder besser die Tötung der ersten Joan 25 wirkt also als katalysatorisches Moment der Erzählung und der Film scheint die Tötung Joans als psychologische Erklärung für das kreative Schaffen seines Autors nahe zu legen. Ganz am Ende, als Bill mit Joan Frost die Grenze nach Annexia übertreten will, wird der Zusammenhang zwischen Mord und Schriftstellerei noch mal explizit gemacht: Die Grenzpolizisten - Hauser und O ’ Brian aus der Verhörszene in New York City - fordern Bill auf zu beweisen, dass er Schriftsteller ist (dass er einen Stift mit sich trägt, reicht nicht aus). Somit dreht er sich zu Joan um und sagt wie schon bei der ersten Ermordung der Frau: “ Ich denke, es ist mal wieder Zeit für unsereWillhelm-Tell-Nummer ” (cf. Naked Lunch, 1: 46: 32 - 1: 46: 35). Sie stellt sich das Glas auf den Kopf und Bill erschießt sie. Er kann sich nur als Schriftsteller ausweisen durch den Akt, “ der seine Identität als Schriftsteller begründet hat ” (cf. Riepe 2002: 138). Gegenüber Dr. Benway sagt er in der vorhergehenden Szene noch, er könne ohne sie nicht schreiben. Damit ist aber offensichtlich nicht das Konzept der Frau als Muse des Künstlers gemeint, vielmehr verweist dies darauf, dass das Schreiben für den Helden ohne dieTötung der Frau (oder zumindest den Tötungswunsch) nicht möglich gewesen wäre. Aus dieser Perspektive gesehen kann er ohne die Frau, deren Tod ihn erst zum Schriftsteller gemacht hat, was er durch die Wiederholung der “ Willhelm-Tell-Nummer ” immer wieder neu bestätigen muss 26 , tatsächlich nicht schreiben. 25 Ob Joan Lee und Joan Frost eine Frau sind oder nicht, bedürfte einer ausführlicheren Analyse. In dieser Arbeit wird die These zugrunde gelegt, dass es sich bei Joan Frost um eine halluzinierte Spiegelung Joan Lees handelt. Diese These ist grundsätzlich angreifbar, allerdings scheint sie durch einige Indizien (wie dem immer wieder auftauchenden narrativen Prinzip der Spiegelung) durchaus berechtigt, s. o. 26 Man könnte hier sogar sagen, dass der Film durch diese Wiederholung eine potenzielle Endlosschleife suggeriert: So lange William Lee schreibt, wird er den Tötungsakt immer wieder durchleben müssen. Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch 89 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [89] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL 3.4 Raumsemantik und Realitätskonzeption in Naked Lunch: durch Drogen von New York City nach Interzone Generell sind die Übergänge zwischen drogenbedingter Halluzination und Realität in Naked Lunch fließend. Ebenso scheint es sich mit den Grenzen von ‘ Innen ’ und ‘ Außen ’ und den Grenzen von Subjekt ( “ Ich ” ) und der Umwelt (den Anderen) zu verhalten (cf. Lindwedel 2011: 64). Der Zustand dieser ständigen Grenzüberschreitungen, der den Protagonisten ständig vom Selbstverlust bedroht, steht mit Beard am Anfang des künstlerischen Prozesses: In Lee ’ s case the original transgression leads him into a realm where he cannot anymore tell the difference between an ‘ objective ’ or rational apprehension of the world and a subjectively apprehend world which is animated by his malign unconscious desires [ … ]. And this is the condition in which writing arises; this is the artist ’ s life. (Beard 1996: 831) Schreiben und Drogenkonsum bedingen einander hier im Film ebenso sehr wie Schreiben und Gewalt. Der Wechsel von New York nach Interzone geht zudem wohl nicht mit einem tatsächlichen Ortswechsel einher, vielmehr wirkt Interzone eher wie ein Geisteszustand (cf. Browning 2007: 123). Vielleicht ist Bill sogar an beiden Orten gleichzeitig (cf. Robnik und Palm 1992 b: 96). Auf jeden Fall ist der Trip nach Interzone klar als Drogentrip markiert, wobei einige Figuren aus Interzone (z. B. der Mugwump und Kiki) schon in New York auftauchen, was wiederum klarmacht, dass sich die Grenzen zwischen diesen beiden Räumen auflösen. Der Mugwump gibt dem halluzinierenden Bill das “ Ticket ” zur Überfahrt nach Interzone, kurz vor der Abfahrt trifft er seinen Freund Martin und zeigt das vermeintliche Ticket. Was aus Bills Sicht vorher die Karte für eine Schiffspassage dargestellt hat, zeigt sich aus Martins Point-of-View als ein Röhrchen mit Wanzenpulver, von dem Bill mittlerweile abhängig ist. Diese Szene zeigt nicht nur sehr eindeutig, dass der Übergang nach Interzone nur durch halluzinogene Drogen bewerkstelligt wird. Sie zeigt auch Bills Freund Martin als glaubwürdige Vermittlerfigur, was wichtig scheint, weil man daraus schließen kann, dass Martin tatsächlich das Manuskript des Romans von Bill bekommen hat, das Ganze folglich kein “ Schwindel ” ist. Interzone ist nach Bills Ankunft von seinem Erscheinungsbild her arabisch und nordafrikanisch konnotiert. Zudem blühen dort die “ Laster ” , die in New York verpönt scheinen: Drogensucht und Homosexualität. Letztere, so der “ Bugwriter ” , also die käferähnliche Schreibmaschine, die sich als Lees Verbindungsoffizier ausgibt, “ ist der beste Deckmantel für einen Agenten. ” (cf. Naked Lunch, 0: 36: 46 − 0: 36: 50). Interzone wird also als Welt von Agenten, Drogenverkäufern, Exil-Schriftstellern und homosexueller Dandys beschrieben. Zudem kann in Interzone telepathisch kommuniziert werden. Der Schriftsteller Tom Frost spricht an einer Stelle explizit davon 27 , gleichzeitig verlaufen die Lippenbewegungen und der Ton von Frosts Stimme asynchron. Auch das ist, neben den drogeninduzierten Halluzinationen und der Vermischung der Erzählebenen, etwas, das den Status alles Gesehenen auch für den Zuschauer in Frage stellt: 27 Tom Frost zu William Lee (cf. Naked Lunch, 0: 42: 08 - 0: 42: 13): “ Alles was sich hier abspielt, geschieht telepathisch. Im Unterbewusstsein. [ … ] Bitte achten Sie auf meine Lippen. Sie werden gleich bemerken, dass ich etwas vollkommen Anderes sage. ” 90 Benjamin Weiß (Bonn) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [90] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Ab diesem Moment können wir der Wahrheit des synthetischen Zusammenhangs von Sprecher und Stimme nicht mehr vertrauen, denn auch wenn in Interzone die Stimme absolut synchron zu den Lippenbewegungen läuft, könnte es sein, dass die Menschen dort eigentlich telepathisch irgendwelche Geheimnisse austauschen und die hörbaren Plaudereien nur ein Vorwand sind. (Robnik & Palm 1992 b: 102) Wenn man so will verfügt Interzone mit der Drogenfabrik am Ende auch über einen Extremraum im Sinne Karl N. Renners. 28 Die Drogenfabrik, in der Süchtige das Sperma angeketteter Mugwumps aus deren Kopfpenissen saugen ist der Höhepunkt der Selbstaufgabe, institutionell ausgeübter Gewalt (durch die Haushälterin Fadela, die sich als Benway entpuppt) und sexueller Abhängigkeit (cf. Beard 1996: 864). Auch das Schreiben ist hier nur noch letzte Verzweiflungstat. Alles was Joan in ihr Notizbuch schreibt, als Bill sie findet, ist “ alles ist verloren ” (cf. Naked Lunch, 1: 39: 17 f.). An diesem Punkt sind also Sex, Gewalt, Horror, Sucht und Melancholie auf die Spitze getrieben und Bill und Joan werden den Ort nur verlassen können, indem sich Bill an den Schurken Benway verkauft. 3.5 Narrative und metaphorische Funktionen von Drogen Im Großteil von William S. Burroughs ’ Werk geht es um tatsächlich existierende Drogen. In Cronenbergs Naked Lunch hingegen sind die wichtigsten Drogen sowohl in New York als auch in Interzone Fantasiedrogen: Wanzenpulver, das schwarze Fleisch des brasilianischen Tausendfüßlers und das Mugwump-Sperma. 29 Die Drogen erfüllen dabei je eine bestimmte narrative Funktion und stehen in ihrer Wirkungskraft in einem hierarchischen Verhältnis (mit dem Mugwump-Sperma als der stärksten Droge): (i) Der Diebstahl von Bills Wanzenpulver durch seine Frau Joan löst erst die Handlung aus (und bringt den Ex- Junkie Bill zurück zur Drogensucht); (ii) das ihm von Benway verabreichte schwarze Fleisch führt mehr oder minder zum Tod seiner Frau (und zur Flucht nach Interzone) und (iii) das Mugwump-Sperma bringt Bill in die Falle einer letzten großen Verschwörung, die Kiki das Leben kostet. Das Wanzenpulver sorgt, mit den Worten Joan Lees, für einen “ literarischen Rausch ” : “ Es ist ein Kafka-Rausch. Du glaubst, ein Käfer zu sein. ” (cf. Naked Lunch, 0: 07: 00 - 0: 07: 04) Joan wird kurz darauf ebenso wie die Wanze, die Bill im Verhörzimmer halluziniert, ihn dazu auffordern, ihr etwas von dem Pulver auf die Lippen zu reiben. Was die wirklichen Insekten ausrottet, führt zur Schaffung viel gefährlicherer “ innerer ” Insekten (cf. Beard 1996: 845 und Beard 2006: 310). Das schwarze Fleisch des brasilianischen Tausendfüßlers wird Bill von Dr. Benway als Kur gegen die Abhängigkeit von Wanzenpulver verkauft, ist aber in Wirklichkeit viel schlimmer. Das Mugwump-Sperma schließlich stimuliert als stärkste Droge 28 Nach Renner führt nach Überschreitung einer Raumgrenze (also beim Übergang von einem semantischen Feld in ein anderes) der Weg des Protagonisten zum Extrempunkt innerhalb des semantischen Feldes, in dem dessen Eigenschaften verdichtet werden (cf. Renner 1987: 128 ff.). In Naked Lunch können wir also New York als Ausgangsraum begreifen, von dem aus der Protagonist die Grenze in den anderen semantischen Raum Interzone überschreitet. Dort findet sich dann die Drogenfabrik als Extremraum. Der Weg weiter von der Drogenfabrik nach Annexia, den “ Nachbarstaat ” von Interzone, kann im Rückgriff auf Lotman als Metatilgung verstanden werden, bei dem die Struktur der Ausgangsräume verändert wird (cf. Krah 2006: 270 f.). 29 Burroughs lobt diese Idee Cronenbergs (cf. Burroughs 1992: 14): “ David ’ s substitution of imaginary drugs [ … ] for rather more mundane heroin and marijuana depicted in the novel is a masterstroke. ” Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch 91 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [91] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL einerseits anfänglich die Schreibtätigkeit, andererseits führt sie in komplette Abhängigkeit und zum kompletten Selbstverlust, was sich am deutlichsten in der Drogenfabrik in Interzone darstellt. Sucht führt auch in Burroughs ’ Werk 30 zum Kontrollverlust (cf Lindwedel 2011: S. 64): “ Und was am Ende steht, ist der Süchtige selbst, sein sich zersetzender Körper, seine Selbsterniedrigung und die sich auflösende Grenze von Innen und Außen, vom Ich und den Anderen. ” Mit Beard ist bei Burroughs ist die Drogensucht eine Metapher für die gesamte Existenz: Burroughs builds heroin addiction into an entire allegory of private and social existence, rendering as universal metaphors the addicts need for substance, the power exercised over the customer by both the vendor and the law, [ … ] and the irresistible opportunities for manipulation and control [ … ].(Beard 2006: 296 f.) Auf Ebene der Filmhandlung wird das schon dadurch wiedergegeben, dass Naked Lunch mit der Logik von Agentenfilmen spielt (cf. Robnik und Palm 1992 b: 103). William Lee gerät durch die Drogen in den Teufelskreis aus Kontrolle und Manipulation und die drogeninduzierten Halluzinationen werden zur Basis für die Narration (cf. Beard 1996: 844). Auf dem Fundament dieser narrativ entfalteten Semantik von Drogen entwickelt der Film mit dem Motiv der Schreibmaschine schließlich die zentrale Konzeptmetapher, die Drogenkonsum und schriftstellerisches Handeln aufeinander bezieht. Mit Riepe verfügen die Schreibmaschinen im Film über eine “ phantasmatische Funktion ” (Riepe 2002: 143). Mit Lindwedel werden die Schreibmaschinen “ zu Metaphern des Kreativen, des Schöpferischen, das zugleich eine dunkle Seite des Zerstörerischen offenbart ” (Lindwedel 2011: 68). Die Schreibmaschine ist zunächst die Voraussetzung für William Lees schriftstellerische Tätigkeit. Der Mugwump fordert ihn dazu auf, seine Berichte aus Interzone darauf zu tippen (cf. Naked Lunch, 0: 26: 01 - 0: 26: 16): “ Handgeschrieben wirkt es immer so unprofessionell. ” Daraufhin tauscht Bill beim Pfandleiher seine Schusswaffe gegen die Schreibmaschine Clark Nova, was durch die Substitution von Waffe und Schreibmaschine wiederum die Korrelation von Gewalt und Schreiben hervorhebt. In Interzone ist die Clark Nova (die das Aussehen des Käfers aus dem Verhör angenommen hat), Bills erste Schreibmaschine und zugleich sein “ Verbindungsoffizier. ” Später wird er die von Tom Frost geliehene Martinelli benutzen, die allerdings von der Clark Nova in einem absurd anmutenden Kampf zerstört wird. Mit Beard ist die Martinelli feminin/ heterosexuell konnotiert und ihre Zerstörung durch die Clark Nova bezeichnet möglicherweise den Sieg von Lees homosexuellen Impulsen (cf. Beard 2006: 319). Zusammen mit Joan Frost wird er schließlich Obszönitäten auf einer Schreibmaschine mit Namen Mujaheddin (die nur arabische Schriftzeichen schreiben kann) verfassen, die dabei einen penisartigen Auswuchs samt Erektion bekommt und schließlich von der lesbischen Haushälterin Fadela über die Brüstung gejagt wird. Die Trümmer der Martinelli hat Bill schließlich bei sich, als ihn Hank und Martin antreffen, um ihm von seinem Manuskript zu Naked Lunch zu berichten. Aus dem Blickwinkel Martins sehen wir schließlich, was die Schreibmaschine wirklich ist: Ein Beutel voll mit Drogen und Spritzbesteck. 30 Wobei nach Burroughs Verständnis nur die wenigsten Drogen süchtig machen. Er versteht dabei Sucht im Sinne der biologischen Notwendigkeit des Gebrauchs einer bestimmten Substanz. Ihm zufolge ist dies vor allem bei Morphin der Fall (cf. Burroughs 2009: 283 ff.). 92 Benjamin Weiß (Bonn) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [92] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Mit Hilfe Kikis bringt Bill die Maschine später zu einem Schmied, der sie repariert: “ Wenn wir die Schreibmaschine in Ordnung bringen, bringen wir auch das Leben in Ordnung ” (cf. Naked Lunch: 1: 19: 20 - 1: 19: 25), sagt Kiki. Am Ende wird daraus der “ Mugwriter ” , also eine Schreibmaschine mit dem Aussehen eines Mugwump, der aus seinen Penissen, die aus seinem Kopf herauswachsen, Drogen absondert, deren Wirkung Bills Schreibblockade lösen werden, die die “ feminine ” Martinelli ausgelöst hat. Deutlich wird hier homosexuelles Begehren mit schriftstellerischer Kreativität korreliert (cf. Browning 2007: 117). Mit dem späteren Tod Kikis, der als homosexuelle Muse Bills fungiert, ist dann konsequent auch die schriftstellerische Kreativität erstmal wieder dahin. Auch der “ Mugwriter ” stellt sich im Übrigen als Verbindungsoffizier vor und trägt Bill auf, den Dandy Cloquet zu verführen, was in der Schändung des unschuldigen Kikis endet und Bill schließlich in die Drogenfabrik führt. Auch der “ Mugwriter ” übernimmt damit narrative Funktionen in der Handlung. Ein wichtiger Aspekt bei den halluzinierten Kreaturen (Käfern, Mugwumps) und Schreibmaschinen im Film ist, dass sie alle mit derselben Stimme eines gewissen Edwards sprechen, einem Kammerjäger-Kollegen Bills, der bereits am Anfang eingeführt wird und der - das kommt als Bedeutungskomponente hinzu - ebenfalls an die äußere Erscheinung von William S. Burroughs erinnert. Es ist eben jener Edward, der Bill zu Dr. Benway schickt. Er ist es also die Figur, die die Verschwörung gegen Bill einleitet. Dass er in seinem Erscheinungsbild an Burroughs angelehnt ist und dass die halluzinierten Kreaturen und Schreibmaschinen mit seiner Stimme sprechen, führt im Zusammenspiel mit den bisher herausgearbeiteten Bezügen zu einer komplexen Situation, die analytisch schwer entwirrbar scheint: This delirious configuration of historical human being (Burroughs the man), writer whose works have inspired the film (Burroughs the author), biographically based filmic character (Lee), and sublevels of other characters hallucinated by that character (Benway, giant beetle, mugwump etc.) cannot be disentangled and interpreted to make clear sense - especially not by yet another representation of Burroughs in the person of Edwards. What can be said is that in the film all these perspectives come down to a hall-of-mirrors scenario of a man talking to himself, prompting himself to do things, and disavowing responsibility for terrible things he does as a result. (Beard 2006: 312 f.) Die Schreibmaschinen sind somit ein weiterer Aspekt der narrativen Spiegelungsstrategie des Films, die Kohärenz verhindern soll: Die Schreibmaschinen sind Insekten und zugleich reale Drogen (Pillen und Spritzbesteck); sie liefern halluzinierte Formen von Drogen (Mugwump-Sperma) und sind gleichzeitig sind Verbindungsoffiziere gegen Interzone Inc.; sie sind sowohl sexuelle Monster (die erigierende Mujaheddin-Schreibmaschine) als auch Agenten der Verschwörung des Dr. Benway (was durch Edwards ’ Stimme deutlich wird). Unter Rekurs auf Beard 2006 scheint es tatsächlich die plausibelste Erklärung, die Schreibmaschinen als Projektionen des Geisteszustandes des Schriftstellers zu deuten, der Sachen tut, die nicht mehr seiner Kontrolle unterliegen und ihn selbst in Gefahr bringen. Insofern ist Schreiben wirklich gefährlich, wie Bill selbst in einem Dialog zu Beginn des Filmes sagt. 31 Dies zeigen auch die Transformationen der Schreibmaschinen, die Bill 31 Bill sagt zu Hank und Martin auf deren Aufforderung, er solle den Diebstahl seines Wanzenpulvers als Zeichen sehen und doch besser Pornografie schreiben: “ Ich hab ’ aufgehört zu schreiben da war ich zehn. Zu gefährlich. ” (cf. Naked Lunch: 0: 04: 31 - 0: 04: 49) Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch 93 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [93] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL betrügen (oder mit denen er sich selbst betrügt) und in eine immer gewalttätigere Welt abdriften lassen. Eine Steigerung ihrer Bedrohlichkeit in der Narration verläuft analog zu den immer gefährlicher werdenden Drogen, welche die Schreibmaschinen verkörpern und vice versa. Daran zeigt sich auch, dass zum Schreibvorgang, so wie ihn der Film präsentiert, die Schreibmaschine nicht materiell vorliegen muss, sondern dass sie eher als Metapher dient. Bill kauft zwar eine Schreibmaschine, als Hank und Martin ihn treffen, hat er allerdings nur einen Sack Drogen in der Hand. Das von Hank und Martin präsentierte Manuskript zu Naked Lunch ist zwar mit der Schreibmaschine geschrieben, allerdings - so wirkt es - mit keiner der in Interzone vorgeführten Schreibmaschinen. Damit und durch den Umstand, dass Bill (und mit ihm der Zuschauer) das von ihm verfasste Manuskript noch nie gesehen hat, zeigt sich, dass der kreative Prozess weniger vom konkreten Schreiben abhängt, sondern viel mehr aus einer Geisteshaltung resultiert, die der Film durch durch die Schreibmaschinen als Fantasiedrogen illustriert. 3.6 Schreiben und Sexualität Was mit Blick auf Burroughs ’ Werk zunächst einmal verwundern könnte, ist, dass Cronenbergs Naked Lunch eine sehr starke Frauenrolle installiert, die auch an heterosexuelles Begehren seitens des Protagonisten gekoppelt ist. 32 In Burroughs ’ literarischem Werk finden sich nur wenige und im Grunde wenig bedeutsame Frauenrollen, Begierde ist in der Regel immer homosexuell (cf. Browning 2007: 111). Im Film wird dagegen Homosexualität erst ein Thema, nachdem Bill seine Frau erschossen hat. Er trifft in einer Bar den attraktiven Kiki, der ihn dem Mugwump vorstellt, der sich auf “ sexuelle Ambivalenz spezialisiert ” hat; Bill versteht “ sexuelle Ambulanz ” (cf. Naked Lunch, 0: 25: 24 - 0: 23: 33). Der nachfolgende Trip nach Interzone ist somit so etwas wie eine für ihn notwendig erscheinende Flucht, hin an den Ort des Verdrängten (cf. Riepe 2002: 136), welcher tatsächlich Bills “ sexuelle Ambivalenz ” hervorkehrt. Die Schreibmaschine Clark Nova erklärt ihm schließlich, er brauche die Homosexualität als Tarnung, da sie “ der beste Deckmantel für einen Agenten ” sei (cf. Naked Lunch, 0: 36: 45 - 0: 36: 50). Damit einher geht auch die Misogynie, welche die Wesen Interzones inklusive Benways verkörpern. 33 William Lee scheint sich seiner eigenen sexuellen Orientierung nicht sicher zu sein. Von Cloquet auf seine Homosexualität angesprochen, sagt er: Schwul. Ein Fluch der schon seit Generationen auf meiner Familie lastet. Die Lees waren wohl schon immer pervers. Ich werde nie den unaussprechlichen Horror vergessen, der mir meine Lymphflüssigkeit erstarren ließ, als dieses absolut tödliche Wort fast peitschend mein Gehirn durchzuckte: Ich bin ein Homosexueller. (Naked Lunch, 0: 45: 33 - 0: 45: 53) 32 Cronenberg wurde vorgeworfen in Naked Lunch alles andere als ein emphatisches Bild von Homosexualität zu zeichnen (cf. Browning 2007: 120). Auch die homosexuelle Presse kritisierte ihn teilweise scharf (cf. Sargeant 2001: 215 und Taubin 1992: 8). Eine recht ausgewogene Diskussion findet sich bei Beard (cf. Beard 1996; 847 - 850). Cronenberg selbst bezeichnete den Sex in Naked Lunch als “ Sci-Fi-Sex ” , der eine metaphorische Funktion habe (cf. Taubin 1992: 8). 33 Die Clark Nova sagt an einer Stelle (cf. Naked Lunch, 1: 08: 32 - 1: 08: 42): “ Frauen sind keine Menschen, Bill. Oder um es noch deutlicher zu sagen: Sie sind eine andere Spezies als die Männer, sie haben einen anderen Willen und sie haben andere Aufgaben. ” 94 Benjamin Weiß (Bonn) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [94] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Diese Dialogzeile ist eine wörtliche Übernahme aus Burroughs ’ Roman Queer (cf. Burroughs 1986: 50) und wenn man so will, verweist der Film auf Burroughs ’ eigene Tendenz zum Selbsthass (cf. Browning 2007: 115). Für Beard sind die verleugneten Impulse der Hauptfigur das Leitthema des Film: The drama of William Lee in the film, then, is to some extent the drama of a character who denies and misrecognizes his own deepest impulses, who is unable to look at them clearly because he feels at some level that they are shameful and wrong, whose resulting inner turmoil gives rise to hallucinations and the acting-out of repressed desires under ‘ cover ’ of a self-invented alibi. (Beard 1996: 834) Der halluzinierte und homosexuell konnotierte Raum Interzone gibt auch Bill die Möglichkeit, sich homosexuell auszuleben. Der Projektionsraum Interzone schlägt sich wiederum in dem Roman nieder, den Bill verfasst. “ Das zentrale Phantasma in ‘ Naked Lunch ’ kreist somit um das Schreiben als unbewußtes Äquivalent für den homosexuellen Akt. ” (Riepe 2002: 144) Dabei zeigt der Film zum einen die positive sexuelle Selbstverwirklichung Bills (mit dem unschuldigen Kiki), während er gleichzeitig grausamen sexuellen Horror miterlebt (Kikis Schändung durch einen zum Insekt mutierten Cloquet). Es ergibt sich also ein tatsächlich ambivalentes Bild zwischen sexuellen Attraktionen und sexuell Abstoßendem (cf. Beard 1996: 847). An diesem Horror ist der Held nicht unschuldig und als er dies einzusehen scheint, ist es zu spät: The heroic artist is transformed into a murderer and a wretched damned soul, after his sad enlightenment as to the true cause and sequence of events, a figure of ultimate self-knowing melancholy. (Beard 1996: 835) Der Künstler befindet sich in einer Zwickmühle, weil er um die Gefährlichkeit seiner inneren Impulse weiß und diese (zumindest in Form von Halluzinationen) auch miterlebt, während er sich dennoch nicht davon lösen kann. Dabei ist Sexualität im Film Naked Lunch, so Seeßlen, “ eine eher freudlose Angelegenheit, intensiv nur dort, wo die Gespenster der unterdrückten Impulse aufeinander losgehen ” (cf. Seeßlen 1992). 4 Selbstreflexion als Strategie der Dekonstruktion von Autorschaft Wie gezeigt wurde, ist der Film Naked Lunch auf vielerlei Art und Weise sehr komplex mit zahlreichen Anspielungen, Selbstbezüglichkeiten und Selbstreflexionen in Form von symbolischen Übersteigerungen durchsetzt, die grundsätzlich ambivalente, unterschiedliche Lesarten zulassen, auch wenn sich wesentliche abstrakte Tendenzen ableiten lassen. Hier soll nun der Versuch unternommen werden, die Erkenntnisse auf die ursprüngliche theoretische Problemstellung zurückzuführen und die bereits vorgestellte Vermischung der Erzählebenen noch einmal konkret mit Blick auf das vom Film vermittelte Konzept von Autorschaft zu betrachten. 4.1 Dekonstruktion und Selbstreflexion Die Handlung folgt vor allem am Ende keiner wirklichen Kausalkette mehr (cf. Robnik und Palm 1992 b: 104), es ist letzten Endes nicht mal mehr wirklich unterscheidbar, was Realität, was Halluzination, was Teil der Rahmenhandlung, was Teil des Romans ist. Man könnte Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch 95 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [95] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL auch noch weitergehen und sagen, Naked Lunch ist durch die zahlreichen Anspielungen, Spiegelungen und durch die vielen losen Fragmente “ eine Parodie jeder Interpretation ” (Seeßlen 1992). Aber das Spiel mit den beiden Erzählebenen (Rahmenhandlung und Roman) wird auch dazu benutzt, um den Begriff des Autors als “ artist hero ” (cf. Beard 2006: 307) zu dekonstruieren. Wenn auch für den Film Burroughs ’ Credo gelten soll, “ Es gibt nur eins, worüber ein Schriftsteller wirklich schreiben kann, nämlich darüber, was ihm im Moment des Schreibens in den Sinn kommt ” (zitiert nach Seeßlen 1992), dann zeigt der Film, wie sehr derAutor als Künstler an sein eigenes Bewusstsein gebunden ist, und dass das Schreiben nur um ihn selbst und seine inneren Zwangsvorstellungen kreist, auch wenn er damit sich und andere ernsthaft beschädigt. Der Autor ist ein Mörder, Drogenabhängiger und jemand, der sich sehr bereitwillig selbst betrügt. Dabei kommt ein Werk heraus, an dessen fast automatischer, tranceartiger Entstehung im Drogenrausch sich der Autor gar nicht mehr erinnern kann. Das Schreiben entzieht sich also seiner Kontrolle, es liegt in der Hand innerer “ Agenten ” und böser Mächte. Er hält sich selbst für eine Art Agent und mit den Worten Dr. Benways ist er schließlich einer, der “ im Begriff ist, seiner eigenen Tarnung auf den Leim zu gehen ” (cf. Naked Lunch, 0: 18: 55 - 0: 19: 00). Der Film stellt durch diese Semantik eine große Verunsicherung her, die ein klares Konzept von Mimesis zwischen Realität, Roman und Film grundsätzlich ablehnt und durch permanente Selbstbezüglichkeit jede kohärente Deutung verunsichert und verweigert. Damit passt der Film Naked Lunch sehr gut in Cronenbergs postmodernes Œ uvre und zu seinen Filmen Videodrome und eXistenZ, die ebenfalls zentral das Thema der verunklärten Repräsentation behandeln: Cronenbergs Filme spielen mit der Dauerkrise von Repräsentation und verschleifen diese mit dem Topos des Unbehagens an der Echtheit der eigenen Welt und des eigenen Körpers. [ … ] In keinem dieser Filme läßt sich [ … ] zu einem beliebigen Zeitpunkt bestimmen, auf welcher der imaginierten Realitätsebenen sich die Figuren befinden. (Meteling 2006: 157) Damit ist der Film Naked Lunch auch eine Aneignung des Romans und der Schriftstellerpersönlichkeit Burroughs durch Cronenberg, der sich in seiner filmischen Adaption von Autor und Werk auch selbst bespiegelt. Nicht nur in Bezug auf Burroughs ist also die Erzählstrategie des Films hochgradig selbstreflexiv. Durch die Halluzinationen untergräbt der Film zusätzlich seinen eigenen Status als fiktive Werkgeschichte und spielt damit, “ weder reine Biografie noch reine Fiktion ” zu sein (cf. Lindwedel 2011: 69). Der Film referiert durch die Vermischung der Grenzen zwischen Realität und Fiktion auch seinen eigenen Status als filmische Adaption (cf. Hantke 2007: 164): Cronenbergs Film ist weniger eine Adaption, als vielmehr ein metareferenzielles Künstlerdrama, das die selbstreflexive Struktur des Romans zum eigenen Prinzip macht. Es ist eine Hommage an Burroughs, ebenso aber auch eine Abrechnung mit dem Kreativitätskult der Beat Generation. (Lindwedel 2011: 68 f.) Schon auf der oberflächlichsten Ebene handelt der Film von der Entstehung von Literatur genauso, wie er offen damit spielt, die Adaption eines “ Kultromans ” zu sein. Es geht bei der fiktiven Entstehungsgeschichte vor allem darum, durch welche Mechanismen man zum Autor wird. Dabei spielt, wie bereits gezeigt, die eigene Schuld eine zentrale Rolle. 96 Benjamin Weiß (Bonn) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [96] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL 4.2 “ The Mark Inside ” : Kunst zwischen Kontrolle und Kontrollverlust Deviante Sexualität, Drogenkonsum, tranceartiges Schreiben im Rausch, sind, so zeigt es der Film, voller Gefahr für den, der sie auslebt oder mit ihrer Hilfe künstlerisch tätig wird. Der Künstler ist ständig vom Kontroll- und Selbstverlust bedroht. Der kreative Prozess ist, das sagt William Lee selbst an einer Stelle, höchst gefährlich und destruktiv (cf. Beard 2006: 289). 34 Das gilt für andere, es gilt aber insbesondere auch für den filmexternen Autor selbst. Der Film wird durch zwei Motti eingeleitet. Das erste Motto ist ein Ausspruch Hassan I Sabbahs: 35 “ Nothing is true; everything is permitted. ” Das zweite Motto ist eine Textstelle aus dem Roman Naked Lunch: „ Hustlers of the world there is one Mark you cannot beat: The Mark Inside. “ 36 Der Künstler ist zunächst mal, das ergibt sich sowohl aus Burroughs ’ eigenem Schreiben und aus den Anspielungen des Films auf das Agentenfilm-Genre, Teil einer großen Verschwörung, deren Agenten ihn mit aller Gewalt kontrollieren und manipulieren wollen. Dieser paranoide Aspekt macht die Skepsis sowohl des Romans als auch des Films gegen Autoritäten jeglicher Art deutlich. Allerdings wird diese alptraumhafte Verschwörung auch in das Innere des Menschen verlagert. Dabei ist der kreative Prozess im Film Naked Lunch vor allem auch ein Kampf gegen die eigene Ratio, oder wie Seeßlen schreibt: Die Flucht ins ‘ Kreative ’ , so scheint der Regisseur zu folgern, der seinem Helden als kritischer Rationalist in die Spirale der Alpträume folgt, ist keine Lösung. Und übersetzten wir für einen Augenblick das, was der Schriftsteller als Rationalität ausrotten will, mit ‘ Bewußtsein ’ oder, für die Moralisten unter uns, als ‘ Gewissen ’ , dann erleben wir in Cronenbergs Film eine Art Hase-und-Igel- Jagd: Der Autor flüchtet in immer neue Räume der kreativen Phantasie und findet dort doch immer schon die Dämonen seines Bewusstseins. (Seeßlen 1992) Anführer des Plots gegen William Lee sind zum einen die insektenähnlichen Wesen (Riesenwanzen, Mugwumps) und Dr. Benway. Wenn diese Anführer nun allerdings Projektionen des Autors sind, dann liegt der Kern dieses paranoiden Horrors bei diesem selbst: 34 Beard zieht bei dieser Feststellung auch eine Parallele zu anderen Filmen David Cronenbergs, vor allem aus seinem Frühwerk. 35 Hassan I Sabbah, geboren im heutigen Iran, war ein Sektenführer im ausgehenden 11. und frühen 12. Jahrhundert. Vor allem das zitierte Motto wurde von Burroughs immer wieder aufgegriffen (cf. Miles 1993: 149 f.). 36 In der deutschen Fassung ist dies Übersetzt mit: “ Abzocker der Welt, es gibt nur einen Blödmann, den man nicht übers Ohr hauen kann: den Inneren Blödmann. ” (Burroughs 2009: 20) Im das an den Roman Junky angeschlossenen Glossar wird “ Mark ” definiert als: “ Someone easy to rob, like a drunk with a roll of money. ” (Burroughs 1977: 156) In der deutschen Ausgabe, die 1978 in Frankfurt am Main bei Zweitausendeins erschienen ist, fehlt dieses Glossar. Selbstreflexives Erzählen und die Dekonstruktion von Autorschaft in David Cronenbergs Naked Lunch 97 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [97] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL The numerous fantastic manifestations of malignity deriving from Burroughs [ … ] are in the end remorselessly stripped of their agency, the entire epic paranoid drama of the film revealed as a ‘ colossal con ’ played by the artist on himself. 37 (cf. Beard 2006: 306) Der Schriftsteller schreibt nun aber nicht, um den Verlust in dieser Verschwörung zu verhindern. Vielmehr wird er erst durch sie befähigt zu schreiben. Er ist also ein Getriebener der Verschwörung gegen sich selbst, die er eigenverantwortlich (durch Drogenkonsum etc.) angezettelt hat: So writing is not something you do in order to prevent yourself from damaging someone as you have done in the past; rather it is something you are enabled to do after your inner insectinspiration, the asshole you have taught to talk, has started giving you orders. (Beard 2006: 308) Obwohl Bill am Ende hinter die Machenschaften Benways blickt, lässt er sich am Ende doch wieder von ihm anwerben. Die Existenz des Autors schwankt ständig zwischen Widerstand und Unterwerfung unter die Mächte der Kontrolle. Die Wiederholung der Tötung Joans und die von ihm daraufhin gezeigte Melancholie verdeutlichen hierbei, dass der Autor in dieser Tretmühle, aufgebaut auf Wiederholung des immer Gleichen, für immer gefangen zu sein scheint (cf. Robnik und Palm 1992 b: 105): “ Schreiben heißt in Naked Lunch nicht repräsentieren, nachmachen, Ähnliches verfertigen, sondern: wiederholen. ” Diese zirkuläre Erzählstruktur vermittelt auch, dass der Autor kein für sich abgeschlossenes Werk mehr schafft. 38 Der Autor muss sich ständig wiederholen und korrigieren, daher ist sein Werk auch keine statische Größe mehr. Zum Schriftsteller zu werden ist letzten Endes allerdings mit einem (zumindest zeitweiligen) Selbstverlust korreliert, der dem Autor schlimme Qualen bereitet. Der Preis dafür, Autor zu sein, so scheint es, ist also immens hoch (cf. Beard 1996: 839). 5 Der Autor - “ Ein Monster wie du und ich? ” Die biografischen Verweise scheinen gar nicht dazu zu dienen, das konkrete Leben des Schriftstellers - wie man das in einem konventionellen Biopic für normal halten würde - als besonders herausragend oder extravagant zu markieren. Viel mehr wird ein Autorkonzept entworfen, dass davon ausgeht, dass der Autor von persönlicher Schuld und Paranoia getrieben ist. Der kreative Prozess scheint gar nicht möglich, ohne sich an der Gesellschaft zu verschulden, die einem wiederum durch fast totalitäre Kontrollmechanismen auf den Fersen zu sein scheint. Sucht, Sex, Gewalt, Irrsinn und Traumata erscheinen nahezu als Quellen kreativen Schaffens (cf. Hantke 2007: 164). Selbst die Schreibmaschinen entspringen der Halluzination und sondern wiederum halluzinogene Drogen ab, und es ist schwer zu sagen, was kausal auf das andere folgt. Dabei geht der Film durchaus kritisch mit dem Künstler um, beschreibt seinen Selbstbetrug, die Ausbeutung anderer für sein Schaffen ( Joan muss zweimal sterben, damit er Künstler wird und bleibt) und seine Flucht in Drogen. 37 Beard greift mit ‘ colossal con ’ eine Wendung auf, die im Film (in der deutschen Fassung: “ mieser Schwindel ” ) selbst auftaucht und von Bill gebraucht wird, als ihm seine Freunde das Manuskript vorlegen. 38 Das findet auch in gewissem Sinne seine Entsprechung in Burroughs ’ Werk: So wurden bereits publizierte Bücher von ihm von Neuauflage zu Neuauflage umgeschrieben und ergänzt. Er selbst meinte, sein ganzes Werk sei im Grunde ein einziges Buch (cf. Miles 1993: 135). 98 Benjamin Weiß (Bonn) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [98] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Der Film scheint damit anzudeuten, dass die Texte von Burroughs nicht ohne den konkreten Menschen Burroughs zu deuten sind, was vor allem ja daran deutlich wird, dass ein quasi-reales Ereignis (der Tod von Burroughs ’ Frau) als psychologischer Erklärungsversuch für seine Produktivität herangezogen wird. Der Film setzt also den empirischen Autor als wichtige Verstehensgrundlage des Werks, dabei spiegeln sich das Reale (sprich biografische Begebenheiten) und das Imaginäre (das Werk) ineinander. Das Konzept in Cronenbergs Naked Lunch ist also trotz existenzialistischer Tendenzen nicht wie bei Sartre, nämlich dass “ das Erscheinen des Kunstwerks ein neues Ereignis [ist], das sich nicht durch frühere Gegebenheiten erklären läßt ” (cf. Sartre 2000: 110). Zwar bezieht sich der Film auf ein zu großen Teilen literarisch und medial konstruiertes Bild von Burroughs, das durch gewisse Distanzierungen zusätzlich gebrochen wird, dennoch ist der wichtigste psychologische Auslöser im Film ein biografisches Moment, das so - mit Ausnahme des angesprochenen Vorwortes zu Queer - in keinem Werk des realen Schriftstellers vorkommt. Der Film wertet also die Bedeutung der realen Person Burroughs für sein Werk deutlich auf, gerade weil er auf ein Ereignis ( Joan Vollmers Tod) zurückgreift, das (wenn im Film auch verfremdet und wiederholt) auf Wissensbestände zurückgreift, die quasi nur durch die Rezeption von Texten über den realen Autor Burroughs, nicht über die Rezeption von Texten des realen Autors Burroughs bekannt sind. Einerseits ist derAutor damit in gewisser Weise jemand, dessen Werk einerseits zwar Phantasmen und inneren, nicht ausgelebten Horror widerspiegelt. Andererseits ist der Auslöser für die Niederschrift mitunter das real Erlebte. Der Autor in Cronenbergs Film scheint nicht ohne Ausschweifung, Gewalt und Exzesse denkbar, auch wenn dies nie verherrlicht wird. Schreiben ist vielmehr vom Status her dem realen Leben gleichgestellt (cf. Beard 2006: 282). Verabschiedet wird dabei vielleicht nicht weniger als die Vorstellung vom Autor (oder vom Künstler allgemein) als Intellektuellen. Vielmehr ist er hier mit Seeßlen (cf. Seeßlen 1992) ein “ Monster wie du und ich ” . Bibliographie Barthes, Roland 2000: “ Der Tod des Autors ” , in: Jannidis, Fotis et al. (eds.) 2000 a: 185 − 193 Bauer, Ludwig et al. (eds.) 1987: Strategien der Filmanalyse. 10 Jahre Münchner Filmphilologie, München: Diskurs-Film-Verlag Beard, William 1996: “ Insect Poetics: Cronenberg ’ s Naked Lunch ” , in: Canadian Review of Comparative Literature 23.3 (1996): 823 − 852 Beard, William 2006: The Artist as Monster. 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