eJournals Kodikas/Code 39/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2016
391-2

Ulrich Raulff 2015: Das letzte Jahrhundert der Pferde, München: Beck, 461 pp., geb. 29,95 €, ISBN 978-3-406-68244-5

2016
Dagmar Schmauks
vergessene Schutzdach gegen den Regen mitnimmt. C ’ est le ton qui fait la musique; dies gilt in den indogermanischen Sprachen weitgehend (aber nicht restlos) in dem Sinne, daß der Ton dem Ausdruck und Appell frei steht und irrelevant ist für die Darstellung. Ist ferner die Wortstellung so frei wie im Lateinischen, dann wird sie Cicero kunstvoll rhetorisch verwerten usw. “ (Bühler, 1934: 46). Ob man dann allerdings den Anspruch weiterhin verfechten sollte, mit dem Kommunikationsquadrat irgendeine Neuerung, ja, die absolut entscheidende Werkidee (cf. P. 27), erscheint mir mehr als zweifelhaft. In dem vorliegenden Buch ist wiederholt die Rede von der humanistischen Psychologie und deren Einfluß auf die Entwicklung von Friedemann Schulz von Thun; in diesem Zusammenhang werden einige führende Persönlichkeiten dieser „ Dritten Kraft “ der Psychologie (e. g. Abraham Maslow, Carl Rogers etc.) genannt; ich halte es für einigermaßen befremdlich, daß Charlotte Bühler nicht erwähnt wird, obwohl sie gemeinsam mit Melanie Allen eine Einführung in die humanistische Psychologie (Bühler/ Allen, 1987) verfaßt hat. Man könnte fast auf die Idee kommen, daß es sich hierbei um ein systematisch verfolgtes Prinzip handelt (vgl. weiter oben das Beispiel Gerold Ungeheuers); ein ähnliches Schicksal widerfährt dem „ dialogischen Prinzip “ (p. 8), ist denn einem jeden zumal jüngeren Leser bewußt, daß es sich hierbei um den Titel von Martin Bubers Hauptwerk handelt? Zur Nachahmung möchte ich dieses Prinzip keinesfalls empfehlen. Literatur Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena: Fischer 1934. Bühler, Karl: Schriften zur Sprachtheorie. Hrsg. von Achim Eschbach. Tübingen: Mohr Siebeck 2012. Bühler, Karl: Sprache und Denken. Hrsg. von Achim Eschbach. Köln: von Halem 2015. Bühler, Charlotte und Allen, Melanie: Einführung in die humanistische Psychologie. Berlin: Ullstein 1987. Buber, Martin: Das dialogische Prinzip. Heidelberg: Schneider 1973. Fónagy, Iván: Sprachfunktionen und Sprachentwicklung. Variationen über Karl Bühlers Funktionsmodell. In: Eschbach, Achim (Hrsg.): Bühler-Studien. Band 1. Frankfurt: Suhrkamp 1984. 224 - 260. Loenhoff, Jens: „‘ Nur dem, der das Glück verachtet, wird Erkenntnis ‘ . The Mathematical Theory of Communication von Claude E. Shannon und Warren Weaver (1949). In: r: k: m Ungeheuer, Gerold: Kommunikationstheoretische Schriften I: Sprechen, Mitteilen, Verstehen. Aachen: Alano 1987. Achim Eschbach (Essen) Ulrich Raulff 2015: Das letzte Jahrhundert der Pferde, München: Beck, 461 pp., geb. 29,95 € , ISBN 978 - 3-406 - 68244 - 5 1. Die Rolle von Tieren in der menschlichen Geschichte Die Geschichte des Menschen lässt sich nur verstehen, wenn man seine Interaktionen mit der natürlichen Umwelt einbezieht. Diese reichen von der Anpassung an klimatische Verhältnissen über die Nutzung von Bodenschätzen bis zum Kampf gegen Parasiten und 184 Reviews Krankheitserreger. Ein besonders wichtiger Aspekt ist die Beziehung des Menschen zu seinen Nutztieren. Am Beginn aller Hochkulturen stand die Domestizierung von geeigneten Tieren, welche die wachsende Bevölkerung ernährten, Rohstoffe für zahlreiche Artefakte lieferten und vor allem durch ihre überlegene Körperkraft zahlreiche kulturelle Leistungen erst möglich machten. Tiere dienten in Landwirtschaft und Städtebau als Zug- und Tragtiere, beschleunigten als Reittiere die Fortbewegung und begleiteten den Menschen in dessen zahlreiche Kriege. Für eine Domestizierung eignen sich jedoch nur solche Tierarten, die eine Reihe von Eigenschaften aufweisen (Diamond 2006: 184 - 207). Sie sollten leicht zu ernähren sein, schnell wachsen, sich problemlos in Gefangenschaft vermehren, keine Anlagen zu Aggressivität und panischer Flucht besitzen, und vor allem: als soziale Art den Menschen als Alpha- oder Elterntier akzeptieren. Diese Bedingungen erklären umgekehrt, warum so viele andere Arten wie das sehr aggressive Zebra niemals domestiziert wurden. Die meisten domestizierten Arten wurden gezielt weitergezüchtet, so dass etwa aus dem ursprünglichen Wildrind spezialisierte Fleisch- und Milchrassen entstanden. In den letzten Jahren haben etliche kulturwissenschaftliche Monographien die Rolle bestimmter Tierarten in der Geschichte nachgezeichnet. So widmen sich die Arbeiten von Macho (2006 und 2014) und Wuketits (2011) dem Schwein, das nicht nur unser wichtigster Fleischlieferant ist, sondern auch in vielerlei Textsorten von der antiken Fabel bis zur heutigen Werbeanzeige vorkommt. Ganz ähnlich würdigt Werner (2009) die Leistungen der Kuh als mütterliche Lebensspenderin. Raulff unternimmt in der hier besprochenen Arbeit eine parallele Erhellung der Rolle des Pferdes, wobei er sich auf die rund hundert Jahre von Napoleon bis zum Ersten Weltkrieg konzentriert. Zoologisch gesehen ist das Pferd ein Fluchttier, das auf Gefahren durch Flucht reagiert und schon unsereVorfahren durch seine Schnelligkeit und Stärke beeindruckte. Ferner lässt es sich relativ leicht zähmen und züchten, wobei bereits antike Völker wie die Hethiter ihr Pferdewissen sorgfältig dokumentierten. Die früheste Nutzung des Pferdes als Zug- oder Reittier wird auf 4.200 - 3.700 v. Chr. datiert, was sich durch Pferdeschädel belegen lässt, deren Druck- und Schleifspuren am Zahnschmelz nur durch Trensen entstanden sein können (354; alle Zitate beziehen sich auf die genannte Ausgabe). Vor allem in den schnellen Attacken der Kavallerie wurde die natürliche Bewegungsrichtung des Pferdes „ schnell weg vom Feind “ in ihr äußerstes Gegenteil verkehrt. Diese besondere Beziehung zwischen dem Pferd und dem Menschen, der ein ursprüngliches Fluchttier nun als Waffe im Kampf gegen andere Menschen einsetzt, nennt Raulff den „ kentaurischen Pakt “ (17 ff.) - wobei der Ausdruck „ Pakt “ wohl eine Beschönigung ist, da die Pferde diesem Arrangement kaum zugestimmt haben . . . Die folgenden Abschnitte wählen drei Aspekte aus, die aus Sicht der Semiotik besonders interessant sind. Zunächst wird dargestellt, wie sehr das Pferd nicht nur die Fortbewegung, sondern daraus folgend auch die Kommunikation beschleunigte (Abschnitt 2). Abschnitt 3 beschreibt die komplementäre Rolle des Pferdes, seinem Reiter auch vertikale Distanz zu bieten, die physisch und sozial gilt. Der 4. Abschnitt skizziert, mit welchen symbolischen Bedeutungen das Pferd im Laufe der Geschichte verknüpft wurde. Reviews 185 2. Das Pferd als Medium der Telekommunikation Grundsätzlich wurden nur die Jäger und Nomaden von Steppenlandschaften zu Reiterkriegern, da die überlegene Schnelligkeit des Pferdes nur in flachen Landschaften zum Tragen kommt (84). Zu unterscheiden ist jedoch zwischen einzelnen berittenen Raubzügen und einer spezialisierten Kavallerie, die etwa um 1.000 v. Chr. entstand (353). Als Reittier beschleunigt das Pferd die Fortbewegung erheblich, denn während die Tagesleistung eines Fußwanderers höchstens 40 km beträgt, schafft ein Reiter bis zu 60 km und kann wesentlich mehr Gepäck mitführen. Berittene Kuriere legen noch größere Strecken zurück, da sie ihre Pferde regelmäßig gegen ausgeruhte Tiere austauschen können. Eine nochmalige Steigerung ist durch Pferdestafetten möglich, bei denen zusätzlich die Reiter gewechselt werden. Diese Beschleunigung hat einen Nebeneffekt, den wir im Zeitalter globaler Telekommunikation leicht übersehen: Erst durch Pferde wurde auch eine deutlich schnellere Übermittlung von Nachrichten möglich. Diese ist in Friedenszeiten nötig, um die Herrschaft über große Territorien zu sichern, und sie wird im Kriegsgeschehen noch wichtiger, damit die verschiedenen Truppenteile geordnet handeln. Die Geschichte der Postreiter reicht zurück bis ins Perserreich im 6. Jahrhundert v. Chr.; weitere berühmte Beispiele sind China und das Mongolenreich. Wegen dieser Leistungen steht dem Pferd als einzigem Nutztier der Titel „ politisches Tier “ zu (17). Eine effiziente Reiterpost setzt eine durchdachte Infrastruktur voraus und diese wiederum nicht nur ein zentralistisches Herrschaftssystem, sondern auch ein ausgereiftes tiermedizinisches Wissen. Typisch für alle Völker mit Reiterarmeen war die Errichtung von ständig gepflegten Straßennetzen, die in regelmäßigen Abständen gut ausgestattete Poststationen enthielten. An diesen wurden die Pferde getränkt und gefüttert, bei Bedarf medizinisch behandelt und durften sich bis zum nächsten Einsatz ausruhen. 3. Das Pferd als Medium der Distanz Während die Schnelligkeit des Pferdes die Fortbewegung des Reiters beschleunigt und so seine horizontale Entfernung vom Aufbruchsort schnell vergrößert, bewirkt die Körpergröße des Pferdes immer auch, dass der Reiter einen deutlich größeren vertikalen Abstand zum Boden gewinnt. Dies ist bereits auf der physischen Ebene ein Vorteil, da er nun flache Furten und schlammige Strecken durchreiten kann, ohne abzusteigen und selbst nass zu werden. Die Position des Reiters wird durch neu geschaffene Hilfsmittel weiter gestärkt. Ein hoher Sattel gewährleistet festen Sitz, während die Steigbügel das Aufsteigen erleichtern und eine besonders enge Verbindung zwischen Mensch und Pferd bewirken. Der Reiter kann nun nicht nur sein Reittier leichter lenken, sondern auch seine Waffen besonders treffsicher und wuchtig einsetzen (242 ff.). Besonders entscheidend war die erhöhte Position des Reiters in traditionellen Kriegen (vgl. als Ergänzung zu diesem Sonderthema auch die Monographien von Pöppinghege 2009 und 2014). Die Kavallerie war gefürchtet als „ Schockwaffe “ , als der Truppenteil mit der höchsten Geschwindigkeit, der Fußsoldaten mühelos „ überreiten “ konnte (274). Falls diese nicht schon von den Pferdehufen getroffen wurden, konnte der Reiter aus seiner erhöhten Position heraus seine Hieb- und Stichwaffen im wörtlichen Sinn „ durchschlagend “ 186 Reviews einsetzen. Ferner schützte das sich aufbäumende Pferd den Reiter mit seinem eigenen Körper auch vor gegnerischen Waffen. Als Kehrseite dieser Zusammenhänge versuchten Fußsoldaten gezielt die Pferde auszuschalten, indem sie ihnen die Beinsehnen durchschnitten oder die Bäuche aufschlitzten. Sobald jedoch die Infanterie über immer mehr leistungsfähige Schusswaffen verfügte, ging die bisherige Überlegenheit der Kavallerie schnell zu Ende. Vor allem weil etliche militärische Führer noch lange unbelehrbar blieben, erlitt sie im Ersten Weltkrieg dramatische Verluste (108 ff.). Gegen Gewehrsalven sind Säbelattacken machtlos, ferner sind Pferde größere Ziele und werden daher leichter getroffen. Eine erschreckende Zahl macht diesen Wandel unübersehbar: Die Lebenserwartung eines Militärpferdes an der Westfront betrug 1918 nur 10 Tage (120). Pferde waren aber weiterhin unverzichtbar bei der Aufklärung, bei Sabotageakten sowie beim Transport von Waffen und Verwundeten. Noch im Zweiten Weltkrieg wurden vor allem zum Transport schwerer Geschütze 2,7 Millionen Pferde eingesetzt (123). Noch wichtiger als die räumliche „ Erhöhung “ des Reiters wurde in der Folge seine neue soziale Höherstellung, die Raulff die „ Adelsmatrix “ nennt (126). Während ein Reiter im wörtlichen Sinn auf Fußgänger „ heruntersieht “ , müssen umgekehrt diese zu ihm „ aufschauen “ , was sich auch in der etymologischen Verwandtschaft von „ erhoben “ und „ erhaben “ spiegelt. Reitpferde waren aufgrund der Kosten für ihren Erwerb und Unterhalt immer schon eine Tierart, die sich nur wohlhabende Personen leisten konnten. Diese Kluft wurde noch deutlicher, nachdem ab dem 8. Jahrhundert die Mauren ihre Vollblüter und das damit verknüpfte Pferdewissen in Europa verbreiteten. In der Folge wurden Rassepferde zu Statussymbolen, die keine praktischen Aufgaben vor dem Pflug, der Kutsche oder in Mühlen mehr erfüllen mussten. Vor allem in England züchteten Adel und Monarchie auf Geschwindigkeit (158 ff.). Die nun veranstalteten Pferderennen lassen sich als sublimierte Formen früherer blutiger Kämpfe auffassen, die Schönheit mit Geschwindigkeit und Gefahr verbinden. Als Folge dieses gesteigerten Interesses am Tier wächst nun auch das Pferdewissen sprunghaft an (148 ff.). Man gründete Tierkliniken und Gestüte, Pferdeliebhaber wurden regelmäßig durch Zeitschriften und Kalender informiert, und stolze Besitzer ließen ihre preisgekrönten Pferde in Gemälden porträtieren. Ein interessanter semiotischer Aspekt ist die Tatsache, dass Kenner und Rosstäuscher über dasselbeWissen verfügen, es aber in gegenläufiger Weise nutzen (214 ff.). Viele Zeichen der Schönheit, der Gesundheit und des Alters eines Pferdes lassen sich nämlich nicht nur käuferseitig „ lesen “ , sondern auch händlerseitig in täuschender Absicht herstellen. Als drastisches Beispiel macht Pfeffer im After die Pferde „ feurig “ (wobei nebenbei bemerkt dieses hippologische Wissen in der flapsigen Redensart „ jemandem Pfeffer in den Hintern blasen “ lebendig geblieben ist). Analog zu menschlichen Adelsfamilien wurde nun auch bei Pferden die Genealogie wichtig, also ihre „ Reinrassigkeit “ . Folglich wurden ab dem Ende des 18. Jahrhunderts genaue Herdbücher geführt, die alle Abstammungslinien verzeichneten und anhand der vorhandenen Eigenschaften bestimmter Tiere wünschenswerte Paarungen erkennbar machten (171). Reviews 187 4. Das Pferd als Symbol Wenn man die symbolischen Bedeutungen von Tierarten zusammenstellt, findet man einige ausgesprochen ambivalente Besetzungen. Insbesondere das Schwein deckt eine riesige Skala ab, die vom Pol des „ Glücksschweins “ bis zur Zuschreibung aller Eigenschaften reicht, die wir bei unseren Artgenossen verachten, also die „ gierige, futterneidische, fette, faule, geile, dreckige usw. usw. Sau “ . Das Pferd hingegen wird ganz überwiegend mit positiven Eigenschaften in Verbindung gebracht, wobei seine Schnelligkeit derart hervorsticht, dass sich seine Namen in allen Sprachen auf schnelle Bewegung beziehen (226 f.). Diese Überlegenheit spiegelt sich sogar im Schachspiel, denn hier ist das Pferd nicht nur das einzige Tier, sondern hat auch die höchste Beweglichkeit in zwei Achsen (250). Die entsprechende Bewegung der Figur heißt folglich „ Rösselsprung “ . Durch die im wörtlichen Sinn „ erhöhte “ Position des Reiters ist die Verbindung von Pferd und Reiter eines der ältesten und stärksten Symbole der Herrschaft (248); ferner ist Reiten eine elementare Form des Lenkens (315). Viele Reiterstandbilder haben zusätzlich einen monumentalen Sockel, der den Abstand des Herrschers zu seinen „ Untergebenen “ weiter vergrößert. Das Pferd verkörperte immer die edlere Seite des Menschen. Mit ihm sind viele „ weltbewegende “ Ideen verbunden, etwa Heldentum, Freiheit und Fortschritt (387). So zeigen viele Gemälde einen berittenen Anführer, der an der Spitze seiner Gefährten ins Unbekannte aufbricht oder zum Angriff gegen einen Feind auffordert. Ein eng mit dem Heldentum verknüpfter Themenkreis ist die Verbindung des Pferdes zum Tod (269 ff.). Im Kontext des Krieges ist seine Rolle als Todesbote gut begründet, weil die Kavallerie die Fußsoldaten mühelos „ überreitet “ (274). Die Auffassung des Todes als „ großer Umkehrer aller Dinge “ spiegelt sich in der Pathosformel des „ Trauerpferdes “ , die seit dem Begräbnis Washingtons 1799 bekannt ist: An prominenter Stelle im Trauerzug geht ein reiterloses Pferd mit, in dessen Steigbügeln die Stiefel des Verstorbenen mit den Spitzen nach hinten stecken. Aber auch im Volksglauben Nord- und Ost-Europas stand das Pferd bereits in der Nähe zum Geisterreich, und in der Offenbarung des Johannes reitet der Tod als einer der vier Apokalyptischen Reiter auf einem „ fahlen Pferd “ . Während die praktische Bedeutung des Pferdes im 19. Jahrhundert schnell sank, machte es zugleich eine „ enorme literarische und ikonographische Karriere “ (17). In zeitgenössischen Texten stehen die Pferdeszenen oft in subtiler Beziehung zum Geschehen im Menschenreich. In Heinrich von Kleists Novelle „ Michael Kohlhaas “ zeigen die beiden vom Adel beschlagnahmten Rappen den jeweiligen Zustand der Gerechtigkeit an, wobei die 188 Reviews Entwicklung von „ gut gepflegt “ über „ heruntergekommen “ bis zu „ genesen “ reicht (251 f.). Die Dorfbewohner in Theodor Storms Novelle „ Der Schimmelreiter “ sehen im „ fleischlosen “ Kopf des edlen Arabers den Totenschädel des Bösen (279 f.). In den großen Ehebruch-Romanen (Madame Bovary, Anna Karenina, Effi Briest) schließlich zeigen die Pferde oft an, wovon die Protagonisten schweigen und auch der Autor schweigt (310). So teilt Theodor Fontane nur lakonisch mit, dass Effi und Crampas ihre Pferde am Strand der Ostsee anbinden, überlässt es aber seinen Lesern, aus der auffälligen Lücke im dargestellten Geschehen pikante Schlüsse zu ziehen. In Filmen geht es vor allem um berittene Abenteuer als Forscher oder Freiheitsheld. Ab 1894 verbreiteten sich Westernfilme, in denen die Cowboys und Siedler meist auf Indianer treffen (100). Interessant hierbei ist, dass die Figur des Indianers zwei prototypische Arten von Schnelligkeit vereinigt, nämlich das Pferd und den während des rasanten Ritts abgeschnellten Pfeil (361). Im 20. Jahrhundert wurde auch das Pferd als Individuum zu einer wichtigen Figur, insbesondere in Fernsehserien wie „ Fury “ (56). Diese Individualisierung hängt auch mit der Entwicklung des Tierschutzgedankens zusammen, der Tiere als leidensfähige Wesen auffasst und vom Menschen ihre gute Behandlung einfordert. Schlussbemerkung Raulffs Monographie bietet dem Leser einen spannenden und flüssig geschriebenen Einblick in ein Kapitel der Geschichte, das bislang viel zu wenig beachtet wurde. Sie trägt dazu bei, wenigstens nachträglich die vielen Millionen Pferde wegen der Dienste zu würdigen, die sie durch die Jahrtausende dem Menschen geleistet haben. Besonders interessant ist die Tatsache, dass im ausgewählten Jahrhundert zwei gegenläufige Entwicklungen stattfinden. Zum einen sinkt durch die industrielle Revolution die praktische Bedeutung von Arbeitspferden schnell, die so lange wegen ihrer Körperkraft unverzichtbar waren, die sie geduldig in Städtebau, Landwirtschaft und vielen Industriezweigen von Bergbau bis Mühlenbetrieb einsetzten. Parallel dazu wird das Pferd als Freizeitpartner und Projektionsfläche für menschliche Wünsche wie „ Freiheit “ oder „ Naturverbundenheit “ immer wichtiger, wobei es folgerichtig nicht mehr um „ irgendein Pferd “ geht, sondern um bestimme Pferde mit einer je bestimmten Persönlichkeit. Das umfangreiche Bildmaterial mit zeitgenössischen Fotos und Gemälden belegt zusätzlich, wie schnell sich die Beziehung zwischen Mensch und Pferd in einem kurzen Zeitraum gewandelt hat. Allerdings gilt diese Wandlung nur für reiche Industrienationen - in ärmeren Ländern ist das Pferd (ebenso wie sein Verwandter, der Esel) weiterhin ein oft schlecht behandeltes „ Nutztier “ im wörtlichen Sinn. Literatur Diamond, Jared M. 1997: Guns, germs and steel. The fates of human societies. London: Cape. Deutsch: Arm und reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Frankfurt a. M.: Fischer 1998. Erweiterte Neuausgabe 2006 Macho, Thomas 2006: Arme Schweine. Eine Kulturgeschichte. Berlin: Nicolai Macho, Thomas 2015: Schweine. Ein Portrait. Berlin: Matthes & Seitz Pöppinghege, Rainer 2009: Tiere im Krieg. Von der Antike bis zur Gegenwart. Paderborn: Schöningh Pöppinghege, Rainer 2014: Tiere im Ersten Weltkrieg. Eine Kulturgeschichte. Berlin: Rotbuch-Verlag. Reviews 189 Werner, Florian 2009: Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung. München: Nagel & Kimche Wuketits, Franz M. 2011: Schwein und Mensch. Die Geschichte einer Beziehung. Hohenwarsleben: Westarp Dagmar Schmauks (Berlin)