eJournals Kodikas/Code 35/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2012
351-2

Imagegewinn im Wechselspiel

2012
Hans W. Giessen
Imagegewinn im Wechselspiel Eine historisch-empirische Untersuchung zu königlich bayerischen Hoflieferanten in der Pfalz als semiotische Studie Hans W. Giessen In the kingdom of Bavaria, the title of a “Royal warrant of appointment” was linked to economic innovativeness and the quality of services or goods, not to indeed ‘deliver’ the royal court. It was thus an official certification that could be used as a marketing tool. Against this background it is interesting to note that in Palatine, belonging to the kingdom since the Congress of Vienna, interest in the title did not develop until the 1880s, and only in certain regions / towns. This is seen as a semiotic sign on the where and when of Bavarian rule acceptance. On a meta-level, the article thus proposes quantitative semiotics as a rewarding tool to examine historical developments. Einleitung Die Vergabe der königlich bayerischen Hof- und Hoflieferanten-Titel ist sehr ungleichmäßig erfolgt. Sie ballt sich in München, der Hauptstadt des Königreichs Bayern, also in unmittelbarer Nähe zum Hof. Dorthin gingen 546 der 1.026 zwischen 1859 und 1905 verliehenen Titel, also mehr als die Hälfte; ins restliche Bayern gingen dagegen nur 362 Titel (81 gingen an weitere deutsche Länder und 37 ins Ausland, alle Daten nach Krauss 2009: 36). 1 Auf den ersten Blick erscheint dies naheliegend und verständlich, denn vermutlich geht die Mehrzahl der Leser dieses Zitats davon aus, dass insbesondere die ‘Hoflieferanten’, wie die Bezeichnung anzudeuten scheint, tatsächlich den königlichen Hof mit Waren oder Dienstleistungen ‘beliefert’ haben. Die war aber in Bayern - wie im Übrigen auch bei Hoflieferantentiteln anderer Monarchien, wie etwa (bis heute) bezüglich des Koninklijk Hofleverancier in den Niederlanden (Krogt 2000) - nicht notwendigerweise der Fall. Im Gegenteil dürfte die Mehrzahl der ‘Hoflieferanten’ den königlichen Hof gar nicht bedient haben, denn diejenigen, die im engen Kontakt mit dem Hof standen, strebten nach dem ‘Hoftitel’, während der Titel des ‘Hoflieferanten’ eher aus anderen Gründen verliehen beziehungsweise (von den jeweiligen Personen) angestrebt wurde. Auch in München selbst trug die Mehrzahl der Ausgezeichneten den ‘Hoflieferantentitel’ - und nicht den ‘Hoftitel’. Die rechtliche Grundlage dieses Sachverhalts ist eindeutig. Im Dezember 1851 wurde eine “Instruction über die Behandlung der Gesuche um allergnädigste Verleihung von Hoftiteln” festgelegt. In den Ausführungsbestimmungen der Regelung vom Mai 1852 hieß es dann: “Die Verleihung des Hoftitels soll lediglich als Belohnung für den betreffenden Gewerbetreibenden angesehen werden, welcher zur Hebung und Ausdehnung seines Geschäfts Ausgezeichnetes K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Hans W. Giessen 42 oder doch Vorzügliches geleistet hat. Die Begutachtung eines Gesuches selbst wird dadurch bedingt, daß 1. der Gesuchssteller seinem Charakter, seinen moralischen und politischen Gesinnungen gemäß dieser Ehre würdig sei, 2. daß das Geschäft von dem Competenten auf eine schwungvolle Weise, d.h. derart betrieben werde, daß bei dem betreffenden Geschäfte ein Fortschritt und Weiterentwicklung deutlich zu ersehen sei, 3. daß das fragliche Geschäft, insofern es eine freie Erwerbsart ist, oder als Privilegium betrieben wird, jedenfalls auf einer künstlerischen Grundlage und nicht klar auf mechanischer Tätigkeit beruhe. Ist ein Gewerbe die sub. 2 u. 3 gegebenen Bedürfnisse zu erfüllen im Stande, so soll jedoch der Umstand, daß selbes für den allerhöchsten Hof keine Lieferung hat, der Verleihung des Hoftitels nicht im Wege stehen.” Eine Vielzahl von Motiven Damit ist eindeutig, dass es zumindest seit der Regentschaft Maximilian II. Joseph in Bayern nicht Voraussetzung einer solchen Auszeichnung war, den Hof beliefert zu haben. Natürlich durfte man nicht monarchiefeindlich eingestellt gewesen sein. Ansonsten zählte aber vor allem “eine stark auf Innovation ausgerichtete Forderung”, wie Marita Krauss explizit betont hat (2009: 29). Bedingung war deshalb, dass das “Geschäft […] unter den gleichartigen Geschäften am Platze oder der Umgebung eine hervorragende Stellung einnehmen und die Garantie für eine solide Fortentwicklung bieten” musste. Zu diesem Zweck mussten die örtliche Polizei und Rentenämter Angaben machen “über den Umfang und die Art des Geschäftsbetriebs und insbesondere darüber, ob im Vergleich mit Geschäften derselben Branche in loco oder der Umgegend seither ein Fortschritt oder eine Weiterentwicklung des Geschäftes deutlich zu ersehen ist” (“Instruction über die Behandlung der Gesuche um allergnädigste Verleihung von Hoftiteln”, München 1851). Die Vergabe war also (zumindest auch) ein Instrument der Wirtschaftsförderung und hatte die Folge, dass Qualität im lokalen produzierenden Gewerbe oder Handel belohnt und Innovationen gestärkt wurden. Wer mit dem Hoflieferantentitel ausgezeichnet wurde, hatte die Bestätigung erhalten, dass er beziehungsweise sein Unternehmen sich bezüglich der Qualität, aber auch bezüglich des innovativen Potentials seiner Produkte oder Dienstleistungen deutlich über dem Durchschnitt bewegte. Die Bestätigung war möglicherweise noch nicht im heutigen Sinn objektivierbar beziehungsweise überprüfbar, aber doch nach klaren Kriterien erfolgt und von ‘höchster Stelle’ aus bescheinigt. In jedem Fall war der Titel des ‘Königlich Bayerischen Hoflieferanten’ ab den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts nur noch sehr bedingt eine Auszeichnung für Günstlinge; dies galt allenfalls noch für den ‘eigentlichen’ ‘Hoftitel’. Mit den neuen Richtlinien wird dagegen schon mehr oder weniger stark der Wettbewerbsgedanke sichtbar, der die Gesellschaft dann ab der Gründerzeit immer deutlicher prägte. Offensichtlich waren also dessen Grundlagen bereits früher gelegt - nicht nur bezüglich der Gesellschaftsstrukturen in Deutschland und insbesondere in Bayern, sondern auch und sogar im Verständnis des Hofes. Fraglich ist, ob die neue Konzeption tatsächlich im Hinblick auf solche gesellschaftlichen Auswirkungen durchdacht war - wie modern der Hof also wirklich war. War die Wettbewerbskonzeption tatsächlich und bewusst zu Veränderung der Wirtschaftsstrukturen in einer Region im Sinn eines marktwirtschaftlichen Fortschrittsgedankens geplant? Es ist Imagegewinn im Wechselspiel 43 heute schwer, die exakten Motive zu ergründen; die Unterlagen in München, die den Selektionsprozess, seine Motive und die genauen Entscheidungsgründe im Einzelfall darstellen, sind im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Sicherlich gab es auch andere Motive. Vermutlich spielte die Generierung einer neuen Einkommensmöglichkeit eine Rolle. Die Gebühren stiegen schnell und rasant an. Betrugen sie zur Zeit Ludwig II. noch 75 Mark, die zu zwei Dritteln dem Hof und zu einem Drittel dem Staat zufielen, so legte die letzte Erhöhung 1912 einen Höchstsatz von 15.000 Mark fest (bei identischem Aufteilungssatz zwischen Hof und Staat). Das Faktum dieser lukrativen Einnahmequelle führte aber nicht dazu, dass der Titel eines ‘Hoflieferanten’ möglichst oft vergeben wurde. Für eine gewisse Exklusivität sprach zweifellos, dass nur die Verknappung solche Preise ermöglichte. Aus diesem Grund wurden viele Gesuche abgelehnt; phasenweise ‘nur’ die Hälfte, phasenweise gar mehr als zwei Drittel (Krauss 2009: 32; 35). Noch bedeutender scheint mir aber das Bestreben des Hofes gewesen zu sein, Allianzen zwischen loyalem, aufstrebendem Bürgertum und Monarchie zu bilden. In der heutigen Marketingterminologie könnte man davon sprechen, dass zumindest gegenseitige Ausstrahlungs- und Mitnahmeneffekte erhofft waren, die das Image der Monarchie mit demjenigen der innovativsten Bürger koppeln sollte; natürlich sollten gleichzeitig die innovativsten Bürger an das Königshaus gebunden werden. So entstanden gegenseitige Verstärkereffekte: Die Monarchie hatte ein Pool einflussreiche Fürsprecher, die am Fortbestand und an einem guten Image des Hofes interessiert waren, denn natürlich kann niemand mit der Auszeichnung einer unbeliebten Institution werben. So waren die Motive seitens des Königshauses sicher vielschichtig; möglicherweise waren nicht alle gleich offensichtlich (auch den Handelnden nicht); sicherlich waren nicht alle zu einem gegebenen Zeitpunkt gleich bedeutsam. Dagegen dürfte die Interessenlage der Hoflieferanten wesentlich stabiler gewesen sein. Hier stand die Zertifizierung mit einem Qualitätssigel im Vordergrund, dass die herausragende Qualität der Waren beziehungsweise Dienstleistungen bestätigte und der deshalb zu Werbezwecken genutzt werden konnte und damit ihren Trägern einen Wettbewerbsvorteil gab. Pfälzer Hoftitel: Raum und Zeit Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert, dass es vor 1867 offenbar überhaupt keinen pfälzischen Hoftitel beziehungsweise Hoflieferantentitel gab, obwohl die Pfalz ja seit dem Wiener Kongress zu Bayern gehörte und die Hofbeziehungsweise Hoflieferanten-Titel- Vergabe bereits in den 1820er Jahren (wenngleich zunächst nur für ‘wirkliche’ Hoflieferanten) einsetzte. Hans W. Giessen 44 Abb. 1 Der Deutsche Bund 1815-1866; darin das Königreich Bayern und die Bayerische Pfalz (Quelle: Putzger 1965; eigene Überarbeitung) Abb. 2 Bayerische Pfalz (Quelle: Hergt 1900; eigene Überarbeitung) Imagegewinn im Wechselspiel 45 Auch der erste und lange Zeit einzige Inhaber, Carl Theodor Kausler aus Edenkoben, hatte einen solchen ‘wirklichen’ Hoftitel als Apotheker, verliehen am 25. März 1867. Edenkoben war der nächstgelegene größere Ort mit Apotheke zur königlichen Sommerresidenz, der ‘Villa Ludwigshöhe’. Die Vergabe der Hoflieferanten-Titel an pfälzische Handwerker, Gewerbetreibende und Unternehmer lässt sich dagegen erst ab der Gründerzeit belegen. André, Philipp und Emil Möbelfabrikanten Kaiserslautern 1889 Bach, Albert, Ludwig und Rudolf Weinhandlung Neustadt a.d.H. 1899 Baust, Heinrich Weingutsbesitzer Dürkheim a/ H. 1891 Becker, Georg Wurst- und Fleischwarenfabrikant Landau/ Pf. 1907 Berthold sen, Georg, und dessen drei Söhne, Friedrich, Wilhelm und Georg Musikinstrumentenfabrikanten Speyer 1893 Böhm, Georg Weingroßhandlung Neustadt a.d.H. 1917 Bopp, Albert Spezialgeschäft für Herrengarderobe und Uniformen Landau (Pfalz) 1914 Bopp, Philipp Metzgermeister Edenkoben 1914 Burschell, Friedrich Wilhelm Uhrmachermeister Ludwigshafen a.Rh 1918 Crusius, Eugen - Nachfolger: Karl Krauß Buchhändler Kaiserslautern 1901 Deidesheimer, Aldolf Mosaikthonplattenfabrikant Neustadt a.H. 1890 Dexheimer, Friedrich Geschäftsbücherfabrikant Kaiserslautern 1901 Dülk, Johannes Conditor Dürkheim a.H. 1894 Eberhardt, Jakob Carl Fischhändler Speyer 1889 Eichling, Franz Kunst- und Handelsgärtner Kaiserslautern 1894 Fasig, Anton Holzbearbeitungsfabrik Ludwigshafen 1891 Ferner, Georg - Nachfolger: Georg Ferner jun. Photograph Kaiserslautern 1894 Ferner jun., Georg - Nachfolger von Georg Ferner Photographisches Atelier Kaiserslautern 1905 Fischer, Friedrich; Wolf, Friedrich Metzgermeister Speyer 1888 Fischer, Georg Heinrich Bürsten- und Pinselfabrikant Neustadt a.H. 1910 Fitz, Georg Weingutsbesitzer Dürkheim a/ H. 1891 Gebhard, Karl Metzgermeister Ludwigshafen a.Rh. 1911 Hans W. Giessen 46 Graf, August Papier- und Schreibwarenhandlung Landau/ Pf. 1903 Graff, Arnold Wäschefabrikant Ludwigshafen a. Rh. 1908 Günther, Franz Bonbonsfabrikant Speyer 1889 Hammell, Konrad Weingutsbesitzer und Weingroßhändler Neustadt a.H. 1908 Hauer, Johannes Weintrauben- und Obstversandsgeschäft Dürkheim a.d.H. 1896 Hendel, Robert Kolonialwaren-, Deliktessen- und Zigarrengeschäft Neustadt an der Haardt 1911 Henn, Ernst Ofenfabrikant Kaiserslautern 1905 Hoch, Johann Ludwig Weingroßhandlung Neustadt a.H. 1917 Joos, Ludwig Metzgermeister und Wurstfabrikant Ludwigshafen a.Rh 1894 Kahn, Wilhelm - Nachfolger: Ernst und August Kahn Tuch- und Manufakturwarengeschäft Germersheim 1889 Kahn, Ernst und August - Nachfolger von Wilhelm Kahn Tuch- und Militäreffektengeschäft Germersheim 1897 Kausler, Carl Theodor Apotheker - Königlich Bayerischer Hoftitel Edenkoben 1867 Kayser, Hermann - Nachfolgerin: We Wilhelmine Kayer Buchdruckerei Kaiserslautern 1889 Kayser, Wilhelmine We - Nachfolgerin von Hermann Kayer; Nachfolger: Hermann Kayser Buchdruckerei Kaiserslautern 1900 Kayser, Hermann - Nachfolger von We Wilhelmine Kayser Buchdruckerei Kaiserslautern 1912 Kempf, Emil Schaumweinfabrikant Neustadt a.H. 1888 Kleehaas, Anton - Nachfolgerin: Anna Kleehaas Goldarbeiter, Uhrmacher und Optiker Germersheim 1899 Kleehaas, Anna - Nachfolgerin von Anton Kleehaas Uhrmacher-, Goldarbeiter- und Optikergeschäft Germersheim 1911 Klein, Julius Brot- und Feinbäckermeister Kaiserslautern 1914 Koch, Heinrich Weingutsbesitzer und Weingroßhändler Deidesheim 1914 Imagegewinn im Wechselspiel 47 Krauß, Karl - Nachfolger von Eugen Crusius Buchhandlung Kaiserslautern 1914 Kuffler, Jakob Installationsgeschäft Ludwigshafen a.Rh. 1910 Kuhn, Hugo Juwelier Ludwigshafen a.Rh. 1911 Landmann, Gustav Wilhelm Eisenhandlung Speyer 1917 Leyser, Carl - siehe: Jakob Leyser Möbelfabrikant Ludwigshafen 1889 Leyser, Jakob - siehe: Carl Leyser Möbelfabrikant Zweibrücken 1889 Mager, Jakob Möbelfabrikant und Ausstattungsgeschäft Speyer 1905 Marwedel, Georg Korkpfropfenfabricant Frankenthal/ Pfalz 1874 Maucher, Rudolf und Wilhelm - Nachfolger: Hans Maucher Weingutsbesitzer und Weinhändler Neustadt a.H 1891 Maucher, Hans - Nachfolger von Rudolf und Wilhelm Maucher Weingroßhändler Neustadt a.H. 1891 Möhl, Georg Möbel- und Dekorationsgeschäftsinhaber Speyer 1914 Niederhöfer, Jakob und Christian; Späth, Adolf Möbelfabrikanten Edenkoben / Pf. 1892 Otto, Anton - Nachfolgerin: We Magdalena Otto Buch-, Kunst und Musikalienhändler Neustadt a.d.H. 1896 Otto, Magdalena We - Nachfolgerin: von Anton Otto Buch-, Kunst und Musikalienhandlung Neustadt a.H. 1905 Reinhard, Hermann Photograph Neustadt a.d.H. 1909 Rieche, A.H. Buchhandlung Speyer 1893 Rixius, Peter Mineralwasser-Großhändler Ludwigshafen 1903 Rödel, Johann Schuhfabrikant Ludwigshafen/ Rh. 1896 Rühl, Fritz Photograph Landau/ Pfalz 1892 Schläfer, Carl Lederwaren-, Sport- und Reiseartikel-Fabrik Kaiserslautern 1900 Schmidt, Karl Photograph Kaiserslautern 1899 Schmidt, Philipp Pastetenfabrikant Landau/ Pfalz 1888 Schröck, Jakob Besitzer eines photographischen Ateliers Speyer 1905 Schulze, Karl Konditoreibesitzer Ludwigshafen a.Rh. 1908 Hans W. Giessen 48 Seiberth, Karl Metzgermeister Speyer 1910 Seyler, Friedrich Weinhändler Deidesheim 1888 Spiegel, Franz Karl Musikwerke-Industrie Ludwigshafen a.Rh. 1911 Straßer, Heinrich Tapeten- und Linoleumversandgeschäft Speyer 1914 Strauch, Julius Obst- und Traubenversandgeschäft Bad Dürkheim 1910 Tropf, Julius - 1906: statt des bisherigen Königlich Bayerischen Hoflieferantentitels der Titel als Besitzer einer Königlich Bayerischen Hof-Faßfabrik Faßfabrikant Frankenthal 1901 Wagner, Karl Kassenfabrikant Kaiserslautern 1906 Weiß, Wilhelm, und Hameier, Friedrich Buchdruckerei Ludwigshafen a.Rh 1909 Weitlauff, Fritz Kurz-, Konfektions- Manufaktur- und Modewarengeschäft Landau/ Pfalz 1909 Witter, Ludwig Weingut und Weinhandlung Neustadt a.d.H. 1900 Wormser, Max und Maier, Adolf Schaumweinfabrikanten Neustadt a.H. 1890 Zitzmann, Lorenz Delikatessen- und Weinhändler Landau/ Pf. 1908 Zwick, Karl Th. Sagofabrik Neustadt a.H. 1917 Tabelle 1: Komplettliste der königlich bayerischen Hoflieferanten aus der Pfalz. Quelle: Haertle 2009; eigene Recherchen und Ergänzungen. Die Liste zeigt, dass es auch in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts nur eine Ernennung (1874 an den ‘Korkpfropfenfabricanten’ Georg Markwedel aus Frankenthal) gegeben hat. Erst in den späten achtziger Jahren setzt das Streben nach dem Titel verstärkt ein. Die nächsten pfälzischen Hoflieferanten-Titel wurden 1888 verliehen - in diesem Jahr dann aber bereits vier. Die Träger stammten aus Deidesheim, Landau, Neustadt und Speyer. Geographisch bewegen sie sich also immer noch im Rheingraben und in einem Dreißig- Kilometer-Umfeld um die ‘Villa Ludwigshöhe’, aber eine gewisse räumliche Ausweitung ist immerhin spürbar. Für das darauffolgende Jahr 1889 lassen sich bereits sieben weitere pfälzische Titelträger nachweisen. Mit diesem quantitativen Schub geht eine weitere regionale Ausweitung einher. Die neuen Träger stammten aus Germersheim, Kaiserslautern (zwei), Ludwigshafen, Speyer (zwei) und Zweibrücken. Damit ist bereits die fast komplette Ausdehnung des Raums erreicht, für den sich die Titel nachweisen lassen. Nördlicher als Frankenthal gab es keinen Titel (Kirchheimbolanden etwa Imagegewinn im Wechselspiel 49 Abb. 3: Räumliche Verteilung der Titel (ohne Zweibrücken - siehe dazu die Erläuterung im Text; Quelle: Hergt 1900; eigene Ergänzungen) blieb vom stark einsetzenden Interesse am Hoflieferanten-Titel vollkommen unbeeindruckt). Auch im Süden der Pfalz wurden nur die Städte Landau, Speyer und Germersheim erreicht - nach Kandel, Bergzabern oder Dahn gingen dagegen keine Titel. Der 1889 ausgezeichnete Möbelfabrikant Jakob Leyser ist der einzige Zweibrücker, dem der Titel verliehen wurde; ansonsten hat ihn offenbar niemand in der Herkunftsstadt der Wittelsbacher-Monarchie (Heintz 1833) angestrebt, und es gab westlich von Kaiserslautern auch ansonsten keine weitere Titelvergabe, weder in Landstuhl oder Kusel, noch in Homburg oder in St. Ingbert. (Im Übrigen ist auch die Ausnahme des Möbelfabrikanten Jakob Leyser aus Zweibrücken in vielerlei Hinsicht untypisch, denn er wurde gemeinsam mit Carl Leyser ausgezeichnet, ebenfalls Möbelfabrikant, der aber aus Ludwigshafen stammt - es handelt sich also um eine überörtliche verwandtschaftliche Zusammenarbeit und keine Zweibrücker Solitärverleihung; die lokale Prägung und also auch Zuordnung kann daher nur eingeschränkte Geltung beanspruchen). Die Titel konzentrieren sich auf elf Städte der Pfalz. Neustadt weist mit 16 Titeln die höchste Dichte der Ausgezeichneten auf, in Kaiserslautern sind es 15. Mehr als zehn Titel wurden auch nach Ludwigshafen (13) und Speyer (11) vergeben. Landau hat sieben Träger, Dürkheim fünf. Die geographische Verteilung konzentriert sich also auf zusammenhängende Linien in der Rheinebene, ergänzt um eine (einzige, aber prominente) Ausbuchtung nach Kaiserslautern. Zöge man um Neustadt/ Edenkoben mit einem Zirkel einen Kreis, so befänden sich nahezu alle Hoflieferanten in den größeren Orten um dieses Zentrum; je weiter davon entfernt, desto weniger Titelträger gibt es. Alle pfälzischen ‘Grenzstädte’ mit Titelträgern liegen im Osten (Ludwigshafen, Speyer), also in einer gewissen Nähe zum ‘Zentrum’ Neustadt/ Edenkoben. Im Pfälzer Wald oder im Nordpfälzer Bergland, auch im Süden zur (ehemaligen) französischen Grenze hin gab es offenbar kein Bedürfnis, einen Titel zu erwerben. Hans W. Giessen 50 Was mögen die Gründe für die so ungleichmäßige Verteilung sein? Warum war der Papier- und Schreibwarenhändler August Graf in Landau stolz auf die Auszeichnung durch seinen 1903 erworbenen Hoflieferantentitel, während kompetente und geschäftstüchtige Handwerker und Gewerbetreibende in Bergzabern oder Kirchheimbolanden, in St. Ingbert oder Kandel auf die zwar teure, aber exklusive und damit sehr werbeträchtige Bestätigung verzichteten, die belegt hätte, dass sie ebenfalls zu den Besten und Innovativsten ihrer Branche zählten? Dies lässt sich im Einzelfall sicher individuell erklären; im statistischen Sinn signifikante Resultate deuten jedoch auf überindividuelle Gründe. Natürlich kann eine Erklärung darin liegen, dass weite Teile des Pfälzer Waldes oder des Nordpfälzer Berglandes industriell nicht so entwickelt waren wie die urbanen Ballungsgebiete des Rheintals. Aber dieses Argument ist nur bedingt stichhaltig, denn es wurden überwiegend innovative Handwerker und Gewerbetreibende ausgezeichnet, und die gab es auch in St. Ingbert und Kirchheimbolanden. Wieso bewarben sie sich in Kaiserslautern um einen Hoflieferantentitel, aber nicht in Homburg? Ein weiterer Erklärungsversuch geht nicht von Branchen und strukturellen ökonomischen Entwicklungen aus, sondern von politisch-kulturellen Faktoren. Offensichtlich gab es Verschiebungen in der politischen Bewertung der bayerischen Monarchie und allgemein der öffentlichen Meinung in verschiedenen Teilen der Pfalz. Ein auffälliger Indikator dafür ist die Tatsache, dass die Titelvergabe hier sehr spät einsetzte. Zuvor waren offenbar die (hier: sehr positiven, siehe zum Beispiel Martin 1995) Aspekte in Verbindung mit der französischen Revolution bestimmend: Die Pfalz gehörte zu den linksrheinischen Gebieten, die die Französische Revolution begrüßt hatten und die neuen Freiheitsrechte sehr bewusst angenommen hatten. Die bayerische Herrschaft wurde nun als Rückschritt und Einschränkung empfunden, auch wenn der Code Civil gültig blieb (Schubert 2005) - mit der Folge, dass gerade in dieser Region 1848 die größten Unruhen aufloderten (Kultusministerium Rheinland-Pfalz 1982). Das in den späten achtziger Jahren einsetzende Interesse an den Hoflieferantentiteln zeigt, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt das kulturelle Gedächtnis (Assmann/ Assmann 1994) an die Ereignisse, die nun seit fast zwei Generationen zurücklagen, unbedeutender wurde - und gar durch ein Gefühl der Verbundenheit mit der Monarchie ersetzt wurde. Auch diese Entwicklung ist zweifellos in einem größeren (gesamtdeutschen und gar -europäischen) Kontext zu sehen; in der Pfalz, wo die Ablehnung anfangs besonders stark war, erscheint sie aber umso auffälliger. Das auch im Kontext des Königreiches überproportionale Interesse an diesem Titel ist also ein semiotisches Zeichen für spezifisch pfälzische Entwicklungen. Gleichzeitig zeigt diese Untersuchung, dass diese Entwicklung auch in der Pfalz nicht einheitlich war, sondern regional und lokal sehr differenziert zu betrachten ist. Dennoch: In den späten achtziger Jahren erfolgte ein ‘Durchbruch’. Nun nahm das Interesse am Hoflieferantentitel in der Pfalz massiv zu, stärker als in vielen anderen bayerischen Landesteilen. Im darauffolgenden Jahrzehnt, den 1890er Jahren, erwarben 22 Pfälzer den Hoflieferantentitel, in den 1900er Jahren waren es 23. Und selbst in den 1910er Jahren gab es 21 neue Titelträger. Bis 1918 wurden Hoflieferantentitel vergeben, und auch darüber hinaus hielt das Interesse an (siehe Tabelle S. 65). Imagegewinn im Wechselspiel 51 Tab. 2: zeitliche Verteilung. Quelle: eigene Darstellung bis 1860er Jahre 1860er Jahre 1870er Jahre 1880er Jahre 1890er Jahre 1900er Jahre 1910er Jahre 0 1 0 11 22 23 21 Offensichtlich ist also das raumzeitliche Interesse am Hoflieferantentitel recht exakt darstellbar. Die beschriebene Imagekoppelung hat demnach zwar nur in einigen Teilen der Pfalz funktioniert, und auch hier erst ab einem sehr klaren Anfangspunkt; vorher und jenseits des beschriebenen regional wie zeitlich darstellbaren Korridors war dies nicht der Fall. In dieser örtlichen und zeitlichen Rahmen belegt das Interesse am Titel aber eine völlige Neubewertung der Monarchie, die offenbar nun als ausgesprochen positiv bewertet wurde. Zwar gibt es vermutlich in den verschiedenen Regionen der Pfalz, in denen das Interesse am Titel so rapide anstieg, auch unterschiedliche lokale Gründe. Beispielsweise war die starke Präsenz bayerischen Militärs in Landau und Germersheim ein Faktor, der die Einstellungen vor Ort geprägt hat. Das war wohl ein Motiv von August Graf, der die Garnison in Landau belieferte. Aber offenbar blieb der Imagegewinn nicht auf das Militär beschränkt, denn er konnte auch regelmäßig beispielsweise an Gemeindeverwaltungen im Umkreis verkaufen. Dies lässt vermuten, dass die Verantwortlichen dieser Gemeinden nicht monarchiekritisch eingestellt waren, sondern das Qualitätssigel samt der damit verbundenen Konnotationen wertschätzte. Offenbar galt dies noch über den Ersten Weltkrieg hinaus, wie die Nutzung der Hoflieferantentitels auch auf Rechnungen aus dem Jahr 1920 belegt (Abbildung 4). - Dagegen war es offenbar für Vertreter von “Formularien für Zivil-Ämter” in anderen Landesteilen nicht notwendig, den Titel eines Hoflieferanten anzustreben. Zumindest scheint es ein solches Image das aufwändige Prozedere und die damit verbundenen Kosten nicht wert gewesen zu sein; vielleicht war die Wirkung dort sogar kontraproduktiv, sonst hätten einzelne Unternehmer dieses Qualitätssiegel dennoch angestrebt, um ihren Marktwert zu steigern (oder auch nur aus Eitelkeit). Hans W. Giessen 52 Abb. 4a: Rechnung August Graf (August Graf - Nachfahren) Zusammenfassung Insgesamt deuten dies auf allgemeinere, übergreifende Erklärungen hin. Die raumzeitliche Verteilung der Titel kann zumindest als Indikator für ein jeweils unterschiedlich ausgeprägtes Arrangieren mit und teilweise gar des langsamen Entstehens einer gewissen emotionalen Nähe zum bayerischen Königshaus interpretiert werden, oder umgekehrt als Indikator für Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung ihm gegenüber. Sie belegt mithin und überraschend deutlich, dass, wann, wie lange und wo die Bayern als ungeliebte Besatzer, die die Freiheitsrechte bedrohten, erlebt wurden; sie zeigt dann die langsame Akzeptanz und schließlich den fast plötzlichen Umschwung in verschiedenen Landesteilen, der - auch das ist eine interessante Beobachtung - auch durch die dramatische Erfahrung des ersten Weltkriegs keineswegs beeinträchtigt wurde. Und sie zeigt, wo es bis zum Schluss Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung gab. Imagegewinn im Wechselspiel 53 Abb. 4b Dies ist kein isoliert pfälzisches Phänomen. Marita Krauss hat ja Ähnliches mit ihrem Hinweis auf die Münchner Dominanz und der an gleicher Stelle geschilderten Beobachtung, dass Hoflieferanten beispielsweise im schwäbischen Augsburg deutlich unterrepräsentiert gewesen seien, angedeutet (2009: 36). Allerdings überrascht die Klarheit, mit der Wandlungsprozesse der öffentlichen Meinung in der Pfalz herausgearbeitet werden können, sowohl räumlich, als auch zeitlich. Die quantitative Analyse der Titelverteilung ergibt also erstaunlich präzise semiotisches Zeichen. Dies deutet darauf hin, dass solche semiotische Untersuchungen ergiebige kliologische (mentalitätsgeschichtliche, kulturelle und politische) Verfahren sind und Prozesse bis in den lokalen Raum hinein sehr präzise darstellen können. Hans W. Giessen 54 Referenzen 1. Quellen Instruction über die Behandlung der Gesuche um allergnädigste Verleihung von Hoftiteln. München 1851 (Ausführungsbestimmungen: München 1852) 2. Sekundärliteratur Assmann, Aleida; Assmann, Jan 1994: “Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis”. In: Merten, Klaus; Schmidt, Siegfried J.; Weischenberger, Siegfried (Hrsg.) 1994: Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in Kommunikationswissenschaften. Opladen: Westdeutscher Verlag, 114-140. Haertle, Karl Maria 2009: “Gesamtverzeichnis aller königlich bayerischen Hoftitelinhaber und Hoflieferanten”. In: Krauss, Marita 2009: Die königlich bayerischen Hoflieferanten. München: Volk, 286-325. Heintz, Philipp Casimir 1833: Das ehemalige Fürstenthum Pfalz-Zweibrücken und seine Herzoge, bis zur Erhebung ihres Stammes auf den bayerischen Königsthron 1410-1514. München: Königl. Akademie der Wissensch.. (Abhandlungen der Historischen Klasse der Königlich-Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1,1) Herkt, Otto 1900: Allgemeiner Handatlas. Berlin: Kameradschaft Krauss, Marita 2009: “Die Hoftitelvergabe - Regularien und Verleihpraxis”. In: Krauss Marita 2009: Die königlich bayerischen Hoflieferanten. München: Volk, 27-39. Krogt, M.R. van der 2000: Een koninklijk gebaar. Hofleveranciers in Nederland. Zaltbommel: Europeese bibliotheek Kultusministerium Rheinland-Pfalz (Hrsg.) 1982: 1832-1982. Hambacher Fest. Freiheit und Einheit, Deutschland und Europa. Neustadt an der Weinstraße: Meininger (Katalog zur Ausstellung des Landes Rheinland-Pfalz zum 150-jährigen Jubiläum des Hambacher Festes. Hambacher Schloss, 18. Mai bis 19. September 1982) Martin, Michael 1995: Revolution in der Provinz. Die französische Revolution in Landau und der Südpfalz. Landau: Pfälzische Verlagsanstalt Putzger, Friedrich Wilhelm (Originalherausgeber, et al.) 1965: Putzger Historischer Weltatlas. Bielefeld: Velhagen und Klasing, 89. Auflage Schubert, Werner (Hrsg.) 2005: 200 Jahre Code civil. Die napoleonische Kodifikation in Deutschland und Europa. Köln: Böhlau Anmerkung 1 Von Krauss 2009 stammen alle Daten in diesem Aufsatz, die sich allgemein auf die königlich-bayerischen Hoflieferantentitel beziehen; die eigenen Recherchen beziehen sich dann ergänzend und die Angaben von Krauss erweiternd auf die königlich-bayerischen Hoflieferanten in der Pfalz. Es ist im Übrigen unklar, wieso Krauss hier (2009: 36) nur auf “zwischen 1859 und 1905 genehmige[…] Hoftitel[…]” rekurriert, obwohl Hoftitel bis 1918 verliehen wurden.