eJournals Kodikas/Code 34/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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Die Verbreitung digitaler Medien im öffentlichen Raum hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Nachdem nun auch das Mobiltelefon mit mobilem Internetzugang und Interfaces aller Art ausgestattet wurde, wird ihnen eine rasante Entwicklung prognostiziert. In einem merkwürdigen Gegensatz dazu steht der Mangel an innovativen Gebrauchsweisen. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich deshalb primär mit der Frage, wie das Dispositiv dieser Medien genauer bestimmt werden kann. Dabei spielt das besondere Zuschauer-Bilder-Verhältnis eine zentrale Rolle. An Beispielen grosser Marken und ihrer zunehmenden räumlichen Arrangements, die auf Realitätseindruck, Erlebnisqualität und die Suggestion von Teilhabe abzielen, werden die Vermittlungs-, Aneignungs- und Nutzungsweisen dieser digitalen Medien im öffentlichen Raum skizziert.
2011
343-4

Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde

2011
Ursula Stalder
Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde Digitale Out-of-Home-Medien an der Schnittstelle zwischen konkreten Orten und virtuellen Welten. Ursula Stalder Die Verbreitung digitaler Medien im öffentlichen Raum hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Nachdem nun auch das Mobiltelefon mit mobilem Internetzugang und Interfaces aller Art ausgestattet wurde, wird ihnen eine rasante Entwicklung prognostiziert. In einem merkwürdigen Gegensatz dazu steht der Mangel an innovativen Gebrauchsweisen. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich deshalb primär mit der Frage, wie das Dispositiv dieser Medien genauer bestimmt werden kann. Dabei spielt das besondere Zuschauer-Bilder-Verhältnis eine zentrale Rolle. An Beispielen grosser Marken und ihrer zunehmenden räumlichen Arrangements, die auf Realitätseindruck, Erlebnisqualität und die Suggestion von Teilhabe abzielen, werden die Vermittlungs-, Aneignungs- und Nutzungsweisen dieser digitalen Medien im öffentlichen Raum skizziert. 1 Ausgangssituation Als Hybride aus Technologie, Film und Architektur erobern digitale Out-of-Home-Medien heute schnell immer mehr urbanen Raum. Ihre Bilder sind aus Orten, resp. Räumen 1 wie Fussgängerzonen in den Innenstädten, Einkaufszentren und Sportarenen, Bahnhöfen und Flughäfen nicht mehr wegzudenken. Ein wesentlicher Teil dieser Bilder sind Werbebilder. Sie inszenieren mittels medial bespielbarer Architekturen, fassadengrosser Projektionen oder hoch auflösender Displays die Kommunikation zwischen “Sender” und “Empfänger” in einer Weise, die sich grundlegend von den Inszenierungen klassischer Medien unterscheidet. Die digitalen Medien im öffentlichen Raum sind in erster Linie Bildmedien: Ihre dominante Ausdrucksform ist das bewegte Bild 2 . Damit reihen sie sich in eine Entwicklungslinie ein, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts begonnen hat 3 , und “mit der Digitalisierung dürfte der Vorsprung [des Bildes, Anm. us] gegenüber der Schrift immer grösser werden.” (Doelker 2002: 16). Hintergrund dieser Entwicklungen ist die zunehmende Durchdringung des öffentlichen Raums 4 mit digitalen und vernetzten Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und die steigende Verfügbarkeit pervasiver Technologien 5 bei gleichzeitiger Erosion der Investitions- und Betriebskosten. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Verknüpfung von stationären Infrastrukturen (Screens, IP-Kameras, Sensoren, Anzeigesysteme etc.) mit mobilen internetfähigen Geräten (Smartphones, Tablets, usw.) sowie die Einbindung von Objekten mittels RFID- oder NFC-Tags. So sind Infrastrukturen entstanden, auf denen immer mehr verschiedene Medien - kommerzielle und private, stationäre und mobile - basieren. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Ursula Stalder 304 Guido Zurstiege unterscheidet drei Typen von Medienangeboten, die typisch für postindustrielle Städte, resp. Gesellschaften sind: Erstens die Werbemedien, die “die Besucher in Wunscherfüllungs-, Verwandlungs- und Veränderungsgeschichten verstricken”, zweitens Medien wie Zeitungen, Zeitschriften und Bücher sowie drittens Informationen und Vorschriften, die diese Orte darbieten und dadurch definieren (Zurstiege 2008: 126ff.). Georg Franck weist auf einen vierten Medientyp hin: Die Überwachungskameras. Während die “Invasion der Marken” die Städte in Werbeträger verwandelt habe, verwandelten die “Invasion der Kameras” den öffentlichen in einen überwachten Raum; die Werbung besetze die “Schauseite” des Erlebnisraums, die Überwachung leuchte seine “Schattenseite” aus (vgl. Franck 2005). Der städtische Raum transformiert sich nicht nur im Physischen und Sichtbaren, sondern auch auf einer Ebene, die viel weniger sichtbar ist: Er wird zum zunehmend dichten Datenraum, in dem über Radiowellen, Bluetooth-Verbindungen oder andere kabellose Technologien ein permanenter Austausch von Daten stattfindet (vgl. Jaschko 2007). Beispielsweise gehört eine flächendeckende Videoüberwachung längst nicht mehr nur in Einkaufscentern und Flughäfen zum Alltag, die Überwachung ganzer Innenstädte ist heute bereits Realität. Die Kanäle ergänzen sich perfekt und stellen eine lückenlose Verbindung zwischen der realen Welt der Konsumenten und der virtuellen Welt des Internets her. Dabei begünstigt die Digitalisierung eine Integration von Text, Bild, Video, Sound, wodurch neue hybride Medienformate entstehen. Die Werbe- und Überwachungsmedien basieren dabei auf denselben digitalen vernetzten Infrastrukturen; Technologien der Information und Kommunikation, der Interaktion und Identifikation sind zunehmend nahtlos integriert. Mit neueren Kameralösungen und Bildanalysesoftware können nicht nur Besucherfrequenzen in Echtzeit gemessen und das Passantenverhalten analysiert werden, mit ihnen können die Bilddaten mittels Gesichtserkennungsverfahren ausgewertet und mit andern Datenbeständen adhoc abgeglichen werden 6 . Dreidimensionale Darstellungstechnologien wie 3D-Plakate, -Displays oder Holografien sowie dreidimensionale architektonische Projektionen (“Architectural Mapping”) entgrenzen und verflüssigen die verschiedenen Erfahrungsebenen weiter. In einem merkwürdigen Gegensatz zur immensen Ausbreitung und Durchdringung steht der Mangel an innovativen Gebrauchsweisen. Und entsprechend unergiebig verlaufen auch die Diskussionen zum Thema “digitale Out-of-Home-Medien” 7 : Die eine Gruppe möchte alle Medialisierungen zum Schutz der Stadt und ihrer BewohnerInnen verbieten, die andere Gruppe überhöht die Medialisierung, um mittels eher diffuser Wirkungs- und Effizienzargumente ihre meist ziemlich konventionellen Entwicklungsprojekte fortschrittlicher erscheinen zu lassen. Die dritte Gruppe der Kulturschaffenden sucht nach neuen Argumenten und Modellen um möglichst viele und möglichst grosse Fenster in den privatwirtschaftlich finanzierten Darstellungsflächen zu ergattern. Denkt man an frühere medientechnologische Entwicklungen, spricht zum jetzigen Zeitpunkt einiges für die Annahme, dass sich das spezifische “Dispositiv” dieser digitalen Medien im öffentlichen Raum bisher noch nicht herausgebildet hat. Grosse Potenziale sind noch nicht realisiert. Weithin dominieren Anwendungen, die vermutlich Übergangsphänomene darstellen. Gleichzeitig weisen diese Medien - nicht zuletzt wegen ihrer Fundierung in pervasiven Technologien - eine Reihe von Aspekten auf, die erhebliche quantitative Sprünge und neue Qualitäten dieser Kommunikation im öffentlichen Raum annehmen lassen. Beispiele dafür sind die Schnelligkeit, mit der durch das Internet grosse Mengen von Daten übermittelt werden können, die Integrationskraft der Systeme, die die Produktions- und Serviceketten unterbruchlos zusammenschliessen, oder weitreichende Möglichkeiten von Individualisierung Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 305 und Personalisierung der Information durch die Speicher-, Retrieval- und Darstellungslogiken digitaler Daten. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich deshalb primär mit der Frage, wie diese digitalen Out-of-Home-Medien genauer bestimmt werden können, um die Potenziale für die Kommunikation besser zu erkennen. Im Zentrum steht das Herauswachsen der Bilder in den urbanen Raum, im dem das besondere Zuschauer-Bilder-Verhältnis dieser Medien manifest wird. Der Fokus liegt dabei auf kommunikativen (weniger auf narrativen) Strukturen, also auf dem “Wie? ” der Vermittlung, des Zeigens und Ausdrückens (und weniger auf dem “Was? ” des Vermittelten, Dargestellten, Repräsentierten). Zur Veranschaulichung sind derzeit insbesondere die Inszenierungen grosser Marken ergiebig, da sie immer wieder räumliche Arrangements schaffen, die auf Realitätseindruck, Erlebnisqualität und die Suggestion von Teilhabe abzielen und die Wahrnehmung wesentlich bestimmen. Hintergrund und Rahmen der Überlegungen bildet das in der Medialitätsforschung 8 fundierte Modell des Mediendispositiv 9 , da es sich für die Darstellung des Zusammenhangs zwischen Technik, Rezeption und Wahrnehmungsverhalten besonders gut eignet 10 . 2 Die Mittel der digitalen Out-of-Home-Medien Während sich die Aussenwerbewirtschaft bisher vor allem auf die massenmediale Kommunikation, die eine “one-to-many”-Kommunikation darstellt, konzentrierte und Werbeformate wie beispielsweise Ambient Media oder Digital Signage nicht zu ihrem Kerngeschäft zählte, beschäftigt sich die Konsumforschung zwar nicht besonders intensiv, aber immer wieder mit andern Formen der Werbekommunikation im sogenannten “Out-of-Home”-Bereich. Aus dieser Perspektive stellen die neuen digitalen Medien im öffentlichen Raum Manifestationen zweier sich kreuzender gesellschaftlicher Dynamiken dar: Des gesellschaftlichen Wandels von einer güter- und dienstleistungsorientierten zu einer postindustriellen, erlebnisorientierten Ökonomie und des Prozesses der Medialisierung der Alltags. So gesehen sind sie sowohl Phänomene der Mediengesellschaft als auch Ausdruck einer postindustriellen Erlebnisgesellschaft, in der primär für die Gefühle beim Konsumerlebnis (sowie die entsprechenden Erinnerungen) und erst sekundär für ein greifbares Gut bezahlt wird 11 . Für die Unternehmenskommunikation verkörpern diese digitalen Medien im öffentlichen Raum eine neue Phase marken- und kommunikationspolitischer Aktivität (vgl. Bruhn 2006). Sie bieten die Chance zur differenzierenden Visualisierung von Marken und der Greifbarmachung ihrer Werte, die von hohem Wert ist in Zeiten vielfältiger und zunehmend homogener Markenangebote, einer zunehmenden Bedeutung der Kommunikation im Marketingmix und eines wachsenden Kommunikationswettbewerbs (Pasquier et al. 2004, Calder/ Malthouse 2005). Entsprechend breit sind die Inszenierungsstrategien: Als komplementärer Kanal für die Image- und Absatzkommunikation, als zusätzliche “Touchpoints” zwischen Marke und Kunde, vor allem aber auch als eine Chance, durch speziell konzipierte Szenografien und Architekturen im urbanen Raum Präsenz zu markieren. Servicequalität kann so erlebbar gemacht und der Markenanspruch sinnlich verankert werden. Insofern lassen sich die neuen digitalen Out-of-Home-Medien als Mediengruppe verstehen, die dem klassischen Plakat bei der “Kommunikation zwischen Marke und Konsument im öffentlichen Raum” Konkurrenz macht: Die - stark normierte - “Plakatkultur” ist mittlerweile einer Pluralität von unterschiedlichen “Vermittlungskulturen” im öffentlichen Raum gewichen. Ursula Stalder 306 Die Vielfalt verdeutlicht, dass “alte” Kommunikationsbedürfnisse teilweise in die neue Medienformen “umgelenkt” werden, zugleich aber auch neue Kommunikationsanlässe und Kommunikationspraxen entstehen, die auf der Grundlage der neuen technischen Bedingungen überhaupt erst möglich geworden sind. Folgt man Joachim Sauter, dann kann man in der Fülle und Vielfalt vier physische Formate unterscheiden: Bildschirmanwendungen, interaktive Objekte und Installationen, interaktive Räume und interaktive Architektur (vgl. Sauter 2004). Sie ordnen als “organisierende Mitte” zwischen Technologie, ästhetischen Formen und kommunikativen Prozessen das Verhältnis zwischen Zuschauer und Bild mit und lassen sich anhand von drei Aspekten beschreiben 12 : - der digitale Screen - das bewegte Bild - die Situiertheit im öffentlichen Raum. 2.1 Screen. Licht Wie bei allen digitalen Medien ist das Darstellungsmedium, also der Kommunikationsträger, eine digitale Bildfläche, ein Bildschirm, ein Monitor, ein Screen. Der Screen stellt so etwas wie eine organisierende Mitte zwischen “Sender” und “Empfänger”, zugleich aber auch zwischen dem steuernden Input (dem System) und dem darzustellenden Output (Inhalt) dar. Lev Manovich definiert einen Bildschirm als eine flache, rechteckige Oberfläche, die den physischen Raum von einem Raum der Repräsentation, die normalerweise einen anderen Massstab hat, trennt; das gilt sowohl für statische Bildflächen wie klassische Gemälde oder Werbeplakate als auch für dynamische (Bewegt-)Bildflächen. Nach Manovich ist typisch für Screens, dass - sie auf eine Frontalbetrachtung ausgerichtet sind, - sie den Betrachter in einer fixen, unbeweglichen Position “gefangen halten”, - sie das Dargestellte auf vier Seiten “rahmen”, und die Repräsentation dadurch normalerweise im horizontalen “Landscape”- oder im vertikalen “Portrait”-Seitenverhältnis erscheint (Manovich 2001). Die Bildfläche etabliert so etwas wie ein “viewing regime”: Sie wird zum “Fenster” in die virtuelle Welt und grenzt gleichzeitig aus, was ausserhalb liegt. Für sehr grosse Bildflächen wie beispielsweise im Kino oder bei Medienfassaden wird die Fenster-Metapher oft durch die Metapher der “Immersion” ersetzt: Die Grösse der Bildfläche oder auch ihre konkave Form nehmen einen Grossteil des Blickfelds des Betrachters ein, so dass sich die wahrgenommenen räumlichen Grenzen auflösen und ihm ein “Eintauchen” in die virtuelle Welt ermöglichen. Im Screen wird deutlich, dass das Bild immer von einem Rahmen eingefasst ist, der das Dargestellte zurichtet und in dieser bearbeiteten Form dem Zuschauer darbietet 13 . Die Blick-Konstellation von digitalen Out-of-Home-Medien unterscheidet sich mindestens in einem Punkt wesentlich von Manovich’s Definition des Screens: Im Fall der Mensch- Apparat-Anordnung des Fernsehens - und das gilt auch für den Computer - ist der Zuschauer ähnlich wie im Kino in einer zentralen Achse auf das bewegte Bild hin ausgerichtet; “in diesem ist wie im Kinobild, bei vergleichbarer Flächigkeit des Bildes und Randbegrenzung des Bildkaders, die Perspektivität des fotografischen Bildes mit den Fluchtpunktperspektiven Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 307 eingeschrieben.” (Hickethier 1995: 64). Nicht so im Dispositiv “digitale Out-of-Home- Medien”: Der Zuschauer befindet sich nicht mehr statisch vor der Bildfläche, er wendet ihm seinen Blick nicht mehr aufmerksam zu; er kann das zwar tun, aber die Anordnung erzwingt dies nicht mehr. Er hat nicht nur die Freiheit aufzustehen und sich im Raum zu bewegen, wie ihm dies zwar nicht im Kino, aber durchaus daheim vor dem TV oder auch dem Computer freisteht. Genau diese freiwillige Zu- oder Abwendung in der Bewegung bestimmt das Verhältnis zwischen Zuschauer und Bild: Durch seine Eigenbewegung kann der Zuschauer aus dem Kontakt mit dem Bildschirm geraten, oder überhaupt erst - überraschend, unvermutet, ungewollt - hineingeraten, oder ihn nur noch in extrem verzerrter Seitensicht wahrnehmen; durch seine Mobilität ist das “viewing regime” individualisiert und damit die “Disziplinierung der Wahrnehmung” (Hickethier 1995: 65) aufgehoben. Karl Sierek sieht das Subjekt in seinen Überlegungen zum Dispositiv Fernsehen als Folge der Beweglichkeit als flüchtig und das Zuschauen durch das Benjamin’sche Prinzip der “zerstreuten Wahrnehmung” bestimmt (Sierek 1993: 67ff.). Der Zuschauer könne deshalb im Fernsehen Filme nicht mehr so lesen wie er dies im Kino gelernt habe. Knut Hickethier widerspricht dieser Bestimmung, da er sie durch die alltägliche Rezeptionspraxis widerlegt sieht: Das Fernsehen habe über die Zeit ein eigenes Wahrnehmungsdispositiv herausgebildet, das stärker in Richtung eines audiovisuellen Abstraktionslernens (wie beim Radio) und weniger in Richtung einer sinnlichen Vergegenwärtigung (wie im Kino) ziele (Hickethier 1995: 66f.). Bezieht man diese Überlegungen zu Subjekt und Wahrnehmung auf das Dispositiv “Out-of-Home-Medien”, in dem der Zuschauer nicht nur in Bewegung, sondern auch beschäftigt ist, so stützen empirische Erhebungen zur Rezeptionspraxis derzeit die Bestimmung des Subjekts als flüchtig und seine Wahrnehmung als zerstreut: digitale Medien im öffentlichen Raum vermögen zwar eine hohe Aufmerksamkeit zu erzeugen, gleichzeitig ist die Wahrnehmung jedoch peripher und mit durchschnittlich 2 bis 5 Sekunden sehr kurz. Diese Rezeptionspraxis gilt jedoch nur in Wahrnehmungskonstellationen, die denen der klassischen Aussenwerbung ähnlich sind, und lässt sich mit den habitualisierten Strukturen der Plakatwahrnehmung erklären 14 . Anwendungsformen wie etwa interaktive Digital Signage-Installationen im unmittelbaren Warenumfeld oder räumliche Markenszenografien in Flagship Stores oder Markenmuseen, die zu einem spielerischen Erkunden auffordern, knüpfen dagegen an das Dispositiv “Digital” an; sie laden mit entsprechenden Handlungsaufforderungen den Zuschauer zur aktiven Teilnahme ein und sind in der Lage, seine Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum zu binden. Damit dies gelingt, müssen die Nutzer allerdings zuerst für die aktive Medienzuwendung und -nutzung motiviert werden 15 . Auch in Bezug auf Projektionsrichtung und die entsprechende “Anordnung” des Zuschauers unterscheiden sich die verschiedenen Screen-Dispositive erheblich: Während das Kino den Zuschauer zwischen dem Projektionsapparat und der Projektionsfläche “einspannt”, wird der Zuschauer bei Fernseh- oder Computer-Monitoren mit dem Bild konfrontiert, das durch den Bildstrahl in umgekehrter Richtung - also entgegen der Blickrichtung des Betrachters - auf dem Bildschirm erzeugt wird. Die Bilder erscheinen so “als Lichtemanationen des Apparats und nicht als Widerschein” (Hickethier 1995: 65). Das gilt in hohem Mass für digitale Out-of-Home-Medien im Aussenraum, deren Lichtemission und Strahlkraft besonders bei wechselnden Lichtverhältnissen und in der Dämmerung zum Tragen kommt. Bei grossen Formaten wie beispielsweise Medienfassaden ist die Faszination, die im Licht per se liegt, intuitiv erfahrbar (vgl. Abb. 1): Das bewegte Licht erzeugt erregte Aufmerksamkeit 16 , evoziert Aura und Atmosphäre 17 und schärft Sehsinn und Sehlust. “Es ist weniger ein Schauen nach dem materiellen Körper als nach dem Immateriellen in der uns umgebenden Welt. Es ist das Ursula Stalder 308 Abb. 1: Ars Electronica (2009): Erweiterungsbau Ars Electronica Center, Linz Schauen nach den Erscheinungen, nach dem nur vermittelt Erfahrbaren, das sich im Sehen zeigt und uns darin berührt.” (Pörschmann 2010: 78). 2.2 Bewegte Bilder. Sehen Die Einbindung der Kommunikation in den öffentlichen, sozialen Raum zieht eine Folge von Weiterungen nach sich, die nicht nur die Vermittlungsmodi, sondern auch das Angebot (die Narration) selber betreffen. Die Grundmuster narrativer Strukturen sind zwar kaum verändert, aber das Repertoire medialer Konzeptionen und Strategien erweitert sich erheblich. Wichtige Aspekte ergeben sich aus den blossen Abmessungen des Screens oder aus der Überlagerung der Skalen von Bildraum und architektonischem Raum sowie aus der “Erweiterung” der Raumnutzung. Daraus resultiert eine grosse Bandbreite von Gebrauchsweisen mit je unterschiedlichen Betriebsmodellen (vgl. Stalder 2011). Ähnlich wie das Fernsehen verfügt das Dispositiv digitale Out-of-Home-Medien über eine Fülle unterschiedlicher Formate (Werbung, Nachrichten, Unterhaltung) und Formen (reale Bilder und gerechnete Bilder, gespeicherte und adhoc generierte Bilder usw.), deren Dramaturgie (Reihenfolge, Übergänge/ Wechsel, Tempi usw.) und Darstellung individuell gestaltbar ist. Auf der narrativen Ebene überlagern und kreuzreagieren Elemente der Erzählung mit jenen des realen Raums. Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 309 Für die Vermittlung wiederum sind - ähnlich wie im digitalen Dispositiv - in diesen Outof-Home-Medien verschiedene Kommunikationsmodi möglich. Sauter (2004), Schmidt (2006/ 2008) u.a.m. differenzieren zwischen vier Bespielungsarten digitaler Out-of-Home- Medien: autoaktive, reaktive, interaktive und partizipative Programme 18 . Diese grundsätzliche Fähigkeit zur multimodalen Kommunikation wird vor dem Hintergrund aktueller Mediendynamiken besonders interessant. Interaktive und partizipative Bespielungen, die die verfügbaren mobilen Geräte wie iPods, iPhone, iPads als Interface nutzen, werden in nächster Zukunft an Bedeutung gewinnen. Kreativkonzepte, die etwa “I-Like”-Buttons oder Facebook- Profile einbinden, Augmented-Reality-Ansätze, die virtuelle Elemente dynamisch in Bezug zu realen Objekten setzen oder umgekehrt, die Realität mit zusätzlichen Informationen anreichern, werden das Visualisierungs- und Interaktionspotenzial digitaler Out-of-Home- Medien weiter ausdehnen. Auf der Ebene der Bilder wird erkennbar, dass im Dispositiv Out-of-Home-Medien zwei unterschiedliche Konzepte aufeinandertreffen, die kaum weiter voneinander entfernt sein könnten: Auf der einen Seite die speziell für einen spezifischen Präsentationsraum gestalteten Bespielungen, auf der andern Seite Bildschlaufen mit weitestgehend vom konkreten Raum losgelösten Dramaturgien. Während das erste Konzept eher an die Tradition szenografischer Inszenierungen anknüpft, orientiert sich der zweite Ansatz am klassischen Geschäftsmodell der Aussenwerbewirtschaft, die Kontakte über die Belegung von (Plakat-)Netzen verkauft. Während der erste Gestaltungsansatz eine individuelle, quasi einmalige technische, ästhetische und sozialkommunikative Lösung für einen konkreten Ort und Raum entwirft, basiert das zweite Angebot auf dem Versprechen eines gleichbleibenden, ortsunabhängigen Raums. Je nach Projekt oder Anwendungsart kommunizieren die bewegten Bilder konkrete Inhalte, oder sie haben primär die Aufgabe eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen. Dabei sind ganz unterschiedliche gestalterische Qualitäten gefragt, um sich im “Spektakel” der urbanen Gleichzeitigkeit, des unabgestimmten Nebeneinanders und der schieren Flut sinnlicher Eindrücke, in der das “weisse Rauschen” 19 droht, durchzusetzen. Das eine Extrem stellt der Display am M&M-Flagship Store am Times Square New York dar, der komplett auf komplexe Inhalte verzichtet und nur einfachste emotionale Bilder, die einem direkt ins Auge springen, zeigt (vgl. Abb. 2). Das andere Extrem verdeutlicht die Fassadenbespielung des Flagship Stores von Louis Vuitton im MGM-Hotelkomplex in Las Vegas (vgl. Abb. 3): Um für das Geschäft eine einladende Atmosphäre mit einer besonderen Wertigkeit zu kreieren, wurde komplett auf reale Bilder und gegenständliche Darstellungen verzichtet und nur mit sanften bewegten Strukturen ausschliesslich in weiss gearbeitet (vgl. Kronhagel 2010: 172ff.). So unterschiedlich die beiden Konzepte sind, beiden gemeinsam ist, dass sie auf der inhaltlichen und ästhetischen Ebene eine Narration gestalten, die davon lebt, dass sie mit ihrem Umfeld in eine kommunikative Beziehung treten. Im Fall von M&M geschieht das durch die Akteure der Story - den aus der Kinowerbung bekannten M&M-Charakteren - die augenzwinkernd den Trubel des Strassenraums kommentieren, im Fall von Louis Vuitton durch die Übernahme der ikonischen Strukturen der umgebenden Stararchitektur. So verschieden die Bilder auf der Ebene der Repräsentation in den konkreten Gebrauchsweisen dieses medialen Dispositivs auch sind, so spielt doch in allen Ansätzen die visuelle Präsenz eine dominierende Rolle. Das Bild selber wird zum Ereignis, nicht erst die Narration. Das Auslösen einer unmittelbaren Reaktion auf die Wahrnehmung ist wichtiger als das, was im Modus des Bewegtbilds erzählt wird. Kennzeichnend für diese Art von Bildkonzeptionen ist die direkte Ansprache des Publikums 20 : Sie sind darauf ausgerichtet, beim Zuschauer Ursula Stalder 310 Abb. 3: Louis Vuitton Flagship Store (2011), MGM Mirage City Center, Las Vegas Abb. 2: M&M Flagship Store (2006), Times Square, New York City Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 311 Abb. 4: Strikh Kod Building (2007), St. Petersburg visuelle Neugier zu wecken und durch das aufregende Spektakel Vergnügen zu bereiten. Dieses Prinzip äussert sich deutlich im Einsatz von immer grösseren, immer aufwändiger bespielten Installationen, derzeit etwa Anwendungen von Augmented Reality-Applikationen oder holografischen Animationen. 2.3 Situiertheit im öffentlichen Raum. Performance Das Zuschauer-Bild-Verhältnis erfährt durch die Einbindung der Kommunikation in den öffentlichen Raum eine weitere, eine soziale Rahmung: Die Rezeption ist situativ in das soziale Umfeld des öffentlichen urbanen Raums 21 eingebunden. Im Blick des Betrachters stehen diskursive, symbolische und soziale Ordnungen in Konkurrenz zueinander. Die entworfenen fiktionalen Welten und die realweltlichen Räume treten in ein Verhältnis zueinander, in dem sie vermittels diskursiver, ästhetischer oder medialer Referenzen aufeinander verweisen. Die Grenzen zwischen dem erzählten Raum der bewegten Bilder und dem realen Raum des konkreten Orts verwischen. Die auf Reaktion ausgerichtete Wahrnehmung wird durch die Digitalität des Screens und reaktive, interaktive oder partizipative Modi zusätzlich aktiviert und durch die ihnen eigene Betonung der visuellen Präsenz. Es entsteht ein hybrider Raum, in dem die erfahrene Wirklichkeit sich quasi verdoppelt. Durch die leibliche “Anwesenheit” des Zuschauers erfährt das digitale Medium in der Anordnung im öffentlichen Raum eine grundlegende Weiterung, die man als Performance- Modus begreifen kann: Angebot, Vermittlung und Wahrnehmung sind nicht als medientechnisch determiniert, noch unterliegen sie der klaren Trennung von Subjekt und Objekt. Sie Ursula Stalder 312 Abb. 5: N-Building (2009), Tokyo sind zugunsten einer Ko-Kreation aufgebrochen. Statt nur “Werke” darzustellen, ermöglichen diese medialen Anordnungen, Ereignisse hervorzubringen, in die nicht nur die Produzenten, sondern auch die Rezipienten, die Betrachter, Hörer, Zuschauer involviert sind. 22 Dabei wird an das (bekannte) Dispositiv Digital angeknüpft und dieses Kraft der spezifischen Medialität weiterentwickelt. Die Inszenierungsstrategien zielen gemäss Erika Fischer-Lichte dabei immer auf drei eng aufeinander bezogene Faktoren: Auf den Rollenwechsel zwischen Produzent (Handelnder) und Rezipient (Zuschauer), auf die Bildung einer Gemeinschaft zwischen diesen, und auf verschiedene Modi der wechselseitigen Berührung, d.h. auf das Verhältnis von Distanz und Nähe, von Öffentlichkeit und Privatheit/ Intimität, Blick und Körperkontakt 23 . Während die einen die Rolle der Produzenten übernehmen und mit Händen und Füssen mit dem System interagieren, um Muster zu erzeugen und mit den verfügbaren Elementen zu experimentieren, übernehmen die andern die Rolle der Zuschauer. Zwar sind diese Reaktionen teilweise durchaus rein “innerlich”, ein ebenso wichtiger Teil stellen jedoch wahrnehmbare Reaktionen dar: Das Lachen über die Ergebnisse, Kommentieren der Darstellung, sich gegenseitig die Spielregeln erklären, neu Eintreffende ins Bild versetzen, usw. “Das Spielerische des Experiments und das Experimentelle des Spiels verstärken sich dabei gegenseitig” (Fischer-Lichte 2004: 62). Damit ist der “Rezipient” aktiver als es jemals von leseorientierten Zugängen konzeptioniert werden könnte: Er konfiguriert aktiv und erst seine Tätigkeit konstituiert den “Text”. Seine Auswahl erzeugt den Text der Narration, der bei jedem Durchlauf anders sein kann. Er selbst gibt dadurch und durch seine Interpretation dem Text die Bedeutung. Auf der andern Seite ermöglicht das System das Hervorbringen und Steuern einer sich permanent verändernden Feedbackschleife. Die Aufführung entsteht aus der Begegnung - der Konfrontation, der Interaktion - zwischen dem Sender und dem Adressat, wobei das mediale System als Mittler und der Screen als Interface fungiert. Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 313 Abb. 6: Google Inc. (2006), Berlin 3 Als ob die Welt erweitert würde Wie sehr aus der Kombination von “Digital”-Qualitäten mit denen von Narration und öffentlichem Raum (Plakat, Bühne, Ausstellung) in der medialen Anordnung von digitalen Out-of- Home-Medien Weiterungen in Kraft gesetzt werden, die zur Entstehung spezifischer Kommunikationsformen beitragen, lässt sich deutlich an aktuellen Beispielen nachvollziehen. In ihnen wird die spezifische Medialität dieser neuen Medien im öffentlichen Raum deutlich, nicht zuletzt weil sie oftmals explizit das Verhältnis zwischen Zuschauer und Bild (Erzählung) darstellen. 3.1 Ein Fenster in eine andere Welt Ein Ansatz, der mit dieser spezifischen Medialität dieser Medien im urbanen Raum agiert, ist das Spiel mit direkten gestalterischen Bezügen zwischen der Story (Narration), die vermittelt wird, und dem räumlichen Kontext, in dem sie wahrgenommen wird. So wandert beispielsweise in der Kampagne “Any film you can imagine” von Google Germany, die den Launch des Google Video Service bekannt machen sollte, ein physischer (Bilder-)Rahmen im Stil eines Browser-Fensters durch die Stadt; das Bilder oder der Fensterinhalt ist ausgeschnitten, sodass sich im Blick des Passanten in ihm die reale Szenerie einrahmt und diese gleichzeitig zu einem Video zum Thema “Life in all its glorious randomness” mutiert (vgl. Abb. 6). 24 Ursula Stalder 314 Abb. 7: Amnesty Internation (Schweiz) (2006), div. Städte Auch Amnesty International (Schweiz) spielt mit dieser Vermischung von narrativen und realen räumlichen Strukturen: In der Kampagne “Not here, but now” werden Fotos konkreter Standorte mit Bildern von Situationen, in denen krasse Menschrechtsverletzungen geschehen, derart montiert, dass im Blick des Betrachters der physische Raum, in dem er sich selber befindet, und der narrative Raum der Botschaft zusammen fallen (vgl. Abb. 7). 25 HBO Home Box Office wiederum, ein US-Fernsehsender bekannt für grandioses Storytelling, nutzt den öffentlichen Raum seit Jahren gezielt für die Lancierung neuer Serien oder Image-Kampagnen: Die “HBO Voyeur” - Kampagne begann mit einem fünf Minuten dauernden Trailer-Film, der lebensgross an die Brandmauer eines Gebäudes in Lower Manhattan projiziert wurde (Abb. 8). 26 Gezeigt wurde das Leben von Menschen in acht Wohnungen, verteilt auf vier Stockwerke; für die Zuschauer auf der Strasse war es, als ob die Mauern des Gebäudes weggeschält worden wären, so dass sie in jedes Zimmer blicken konnten. Als Reflexion ebendieser Erfahrungen lässt sich die Installation des japanischen Künstlers Tokujin Yoshioka verstehen, der diesen Aspekt des Mediendispositivs repräsentiert und gleichzeitig strukturell darstellt: Er setzt in jedem Schaufenster des Maison Hermès in Ginza/ Tokyo den ikonischen Hermès-Schal so in Szene, dass dieser gleichsam durch den Atem der dahinter fotografisch arrangierten Schauspielerin in Bewegung versetzt wird. Die Illusion wird dadurch erreicht, dass auf der Fotografie in der Nähe des Mundes in der Fotografie Luft geblasen wird (Abb. 9). 27 Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 315 Abb. 9: Maison Hermès (2009), Tokyo Abb. 8: HBO Home Box Office (2007), New York City Ursula Stalder 316 3.2 An zwei Orten gleichzeitig Zur weiteren Verwischung der Grenzziehung zwischen dem realen und dem virtuellen Raum werden technische Schnittstellen (Interfaces) eingesetzt, die den Austausch zwischen der Aussenwelt (der Umwelt, des Benutzers) und der Innenwelt (des Mediums, des Codes) ermöglichen; das können entweder Sensoren, die physikalische Grössen wie bspw. Lichtstärke, Temperatur, Druck, Strahlung, Schall usw. aus der Umwelt messen und umwandeln, oder Benutzerschnittstellen (User Interfaces) sein, mittels derer der Benutzer in das System “eingreifen” kann: Im ersten Fall “reagiert” das System auf gemessene Daten, im zweiten Fall “interagieren” der Nutzer und das Mediensystem. So installierte Adobe’s “Creative License”- Kampagne bereits 2007 ein reaktives “Wandgemälde”, dessen Bildaufbau durch Sensoren gesteuert wurde, die sich an die Bewegung der vorbeigehenden Passanten “anhängten”. Die Kampagne “Es geschieht, wenn niemand hinsieht” von Amnesty International (Deutschland) verwendet ein Face-Tracking-System für die Steuerung dessen, was das Display anzeigt: Schaut jemand in Richtung des Displays, sieht er oder sie ein friedlich lächelndes Paar, schaut er oder sie weg, beginnt der Mann auf die Frau einzudreschen (Abb. 10). 28 Die Installation lenkt damit das Interesse explizit auf das Nicht-Sichtbare, das heisst auf die Problematik des Themas, auf das Verhältnis von Zeigen und Gezeigtem, und stellt so die Frage nach dem Standpunkt des Zuschauers zum Thema “Häusliche Gewalt” und seiner Rolle als Zuschauer. Vor allem aber demonstriert die Installation, dass es möglich ist der in der Privatsphäre angesiedelten immersiven Problematik der häuslichen Gewalt in einer Art Umkehrbewegung eine Art öffentliche emmersive Lösung durch die (Bürger-)Gesellschaft entgegenzuhalten. Auch in der Kampagne “Uncensored” von Calvin Klein wird die innovative Überwindung einer - als einschränkend empfundenen - Grenze demonstriert. Gezeigt wird auf ihren Megaposters lediglich einen QR Code, also ein reines Verweiszeichen: Passanten, die einen passenden Code Reader auf ihrem Smartphone installiert haben und das Megaposter abfotografieren, werden auf eine Website geleitet, deren Content - die eigentlichen Kampagnenbilder und Video Clips - ihrerseits wieder den ursprünglichen Kontext konterkarieren, indem sie in erotisch aufgeladenen Bildern “sprechen”, die im deutlich stärker regulierten öffentlichen Raum kaum vorstellbar wären (Abb. 11). 29 Die “Koppelung” zwischen der Realität (in der das Megaposters hängt) und dem Bildraum (der zum privaten Konsum angebotenen Werbeclips) stellt das Individuum her. Durch den Einbezug mobiler, internetfähiger Geräte wie Smartphones oder Tablets werden die Out-of- Home-Medien vom reinen Anzeigemedium zum Auslöser einer Informations- und Aktionskette erweitert, die zu einem “Mehrwert” für den Konsumenten führt - vom kostenlosen Download von Klingeltönen oder Wallpapers, über die Teilnahme an Gewinnspielen oder den Abruf von Promotions-Codes bis hin zur nahtlosen Überleitung in den Bestellprozess. Wer in der Kampagne “Shoot and Win” von Armani das Plakat abfotografierte, erhielt einen Gutschein direkt auf sein Smartphone, der zu einem erheblichen Rabatt beim Kauf des beworbenen Produkts berechtigte (Abb. 12). 30 Beispielhaft führte dieses Verschwinden der Differenz zwischen Sagen und Zeigen, zwischen Darstellung und Ausführung durch die Aktivität des Zuschauers auch Tesco/ Homeplus vor: In U-Bahn-Stationen wurden virtuelle Geschäfte geschaffen, aufgeklebte Folien zeigten die Lebensmittel. Mit Smartphone konnten die Passanten während dem sie auf die U-Bahn warteten, einkaufen, in dem sie die gewünschten Produkte fotografierten; dadurch wurde eine Bestellung im Online-Shop von Tesco/ Homeplus ausgelöst. Tesco lieferte die Ware direkt zum Kunden nach Hause - im Idealfall zum selben Zeitpunkt, zu dem der Kunde daheim eintraf (Abb. 13). Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 317 Abb. 10: Amnesty International (2008), Berlin Abb. 11: Calvin Klein (2010), New York City Ursula Stalder 318 Abb. 13: Tesco/ Homeplus (2010), Seoul Abb. 12: Giorgio Armani Parfums (2011), div. Städte Schweiz Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 319 3.3 Zwischenräume Mit der Frage nach der Gestaltung der Interfaces tritt auch die Frage nach der Art des Handelns mit technischen Medien in performativen Anordnungen ins Blickfeld (vgl. Büscher 2002: 7ff.). Das gilt nicht nur in Inszenierungen, in denen die Körperbewegungen von “Passanten” über Sensoren, Licht, Bewegung oder computergenerierte Bilder steuern, sondern auch in “interaktiven” Installationen und Environments. Das wird besonders deutlich bei Kampagnen, die auf erfahrungsorientierte Ansätze setzen: Geteilte Momente, soziale Erlebnisse und Zugehörigkeit zu einer Gruppe sollen Relevanz und Buzz erzeugen, Aufmerksamkeit und Reichweite für die Kampagnen-Channels generieren und das Profil einer Marke oder eines Produkts schärfen. T-Mobile beispielsweise inszenierte 2009 in London ein Live-“Karaoke Sing-along” am Trafalgar Square: Mittels Twitter, Facebook und Guerilla-Aktionen in den Strassen wurde ein Flash Mob organisiert, der gemeinsam - und zusammen mit der überraschend erscheinenden Sängerin Pink - sang; aus den Aufzeichnungen wurden dann in 48 Stunden der Clip produziert und in der Werbepause einer TV Talent Show auf ITV1 ausgestrahlt. Zu einer bemerkenswerten räumlichen Inversion kommt es, wenn pervasive Technologien dafür genutzt werden, den Aussenraum live - in Echtzeit - einzubeziehen. Dies liegt im Falle des Geocaching vor, wo die Daten eines GPS-Geräts die Fundorte eines realen Versteckspiels anzeigen wie etwa in der Timberland “Trail of Hero”-Kampagne (2011, 6 europäische Grossstädte 31 ); oder in Augmented-Reality-Kampagnen, wo ortspezifische Informationen den im Bild dargestellten Aussenraum auf dem Display überlagern und die beiden Räume des Mediums zur Deckung kommen (vgl. Günzel 2010). Die Überlagerung geschieht hierbei nicht nur durch die (vorgefertigte) Montage im Bildraum oder im “Kopf” des Betrachters, sondern durch eine zeitgleiche Darstellung von simulierter und repräsentierter Wirklichkeit: Das vorgefertigte, gespeicherte Bild (die Simulation) wird durch die Live-Einspielung des Aussenraums (die Repräsentation) überlagert. Forever21 inszeniert zur Eröffnung ihres neuen Flagship Stores am Times Square in New York City auf dessen e-Board die Installation “Forever Fresh”, in der sich vorgefertigte Bilder mit Echtzeit-Aufnahmen vermischen: Das 61-Meter grosse digitale Display zeigt Topmodells, die mit dem Publikum auf der Strasse interagieren. Das Modell beugt sich zur Menge auf der Strasse herunter, schiesst ein Polaroid-Foto von den Gaffern, wählt eine einzelne Person aus und verwandelt sie durch einen Kuss in einen Frosch oder lässt sie in ihre Handtasche fallen, usw. (Abb. 14). 32 Andere Bespiele für solche Vermischung von virtuellen und realen Bildern sind die Kampagne “Billboard against Aggression” des Justizministeriums der Niederlanden (2010, Amsterdam, Rotterdam 33 ) oder die Ambush-Events “Also Angel will Fall” von Unilever (2011, London und Birmingham 34 ). Diesen medialen Strategien gemeinsam ist, dass die Passanten sich selber im Bild neben den virtuellen Figuren der Story (Avatare) sehen; dadurch werden sie selber zum Teil der Erzählung: Mit ihnen geschieht etwas, sie können ihre eigene Position oder die der Avatare verändern oder untereinander agieren und so selber den Verlauf der Geschichte (scheinbar) beeinflussen. Noch einen Schritt weiter geht die Kampagne “How do you experience death” des WWF (Russland) zur Rettung des vom Aussterben bedrohten sibirischen Tigers: In ausgewählten Modegeschäften in Moskau werden T-Shirts mit Markern in die Regale gelegt; probiert ein Kunde eines davon an und betrachtet sich im Spiegel, löst der Marker auf dem T-Shirt einen virtuellen Schuss aus und Blut überspritzt das Bild des Kunden im Spiegel (Abb. 15). 35 Im publizierten Case-Film wird deutlich sichtbar, dass die derart virtuell “erschossenen” Nutzer unmittelbar physisch reagieren: Sie zucken zurück als wenn sie den Druck des Aufpralls der Kugel auf dem Körper real spüren würden. Ursula Stalder 320 Abb. 15: WWF (Russia) (2010), Moskau Abb. 14: Forever21 (2010), New York City Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 321 4 Ausblick. Die Bastarde kommen Nach einer Zeit weiterreichender teils euphorischer Thesen zur Bedeutung der Urban Media als Raum gesellschaftlicher Kommunikation bis hin zur (letzten) Rettung der bürgerlichen Stadt, gibt es zunehmende Tendenzen, diese emergierenden Infrastrukturen wegen der derzeit vorherrschenden Prädominanz der Werbung als gesellschaftlich bedeutungsloses Rauschen aufzufassen. Schliesst man sich Hickethiers Annahme der historischen Veränderbarkeit eines Dispositivs an, durch die die Dynamik medialer Entwicklungen “mitgedacht” werden kann, so lässt sich in Bezug auf die digitalen Out-of-Home-Medien vermuten, dass sich gerade diese Anordnungen noch weiter entwickeln und zur Entstehung eines eigenständigen “Wahrnehmungsdispositivs” führen werden. Naheliegend ist diese Vermutung auch deshalb, weil im Dispositiv Out-of- Home-Medien nicht nur die ältere Tradition der Aussenwerbung aufgegriffen wurde, sondern auch die des Fernsehens und des Internet, die beide bereits vor der Etablierung der digitalen Outof-Home-Medien ins Lebensumfeld integriert wurden, die beide im Vergleich zur Plakatwerbung nicht eine zwar differente, aber einheitliche Wahrnehmungsweise, sondern die Möglichkeit vieler verschiedener Rezeptionshaltungen hervorgebracht haben, die jede für sich intensiv eingenommen werden können. Die Flexibilität des Zuschauerverhaltens und die Multifunktionalität der Programmangebote (Arbeiten, Spielen, Surfen, Filmeschauen, Kommunizieren usw.) sind spezifische Eigenheiten sowohl des Dispositivs Fernsehen wie auch des Computers; eine Festschreibung auf eine einzige Eigenschaft verkennt deren Besonderheit. Das Subjekt folgt bei seiner selbstgewählten Zuwendung zum Screen und selbständigen Selektion aus den Möglichkeiten nicht den Interessen des “Senders” (des Produzenten), sondern seinen subjektiven Bedürfnissen nach informativer Orientierung, nach Unterhaltung und emotionaler und kognitiver An- oder Entspannung und wählt aus den Möglichkeit ganz unterschiedlicher Rezeptionshaltungen. (vgl. Hickethier 1995: 74) Prognosen vom “globalen Dorf” (Marshall McLuhan), der “time-space compression” (David Harvey) und den “space of flows” (Manuel Castells), die oftmals androhten, dass Raum als soziale Kategorie obsolet würde, haben sich offenbar nicht bewahrheitet. Entgegen den Befürchtungen kommt es durch die zunehmende Verbreitung digitaler und pervasiver Medien keineswegs zu einer unmittelbaren “Tilgung von Raum”, sondern eher zu einer weiteren Vervielfältigung von Räumlichkeit oder räumlicher Konstellationen (vgl. Günzel 2010). Zum einen hat durch die wachsende Konkurrenz zwischen Marken und Standorten die Besonderheit des Ortes an Bedeutung gewonnen. Dabei verändern sich Normen räumlicher Gestaltung und anstatt von Funktionalität werden Räume nun von einer Welt der Zeichen bestimmt und müssen für Inszenierungen und Simulationen geeignet sein. So gesehen sind an der Schnittstelle dieser realen, virtuellen und symbolischen Räume “Hyperlokalität” (Bruce Sterling): hybride Medien, Hand in Hand mit hybriden Räumen, Mischlinge, wie sie typisch für die Digitalisierung sind. Das Hybride, Vermischte, sich Durchdringende oder Überlagernde gilt seit zwei Jahrzehnten als Kulturphänomen und Signatur der Postmoderne (vgl. Tholen 2000). Von dieser Hybridisierung oder “Bastardisierung” spricht bereits Marshall McLuhan, und er beschreibt die gewaltigen Energien, die diese “Bastarde” freisetzen (McLuhan 1994: 85ff.). Nach ihm stellen sie zudem eine besonders günstige Gelegenheit dar, die strukturellen Komponenten und Eigenschaften von Medien zu erkennen. Digitale Out-of-Home-Medien stellen in diesem Sinn ein wunderbar anschauliches, weil wunderbar facettenreiches Phänomen der Postmoderne dar. Ursula Stalder 322 Literatur Augé, Marc 1994: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt/ Main: Fischer Böhme, Gernot 6 1995: Atmosphäre - Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Böhme, Gernot 2006: Architektur und Atmosphäre, München: Wilhelm Fink Bruhn, Manfred 4 2006: Integrierte Unternehmens- und Markenkommunikation. 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(2006)] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Abb. 7 - Amnesty Internation (Schweiz) (2006)] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Abb. 8 - HBO Home Box Office (2007), New York City] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Abb. 9 - Maison Hermès (2009), Tokyo] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Abb. 10 - Amnesty International (Deutschland), 2008] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Abb. 11 - Calvin Klein (2010), New York City] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Abb. 12 - Giorgio Armani Parfums (2011)] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Abb. 13 - Tesco/ Homeplus (2010), Seoul] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Abb. 14 - Forever21 (2010)] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Abb. 15 - WWF (Russia) (2010)] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Anmerkungen 1 Eine Sammlung von Grundlagentexten zur Raumtheorie aus Philosophie und Kulturwissenschaften liegt mit Dünne & Günzel (2006) vor. Für einen Literaturbericht zu den verschiedenen raumtheoretischen Positionen in der angloamerikanischen und deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Publikationen seit 1997 vgl. Bürk (2006). - Auf der gemeinsamen Grundannahme raumtheoretischer Diskussionen in den Kulturwissenschaften, dass Räume nicht einfach unveränderlich vorhandene physische Orte oder Wahrnehmungsbedingungen sind (“places”), sondern kulturell konstituiert werden (“spaces”), basiert auch die Raumsoziologie von Martina Löw (2001). Sie bezeichnet als “Ort” eine benennbare Stelle oder einen Platz, eine geografische Markierung. Als “Raum” dagegen definiert sie eine relationale (An)Ordnung sozialer Güter und Menschen an Orten. Sie geht damit analytisch von einem sozialen Raum aus, der durch materielle und symbolische Komponenten gekennzeichnet ist. Löw wendet sich gegen die sonst übliche Trennung in einen sozialen und einen materiellen Raum, “welche unterstellt, es könne ein Raum jenseits der materiellen Welt entstehen (sozialer Raum), oder aber es könne ein Raum von Menschen betrachtet werden, ohne dass diese Betrachtung gesellschaftlich vorstrukturiert wäre (materieller Raum)”. Unter Verweis auf Bruno Latour sind für Löw Räume hybrid, gemischt aus materialdinglicher und menschlicher Welt (Löw 2001: 160). 2 Das Bild, resp. die Bedeutung der Bildlichkeit ist Thema der Bildwissenschaft, vgl. dazu Sachs-Hombach (2005). - Nach Roland Posner soll die Bildwissenschaft die bei Bildanalysen vorhandene Gefahr einer zu starken sprachwissenschaftlichen Orientierung mit ihrem “kommunikativistische(n) Fehlschluss […] bekämpfen, alle Bilder seien Kommunikationsmittel in der Art von Sätzen.” ; ebenso notwendig sei es, den “ästhetische(n) Fehlschluss” der Kunst- und Musikgeschichte zu überwinden, der darin bestehe, sämtliche Bilder zu Kunstwerken oder ihrem Wesen nach zu Kunst zu erklären. Dabei werden statt künstlerischer Bilder vornehmlich “Gebrauchsbilder des Alltags” (z.B. Schilder, Piktogramme, Plakate, technische Zeichnungen und die Bildgebungsverfahren der verschiedenen Berufe und wissenschaftlichen Disziplinen) analysiert (Posner 2003: 18ff.). - Zu den Grundlagen der visuellen Kommunikation vgl. Kroeber-Riel & Esch (2011) und Schierl (2005) zu den zentralen bildthematischen Fragestellung in der Werbung. 3 Dazu gehören Entwicklung, wie beispielsweise 1) die stetige Zunahme der technischen Möglichkeiten zur (digitalen) Bildproduktion bei gleichzeitiger Verbesserung und Vereinfachung, 2) der Preiszerfall bei der Herstellung von Bildern, 3) die fortschreitende Informationsüberlastung (“information overload”), die die “schnelle” und “verdichtete” Bildrezeption begünstigt und dadurch die Visualisierung der Kommunikation fördert, 4) die Sättigung der Märkte, die unter den Bedingungen der Informationsüberlastung eine möglichst schnelle, daher meist visuelle Aufnahme der Werbebotschaft durch den Rezipienten erzwingt, und 5) das Fernsehen, das als Leitmedium, das - wie andere elektronischen Medien auch - selbst ein bildbetontes Medium ist, die Gewohnheit, nur noch “schnelle” Bilder zu konsumieren, zusätzlich fördert (vgl. Schierl 2001: 228). Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 325 4 Im Kontext dieses Texts wird der Begriff “öffentlicher Raum” bewusst unscharf, alltagssprachlich verwendet, um einen Raum zu bezeichnen, der einen öffentlichen Charakter hat, der Öffentlichkeit zugänglich ist, resp. von der Öffentlichkeit genutzt wird; er steht damit dem “privaten Raum” gegenüber, der üblicherweise nicht öffentlich zugänglich ist, wie einerseits private Wohnräume oder Unternehmensimmobilien, die üblicherweise nur den Angehörigen dieser Gruppen zugänglich sind. - Mit dieser alltagssprachlichen Verwendung soll einerseits dem engen Verständnis von “öffentlichem Raum” als öffentlich-rechtlichem Raum, d.h. der Eigentum der öffentlichen Hand ist, vermieden werden. Andererseits sollen diskursiv besetzte Termini wie etwa “Liminiale Räume (liminal spaces, Zukin 1993), “Erinnerungsorte” (lieux de mémoire, Nora 1984), “Nicht-Orte” (nonlieux, Augé 1994), “Dritte Orte” (third places, Oldenburg 1999), “Andere Räume”, “Utopien”, “Heterotopien” (Foucault 2006) etc. ausgewichen werden. Für die nachfolgenden Ausführungen spielt der Raumbegriff nur insofern eine Rolle, als dass davon ausgegangen wird, dass der Raum - als Schnittstelle von Technik, Semiotik und Gebrauchspraxen - die Wahrnehmung und Wirkung der Kommunikation mitbestimmt. 5 Der Begriff “Pervasive Computing”, resp. “Ubiquitious Computing” wurde 1991 von Mark Weiser geprägt. Nach seiner Vision verschwindet der Computer als Gerät wird und durch “intelligente Gegenstände” ersetzt, die den Menschen bei seinen Tätigkeiten unmerklich unterstützen (Weiser 1991). Müller et al. gehen dabei davon aus, dass analog zur Entwicklung des Internet die Werbung als Geschäftsmodell die weitere Entwicklung des Pervasive Computing vorantreiben wird, da die Eigenschaften des Pervasive Computing - Automatisierung, Interaktivität, Ubiquität - es zu einem leistungsfähigen Instrument für die Erreichung der Werbeziele machten, und sprechen in der Folge von “Pervasive Advertising” (Müller et al. 2011). 6 Diese doppelte “Privatisierung des öffentlichen Raums” - einerseits durch Marken, andererseits durch die Kontrolle im Auftrag von Unternehmen - stört, so befürchtet die kulturpessimistische Kritik das organische Gefüge und die Heterogenität einer lebendigen Stadt: Durch die Funktionalisierung der Städte als Konsumgut (vgl. Klingmann 2007) transformieren diese zu “Nicht-Orten” im Sinne von Marc Augé (vgl. Augé 1994), die zwar im Bereich des Konsums klar definierte Handlungsspielräume eröffnen, ökonomischen Imperativen folgend jedoch rasch zu gigantischen “Verkaufsmaschinen” verkümmern (vgl. Zurstiege 2008). 7 Der Begriff “digitale Out-of-Home-Medien” wird hier als Oberbegriff für die verschiedenen Anwendungstypen digitaler Medien im öffentlichen Raum verwendet. Zu einer Typologisierung der Gebrauchsweisen digitaler Outof-Home-Medien vgl. Stalder (2011). 8 Zum Stand der Medialitätsforschung vgl. Wissenschaftsrat (2007). Medialitätsforschung analysiert Medialität - das Spezifikum eines Mediums, das im Vergleich zu andern Medien im Blick auf etwas Drittes (etwa die kommunikative Leistung, die ästhetische Form oder die technische Gestaltung) ersichtlich wird - als einen konstitutiven Aspekt im Prozess der Herstellung von Kommunikation, der Vermittlung und Speicherung von Wissen sowie der Formation von Kultur. Medien werden als ‘organisierende Mitte’ zwischen Technologie, (ästhetischen) Formen und kommunikativen Prozessen analysiert. Damit rückt die Medialitätsforschung die “Materialität der Kommunikation” in das Zentrum des Erkenntnisinteressen. Sie wendet sich damit kritisch gegen eine gewisse “Medienvergessenheit” von Teilen der etablierten Geisteswissenschaften. “Mit ‘Medienvergessenheit’ ist gemeint, dass in jenen Fächern nicht ausreichend gefragt wird, inwiefern Medien in ihrer sozialkommunikativen, ästhetischen und technischen Dimension stets zugleich auch mitkonstituieren, was sie nur zu vermitteln bzw. zu transportieren scheinen” (Wissenschaftsrat 2007: 89ff.). 9 Mit dem Begriff des “Dispositiv”, resp. des “Mediendispositiv” beschreiben Knut Hickethier (1992, 1995, 2002), Carsten Lenk (1996) und andere die institutionelle, technische und inhaltliche Entfaltung der Medien im Zusammenhang mit der Entstehung entsprechender Wahrnehmungsmuster. Das Dispositiv entsteht über die “Vermittlungs-, Aneignungs- und Nutzungsweisen” (Lenk 1996: 23) der technischen Geräte und Dienste sowie der darüber gesendeten Inhalte. “Mit Hilfe des Begriffs Mediendispositivs lässt sich die technische, ökonomische und inhaltlich-formale Dimension […] nicht nur im Zusammenhang der Entfaltung von entsprechenden Wahrnehmungsstrukturen beschreiben. Ein solches […]Dispositiv rekurriert auch zugleich auf die Kontexte, die Vermittlungs-, Aneignungs- und Nutzungsweisen […]” (Schönberger 2003: 115). In der deutschsprachigen medientheoretischen Debatte hat sich seither “Dispositiv” als Begriff etabliert, der eine spezifische Konstellation von Mensch und technisch-apparativer Anordnung sowie ihren diskursiven Erweiterungen bezeichnet und mit dem sich ein Konzept zur theoretischen Erfassung von Medien, Wahrnehmung und Vorstellung verbindet (vgl. Hickethier 2002). 10 Es handelt sich dabei um Vorüberlegungen, d.h. ohne ausreichende Begründung oder Auslotung der tieferen Wurzeln und damit ein bewusster Verzicht auf eine theoretische Fundierung in den Grundlagen der Bild-, Film- oder Mediensemiotik. Es geht weniger darum eine vorgefertigte Begrifflichkeit auf dieses relativ neue mediale Phänomen “anzuwenden”, sondern eher darum das Spezifische dieser Medien herauszuarbeiten, um die Eigenscheiten und Potenziale im Werbekontext besser zu verstehen. Ursula Stalder 326 11 Für eine Grundlegung des Begriffs “Erlebnisgesellschaft” vgl. Schulze (2005), Wöhler (2008). Postmaterialistisches Konsumieren seit längerem ein Thema, vgl. Hirschmann/ Hollbrook (1982), Pine/ Gilmore (1999), Mikunda (2007). 12 Dieser Ansatz zur Einordnung verschiedener Aspekte lehnt sich an die “Anverwandlung” der von Charles W. Morris unterschiedenen drei Dimensionen des Zeichengebrauchs (Pragmatik, Semantik und Syntaktik) an, wie sie Jörg Dünne für Raumfragen vorschlägt. vgl. Dünne (2004: 10). 13 Durch neuere Entwicklungen wird dieser, durch den technischen Apparat vorgegebene Rahmen stark flexibilisiert: Das Internet, das auf immer mehr verschiedenen Endgeräten an immer mehr Orten mit immer höhreren Geschwindigkeiten verfügbar ist, gilt dabei als Treiber. Ein und derselbe Inhalt ist sowohl auf sehr kleinen wie auf sehr grossen Screens abrufbar und in höchst unterschiedlichen räumlichen Kontexten nutzbar, und entsprechend verschieden sind auch die Wahrnehmunsgeffekte. Das gilt auch für digitale Out-of-Home-Medien. 14 Dieselben Erhebungen zeigen auch, dass in diesen Anwendungsformen digitaler Out-of-Home-Medien sämtliche dargestellten Inhalte als Werbung wahrgenommen werden, auch wenn es sich um News-, Unterhaltungs- oder Service-Beiträge handelt (vgl. Stalder/ Boenigk 2009). 15 Daniel Michelis identifiziert in seiner Untersuchung 5 Motivationsfaktoren und leitet daraus 8 zentrale Gestaltungselemente für interaktive Großbildschirme im öffentlichen Raum: die Display-Grösse, die Display- Ausrichtung, die Anzahl der Displays, die Inhalte auf den Displays, die Position des Nutzers, die Nähe des Nutzers zu den Displays, der Interaktionsbereich des Nutzers, sowie der Interaktionsmodus (vgl. Michelis 2009). 16 Zur kognitionspsychologischen Fundierung des Begriffs “Aufmerksamkeit” vgl. Kroeber-Riel (1996). 17 Zum Begriff “Atmosphäre” vgl. Böhme (1995, 2006). In der Alltagssprache bezieht sich der Begriff entweder auf eine subjektive Stimmung, die sozial und von der äusseren Umgebung vermittelt wird (rezeptionstheoretische Perspektive) oder auf eine objektive Eigenschaft einer Umgebung, die sich nicht allein auf einen einzelnen Gegenstand zurückführen lässt, sondern auf die Art der Zusammenstellung dieser Umgebung. Martina Löw diskutiert im Zusammenhang mit ihrer Raumsoziologie auch die Frage nach den Atmosphären von Räumen und stellt fest, dass “Raume eine eigene Potentialität entwickeln, die Gefühle beeinflussen kann. Diese Potentialität der Räume” bezeichnet sie als “Atmosphäre”. Nach Löw entstehen Atmosphären durch die Wahrnehmung von Wechselwirkungen zwischen Menschen und/ oder aus der Aussenwirkung sozialer Güter. “Atmosphären setzen somit eine Gleichzeitigkeit von wahrnehmendem Subjekt und wahrnehmbarem Objekt voraus” (Löw 2001: 204ff.). Eine solche Gleichzeitigkeit schlägt auch Gernot Böhme (1995) zur Bestimmung des Phänomens vor; er definiert Atmosphäre als “die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen” (Böhme 1995: 34). Wegen ihrer Reproduzierbarkeit, d.h. ihrer stets ähnlichen Wirkung auf verschiedene Menschen, sind Atmosphären für Böhme eine objektive Gegebenheit. 18 Die Bespielungsarten werden wie folgt skizziert: Autoaktiv ist der Zustand, in dem Bewegtbild auf einer dynamischen Fassade abgespielt wird. Das Bildmaterial kann von den Gestaltern der Fassade direkt produziert sein, von Mediengestaltern und -künstlern für eine bestimmte Fassade entwickelt werden oder durch eine Community über das Internet aufgerufen und zugespielt werden. Bei reaktiven Bespielungskonzepten reagiert die Fassade auf ihr Umfeld. Durch Kameras, Sensoren und Messsoftwares werden externe Parameter in Echtzeit erfasst und die Bespielung an die Veränderungen daran angepasst. Typische messbare Einflussfaktoren sind das Wetter, die Lichtverhältnisse oder Geräusche, aber auch Faktoren, die mit dem Innern und der Funktion der Räume zusammenhängen wie z.B. Frequenzen und Tempo von Passanten, Ein- und Ausfahren von Zügen in Bahnhöfen, die Dichte des Strassenverkehrs etc. Bei interaktiven Bespielungskonzepten werden die Menschen in die Bespielung der Bewegtbildflächen mit einbezogen. Durch Interfaces in der Umgebung oder Schnittstellen wie beispielsweise mobile private Geräte wie Handy, PDA’s oder Laptops kann die Bespielung verändert, erweitert oder mit ihr spielerisch manipuliert werden. Der Nutzer wird dadurch vom blossen Rezipienten zum Produzent/ Distribuent von Symbolen und Botschaften - auch wenn in einem eng begrenzten, von den Initiatoren vorgegeben Spielraum. Bei partizipativen Bespielungskonzepten hat die interessierte Öffentlichkeit die Möglichkeit, die Bewegtbildfläche durch eigene gestalterische Beiträge zu bespielen und untereinander in Dialog zu treten. Durch die Bewegtbildfläche entsteht eine Community, die sich über konkrete Installationen hinaus formiert und weiter austauscht. 19 Der Begriff “Weisses Rauschen” (white noise), ursprünglich ein Begriff aus der Physik, bezeichnet ein Phänoment, das aus einer gleichförmigen, endlosen Überlagerung verschiedener Signale gebildet wird. In seiner Struktur sind alle Informationen enthalten, ohne dass einzelne Informationen daraus isoliert wahrgenommen werden könnten. Alle Töne, alle Hintergrundgeräusche, alle Farbklänge, alle Einzelformen verbinden sich zu einem homogen wirkenden Rauschen. Beispiel dfür sind etwa das “Schneebild” auf dem Fernseher bei gestörtem Empfang oder das Rauschen von Radios auf Frequenzen, die nicht von einem Sender belegt sind (vgl. Piehler 2006). Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 327 20 Tom Gunning stellt genau diese Betonung des Bildes als Ereignis in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zum frühen Kinofilm: “Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Kino der Attraktionen die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sehr direkte Weise fordert, in dem es die visuelle Neugier weckt und vermittels eines aufregenden Spektakels Vergnügen bereitet […]. Diese Art des Filmemachens ist durch das direkte Ansprechen des Publikums gekennzeichnet […]. Der dramatischen Zur-Schau-Stellung wird der Vorrang gegeben vor dem Narrativen, dem direkten Auslösen von Schocks oder Überraschungen vor dem Ausbreiten einer Geschichte oder dem Erschaffen eines diegetischen Universums” (Gunning 1996, zitiert nach Fürst 2009: 133). 21 In der kulturwissenschaftlichen Raum-, resp. Medialitätsforschung wird zudem die Einbindung des öffentlichen Raums in einen grösseren gesellschaftlichen Rahmen, der wiederum durch Regeln, Vereinbarungen, Konventionen und ihre institutionellen Verfestigungen und materialen Vergegenständlichungen thematisiert und deren Einfluss auf die Kommunikation untersucht. 22 Nach Erika Fischer-Lichte werden durch Performances Situationen geschaffen, in der zwei grundlegende Relationen neu bestimmt werden: zum einen die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, Betrachter und Betrachtetem, Zuschauer und Darsteller, und zum andern die Beziehung zwischen Körperbzw. Materialhaftigkeit und Zeichenhaftigkeit der Elemente, zwischen Signifikant und Signifikat (vgl. Fischer-Lichte 2004: 19ff.). “Als Dreh- und Angelpunkt dieser Prozesse fungiert nicht mehr das von seinem Produzenten wie von seinen Rezipienten losgelöste und unabhängig existierende “Artefakt”, das als Objekt aus der kreativen Tätigkeit des Künstlersubjekts hervorgegangen und der Wahrnehmung und Deutung des Rezipientensubjekts anheimgegeben ist. Stattdessen haben wir es mit einem Ereignis zu tun, das durch die Aktion verschiedener Subjekte - der Künstler und der Zuhörer/ Zuschauer - gestiftet, in Gang gehalten und beendet wird. Damit verändert sich zugleich das Verhältnis zwischen Materialstatus und Zeichenstatus der in der Aufführung verwendeten Objekte und vollzogenen Handlungen. Der Materialstatus fällt nicht mehr mit dem Signifikantenstatus zusammen, er löst sich vielmehr von ihm ab und beansprucht ein Eigenleben. Das heisst, die unmittelbare Wirkung der Objekte und Handlungen ist nicht von den Bedeutungen abhängig, die man ihnen beilegen kann, sondern geschieht durchaus unabhängig von ihnen, teilweise noch vor, in jedem Fall aber jenseits von jedem Versuch eine Bedeutungsbeilegung” (Fischer-Lichte 2004: 29). 23 “So verschieden die Strategien auch sein mögen, sie haben eines gemeinsam: Sie sollen nicht nur - wenn überhaupt - Rollenwechsel, Bildung und Zerfall von Gemeinschaften, Nähe und Distanz darstellen und bedeuten. Sie bewerkstelligen vielmehr, dass Rollenwechsel tatsächlich vollzogen werden, Gemeinschaften sich bilden und wieder zerfallen, Nähe und Distanz hergestellt wird. Dem Zuschauer werden Rollenwechsel, Gemeinschaftsbildung und Zerfall, Nähe und Distanz nicht lediglich vorgeführt, sonder er erfährt sie als Teilnehmer der Aufführung am eigenen Leib” (Fischer-Lichte 2004: 62). 24 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=3540 25 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=3536 26 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=1717 27 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=3547 28 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=871 29 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=2468 30 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=3294 31 http: / / www.youtube.com/ watch? v=Dh-URBXDgVA 32 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=2579 33 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=2567 34 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=3538 35 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=2722