eJournals Kodikas/Code 34/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
In diesem Beitrag werde ich auf die Besonderheiten der verbalen Aggressionsäußerung bei Jugendlichen aus dem Blickwinkel des Geschlechts eingehen. Die empirische Basis bilden schriftliche Umfragen bei 200 Wiener Schülerinnen und Schülern (100 Mädchen und 100 Jungen) im Alter von 13 bis 18 Jahren, die ich im Laufe der Jahre 2008 bis 2010 durchgeführt habe. Es werden sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte des Gebrauchs aggressiver Sprechakte behandelt. Im Anschluss an Searle (1991: 221) bezeichnen andere Autoren (Ermen (1996: 41), Marten-Cleef (1991: 6)) als expressive Sprechakte diejenigen Sprechakte, die Gefühle und Einstellungen des Sprechers zum Ausdruck bringen. Dementsprechend bezeichne ich Sprechakte, mit denen der Sprecher seine negativen Gefühle ausdrückt, als 'aggressive Sprechakte' und zähle dazu "Beschimpfung", "Fluch", "Verwünschung", "Drohung" und "aggressive Aufforderung".
2011
341-2

Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen

2011
Oksana Havryliv
Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen Oksana Havryliv In diesem Beitrag werde ich auf die Besonderheiten der verbalen Aggressionsäußerung bei Jugendlichen aus dem Blickwinkel des Geschlechts eingehen. Die empirische Basis bilden schriftliche Umfragen bei 200 Wiener Schülerinnen und Schülern (100 Mädchen und 100 Jungen) im Alter von 13 bis 18 Jahren, die ich im Laufe der Jahre 2008 bis 2010 durchgeführt habe. Es werden sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte des Gebrauchs aggressiver Sprechakte behandelt. Im Anschluss an Searle (1991: 221) bezeichnen andere Autoren (Ermen (1996: 41), Marten-Cleef (1991: 6)) als expressive Sprechakte diejenigen Sprechakte, die Gefühle und Einstellungen des Sprechers zum Ausdruck bringen. Dementsprechend bezeichne ich Sprechakte, mit denen der Sprecher seine negativen Gefühle ausdrückt, als aggressive Sprechakte und zähle dazu “Beschimpfung”, “Fluch”, “Verwünschung”, “Drohung” und “aggressive Aufforderung”. 1. Allgemeine Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Schülerinnen und Schüler Wenn es um die altersspezifischen Besonderheiten der Aggressivität geht, konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler in erster Linie auf die Gruppe der Kinder und Jugendlichen. Das ist auch verständlich, denn diese Altersgruppe ist, im Vergleich zu den anderen, besonders aggressiv (Vgl. Selg (1997: 108) darüber, dass das aggressive Verhalten bis zum 25. Altersjahr zunimmt um danach wieder abzunehmen, was man durch die gewonnenen Erfahrungen, die zum Verständnis der Disfunktionalität von Aggressionen führen, erklären kann). Die meisten Studien zur jugendlichen Aggressivität setzen den Hauptakzent auf die physische Aggression (Âàndura, Walters (1959), Olweus (2002), Pitkänen-Pulkkinen (1976), Schindler (1969), Wegricht (1975)). Verbale Aggression tritt als Forschungsgegenstand seltener auf: auf Basis deutscher Sprache sind die Arbeiten von Kiener E. (1973), Schad (1996), Schmitt (2006), Kaiser (1971), Katz D., Katz, R. (1931), Kluge (1996), Knobloch (1979) zu erwähnen; die Studie von Schtscherbinina (2006) beruht auf empirischer Basis, die die Autorin durch die Umfragen bei russischen Schülern gewonnen hat. Die Sprachwissenschaftler, die sich mit der verbalen Aggression beschäftigen, behandeln altersbedingte Besonderheiten dieses Phänomens nur skizzenhaft (Kiener 1983, Stavyzka 2008, Zhelvis 1997). K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Oksana Havryliv 120 Verbale Aggression spielt in der Pubertät eine besondere Rolle; die Jugendlichen bemühen sich in dieser Zeit, “[…] die soziale Balance zwischen dem erwachsenen und seinem pubertierenden Status aus dem Gleichgewicht zu bringen” (Stavyzka 2008: 57). Die Jugendsprache wird als sozialer Dialekt betrachtet. Im Slang jeder Subkulturgruppe gibt es viele pejorative Lexeme, weil eine seiner Funktionen in der Äußerung negativer Stellungnahme zu den sozial-üblichen Werten und im Falle der Jugendsprache zusätzlich in der Herausforderung, in der Provokation (da der Gebrauch von pejorativen Wörtern und Wendungen von den Erwachsenen negativ beurteilt wird) besteht. Schtscherbinina (2006) und Stavyzka (2008) weisen darauf hin, dass in der Kommunikation von Kindern und Jugendlichen die verbale Aggression wenn nicht als Norm, so als eine natürliche Form der sprachlichen Kommunikation wahrgenommen wird. Schtscherbinina (2006: 70) beobachtet, dass die Kinder in der Grundschule oft die Vulgarität und die Aggressivität ihrer Aussagen nicht wahrnehmen und nicht verstehen, dass ihre Aussagen jemanden beleidigen oder kränken können. Stavyzka spricht von der Polyfunktionalität der verbalen Aggression: Mit dieser aggressiven Sprache reden sie über das Komische, Tragische, Neutrale, d.h. Pejorativa und aggressive Sprechakte haben sich “[…] in einen normalen Kommunikationscode mit seinesgleichen verwandelt, der sie im Socium kennzeichnet, für die selbst aber keine Expression verkörpert (Stavyzka (2008: 57). Kennzeichnende Besonderheit des Gebrauchs aggressiver Sprechakte bei Jugendlichen ist, dass neben den typischen Intentionen, die dem verbalen aggressiven Verhalten zugrunde liegen - dem Abreagieren negativer Emotionen und/ oder Beleidigung des Adressaten -, die verbale Aggression oft bewusst und nicht im affektiven Zustand gebraucht wird. Zum verbalen aggressiven Verhalten bewegen die Jugendlichen im Vergleich zu den Erwachsenen) oft auch andere Motive: - Das Benehmen der Jugendlichen wird von der Gruppe determiniert, weshalb sie auch das sprachliche Verhalten von Mitschülern kopieren. Dies kann man auch beim Ausfüllen der Fragenbögen beobachten: der Inhalt und oft auch die Reihenfolge der angegebenen Wörter oder Sätze ist in einigen Fragenbögen identisch). - Epatage, Provokation der Erwachsenen. - Der Wunsch, erwachsen zu erscheinen, ihre Coolheit, Abgebrühtheit, Charakterstärke zu demonstrieren; der Gebrauch “erwachsener” Invektiva hat das Ziel, den Jugendlichen in die Erwachsenenwelt zu integrieren und dient gleichzeitig als Schutzmittel gegen die für dieses Alter typischen sexuellen und anderen Ängste und Phobien (daher die Produktivität von Pejorativa aus der sexuellen Sphäre). Aggressive Sprechakte können somit als Versuch, die Realität abzuwerten, als “Instrument der Angstbewältigung” (Kiener 1983: 154) oder als Anspornung in stressigen Situationen (Stavyzka 2008: 27) betrachtet werden. Auch Zhelvis spricht der verbalen Aggression eine Schutzwirkung gegen Ängste zu und führt Parallelen im Gebrauch von Schimpf- und Fluchwörtern zur Angstbewältigung und Anspornung zum Kampf von deutschen und russischen Soldaten im zweiten Weltkrieg an: Das Schimpfen half im Kampf den deutschen wie auch den russischen Soldaten, tödliche Gefahr abzuwerten. Russische Soldaten haben nicht, wie die sowjetische Propaganda behauptete, “Für die Heimat! Für den Stalin! ” geschrien, sondern neben dem traditionellen “Hurra! ” Fluch- und Schimpfwörter gebraucht” (2006: 228). - Sprachliche Selbstrealisierung, das Bestreben nach Originalität, Fähigkeiten zum Wortspiel (und daher die Produktivität individueller/ gruppenspezifischer Schöpfungen, Interna- Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen 121 tionalismen und Entlehnungen aus den anderen Sprachen). Stavyzka (2008: 57) beobachtet auch bei den ukrainischen Jugendlichen die Tendenz zu linguokreativen Fähigkeiten. Pejorative Okkasionalismen sind, wie auch die okkasionellen Bildungen generell, oft auf eine bestimmte Gruppe wie Familie, Freundeskreis, Schule oder Schulklasse beschränkt. In meinem Materialkorpus finden sich einige okkasionelle Beschimpfungen: Affenimperator, Futkanister, Kaugummi, Masturbationskünstler, Opfer, Spermatrinker, Steckdosenbefruchter, Hurenschlampenvieh, Mösefurz, Muschikopf. - Durch den Gebrauch von aggressiven Sprechakten im Allgemeinen und bestimmter Pejorativa im Einzelnen seine Zugehörigkeit zur Teenagergruppe zu demonstrieren. Eine Untergruppe bilden hier die Beschimpfungen in der Anrede als Äußerung des korporativen Geistes, als Anerkennung des Adressaten als Teil der Gruppe; - Verbale Aggression als Kontaktaufnahme Diese kontaktstiftende Funktion der verbalen Aggression lässt sich am Beispiel des Auszugs aus “Tom Sawyer” beobachten: zwei Jungen möchten den Kontakt zueinander aufnehmen, dabei beginnt die verbale Kommunikation seitens Tom mit einer indirekten Drohung: - So schauten sie lange einander herausfordernd in die Augen. Endlich sagte Tom: “Soll ich dich prügeln? ” - “Das möchte ich doch erst einmal sehen! ” - “Das wirst du allerdings sehen! ” - “Du kannst es ja gar nicht! ” - “Wohl kann ich’s! ” - “Pah! ” - “Wohl kann ich’s! ” - “Nicht wahr! ” - “Doch wahr! ” - Eine ungemütliche Pause. Darauf wieder Tom: “Wie heißt du denn? ” 1 - Verbale Aggression als Überprüfung des Adressaten auf seine Fähigkeit, sich selbst zu behauten (Vgl. z.B. Schtscherbinina (2006: 213) über die Überprüfung “sozialer Standhaftigkeit” neuer Schüler in der Klasse). - Der routinemäßige Gebrauch von Schimpf- und Fluchwörtern in emotional neutralen Situationen, als Pausenfüller in einem Gespräch, der für eine Reihe von Sprachen typisch ist - für das Ukrainische, Polnische, Tschechische, Serbische, Englische, Italienische, Russische (Schtscherbinina (2006: 28) beobachtet diesen Gebrauch bei russischen Schülern und setzt ihn mit dem niedrigen Niveau der sprachlichen Entwicklung und mangelhaften Fähigkeiten, seine Gedanken und Gefühle in Literatursprache auszudrücken, in Verbindung). Burgen schildert dieses Phänomen sehr anschaulich am Beispiel des Englischen: Es gibt aber auch Menschen, für die Flüche einen wesentlichen Teil des Sprechrhythmus darstellen. Wie wir sehen werden, hat das bei englisch Sprechenden zu einem typischen Satzbau geführt, der regelmäßig mit dem Ausdruck fuck untermauert wird (das seine eigentliche Bedeutung, “ficken”, dabei fast gänzlich verloren hat). Viele von ihnen benötigen so dringend dieses fuck, um sich durch die verschlungenen Pfade eines Satzes aus fünf Wörtern zu manövrieren, dass sie ohne diesen Ausdruck tonlos den Mund auf- und zuklappen würden wie ein Fisch, den eine Welle hoch aufs Trockene gespült hat (1998: 23). Dasselbe beobachtet der Autor bei den Fernsehinterviews mit Fußballspielern und Polizisten: “Unter Druck gesetzt durch den Umstand, dass man vor Gericht oder im Fernsehen nicht fuck Oksana Havryliv 122 sagen darf, wird ihre Sprechweise gestelzt, stockend, ihrer natürlichen Kadenz beraubt” (1998: 61). Zwar ist der Gebrauch aggressiver Sprechakte in dieser Funktion im Deutschen selten, doch viele Jugendliche aus der Unterschicht gebrauchen Scheisse an jeder Stelle, als Pausefüller, und nicht nur zur Äußerung negativer Emotionen. Typisch für das Schimpfvokabular von Wiener Schülern ist der häufige Gebrauch pejorativer Lexeme und Wendungen aus der sexuellen Sphäre (Hure, Nutte, Schnacksla, Beid’l, Wichser, Schwuchtel, Fut, Fotze, Homo, Bitch, Hurenkind, Masturbationskünstler, Spermatrinker; Fick dich! ) sowie Lexeme, die auf körperliche (oder geistige) Gebrechen gerichtet sind (Spasti, Spacko, Behinderter, Alzheimer, Mongo, Vollmongo, Mongokind, Krüppel, Krüppelvieh). Auch rassistische Beschimpfungen sind bei den Schülern häufig anzutreffen ((elender)Neger, Tschusch, Jud’, Türke (Lern Deutsch, alter Türke! ), Zigeuner, Scheißzigeuner, Schlitzaug’, Türkensau, Kanackensau, Ausländer(schwuchtel) etc.). Abkürzungen, die für die Jugendsprache generell kennzeichnend sind, kommen auch im Bereich pejorativer Lexik vor: Huso (Hurensohn), Hubo (Hurenbock), Asso, Hirni, Spasti, Homo, Zigo, OMG (O mein Gott), WTF (What the Fuck! ), WTH (What the hell! ). Frequent bei den Wiener Schülerinnen und Schülern ist der Gebrauch von pejorativen Lexemen und aggressiven Formeln, die für das Deutsche untypisch sind, da sie gegen Tabus verstoßen, die im deutschsprachigen Raum nicht verbreitet sind (Verwandtenschmähung/ Mutterbeleidigung) - Motherfucker! Ich ficke Deine Mutter! Deine Mutter ist eine Hure! Fick deine Mutter! Deine Mama! / Mutter! / Oma! usw. Das lässt sich durch den Einfluss von Mitschülern erklären, die aus Kulturen kommen, wo diese Beleidigungen verbreitet sind. Auch Internationalismen und fremdsprachige pejorative Wörter und Wendungen kommen bei den Vertretern dieser Altersgruppe viel häufiger als in anderen Altersgruppen vor. Unter Internationalismen verstehe ich vorwiegend aus dem Englischen entlehnte pejorative Wörter und Wendungen, die weltweit zum Ausdruck negativer Emotionen gebraucht und verstanden werden. Der Gebrauch von pejorativen Internationalismen ist typisch für die erforschte Altersgruppe, die Produktivität mancher ist sehr hoch - fuck (65), shit (30), bitch (22). Der Grund für den häufigen Gebrauch von Internationalismen dürfte - neben dem Folgen modischer Trends - derjenige sein, dass es weniger Überwindung kostet, fremdsprachige Schimpfwörter auszusprechen als muttersprachliche (auch dann, wenn man die Fremdsprache fließend spricht und sich der Etymologie des Wortes bewusst ist). Der Schimpf- und Fluchwortschatz ist eine konservative Sphäre und integriert ungerne fremdsprachige Elemente. Die Ausnahme bildet verbale Aggression in der von uns untersuchten Altersgruppe: Wiener Schüler (vorwiegend Jungen) gebrauchen gerne serbische, polnische, englische italienische oder spanische Schimpfwörter: kurwa (jebana) (poln. “Hure”, “gefickte Hure”), puta (2) (spanisch “Hure”), cazzo (ital. “Schwanz”), putain (franz. “Hure”), merde (2) (franz. “Scheiße”), merda (portugiesisch “Scheiße), joder (spanisch “fuck”). Es mag dadurch erklärt werden, dass sie mit Schülern aus Migrantenfamilien aufwachsen. In den Fragebögen einiger Schüler aus Migrantenfamilien wird (neben den deutschen) auch auf den Gebrauch muttersprachlicher aggressiver Sprechakte hingewiesen (wobei sie nicht immer aufgezählt werden): z.B. serbische (jebem ti usta, mater ti nabijem, nabijem te, idi u kurac), polnische (kurwa, kurde), türkische (salak). Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen 123 2. Besonderheiten im Gebrauch aggressiver Sprechakte bei den Wiener Schülerinnen und Schülern 2.1 Sprechakt “Beschimpfung” Ich definiere den Sprechakt “Beschimpfung” als präsens-indikative Äußerung des Sprechers an den anwesenden oder abwesenden Adressaten in Form einer Prädikation, die sich mit dem Ziel, Emotionen abzureagieren und/ oder den Adressaten zu beleidigen, vollzieht und in der sowohl die absolute als auch die relative (okkasionelle) pejorative Lexik zum Einsatz kommt. Dies ist die breite Auffassung des Sprechaktes “Beschimpfung”, die auch monologische Formen umfasst und den Gebrauch pejorativer Lexeme nicht nur auf die absoluten (in Wörterbüchern fixierten) pejorativen Lexeme beschränkt (Vgl. Havryliv (2009: 69)). Adressatenbezogenheit ist, im Gegensatz zum Sprechakt “Fluch” (von dem weiter die Rede sein wird), für den Sprechakt “Beschimpfung” obligatorisch. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Adressat beim Vollzug des Sprechaktes anwesend ist; der Adressat einer Beschimpfung muss auch nicht unbedingt ein Mensch, sondern kann ein Tier oder ein Gegenstand sein (im letzen Fall haben wir es mit den Sachschelten zu tun). Die breite Auffassung des Phänomens verbaler Aggression ermöglicht uns, auch die Äußerungen ohne pejorativen Lexeme, die mit der Intention, den Adressaten zu beleidigen und/ oder die negativen Emotionen des Sprechers abzureagieren erfolgen, als Sprechakt “Beschimpfung” zu betrachten. Ich unterscheide deshalb zwischen der absoluten pejorativen Lexik (die in den Schimpfwörterbüchern fixiert wird und als solche auch außerhalb des Kontextes/ der kommunikativen Situation wahrgenommen wird) und der relativen pejorativen Lexik, die erst im Kontext/ in der Rede dank der Intention des Sprechers als solche funktioniert. So können z.B. die neutralen Bezeichnungen Mädchen oder Junge im Kontext pejorative okkasionelle Bedeutungen bekommen: etwa als Metapher Du Mädchen (zur Bezeichnung eines feigen Jungen) oder dank Verbindung mit einem pejorativen Attribut schwanzgesteuerte Jungs. Neutrale Lexeme können sich auch dank Verbindungen mit pejorativen Halbaffixen zu Pejorativen entwickeln: Affenjunge, Scheißlehrer, Scheiß-Rapidler (gegen Fußballfans der Wiener Fußballmannschaft “Rapid”). Doch in den meisten Fällen kommt es beim Sprechakt “Beschimpfung” zum Gebrauch von pejorativen Wörtern und Wendungen. Tabelle 1 zeigt die häufigsten Schimpfwörter, die Wiener Schülerinnen und Schüler gebrauchen (hier und in den nächsten Tabellen erfolgt die Gliederung nach geschlechtlicher Zugehörigkeit). Oksana Havryliv 124 Tabelle 1: Die häufigsten Schimpfwörter der Wiener Schülerinnen und Schüler 2 Mädchen Jungen 1. Arschloch, Oaschloch 45 1. Arschloch, Oaschoch 52 2. Trottel 33 2. Trottel 39 3. Idiot 26 3. Idiot 34 4. Schlampe 23 4. Hurensohn und Wichser 26 5. Wichser/ Wixer und Arsch/ Oasch 17 5. Sau 17 6. Sau und Alter/ Euda/ Oida 16 6. Scheißkind und Hure 16 7. Hure 12 7. Hurenkind 14 8. Hurensohn 11 8. Mistgeburt und bitch 13 9. Bitch 9 9. Schlampe, Arsch/ Oasch, Penner 12 10. Nutte 8 10. Depperter/ Depperte und Missgeburt 10 Kennzeichnend ist, dass sowohl in der Gruppe der Mädchen als auch in der Gruppe der Jungen die drei ersten am häufigsten gebrauchten Pejorativa dieselben sind, während die Liste weiter einige (unwesentliche) Unterschiede in der Häufigkeit derselben Pejorativa aber auch das Auftreten verschiedener Pejorativa (Alter/ Euda/ Oida, Nutte - bei den Mädchen; Depperte/ er, Missgeburt, Mistgeburt, Hurenkind, Scheißkind - bei den Jungen) aufweist. Wenn wir die Liste der häufigsten Pejorativa bei den Schülern mit der identischen Liste bei erwachsenen Befragten vergleichen (siehe Tabelle 2), die ich anhand schriftlicher und mündlicher Umfragen von 350 Wienerinnen und Wienern im Rahmen des Projektes “Verbale Aggression im Schnittpunkt der Wissenschaften von der Sprache und dem Menschen” (FWF) 2006-2008 zusammengestellt habe, stellen wir fest, dass es sich immer um dieselben drei häufigsten Schimpfwörter handelt. Diese drei häufigsten Pejorativa - Arschloch, Trottel, Idiot, werden spontan in einem Zuge erwähnt (was man bei der mündlichen Befragung gut beobachten kann), bevor die Befragten eine Pause einlegen, um weitere Pejorativa zu erwähnen oder zu notieren. Wenn wir die Liste weiter anschauen, dann stellen wir fest, dass sie in beiden Fällen - wie bei den Schülern so auch bei den erwachsenen Befragten - dem Inhalt nach ähnlich aussieht. In der Liste der am häufigsten gebrauchten Schimpfwörter der befragten Schülerinnen und Schüler fehlen nur zwei Wörter - Koffer und Depp -, dagegen gibt es noch einige, die bei der Gruppe erwachsener Befragten nicht zu den häufigsten Pejorativa zählen - bitch, Depperter/ e, Hurensohn, Hurenkind, Scheißkind, Nutte, Mistgeburt/ Missgeburt, Alter/ Oida/ Euda, Penner. Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen 125 Tabelle 2: Die häufigsten Schimpfwörter der Wienerinnen und Wiener 3 1. Trottel 2. Arschloch/ Oaschloch 3. Idiot 4. Sau, Drecksau 5. Koffer, Vollkoffer 6. Arsch/ Oasch 7. Depp 8. Hure 9. Wichser 10. Schlampe Anhand des Schimpfvokabulars (und konkret an der Länge einzelner synonymischer Reihen) kann man über das Wertesystem, über die Stellungnahme zu bestimmten Erscheinungen und über stereotype Vorstellungen in der jeweiligen Gesellschaft schlussfolgern (vgl. dazu auch Aman 1996 und Kiener 1983). Kiener (1983: 162) nimmt an, dass für jene Wertbereiche, die auf der Wertskala besonders hoch stehen oder gegen die oft verstoßen wird, eine größere Anzahl verschiedener abqualifizierender Ausdrücke zur Verfügung steht, weil sie sich einerseits durch den häufigen Gebrauch leicht verschleißen (“semantische Sättigung”) und andererseits meist auch differenzierte Sachverhalte ansprechen, für die sich jeweils besondere Ausdrücke herausgebildet haben. Desweiteren werde ich auf die wichtigsten Bereiche eingehen, auf die sich die von den Schülerinnen und Schülern angegebenen Pejorativa zurückführen lassen: Universale Pejorativa (Arschloch, Hurensohn, Mistgeburt u.a.) werden im Sprechakt “Beschimpfung” am häufigsten eingesetzt, da sie eine allgemeine negative Charakteristik des Adressaten liefern und in jeder ärgerlichen Situation gebraucht werden können, ungeachtet dessen, welche Eigenschaften/ Benehmensarten des Adressaten Ursache für die verbale Aggression sind. Die Pejorativität selbst steht bei dieser Gruppe im Mittelpunkt, weshalb sich die Semantik universaler Pejorativa durch einen hohen Verallgemeinerungsgrad kennzeichnet und man in diesem Fall von semantischer Diffusion, also Verschwommenheit, Unschärfe des begrifflichen Wortinhalts sprechen kann. Der Gebrauch universaler Pejorativa in jeder ärgerlichen Situation bestätigt die These: je abstrakter die Bedeutung, desto breiter der Anwendungsbereich des Wortes. Es lässt sich aber auch folgendes beobachten: die Häufigkeit des Gebrauchs eines Schimpfwortes zur Bezeichnung eines Menschen mit konkreter negativer Eigenschaft (z.B. Depp, Idiot, Trottel - zur Bezeichnung eines dummen Menschen, Hure, Schlampe, Nutte, bitch - zur Bezeichnung einer liederlichen Frau) verursacht seine Universalität - so kann nicht nur ein dummer Mensch, sondern jeder Mensch, über den wir uns ärgern, beschimpft werden. Der Blick auf die Oksana Havryliv 126 Tabelle1, die die häufigsten Schimpfwörter veranschaulicht, zeigt, dass es sich dabei um universale bzw. universal einsetzbare Schimpfwörter handelt. Eine für die Jugendlichen wichtige Sphäre ist die sexuelle Sphäre. In diesem Bereich lassen sich einige synonymische Reihen aussondern: Sexuelles Verhalten Mädchen Jungen Beidellutscher, Beidelpracker, (4), Futlecker, Masturbationskünstler, Schlappschwanz, Wichser (17), Pädophiler, Perversling, Schwanzlutscher (2), Schwanzwichser, Steckdosenbefruchter Beidl (6), Saubeidl, Oaschbeidl, Beidellecker, Beidellutscher, Bumsmaschine, Ficker/ Onkelficker, Pimmellutscher, Schwanzlutscher (5), Spermatrinker, Wichser (27), Mamaficker, Motherfucker, Mutterficker Homosexualität Mädchen Jungen Arschficker, Arschgefickter/ Oaschg’fickter, Homo, Homofürst, schwules Kind, schwule Sau, Schwuchtel (6), Schwulenbacke, Schwuler, Woama, woame Sau Arschficker, Homo (4), schwuler Hund, woame Sau/ Drecksau (3), Schwuchtel (7), Woama (4), Peder, Scheiß-Peder Die Pejorativa zur Bezeichnung eines Homosexuellen sind sowohl bei den Jungen als auch bei den Mädchen produktiv; interessant zu beobachten ist, dass in den Fragebögen der Schülerinnen und Schüler bei der Vielfalt der pejorativen Bezeichnungen eines homosexuellen Mannes keine einzige für die Bezeichnung einer Lesbe vorgekommen ist. Ganz anders ist es mit den pejorativen Lexemen zur Bezeichnung einer liederlichen Person - fast alle Bezeichnungen richten sich auf eine Frau, die Lust auf sexuelle Abenteuer hat (siehe Tabelle unten). Diese Tatsache könnte von der toleranteren Stellungnahme zu lesbischen Beziehungen oder zur männlichen Untreue bzw. männlichem freizügigem sexuellen Verhalten zeugen. Freizügiges sexuelles Verhalten Mädchen Jungen Bitch (9), Hur(e) (12), Luder, Nutte (8), Schlampe (23); Hurensohn (11) Bitch (12), Hur(e) ( 16), Nute (6), Puta, Putain, Schlampe (12); Hurensohn (26), Hurentochter Während der Referent von Pejorativa, die auf das liederliche Verhalten gerichtet sind, weiblich ist (mit Ausnahme von Hurensohn; ein männlicher Befragter hat außerdem als Analogie zu Hurensohn das Pejorativum Hurentochter angeführt), ist der Referent von Pejorativa, die auf sexuelles Benehmen gerichtet sind, männlich. Zur Bezeichnung einer Frau mit Lust auf sexuelle Abenteuer gibt es nicht nur im Deutschen, sondern in auch in vielen anderen Sprachen, mehr Pejorativa als zur Bezeichnung eines Mannes mit denselben Wünschen. Zudem sind die Pejorativa, die sich an die Frau richten, stärker und vulgärer, die Pejorativa zur Bezeichnung eines Mannes dagegen milder oder gar ambivalent. Nicht selten werden Wörter verwendet, die nicht auf den moralischen Standard des Mannes, sondern auf Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen 127 den seiner Mutter verweisen (und somit auch die Beleidigung der Frau - in diesem Fall der Mutter - implizieren) - Hurensohn, Hurenkind. Pejorativa aus der sexuellen Sphäre werden bei der relativ gleichen lexikalischen Vielfalt bei den beiden Geschlechtern häufiger von den Jungen gebraucht (z.B. Wichser - 27 gegen 17 oder Schwanzlutscher - 5 gegen 2). Einige Pejorativa werden nur von den Vertretern eines Geschlechts angegeben - z.B. Mamaficker, Motherfucker, Mutterficker, Onkelficker bei den Jungs; Okkasionalismen Steckdosenbefruchter oder Masturbationskünstler - von den Mädchen. Die Jungen gebrauchen häufiger als Mädchen metonymische Pejorativa, die die Geschlechtsteile bezeichnen (sowohl männliche als auch weibliche: Beidl, Saubeidl, Oaschbeidl, Schwanz, Fotze (5), Hurenfotze, Fut (5), Oaschfut, Schlatzfut, Mösefurz, Pussy (2); es kann auch zur Kreuzung der sexuellen und analen Sphäre kommen - Oaschfut, Oaschbeidl). Bei den Mädchen werden Pejorativa zur Bezeichnung männlicher Geschlechtsteile nicht erwähnt; metonymische Pejorativa, die weibliche Genitalien bezeichnen, werden auch seltener als bei den Jungen angegeben (Fotze (7), Fut, Grindfut). Geschlechtsorgane Mädchen Jungen Fotze (7), Fut, Grindfut Schwanz, Fotze (5), Hurenfotze, Fut (5), Oaschfut, Schlatzfut, Mösefurz, Pussy (2) Zwar spielt das Aussehen in der Pubertät eine wichtige Bedeutung, doch gibt es für diesen Bereich nicht viele Pejorativa. Aussehen Mädchen Jungen Arschgesicht, Fettsack, Kartoffelsack, Pickelweib, Sackgesicht, Schiacher; Fettsack (2), fette Sau Oaschgesicht, Sackgesicht, Stinkfüße; Blade, Fetti, Fettkugel, fette Sau, blade Sau Der Gebrauch von Pejorativa, die sich auf Krankheiten und Gebrechen zurückführen lassen, ist für die untersuchte Altersgruppe typisch. Dabei führen die Jungen sowohl mehr Pejorativa an als auch die Häufigkeit des Gebrauchs einzelner Pejorativa ist höher: Vgl. Mongo haben 8 Buben angegeben und nur 2 Mädchen; ebenso Spast/ Spasti/ Spacko - 7 gegen 2. Körperliche Gebrechen Mädchen Jungen Alzheimer (2), Behinderter (2), Mongo (2), Vollmongo, Spast (2)/ Spasti (2) Behinderter (3), behindertes Kind, Krüppel, Krüppelvieh, Mongo (8), Mongovieh, Spacko/ Spasti (7), Spastenkind Auch Nationalschelten werden vorwiegend von den Jungen gebraucht (die Ausnahme bilden nur drei Pejorativa, die die Mädchen angeführt haben), was für die höhere Toleranz der Mädchen spricht. Oksana Havryliv 128 Nationalschelten Mädchen Jungen Tschusch, alter Türke, Zigeuna Böhme, Chines, Dönner-Nutte, Jud (2), Jugo, Kanack(e) (4), Kanackensau, Türkensau, Aussländerschwuchtel, Neger, elender Neger, Nigger, Piefke, Saupreis, Schlitzaug’, Tschusch (9), Türke, Zigeuner (5), Scheißzigeuner, Zigo (2) Ebenfalls typisch für die erforschte Altersgruppe sind pejorative Zusammensetzungen und Wortverbindungen mit dem neutralen Lexem Kind: Mädchen Jungen Arschkind (5), blödes Kind, deppertes Kind (2), Du asoziales Kind, Grind(s)kind (2), Hurenkind (4), arschgeficktes Hurenkind, Idiotenkind, notgeiles Kind, Wixerkind, Saukind, Scheißkind (3), du Scheißkind, schwules Kind (2) Arschkind, behindertes Kind, Huankind (10), Hurenkind (2), Du Hurenkind, Mach du, Huankind, Oaschkind, Scheißkind (15), Hearst, Scheißkind, Spastenkind, Unkind Laut Zhelvis (1997: 54) gebrauchen Lehrer und Schüler dreimal öfters als Vertreter anderer Berufe Beschimpfungen, die den Adressaten als dumm bezeichnen. Dies bestätigt noch einmal die These, dass diejenigen Bereiche, die in der Gesellschaft (oder in einer konkreten Gruppe) eine wichtige Rolle spielen (in diesem Falle - Intelligenzniveau, Lernfähigkeit), zur Bildung vieler Pejorativa aus diesem Bereich und ihrem häufigen Gebrauch bewegen. Die synonymische Reihe zum “Dummkopf” ist bei den Mädchen länger. Dummkopf Mädchen Jungen Blödmann (5), blöde Blunz’n, blöde bitch, hirnamputierter Affe, Depp (4), Depperter/ Depperte (5), Doofkopf, Dummkopf (6), Dumpfbacke, Esel (2), Hirni, Hinhappler/ Hirnhappler (4), Idiot (26), Koffer (2), Vollkoffer (2), depate Kuh, Maulesel, dumme/ doofe Nuss, Trottel (33) Blödmann (3), Depp (8), Depperter/ e (10), Dummkopf (3), Dummschädel, Hirnamputierter, Hirsch, Idiot (34), Koffer (2), Vollkoffer (2), Narr, Trottel (39) Kennzeichnend nur für diese Altersgruppe ist der Gebrauch von Schimpfwörtern, die den Ursprung in den Sphären der Jugendkultur haben - siehe unten Definitionen aus Wikipedia: Emo (3) 4 , Emo-Kiddy, Scheiß-Emo, Gabba/ Gabber (2), Scheißgabber, Noob, Freak (2): Freak englisch: 1. jemand, der sich nicht in das normale bürgerliche Leben einfügt; 2. jemand, der sich in übertriebener Weise für etwas begeistert. Gabber/ Gabba eine Variante des Hardcore Techno; die Person, die der Gabberszene angehört. Diese Musikszene entstand 1991 in Rotterdam; durch die Unterwanderung seitens rassistisch gesinnter Personen haben Gabberanhänger ein rassistisches Image bekommen. Noob Beleidigung im Videospielbereich. Jemand, der spielt wie ein Anfänger Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen 129 Der Trend zum Gebrauch von Schimpfwörtern, die nach dem “Warmduscher-Prinzip” gebildet werden, lässt sich in dieser Altersgruppe nicht beobachten. Das Prinzip dieser Beschimpfungen besteht darin, dass der Sprecher alles, was er uncool findet, in einem Wort beschreiben und zur Beschimpfung des Adressaten verwenden kann. Es geht um die Pejorativa, deren Gebrauch sich laut Pasucha (2006: 32) zu einer “regelrechten Trendsportart” entwickelt hat und die es ermöglichen “ganze Geschichten in einem Wort unterzubringen” (Karl (2000: 23) führt z.B. für den Weichling eine ganze Palette von 51 Schimpfwörtern (von Apfelsaft-Trinker bis Zahnarzt-Fürchter) auf). Was den Gebrauch dialektaler Wörter und Wendungen anbetrifft, nehme ich an, dass die schriftliche Form der Umfrage die Befragten dazu verleitet, sich eher hochsprachlich auszudrücken und gehe deshalb davon aus, dass der Großteil der hochdeutschen Angaben (Arschloch, Schleich dich, Leck mich (am Arsch) usw.) in der Rede dialektal bzw. umgangsprachlich erfolgen würden (Oaschloch, Schleich di, Leck mi (am Oasch)). Da die Schimpflexik vorwiegend in der gesprochenen Sprache funktioniert, geben die Interviewten häufig verschiedene Schreibweisen von Wörtern an (G’schissener/ G’schissana, Geschissena, Kusch/ Gusch, Tepp/ Depp, Pappen/ Bappen, Mudda/ Mutta, Euda/ Oider/ Oida, Orsch/ Oasch usw.), die ich einheitlich verschriftlicht habe: z.B. depat, depad, tepat, teppert - deppert. Zu den 10 häufigsten Pejorativa der Wiener Schülerinnen und Schüler (vgl. Tabelle 1) gehören keine dialektalen Lexeme (mit Ausnahme vereinzelter Angaben der Schreibweisen von Lexemen Arsch/ Arschloch - Oasch/ Oaschloch), in der analogen Liste der erwachsenen Befragten finden sich dagegen zwei dialektale Lexeme - Koffer/ Vollkoffer auf Platz 5 und Depp auf Platz 7. Von den dialektalen Wörtern und Wendungen, die Wiener Schülerinnen und Schüler angegeben haben, werden die einigen häufiger gebraucht (Euda/ Oida (23), Oaschloch (10), Depperte/ er (15), Depp (12), Beidl (8), Tschusch (10), Koffer/ Vollkoffer (8), G’schissener (5), Gusch (18) u.a.), die meisten aber einzeln genannt (z.B. blöde Blunz’n, Beidlpracker, Funs’n, G’frastsackerl, Grindsack, Fetzenschädel/ Scheißfetzenschädel, oide Kuh, blade Sau, Hinhappler, Hiafla, Nudelaug, Mand’l, Nackerpatzel, Rotzpipen, Semmel, Saubua, Sandla, Zwergerl; Schaß; Hast a Letten? Wüßt mi frotzln? Zupf di/ Schupf di! Drah di ham). Es fällt auf, dass der Dialekt bei den Jungen häufiger als bei den Mädchen auf dem Satzniveau zur Äußerung kommt (siehe Beispiele unten), während die Mädchen meistens nur einzelne dialektale Pejorativa angeben, die im Sprechakt “Beschimpfung” funktionieren können: Himmel Arsch und Zwirn! Hoit di Bappen! Hoit di Gosch’n und puda deine Freundin! Hupf in Gatsch! I geb da gleich ane! I hau da ane owa, dass di noch auf da Westbahn drahst! I prack da ane, dass’d mitm Oasch auf’d Uhr schaust! Sag, hat dir jemand des Hirn verdraht oda wos? Wo bist’n du o’grennt? Die dialektalen Wörter und Wendungen gebrauchen auch die Schüler mit dem Migrationshintergrund; dabei finden sich in ihren Fragebögen neben den häufigen Pejorativa wie Oasch, Oaschloch, Depp, Depperter/ e, Trottel; Schleich di! Gusch! Wüßta Watsch’n? auch dialektale Oksana Havryliv 130 aggressive Sprechakte, die in den Fragebögen österreichischer Schüler nicht zu finden sind - z.B. Grindiger (2), schiacher Hund, Bameuda, Hiasch ohne G’weih; I fetz di. Im Sprechakt “Beschimpfung” können nicht nur pejorative Substantive, sondern auch Adjektive und Partizipien zum Einsatz kommen. Bei der Beschimpfung mit pejorativen Adjektiven wird, so Kiener (1983: 72), eine negative Eigenschaft zu einem Persönlichkeitsmerkmal generalisiert, was die gleiche Wirkung wie die Beschimpfung mit einem entsprechenden substantivischen Schimpfwort hat. Beschimpfungen mit pejorativen Adjektiven werden auch als indirekter Sprechakt - in Form von Fragesätzen - geäußert (Bist du deppert/ blöd? ). Die befragten Schülerinnen und Schüler führen in den Fragebögen eine Reihe pejorativer Adjektive und Partizipien auf: abgefuckt ang’rennt/ og’rennt; Bist wo ang’rennt? Wo bist’n du ang’rennt? behindert; Du bist so behindert bescheuert (2) beschissen (2) blöd (6); Biast blöd; Du bist echt (zu) blöd dämlich deppert (5); Bist (du) deppert? (10) doof (3) dumm (7) gearscht geisteskrank gemein hinicher hinterlistig oaschg’fingert schwanger; Bist du schwanger? (2) spastig Im Allgemeinen übertreffen die Jungs die Mädchen im Gebrauch von Beschimpfungen (sowohl die lexikalische Vielfalt als auch der Gebrauch einzelner Pejorativa ist bei den Jungs höher als bei den Mädchen). 2.1.1 Rituelle Beschimpfungen Eine Reihe von Autoren haben rituelle Beschimpfungen beschrieben (Burgen 1998, Ermen 1996, Labov 1980, Kiener 1983, Parks 1990, Schumann 1990). Nach Ermen (1996: 60) ist diese Form von verbaler Aggression in ländlichen Gegenden Italiens und Spaniens, in der Türkei, im Nahen Osten, bei mexikanisch-indianischen Jugendlichen verbreitet. Es handelt sich häufig um Initiationsriten der jungen Männer, die einerseits den Übergang zum Erwachsenensein markieren und andererseits die Stellung in der Gruppe des Einzelnen bestimmen. Im Gegensatz zu den oben angesprochenen rituellen Beschimpfungen in reinen Männerkreisen beobachten wir in der Ukraine (z.B. auf den ländlichen Hochzeiten auch heute) die gegenseitigen Beschimpfungen in Reigenliedern: die männliche und die weibliche Gruppe singen abwechselnd gegeneinandergerichtete kurze Lieder mit einem obszönen, provokativen Inhalt. Der ganze Prozess kann solange dauern, bis einer der Gruppen die Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen 131 Phantasie ausgeht, denn die Reigenlieder beginnen mit den fertigen Strophen und gehen langsam zu den spontan gedichteten über (Havryliv 2009: 147). Während historische Formen des Wortduells (z.B. in der griechischen Antike und in England) als Präludien zum bewaffneten Kampf dienten, besteht die Funktion moderner ritualisierter Aggression laut Ermen (1996: 182) in der Sicherung des sozialen Friedens durch die Simulation des Kampfes. Andererseits übersieht Ermen, dass die verbale Aggression (in Form von Beschimpfungen, Aufforderungen, Drohungen) häufig als Provokation (besonders bei den Jugendlichen) funktioniert, die somit den Streit vom Zaun brechen. Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche rituelle Beschimpfung ist, dass jeder der Kommunikanten weiß, dass die Proposition nicht wahr ist (vgl. Burgen 1998: 191; Labov 1980: 281). Anderenfalls wird sie zu einer persönlichen Beleidigung. Aus diesem Grund “[…] tendieren die Propositionen dazu, immer bizarrer und unwahrscheinlicher zu werden” (Labov 1980: 282), was auch mein Materialkorpus bestätigt: Ich habe deine Mutter letzte Nacht im Puff gebumst. Deine Mutter ist deine Schwester. Deine Mutter ist ein Mann. Sag deiner Mutter, sie soll beim nächsten Mal weniger Lippenstift nehmen, weil gestern mein Schwanz wie ein Regenbogen ausgeschaut hat. Mit rituellen Beschimpfungen wird selten der Adressat selbst, häufiger ein naher Verwandter von ihm - meistens seine Mutter - herabgesetzt. Diese Beleidigungen zielen meistens auf das sexuelle Verhalten der Mutter, seltener auf ihre Armut; es werden mit diesem Ziel sowohl fertige als auch selbst erschaffene Äußerungen gebraucht. Das häufige Vorkommen mutterbeleidigender Aussagen bei den Wiener Schülern würde ich durch den Einfluss von Mitschülern aus anderen Kulturen (wo diese Form ritueller verbaler Aggression verbreitet ist), die diese Aussagen wörtlich ins Deutschen übertragen, erklären: Deine Mutter, das Miststück. Deine Mutter geht am Strich. Deine Mutter ist eine Hure. Deine Scheißmama. Ich bumse deine Mutter. Ich fick deine Mutter (3). Deine Mutter stinkt aus’m Oasch. Deine Mutter ist billig. Doch während die österreichischen Schüler diese Form verbaler Aggression gerne nachahmen, können sie mit den Schülern, die den Migrationshintergrund haben, nicht mithalten: ihre Ausdrücke beschränken sich in der Regel auf die einigen wenigen wie Ich ficke deine Mutter oder Deine Mutter ist eine Hure, während die Schüler mit Migrationshintergrund in den Fragebögen die raffinierten Beleidigungen der Mutter angeführt haben: Ich ficke deine Mutter mit Hundefutter Deine Mutter ist deine Schwester. Deine Mutter ist ein Mann. Sag deiner Mutter, sie soll beim nächsten Mal weniger Lippenstift nehmen, weil gestern mein Schwanz wie ein Regenbogen ausgeschaut hat. Deine Mutter hat immer einen Penis im Arsch. Oksana Havryliv 132 Während die meisten Beschimpfungen dieser Gruppe den Adressaten nur indirekt beleidigen (in dem Sinne, da sie z.B. seine Mutter als Hure und ihn implizit als Hurensohn bezeichnen), richten sich die wenigen direkt auf den Adressaten, wobei gleichzeitig auch die Mutter beleidigt werden kann (Sohn eines Esels, der von einem Schaf gefickt wurde, das von einem Pavian gefickt wurde, der von deiner Mutter ‘nen Blowjob bekam! ). Die Beleidigung der Mutter kann auch dank elliptischen Konstruktionen die euphemistische Form annehmen: Deine Mudda, eu; Deine Mutter Oida! (2) Deine Mama Oida! Mit dem Zweck der Euphemisierung werden in der Schriftsprache Sternchen oder Pünktchen eingesetzt (Deine Mutter… (4), Ich ***** deine ******). Alle hier angeführten Beleidigungen stammen aus den Fragebögen der Jungen, die Mädchen haben nur ein Paar Äußerungen, die auf Beleidigung der Mutter zielen und, mit einer Ausnahme, reduzierte euphemisierte Äußerungen darstellen, angeführt: Deine Mutter (2); Deine Mutter, Oida; Deine Mama, Oida; Ich ficke deine Mutter. Das wesentliche Charakteristikum ritueller Beschimpfungen ist, dass innerhalb einer Gruppe (oder zweier Gruppen) beleidigende Aussagen geäußert werden, deren Unwahrheit offensichtlich ist und die deshalb von den Beteiligten nicht als solche betrachtet werden. Kennzeichnend für Wortduelle ist außerdem die gereimte Form, häufiger Rollenwechsel zwischen dem Sprecher und dem Adressaten und die Anwesenheit eines Publikums. Es kommt auch darauf an, dass die Beteiligten trotz der Provokation die Selbstbeherrschung nicht verlieren. 2.2 Sprechakt “Fluch” Flüche als sekundäre Interjektion sind, im Gegensatz zum Sprechakt “Beschimpfung”, nicht adressaten-, sondern situationsbezogen und dienen dem Abreagieren negativer Emotionen des Sprechers. Tabelle 3 zeigt die häufigsten Flüche der Wiener Schülerinnen und Schüler. Tabelle 3: Die häufigsten Flüche Mädchen Buben 1. Scheiß(e)/ Schaß 77 1. Scheiß(e)/ Schaß 45 2. Fuck 43 2. Fuck 19 3. Verdammt (noch mal) 25 3. Shit 13 4. Shit 17 4. Verdammt 9 5. Mist 15 5. Kacke, Kurwa und Damn 3 Während die Liste von angegebenen Flüchen bei den Befragten beider Geschlechter keine großen Unterschiede aufweist, lässt sich beim Blick auf die Zahl der Personen, die einzelne Flüche angegeben haben, der häufigere Gebrauch von Flüchen bei den Mädchen feststellen (siehe in der Tabelle oben z.B. bei den zwei ersten für die beiden Geschlechter häufigsten Flüche: Scheiße - angegeben von 77 Mädchen gegen 45 Jungen oder fuck - 43 Mädchen gegen 19 Jungen). Auch am Beispiel weiterer Flüche lässt sich diese Tendenz beobachten. Den häufigeren Gebrauch von Flüchen bei den Mädchen würde ich dadurch erklären, dass die Frauen im Allgemeinen dazu neigen, ihre verbale Aggression nicht direkt zum Adressaten, Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen 133 sondern in versteckter Form (in Abwesenheit des Adressaten, in Gedanken) sowie (wie im Falle des Sprechaktes “Fluch”) nicht adressaten-, sondern situationsgerichtet zu gebrauchen. Zur stärkeren Wirkung werden Fluchwortketten gebraucht: Fuckfuckfuck! Himmelherrgottsakramentdreiteufelnocheinmal! Himmel Arsch und Zwirn! Oidamotherfuckingscheiße! In der Rolle des Fluches treten auch primäre Interjektionen auf (Affektlaute, die in Fragebögen oft vorkommen - Pfuigitt, Oh, Boah u.a.) bzw. sie treten in Kombination mit Fluchwörtern auf: Oh mein Gott; OMG! (2)/ Oh mein Gott/ Oh my God! In der Funktion des Fluches können auch andere Sprechakte gebraucht werden - in einem Fragebogen stand z.B. bei der Äußerung Geh scheißen (die primär eine aggressive Aufforderung darstellt) die Erklärung “nicht personenbezogen, sondern in einer ärgerlichen Situation”. Dasselbe betrifft auch den Gebrauch des aus dem Polnischen entlehnten Pejorativums Kurwa (Hure), dass die Wiener Schülerinnen und Schülern auch gebrauchen: es kann entweder als Beschimpfung funktionieren oder als Ausruf in einer ärgerlichen Situation (im Polnischen und im Ukrainischen genau so häufig wie im Deutschen Scheiße). Auch das aus dem Englischen stammende fuck stellt eine Abkürzung der Aufforderung Fuck yourself dar und hat im Deutschen einen Wandel von der Aufforderung zum Fluch erlebt. 2.3 Sprechakt “Aggressive Aufforderung” Dem Sprechakt “aggressive Aufforderung” liegen neben dem Abreagieren negativer Emotionen des Sprechers auch andere Intentionen zugrunde: - Veränderung des Benehmens vom Adressaten (am häufigsten wird der Adressat zum Verschwinden und zum Schweigen aufgefordert - siehe Beispiele unten) um weitere Schritte (z.B. körperliche Aggression) seitens des Sprechers zu vermeiden: Drah di ham! Geh mir aus den Augen! Hau ab! Verpiss dich! Schleich di! Gusch, Bua! Halt’s Maul! Halt die Fresse! Halt die Gosch’n! Sei still! - Generelles Abweisen des Adressaten: Leck mich doch (am Arsch)! Du kannst mich mal (kreuzweise/ am Arsch lecken)! Geh leck mich doch! Oksana Havryliv 134 - Herausforderung, Provokation des Adressaten (Na komm, schlag mich). Vulgäre Bildhafte Aufforderungen als Provokationen sind im aggressiven verbalen Verhalten von Wiener Schülerinnen und Schülern häufig: Leck meinen Schwanz! Steck deinen Finger in den Arsch! Kauf dir bei Gelegenheit ein Paar Eier! Fick dich kreuzweise von hinten! Bildhafte Aufforderungen haben oft den spielerischen Charakter, sie werden nicht zum Abreagieren negativer Emotionen gebraucht, sondern sind Ausdruck kreativer sprachlicher Fähigkeiten des Sprechers. Je nach Klassifikationskriterien lassen sich verschiedene Gruppen von aggressiven Aufforderungen unterscheiden, z.B. einfache und erweiterte, direkte und metaphorische Aufforderungen. Während die direkten Aufforderungen wörtlich zu verstehen sind (Verschwinde! Geh weg! ), sind die metaphorischen Aufforderungen im übertragenen Sinne wahrzunehmen: Verpiss dich! Hau ab! = Verschwinde! Die meisten Aufforderungen haben die Form fester Redewendungen; der häufige Gebrauch von festen Redewendungen unter den aggressiven Sprechakten lässt sich dadurch erklären, dass der Sprecher im Affektzustand kaum Zeit zum Nachdenken hat und gerne auf die festen Formeln zurückgreift. Auch Ermen (1996: 181) weist darauf hin, dass im Bereich der aggressiven Aufforderungen individuelle Formulierungen selten sind. In meinem Materialkorpus finden sich einzelne individuell formulierte Aufforderungen z.B. Kauf dir bei Gelegenheit ein Paar Eier! Schrei die Wand an! Produktiv in Schülerkreisen sind ebenfalls Aufforderungen mit obszönem Inhalt: Fick dich (ins Knie)! Geh ficken! Fick deine Mutter/ Oma! Besorg dir ‘s doch selbst! Du kannst mir den Schwanz lutschen! Infolge des häufigen Gebrauchs lässt sich bei den aggressiven Aufforderungen der Prozess der Ökonomisierung beobachten: etwa, wenn die Aufforderung Geh scheißen! von Interviewten infolge der Zusammenrückung als ein Wort angegeben wird (Gehscheißen) oder durch das Auslassen von Personalbzw. Possessivpronomen, Präpositionen oder Verben (Hoit Gosch’n! Hatl’s Maul! Leck Oasch! Schnauze! Fresse! Bappen! Klappe! ). Solche Sparsamkeit mit sprachlichen Mitteln dient dem schnellen emotionellen Entladen. Tabelle 4 veranschaulicht die 5 häufigsten aggressiven Aufforderungen der Wiener Schülerinnen und Schüler. Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen 135 Tabelle 4: Die häufigsten aggressiven Aufforderungen Mädchen Jungen 1. Leck mich (kreuzweise) 20 Du kannst mich mal 10 Du kannst mich mal kreuzweise Kannst mich mal kreuzweise Leck mich am Arsch 6 1. Leck mich 6 Du kannst mich mal Du kannst mich mal am Arsch lecken 2 Leck mi/ mich am Arsch/ Oasch 4 Leck Oasch 2. Fick dich 26 2. Schleich dich 13 3. Schleich di/ dich 22 3. Geh scheißen und Gusch 9 4. Geh scheißen 13 4. Verpiss dich 7 5. Halt die Klappe; Klappe 7 5. Fick dich und Halt’s Maul Wie im Falle des Sprechaktes “Fluch”, beobachten wir auch im Falle des Sprechaktes “aggressives Auffordern” seinen häufigeren Gebrauch bei den Mädchen, wobei die lexikalische Vielfalt bei den beiden Geschlechtern gleich ist. Die Grenze zwischen der Aufforderung und der Bitte ist fließend und situationsabhängig (eine Bitte oder eine neutrale Aufforderung können sich durch die Kombination mit dem Sprechakt “Beschimpfung” zur aggressiven Aufforderung entwickeln: Lern Deutsch, alter Türke! Steh auf, Penner, hearst, steh auf! Deshalb ist es sinnvoll (wie auch im Falle des Sprechaktes “Beschimpfung”), zwischen absoluten und relativen (potentiellen) aggressiven Aufforderungen zu unterscheiden. Zu den potentiellen aggressiven Aufforderungen zähle ich neutrale Aufforderungen oder Bitten (Geh bitte; Such dir Freunde), die in einer Konfliktsituation negativ geladen werden und in den Fragebögen als Sprechakte zur Äußerung verbaler Aggression angeführt werden. Eine der möglichen Reaktionen auf eine aggressive Aufforderung ist die ironische Äußerung. Ein Interviewter erzählte von einem Vorfall in der Klasse seines Sohnes: ein besonders “schwerer” Schüler habe vor der ganzen Klasse Leck mich am Arsch! zum Lehrer gesagt, worauf der Lehrer ganz ruhig Ich mag das nicht, ich krieg dann Sodbrennen antwortete. Die Klasse war begeistert vom coolen Benehmen des Lehrers und klatschte Beifall. Apeltauer (1978: 95) nennt als mögliche Reaktionen Gegen-Aufforderungen; an anderer Stelle seiner Arbeit (1978: 103) schreibt er aber, dass man im Gegensatz zu den Gegen- Drohungen keine Gegen-Aufforderung kennt. In Konfliktsituationen sind Gegen-Aufforderungen nicht selten; ein Schüler hat zu einer Aufforderung gleichzeitig eine Gegen-Aufforderung angegeben: Leck mich! - Du mich auch! 2.4 Sprechakt “Drohung” Der Sprechakt “Drohung” stellt eine Handlungsankündigung des Sprechers dar. Die angekündigte Handlung kann sowohl eine physische Aggression als auch eine physisch nicht aggressive Handlung darstellen. Neben dem Abreagieren von negativen Emotionen des Sprechers kann die Intention einer Drohung auch darin bestehen, mittels angekündigter Sanktionshandlung den Adressaten zu zwingen, nach dem Wunsch des Sprechers zu handeln. In diesem Fall hat haben wir es mit einer bedingten Drohung zu tun. Bedingte Drohungen sind eine komplexe Sprechhandlung, die sich aus zwei Sprechakten zusammensetzt und als folgende Oksana Havryliv 136 Formel dargestellt werden können: Aufforderung + Drohung (bzw. Drohung + Aufforderung) = bedingte Drohung. Obwohl dieser Typ von Drohungen im modernen Deutsch produktiv ist (was auch meine Umfragen in der Gruppe Erwachsener bestätigen), hat von den befragten Jugendlichen nur ein Mädchen eine bedingte Drohung angeführt - Hör auf, sonnst kommt meine Faust auf dein Gesicht hinzu. Die Sanktion “[…] kommt meine Faust auf dein Gesicht hinzu” wird nur im Falle eintreten, wenn der Sachverhalt “Wenn ihr nicht sofort verschwindet” realisiert wird. Laut Huber (1996: 28) und Kiener (1983: 295) sind 90% aggressiven Verhaltens verbaler Natur. Verbale Aggression kann deshalb in den meisten Fällen als Ersatz physischer Aggression betrachtet werden (Vgl. auch Hess-Lüttich: “[…] und wenn den Kids im Alltag erst die Worte fehlen, ist der Schritt vom Fluchwort zum Faustschlag oft schnell getan” (Hess- Lüttich 2008: 332). Am Beispiel des Sprechaktes “Drohung” lässt sich der Zusammenhang zwischen physischer und verbaler Aggression am besten veranschaulichen, denn im Sprechakt Drohung wird diejenige physische Handlung (oft hyperbolisiert) wiedergegeben, die der Sprecher dem Adressaten gern angetan hätte, wenn er keine Angst vor ihm (vor dem Gericht oder anderen Sanktionen) hätte. Biffar meint: Bei der Drohung handelt es sich um die Chance zur Vermeidung von Kampf, um die Vermeidung von größerem Energieverlust, um die Vermeidung eventueller Verletzungen oder gar physischer Vernichtungen. Eine gelungene Drohung bedeutet einen Sieg ohne Einsatz (1994: 166). Dabei spricht Biffar von einer “Ökonomisierung der Aggression”. Der Auszug aus “Die Abenteuer Tow Sawyers” veranschaulicht, dass der Sprecher (auch trotz mehrmaligen Hinweisen und Provokationen seitens des Adressaten) keine Intention verfolgt, die Drohung in die Tat umzusetzen: “Ich will dir schon zeigen, daß mich’s was angeht! ” “Na, warum tust du’s denn nicht? ” “Wenn du noch viel sagst, tu ich’s! ” “Viel - viel - viel, - so, nun tu’s! ” “Ach, du hältst dich wohl für mehr als mich? Wenn ich nur wollte, könnte ich dich mit einer Hand unterkriegen! ” “Na, warum tust du’s denn nicht? Du sagst nur immer, daß du’s kannst! ” “Wenn du frech wirst, tu ich’s! ” “Pah - das kann jeder sagen! ” “Du bist wohl was Rechts, du Windhund! ” “Was du für einen dummen Hut aufhast! ” “Wenn er dir nicht gefällt, kannst du ihn ja herunterschlagen! Schlag ihn doch runter, wenn du ein paar Ohrfeigen haben willst! ” […] “Du, wenn du noch lange Blödsinn schwatzt, schmeiß ich dir ‘nen Stein an den Kopf! ” “Na, so wag’s doch! ” “Ich tu’s auch! ” “Warum tust du’s denn nicht? Du sagst es ja immer nur. Tu’s doch mal! Du bist ja zu bange! ” Alle Drohungen in meinem Materialkorpus kündigen physische Aggression an (in direkter oder metaphorischer Form). Nur eine einzige Drohung verbalisiert die Handlung, die keine physische Aggression darstellt: Ich mach meine Hausübung nicht. Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen 137 Je nach Klassifikationskriterien unterscheide ich einfache und bedingte, reale und metaphorische Drohungen. Reale Drohungen können durch eine hyperbolisierte Beschreibung der Folgen einer Handlung oder der Handlungsintensität erweitert werden: Schlag dich grün & blau! Ich schlag dich bewusstlos! I hau da ane owa dass di noch auf da Westatobahn drahst! I prack da ane, dass’d mitm Arsch auf’d Uhr schaust! Drohungen können die Form eines indirekten Sprechaktes haben: Willst Probleme? Wüst a Watsch’n? (3) Willst eine in die Fresse? Es kann auch mit dem Vollzug eines anderen aggressiven Sprechaktes - z.B. der Verwünschung - gedroht werden: Ich verfluche dich! Ich verfluche dich und alle deine verfickte Nachkommen! Der Drohung liegt die Intention zugrunde, negative Emotionen des Sprechers abreagieren und/ oder den Adressaten zu einer bestimmten Handlung zwingen zu wollen (im Falle bedingter Drohungen). Ferner können Drohungen (besonders in der von uns untersuchten Altersgruppe) auch andere Funktionen realisieren: - Generell kann man den Sprechakt “Drohung” als Ersatz physischer Aggression betrachten, doch gerade bei Jugendlichen tritt dieser Sprechakt nicht selten als Provokation zur physischen Aggression auf; - verbales Angeben; - Stärkung des Selbstwertgefühls nach dem verlorenen Kampf, was ich wiederum am Auszug aus “Die Abenteuer Tow Sawyers” illustrieren möchte: Der Fremde trollte sich, sich den Staub von den Kleidern schlagend, schluchzend, sich die Nase reibend, von Zeit zu Zeit sich umsehend, um Tom zu drohen, daß er ihn das nächste Mal verhauen werde, worauf Tom höhnisch lachte und seelenvergnügt nach Hause schlenderte. Anhand des Materialkorpus beobachte ich, dass die Jungen häufiger als Mädchen reale Drohungen mit den physischen aggressiven Handlungen gebrauchen (d.h. diejenigen, die sie wirklich in die Tat umsetzen können - eine Watsche geben, jemanden schlagen etc.), während die Mädchen dazu neigen, metaphorische Drohungen zu gebrauchen (jemanden umbringen, zerfetzen usw. - das sind Handlungen, die theoretisch, aber kaum praktisch möglich sind) - siehe Tabelle 5. Meiner Meinung nach könnte man diese Besonderheit folgenderweise erklären: die Jungen, die eher zur physischen Aggression neigen (vgl. z.B. Selg 1997 oder Schtscherbinina 2006), drohen mit Handlungen, die sie auch bereit sind durchzuführen; die Mädchen dagegen wählen die metaphorische Form, da sie nicht bereit sind, die Drohung in die Tat umzusetzen. Tabelle 5: Reale und metaphorische Drohungen Mädchen Jungen Du host ka Leb’n I bring di um; Ich bring dich um (2) I fetz di; Ich werd dich fetzen Ich brech dir die Finger Ich kill dich Ich mach dich platt (wie Kebab) Ich reiß dir deine Zähne aus I geb dir gleich ane (2) I hau da ane owa dass di noch auf da Westatobahn drahst I prack da ane, dass’d mitm Arsch auf’d Uhr schaust Ich glaub ich werde gleich handgreiflich werden müssen Ich schlag dich (3); Ich schlag dich bewusstlos; Ich schlag dich gleich; Ich schlag dich nieder Willst (du) eine in die Fresse? (2) Oksana Havryliv 138 Die von den Schülerinnen und Schülern zugeschickten aggressiven Sprechakte kennzeichnen sich durch besondere Obszönität, dies betrifft auch die Drohungen: I nimm meine Axt und hau sie dir in die Fut! Ich fick dich! Ich fick dich in Arsch, du verdammter Hurensohn! 2.4.1 Drohsignale Als Drohsignale betrachte ich Äußerungen, die, im Gegensatz zum Sprechakt “Drohung”, zwar keine Handlung des Sprechers verbalisieren, aber seine Bereitschaft zu solchen Handlungen signalisieren. Wie die Ergebnisse meiner Umfragen zeigen, werden Drohsignale nur von den Mädchen gebraucht: Das wirst du bereuen! Mädl, geh man net am … Pass auf, wie du mit mir redest! ! Hearst! (6) Hearst Mädl, hast was? Hearst, du Scheiß-Zicke, was schreist du so? Was is mit dir? Ist was? Probleme? Geht’s dir noch gut? Was soll der Scheiß? Weiterhin betrachte ich Emotionsthematisierungen (d.h. Äußerungen, in denen Emotionen des Sprechers direkt oder metaphorisch genannt werden) als Drohsignale bzw. als Warnung vor entstehenden Emotionen und damit verbundenen möglichen (aggressiven) Handlungen seitens des Sprechers. Das Ziel der Emotionsthematisierungen besteht darin, den Konflikt schon in der Anfangsphase zu ersticken. In meinem Materialkorpus findet sich eine Reihe von Äußerungen, die zu dieser Gruppe gehören: Das geht ma am Oasch! Euda, geh man net am Oasch! Das geht mir auf die Nerven! Halt, Stopp, ich fühl mich gemobbt! Hearst, du gehst mir am Nerv! Ich hasse dich! (3) Ich hasse es! Wüßt mi frotzl’n? ? ? Emotionsthematisierungen werden vorwiegend von den Mädchen gebraucht, was auch die These bestätigt, dass Frauen ihre Emotionen besser verstehen und steuern können. So spricht auch Stavyzka (2008: 62) anhand durchgeführter Umfragen von der “weiblichen linguistischen Feinfühligkeit”, weil die Frauen, im Gegensatz zu den Männern, klarer ihre verballaggressive Strategie reflektieren können (indem sie z.B. - wie auch in meiner Umfrage - autometasprachliche Kommentare zum Gebrauch einzelner Sprechakte geben: “nur über Dritte”, “nur in Gedanken”, “nur zu den Bekannten” usw.). Zur Emotionsthematisierung werden vorwiegend feste Wendungen gebraucht. Die empfundenen Gefühle können direkt (Ich hasse dich/ es; Du nervst mich) oder metaphorisch umschrieben werden (Du geht’s ma am Oasch). Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen 139 2.5 Sprechakt “Verwünschung” Mit dem Sprechakt “Verwünschung” wird auf den Adressaten bzw. auf sein Hab und Gut oder ihm nahe stehende Menschen ein Unheil herabgewünscht. Neben dem Sprecher und dem Adressaten tritt im Sprechakt “Verwünschung” auch der “irreale Hörer” auf - eine höhere (der Gott) oder niederere (der Teufel) Gewalt, die für die Realisierung der Verwünschung zuständig ist. Der Adressat einer Verwünschung spielt eine passive Rolle und hat keinen Einfluss auf die Realisierung der Verwünschung. Der Sprechakt “Verwünschung”, der für das Deutsche (im Gegensatz zu anderen Sprachen wie dem Ukrainischen, Polnischen oder Serbischen) untypisch ist, zählt auch bei den Jugendlichen zu den unproduktiven aggressiven Sprechakten: in der Gruppe der Jungen sind es nur noch zwei Verwünschungen - Stirb (von 3 Befragten angegeben) und Verrecke (von einem Befragten angegeben); in den Fragebögen der Mädchen wurden drei Verwünschungen angeführt: Ich hoffe du landest in der Hölle! (2) Du kommst mal in die Hölle! Stirb! 2.6 Attraktion aggressiver Sprechakte In einer Konfliktsituation kommt es meistens zur Kombination verschiedener aggressiver Sprechakte, was sich auch in den Angaben der schriftlichen Umfrage widerspiegelt. Dabei fällt auf, dass die Jungen häufiger als die Mädchen aggressive Sprechakte miteinander kombinieren; bei den Vertretern beider Geschlechter ist die Kombination “Aggressive Aufforderung + Beschimpfung” am produktivsten: • Aggressive Aufforderung + Beschimpfung: Komm her, Du Arschloch! Halt’s Maul, du Trottel! Mach Du, Huankind! Mach die Augen auf, Chines! Schleich dich, G’schissena! Steh auf, Penner, Hearst, steh auf! Verreck, Wichser! Leck mich nach Krakau, Trottel! Platz da, ihr Maden! • Drohung + Beschimpfung: Ich fick dich in Arsch, du verdammter Hurensohn! Ich bring dich um, du Wichser! Oksana Havryliv 140 • Bei den Mädchen findet sich am häufigsten die Kombination Aufforderung + Beschimpfung: Du, lass mich, eingebildete Nuss! Halt den Mund, Maulesel! Lern Deutsch, alter Türke! Scheiß-Emo, geh dich ritzen! 2.7 Euphemismen zur Äußerung negativer Emotionen Die gewählte Altersgruppe bestätigt auch die These vom häufigeren Gebrauch von Euphemismen zur Äußerung negativer Emotionen durch die Frauen: Mädchen Jungen Leck mich (kreuzweise) (20) Du kannst mich mal (10) (Du) kannst mich mal kreuzweise (2) A**** A**loch Mist (statt “Scheiße”) Leck mich (6) Du kannst mich mal Pumukel (verschönert “Scheiße”) N (statt Noob”) Scheibenkleister (6) Scheibe Sch… (2) Ich f**** deine ****** Schön (statt “Scheiße”) (2) Scheiben Trottel (statt “Dummkopf”) Wie die Beispiele aus der Tabelle zeigen, kann die Euphemisierung in der Schriftsprache auch durch Pünktchen oder Sternchen erfolgen (Sch…, A**** u.a.). 2.8 Abwertende Bemerkungen und Vergleiche Neben dem Gebrauch von Schimpfwörtern hat der Sprecher auch die Möglichkeit, den Adressaten mit Hilfe von abwertenden Bemerkungen und Vergleichen zu beleidigen. Die abwertenden Bemerkungen können sowohl im direkten (Du nervst (2); Du stinkst (3); Hast du Leiden? Du bist es nicht wert) wie auch im übertragenen Sinne erfolgen: Hast a Schuss? Spinnst (du)? ! (3) Sag, hat dir jemand des Hirn verdraht oda wos? Abwertende Bemerkungen unterscheiden sich in ihrer Intensität von den (relativ) harmlosen (Benehmt euch erwachsener, ich komm mir vor, wie im Kindergarten; Du bist arm; Du belastest mich schattig; Du hast Pudding in der Hose; Was hast du im Hirn? Was glaubst du wer du bist? Was schaust so deppert, brauchst vielleicht ein Foto? Dein Niveau - mein Einige Besonderheiten des verbalen aggressiven Verhaltens von Jugendlichen 141 Niveau - Abstand) bis zu den vulgären. Laut Umfragen gebrauchen die interviewten Wiener Schülerinnen und Schüler eine Reihe vulgärer bildhafter abwertender Bemerkungen: Du bist so unnötig, dass du mal arschgefickt werden solltest um zu sehen wie dein Leben vorlaufen wird. Man könnte deinen Kopf mit deinem Arsch verwechseln. Hat dich die Hebamme nach der Geburt fallen lassen? Weißt du noch als ich meinen Arsch und du dein Gesicht aus dem Fenster hielten und alle meinten wir wären Zwillinge? Abwertende Bemerkung kann in verschleierter Form erfolgen: Dummheit tut weh; Wie hast du eigentlich vor deinem Unfall ausgesehen? Beleidigende Äußerung kann auch ohne Gebrauch von pejorativen Lexemen stark kränkend sein (z.B. wenn der Sprecher auf den wunden Punkt des Adressaten zielt: Jetzt versteh ich wieso du verlassen wurdest). Kiener (1983: 174) betrachtet den Vergleichsatz - analoge Erscheinung zu den metaphorischen Schimpfwörtern - als eine Satzform, die der aggressiven Intention besonders entgegenkommt. Die Vergleiche sind durch stereotype Vorstellungen geprägt. Bei den befragten erwachsenen Personen sind beleidigende Vergleiche häufig, bei den Jugendlichen finden sich dagegen nur wenige Beispiele: Du bist fast so knuffig wie ein Teddybär; Du siehst aus als wärst du im Puff aufgewachsen. Eine Interviewte hat versteckten Vergleich angeführt: Ich wusste gar nicht, dass man Scheiße so hochstapeln kann. Auch Vergleiche mit Personen, die man nicht schätzt und schrecklich findet, kommen vor: Du bist wie die Tanja! 2.9 Begleitende Äußerungen In den Fragebögen finden sich auch Äußerungen, die in einer Konfliktsituation sowohl andere aggressive Sprechakte begleiten als auch diese ersetzen können und von den Interviewten zu den Äußerungen verbaler Aggression gerechnet werden. Nach meiner Ansicht werden sie entweder im Anfangsstadium oder im Endstadium einer Konfliktsituation gebraucht. Während die vorher behandelten Äußerungen, die ich als “abwertende Bemerkungen” bezeichne, sich direkt auf den Adressaten richten, beziehen sich begleitende Äußerungen auf die Konfliktsituation im Ganzen. Begleitende Äußerungen lassen sich in verschiedene Gruppen einteilen: - die größte Gruppe bilden die Äußerungen, mit denen der Sprecher seine Überraschung (Unfassbarkeit) über das normverletzende Benehmen des Adressaten äußert: Das ist der Ur-Scheiß! Wassss! ? Neein! I pack ‘s net! Das ist so krank! Wie schwul! Das gibt es jetzt aber nicht! Oksana Havryliv 142 - Äußerungen, mit denen der Sprecher signalisiert, dass er das Benehmen seitens des Adressaten nicht länger dulden wird: Jetzt schlägt ‘s 13! Da wird der Hund in der Pfanne verrückt! Das bringt die Kacke zum Dampfen! - Eine Untergruppe bilden ironische Äußerungen wie Na super! Wow, toll! - Mit anderen Äußerungen kann sich der Sprecher vom Adressaten abgrenzen: Unda meinem Niveau. Begleitende Äußerungen haben die Befragten (wie auch in meinen früheren Umfragen der Erwachsenen) aus eigenen Impulsen angeführt, d.h. der Fragebogen hat keine Fragen nach diesen Äußerungen beinhaltet, die Befragten betrachten sie aber eindeutig als Äußerungen verbaler Aggression. Abwertende Bemerkungen und Vergleiche, die auf den Adressaten gerichtet sind, sowie situationsgerichtete begleitende Äußerungen überwiegen in den Fragebögen der Schülerinnen (sie sind dreimal häufiger als bei den Jungen). Bibliographie Apeltauer, Ernst 1978: Elemente und Verlaufsformen von Streitgesprächen. Eine Analyse von Texten und Tonbandprotokollen unter sprechhandlungstheoretischen Gesichtspunkten, Münster: Inaugural - Dissertation. Bandura, Albert, Walters, Richard H. 1959: Adolescent Aggression, New York: Roland Press. Biffar, Reinhardt 1994: Verbale Aggressionsstrategien. Analyse, Systematik, Anwendung, Aachen: Shaker. Burgen, Stephen 1998: Bloody hell, verdammt noch mal! 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Über die Autorin des Beitrags: Oksana Havryliv (geb. 1971) ist Dozentin am Institut für Fremdsprachen der Fakultät für Internationale Beziehungen an der Nationalen Ivan-Franko-Universität Lviv/ Ukraine. Promovierte 2001 an der Universität Lviv über die Pejorativa am Beispiel moderner deutschsprachiger Literatur. Forschungsaufenthalte am Institut für Germanistik der Universität Wien (zuletzt 2006-2008 als Lise Meitner-Stipendiatin (FWF) Forschungsprojekt “Verbale Aggression im Schnittpunkt der Wissenschaften von der Sprache und dem Menschen”).