eJournals Kodikas/Code 34/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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Die Idee vom Absoluten als einem Unbedingten, das frei von jeglicher Bestimmung und ohne Beziehung zu etwas anderem zu denken sei, beinhaltet ein semiotisches Paradox. Der Begriff des Absoluten und das Wort, das ihn repräsentiert, sind Inhalt und Ausdruck eines Zeichens, aber als Konstituenten eines Zeichens sind der Ausdruck und der Inhalt der Idee vom Absoluten semiotisch determiniert. Das Wort 'absolut' ist semiotisch bestimmt durch die Konventionen der deutschen Sprache, zu dessen Wortschatz es gehört, und der Begriff, der Gedanke oder die Bedeutung, welche das Wort repräsentieren, sind bestimmt durch das Wort, ohne welches die Idee vom Absoluten nicht gedacht werden könnte. Das allgemeine semiotische Paradox vom Absoluten ist somit das folgende: wenn wir das Absolute als etwas frei von jeglicher Bestimmung denken, ist unser Gedanke vom Absoluten semiotisch bestimmt, so dass wir in Wirklichkeit an etwas Bestimmtes und nicht an etwas frei von jeglicher Bestimmung denken. Wenn wir aber das Absolute als etwas semiotisch Bestimmtes begreifen, dann kann dieses nicht länger als etwas frei von jeglicher Bestimmung sein. Der Begriff des Absoluten soll zunächst exemplarisch am Beispiel einiger klassischer Definitionen umrissen werden. Die Paradoxien, die sich aus ihnen ergeben, werden zuerst als allgemein logische Paradoxien reflektiert, bevor sie aus spezifisch semiotischen Perspektiven betrachtet werden.
2011
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Semiotische Paradoxien des Absoluten

2011
Winfried Nöth
Semiotische Paradoxien des Absoluten 1 Winfried Nöth Die Idee vom Absoluten als einem Unbedingten, das frei von jeglicher Bestimmung und ohne Beziehung zu etwas anderem zu denken sei, beinhaltet ein semiotisches Paradox. Der Begriff des Absoluten und das Wort, das ihn repräsentiert, sind Inhalt und Ausdruck eines Zeichens, aber als Konstituenten eines Zeichens sind der Ausdruck und der Inhalt der Idee vom Absoluten semiotisch determiniert. Das Wort absolut ist semiotisch bestimmt durch die Konventionen der deutschen Sprache, zu dessen Wortschatz es gehört, und der Begriff, der Gedanke oder die Bedeutung, welche das Wort repräsentieren, sind bestimmt durch das Wort, ohne welches die Idee vom Absoluten nicht gedacht werden könnte. Das allgemeine semiotische Paradox vom Absoluten ist somit das folgende: wenn wir das Absolute als etwas frei von jeglicher Bestimmung denken, ist unser Gedanke vom Absoluten semiotisch bestimmt, so dass wir in Wirklichkeit an etwas Bestimmtes und nicht an etwas frei von jeglicher Bestimmung denken. Wenn wir aber das Absolute als etwas semiotisch Bestimmtes begreifen, dann kann dieses nicht länger als etwas frei von jeglicher Bestimmung sein. Der Begriff des Absoluten soll zunächst exemplarisch am Beispiel einiger klassischer Definitionen umrissen werden. Die Paradoxien, die sich aus ihnen ergeben, werden zuerst als allgemein logische Paradoxien reflektiert, bevor sie aus spezifisch semiotischen Perspektiven betrachtet werden. Kurze Einführung in die Geschichte des Begriffs vom Absoluten Die Idee vom Absoluten hat im abendländischen Denken einen schrittweisen Niedergang erlebt. Nach ihrer Glorifizierung zur Zeit des Absolutismus und Idealismus verfiel sie in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in die Agonie der Verpönung und Verspottung. Ein kurzer enzyklopädischer Überblick mag dies verdeutlichen. In den Schriften der Scholastiker ist das Absolute nach Eisler (1904) dasjenige, was sine ulla conditione, frei von jeglicher Bedingung als ein Unbedingtes zu denken ist. Das Absolute ist ferner non dependens ab alio, von nichts anderem abhängend. Nach diesen Kriterien ist das Absolute recht eng am etymologischen Sinn des lateinischen Wortes absolutum definiert, welches so viel wie ‘losgelöst’, ‘abgelöst’ und somit ‘frei von’ heißt. Das, wovon das Absolute frei ist, sind Relationen jeglicher Art. Das Absolute ist durch keine Ursache bedingt, von keinem Gesetz bestimmt, es impliziert nichts, setzt nichts voraus. Eine von Eisler zitierte Definition des Johannes N. Tetens hebt im 18. Jh. ganz auf diesen Aspekt des Fehlens jeglicher Relation ab. Das Absolute ist danach “das auf nichts anderes sich Beziehende, das Unbezogene”. Schopenhauer spricht vom “An-nichts-geknüpft-seins” des Absoluten (Neue Paral. § 96). Hier ist das Absolute nicht mehr nur ohne Beziehung zu einem Einzelnen, K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Winfried Nöth 42 sondern es bezieht sich auf nichts und ist damit ohne Bezug auf alles nur Denkbare, was logisch auf das Gleiche hinausläuft, aber einen rhetorischen Unterschied ausmacht. Die theologische Tradition, nach der Gott als absolut zu reflektieren sei, beginnt mit Nicolaus von Cues (1401-1464). Er spricht von Gott als dem absoluten Wesen (entitas absoluta) und schreibt diesem u.a. das Attribut der absoluten Größe (absoluta maximitas) zu (Kuhlen 1971: 14). Fünf Jahrhunderte später bezeichnet Schelling Gott wiederum als das “absolute All” und die “absolute Totalität” (ibid.: 22). Für Spinoza, der sich selbst als einen “Landvermesser des Absoluten” betrachtet, ist die Idee vom Absoluten und deren Verkörperung in Gott eine logisch bedingte Denknotwendigkeit. Kein rationaler Geist kann vernünftigerweise das Absolute in Frage stellen, es ignorieren oder gar verleugnen. Hauptmerkmale und -erscheinungsformen des Absoluten sind dessen Unendlichkeit, Unteilbarkeit und Unbedingtheit (vgl. Schwemmer 1995: 33). Gott ist notwendigerweise absolut mächtig, absolut unendlich und unteilbar, absolut in seiner Existenz, und er ist die erste, in sich selbst unbedingte Ursache aller Dinge (cf. Kuhlen 1971: 15). Leibnitz erweitert Spinozas Idee vom universell Absoluten dadurch, dass er das Absolute vom Makrouniversum des Unendlichen in das Mikrouniversum der einfachen Monaden seines metaphysischen Systems projiziert. Auch für Leibnitz ist das Absolute das Vollkommene, und die Verkörperung des absolut Vollkommenen findet sich in Gott, aber das Universum des Absoluten ist nicht auf die Unendlichkeit Gottes beschränkt. Nach der leibnitzschen Monadologie und nach der Lehre von der prästabilisierten Harmonie sind Monaden in allen Substanzen und Individuen zu finden. Es sind Mikrouniversen, die als lebendige Spiegel das ganze Makrouniversums in sich abbilden. So befindet sich das Absolute nicht nur in der Unendlichkeit des Makrouniversums, sondern auch im Inneren jedes einzelnen Menschen und der Substanzen der materiellen Welt (cf. Kuhlen 1971: 16). Im Zeitalter der Aufklärung ersetzen Christian Wolf und Immanuel Kant die zuvor negativ als Abwesenheit von Beziehungen formulierten Bestimmungen des Absoluten durch ein neues positives Bestimmungskriterium, das auf die Autonomie des Absoluten abhebt. Bei Wolf (Vern. Ged. 1, § 925) ist das Absolute “dasjenige Ding, welches den Grund seiner Wirklichkeit in sich hat”, und wie Eisler (ibid.) aus der Kritik der reinen Vernunft zitiert, bedeutet “absolut” für Kant, “dass etwas von einer Sache an sich selbst betrachtet und also innerlich gelte” und dabei “in aller Beziehung (uneingeschränkt) gültig sei”. Im Zeichen des Idealismus vertieft Hegel den Gedanken von der Autonomie des Absoluten, wenn er das Absolute als ein “zeitloses, vollkommenes, organisches Ganzen des sich selbst denkenden Denkens” bestimmt (nach Long 1942: 2). Während die Merkmale des Vollkommenen und Ganzen durchaus im Einklang mit der Tradition der Philosophie des Absoluten stehen, sind dessen Kennzeichnung als organisch und sich selbst denkend neu in der Geschichte der Philosophie des Absoluten. Mit dieser Kennzeichnung des Absoluten als einem sich selbst Denkenden scheint Hegel zwei Schlüsselbegriffe der heutigen Kognitiven Philosophie zu antizipieren, die allerdings ohne jeglichen Bezug auf die Philosophie vom Absoluten als Autopoiese und Selbstreflexivität diskutiert werden. Dabei ist es interessant zu sehen, wie sich der Begriff der Selbstreflexivität, einst ein Schlüsselbegriff der Romantik, von der Metaphysik des Absoluten entfernt hat und in die Terminologie der Kognitionswissenschaften und der Biosemiotik Aufnahme gefunden hat, wo Autopoiese heute als Bestimmungsmerkmal des Lebens gilt (vgl. Nöth 2007). Arthur Schopenhauers polemische Anmerkungen zu den idealistischen Theorien des Absoluten seines Jahrhunderts markieren ein erstes Tief in der Philosophiegeschichte des Absoluten. In Hegels Theorie des Absoluten sieht Schopenhauer nichts als “leeren Wort- Semiotische Paradoxien des Absoluten 43 schall”. Unter Schopenhauers vernichtenden Sentenzen über jede, die von der Möglichkeit überzeugt waren, dass der menschliche Geist das Absolute rational erfassen könne, finden sich die berühmten Sätze, in denen er die Idee des Absoluten als ein “Wolkenkukuksheim” geißelt oder jene, die Wissen vom Absoluten zu haben meinten, als mit dem “sechsten Sinn der Fledermäuse” begabt karikiert (ibid.: 25). Nietzsche denunziert schließlich alle Versuche, das Absolute mit dem Bewusstsein erfassen zu wollen, als Irrtümer und als Aberglaube “schlecht unterrichteter Theologen, die den Philosophen spielen wollten” (Geburt der Tragödie, § 11). Die Ideen von der absoluten Erkenntnis und von den absoluten Werten hätten ihren Ursprung in bloßen Fabrikationen des Geistes. Wie Kuhlen (1971: 27) zusammenfasst, sei nach Nietzsche “der Irrtum des Absoluten nur durch ein ‘Schaffen’ und ‘Erdichten’ des Intellektes entstanden. Dieser müsse, um schließen und begründen zu können, den Begriff des Unbedingten durch ‘eine fingierende setzende Kraft’ erfinden und glaubt mit dieser Fiktion ‘an das, was er schafft, als wahr’”. Die Gegensätze, welche sich in diesen kontroversen Urteilen über die Idee vom Absoluten zeigen, haben ihren Grund in einigen logischen Widersprüchen und Paradoxien, zu welchen der rationale Diskurs über das Absolute führt und von denen einige im Folgenden aufgedeckt werden sollen, zuerst unter allgemeinen und logischen und dann unter spezifisch semiotischen Gesichtspunkten. Das Paradox von der Unbegreiflichkeit des Absoluten Kant wusste, dass das Absolute nicht Gegenstand rationalen Denkens sein konnte. Im Versuch, das Absolute dennoch rational zu erfassen, sah er eine logische Antinomie, doch trotz dieser Einsicht war er nicht bereit, die Idee des Absoluten aufzugeben. Dieser Widerspruch verstrickte ihn in das Paradox von der Unbegreiflichkeit des Absoluten: Wenn das Absolute rational nicht zu erfassen ist, können wir auch nicht vorgeben, je irgendwelche rationalen Erkenntnisse von der Natur des Absoluten zu haben, denn rational über das Absolute zu sprechen, setzt ja voraus, dass wir zuvor über das Absolute nachdenken. Kants Einsicht in das Unvermögen des menschlichen Geistes, das Absolute zu erfassen, kann mit Schwemmer (1995: 33) wie folgt zusammengefasst werden: “Da unsere Erkenntnisse von den Darstellungsmitteln, die wir für diese Erkenntnisse zur Verfügung haben, abhängen, kann es ein Absolutes im Sinne eines erkannten Gegenstandes nicht geben.” Dies heißt zugleich: Gäbe es im Universum das Absolute als das Unbegrenzte, frei von jeder Bestimmung, so könnte der menschliche Geist es weder beschreiben noch denken, da doch die kognitive Fähigkeit des Menschen und seine geistige Fähigkeit zur Repräsentation des Unbegrenzten begrenzt ist. Trotz dieser erkenntnistheoretischen Einsicht will Kant aber die Idee vom Absoluten nicht aufgeben. Zu retten versucht er diese Idee, die seiner Überzeugung nach nicht “ohne großen Nachteil aller transzendentalen Beurteilungen entbehrt werden” könne (zit. n. Kuhlen 1971: 19), indem er den Ort des Absoluten jenseits der kognitiv erfassbaren Phänomene im Transzendentalen sucht: Nachdem er einsieht, dass das Absolute nicht in den Phänomenen zu finden sei, folgert er: “Die absolute Totalität der Zusammensetzung muss im Mundo noumeno gedacht werden” (ibid.: 20), also in einer Sphäre des Geistes, in der für Kant Denken ohne Bezug auf Erfahrungsdaten möglich ist. Auf diese Weise verlagert sich das Absolute von der Welt des äußeren Universums in die Innenwelt des autonom denkenden Subjektes, das damit zum Ort der erfahrungsunabhängigen Winfried Nöth 44 Einsicht in das Wesen des Absoluten wird: Insofern es der menschliche Geist ist, der “mit der Bereitstellung von Darstellungsmitteln Erkenntnis ermöglicht, sind wir als Subjekte der Erkenntnis in einem gewissen Sinne ‘absolut’, weil wir ohne strukturelle Bestimmtheit durch ein Objekt die Bildung unseres Wissens von Objekten ermöglichen” (Schwemmer 1995: 33). Kant rekonstruiert das Absolute um den Preis eines Dualismus, den er zwischen einem menschlichen Geist postuliert, welcher zur Erkenntnis der von außen auf ihn wirkenden Phänomene fähig ist, und einem Denken desselben Geistes, welches sich unabhängig von diesen Phänomenen vollzieht. Ein solcher Dualismus führt aber zwangsläufig zu einem anderen Paradox, nämlich demjenigen vom Ursprung des noumenalen Geistes. Wenn der noumenale Geist in der beschriebenen Weise selbst absolut ist, warum ist das Absolute dann nur in diesem Geist und nicht in der Welt der Phänomene zu finden, welche Gegenstand der Erkenntnis dieses Geistes ist? Widersprüchlichkeiten und Paradoxien des definierten Absoluten Das dominierende und wohl allgemeinste Bestimmungskriterium des Absoluten ist das von der Etymologie des Wortes abgeleitete Kriterium des Fehlens von Relationen. Relation ist ein logischer Begriff, wobei recht unterschiedliche logische Relationen gemeint sein können: Beziehungen der Dependenz des Besonderen vom Allgemeinen, zwischen dem Ganzen und seinen Teilen, zwischen dem zeitlich Vorausgehenden und dem Folgenden, Folgerungs- und Ähnlichkeitsbeziehungen, Bedingungen der Konditionalität, der Implikation oder der Kausalität. All diese Relationen zum Kriterium des Fehlens jeglicher Relationen zu verallgemeinern, führt aber zu Widersprüchen, wenn es um die theologischen Definitionen des Absoluten geht. Wenn z.B. mit Spinoza das Absolute eine “Denknotwendigkeit” ist, so wird dadurch das Absolute von der Notwendigkeit gedacht zu werden abhängig, und wenn Gott als “die Ursache aller Dinge” gedacht wird, so kann dieser Gedanke nur als eine Relation gedacht werden, nämlich die Relation der Kausalität. Aus der Sicht einer Theologie, die Gott als rational nicht erfassbar definiert, führt jeder Versuch, Gott mit den Mitteln des rationalen Denkens zu definieren, zu einem Widerspruch in sich, weil doch das rationale Denken das rational nicht Denkbare nicht denken kann. Warum hat das Absolute überhaupt so viele Definitionen? Sollte es nicht nur eine einzige Definition des Absoluten geben, wenn das Absolute dasjenige ist, was frei von jeglicher Bestimmung zu denken ist? Sollte es nicht Übereinstimmung dahingehend geben, dass es nur eine Definition des Absoluten geben kann und dass jede weitere Definition der Idee vom Absoluten als dem Unbedingten Unrecht tun? Hier zeigt sich das Paradox der vielen Definitionen des Absoluten. Wäre es wirklich absolut, so dürfte das Absolute nicht mehr als eine einzige Definition haben, aber da es so viele Definitionen hat, so kann, wie es scheint, das Absolute nicht absolut und damit nicht vollkommen sein. Eng verbunden mit dem Paradox von den vielen Definitionen ist das Paradox von der Definition des Absoluten überhaupt, das an der Wurzel aller Paradoxien vom Absoluten liegt. Wie die Etymologie des Wortes besagt, heißt definieren ja ‘Grenzen setzen’. Wenn wir das Absolute aber als dasjenige definieren, was frei von allen Relationen zu denken ist, so bedeutet diese Definition eine Begrenzung des Unbegrenzten, eine Festlegung des nicht Festlegbaren. Weil definieren ‘begrenzen’ heißt, liegt dieses Paradox somit einer jeden Semiotische Paradoxien des Absoluten 45 Definition des Absoluten zu Grunde. Es ist das Paradox von der Begrenzung des Unbegrenzten. Das performative Metaparadox von der Undefinierbarkeit des Absoluten Das performative Metaparadox von der Unmöglichkeit, das Absolute zu definieren, entsteht dann, wenn die Definition besagt, dass das Absolute als undefinierbar zu definieren sei. Ein Satz wie Ich definiere A als B ist ein performativer Sprechakt, weil er nicht nur A durch B definiert, sondern auch in Form des performativen Verbs definieren explizit zum Ausdruck bringt, dass das Gesagte eine Definition ist. Die Paradoxie liegt zum einen in der performativen Selbstreferezialität des Satzes, die im Sprechakt des Definierens einer Definition zum Ausdruck kommt, zum anderen im Selbstwiderspruch, der durch die Negation der Definierbarkeit des Definendums der Definition enthalten ist. Auch andere performative Verben, wie z.B. sagen, denken, begreifen oder hinzufügen, können eine Definition zu einem performativen Metaparadox machen, wenn das syntaktische Objekt dieser Verben spezifiziert, was über das Absolute gesagt oder gedacht werden kann bzw. was diesem Begriff hinzugefügt werden darf oder nicht. Das performative Metaparadox besteht also im Definieren des Undefinierbaren. Genau der Sprechakt, der mit der Äußerung vollzogen wird, also der Sprechakt des Definierens wird in der Proposition negiert, welche die Äußerung beinhaltet. Statt Prädikate zu formulieren, welche geeignet sind, das Definiendum zu definieren, formuliert die Äußerung die Unzulässigkeit der Suche nach solchen Prädikaten. Es überrascht nicht, dass das performative Metaparadox von der Definition des Absoluten als einem Nichtdefinierbaren zuerst in theologischen Schriften zu finden ist. Im Jahr 500 etwa schreibt der Kirchenvater Priscian: “Absolut ist das, was aus sich selbst heraus begreifbar ist und nicht der Hinzufügung eines [weiteren] Begriffes, wie etwa ‘Gott’ oder ‘Vernunft’, bedarf” (zit. n. Kuhlen 1971: 14). Priscians Definition ist eine Metadefinition, weil sie definiert, wie der Begriff des Absoluten (nicht) zu definieren sei, indem sie postuliert, dass dem Begriff des Absoluten nichts hinzugefügt werden müsse oder dürfe. Wie kann aber eine solche Begriffsbestimmung ihr Definiens erhellen, wenn ihrem Definiendum nichts hinzugefügt werden darf? Wie können wir überhaupt über das Absolute sprechen und nachdenken, wenn dem Begriff des Absoluten kein anderes Wort hinzugefügt werden soll? Eine Folge dieser Paradoxie ist es, dass der Kirchenvater, im Moment, in dem er das Gebot formuliert, wonach dem Begriff des Absoluten nichts hinzugefügt werden darf, selbst diesem Gebot zuwider handelt, kann er doch seine Metadefinition nur formulieren, indem er dem Begriff vom Absoluten weitere Begriffe hinzufügt. Während in Priscians Definition die Verbindung zwischen den Begriffen des Absoluten und Gottes lediglich assoziativer Art ist - der Autor sagt ja nur, dass das Absolute so evident sei wie Gott und Vernunft - definieren Spinoza und Leibnitz, wie oben gezeigt, das Absolute explizit als eine Eigenschaft Gottes. Im Zeitalter des Idealismus wird das Absolute schließlich zu einem Synonym des Göttlichen. Die Form eines performativen Metaparadoxes nimmt dieser theologisch begründete Bestimmungsversuch des Absoluten bei Fichte an. Angesichts des Dilemmas eines Absoluten, welches absolut ist, aber doch viele Definitionen hat, formuliert Fichte ein solches Paradox, wenn er schreibt: “Jedes zu dem Ausdrucke: das Absolute gesetzte zweite Wort hebt die Absolutheit, schlechthin als solche, auf” (zit. n. Kuhlen 1971: 22) Winfried Nöth 46 Fichtes paradoxe Metadefinition erklärt tatsächlich alle früheren Definitionen des Absoluten für ungültig, da diese doch stets dem Definiendum vom Absoluten Prädikate wie ‘unendlich’, ‘beziehungslos’ oder ‘unbedingt’ hinzugefügt haben. Zugleich läuft sie aber auch auf ein Verbot der Definition des Absoluten überhaupt hinaus, denn es liegt ja in der Natur einer Definition, dass sie dem Definiendum ein Definiens hinzufügt. Natürlich ist der Diskurs Fichtes kein logischer, sondern ein rhetorischer. Was Fichte hier artikuliert, ist der klassische Unsagbarkeitstopos, der immer ein Element einer Paradoxie beinhaltet. In der Rhetorik heißt dieser Topos auch Aporie. Ein poetische Ich, beispielsweise, dass den Satz ausruft Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich dich liebe artikuliert eine solche Aporie, indem sie einen Sprechakt vollzieht, in dem das Unsagbare gesagt wird. Tatsächlich kann Fichte selbst dem Paradox der Aporie nicht ausweichen, denn in seinem Satz über das Absolute ist performativ selbstwidersprüchlich. In seinem Satz über das Absolute fügt Fichte nämlich dem Begriff des Absoluten nicht weniger als fünfzehn Wörter hinzu, obwohl es nach seiner Maxime kein zweites Wort sein dürfte. Das strukturalistisch-semiotische Paradox vom Begriff des Absoluten Wenn Fragen der Bedeutung, der Logik und des Definierens semiotische Fragen sind, dann sind alle der oben erörterten Paradoxien zugleich auch semiotische Paradoxien im weitesten Sinn des Wortes ‘semiotisch’. Wenn aber nur solche Paradoxien als semiotisch gelten, welche sich aus explizit semiotischen Theorien ergeben, so sind nur die im Folgenden zu erörternden Paradoxien semiotisch zu nennen. Semiotik ist die Wissenschaft von den Zeichen, und Zeichen stehen für das, was sie bedeuten oder bezeichnen. Es stellt sich also zuerst die Frage, ob das Absolute nun als Zeichen zu untersuchen sei oder als das, was ein Zeichen bezeichnet oder bedeutet. Die Antwort auf diese Frage hängt von dem Zeichenmodell und der semiotischen Theorie ab, die der Antwort zu Grunde gelegt werden soll. In diesem Abschnitt ist es das strukturalistische Zeichenmodell von Ferdinand de Saussure, im nächsten wird es das Modell von Peirce sein. Wörter wie das Wort absolut sind sprachliche Zeichen. Saussures Modell des sprachlichen Zeichens unterscheidet zwischen dem Signifikant und dem Signifikat eines jeden Wortes. Ausdruck und Inhalt sind alternative Bezeichnungen dessen, was gemeint ist. Das Wort als Signifikant ist dessen Laut- oder Schriftform. Das Signifikat eines Wortes ist seine Bedeutung, das mentale Konzept, die Idee, welche wir mit dem Signifikanten verbinden. Das sprachliche Zeichen hat nach Saussure (1916: 65) keinerlei außersprachlichen Bezug, weil es doch keine fertigen Ideen ohne Wörter gebe und die Bedeutungen der Wörter immer nur als Wörter begreifbar seien. Ohne Sprache sind Gedanken nach dieser Semiotik nur “eine unbestimmte und formlose Masse” in einem “unergründlichen und undeutlichen astronomischen Nebelfleck” (ibid.: 111-12). Nach diesen Voraussetzungen kann das Absolute natürlich nicht im Wort als dem Signifikanten des Sprachzeichens zu finden sein, ist doch der Signifikant des Wortes absolut durch die Regeln der deutschen Sprache bestimmt, deren Wortschatz sie angehört. Da das Sprachzeichen aber auch nicht unmittelbar auf ein außersprachliches Universum verweisen kann, weil dieses doch einer unergründlichen Nebelwolke gleicht, so darf das Absolute nach saussureschen Prämissen auch dort nicht gesucht werden. Die Bedeutung des Absoluten kann nur ein Signifikat sein, eine Bedeutung also, die nach Saussure (1916: 114) als ein semiotischer Wert in einem Netzwerk an bloßen Bedeutungsunterschieden zu verstehen ist. Das Semiotische Paradoxien des Absoluten 47 Absolute kann somit nicht losgelöst und frei von anderen Bedeutungen gedacht werden, denn das Sprachzeichen bezieht seine Bedeutung aus dem System aller anderen Bedeutungen, die sich von ihm unterscheiden. Das Absolute als dasjenige, was selbst losgelöst oder beziehungslos ist, ist nur begreifbar, wenn wir das kennen, was es nicht ist, also das Feste, das auf etwas anderes Bezogene, das Bestimmte etc. Wenn aber der semiotische Bezug auf jene anderen Signifikate den semiotischen Wert des Signifikats ‘absolut’ ausmachen, dann kann das Absolute nicht frei von jeglichem Bezug auf etwas anderes gedacht werden. Als Signifikat, und somit in seiner Bedeutung, ist das Absolute also etwas Bestimmtes und nicht etwas Unbestimmtes frei von allen Beziehungen, wie seine vielen Definitionen besagen. Darin liegt das strukturalistische Paradox vom Absoluten. Der Begriff bedeutet ‘frei von jeglicher Bestimmung’, aber er ist selbst ein semiotisch bestimmter Wert. Das, was das Unbestimmte bedeutet, der semiotische Wert des Begriffs vom Absoluten also, ist im und durch das System der Zeichen bestimmt, welches ihm die Bedeutung gibt. Auch dieses Paradox kann unter das allgemeine Paradox von der Definition des Absoluten überhaupt subsumiert werden: wir können das Absolute nicht als ein Unbestimmtes denken, weil unsere Gedanken es zu einem Bestimmten machen. Das Absolute als ein Zeichen: ein Widerspruch in sich nach Peirce Charles S. Peirce war ein Skeptiker gegenüber der Idee des absolut Exakten in den empirischen Wissenschaften ebenso wie gegenüber der Idee des Absoluten in der Theologie. Das Absolute, so Peirce, sei etwas, das “sich auf eine unerreichbare Grenze der Erfahrung beziehe”, aber da wir das Unerreichbare nie erreichen können und da “alles, was ohne Beziehung auf Erfahrung ist, bedeutungslos sei”, müsse das Absolute dem menschlichen Geist verborgen bleiben (CP 7.566, c.1892). Der in den empirischen Wissenschaften seiner Zeit vorherrschenden Überzeugung, dass absolute Genauigkeit wissenschaftlich möglich sei, stellte Peirce seine Doktrin des Fallibilismus gegenüber, wonach “unser Wissen niemals absolut ist, sondern stets gewissermaßen in einem Kontinuum von Ungewissheit und Unbestimmtheit schwimmt” (CP 1.171, ca. 1897). Gegen die Möglichkeit absolut exakter Erkenntnisse formulierte Peirce den folgenden Einwand: Ich widerspreche der Universalität des Notwendigen ebenso wie der Möglichkeit des Exakten. Kurz, ich wende mich dagegen, dass irgendeiner Proposition absolute Universalität, absolute Genauigkeit oder absolute Notwendigkeit zugeschrieben wird, die nicht vom Alpha und vom Omega handelt, wozu ich keinen Gegenstand des gewöhnlichen Wissens rechne. (CP 6.607, 1893) Die Alternative, die Peirce für jene anzubieten hat, die von der Möglichkeit absoluten Wissens überzeugt sind, ist seine Doktrin vom Synechismus, wonach alle Phänomene als kontinuierlich zu denken sind (CP 1.172, c.1897). Für einen Synechisten können Ergebnisse empirischer Untersuchungen nie absolut genau sein, weil es keine wirlich scharfen Trennungslinien zwischen den empirischen Phänomenen gibt. Absolute Propositionen sollten stets durch bloß “wahrscheinliche und annähernde Aussagen” ersetzt werden (CP 6.603, 1893). Wenn nach der Doktrin des Synechismus alle Propositionen nur annähernd gültig sind, dann können auch Definitionen des absolut Exakten nicht selbst absolut exakt sein. Das Prädikat des absolut Exakten ist selbst auf die Ergebnisse der sogenannten exakten Wissenschaften nicht anwendbar. Winfried Nöth 48 Auch als Zeichen betrachtet, kann das Absolute nicht ein absolut exaktes sein. Ein Zeichen hat nach Peirce eine triadische Struktur; es konstituiert sich aus (1) dem Zeichen selbst, das Peirce manchmal auch Repräsentamen nennt, (2) dem Objekt des Zeichens, welches vom Zeichen repräsentiert wird, und (3) dem Interpretanten, d.h., der finalen Wirkung welche das Zeichen auf einen Interpreten ausübt, z.B. ein Gefühl, eine Handlung, ein Gedanke, ein Wissen oder eine Erinnerung, welche durch das Zeichen vermittelt werden. Betrachten wir zuerst, warum das Zeichen selbst hinsichtlich dieser seiner drei Aspekte nicht absolut genau sein kann. (1) Bestimmtheit und Vagheit des Zeichens als Legizeichen. Das Zeichen absolut, also das Wort, ist nach Peirce als solches ein Legizeichen, also “ein Zeichen, das von der Art eines allgemeinen Typs ist” (CP 2.264, 1903). Insofern als es allgemein ist, kann es nicht etwas absolut Präzises sein. In jedem einzelnen Fall seines Gebrauchs erscheint das Legizeichen als eine Replik seiner selbst, jede einzelne Replik eines Wortes unterscheidet sich tatsächlich in seiner konkreten Form von allen anderen Repliken, wenn auch nur minimal. Mithin kann keine Replik eines Legizeichens dessen absolut genaue Replik sein. In ihrem konkreten Gebrauch können Legizeichen demnach nie absolut perfekt realisiert sein. Ein absolut perfektes Zeichen würde sich niemals verändern, aber Wörter und Ideen wandeln sich im Laufe der Zeit, und dies macht sie unvollständig und notwendigerweise ungenau. (2) Bestimmtheit und Ungenauigkeit des Zeichens als einem Symbol. Jedes Zeichen repräsentiert sein Objekt nur unvollständig; es steht für oder repräsentiert es nur “in gewisser Hinsicht oder hinsichtlich einer bestimmten Eigenschaft” (CP 2.228, c.1897). Kein Zeichen vermag sein Objekt vollständig zu repräsentieren, denn ein sein Objekt vollständig repräsentierendes Zeichen wäre das Objekt selbst und nicht ein Zeichen desselben. Schon aus diesem Grund kann kein Zeichen Anspruch auf absolute Exaktheit für sich erheben. Hinsichtlich seiner Objektrelation ist das Wort absolut ein Symbol, denn wie alle Wörter ist es durch sprachliche (phonetische, orthographische u.a.) Konventionen bestimmt. Symbole repräsentieren ihr Objekt in allgemeiner Weise (vgl. CP 5.449, 1905; Nöth & Santaella 2009, Nöth 2010). Als Symbol kann das Zeichen des Absoluten somit nicht selbst etwas Absolutes sein, das frei von jeder Bestimmung wäre. Ein absolutes und insofern vollkommenes Zeichen, wenn es denn ein solches gäbe, müsste ein Ikon sein, ein Zeichen also, das nicht nur das Absolute repräsentiert, sondern auch selbst die Eigenschaft des Absoluten hätte, welche dem repräsentierten Objekt eigen ist. In der Tat hat es in der Ästhetik der Romantik die Vorstellung von der Kunst als der Darstellung des Absoluten gegeben. Da aber die Eigenschaft, absolut im Sinne von vollkommen zu sein, nur einem einzelnen, und nicht mehreren Kunstwerken zugesprochen werden könnte - denn der Begriff des Absoluten im strengen Sinn verbietet die Vorstellung von mehr als einem einzelnen Absoluten - so könnte sich das Absolute in der Kunst niemals absolut, sondern immer nur in Annäherung manifestieren. Im Übrigen wäre die Verkörperung des Absoluten in einem einzelnen Kunstwerk logischerweise das Ende der Kunst, denn nach der Verwirklichung des absolut Schönen könnte kein schöneres Kunstwerk je geschaffen werden. (3) Unvollkommenheit im Interpretantenbezug. In Bezug auf seinen Interpretanten ist das Wort absolut ein Rhema, während seine Definition ein Dicent ist. Ein Rhema ist ein Zeichen, das, logisch betrachtet, einem Prädikat entspricht. Es repräsentiert sein Objekt als etwas bloß Mögliches, denn wie alle isoliert betrachteten Wörter kann es selbst weder als wahr noch Semiotische Paradoxien des Absoluten 49 falsch interpretiert werden (CP 8.337, 1904). Der Interpretant eines isoliert betrachteten Rhemas ist somit unbestimmt (CP 2.95, 1902; CP 4.327, 1904). Die Idee des Absoluten wird jedoch in Wirklichkeit nie isoliert gedacht, sondern sie erscheint im Allgemeinen als das Prädikat (Rhema) einer Proposition (eines Dicents). Im Satz Gott ist absolut ist aber das Rhema absolut ein relationales Rhema (CP 4.354, 1903), da es als das Prädikat eines Subjektes fungiert und in seiner Interpretation auf dieses bezogen wird. Als relationales Rhema kann die Idee vom Absoluten mithin nicht ohne seinen Bezug auf das interpretiert werden, was absolut ist. Das Absolute als Objekt eines Zeichens Nachdem somit das Wort absolut als Zeichen nicht selbst absolut sein kann, bleibt noch die Frage zu prüfen, ob das Objekt, welches das Zeichen repräsentiert, ein Absolutes sein könnte, das frei von Beziehungen auf etwas anderes zu denken wäre. Das Objekt des Zeichens ist das, was das Zeichen repräsentiert, sei es ein Gefühl, ein Gedanke, eine Erfahrung, eine Tatsache, etwas Reales oder auch nur Fiktives (cf. Nöth 2011). Kann es ein Absolutes sein? Im Prozess der Semiose geht das Objekt dem Zeichen voraus, denn um das Zeichen zu interpretieren, muss der Interpret dessen Objekt in den eigenen Erfahrungs- oder Wissenshorizont einordnen können. Das Zeichen eines unbekannten Objektes wäre ein nicht interpretierbares Zeichen. Peirce unterscheidet zwischen dem unmittelbaren und dem dynamischen Objekt (vgl. Ransdell 2007, Nöth 2011). Das dynamische oder auch reale Objekt liegt in der vom Zeichen repräsentierten Realität, die so ist, wie sie ist, unabhängig davon, ob sie nun durch das Zeichen repräsentiert wird oder nicht (vgl. CP 7.659, 1903). Von diesem Objekt in der Welt vor den Zeichen, haben wir kein absolut sicheres Wissen; wir können es nur unvollständig, nämlich nur durch seine Zeichen erkennen. Das dynamische Objekt kann nie absolut erfahren werden, aber wir können mit dem Fortschritt der empirischen Wissenschaften hoffen, langfristig immer mehr von ihm zu erfahren, uns ihm sozusagen asymptotisch anzunähern. Peirce beschreibt diese Möglichkeit der Annäherung an das dynamische Objekt so: “Es gibt […] eine Grenzwert dieser letzten Realität, der wie der Nullpunkt der Temperatur ist. Nach Lage der Dinge können wir uns ihm nur annähern; er kann nur repräsentiert werden” (MS 599.35f; c.1902, zit. n. Ransdell 2007). Das stets unvollständige aber immer erweiterbare Wissen von diesem Objekt, das außerhalb des Zeichens liegt, gewinnen wir durch die realen Wirkungen, welche dieses Objekt auf unsere Erfahrung ausübt. Diese Wirkungen des dynamischen Objektes “determinieren” das Zeichen, welches es repräsentiert. Das unmittelbare Objekt ist eine mentale Repräsentation des dynamischen Objektes, eine Vorstellung, ein Wissen und manchmal eine bloße Ahnung davon, was dieses reale Objekt des Zeichens sei. Peirce nennt es deshalb auch “das Objekt, so wie das Zeichen es repräsentiert” (CP 8.343, 1910). Es kann sich dabei nur um eine unvollständige Repräsentation des dynamischen Objektes handeln (CP 4.536, 1906; CP 8.183, 1903). Das unmittelbare Objekt der Idee vom Absoluten kann nicht frei von jeglichem Bezug auf etwas anderes sein, weil es stets durch seinen Bezug auf sein dynamisches Objekt definiert ist. Seine Unvollkommenheit zeigt sich u.a. in den Unterschieden zwischen vielen Definitionen vom Absoluten. Für jede neue Definition des Absoluten sind ja die vorangehenden Definitionen insofern das unmittelbare Objekt, als sie sich auf sie bezieht. Schopenhauers Idee vom Absoluten bezieht das Wissen von Fichtes Definition mit ein, Fichtes Definition nimmt auf Kants Definition Bezug, und Kants Definition berücksichtigte diejenigen von Spinoza und Leibnitz, etc. etc. Die vielen Winfried Nöth 50 Unterschiede in diesen Definitionen zeigen, wie das unmittelbare Objekt, welches die Philosophen in ihren Definitionen repräsentieren, dem dynamischen Objekt von der Idee des Absoluten, falls es ein solches denn gibt, jeweils nur unvollständig entsprechen kann. Wie aber wäre ein mögliches dynamisches Objekt zu denken, das die Idee vom Absoluten zu bestimmen vermöchte? Nach der Argumentation von Schopenhauer oder Nietzsche wäre die Idee vom Absoluten ein Zeichen ohne dynamisches Objekt. Wenn die Realität eines Absoluten, das außerhalb des Universums der Zeichen frei von jeder Determination existiert, nicht erfahrbar ist und wenn “alles, was ohne Beziehung auf Erfahrung ist, bedeutungslos ist” (CP 7.566, c. 1892; s.o.), dann scheint es keinen Sinn zu machen, sie als eine Realität zu postulieren, welche die Idee vom Absoluten bestimmen könnte. Zeichen ohne dynamische Objekte sind z.B. Zeichen ohne Wahrheitswert, wie etwa Halluzinationen, Träume oder Lügen. Diese Zeichen haben lediglich unmittelbare Objekte in der Form mentaler Repräsentationen, auf welche diese komplexen Zeichen sich beziehen (vgl. Ransdell 2007). Dabei können die einfachen Zeichen, aus denen sie zusammengesetzt sind, einzeln durchaus ihre eigenen dynamischen Objekte haben (W 2: 175, 1868). Wenn aber die Idee vom Absoluten ein komplexes Zeichen ohne ein dynamisches Objekt ist, so stellt sie ein semiotisches Paradox dar; liegt es doch nach Peirce in der langfristigen Teleologie der Zeichen und des rationalen Denkens, das Wahre zum Vorschein zu bringen und das Falsche als falsch aufzudecken (vgl. CP 2.444n1, 1897). Nach den Prämissen der peirceschen Semiotik ist die Idee vom Absoluten jedoch keineswegs notwendigerweise ein Zeichen ohne dynamisches Objekt. Das Absolute ist nicht notwendigerweise ohne jeglichen Realitätsbezug, wenn wir von dem peirceschen Realitätsbegriff ausgehen, der viel weiter gefasst ist als lediglich das Universum der real existierenden Tatsachen. Das dynamische Objekt eines Zeichens kann danach nämlich dreierlei sein: eine bloße Möglichkeit, etwas Existentes oder eine Notwendigkeit (EP 2: 480-81, 1908). In seinem “Vernachlässigten Argument für die Realität Gottes” beschreibt Peirce das erste dieser “drei Universen der Erfahrung, die uns allen vertraut sind”, als die Welt der “aller bloßer Ideen, jener körperlosen Nichtigkeiten, denen die Geister der Dichter, reinen Mathematiker oder andere in ihrem Geist eine örtliche Wohnstätte nebst einem Namen geben könnten” (CP 6.455, 1908). Danach kann die Realität, auf die sich die Idee vom Absoluten bezieht, weder in der Welt des Existenten noch in der Sphäre der Notwendigkeiten liegen, aber wohl in der Welt dieser “bloßen Ideen”. Der Grund dafür, dass Ideen schon in ihrer Eigenschaft als bloße Möglichkeiten (rhematische Symbole) eine erfahrbare Realität zukommt, liegt in ihrem semiotischen Potenzial, unser Denken zu bestimmen, indem es dieses prägt, beeinflusst bzw. es überhaupt erst ermöglicht. Peirce begründet diese Realität der Ideen wie folgt: “Die Tatsache, dass das Sein der Ideen in ihrer bloßen Fähigkeit besteht, unsere Gedanken zu ermöglichen, und nicht darin, dass jemand sie tatsächlich denkt, rettet ihre Realität” (EP 2: 480-81, 1908). Schon der bloßen Möglichkeit, das Absolute denken zu können, kommt damit eine wirkliche Realität zu. Sie ist allerdings nicht die starke Realität des Faktischen, sondern die schwächere Realität eines möglichen Einflusses auf unser Denken und Handeln. Hier liegt auch der Kern des “Vernachlässigten Arguments für die Realität Gottes” (CP 6.452-493, 1908): Gott ist weder eine Denknotwendigkeit noch können die Tatsachen des Universums sie beweisen, aber es kommt ihm eine Realität zu, die in seinem möglichen Einfluss auf die Menschen und auf ihr Handeln liegt (vgl. Raposa 1989: 55). Die Realität der Idee vom Absoluten ist also die Realität, die allen Symbolen zukommt. Sie besteht darin, dass Symbole Regeln oder Gewohnheiten sind, “die das zukünftige Denken Semiotische Paradoxien des Absoluten 51 und Handeln ihrer Interpreten beeinflussen” (CP 4.447, 1905). Als Symbole erzeugen Ideen demnach eine Realität in der Erfahrungswelt derer, die sie benutzen. Diese Realität ist die Realität ihrer Kraft, zukünftige Ideen vom Absoluten zu bestimmen. Als eine bloße Möglichkeit ist diese Realität schwach, denn “ein Mögliches kann nur ein Mögliches bestimmen” (EP 2: 480-81, 1908). Obwohl Peirce ebenso Gott wie dem Absoluten eine Realität im Sinne seiner pragmatischen Realitätskonzeption zuschreibt, lehnt er die theologischen Bestimmungen Gottes als Absoluten ab, aber nicht, weil er der Idee vom Absoluten fehlenden Realitätsbezug unterstellt, sondern weil er die Definition Gottes durch das Prädikat absolut für “wirkungslos” hält (CP 8.277, 1902), und zwar deshalb, weil dieser Begriff Präzision vortäuscht und die Möglichkeit des Wissens um zukünftige Erfahrungen von Gott ausschließt (vgl. Raposa 1989: 57). Das Absolute Spinozas und Leibnitz’ als die Idee eines von Anfang an vollkommenen und unveränderlichen Ursprungs des Universums ist auch deshalb für Peirce als Bestimmungsmerkmal Gottes inakzeptabel, weil es mit den Prinzipien seiner Kosmologie unvereinbar ist. Peirce’ eigene Metaphysik der Evolution interpretiert den Ursprung des Universums nicht als einen Zustand der absoluten Vollkommenheit des Kosmos, sondern vielmehr als ein Chaos von Unvorhersehbarkeiten, welches sich in Richtung auf einen Zustand hin entwickelt, der von Gesetzmäßigkeiten und Gewohnheiten bestimmt ist (Nöth 2004). Ein Absolutes, das vollkommen ist, kann sich nicht mehr verändern, und eine Welt, die ihren Ursprung in einem ersten vollkommenen Grund hat, kann sich nicht weiterentwickeln. Die dynamische Sichtweise der Evolution ist mit einer statischen Konzeption des Absoluten unvereinbar, denn: Das Universum ist nicht einfach das mechanische Ergebnis der Operation blinden Gesetzes. Seine offensichtlichsten Eigenschaften können so nicht erklärt werden. Zahllose Erfahrungstatsachen beweisen dies. […] Wir sehen die Gesetze der Mechanik […]. Wie vermuten, dass […] diese Gesetze absolut und das ganze Universum eine unendliche Maschine sei, die nach den blinden Gesetzen der Mechanik arbeiten. Dies ist eine Philosophie, die keinen Raum für einen Gott lässt! Nein, in der Tat! Sie lässt selbst das menschliche Bewusstsein, dessen Existenz niemand bezweifeln kann, als einen Weltenflâneur ohne möglichen Einfluss auf irgendetwas erscheinen - nicht einmal auf sich selbst. (CP 1.161-62, c. 1897) Spinozas rationalistische Idee von einem absoluten Gott leidet demnach an ihrem Absolutheitsanspruch. Seine absolutistische Konzeption des Absoluten ist schließlich auch mit den peirceschen Prinzipien des “Wachstums der Symbole” unvereinbar, wonach das “höchste aller Symbole […] Wachstum oder die Selbstentwicklung des Denkens bedeutet” (CP 4.9, 1905). Die höchsten aller Symbole sind nicht diejenigen, deren Bedeutung unveränderlich feststeht, sondern jene, in denen sich autopoietischer Wachstum zeigt. Symbole sind nämlich “etwas Lebendiges im eigentlichen nicht bloß metaphorischen Sinn des Wortes. Ihr Körper verändert sich langsam, aber ihre Bedeutung wandelt sich unvermeidlich, indem es neue Elemente aufnimmt und alte abwirft” (CP 2.222, 1903). Literaturangaben Balat, Michel (1990). Sur la distinction signe/ representamen chez Peirce. Versus 55-56: 41-67. Eisler, Rudolf (1904). Wörterbuch der philosophische Begriffe. Berlin: Mittler und Sohn. Stichwort: Absolut. - Online: http: / / www.textlog.de/ 1452.html (Juli 2010). Kuhlen, Rainer (1971). Absolut, das Absolute. In Joachim Ritter, Hrsg., Historisches Wörterbuch der Philosophie, vol. 1. Basel: Schwabe, 12-32. Winfried Nöth 52 Long, Wilbur (1942). Absolute. In Dagobert D. Runes, ed., Dictionary of Philosophy. New York: Philosophical Library. Online: http: / / www.ditext.com/ runes/ a.html (Juli 2010). Nöth, Winfried (2004). Semiogenesis in the evolution from nature to culture. 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