eJournals Kodikas/Code 33/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2010
333-4

Film als Semiosphäre. Der Bulgarische Film in Zeiten von Transformationen

2010
Silviya Kitanova
Film als Semiosphäre. Der Bulgarische Film in Zeiten von Transformationen Silviya Kitanova; Leuphana Universität Lüneburg This article discusses the medium cinema as a semiotic structure. In this context an analogous approach is related to Lotman’s theories of semiotics. Subject of research is the east-European cinema during the communism era of the last century. The study shows that the subversive iconography of the cinematographic language makes it possible to avoid the communist censorship and to criticize the regime’s hypocritical ideals. A special focus is put on the Bulgarian cinema during the communistic regime. Therefore two Bulgarian movies, Margarit and Margarita (1988) and Yesterday (1988), are to be exposed and analyzed. While applying J. M. Lotman’s theories of semiotics, it is significant to figure out, which elements and characteristics of it have an impact or could be effective for the film analysis. 1 Einleitung Ausgangspunkt dieser Abhandlung ist die Betrachtung des Mediums Film aus semiotischer Sicht. In der Untersuchung werden die charakteristischsten Elemente und Mittel seiner Sprache erforscht. Seine Eigenschaften werden explizit erörtert. Der theoretische Schwerpunkt liegt somit auf den Theorien des russischen Semiotikers Jurij M. Lotman. Untersuchungsobjekt ist hier der Osteuropäische Film während des Kommunismus, der mittels einer subversiven Bildsprache die Zensur des totalitären Apparates umgeht und somit Kritik an dem Regime ausübt. Im Speziellen liegt der Fokus auf dem Bulgarischen Film. Hierfür werden die Filme M ARGARIT AND M ARGARITA (1988) und Y ESTERDAY (1988) herangezogen und anhand Jurij M. Lotmans Theorien analysiert. Filmanalytisch wird untersucht, durch welche Elemente die Subversivität der Bildsprache zum Ausdruck kommt. Sind Rückschlüsse auf eine subversive Kritik an dem kommunistischen Regime festzustellen? Welche charakteristischen Elemente der Filmsprache werden durch die Filme akzentuiert? Welche Themen werden in den Filmen dargestellt? Zusätzlich wird die Rolle der filmischen subversiven Bildsprache im gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Kontext Osteuropas untersucht. Die ausgearbeiteten Aspekte sollen aufzeigen, inwiefern dieser Kontext den Osteuropäischen Film beeinflusst. 2 Die Sphäre des Films Der für alle osteuropäische Länder eingeleitete Reformkurs von Parteichef Nikita Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 richtet unter anderem sein K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 33 (2010) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Silviya Kitanova 370 filmisches Hauptaugenmerk auf die langsame, jedoch eingeschränkte Öffnung gegenüber dem Westen. Diese Periode, genannt auch Tauwetter-Periode 1 , bezeichnet die Zeit der vorsichtigen Auflockerung und größeren Freiheit innerhalb der kulturellen Praxis in den sozialistischen Ländern nach Stalins Tod. In der Phase der Entstalinisierung wird die Zensur ebenfalls aufgelockert, das dazu führt, dass eine offene Diskussion über die aktuelle gesellschaftliche Situation und mögliche Problemlösungen im Bereich der Kultur entsteht (vgl. Milev 1992: 56). Obwohl die Filmindustrie während der Tauwetterzeit von ungeheuerem Aufblühen geprägt ist, werden politische Themen in Filmen jedoch umgangen. Ziel dieser Entpolitisierung ist die Ausblendung der unerwünschten Vergangenheit (vgl. Karl 2007: 82). So drehen die sozialistischen Länder in dieser Zeit eigene Produktionen nach westlichen Prototypen. Rumänien und Jugoslawien, deren Filmlandschaft zusätzlich durch ihre Multinationalität geprägt wird, drehen beispielsweise Western und Krimis mit westlichem Einfluss (vgl. Milev 1992: 58). Die langsame Öffnung gegenüber dem Westen führt schlussendlich zu einem entkrampften Umgang mit der Geschichte und der Gegenwart. 2 In den 1960er Jahren wird der Import westeuropäischer Filme trotz strenger Kontrollen intensiver. Die französische Nouvelle Vague, der Italienische Neorealismus oder der Neue Deutsche Film werden dem osteuropäischen Publikum bekannt gemacht (vgl. ebd.: 57). Trotz der ständigen Präsenz des Sozialistischen Realismus wird die Filmkultur in Osteuropa durch die neuen Filmrichtungen stark beeinflusst. Währenddessen entwickelt sich eine alternative Gegenströmung zur Konsumunterhaltung, welche auf die Sichtbarwerdung des Eigenen besonders stark eingeht (vgl. Bulgakowa 1998: 206). Die Herausforderung, das kommunistische System mit Hilfe des Mediums Film zu brechen und es zu nutzen, ist besonders groß (vgl. Frankfurter 1995: 13). Es beginnt ein Spiel mit der Macht und der Kampf um den eigenen Ausdruck. In Polen thematisieren Filmschaffende, wie Jerzy Stefan Stawinski, Andrzej Munk, Jerzy Passendorfer oder Andrzej Wajda, die Revision der Geschichte ihres Landes und die Sinnlosigkeit des gewaltsamen Widerstands in ihren Werken. Mit einem subversiven Unterton in ihren Werken verfolgen sie die Kritik an der nationalistischen Öffentlichkeit sowie an der kommunistisch orientierten Kulturbürokratie. Es entsteht somit der Begriff der Polnischen Filmschule (vgl. Milev 1992: 58). Allgemein werden die Thematiken, mit denen sich die Polnische Filmschule beschäftigt, als antiheroisch bezeichnet. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zielt auf die Erforschung und Dekonstruktion polnischer Komplexe und Traumata und deren Genesung (vgl. ebd.). Zusätzlich wird die Teilnahme an internatonalen Filmfestivals und an Koproduktionen verstärkt vorgenommen. 3 Lars Karl zufolge offenbart diese Periode der Kulturgeschichte Europas “ein Feld internationaler Beziehungen, die bislang aus dieser Perspektive weniger betrachtet wurde.” (Karl 2007: 255) Seiner Meinung nach sollte man den Kalten Krieg “als eine Konfrontation und Konkurrenz der Kulturen, der Repräsentationen und Bilder betrachten, die jeder Block dem anderen entgegenstellte.” (Ebd.) Somit werden Strukturen sichtbar, die auch außerhalb der gesellschaftlichen und politischen Beziehungen funktionieren. Lars Karl führt fort: “[…] die Akteure und Netzwerke dieses nicht zuletzt kulturellen Wettbewerbes gehörten vielmehr auch anderen Ebenen und Kreisen an, und ihr Handeln schrieb sich in komplexer Weise auch in verschiedenen transnationale und blockübergreifende Konstellationen ein.” (Ebd.) So spielen beispielsweise internationale Filmfestivals während der Zeit des Kalten Krieges eine wichtige Rolle, weil sie es ermöglichen, “beide Aspekte des kulturellen Kalten Krieges Film als Semiosphäre 371 in ihrer Verschränkung zu betrachten.” (Ebd.) Durch Filmfestivals wird die Möglichkeit geboten, die Dimensionen des Kalten Krieges historisch zu untersuchen sowie Zusammenhänge und Entwicklungen solch internationaler Netzwerke zu erfassen. Für eine blockübergreifende Geschichte des europäischen Films sind die während des Kalten Krieges auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs veranstalteten internationalen Filmfestivals von besonderer Bedeutung. Als Spannungsfelder außenpolitischer, kulturpolitischer und filmkünstlerischer Instrumentarien dienen sie nicht zuletzt auch als markante, über die Jahre konstante Spiegelungen dessen, was man Herausbildung einer systemübergreifenden, (gesamt-) europäischen Film- und Kinosprache der Moderne nennen kann (vgl. ebd.: 15). In den 50ern und 60ern Jahren entstehen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs Filmrichtungen, die vor allem eine traditionelle Erzählung der Filmhandlung ablehnen. 4 Sie kennen keine politischen oder ästhetischen Einschränkungen bei der Auswahl ihrer Themen, sie stellen persönliche Szenarien dar und genießen mehr Improvisationsfreiheit (vgl. Karl 2007: 265). Durch die unkonventionellen filmischen Dimensionen erlangen die neuen Filmbewegungen einen hohen internationalen Bekanntheitsgrad und lenken ihre Filme “in eine europäische, internationale Bewegung, welche die Spaltung Ost/ West überschritt.” (Karl 2007: 265) Internationale Filmfestivals im Westen werden sowohl “zu den wichtigsten Orte für die Verbreitung des neuen osteuropäischen Kinos” (ebd.), als auch zum Ort des Austausches. “Somit reiste ein kleiner Kreis von ‘Vermittlern’ zwischen Ost und West und half, die Zirkulation von Filmen, Bildern und Ideen zu ermöglichen und zu fördern.” (Ebd.: 267) Osteuropäische Filmschaffende bekommen hier Anerkennung und ein breites Publikum für ihre Filme. Roman Polanski ist dadurch in doppelter Weise ein Sinnbild für die transnationale Verflechtung des Kinos zwischen Ost und West: Er steht einerseits für die Erneuerung und den Austausch, die sich im Laufe der 1960er-Jahre intensiver entwickelt hatten. Als Exilant ist er andererseits aber auch ein Symbol für die Grenzen, an die das osteuropäische Kino weiterhin stieß (vgl. ebd.: 268). Die Tschechen Milos Forman und Jan Nemec 5 sorgen ebenfalls Ende der 60er Jahre für internationales Aufsehen, jedoch ist die erste Reformwelle in den sozialistischen Ländern zu diesem Zeitpunkt ernsthaft bedroht (vgl. Milev 1992: 58). Die Tauwetter-Periode endet mit der Absetzung Nikita Chruschtschows. Der neue Parteichef der KPdSU, Leonid Iljitsch Breschnew, ist bekannt für seine traditionalistischen und konservativen Ansichten. Er ist verantwortlich für die Zerschlagung der Reformbewegung des Prager Frühling 1968 und die anschließende kulturelle und gesellschaftliche Stagnation in den Ostblock-Ländern (vgl. ebd.). “So konnte sich die Filmkunst in Osteuropa nun in einem Vakuum zwischen orthodoxtraditionalistischem Kulturverständnis und ausgeprägtem Reformwillen über Jahre hinweg entwikkeln. Je nach den Besonderheiten der jeweiligen nationalen Situation, nach den Moden in der Politik, war das eine oder andere Element prägender, aber auch bei den größten Höhen und Tiefen immer wieder ihr Zusammenspiel.” (Milev 1992: 58) Anfang der 70er Jahre verzeichnet man in den sozialistischen Ländern aufgrund der internationalen Entspannungspolitik und der KSZE-Schlussakte von Helsinki erneut eine Tauwetter- Periode. 6 “Dieses internationale Klima, dem auch ein Prozeß der relativen politischen Liberalisierung in den Ländern Osteuropas selbst […] entsprach, hatte eine günstige Auswirkung auf die Entwicklung der Filmkunst. Kritische, offene Filme, die auch stilistisch interessant waren, ja Experiment-Charakter trugen […] konnten gedreht werden. […] In Bulgarien erregte mit der “Migrations-Thematik” (Das Land erlebte mit der Durchführung der sozialistischen Industria- Silviya Kitanova 372 lisierung eine verstärkte Auswanderung der ländlichen Bevölkerung in die Städte) ein interessanter Zyklus von Filmen, gedreht meistens auf der Grundlage der Drehbücher des Schriftstellers Georgi Mischew, die internationale Aufmerksamkeit.” (Ebd.: 59) Zusätzlich findet eine große Koproduktions-Hochkonjunktur statt - sowohl innerhalb der sozialistischen Länder, als auch mit westlichen Partnern. Trotz der günstigen Auswirkung auf die Entwicklung der Filmkunst und dem größeren künstlerischen Freiraum, werden dennoch unzählige offene und kritische Filme verboten und erst nach 1989 für das breite Publikum wieder zugänglich gemacht. “[…] Die populären Filme, die meist aus Frankreich, Italien und den USA eingeführt wurden, weckten auch beim Publikum Bedürfnisse, die es kontinuierlich zu befriedigen galt. Um den Drang der Zuschauer nach westlicher Unterhaltung zu verwischen, hatte man in früheren Jahren, jetzt noch verstärkter, fast überall in den osteuropäischen Film-Institutionen begonnen, bei den offiziellen Statistiken über die Besucherzahl falsche Angaben aufzuführen, mehr Zuschauer den Filmen der sozialistischen Gegenwart zuzuschreiben - ein Selbstbetrug, der allen klar war. Man wollte nicht zugeben, dass “die wichtigste aller Künste” für das breite Publikum doch “made in West” attraktiver war. Die Indianer- und Krimifilme der DEFA 7 , die “pikanten” jugoslawischen Komödien, die rumänischen Western, die tschechischen Familien-(Fernseh-)Serien waren und sind darauf bedacht, dem Unterhaltungsbedürfnis der Bevölkerung eigene, sozialistische Muster entgegenzustellen und sind jeweils ein früher, synchroner oder verspäteter Ausdruck dieser Filmpolitik.” (Ebd.: 59) In den 70er Jahren stabilisiert sich die Wirtschaft der sozialistischen Länder, was zum stetigen Anwachsen des materiellen Wohlstands beiträgt. Somit verändern sich die Arbeits- und Lebensbedingungen, infolgedessen Probleme sichtbar werden, die “man lange Zeit nur dem Kapitalismus zuschreiben wollte.” (Ebd.: 60) Die Folgen der verleugneten Vergangenheit, Entfremdungserscheinungen, menschliche Isolation und Aggressivität gelten als Indikator für die bevorstehenden politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in der sozialistischen Gesellschaft (vgl. ebd.). Anfang der 80er Jahre finden bedeutende Veränderungen in der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Sphäre statt, die zu Unruhe und Verwirrung in der sozialistischen Gesellschaft führen. 8 Im Mai 1986, in Anlehnung an den 27. Parteitag der KPdSU, findet der 5. Kongress der Filmschaffenden der UdSSR statt. Das Treffen gilt als Beginn der Perestroika-Welle 9 im Sowjetischen Film, spielt aber dennoch auch eine entscheidende Rolle für die gesamte osteuropäische Filmkultur (vgl. Milev 1992: 62). Es werden grundlegende Reformen vorgenommen. Ziel der Perestroika ist unter anderem die Dezentralisierung und Demokratisierung des sozialistischen Filmverbandes. Hier werden eine Dezentralisierung der Produktion und eine Öffnung der Filmwirtschaft auf marktwirtschaftlicher Ebene vorgenommen z. B. durch Kooperationen mit westlichen Partnern (vgl. ebd.). Ferner werden diese Reformen von der Erweiterung der filmischen Tätigkeit, sowie von der Verstärkung der Produktion und Distribution auf internationaler Ebene begleitet. Eines der wichtigsten Ziele der Perestroika-Welle ist die Freigabe früher verbotener Filmen (vgl. ebd.). Aufgrund des geringen Umfangs der einzelnen länderspezifischen Filmproduktionen, vollziehen sich die Demokratisierungsprozesse in den restlichen osteuropäischen Ländern schneller als in der UdSSR (vgl. ebd.: 63). In Hinsicht auf die filmischen Demokratisierungsreformen liegen Polen und Ungarn ganz vorne. In Rumänien existieren bereits vier unabhängige Filmstudios. 10 Die filmischen Demokratisierungsprozesse in dem jugoslawischen Staat machen sich insbesondere in Slowenien und Kroatien bemerkbar. Film als Semiosphäre 373 “Allein als isoliertes Phänomen bleibt Albanien, das sich immer noch in stalinistischen Schranken bewegt und sich dem Perestroika-Prozeß in allen Bereichen, auch der Filmkultur, resolut widersetzt.” (Milev 1992: 64) Durch die vorgenommene Demokratisierung der Filmkultur in der sozialistischen Gesellschaft wird die Auswahl der Filmthemen entscheidend beeinflusst (vgl. ebd.: 65). Neue stilistische Filmrichtungen werden entwickelt. Filme werden aus persönlicher Sicht erzählt (vgl. Frankfurter 1995: 155). Früher tabuisierte Themen, wie Prostitution, Drogensucht, Homosexualität, städtische Subkultur oder Korruption, werden in das Filmsujet mit eingebaut (vgl. Milev 1992: 66). Die verdrängte Vergangenheit wird erstmalig reflektiert und durch die Filmhandlung aufgearbeitet. Bärbel Westermann weist in ihrem Buch “Nationale Identität im Spielfilm der fünfziger Jahre” (1990) darauf hin, dass die Vergangenheitsthematisierung einer Gesellschaft von großer Bedeutung sei. Man brauche den Bezug auf die eigene Tradition, denn die Verdrängung von Geschichte liquidiere die Chance dialogischer Existenz und damit die Chance, die Geschichte als einen Austausch von Eigenem und Fremdem wahrzunehmen. Durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und die Verarbeitung ihrer Fehler, erreicht das Medium Film in jener Zeit eine neue Stufe (vgl. Westermann 1990: 21). Die mit politischer Gewalt aufgesetzten Ideale und Vorbilder des kommunistischen Regimes werden verbannt. Im Mittelpunkt steht nun das desillusionierte Individuum in seiner neuen Situation (vgl. Milev 1992: 66). Zusätzlich sind die neuen Themen dem Innenleben des Menschen, seinen Ansichten und Eigenschaften gewidmet. 3 Der Bulgarische Film Um die Situation des Bulgarischen Films in der Zeit des Kommunismus adäquat verstehen und analysieren zu können, wird zunächst einen Blick zurück auf seine Geschichte geworfen. Die Kinematographie erreicht Bulgarien Ende des 19. Jahrhunderts erstmalig in der Hafenstadt Russe, wenige Monate später auch in der Hauptstadt Sofia. Im Vassil Gendovs Modernen Theater in Sofia werden Anfang des 20. Jahrhunderts regelmäßig Filme aus Frankreich und Deutschland vorgeführt (vgl. Frankfurter 1995: 90). Mit Beginn des Ersten Weltkrieges produziert er selbst Filme, um sein Modernes Theater finanziell retten zu können. Er führt selbst Regie und ist manchmal als Hauptdarsteller zu sehen. In der Zwischenkriegszeit werden sowohl bulgarische, als auch ausländische Filmproduktionen vorgeführt (vgl. ebd.). Mitte der 20er Jahre weisen die deutschen Filme 45% des Filmmarktes auf. Filme aus den USA besitzen einen Marktanteil von 29%, gefolgt von den französischen mit 18% (vgl. ebd.). Gegen das Monopol der oben aufgeführten Filmländer überlebt die bulgarische Filmindustrie, indem sie den Schwerpunkt auf die Verfilmungen von beliebten Volkssagen und literarischen Klassikern setzt. Dennoch werden viele dieser Filme im Zweiten Weltkrieg bei Luftangriffen auf Sofia zerstört und erreichen somit nie das breite Publikum. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgen noch acht privat produzierte Filme, bis schließlich am 5. April 1948, mit dem Aufkommen des Kommunismus, die bulgarische Filmindustrie verstaatlicht wird (vgl. ebd.). Bis zu Stalins Tod 1953 findet auf dem bulgarischen Filmmarkt nichts Bemerkenswertes statt. Die Filmindustrie soll lediglich ihren sozialistischen Zweck erfüllen, den Zuschauer zu erziehen. “Wieviel Unsinn wurde damals gedreht, wieviel Überflüssiges wurde da produziert! Dies läßt sich nur erklären, wenn man sich die Situation ansieht, aus der heraus die Filme entstanden. Der Silviya Kitanova 374 Staat stellte damals Produktionsgelder zur Verfügung […] und folglich lief ‘alles nach Plan’ […]: Je mehr, desto besser.” (Ignatovski 1999: 210) Mit Beginn der Tauwetterperiode nach dem XX. Parteikongress der KPdSU 1956 entwickelt sich die bulgarische Kinematografie zu einer wichtigen nationalen Bewegung innerhalb Osteuropas (vgl. Frankfurter 1995: 90). In ihrem Aufsatz “A Point of View on the Cinema Art from between the Worlds of Postcommunism and Democracy. Bulgarian Cinema” (1999) schildert Iskra Dimitrova die damalige Position des Bulgarischen Films im sozialistischen Kontext: “They gave much money for making films. They supported the education of young people in the art of cinema […] and they published film magazines […]. All these acts aiming ideological purposes resulted in the creation of a community of film makers and film critics who were educated and the most important - who were granted the right to attend international film festivals and to communicate beyond the ‘wall’ between the socialist countries and the rest of the world. And this community silently began to use this knowledge in its work.” 11 Somit beschäftigen sich namhafte Filmschaffende, wie Rangel Vulchanov, Valeri Petrov, Binka Zhelyazkova oder Hristo Ganev, erstmalig in ihren Werken mit einer psychologischen Differenzierung der Charaktere im Gegensatz zum sozialistischen Helden-Prototyp. Man spricht vom Poetischen Realismus 12 - trotz strenger Zensur. Einige Filme des so genannten poetischen Kinos (vgl. Frankfurter 1995: 90) entstehen sogar als Koproduktion mit anderen osteuropäischen Ländern. Hans-Joachim Schlegel bietet einen ausführlichen Einblick in die sichtbar werdenden Reformationsprozesse der Filmlandschaft in Bulgarien: “Die Emanzipationsprozesse begannen […] mit kleinen Schritten, die das Terrain zunächst strategisch und taktisch erkundeten. Zumeist mit einem aus heutiger Sicht eher ‘harmlos’ erscheinenden ästhetischen Eigensinn, der gegen die normierte Öde ‘sozialistisch-realistischer’ Ikonographie rebellierte […]. Damit war aber bereits eine Entwicklung eingeleitet, die dann schon bald auch vor den inhaltlichen Widersprüchen offiziell verkündeter Ideale und tatsächlicher Realität nicht mehr halt machte.” (Schlegel 1999: 14-15) Dennoch werden wichtige Filme mit zeitgenössischer sozialer Thematik meistens sofort nach Fertigstellung verboten und erst nach 1989 wieder freigegeben. Zahlreiche Drehbücher werden überarbeitet, bereits fertig gestellte Filme werden neu geschnitten. Dies führt dazu, dass viele Filmschaffende emigrieren oder das geistige Exil wählen. In seinem Aufsatz “Das andere Kino in Bulgarien” (1999), schreibt Vladimir Ignatovski über die Dissonanz des kommunistischen Regimes in Bulgarien: “[…] eines der wichtigsten Merkmale des totalitären Staates: die Schizophrenie der totalitären Gesellschaft, in der stets zwei absolut unterschiedliche Bewußtseinsformen nebeneinander vorhanden sind - ein offiziellen bzw. offiziöses Bewußtsein, und ein inoffizielles Alltagsbewusstsein, ein ideologisch geprägtes und ein ideologiefernes, normales Bewußtsein. Man lebte zugleich mit dem einen wie mit dem anderen Bewusstsein.”(Ignatovski 1999: 211) Die Schizophrenie des kommunistischen Regimes spiegelt sich in den in dieser Zeit entstandenen Filmen wider. Einerseits existiert das offizielle von der kommunistischen Doktrin vorgegebene Kino mit ideologisch beeinflussten Produktionen. Andererseits entsteht eine Gegenströmung aus ambitionierten Filmemachern, die sich lediglich der offiziösen Linie bedienen, “und dies zuweilen durchaus nicht untalentiert” (ebd.). Ein Wendepunkt in der bulgarischen Filmgeschichte erreicht Metodi Andonovs Film K OZIYAT ROG (Das Ziegenhorn, 1972). 13 Der Film basiert auf der Erzählung von Nikolai Film als Semiosphäre 375 Chaitov und wird gänzlich in schwarz-weiß gedreht. Die Handlung stellt ein archaisches Drama aus dem 18. Jahrhundert zur Zeit der Osmanenherrschaft dar. “Die Geschichte einer Rache bot eine eigenartige Vision der Zeiten osmanischer Herrschaft, denn der Regisseur Metodi Andonov ließ Moslems und Christen, die zwei feindlichen Kräfte im Film, Bulgaren sein, was das übliche Schema “Bulgaren gegen Türken” in den sonstigen historischen Filmen sprengte. Ein christianisierter Hirte wird von den Dienern eines moslemischen Herrschers gequält und gedemütigt, vor seinen Augen vergewaltigen und töten sie seine Frau, schließlich zünden sie seine Hütte an. Die kleine Tochter verstummt nach diesem Schock für immer. In einer Höhle, die wie die Katakomben der ersten Christen aussieht, bereitet der Mann seine Rache vor, und zwei Öffnungen im Gestein beobachten ihn dabei wie die Augen Gottes. Das Mädchen Maria wird vom Vater zu einem Jungen erzogen, der nur eines können muß: töten. Die ‘Geschlechtsumwandlung’ und die ein Jahrzehnt später ausgeführten Morde werden wie heidnische Riten - zu eigenwilligen Klängen und in Masken - zelebriert. Maria verliebt sich jedoch in einen moslemischen Hirten und widersetzt sich der ihr zugedachten Rolle, worauf der Vater die zaghafte Romanze mit einer Blutorgie beendet.” (Bulgakowa 1998: 206) Obwohl die Filmhandlung eine Periode aus dem 18. Jahrhundert darstellt, ist die Thematik des Films für die damalige gesellschaftliche und politische Situation Bulgariens aktueller denn je. “Dieser rituelle Film mit atemberaubenden Berglandschaften im blauen Licht kommt fast ohne Worte aus. Sein erklärter Kunstgestus traf eine traumatische Beziehung, die durch einen Gegensatz geprägt war: den Wunsch, Feinden und Andersgläubigen verzeihen, ja sie lieben zu können, und die Unmöglichkeit, sich in diese Versöhnung zu begeben. Die begeisterte Aufnahme der ambivalenten Geschichte zwischen christianisierten und moslemisierten Bulgaren wirkte besonders kraß im Kontext der “Bulgarisierung” von Moslems und der Schließung von Moscheen in den letzten Jahren der sozialistischen Ära Bulgariens. Der Versuch, sich in einer erklärten Parabel der lange in Filmen gefestigten historischen Feindschaft zu widersetzen, hatte offensichtlich wenig Auswirkung auf die reale Politik. Die alten Feindbilder blieben, wie auch die Anekdoten, in denen die Rolle der Dummen stets den Türken zufiel.” (ebd.) Dieser Wendepunkt bewegt junge Regietalente dazu, sozialkritische Themen in ihre Filme mit einzubeziehen. Die alternative Gegenströmung zur Konsumunterhaltung entwickelt sich zu einer bulgarischen Neuen Welle (vgl. Frankfurter 1995: 90). Zwar werden ihre Filme nach dem gleichen vorgegebenen sozialistischen Muster produziert, dennoch unterscheiden sie sich durch viel Poesie, Phantasie und ästhetische Ausdrucksstärke. Die Gegenströmung beschäftigt sich damit, eine neue Filmsprache herauszuarbeiten, mit deren Hilfe die gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Probleme Bulgariens thematisiert und behandelt werden können, ohne den künstlerischen Kontext des Mediums zu verlassen: “[…] this unusual struggle against the communist ideology led to the creation of a special film language which turned in time […] in an extraordinary form of film culture based on a very inventive art analysis of the social reality.” 14 Die Notwendigkeit einer neuen Filmsprache resultiert also aus der spezifischen Situation des Bulgarischen Films, sowie dem Bedürfnis, das Medium als soziales Kommunikationsinstrument einzusetzen, und das Individuelle in den Mittelpunkt der Handlung zu positionieren (vgl. Bulgakowa 1998: 206). Mithilfe dieser subversiven Filmsprache beginnt die bulgarische Neue Welle: Silviya Kitanova 376 “[…] to function as an extraordinary substitute to all officially forbidden expressions of the social life such as free press, political and even economic discussions, philosophical explanations of human beings and life.” 15 Filmschaffende setzen sich mit den repressiven Forderungen des Sozialistischen Realismus in ihren Filmen auseinander. Zusätzlich werden durch den Einfluss westeuropäischer Filmrichtungen sichtbar werdende soziale Prozesse und Problematiken reflektiert und filmisch verarbeitet (vgl. Frankfurter 1995: 90). Die Mittel der sozialistischen Filmästhetik werden abgelehnt. Neue Filmthemen und Ausdrucksformen werden erschaffen. Realitätsnahe, charakteristische Bilder aus der kulturellen Tradition Bulgariens werden wiederhergestellt und zum Ausdruck gebracht. Vladimir Ignatovski sieht die wichtigste Funktion des “‘anderen Kinos’ [in Bulgarien; S. K.] im Bruch mit sozialen und ideologischen Tabus in [den] Filmen mit sogenannten ‘heiklen Themen’.” (Ignatovski 1999: 214) Die avantgardistische Gegenströmung muss, aufgrund des ideologischen Drucks und der streng normierten Regeln des Regimes, mit abstrakten und kodierten Bildern arbeiten: “Die behielt man mit einer derart absurden Strenge im Auge, daß sich die oberste Zensurinstanz, und manchmal auch das gesamte Politbüro mit seinem Generalsekretär an der Spitze, im Kinosaal versammelte.” (Ebd.: 212) Ihre subversive Bildsprache ermöglicht es ihnen dennoch, über die verdrängte Geschichte oder das Sichtbarwerden des Eigenen zu sprechen, ohne die Zensur zu hintergehen (vgl. Bulgakowa 1998: 206). Es entstehen Filme, die subtil und dennoch kritisch die gesellschaftlich absurden Folgen des kommunistischen Regimes beobachten. Es sind Filme mit einer subversiven Bildsprache, deren Enträtseln dem Publikum überlassen wird. Die Charaktere in diesen Filmen sind realitätsnah, fast dokumentarisch und vielschichtig im Vergleich zu den schematisierten Helden des Sozialismus. Die Neue Welle in Bulgarien wird jedoch Anfang der 80er Jahre in ihrer Entfaltung stark eingeschränkt (vgl. Frankfurter 1995: 90). Da der Staat damit beschäftigt ist, enorme Summen in große historische Filme zu investieren, die anlässlich des 1300sten Geburtstages der Gründung des Landes im Jahr 681 produziert werden, stehen der Gegenströmung keine ausreichende Mittel zur Verfügung (vgl. Bulgakowa 1998: 204). Nicht zuletzt ermöglichen aufwändige, historische Produktionen ein leichtes Konsumieren und verzeichnen immer wieder ein starkes Interesse beim breiten Publikum. 16 In der gleichen Dekade erfolgt eine neue Zäsur in der Entwicklung der bulgarischen Kinematografie. Die angehenden politischen Reformen in Osteuropa inspirieren einige Filmschaffende, die stalinistische Vergangenheit aufzuarbeiten (vgl. Frankfurter 1995: 90). Darüber hinaus gelten Filmtitel als Zeuge verschiedener Perioden und Entwicklungsrichtungen in der Geschichte (vgl. Mihailovska 1985: 140). Geht man dieser Tendenz nach, verzeichnet man zwischen 1979 und 1980 einen Liebes- Boom im Bulgarischen Film. V SITSCHKO E L YUBOV (Alles ist Liebe, 1979), I GRA NA L YOBOV (Liebesspiel, 1980), P OTCHTI L YUBOVNA I STORIA (Fast eine Liebesgeschichte, 1980) usw. entstehen in jener Zeit. Hinter dem Streben nach Liebe dringt jedoch eine andere grundsätzliche Thematik in den Filmen ein. Hinter den Liebesgeschichten werden Möglichkeiten der sozialen Adaption und die vollwertige Entfaltung der jungen Charaktere im Film thematisiert und diskutiert (vgl. ebd.: 141). Man durchdringt ihre Werte und Vorstellungen, beobachtet und analysiert, wie die moderne Gesellschaft die jungen Charaktere zu Persönlichkeiten formt. Mittels dieser Thematik werden die oben genannten Filme zu Paradebeispielen, welche die Probleme der modernen bulgarischen Gesellschaft widerspiegeln (vgl. ebd.). Die Entwicklung der bulgarischen Neuen Welle im Kontext der gesellschaftlichen Hintergründe während des kommunistischen Regimes indiziert somit die sichtbar werdenden Prozesse im Bewusst- Film als Semiosphäre 377 sein der Bevölkerung. Mithilfe der anfangs erwähnten Filmbeispiele werden diese Entwicklungen durch eine ausführliche Darstellung und Analyse erfasst. 3.1 Zur Filmsprache des Bulgarischen Films vor 1989 Ausgehend von dem Prozess der Entstehung der Neuen Welle als filmische Gegenströmung zur Konsumunterhaltung, wird im Folgenden die subversive Bildsprache im Bulgarischen Film vor 1989 als Untersuchungsthema dargestellt. In einer Filmanalyse soll überprüft werden, durch welche Elemente die subversive Bildsprache in den zwei ausgewählten Filmen zum Ausdruck kommt und welche Rolle diese im gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Kontext Bulgariens spielt. Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die politische und soziale Vergangenheit Osteuropas, und im Speziellen Bulgarien. Die neu entstandene subversive Filmsprache steht in Verbindung mit den damaligen politischen Ereignissen. Demzufolge soll untersucht werden, welche Rolle die sichtbar werdenden Prozesse der damaligen Zeit für die Entwicklung der subversiven Filmsprache, seiner Elemente und Ästhetik spielen. 3.2 Der Plot 3.2.1 M ARGARIT AND M ARGARITA (1988) Die Geschichte spielt in den 1980er Jahren. Margarita ist ein Teenager. Heimlich raucht sie Zigaretten und blättert mit großem Interesse westliche Modezeitschriften auf der Mädchentoilette in ihrer Schule. Bis ein Lehrer sie erwischt und versucht die Situation auszunutzen, indem er sie sexuell nötigt. Margarita ohrfeigt ihn und muss die Schule wechseln. In der neuen Schule lernt sie bereits am ersten Tag Margarit kennen. Margarit ist eigensinnig, frech und hat keine Angst seine Ansichten stand zu halten. Es kommt zur Eskalation. Ein Mitschüler erlaubt sich einen Streich auf Kosten Margaritas und zerreist ihren Rock. Margarit mischt sich ein und die Situation endet schließlich im Zimmer des Schuldirektors. Die Klassenlehrerin versucht zwischen ihnen zu vermitteln, doch Margarit muss sich bei dem Schuldirektor entschuldigen. Seine Dickköpfigkeit steht ihm allerdings nur im Wege. Der Schuldirektor ist aufgebracht und empört. Die Strafe ist unvermeidlich - die Haare der beiden Schüler werden im Schulhof kahl rasiert. Margarit weigert sich, er sei kein Schaaf. Daraufhin verlässt er demonstrativ die Schule zusammen mit Margarita, die zwischenzeitlich von Zuhause weggelaufen ist. Beide entscheiden sich nie wieder zurückzukommen. Nach diesem Vorfall stoßen die beiden Verliebten auf kein Verständnis seitens der Eltern und sehen sich gezwungen ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Sie finden eine neue Bleibe und fangen in einem Restaurant als Küchenhilfen an. Doch bald kann Margarita einen Kurs für Volkstänze besuchen. Der dubiose Choreograf Julian hat offenbar Pläne mit ihr und schon bald wird sie in seinen Tanzensemble aufgenommen. In dem naiven Glauben, in einer Welt der Erwachsene zu Recht zu kommen, werden die beiden Teenager in ihren Alltag mit Situationen konfrontiert, welche ihre Liebe auf die Probe stellen. Margarit will seine Liebe behüten, weiß dennoch nicht, wie er mit Margaritas neuer Beschäftigung umgehen soll. Er ist eifersüchtig und aufgebracht. Bei jeder Streiterei oder Auseinandersetzung wird er handgreiflich. Margarita wird schwanger, doch sie treibt ab. Sie ist fest davon überzeugt, dass sie eine gute Tänzerin ist und möchte dies beweisen. Julian, der Choreograf, nutzt Margaritas Silviya Kitanova 378 kindliche Naivität und Gutgläubigkeit und überredet sie, ihm einen Gefallen zu tun. Sie soll einen Briefumschlag mit unbekanntem Inhalt in einer Bar übergeben. Dafür würde sie einen anderen Umschlag bekommen. Doch dazu kommt es nicht. Die Polizei nimmt sie fest. Ahnungslos stellt Margarita fest, dass der Briefumschlag Geld erhielt, amerikanische Dollar. Um Margarita aus der Situation zu helfen, nimmt Margarit die Schuld auf sich. Er wird verhaftet und auf Bewährung freigelassen. Es folgt der Militärdienst, während Margarita auf eine eigene Wohnung hofft. Bei einer Tanzaufführung zieht Margarita die Aufmerksamkeit Nerizanovs auf sich. Der Parteifunktionär ist für die Vergabe von Wohnungen in der Hauptstadt zuständig. Da Margarita eine Wohnung benötigt, nutzt dieser die Gelegenheit aus. “Um was zu bekommen, musst du auch was geben”, lautet Nerizanovs Maxime. Margarita bekommt eine neue Bleibe und er bekommt, was er will - sie. Er nutzt das junge Mädchen schamlos aus, gestattet ihr unangemeldete Besuche in der neuen Wohnung und nötigt sie sexuell. Die junge Liebe bekommt Brüche. Das Leben als Erwachsene entpuppt sich als hart und voller Tücken. In einer Auseinandersetzung zwischen Margarit und Nerizanov in Margaritas Wohnung kommt es zu einer heftigen Eskalation. Die Situation endet tragisch, Margarit schlägt Nerizanovs Kopf gegen die Heizung. Es folgt die Festnahme. Aufgrund seiner kriminellen Vorgeschichte wird Margarit als rückfälliger Täter abgestempelt und zum Tode verurteilt. Im Gericht gelingt es ihm die Waffe eines Polizisten zu entwenden. Daraufhin nimmt sich Margarit das Leben. 3.2.2 Y ESTERDAY (1988) Y ESTERDAY spielt in Bulgarien in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. In einem englischen Schulinternat wird die neue bulgarische Elite ausgebildet. Die Schüler sind überwiegend Kinder musterhafter Parteifunktionäre mit wichtigen Posten in der sozialistischen Hierarchie. Ivan, die Hauptfigur im Film, ist der Sohn des Chefredakteurs einer bulgarischen Zeitung. Ivan ist dickköpfig, stolz und eigenständig. Der Posten seines Vaters erlaubt ihm seine Jungenstreiche durchzuführen, ohne Konsequenzen dafür tragen zu müssen. Roco, der einzige Schüler aus unterprivilegierten Familienverhältnissen, ist derjenige, der sowohl Ivans Altes Ego als auch seine Vergeltung herausfordert. Er interessiert sich für niemanden - was zählt ist, sein persönlicher Erfolg. Seine Ansichten, beeinflusst durch den bitteren Zynismus, der sich in seinen Worten widerspiegelt, stehen im Kontrast zu den sozialistischen Idealen. Im englischen Unterricht wird Shakespeares Macbeth behandelt. Die Schüler haben einen Gast im Unterricht. Ein Theaterintendant ist auf der Suche nach einem Schauspieler für sein neues Stück. Die Schülerin Vera fühlt sich nicht wohl und möchte den Unterricht verlassen. Niemand weiß, dass sie schwanger ist. Sie trägt ein Kissen unter ihrer Schuluniform. Somit denkt jeder, dass sie dick ist. Ihr Geheimnis kann sie niemandem verraten. Es wäre ein Skandal. Das Baby soll in den Sommerferien auf die Welt kommen, dann wäre sie bei ihrer Großmutter und niemand würde etwas davon erfahren. Der tägliche Sportunterricht am frühen Morgen wird mit einer Rede des Schuldirektors über Disziplin und Hygiene abgeschlossen. Die ganze Schule samt Lehrern ist auf dem Hof versammelt. Die Rede des Schuldirektors wird plötzlich von den Schreien der Putzfrau unterbrochen. Ein Krankenwagen muss gerufen werden, denn Vera liegt in den Wehen. Während Vera ihr Kind bekommt, wird die neue Schülerin Dana vorgestellt. Sie kommt direkt aus England, ihr Vater soll als Botschafter dort gearbeitet haben. Nach einiger Beobachtung ist sich der Theaterintendant sicher, dass Ivan der perfekte Schauspieler für sein neues Stück ist. Die Schülerin Marina liebt insgeheim Ivan. Doch dieser erwidert ihre Gefühle Film als Semiosphäre 379 nicht. Ivan ist von Dana fasziniert. Um ihre Konkurrenz auszuschlagen, versucht Marina Dana mit Roco zusammenzubringen und lässt Ivan in dem Glauben, Dana sei bereits vergeben. Geknickt, lässt sich Ivan von Marina im Klassenzimmer verführen. Es ist früher Abend und kalt. Um sie zu wärmen, verbrennt er den Lehrerstuhl und einen Schreibtisch. Einige Tage später wird Ivan ins Zimmer des Schuldirektors gebeten. Ein Inspektor aus dem Bildungsministerium ist auf Visite. Er ist erschüttert über die neuesten Vorfälle in der Schule. Ein schwangeres Mädchen und dann noch das Verschwinden von einem Lehrerstuhl und einem Schreibtisch. Das ist unbegreiflich. Scheinbar weiß er noch viel mehr. Zum Beispiel, dass Ivan für das Verschwinden des Stuhls und des Tisches verantwortlich ist. Außerdem möchte der Inspektor den Namen derjenigen wissen, die zu diesem Zeitpunkt bei ihm war. Diese Informationen machen den Schuldirektor stutzig. Wie kann der Inspektor all das wissen, woher hat er diese Informationen? Eine Fete findet im Internat statt. Die Musik von The Beatles ist zu hören, selbstgemalte Plakate von den Bandmitgliedern hängen an der Wand. Marina möchte wissen, warum Ivan ihr aus dem Weg geht. Er erzählt ihr von dem Treffen mit dem Inspektor. Niemand darf sie zusammen sehen. Außerdem möchte Ivan sie auch nicht mehr sehen. Yesterday von The Beatles läuft gerade, als der Mathelehrer Barumov den Raum betritt. Er ist aufgebracht. Wütend, zerreist er die selbstgemalten Plakate von der Band und fordert die Schüler zum Walzer auf. Sie sollen zeigen, dass sie tugendhafte Jugendliche sind. Entsetzt verlassen die Schüler den Raum. Es ist abends, die Schüler warten in der Mensa auf ihr Abendessen. Dana und Ivan stehen hintereinander in der Schlange als der Strom ausfällt. Im Dunkeln küssen sie sich. Ivans Vater verliert seinen Job. Die Folgen für Ivan sind Erniedrigungen und Beschimpfungen. Die ursprünglich propagierte Idee von einer klassenlosen Gesellschaft offenbart sich als Scheinidee und verliert ihre Glaubwürdigkeit. Es ist morgens. Während des Sportunterrichts wird festgestellt, dass Geld aus der Tasche eines Schülers fehlt. Aufgefordert von dem Sportlehrer alle Schüler zu durchsuchen, findet er in der Jackentasche von Ivan das Bild von Dana mit einer Widmung auf der Rückseite. Ivan findet heraus, dass Marina dahinter steckt. Sie will sich an ihn rächen. Jetzt soll jeder denken, dass Dana diejenige war, die mit ihm im Klassenzimmer den Lehrerstuhl und den Schreibtisch verbrannt hat. Doch dieser Vorfall bringt Dana und Ivan nur näher zusammen. Es ist abends. Im Schlafsaal sind alle Schüler im Kreis versammelt. Sie schließen einen Treueid untereinander, der stärker zu sein scheint, als ihr Glaube an die kommunistische Doktrin. Am nächsten Morgen trainieren Ivan und Roco in der Nähe eines Flusses außerhalb des Internats. Überzeugt, dass sein radikaler Individualismus das einzig richtige Mittel eines denkbaren Anschlusses an das sozialistische System ist, ertrinkt Roco vor den Augen seines Freundes, indem er verzweifelt versucht zu beweisen, dass er gegen die Strömung schwimmen kann. Ein kleiner Junge wird Zeuge des Ganzen. Die Szene kulminiert als Ivan erneut ins Zimmer des Schuldirektors gebeten wird. Ihm droht ein Verweis aus dem Internat. Daraufhin entschließt sich Ivan ebenfalls gegen die Strömung im Wasser zu schwimmen. Er erreicht den Eingang des Tunnels, der zu den Stromschnellen führt, an der Stelle, an der Roco ertrunken ist. Doch hier wird er von dem Schutzgitter aufgehalten, das nach dem tödlichen Vorfall montiert wurde. Der kleine Junge beobachtet erneut die Szene. Ivans Schrei vor dem Schutzgitter symbolisiert den machtlosen Kampf gegen das System - “Lass mich gehen. Ich bin am Leben! ” Silviya Kitanova 380 3.3 Zur Bedeutung des kinematographischen Bildes Ausgehend von Jurij M. Lotmans semiotischer Kernthese, dass jede Abbildung auf der Leinwand ein Zeichen ist und dieser immer eine Bedeutung zugrunde liegt, gewinnen bereits die ersten Szenen der ausgewählten Filme an Gewicht und führen das Publikum in die Problematik der Handlung ein (vgl. Lotman 1977: 51). Die Zeit während des Kommunismus in Bulgarien ist gekennzeichnet durch die Last der Vergangenheit (im Film Y ESTERDAY versinnbildlicht diese das Gestern). 17 Die Freiheit und Unbeugsamkeit des Individuums werden jedem einzelnen in jeglicher Hinsicht gezielt entzogen. Die bewusst eingesetzte politische Neuordnung und damit einhergehende Vernichtung des Individuums beginnen im Bildungssystem. Als Einstieg in die Analyse der Bedeutungsstruktur der Filme bietet sich somit die Betrachtung der räumlichen Organisation der vorkommenden Schauplätze an. Die räumlichen Gegebenheiten ergeben schon erste Erkenntnisse über die Bedeutungsstruktur der filmischen Handlungen. Hierfür wird die Schule als abgeschlossenes, soziales Gefüge dargestellt. Die Institution Schule ist somit kein nebensächliches und alltägliches Detail mehr auf der Leinwand. Sowohl in Y ESTERDAY , als auch in M ARGARIT AND M ARGARITA wird diese wiederholt in Nah-, Groß- und Detailaufnahme gezeigt und gewinnt somit allein durch ihre häufige Abbildung an Bedeutung. Die Schule symbolisiert das kollektive Ganze der kommunistischen Gesellschaft, das aber bereits Risse bekommt. In Y ESTERDAY wird beispielsweise bewusst mittels Schauplätzen, die sich außerhalb des Internats befinden, ein Gefühl der Freiheit vermittelt. Die Aufnahmen in der Schule und auf dem Schulgelände schaffen eine andere Atmosphäre und Stimmung als die Aufnahmen außerhalb. Die Szenen, in denen die Schüler Langstrecke laufen und außerhalb des Internats trainieren, symbolisieren das Davonlaufen vom totalitären System. Die ideologische Unterwerfung sowie die manipulative Ungerechtfertigkeit der Institution Schule werden zusätzlich in Diskrepanz zu den menschlichen Rechten und Werten dargestellt. Das provokative Verhalten der Schüler steht somit im Kontrast zu den allgemein verbreiteten sozialistischen Normen und Werten in der bulgarischen Gesellschaft. Hier fällt sofort die Opposition zwischen den Räumlichkeiten der Institution Schule als klaustrophobischem Innenraum und des anziehenden Außenraums ins Auge. Ein weiteres, in Y ESTERDAY und M ARGARIT AND M ARGARITA dargestelltes Beispiel der Bedeutsamkeit eines gewöhnlichen Gegenstandes sind die Uniformen, die die Schüler tragen. Somit entsteht eine zusätzliche, tiefgehende Bedeutung dieses Zeichens. Die Identifikation mit den Uniformen soll die Schüler gleichstellen, denn in der sozialistischen Gesellschaft sind alle gleich. Durch die Uniformen werden sie universell, austauschbar und unsichtbar. Sie werden nicht als einzelne Individuen betrachtet, sondern als Teil des Ganzen, des Systems. Sie sind dem kommunistischen Apparat unterworfen und werden ständig daran erinnert, indem sie erpresst, gedemütigt und ausgespielt werden. Individualismus und Autonomie sind praktisch ausgeschlossen. Mit dem Hauptfokus auf die bewusste Darstellung des Individuums sowie die Auswirkungen des Regimes auf dieses, wird die dominierende kommunistische Wirklichkeit sichtbar. Der Schein, die Lüge und die Wahrheit werden kommentiert und gegenübergestellt, ihre Beziehung wird feinfühlig analysiert. Durch den Einsatz subversiver Bildsprache wird die Dissonanz des kommunistischen Systems thematisiert und offen dargelegt. So prallen beispielsweise in Y ESTERDAY auf ideologischer Ebene unterschiedliche Werte und Idealen aufeinander. Die Figuren der Schüler verkörpern den desolaten Aufstand der jungen Generation (das Heute) gegenüber der Vergangenheit der Eltern (das Gestern). Die Scheinheilig- und Bedeutungslosigkeit der kommunistischen Ideologie sind längst durch- Film als Semiosphäre 381 schaut. Somit werden Politik und Geschichte in leere Konzepte als Zielscheibe der Verspottung umgewandelt, so Roumiana Deltcheva. 18 Ferner wird die Klassenschichteinteilung innerhalb der sozialistischen Gesellschaft dargestellt. Die vermeintliche Gleichberechtigung jedes einzelnen in dieser Gesellschaft entpuppt sich als Schein. Dies wird beispielsweise anhand Ivans Figur aus Y ESTERDAY deutlich hervorgehoben. Solange der Junge die privilegierte Position seines Vaters nutzen kann, geschieht ihm nichts. Das ändert sich als sein Vater den Job verliert. Margaritas Figur in M ARGARIT AND M ARGARITA steht ebenfalls als Exempel hierfür. Eine Karriere, ein Aufstieg in die kommunistische Gesellschaft, basiert lediglich auf Beziehungen. Margarita muss einen hohen Preis bezahlen für das, was sie erreichen will. Ein zusätzlich sujethafter Moment stellt die Treueidszene in Y ESTERDAY dar. Sie kann als Schlüsselszene betrachtet werden, da in ihr die Grundthematik des Films entfaltet wird. Diese präsentiert eine Gruppe junger Menschen, die von der kommunistischen Ideologie nicht überzeugt werden, vielmehr lehnen sie diese mittels ihrer Haltung ab. Ihr Eid scheint stärker zu sein, als die von ihnen durchschauten leeren Versprechen des kommunistischen Apparats. Die somit bewusst eingeführte Emotionalisierung des Films wird in der darauf folgenden Szene noch gesteigert, als Roco ums Leben kommt. Ein bedeutungstragendes Element stellt auch die Einstellung Margarits und Margaritas dar. Die beiden Teenager verkörpern die junge Generation. Ihren Protest gegen die Welt der Erwachsenen symbolisieret den Prozess des Loslösens von dem kommunistischen Apparat. Die stärkste Szene im Film, in der Margarit den Parteifunktionär erschlägt, symbolisiert das Verneinen der totalitären Ideologie. Das Eis zwischen dem Gestern und dem Heute bricht somit langsam, die Menschen erwachen aus dem langen Schlaf des Konformismus. Dieser Moment wird anhand der Darstellung der einzelnen Figuren hervorgehoben. 3.4 Die Figuren Die Filme zielen auf keine ideologische Botschaft, vielmehr überwiegt hier das Menschliche. Die Regisseure zeigen die Auswirkungen der historischen Ereignisse auf der Ebene des Individuums aus ihrer eigenen Sicht. Nicht die Verräter, sondern die gesellschaftlichen Zustände, die den Verrat verursachen, werden denunziert. Um der Vorhersehbarkeit entgegenzutreten, bedienen sich beiden Filmemacher der einfachen, lebensnahen und realen Darstellung ihrer Figuren. Ivan Andonov gelingt es mit dramaturgischer Kraft, den Zeitgeist der bulgarischen Gesellschaft in Zeiten totalitärer Herrschaft zu treffen. Und somit einen historischen Moment des Geschehens darzustellen, indem er die kommunistische Vergangenheit Bulgariens in seinem Film Y ESTERDAY thematisiert. Dies geschieht unter anderem mittels der Darstellung der Mentalität des Zeitgenossen, seiner Gedanken und Gefühle sowie seiner gesellschaftlichen Rolle in der gegenwärtigen Kultur. So gelingt es ihm auch, die Hauptfiguren im Film mit Hilfe der Nebencharaktere zusätzlich zu entfalten. Die Figur des Schülers Kostov ist von Anfang an als eines von vielen Bindegliedern des Filmes präsent und nimmt entscheidenden Einfluss auf die filmische Handlung. Durch humorvolle und dennoch mutige Aussagen trägt diese Figur dazu bei, den Charakter von Ivan zu ergänzen (vgl. Kovachev 2006: 206). Gegenübergestellt ist ihr die Figur Rocos. In gewisser Hinsicht symbolisiert er die Leere der kommunistischen Jugend. Sein Misstrauen gegenüber dem System wird auf sein Verhalten übertragen. Silviya Kitanova 382 Die Figur des Mathelehrers Barumov verkörpert dagegen den klassischen kommunistischen Helden. Er ist zu sehr motiviert, überzeugt von den Idealen der sozialistischen Doktrin und ist dabei sehr engstirnig und begrenzt in seinen Ansichten. 19 Bezeichnenderweise vernichtet er demonstrativ die selbstgemalten Poster von The Beatles in der Szene, in der die Party im Internat stattfindet. Dies lässt die Szene bedeutungstragend werden. Seine bedrohliche Figur verkörpert das ultimative Produkt des totalitären Systems. Schnell wird klar, dass die lang ersehnte Zukunft erst eintreten kann, wenn sich das Gestern komplett vom Heute löst. Zentrale Bedeutung hierfür hat die Figur des kleinen Jungen. Er symbolisiert die hoffnungsvolle Zukunft, der Zeuge des Zerstörens vom Gestern wird. Durch die Szene, in der Roco im Wasser ertrinkt, wird das Gewicht seiner Figur hervorgehoben. Mit dieser emotional aufgeladenen Schlussszene endet der Film und lässt das Ende offen. Es bleibt dem Publikum selbst überlassen, ob die Schlussszene als hoffnungsloses Scheitern eines Individualisten, oder als ein Durchbrechen bisher festgelegter Rollenmuster gesehen werden kann. Der Handlungsablauf in M ARGARIT AND M ARGARITA stellt die Mechanismen der Machtverhältnisse in der totalitären Gesellschaft Bulgariens dar und liefert somit ein realitätsnahes Bild des Geschehens. Der Film spiegelt die negativen Nuancen der bulgarischen sozialistischen Gesellschaft Ende der 1980er Jahre wider. Die moralischen Normen des kommunistischen Apparates haben hier keine Geltung, Gewaltverhältnisse in jeglicher Form werden gesetzt. Die kommunistische Ideologie wird in M ARGARIT AND M ARGARITA als eine Projektionsfläche präsentiert, auf der unerfüllte Wünsche, Ängste und Hoffnungen an die Zukunft übertragen werden. Der Zuschauer wird dazu bewegt, Themen, wie Verrat, Macht, Tod, Treue, selbst zu analysieren. Hans-Joachim Schlegel zufolge sind die “in vielen Filmen dieser Zeit immer wieder auftauchenden Bilder von Tod, Trauer und Einsamkeit […] subtile Subversionen, deren konkreter Stellenwert und Funktion bei historisch wie kulturell differenzierender Betrachtung nicht zu übersehen ist.” (Schlegel 1999: 24) In M ARGARIT AND M ARGARITA findet der positive Held im stereotypisierten Hollywood- Sinne kaum eine Verwendung - der zynische und korrumpierte Parteifunktionär, der gewalttätige Jugendliche Margarit, Margarita, die ihre Eltern und die Schule verlässt, der kriminelle Choreograf, die betrogene Lehrerin mit guten Absichten, sowie die Eltern, die bereit sind, alles für ihre Kinder zu tun, und dennoch parodiert dargestellt werden. Somit thematisiert der Film die evidenten Mängel und schwachen Stellen des kommunistischen Systems. Das Beschaffen von Konsumgütern (viele aus dem Westen) verläuft beispielsweise ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit. Die Bedürfnisse der Arbeiterklasse, des einfachen Volkes werden taktvoll gestillt. In der Schule wird lediglich über die sozialen Funktionen der Liebe im Sozialismus unterrichtet. Die Intention seitens der Klassenlehrerin, über Themen wie Revolution oder Autonomie zu unterrichten, misslingt. Sogar der Versuch, die Liebe der beiden Teenager amtlich geltend zu machen, scheitert. Dieser Moment symbolisiert den missglückten individuellen Protest gegen das totalitäre System. Durch den Einsatz von Antihelden ruft der Regisseur Volev Verunsicherung und Distanzierung beim Publikum hervor. Die Erwartungshaltung des Zuschauers wird nicht erfüllt, sondern mittels Überraschungsmomenten und Asynchronität durchbrochen und gewinnt somit an Bedeutung. Film als Semiosphäre 383 3.5 Film : Zeichen Die Filmbeispiele sind Exempel der ungeschminkten Wirklichkeit und des Leidens des Volkes während des Kommunismus. Die sichtbare Dissonanz der totalitären Gesellschaft wird durch die filmische Darstellung einer Reihe westlicher kulturellen Zeichen verstärkt zum Ausdruck gebracht. Ihre visuelle sowie auditive Präsenz schafft es, den dominierenden kommunistischen Diskurs zu untergraben und in Frage zu stellen. Die stetige subtile Präsenz des Westens ist bereits in den ersten Szenen der Filme zu sehen. Schon der Titel des Films Y ESTERDAY indiziert darauf, dass Musik auf ideologischer Ebene funktionalisiert wird. Die Teilnahme einer echten Lehrerin aus England bestätigt die Absichten des Regisseurs Andonov, die greifbare Präsenz der westlichen kulturellen Tradition in all ihren Facetten hervorzuheben. Neben Rock- und Popmusik (The Beatles) werden in Y ESTERDAY sowohl literarische Anspielungen (Shakespeares Macbeth, Hamlet, Salingers Der Fänger im Roggen sowie Bertold Brecht) als auch geographische Räumlichkeiten (England, Dänemark, Frankreich, Schweden usw.) in die Handlung eingeführt. Offensichtlich wird die ideologische Bedeutung der subtilen Präsenz des Westens in der Szene, in der die Party im Internat stattfindet (siehe obige Beschreibung). Westliche materielle Signifikante in M ARGARIT AND M ARGARITA sind Kent Zigaretten, LPs und Poster von The Beatles, Madonna, Kenny Rogers oder Liza Minnelli, Alkoholika wie Ballantines und Johny Walker Whisky usw. Neben der musikalischen Untermalung, von der der Zuschauer im Verlauf des Films bestimmte Ausschnitte vorgeführt bekommt, existieren noch weitere, implizit in die Filmstruktur eingebrachte, intertextuelle Verweise und hergestellte Bezüge zu weiteren Artefakten. Diese werden zudem bildlich pointiert, wenn beispielsweise die Kameraführung unauffällig den Blick des Publikums auf die Wände in der neuen Bleibe des jungen Paares (M ARGARIT AND M ARGARITA ) lenkt, auf denen Fotos oder Poster westlicher Artefakte zu sehen sind. Somit setzt Nikolai Volev mit “aufmerksamen Kamerablicken eine Flut frei flottierender Assoziationen in Bewegung, [überlässt] die Deutung also der emotionalen Subjektivität des Zuschauers.” (Schlegel 1999: 25) 3.6 Filmmittel Die ausgewählten Filme präsentieren die bulgarische Geschichte sowohl intertextuell, als auch allegorisch in einer Verflechtung politischer, gesellschaftlicher sowie individueller Vorstellungen und Werte. Sie greifen die kommunistische Ideologie sowie ihren Einfluss auf das Schicksal des einzelnen Menschen auf. Die politische Geschichte Bulgariens wird in den Filmen mit Hilfe ästhetischer Mittel dargestellt. Die Elemente der Filmsprache tragen zusätzlich zu einer bedeutungsvollen Struktur der Filme bei. Nikolai Volev und Ivan Andonov versuchen die gesellschaftliche Wirklichkeit sowohl narrativ als auch durch abbildende Zeichen zu konstruieren und diese an das Publikum zu vermitteln. Ein wichtiges Element der Filmsprache beider Filme sind die (verwackelten) Bilder von Handkameras. Diese scheinen in vielen Szenen von den klassischen Beschränkungen der Technik befreit zu sein und orientieren sich somit an sich selbst. Folglich wird durch ihren Einsatz das Gefühl von Freiheit vermittelt, das auch in engem Zusammenhang mit dem herrschenden Modus der beiden Filme steht und die dramaturgische Strukturierung der Handlungen unterstreicht. Die verwackelte Kameratechnik wirkt teilweise unkontrolliert, unpräzise und vermittelt das Gefühl einer inneren Unruhe und Verwirrung. Durch ihren Einsatz in der Dramaturgie der Silviya Kitanova 384 Filme vermitteln die Regisseure ein düsteres Bild der Hilflosigkeit und Machtlosigkeit der Protagonisten. Somit beleuchten sie das zerrissene Leid des Volkes in der Zeit des Kommunismus. Insofern bekommt diese Kameratechnik einen Eigenwert und dynamisiert zusätzlich die Filmhandlung. Folglich arbeiten die Regisseure auch auf der Ebene der Kameraführung nicht nur mit konventionellen Bildkompositionen, sondern setzen die Technik der verwackelten Kamera als stilistisches Mittel in die Handlung ein, so dass diese ein eigenständiges Element innerhalb der Bildsprache darstellt. Darüber hinaus wird der dokumentarische Stil, an dem sich Andonov und Volev orientieren, betont. Durch die stilistische Konstellation realer und fiktionaler Darstellungen erreichen die Filme ein hohes Maß an Authentizität (vgl. Lotmann 1977: 55). Darüber hinaus besteht bei den ausgewählten Filmen ein spezifischer Wechsel zwischen verschiedenen Einstellungsgrößen. Die Regisseure beschränken sich vorwiegend auf Halbtotale, Halbnah- und Naheinstellungen. Somit wird die räumliche Beziehung zwischen dem Publikum und den Figuren in den Filmen hervorgehoben. Darüber hinaus überwiegen in Y ESTERDAY und M ARGARIT AND M ARGARITA die Einstellungen, bei denen sich die Kamera auf der gleichen (Augen-)Höhe der Figuren befindet und damit die Figuren und ihre Verhalten fokussiert. So können die Regisseure die Naheinstellung als Stilmittel nutzen, um den Betrachter emotional am Geschehen teilnehmen zu lassen. Dies wird besonders bei der Inszenierung intimer oder emotionaler Momente deutlich, wie beispielsweise den Liebesszenen in M ARGARIT AND M ARGARITA oder die Treueidszene in Y ESTERDAY . In beiden Filmen wird fast vollständig auf die Technik der Überblendung verzichtet. Stattdessen setzen die Regisseure harte Schnitte bei der Montage der Bilder ein. In den Szenen dominieren starke Kontrastierungen, die die Verwirrung und Zerrissenheit der Figuren betonen. Der Realitätseindruck in den Filmen wird zusätzlich durch die Normalgeschwindigkeit der Bewegungen akzentuiert. Auf die Elemente der Zeitlupe oder des Zeitraffers wird gänzlich verzichtet. Der Eindruck des Dokumentarischen wird zusätzlich auf der auditiven Ebene zum Ausdruck gebracht. Die Verwendung von Originalton lässt unerwartete, abrupte Übergänge entstehen. Dadurch werden einzelne Szenen auf der auditiven Ebene aufgeteilt und hervorgehoben. Besonders deutlich wird dies beispielsweise in der Szene von Y ESTERDAY , in der plötzlich alle Figurenhandlungen von den Schreien der Putzfrau unterbrochen werden, als Vera in den Wehen liegt. Der Ton wird von Ivan Andonov und Nikolai Volev unterschiedlich genutzt. Die aktuellen Ereignisse im Land werden beispielsweise in M ARGARIT AND M ARGA - RITA auf der Tonebene durch Nachrichten, politische Reden oder Reporterstimmen aus dem Rundfunk enthüllt. Darüber hinaus bestehen die Szenen in den Filmen überwiegend aus Hintergrundgeräuschen und -dialogen (Wassergeräusch durch die Stromschnellen in Y ESTER - DAY oder die Hintergrunddialoge in der Bar, in der Margarita festgenommen wird). Durch ihren Einsatz unterstreichen die Hintergrundgeräusche und -dialoge den dokumentarischen Stil der Filme und erlauben somit die Entstehung neuer Bedeutungen. Außerdem bekommt das Publikum den Eindruck, sich unmittelbar in der gezeigten Situation zu befinden. Der musikalische Einsatz hingegen betont den künstlerischen Kontext der Filme. Die musikalische Untermalung in M ARGARIT AND M ARGARITA und Y ESTERDAY stilisiert zusätzlich die einzelnen Szenen und lässt diese gezielt auf sich wirken. Die Musik betont bestimmte Motive und Ereignisse, sie ruft Gefühle (Glück, Trauer, Melancholie, Angst, Wut) in dem Publikum hervor. In einigen Szenen werden die hervorgerufenen Gefühle zusätzlich verstärkt, indem die Regisseure auf den Einsatz der Dialoge verzichten. Beispiel hierfür ist die Treueidszene in Y ESTERDAY . Die Schlussszene in M ARGARIT AND M ARGARITA verzichtet ebenfalls Film als Semiosphäre 385 auf gesprochene Sprache. Somit bilden diese Szenen bedeutungstragende Elemente, da sie zur Durchbrechung der Filmstruktur führen. Die überwiegenden Farben in den Filmen sind grau und blau, sie wirken kalt und zurückhaltend. Diese unterstreichen zusätzlich den dominierenden Modus der Filme. Durch die kalten Farben wird der Zuschauer einerseits auf Distanz vom Geschehen gehalten, andererseits wird er dazu gebracht, sich als Teil der Filmhandlung zu begreifen. Die Lichttechnik in den ausgewählten Filmen trägt zusätzlich dazu bei, den dokumentarischen Stil der Filme zu verstärken. Die Regisseure beschränken sich überwiegend auf natürliche Lichtquellen. Der Einsatz natürlicher Lichtquellen simuliert einen realitätsnahen Charakter der Filme. Die dadurch entstehenden Sinneseindrücke des Publikums werden zusätzlich eingeschränkt und evozieren das Gefühl von Disharmonie und Unstimmigkeit. Mittels dieser Technik entstehen kontrastreiche Übergänge. Die Kontrastierung der Räumlichkeiten wird ebenfalls dadurch definiert. Die vorgenommene Analyse zeigt, dass Jurij M. Lotmans Theorien auf zahlreiche Beispiele in Ivan Andonovs und Nikolai Volevs Filmen angewandt werden können. Der Film als semiotisches System wird in Zeichen untergliedert und mit Bedeutungen gefüllt. Der reduktive Einsatz der Filmmittel richtet den Fokus des Zuschauers bewusst auf die Figuren und ihre Handlungen. Dadurch wird der dokumentarische Charakter der ausgewählten Filme zusätzlich verstärkt und die realistische Filmsprache akzentuiert. Durch den ständigen Wechsel sujethafter und sujetloser Strukturen in den Filmen, gelingt es den Regisseuren eine Automatisierung der Filmhandlung zu umgehen. 4 Fazit Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die vorgestellten Filme bestätigen, dass in Zeiten politischer Unterdrückung der interkulturelle Dialog nicht vollkommen ausradiert wird. Als Produkt bulgarischer, sozialistischer Kunst demonstrieren die Filme, auf welche Weise westliche kulturelle Artefakte mittels subversiver Mechanismen angeeignet und eingesetzt wurden. M ARGARIT AND M ARGARITA und Y ESTERDAY bilden einen bedeutenden Auftakt zur Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in den späten 1980er Jahren. Sie präsentieren das kritische Bewusstsein der jungen Generation, das im Kontrast zu den überholten Idealen der älteren Generation steht. Zusätzlich thematisieren beide Filme das gestörte Verhältnis zwischen Ideologie und Individuum. Sie treffen den Nerv einer Zeit voller rebellischer Sehnsucht und sozialer Unruhe. Ihr Avantgardismus hebt sich von jeglichen konventionellen sozialistischen Normen ab. Trotz der unterschiedlichen Erzählweisen und des Einsatzes verschiedener ästhetischer Mittel, verbindet die beiden Filme das gemeinsame Interesse an der Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen und politischen Situation des Landes sowie an den Ursachen und Folgen des Kommunismus. Darüber hinaus gelingt es den beiden Regisseuren mittels der Figuren ein Stück ihres individuellen Empfindens und Protests zu vermitteln. Ivan Andonovs Film Y ESTERDAY orientiert sich an der Vergangenheit, indem er die Geschichte seiner Figuren in der Wirklichkeit der 1960er Jahre in Bulgarien inszeniert. Zusätzlich erweitert Andonov die filmische Handlung durch die kraftvolle Visualität der Bilder und liefert eine Einsicht in die totalitäre Vergangenheit des zwanzigsten Jahrhunderts. Hierbei untersucht er sowohl die subtilen Mechanismen der Manipulation seitens des tota- Silviya Kitanova 386 litären Systems, als auch den Kontext von unterschiedlichen sozialen Schichten. Ferner erkundet der Film die Verwüstung des politischen Missbrauchs, indem die persönliche Welt von einer Gruppe Gymnasiasten in dem damaligen politischen und gesellschaftlichen Kontext des Landes enthüllt wird. Der Film symbolisiert den Bruch zwischen dem Gestern (die Lehrer, die schmerzliche Vergangenheit) und dem langsamen Zerfallen des Eisernen Vorhangs (die Schüler, die hoffnungsvolle Zukunft). Die Dissonanz des kommunistischen Apparates wird hier besonders hervorgehoben. Es entsteht ein Wettrennen zwischen dem System und der Opposition. So erweist sich der Film als ein sensibles und schmerzhaftes Dokument, in dem bewusst eine Gegenüberstellung von Gestern, Heute und der möglichen Zukunft dargelegt wird. M ARGARIT AND M ARGARITA hingegen ist eine bittere Geschichte, die sich mit der Rolle des Individuums in einer repressiven Staatsform auseinandersetzt. Der Film wird nach seiner Herstellung sofort von der Zensur verbannt, erst 1989 feiert er Premiere. Die wichtige gesellschaftliche Funktion dieses Films wird durch das Zensurverbot bestätigt. Die Geschichte handelt von Sehnsüchten, von Ängsten und vom Scheitern. Sie stellt den individuellen Protest des modernen Romeo und seiner Julia dar, die in einer Gesellschaft des erwachsenen Sozialismus um ihre Liebe kämpfen und am Ende tragisch scheitern. Die Kompromisslosigkeit ihrer Liebe ist die einzige Waffe gegen den Zynismus und die Skrupellosigkeit des kommunistischen Apparates. Zusätzlich stellt der Regisseur Nikolai Volev die Korruption und den moralischen Zerfall der sozialistischen Gesellschaft in den letzten Jahren des Kommunismus in Bulgarien in den Vordergrund. Die Handlung des Films zeigt auf, zu welchen absurden Konsequenzen die Faszination und Ausübung von Macht und deren Missbrauch führen kann. Mittels Zeichen, die auf lokale Probleme hinweisen, bietet Volev ein authentisches Bild des in sich zusammenbrechenden Regimes sowie eine bewegende Beobachtung des Verfalls menschlicher Werte und Ideale. Darüber hinaus vermittelt der Regisseur die politische und gesellschaftliche Situation des Landes durch realitätsnahe Bilder und zeigt feinfühlig, wie Mitläufer, Anführer und Opfer in einem solchen totalitären System geschaffen werden. Die Filme thematisieren die komplizierte Beziehung zwischen Gewalt und ihrer Bekämpfung. Zusätzlich gelten sie als Indikatoren für eine Zeit, in der das Zusammenleben von Künstler und Ideologie in einen Kampf übergeht, der das Ende des kommunistischen Diskurses symbolisiert. Der (gleiche) Hauptdarsteller in den ausgewählten Filmen verweist auf die Bildung neuer Rollenmodelle in der bulgarischen Gesellschaft. Dieser steht als Metapher für die junge Generation. Sein Lebensweg personalisiert das Verlangen nach Unabhängigkeit, Individualismus und Würde und symbolisiert somit den leise angehenden Aufstand gegen das totalitäre System. Die ausgewählten Filme sind demnach emblematisch für die damalige gesellschaftliche Situation Bulgariens. Sie behandeln akute Themen und verhelfen somit dazu, neue Vorbilder in der postkommunistischen Gesellschaft entstehen zu lassen. Heutzutage werden diese Filme nicht nur als kritische Werke angesehen, die in den Zeiten des kommunistischen Regimes entstanden sind. Sie werden aufgrund ihrer Symbolhaftigkeit als künstlerisches Produkt betrachtet und genießen eine große Bedeutsamkeit für die Gegenwart. Abschließend lässt sich festhalten, dass das, was heute als postmodern bezeichnet wird, mit neuen Zeichensystemen und neuen Symbolen der Verständigung verbunden ist. Die Neugestaltung Europas bietet somit einen größeren Raum für eine neue Wahrnehmung, die es zu artikulieren gilt. Für das Verstehen der Situation der Menschen in den neuen Lebensumständen, in einer Zeit großer Veränderungen, spielt die Filmkunst eine sehr prägende Rolle. Als Symbol des kulturellen Austausches beinhaltet die Sprache des Films Grundstrukturen des Sprachlichen, die in allen Kulturen funktionieren. Film als Semiosphäre 387 Literatur Bulgakowa, Oksana 1998: “Film als Verdrängungsarbeit. Der osteuropäische Film”. In: Rother, Rainer (Hg.) 1998: Mythen der Nationen: Völker im Film. Berlin: Koehler & Amelang Verlag, S. 201-213. Deltcheva, Roumiana 2010: “Western Mediations in Reevaluating the Communist Past. A Comparative Analysis of Gothár’s Time Stands Still and Andonov’s Yesterday”. Vol. 1, Issue 4, Article 7, December 1999, Purdue University. URL: http: / / docs.lib.purdue.edu/ clcweb/ vol1/ iss4/ 7. 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[27.10.2010] OSCE 2010: ”KSZE-Schlussakte von Helsinki.” In: OSCE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). 1995-2010. URL: http: / / www.osce.org/ documents/ mcs/ 1975/ 08/ 4044_de.pdf. [27.10.2010] Schlegel, Hans-Joachim (Hg.) 1999: Die subversive Kamera. Zur anderen Realität in mittel- und osteuropäischen Dokumentarfilmen. Konstanz: UVK. Westermann, Bärbel 1990: Nationale Identität im Spielfilm der fünfziger Jahre. Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main. Anmerkungen 1 Der Name ist auf den Roman Tauwetter (1954) von Ilja Ehrenburg zurückzuführen. 2 Die Polnische Filmschule entwickelt beispielsweise eine spürbare Freizügigkeit im Umgang mit Themen der Gegenwart und der Geschichte. 3 Eric Jung dreht beispielsweise in Bulgarien den Film D AS R ECHT ZU LIEBEN (1972) mit Omar Sharif und Florinda Bolkan in den Hauptrollen. 4 Aufgrund der vorsichtigen Öffnung dem Westen gegenüber, sowie der Bekanntmachung mit Filmrichtungen aus der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, entstehen in Osteuropa Filmbewegungen, die sehr bald große Anerkennung finden. Neben der Nouvelle Vague (Frankreich), Angry Young Men (Groß Britannien), Free Cinema (USA), oder dem Italienischen Neorealismus, entwickeln sich die Nova Vlna in Tschechien und Polen, sowie Uj hullám in Ungarn. 5 Der Filmhistoriker Peter Hames bezeichnet ihn als “enfant terrible of the Czech New Wave”. URL: http: / / www.ce-review.org/ 01/ 17/ kinoeye17_hames.html [19.08.2010]. 6 Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) wird am 1. Juli 1973 in Helsinki eröffnet und am 1. August 1975 ebenfalls dort abgeschlossen. Die USA, Kanada und die Sowjetunion, sowie alle 33 Silviya Kitanova 388 europäischen Staaten, ausgenommen Albanien, nehmen teil. In der Schlussakte sind Absichtserklärungen zur Einhaltung der von allen Teilnehmerstaaten anerkannten Prinzipien zwischenstaatlichen Miteinanders, sowie Regelungen über die Einleitung vertrauensbildender Maßnahmen enthalten. Außerdem werden die in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg gezogenen Grenzen von allen Unterzeichnerstaaten als rechtsgültig anerkannt und etwaige Gebietsansprüche aufgegeben. Das Dokument enthält weiterhin die Anerkennung der Menschenrechte inklusive der Meinungs- und Religionsfreiheit. Die Konferenz wird 1995 umbenannt in Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und damit auch formal endgültig institutionalisiert. URL: http: / / www.osce.org/ documents/ mcs/ 1975/ 08/ 4044_de.pdf [19.08.2010]. 7 Deutsche Film AG. 8 1980 verschlechtert sich beispielsweise die gesamtwirtschaftliche Lage Polens. Ohne öffentliche Bekanntmachung seitens der Regierung werden die Preise erhöht. In vielen Betrieben brechen umgehend Streiks aus. Demzufolge tritt die Belegschaft der Danziger “Lenin-Werft” in den Ausstand und stellt erstmals politische Forderungen. Die Gewerkschaftskräfte geben sich den Namen “Solidarnosc” (Solidarität) und zählen bis November 1980 etwa 10 Millionen Mitglieder. Aufgrund der sich weiter verschlechterten wirtschaftlichen Lage kommt es im Frühjahr 1981 wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Staatsorganen und Gewerkschaftsaktivisten. In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 übernehmen Militär und Sicherheitsorgane die Macht in Polen. Es wird ein Kriegszustand verkündet, der bis 1983 in Kraft bleibt. URL: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Geschichte_Polens [19.08.2010]. 9 Der Begriff steht für Umbau, Umgestaltung, Neuorientierung, Reform. 10 In Rumänien werden bereits in den 70er Jahren kinematographische Reformen eingeführt. 11 URL: http: / / www.extremno.com/ ~bgfilm/ [19.08.2010]. 12 Der poetische Realismus entsteht in Frankreich in den 30er Jahren. Diese Stilrichtung ist geprägt durch die wirtschaftliche Krise Anfang der 1930er Jahre und die dadurch entstandene Notwendigkeit nach mehr Realitätseindruck und soziale Kritik im Film. Der Poetische Realismus beeinflusst später den Italienischen Neorealismus. Wichtiger Vertreter dieser Filmrichtung ist Jean Renoir bspw. mit den beiden Filmen D IE H ÜNDIN (1931) oder D IE GROSSE I LLUSION (1937). 13 Der Film K OZIYAT ROG (Das Ziegenhorn, 1972) von Metodi Andonov schreibt Geschichte als größter Kassenerfolg in der bulgarischen Kinematografie. 1972 wird er auf dem internationalen Filmfestival in Karlovy Vary mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. URL: http: / / www.imdb.com/ title/ tt0068814/ awards [19.08.2010]. 14 URL: http: / / www.extremno.com/ ~bgfilm/ [19.08.2010]. 15 Ebd. 16 Die Konsumunterhaltung wird bewusst in Gestalt von Märchen, Kostüm- und Eposfilme dem Publikum leicht zugänglich gemacht. 17 Die Last der Vergangenheit ist gekennzeichnet durch die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen fatalen Folgen für Bulgarien sowie für den gesamten Ostblock. 18 URL: http: / / docs.lib.purdue.edu/ clcweb/ vol1/ iss4/ 7 [19.08.2010]. 19 Die Figur des Mathelehrers Barumov wird von dem bekannten bulgarischen Filmemacher Nikola Rudarov gespielt.