eJournals Kodikas/Code 33/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2010
333-4

EU-Kulturpolitik als symbolische Form - Eine kulturwissenschaftliche Annäherung an das Kulturverständnis der Europäischen Union

2010
Lena Jöhnk
EU-Kulturpolitik als symbolische Form Eine kulturwissenschaftliche Annäherung an das Kulturverständnis der Europäischen Union Lena Jöhnk; Leuphana Universität Lüneburg The following study is an analysis of the cultural concept of the European Union on the basis of the cultural-semiotic theories of Cassirer (1988; 1994a; 1994b; 1994c; 1994d) and Lotman (1990; 1993; 2000). This unique research approach has proven to be successful in terms of outlining the complexity and dynamics of the EU Culture Policy on several levels. Firstly, the approach allows for a comprehensive description of EU Culture Policy as well as the creation of new legal documents as translation processes in the EU cultural-political arena of negotiation. Secondly, the key EU Cultural Policy terms cultural diversity, cultural heritage, European identity and intercultural dialog are analyzed on the basis of the EU Culture Policy legislation texts. The results of these two analyses are combined to provide conclusions regarding the EU concept of culture. 1 Einleitung “Der Mensch hat eine neue Art des Ausdrucks entdeckt; den symbolischen Ausdruck. Dies ist der gemeinsame Nenner all seiner kulturellen Tätigkeiten: in Mythos und Poesie, in Sprachen, in Kunst, in Religion und in Wissenschaft.” (Cassirer 1988: 63) Jüngst hob der Rat der Europäischen Union in seiner “Entschließung zu einer europäischen Kulturagenda” die zentrale Rolle der Kultur im europäischen Integrationsprozess hervor (vgl. Rat der Europäischen Union 16.11.2007: Amtsblatt C 287). Kultur, so der Rat, stärke den sozialen Zusammenhalt, fördere das Wirtschaftswachstum und führe zu Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Auch im Hinblick auf die Lissabonstrategie 1 , die die Errichtung eines EU-weiten, dem Wettbewerb gewachsenen und wissensorientierten Wirtschaftsraums verfolgt, gilt Kultur als “Katalysator für Kreativität”, durch den Arbeitsplätze geschaffen und der wirtschaftliche Wohlstand gesteigert werden soll. Weiterhin wird Kultur zunehmend als ein wichtiges politisches Instrument in der europäischen Außenpolitik wahrgenommen (vgl. Rat der Europäischen Union 16.11.2007: Amtsblatt C 287; Rat der Europäischen Union 24.05.2007: Amtsblatt C 311). Dies zeigt u. a. eine kulturpolitische Konferenz in Ljubljana aus dem Jahr 2008, laut deren Ergebnissen Kultur in alle relevanten Bereiche der EU-Außenbeziehungen hineinwirkt und dazu beiträgt, die Verbreitung der Werte der EU, zu denen beispielsweise die Achtung der Menschenwürde und die Demokratie zählen, zu unterstützen (vgl. Slovenian Presidency Declaration 2008). Die hier angedeutete inflationäre Verwendung von Kultur im Kontext diverser Politikfelder der Europäischen Union ist symptomatisch für die wachsende Bedeutung, die Kultur K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 33 (2010) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Lena Jöhnk 310 in der gegenwärtigen Gestaltung der EU-Politik beigemessen wird. Offen bleibt jedoch, welche Denkmuster dem EU-kulturpolitischen Handeln zugrunde liegen, d. h. von welchem Kulturverständnis die EU ausgeht. In der EU-kulturpolitischen Forschung ist dem EU-Kulturverständnis bisher ebenfalls wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden. 2 Anstatt in längeren wissenschaftlichen Arbeiten wurde es hauptsächlich essayistisch behandelt. Ein Beispiel für diese Herangehensweise ist der Text von Ljubomir Brati , der sich ausgehend von einzelnen EU-kulturpolitischen Dokumenten auf kritische Weise mit dem EU-Kulturverständnis auseinandersetzt (vgl. Brati 2008). Darüber hinaus finden sich vereinzelt längere wissenschaftliche Beiträge, die sich über die Untersuchung des Kulturartikels im EU-Primärrecht mit dem EU-Kulturverständnis befassen (vgl. Smiers 2002; Holthoff 2008). Eine systematische wissenschaftliche Untersuchung des EU-Kulturverständnisses steht hingegen noch aus. Der Mangel an wissenschaftlichen Untersuchungen steht in Widerspruch zu der großen gesellschaftlichen und politischen Relevanz, die diesem Thema auf europäischer Ebene zukommt. Das Kulturverständnis der EU wirkt sich nicht nur auf die Förderkriterien sowie Gesetzesbeschlüsse im genuin kulturpolitischen Bereich aus, sondern beeinflusst darüber hinaus die Ausgestaltung anderer Politikbereiche der EU sowie die Zusammenarbeit der EU mit verschiedenen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. 3 In letzter Konsequenz prägt es sogar den Umgang der EU mit ihren Bürgern, wie beispielsweise anhand der Einwanderungspolitik erkennbar wird. Darüber hinaus hat es erheblichen Einfluss auf die künftige Entwicklung der EU-Politik, wie sich eindrucksvoll an den Diskussionen über eine Verfassung für Europa gezeigt hat, für deren Gestaltung das EU-Kulturverständnis eine maßgebliche Rolle spielte. 4 Die Ursache für die geringe wissenschaftliche Beachtung, die das EU-Kulturverständnis trotz seiner großen Relevanz für EU-politische und gesellschaftliche Prozesse erfahren hat, lässt sich in dem besonderen Charakter dieses Untersuchungsgegenstandes vermuten. Versteht man das EU-Kulturverständnis als spezifische Bedeutungsstruktur, die sich innerhalb des institutionellen Gefüges der EU-Kulturpolitik formiert und diesem gleichzeitig zugrunde liegt, so handelt es sich um Grundlagen des Denkens und Handelns, die weder bewusst wahrgenommen noch reflektiert werden und somit nur schwerlich durch eine direkte Abfrage, wie etwa in Form eines Interviews, ermittelt werden können. 5 Die Tatsache, dass dem EU- Kulturverständnis keine individuellen, sondern kollektive Denk- und Handlungsmuster zugrunde liegen, erschwert die Untersuchung zusätzlich. Sie impliziert, dass sich die Frage nach dem EU-Kulturverständnis nicht losgelöst von seiner Formierung innerhalb der EU- Kulturpolitik beantworten lässt, sich jedoch genauso wenig auf eine bloße Beschreibung EUkulturpolitischer Strukturen und Prozesse beschränken darf. Die dritte Schwierigkeit betrifft den dynamischen Charakter des Untersuchungsgegenstandes. Durch EU-kulturpolitische Aktivitäten und gesellschaftliche Veränderungen wandelt sich auch das EU-Kulturverständnis. Eine wissenschaftlich adäquate Auseinandersetzung erfordert es, diesen Wandel zu berücksichtigen. Ausgehend von den hier kurz umrissenen Anforderungen wird die Frage nach dem EU- Kulturverständnis an dieser Stelle als kulturwissenschaftliche Herausforderung verstanden. Es gilt, den kulturpolitischen Handlungs- und Bedeutungsraum EU-Kulturpolitik zu öffnen, um die in ihm ablaufenden Translationsprozesse und dabei entstehenden kulturellen Bedeutungsstrukturen untersuchen zu können. Den analytischen Ausgangspunkt für die geplante Untersuchung bildet die Symboltheorie des deutschen Kulturwissenschaftlers Ernst Cassirer (1988; 1994a; 1994b; 1994c; 1994d) 6 , EU-Kulturpolitik als symbolische Form 311 mittels derer verschiedene kulturelle Räume als symbolische Formen betrachtet werden können. Cassirers Symboltheorie geht davon aus, dass sich das Denken und Handeln der Akteure einer Gesellschaft in kulturellen Erzeugnissen jeglicher Art - beispielsweise in Bildern, Mythen und Texten aber auch in Organisationsformen - objektiviert. Entsprechend werden kulturelle Erzeugnisse als spezielle Zeichenformationen betrachtet, in denen verschiedene Weltauffassungen und Denkweisen enthalten sind. Das Ziel einer auf Cassirers Symboltheorie basierenden Untersuchung ist es, kulturelle Bedeutungsstrukturen sichtbar zu machen. Dafür werden sowohl einzelne Zeichen als auch die Funktionsweise des gesamten Zeichensystems untersucht (vgl. Bisanz 2004: 16-18). EU-Kulturpolitik als symbolische Form zu betrachten heißt, sie als kulturelles, dynamisches Gefüge mit einer eigenen Struktur und Funktionsweise zu verstehen. Die Untersuchung dieser Struktur und Funktionsweise aber auch der konkreten sinnlichen Zeichen, d. h. der EU-kulturspezifischen Begriffe und Formulierungen, ermöglichen Rückschlüsse auf das EU-Kulturverständnis. Ergänzend zu Cassirers Symboltheorie wird das kultursemiotische Raummodell sowie der Textbegriff des russischen Literaturtheoretikers und Semiotikers Juri M. Lotman (1990; 1993; 2000) für die Untersuchung des EU-Kulturverständnisses verwendet. Gegenüber Cassirers Ausführungen zur symbolischen Form hat Lotmans Semiosphäremodell den Vorteil, dass es die genaue Beschreibung der Dynamik innerhalb des EU-kulturpolitischen Handlungsraumes ermöglicht. Dank der Kombination dieser kulturwissenschaftlichen Theorien kann einerseits die EU-Kulturpolitik als Handlungssphäre untersucht werden, andererseits ist die Analyse einzelner Begriffe und Formulierungen möglich. Die Synthese dieser beiden Untersuchungsebenen ermöglicht wiederum Rückschlüsse auf die Logik des Gesamtsystems “EU-Kulturpolitik” und somit letztlich auf das EU-Kulturverständnis. 2 Die Beschreibung der EU-kulturpolitischen Handlungssphäre nach Lotman Im Folgenden wird EU-Kulturpolitik als semiotische Handlungssphäre anhand von Lotmans Modell der Semiosphäre dargestellt. Im Zentrum dieser Betrachtung steht der EU-kulturpolitische Handlungsraum, in dem alle Texte, kulturellen Codes und institutionellen Strukturen der EU-Kulturpolitik enthalten sind und in dem neue Bedeutungen generiert werden. 7 Eine solche Betrachtung setzt den Fokus weniger auf die Machtposition der einzelnen Akteure als auf die in der EU-Kulturpolitik stattfindenden semiotischen Prozesse sowie die dabei entstehenden Texte und Codes. Dennoch werden die Akteure nicht ausgeblendet, sondern als wichtige Bestandteile der Semiosphäre in die kultursemiotische Untersuchung mit einbezogen (vgl. Lotman 1990: 288-290; Lotman 2000: 123-125). Auf der synchronen Ebene geht Lotmans semiotisches Raummodell von unterschiedlich strukturierten Bereichen innerhalb der Semiosphäre, d. h. von Subsemiosphären, aus (vgl. Lotman 1990: 294-296). In der EU-Kulturpolitik können die verschiedenen kulturpolitischen Akteure als Subsemiosphären verstanden werden. Jede dieser Subsemiosphären weist eine individuelle Organisationsstruktur sowie eigene Funktionsmechanismen auf und produziert spezifische Bedeutungsstrukturen. Das Kulturverständnis der EU ist jedoch nicht einfach die Summe dieser Bedeutungsstrukturen, sondern formiert sich erst durch die Interaktionen in der kulturpolitischen Sphäre, in der die verschiedenen Subsemiosphären verortet sind und miteinander in Interaktion treten. Dieses Zusammenspiel tritt auch in der von Lotman verwendeten Bezeichnung “Organe” zu Tage. Jedes Organ ist eigenständig und zugleich Teil eines Organismus, der erst in seiner Gesamtheit funktionsfähig ist (vgl. Lotman 1990: 288-290). Lena Jöhnk 312 Die Einbettung der einzelnen Zeichensysteme bzw. Subsemiosphären in die Semiosphäre beschreibt Lotman folgendermaßen: “Wie man jetzt voraussetzen kann, kommen in der Wirklichkeit keine Zeichensysteme vor, die völlig exakt und funktional eindeutig und in isolierter Form für sich allein funktionieren. […] Sie funktionieren nur, weil sie in ein bestimmtes semiotisches Kontinuum eingebunden sind, das mit semiotischen Gebilden unterschiedlichen Typs, die sich auf unterschiedlichen Organisationsniveaus befinden, angefüllt ist.” (Lotman 1990: S. 287) Diese Feststellung verdeutlicht, weshalb nicht nur die Beschreibung der Strukturen im Sinne einer Darstellung der einzelnen Organe der EU-Kulturpolitik wichtig ist, sondern vor allem die Untersuchung der Prozesse zwischen diesen Organen, d. h. die Interaktionen der verschiedenen Subsemiosphären im kulturpolitischen Handlungsraum. Neben der Heterogenität wird die kulturpolitische Sphäre insbesondere durch ihren asymmetrischen Aufbau bestimmt. Das Zentrum der Semiosphäre weist eine verfestigte Struktur auf, die durch eine geringe Dynamik gekennzeichnet ist. Aus diesem Zentrum heraus erfolgt die Produktion spezifischer Metatexte, die die gesamte Semiosphäre inklusive der Peripherie beschreiben und den semiotischen Raum von innen heraus stabilisieren. Mit dieser zunehmenden Verfestigung und Selbstbeschreibung des Systems geht ein Verlust an Flexibilität zugunsten von Normativität und Künstlichkeit einher (vgl. Lotman 2000: 123-130). Ein stark strukturiertes Zentrum, aus dem heraus Kultur definiert wird, lässt sich in der EU-Kulturpolitik in Form des Rates der Europäischen Union, der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments 8 auffinden. Ausgehend von ihren legislativen Kompetenzen beanspruchen diese Organe der EU die Handlungssowie Definitionsmacht innerhalb des EUkulturpolitischen Raumes. 9 Durch ihre Aktivitäten, wie beispielsweise dem Verfassen von Rechtsdokumenten und der Initiierung von Kulturförderprogrammen, gestalten und beschreiben sie EU-Kulturpolitik von innen heraus und prägen sie maßgeblich. Neben den zentralen Organen der EU gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher institutioneller Strukturen, die ihren EU-kulturpolitischen Einfluss durch verschiedene Vorgehensweisen wie beispielsweise der Abgabe von Empfehlungen geltend machen. Entsprechend ihrer eingeschränkten rechtlichen Kompetenzen verfügen sie über eine geringe Handlungssowie Deutungsmacht in der EU-kulturpolitischen Sphäre, sodass sie in Lotmans Semiosphäremodell in der Peripherie verortet werden. Einige dieser peripheren Strukturen sollen im Folgenden kurz beschrieben werden, um daran anschließend die Interaktion der verschiedenen zentralen und peripheren Subsemiosphären darzustellen. Zu den peripheren Subsemiosphären des EU-kulturpolitischen Handlungsraumes zählt der Ausschuss der Regionen (AdR), der rechtlich kein EU-Organ ist, sondern lediglich als beratende Institution agiert. In ihm werden die Interessen der Regionen und Kommunen diskutiert und gegenüber den Organen der EU vertreten. Der AdR besteht aus 344 Delegierten der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, die von den Mitgliedstaaten nach dem jeweiligen nationalen Verfahren gewählt und entsandt werden (vgl. Art. 263, 264, 265 EGV). Innerhalb des AdR wurde eine “Fachkommission für Bildung und Kultur” eingerichtet, die sich mit sämtlichen kulturellen Vorhaben der EU befasst und Stellungnahmen abgibt. 10 Aufgrund seiner geringeren Kompetenzen in der Rechtsetzung kommt dem AdR deutlich weniger Bedeutung zu als den Organen der EU. 11 Allerdings sind der Rat, die Kommission und seit dem Vertrag von Amsterdam auch das Parlament dazu verpflichtet, den AdR in kulturellen Belangen anzuhören. Bleibt diese Anhörung aus und sieht der AdR das der EU- Kulturpolitik zugrunde liegende Subsidiaritätsprinzip verletzt, so kann er Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben. 12 EU-Kulturpolitik als symbolische Form 313 Eine weitere periphere Subsemiosphäre, die das Kulturverständnis der EU beeinflusst, ist der Europarat, der auch als “Ideenlabor Europas” (Merkle & Palmer 2007: 158) bezeichnet wird. Dem bereits 1950 gegründeten Europarat gehören insgesamt 47 Staaten an, die in Abhängigkeit der jeweiligen Bevölkerungszahl zwei bis 18 Mitglieder aus ihren nationalen Parlamenten entsenden. Der Europarat ist weder ein Organ der EU, noch ist er institutionell mit ihr verbunden. Zwischen beiden besteht lediglich ein Memorandum of Understanding (MoU), das als politische Absichtserklärung fungiert. Die Organe des Europarates sind das Ministerkomitee, das sich aus den Außenministern der Mitgliedstaaten bzw. ihren diplomatischen Vertretern zusammensetzt, die Parlamentarische Versammlung (PACE) und der Kongress der Gemeinden und Regionen. Während die Entscheidungen im Ministerkomitee getroffen werden, erarbeitet die Parlamentarische Versammlung die Themen in den jeweiligen Fachausschüssen und berät das Ministerkomitee. Unterstützung erfährt sie dabei durch das Generalsekretariat (vgl. Gimbal 2009: 225-231). Die Parlamentarische Versammlung des Europarates ist mit ihrem “Ausschuss für Kultur, Wissenschaft und Bildung” von besonderer Bedeutung für den Kulturbereich. Analog zu allen anderen Ausschüssen der Parlamentarischen Versammlung ist es diesem Ausschuss freigestellt, externe Wissenschaftler und Persönlichkeiten zu seinen Sitzungen hinzu zu bitten, um ihren fachlichen Rat einzuholen. 13 Der Europarat vertritt seit Aufnahme seiner Aktivitäten einen Kulturbegriff, der sich nicht nur auf die Hochkultur bezieht, sondern wesentlich weiter zu fassen ist. Im Vordergrund jeder kulturpolitischen Aktivität des Europarates stehen der Schutz und die Förderung der kulturellen Vielfalt und der kulturellen Identität unter der steten Aufrechterhaltung der Demokratie, der Wahrung der Menschenrechte und der Rechtstaatlichkeit (vgl. die Satzung des Europarates 1949). Neben dem AdR und dem Europarat dient die UNESCO als unentbehrlicher Referenzrahmen für die EU-Kulturpolitik. Die United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation (UNESCO) wurde 1944 als Sonderorganisation der Vereinten Nationen gegründet und umfasst heute 192 Mitglieder. Ausgehend von einem weiten Kulturbegriff bilden der Schutz des kulturellen Erbes, die Wahrung der kulturellen Vielfalt und die Förderung des interkulturellen Dialogs die Schwerpunkte ihrer Arbeit. Ihr Ziel ist es, über Kultur und Bildung zu einem nachhaltigen Frieden beizutragen. Im Hinblick auf den Kulturbegriff der UNESCO lassen sich viele Parallelen zum Europarat finden. Beide Organisationen gehen von einem erweiterten Kulturbegriff aus und betonen den Schutz des kulturellen Erbes sowie der kulturellen Identität. Die UNESCO geht noch einen Schritt weiter als der Europarat, indem sie die Wahrung der kulturellen Identität - unter Bezugnahme auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) - zu einem Teil der Menschenrechte erklärt (vgl. Schwencke 2006: 137-142). Über den AdR, den Europarat und die UNESCO hinaus existieren zahlreiche weitere Subsemiosphären, die durch ihr Handeln zur Veränderung der EU-kulturpolitischen Bedeutungsstrukturen beitragen. Dazu gehören verschiedene Sozialpartner wie beispielsweise Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Nichtregierungsorganisationen, die in Brüssel Lobbyarbeit betreiben. Die drei wichtigsten Organisationen, die die Sozialpartner auf europäischer Ebene vertreten, sind der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB), die Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas (UNICE) und der Europäische Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (ECPE). Darüber hinaus gehören die europäischen Kulturinstitute (EUNIC-Berlin und EUNIC-Brüssel sowie FICEP Paris), in denen sich zahlreiche nationale Kulturinstitute und Botschaften zusammengeschlossen haben, sowie Eliten und Medien zu den Subsemiosphären, die Einfluss auf das Kulturverständnis der EU ausüben können (vgl. Lena Jöhnk 314 Immerfall 2006: 95-97). Weiterhin werden Interessenverbände, Forschungseinrichtungen oder Künstler, die sich mit europäischen Fragestellungen auseinandersetzen und politisch aktiv sind, zu den peripheren Subsemiosphären gezählt. 2.1 Translationsprozesse im EU-kulturpolitischen Handlungsraum Die EU-kulturpolitische Willensbildung in Form von Diskussionen und Verhandlungen lässt sich mit Lotman als Translationsprozess bzw. Dialog zwischen den erläuterten Subsemiosphären beschreiben. Gekennzeichnet ist dieser Dialog einerseits durch eine große Anzahl verschiedener Codes, wie beispielsweise unterschiedliche Sprachen, Wertesysteme und Ansichten, die in der EU-kulturpolitischen Sphäre zusammentreffen. 14 Andererseits existieren Gemeinsamkeiten in Form von verschiedenen vertraglichen Regelungen, nach denen EUkulturpolitische Interaktion stattfindet, sowie einer gemeinsamen europäischen Rechtssprache bestehend aus Begriffen und Formulierungen, die in den zentralen Subsemiosphären immer wieder verwendet werden. Mit Lotman lassen sich diese Gemeinsamkeiten als semiotische Invarianz verstehen, die die Voraussetzung für einen Dialog bildet (vgl. Lotman 1990: 298). Die Translationsprozesse sind immer an Texte - entweder in geschriebener oder gesprochener Form - gebunden und können somit auch als textuelle Dynamiken beschrieben werden. Nach Lotman ist der kulturpolitische Text, verstanden als die materielle Manifestation des semiotischen Systems, eine mehrfach codierte Zeichenstruktur. Neben der einfachen Codierung der natürlichen Sprache enthält er eine sekundäre Codierung, etwa in Form von Werten, Normen und kollektiven Erfahrungen. Somit sind die untersuchten Rechtsdokumente gleichzeitig Träger einer Mitteilung zu einem bestimmten kulturpolitischen Thema und Träger des EU-Kulturverständnisses (vgl. Lotman 1993: 83-91). Jede Subsemiosphäre verabschiedet in Abhängigkeit von ihrer Position im kulturpolitischen Raum verschiedene Texte, wie beispielsweise Empfehlungen oder Berichte. In der EUkulturpolitischen Interaktion dienen diese Texte dazu, einen gemeinsamen Metatext zu erzeugen, in dem sich die verschiedenen Einflüsse aus den Subsemiosphären wiederfinden. Der Translationsprozess in der EU-Kulturpolitik erweist sich somit nicht als reiner Austausch der verschiedenen im Rat, dem Parlament, der Kommission sowie den peripheren Subsemiosphären existierenden Standpunkte, sondern als Mechanismus zur Generierung eines neuen Textes mit neuen Bedeutungen. Neben der Heterogenität und Asymmetrie beeinflusst die diachrone Tiefe der Semiosphäre die Entstehung eines neuen Rechtsdokuments. Die gleichzeitige Existenz neuerer und älterer Texte führt dazu, dass die Verabschiedung eines neuen Rechtsdokuments keine willkürliche Veränderung ist, sondern einer bestimmten Richtung folgt, die sich aus der strukturellen Beschaffenheit der EU-kulturpolitischen Sphäre, d. h. den bereits vorhandenen Texten und Bedeutungsstrukturen ergibt. Anhand der Referenzen zu Beginn jedes EU-kulturpolitischen Rechtsdokuments lässt sich ablesen, auf welche älteren Texte dieses Rechtsdokument Bezug nimmt und an welcher Stelle es sich in das EU-kulturpolitische Gesamtgefüge einordnet. Dabei werden Begriffe aus vorangegangen Dokumenten wiederverwendet sowie teilweise in neue Bedeutungszusammenhänge gestellt. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist der im Zuge des Vertrags von Maastricht erstmals verabschiedete Kulturartikel, der für alle EU-kulturpolitischen Rechtsdokumente nach 1992 die rechtliche Grundlage bildet. Auf die in ihm enthaltenden Formulierungen wird in zahlreichen Dokumenten der EU-kulturpolitischen Rechtsakte zurückgegriffen. 15 EU-Kulturpolitik als symbolische Form 315 Die juristisch wichtigsten Texte der EU-Kulturpolitik, die Dokumente der kulturpolitischen Rechtsakte, werden nach dem Mitentscheidungsverfahren bzw. Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 294 AEUV; ehemals Art. 251 EGV) verabschiedet. Im Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren bedarf jede Entscheidung sowohl der Zustimmung durch den Rat als auch durch das Parlament. Die Gesetzesvorschläge werden hingegen ausschließlich von der Kommission eingebracht, die darüber hinaus Stellung zu den Änderungsvorschlägen des Rates und des Parlaments bezieht. Durch ein bis drei Lesungen besteht ein intensiver Kontakt zwischen den EU-Organen. Aus kultursemiotischer Sicht handelt es sich bei diesem Verfahren um einen Translationsprozess, der nach gesetzlich festgelegten Regeln abläuft, dessen Verlauf jedoch auch durch die Heterogenität und Asymmetrie der EU-kulturpolitischen Sphäre sowie ihre diachrone Tiefe beeinflusst wird. 16 Neben den zentralen Subsemiosphären Rat, Parlament und Kommission versuchen die peripheren Bereiche Einfluss auf den kulturpolitischen Willensbildungsprozess zu nehmen, um auf diese Weise die finale Rechtsakte entsprechend ihrer Interessen mitzugestalten. Ihre Standpunkte bringen sie u. a. über Stellungnahmen und Erklärungen, d. h. über Texte im Lotmanschen Sinne ein. Ein aktuelles Beispiel für die Beeinflussung der EU-kulturpolitischen Willensbildung durch periphere Subsemiosphären ist das “Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen der UNESCO” aus dem Jahr 2005, dem die EU nicht nur beigetreten ist 17 , sondern dessen Leitgedanke - das Prinzip der sogenannten “exception culturelle” - sich auch in dem Entwurf über eine Verfassung für Europa wiederfindet (vgl. Schwencke 2006: 323-324). Daneben haben verschiedene Texte des Europarates die Verabschiedung zahlreicher EUkulturpolitischer Dokumente maßgeblich geprägt. 18 Die Satzung des Europarates von 1949 stellte die Weichen für weitere europäische Beschlüsse wie beispielsweise die Europäische Menschenrechtskonvention oder die Europäische Kulturkonvention (1954), in der die Staaten Europas aufgefordert werden, gemeinsam zu handeln, um die europäische Kultur zu wahren und ihre Entwicklung zu fördern. Kultur wird hier verstanden als Instrument zur Förderung des Verständnisses zwischen den Völkern und des europäischen Bewusstseins (vgl. Europäische Kulturkonvention des Europarates 1954). Im Hinblick auf die Darstellung der Translationsprozesse und die damit verbundene Entstehung eines neuen Rechtsdokuments wäre es von großem Interesse, den Einfluss, den die verschiedenen Texte aus den Subsemiosphären auf die EU-kulturpolitischen Rechtsdokumente im Einzelnen ausüben, aufzuzeigen. Die Darstellung der komplexen semiotischen Zusammenhänge kann an dieser Stelle jedoch lediglich exemplarisch anhand eines einzelnen Textes erfolgen. Dafür wurde die im Jahr 1972 durch den Europarat verfasste Abschlusserklärung der Konferenz von Arc et Senans “Zukunft und kulturelle Entwicklung” ausgewählt (vgl. Abschlusserklärung der Konferenz von Arc et Senans 1972). Dieses Dokument, an dem Wissenschaftler wie Edgar Morin, Alwin Toffler und Georg Picht mitwirkten, verfolgt das Vorhaben, die Aufgaben der Kulturpolitik in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften zu definieren. Es betont die “Wertvorstellungen kultureller und sozialer Kräfte” als Gegengewicht zu den die Umwelt gefährdenden sozioökonomischen Prozessen und fordert: “Es müssen sich [aber] kulturelle Maßstäbe stärker durchsetzen, damit quantitatives Wachstum in verbesserte Lebensqualität überführt werden kann” (Abschlusserklärung der Konferenz von Arc et Senans 1972). Darüber hinaus wird in der Abschlusserklärung von Arc et Senans darauf hingewiesen, dass Kultur weit mehr als die traditionellen Kultursparten umfasst. Zur Kultur zählen laut dieses Textes auch die Massenmedien, das Erziehungssystem und die übrige Kulturindustrie. Plädiert wird für den Aufbau von Strukturen, die das lebenslange Lena Jöhnk 316 Lernen ermöglichen und die kulturelle Partizipation im Sinne einer Soziokultur fördern. In diesem Kontext lautet einer der vorgeschlagenen Programmpunkte: “Es sind Bedingungen für eine dezentralisierte und pluralistische ‘kulturelle Demokratie’ zu schaffen, an der der Einzelne aktiv Anteil nehmen kann” (Abschlusserklärung der Konferenz von Arc et Senans 1972). Der Einfluss, den die Abschlusserklärung von Arc et Senans auf die EU-kulturpolitische Sphäre hatte, war zunächst sehr gering. Die Organe der EU, allen voran der Rat und die Kommission, zeigten in den 1970er und 1980er Jahren keine Bereitschaft zur Entwicklung einer konzeptionellen Kulturpolitik, wie sie in diesem Dokument des Europarates gefordert wird. Ihre kulturellen Aktivitäten beschränkten sich auf einzelne so genannte “kulturelle Aktionen”. 19 Dies änderte sich erst mit der Verabschiedung des Vertrags von Maastricht und der damit einhergehenden Verankerung von Kultur im EU-Primärrecht. Das Bestreben, einzelne kulturelle Aktionen in einer kohärenten Kulturpolitik zusammenzuführen, zeigt sich neben dem Kulturartikel insbesondere in den “Schlussfolgerungen der im Rat vereinigten Minister für Kulturfragen vom 12. November 1992 zu Leitlinien für ein Kulturkonzept der Gemeinschaft” (Amtsblatt C 336). Dabei handelt es sich um das erste Dokument der EUkulturpolitischen Rechtsakte, das sich nicht auf die Kodifizierung einzelner kultureller Aktionen beschränkt, sondern EU-Kulturpolitik konzeptionell durchdenkt. In beiden Texten - dem Kulturartikel und den “Schlussfolgerungen zu Leitlinien für ein Kulturkonzept der Gemeinschaft” - wird eine starke Beeinflussung durch die Abschlusserklärung von Arc et Senans deutlich: Wie bereits erläutert, beschränkt der Kulturartikel Kultur nicht auf den hochkulturellen Bereich, sondern versteht sie in einem weiten Sinne, ohne diesen jedoch näher zu definieren. Darauf aufbauend kodifiziert Absatz 4 die Berücksichtigung von Kultur in allen Tätigkeitsbereichen der Union. Sowohl der Gedanke eines weiten Kulturbegriffs als auch die Berücksichtigung von Kultur in allen politischen Bereichen findet sich bereits in der Abschlusserklärung von Arc et Senans. Dort heißt es: “Sie [die Experten der Konferenz; L. J.] sind der Überzeugung, dass bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben (Europas) kulturpolitische Strategien eine entscheidende Rolle spielen können und sogar müssen.” (Abschlusserklärung der Konferenz von Arc et Senans 1972) Neben der Ausweitung des traditionellen Kulturbegriffs 20 nimmt die Abschlusserklärung von Arc et Senans den Schutz der kulturellen Vielfalt im Sinne einer Anerkennung kultureller Unterschiede vorweg: “Zentrale Aufgabe jeder Kulturpolitik muss es sein, die Bedingungen für Ausdrucksvielfalt und ihre freizügige Nutzung zu garantieren und weiterzuentwickeln. […] kulturelle Unterschiede müssen anerkannt und insbesondere dort unterstützt werden, wo sie bisher die geringsten Entwicklungschancen hatten.” (Abschlusserklärung der Konferenz von Arc et Senans) Diese Forderung wird zwanzig Jahre später in abgewandelter Form Teil des zentralen Konzeptes der EU-Kulturpolitik. Im Kulturartikel drückt es sich in folgender Formulierung aus: “Die Union leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.” (Art. 167, Abs. 1 AEUV) Ähnliche Formulierungen finden sich in den “Schlussfolgerungen zu Leitlinien für ein Kulturkonzept der Gemeinschaft” sowie in zahlreichen weiteren Dokumenten der EUkulturpolitischen Rechtsakte. 21 Nach Lotman führt die Spannung, die innerhalb der verschieden strukturierten Subsemiosphären sowie zwischen Zentrum und Peripherie besteht, zu EU-Kulturpolitik als symbolische Form 317 einer erhöhten Dynamik, die Umcodierung, d. h. Erneuerung, nach sich zieht (vgl. Lotman 1990: 290-293). Anhand der Abschlusserklärung von Arc et Senans zeigt sich, dass diese Erneuerung mitunter erst Jahre später einsetzt, was die Rekonstruktion EU-kulturpolitischer Translationsprozesse und die Messung des Einflusses, den die Texte periphere Subsemiosphären auf den EU-kulturpolitischen Bedeutungsraum ausüben, zusätzlich erschweren dürfte. 3 Die Untersuchung zentraler kulturpolitischer Begriffe als symbolische Formen In der EU-Kulturpolitik ist die häufige Verwendung derselben Begriffe und Formulierungen, zu denen u. a. “kulturelle Identität”, “Einheit in der Vielfalt” und “kulturelles Erbe” zählen, besonders auffällig. EU-kulturpolitische Rechtsdokumente schreiben der EU-Kulturpolitik beispielsweise die Aufgabe zu, die “Einheit in der Vielfalt” herzustellen und dabei die “kulturelle Identität” zu wahren. Im Kulturartikel (Art. 167 AEUV), der Kultur im Primärrecht der EU verankert, werden die regionale und nationale Vielfalt sowie das kulturelle Erbe betont, zu dessen Erhalt die Europäische Union einen Beitrag leistet. Auch jüngere Dokumente, wie beispielsweise die im Jahr 2007 durch den Rat der Europäischen Union verabschiedete europäische Kulturagenda, greifen diese Begriffe wieder auf. Laut Cassirers Symboltheorie erschließt sich die Bedeutung einzelner Begriffe erst aus dem Zusammenhang, in dem diese stehen. Wird nach der Bedeutung eines Begriffs gefragt, so kann diese nur in Relation zu einem bestimmten Zeichensystem in einem bestimmten Moment festgestellt werden. 22 In diesem Sinne kommunizieren Begriffe keine außerhalb der jeweiligen symbolischen Form liegende Bedeutung, sondern verschiedene, in diesem Fall der EU-Kulturpolitik immanente Bedeutungen. Verändert sich die Logik der symbolischen Form “EU-Kulturpolitik”, so verändern sich auch die Bedeutungen ihrer zentralen Begriffe (vgl. Cassirer 1994a: 250-252; Cassirer 1994c: 393). Von dieser Überlegung ausgehend ermöglicht die Untersuchung zentraler EU-kulturpolitischer Begriffe - sofern sie systemimmanent geschieht - Rückschlüsse auf aktuelle Bedeutungsstrukturen und Bedeutungsverschiebungen. Es wird möglich, den Wandel des Kulturverständnisses der EU aufzuzeigen. Vorrausetzung für die Darstellung dieses Wandels ist die Untersuchung der gleichen zentralen Begriffe in verschieden datierten Texten. Für die Untersuchung EU-kulturpolitischer Begriffe und Formulierungen wurde die komplette EU-kulturpolitische Rechtsakte, d. h. 88 einzelne Dokumente aus den Jahren 1975 bis Ende 2009 ausgewertet. 23 Im Einzelnen handelt es sich dabei um Beschlüsse vom Rat der Europäischen Union bzw. vom Rat und dem Europäischen Parlament, Entscheidungen vom Rat und dem Parlament, programmatische Entschließungen und Schlussfolgerungen des Rates sowie Empfehlungen und Mitteilungen der Kommission. 24 Zusammen mit dem Kulturartikel (Art. 167 AEUV) und der Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie der Präambel des Vertrags über die Europäische Union wurden 91 EU-kulturpolitische Dokumente in die Auswertung einbezogen. Die Dokumente der EU-kulturpolitischen Rechtsakte können anhand der von Lotman angeführten Texteigenschaften Explizität, Strukturiertheit und Begrenztheit spezifiziert werden (vgl. Lotman 1993: 83-86). Es handelt sich um weitgehend abgeschlossene Strukturen, in denen sich die Funktionsweise der EU-Kulturpolitik sowie die in dieser Handlungssphäre vorherrschenden Bedeutungen manifestieren. Die EU-kulturpolitischen Rechtsdokumente verfügen über einen spezifischen Aufbau und über eine spezifische Rhetorik, anhand derer sie sofort als solche erkennbar werden. Durch ihre rechtliche Legitimation Lena Jöhnk 318 erhalten sie überdies eine Wertigkeit sowie eine Glaubwürdigkeit, die unabhängig von ihrem Inhalt besteht. Die Auswertung der Rechtsdokumente erfolgte tabellarisch. Begonnen wurde mit dem Kulturartikel, auf den sich seit dem Vertrag von Maastricht alle weiteren Dokumente der EUkulturpolitischen Rechtsakte berufen. Daran anschließend wurden die Präambeln des Vertrags über die Europäische Union und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie die EU-kulturpolitische Rechtsakte hinsichtlich der in ihnen häufig verwendeten Begriffe ausgewertet. 25 Der erste zentrale Begriff, der sowohl im Kulturartikel als auch in der Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Präambel des EUV sowie in der EUkulturpolitischen Rechtsakte Verwendung findet, ist “kulturelles Erbe”. Während der Kulturartikel allgemein “das kulturelle Erbe von europäischer Bedeutung” (Art 167 AEUV) zu einem besonders schützenswerten sowie förderungswürdigen Gut erklärt, werden in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und im EUV verschiedene Spezifizierungen vorgenommen. In der Präambel der Charta heißt es: “In dem Bewusstsein ihres geistigreligiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität” (Konsolidierte Fassung der Charta der Grundrechte der EU: Amtsblatt C 83/ 391). Die Präambel des Vertrags über die Europäische Union spricht hingegen von dem “kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas” (Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union (Amtsblatt C 83/ 13). In der kulturpolitischen Rechtsakte wird der Begriff des kulturellen Erbes sowohl auf der allgemeinen Ebene als auch im Kontext eines bestimmten Kulturbereichs, wie beispielsweise der audiovisuellen Medien oder der Architektur, verwendet. Neben dem “kulturellen Erbe” ist “kulturelle Vielfalt” ein zentraler Begriff, der sowohl vom Kulturartikel als auch von der EU-kulturpolitischen Rechtsakte aufgegriffen wird. Besonders auffällig ist die Verwendung der “kulturellen Vielfalt” in Zusammenhang mit der Betonung der kulturellen Gemeinsamkeiten, etwa in Form des kulturellen Erbes. Folglich wird nicht nur der Begriff “Vielfalt” untersucht, sondern auch die Formulierung “Einheit in der Vielfalt”. Der dritte zentrale Begriff der untersuchten Texte ist “Identität”. Dieser Begriff ist zwar nicht im Kulturartikel enthalten, wird jedoch immer wieder in der EU-kulturpolitischen Rechtsakte in Form der “kulturellen Identität”, “nationalen Identität” und “europäischen Identität” verwendet. Die Untersuchung wird versuchen, diese verschiedenen Identitäten miteinander in Verbindung zu bringen, um Rückschlüsse auf das EU-Kulturverständnis ziehen zu können. Während “kulturelles Erbe”, “Vielfalt” und “Identität” bereits in frühen Dokumenten der EU-kulturpolitischen Rechtsakte Verwendung finden, wird der vierte als zentral befundene Begriff des “interkulturellen Dialogs” erstmals 1996 verwendet (vgl. Europäische Parlament und Rat der Europäischen Union 29.03.1996: Amtsblatt. L 99). 26 In den darauf folgenden Jahren gewinnt er jedoch an Bedeutung für die EU-Kulturpolitik, sodass er heute zu den zentralen Begriffen der untersuchten Rechtsakte gehört. 27 Bei dem “kulturellen Erbe”, der “Einheit in der Vielfalt”, der “Identität” und dem “interkulturellen Dialog” handelt es sich um Begriffe bzw. Formulierungen, die über die EU- Kulturpolitik hinaus in der nationalen und internationalen Kulturpolitik verwendet werden. Sie finden sich u. a. in den nationalen Kulturpolitiken verschiedener Staaten sowie in den Dokumenten der UNESCO und des Europarates. 28 Entscheidend ist jedoch die Einsicht, dass es laut Cassirers relationalem Begriffsverständnis keine einheitliche Bedeutung dieser Begriffe geben kann, da diese immer in Abhängigkeit des jeweiligen Handlungsraumes entstehen. Aus diesem Grund können mit der hier durchgeführten Untersuchung lediglich EU-Kulturpolitik als symbolische Form 319 Aussagen über die EU-Kulturpolitik bzw. das Kulturverständnis der EU getroffen werden, ohne diese Erkenntnisse auf andere kulturpolitische Handlungsräume übertragen zu können. 3.1 Einheit in der Vielfalt “Vielfalt” ist - wie anhand der tabellarischen Auswertung der Dokumente herausgefunden werden konnte - ein zentraler Begriff der EU-Kulturpolitik, wobei sie stets mit dem Begriff der “Einheit” gekoppelt wird und somit als “Einheit in der Vielfalt” Verwendung findet. Zunächst handelt es sich bei der “Einheit in der Vielfalt” bzw. “in Vielfalt geeint” um die Leitformel der Europäischen Union, wie sie im Jahr 2000 offiziell eingeführt wurde. 29 Zugleich stellt diese Formulierung jedoch ein Kernelement des EU-Kulturverständnisses dar, das bereits zu Beginn der EU-Kulturpolitik bzw. der Kulturpolitik der Europäischen Gemeinschaft bestanden hat. So heißt es in der Entschließung des Rates von 1985 zu einem der frühesten kulturpolitischen Projekte der Europäischen Union, der alljährlichen Benennung einer “Kulturstadt Europas”: “Die für Kulturfragen zuständigen Minister sind der Auffassung, dass durch die Veranstaltung ‘Kulturstadt Europas’ einer Kultur Ausdruck verliehen werden sollte, die sich in ihrer Entstehungsgeschichte und zeitgenössischen Entwicklung sowohl durch Gemeinsamkeiten als auch durch einen aus der Vielfalt hervorgegangenen Reichtum auszeichnet.” (Rat der Europäischen Union 13.07.1985: Amtsblatt C 153) In diesem Dokument wird die Existenz einer Kultur vorausgesetzt, die durch eine große Vielfalt gekennzeichnet ist, jedoch auch Gemeinsamkeiten aufweist, die auf ihre Entstehungsgeschichte und aktuelle Entwicklung zurückzuführen sind. Mit der Aktion “Kulturstadt Europas” soll dieser “Einheit in der Vielfalt” Ausdruck verliehen werden. Nachdem die “Einheit in der Vielfalt” in der Rechtsakte - abgesehen von diesem Dokument - in den späten 1980er Jahren lediglich an einer weiteren Stelle Verwendung fand (vgl. Rat der Europäischen Union 13.11.1986: Amtsblatt Nr. C 320), wurde sie im Jahr 1992 als zentraler Gedanke in den Art. 128 EGV aufgenommen. Dort verpflichtet sich die EU sowohl zur Förderung und zum Schutz der Vielfalt der Kulturen auf nationaler und regionaler Ebene 30 als auch zur Hervorhebung der Gemeinsamkeiten der verschiedenen Kulturen in Form des kulturellen Erbes (vgl. Art. 128, Abs. 1 EGV). Unmittelbar nach der Verabschiedung des Vertrags von Maastricht griff der Rat die Formulierung “Einheit in der Vielfalt” in den “Leitlinien für ein Konzept der Gemeinschaft” in leicht abgewandelter Form auf. In diesem Dokument wird dem Art. 128, Abs. 1 EGV wie folgt zugestimmt: “Wie in dem Vertrag über die Europäische Union vorgesehen, sollte das Kulturkonzept der Gemeinschaft die nationale und regionale Vielfalt wahren und zugleich das gemeinsame kulturelle Erbe hervorheben. Das impliziert ein kohärentes Verhalten, das schwerpunktmäßig auf gemeinschaftsweite Maßnahmen ausgerichtet ist, so daß kulturelle Tätigkeiten mit europäischer Dimension in allen Mitgliedstaaten gefördert und Anstöße für eine Zusammenarbeit zwischen den Staaten gegeben werden.” (Rat der Europäischen Union 12.11.1992: Amtsblatt C 336) Anhand dieses Zitates zeigt sich, inwiefern im Zuge des Vertrags von Maastricht das Bemühen um ein umfassendes Kulturkonzept einsetzte, mit dem die verschiedenen Fördermaßnahmen und die Gesetzgebung gebündelt werden können. In beiden Texten wird der Versuch unternommen, die Vielfalt mit der Einheit dialektisch zu verbinden und auf diese Weise eine ausgewogene, zukunftsorientierte Kulturpolitik zu erzeugen (vgl. Schwencke 2006: 265). Lena Jöhnk 320 Dabei entsteht der Eindruck, dass es der EU-Kulturpolitik scheinbar mühelos gelingt, die sich zunächst konträr gegenüberstehenden Begriffe “Einheit” und “Vielfalt” miteinander zu verbinden; d. h. zugleich die Gemeinsamkeiten in Form des kulturellen Erbes hervorzuheben und die kulturellen Unterschiede zu wahren. Eine genauere Untersuchung der “Einheit in der Vielfalt” anhand weiterer kulturpolitischer Dokumente kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis. Stellt man zunächst den Begriff “Einheit” in das Zentrum der Betrachtung, so zeigt sich bereits an den bisher angeführten Zitaten, dass die Einheit laut den in der EU-Kulturpolitik vorherrschenden Vorstellungen durch das Auffinden und Betonen eines gemeinsamen, in der Vergangenheit liegenden kulturellen Fundaments hergestellt wird. Aus dieser Überzeugung heraus wird immer wieder auf das kulturelle Erbe, die gemeinsamen Wurzeln und die gemeinsame Geschichte der EU-Mitgliedstaaten rekurriert (vgl. Rat der Europäischen Union 21.06.1994: Amtsblatt C 229). Besonders deutlich wird dieses Vorgehen in dem “Beschluss über das Programm ‘Kultur 2000’”, das die gemeinsamen Wurzeln als Kernbestandteile des Zusammengehörigkeitsgefühls in der EU betont: “Um die volle Zustimmung und Beteiligung der Bürger am europäischen Aufbauwerk zu gewährleisten, bedarf es einer stärkeren Hervorhebung ihrer gemeinsamen kulturellen Werte und Wurzeln als Schlüsselelemente ihrer Identität und ihrer Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft, die sich auf Freiheit, Demokratie, Toleranz und Solidarität gründet.” (Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union 14.02.2000: Amtsblatt L 63) Entsprechend zählt zu den Zielen des “Programms ‘Kultur 2000’” eine immer engere Union der Völker, die u. a. durch die Hervorhebung des “gemeinsamen kulturellen Erbes von europäischer Bedeutung” (Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union 14.02.2000: Amtsblatt L 63) hergestellt werden soll. Darüber hinaus werden in diesem Dokument die gemeinsamen Werte als einende Elemente angeführt. Laut einer Entschließung des Rates von 1999 ergeben sie sich aus den gemeinsamen Erfahrungen der EU-Mitgliedstaaten. Dort heißt es: “Das Zusammenwachsen Europas, das auf den Prinzipien der Menschenrechte, der Rechtstaatlichkeit und der Demokratie aufbaut, ist das Ergebnis geschichtlicher Erfahrungen, die heute unser gemeinsames Erbe bilden.” (Rat der Europäischen Union 28.10.1999: Amtsblatt C 324) Somit sind Werte ein Resultat der Vergangenheit, d. h. Teil eines kulturellen Erbes, das in den kulturpolitischen Dokumenten zur Herstellung eines Gemeinschaftsgefühls herangezogen wird. Die Konstruktion einer Einheit durch den Rückgriff auf die Vergangenheit - sei es durch ein gemeinsames Erbe, eine gemeinsame Geschichte oder den sich daraus ergebenden Werten - impliziert immer eine Abgrenzung von einem “Anderen”, mit dem man keine Vergangenheit bzw. keine gemeinsamen Wurzeln und Werte teilt. Die Trennung zwischen dem “Eigenen” und dem “Anderen” zeigt sich besonders deutlich in den “Schlussfolgerungen des Rates zu den kulturellen und künstlerischen Aspekten der Bildung” aus dem Jahr 1994. In diesem Dokument wird die Rückbesinnung auf die eigene Kultur betont: “Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Völkern setzt voraus, daß man in der Kultur des eigenen Landes und der eigenen Region hinreichend verwurzelt ist und sich den gemeinsamen Werten bewusst ist.” (Rat der Europäischen Union 21.06.1994: Amtsblatt C 229). Insbesondere die Formulierung “hinreichend verwurzelt” deutet darauf hin, dass unter der eigenen Kultur eher Traditionen als aktuelle Entwicklungen gefasst werden. Eine ähnliche EU-Kulturpolitik als symbolische Form 321 Argumentationsweise findet sich in dem “Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. März 1996 über ein Programm zur Förderung künstlerischer und kultureller Aktivitäten mit europäischer Dimension (Kaleidoskop)”. Dieses Dokument stellt bezüglich einer Einheit nach außen fest: “Europa, als Einheit betrachtet, entfaltet seine deutlichsten und durchschlagendsten Wirkungen nicht nur als geographische, politische, wirtschaftliche und soziale, sondern auch als kulturelle Realität. Das Bild Europas in der Welt wird weitgehend von der Stellung und der Stärke seiner kulturellen Werte bestimmt.” (Europäische Parlament und Rat der Europäischen Union 29.03.1996: Amtsblatt L 99 Kaleidoskop) Hinsichtlich des Begriffs “Einheit” kann also festgehalten werden, dass kulturelle Gemeinsamkeiten in Form des kulturellen Erbes, der gemeinsamen Geschichte und der kollektiven Werte zum einen als wesentliche Komponenten für das Voranschreiten der europäischen Integration betrachtet werden (vgl. Rat der Europäischen Union 21.01.2002: Amtsblatt C 32). Zum anderen fungieren sie als Möglichkeit, die Gemeinsamkeiten der europäischen Völker in den Vordergrund zu stellen, um auf diese Weise zu einer einheitlichen Außendarstellung der EU beizutragen. Sie dienen - wie in dem Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über das “Programm ‘Kultur 2007-2013’” festgehalten wurde - dazu, “dem Erscheinungsbild der Europäischen Union in der Welt mehr Kontur zu geben” (Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 12.12.2006: Amtsblatt L 372 vom 27.12.2006). Neben der Einheit wird, wie anfangs erwähnt, stets die Vielfalt hervorgehoben. Geht es bei der Einheit um die Auffindung bzw. Schaffung von Gemeinsamkeiten, so werden im Zusammenhang mit der Vielfalt die kulturellen Unterschiede betont. Der Verweis auf diese Vielfalt ist nicht nur ein zentrales Element des Art. 167 AEUV, sondern findet sich auch in zahlreichen anderen Dokumenten der EU-kulturpolitischen Rechtsakte wieder. Eine genauere Untersuchung dieses Begriffs anhand des vorliegenden Quellenmaterials führt zu dem Ergebnis, dass Vielfalt in den kulturpolitischen Dokumenten in einem additiven und statischen Sinne verwendet wird. Die Vielfalt der Kulturen ist in der EU-Kulturpolitik häufig ein Synonym für die Vielfalt der National- und Regionalkulturen bzw. der Kulturen der europäischen Völker. 31 Die untersuchten kulturpolitischen Dokumente vermitteln die Vorstellung von Kulturen als homogene, fest umrissene Entitäten, die in ihrer Pluralität nebeneinander stehen. 32 Betont wird stets, dass die kulturellen Unterschiede zwischen den Völkern Europas erhalten und gefördert werden sollen, indem man ihnen mit Respekt und Toleranz begegnet und sie schützt. Gefordert wird die “unerlässliche Achtung der kulturellen Vielfalt unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips” (Rat der Europäischen Union 21.01.2002: Amtsblatt C 32) als Grundlage für die Kultur Europas. In der “Entschließung des Rates vom 28. Oktober 1999 über die Einbeziehung der Geschichte in die kulturelle Tätigkeit der Gemeinschaft” werden die kulturellen Unterschiede, insbesondere im Hinblick auf die damals unmittelbar bevorstehende EU-Erweiterung, wie folgt betont: “Die Zusammenarbeit und das Zusammenwachsen Europas sollten auf der Kenntnis der kulturellen Unterschiede und deren Erhaltung und auf dem gegenseitigen Verständnis der Völker Europas beruhen. Dies gilt insbesondere angesichts der bevorstehenden Erweiterung der Europäischen Union.” (Rat der Europäischen Union 28.10.1999: Amtsblatt C 324) Berücksichtigt man die politische Situation, unter der diese Entschließung kodifiziert wurde, so wird schnell deutlich, dass hier die Interessen der Nationalstaaten im Vordergrund stehen, die um ihre Souveränität im Kulturbereich fürchten. Betont wird der status quo, d. h. der Lena Jöhnk 322 Erhalt der kulturellen Unterschiede. Nach dem Verständnis der EU scheint ein Zusammenwachsen Europas ohne eine Vermischung der Kulturen einherzugehen. Der Logik dieser Denkweise entspricht es, verschiedene Kulturen und Weltverständnisse, die sich teilweise überschneiden und gegenseitig bedingen oder sogar in ein und derselben Person zusammentreffen, auszuschließen. Anstatt eines dynamischen “Miteinanders” wird ein tolerantes “Nebeneinander” der Kulturen angestrebt. Dies bestätigt sich in den Schlussfolgerungen des Rates von 1994, die sich mit der Integration der Kinder von Wanderarbeitern befassen. In diesem Dokument gilt die Verwurzelung im “Eigenen” als Voraussetzung für die Aufgeschlossenheit gegenüber dem “Anderen”: “Das bedeutet, daß in den Schulen wie in den Hochschulen das Bewusstsein für Kultur und Geschichte der Völker Europas geschärft werden muß. […] Aufgeschlossenheit für die Kultur anderer Völker setzt voraus, daß man in der Kultur des eigenen Landes und der eigenen Region hinreichend verwurzelt ist und sich gemeinsamer Werte bewusst ist.” (Rat der Europäischen Union 21.06.1994: Amtsblatt C 229) In den letzten Jahrzehnten wurde verstärkt von einem “Europa der Regionen” gesprochen, was sich auch in der im Art. 167 AEUV gewählten Formulierung widerspiegelt. Obwohl im Kulturartikel neben der “nationalen Vielfalt” die Wahrung der “regionalen Vielfalt” betont wird, konnte sich ein Denken in Regionalkulturen bisher kaum durchsetzen. Die schwache Rolle des Ausschusses der Regionen, der über keine legislativen Kompetenzen verfügt, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die nationale Ebene, wie sie durch den Rat repräsentiert wird, immer noch vorherrschend ist (vgl. u. a. Rat der Europäischen Union 20.01.997: Amtsblatt C 36). Überdies durchbricht ein Denkmuster, das von den Regionen anstatt von den Nationen ausgeht, die Vorstellung von den in sich geschlossenen, relativ homogenen kulturellen Einheiten nur scheinbar. Die Regionalkulturen werden analog zu den Nationalkulturen als Kollektive verstanden, die durch jeweils eigene Charakteristika gekennzeichnet sind und als abgrenzbare kulturelle Einheiten wahrgenommen werden können. In der Gemeinschaftscharta der Regionalisierung des Europäischen Parlaments wird die Region als “ein Gebiet, das aus geographische Sicht eine deutliche Einheit bildet, oder aber ein gleichartiger Komplex von Gebieten, die ein in sich geschlossenes Gefüge darstellen und deren Bevölkerung durch bestimmte gemeinsame Elemente gekennzeichnet ist” beschrieben (vgl. Europäisches Parlament 1988: Straßburg). 3.2 Europäische Identität Der Begriff der “europäischen Identität” wurde bereits sehr früh von der EU-Kulturpolitik aufgegriffen. Erstmalige Verwendung fand er 1973 auf der Gipfelkonferenz von Kopenhagen, auf der die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten eine Erklärung zur europäischen Identität abgaben. Im Rahmen einer intensiven Auseinandersetzung mit der europäischen Identitätsbildung wurde auch die Kultur als Identitätsträger diskutiert. Das auf dieser Konferenz verabschiedete “Dokument für die europäische Identität” berief sich hauptsächlich auf das gemeinsame kulturelle Erbe sowie die gemeinsamen Werte, deren Hervorhebung zur Bildung einer europäischen Identität führen sollte (vgl. Staats- und Regierungschefs 14.12.1973: Kopenhagener Gipfel). In der EU-kulturpolitischen Rechtsakte wird der Begriff “europäische Identität” unterschiedlich verwendet. Die Untersuchung der einzelnen Dokumente zeigt, dass es nach EU-Kulturpolitik als symbolische Form 323 Auffassung der EU-Kulturpolitik nicht die Identität an sich, sondern verschiedene Identitäten gibt. Die EU-Kulturpolitik unterscheidet zunächst zwischen den “kulturellen Identitäten der Nationen bzw. der Regionen” und der “europäischen Identität”. Dabei werden die nationalen und regionalen Identitäten nicht im Widerspruch zur europäischen Identität gesehen, sondern für gleichzeitig realisierbar gehalten. Die EU strebt danach, eine europäische Identität als ein kollektives europäisches Bewusstsein aufzubauen, ohne dabei die nationalen Identitäten zu zerstören. Insbesondere die Wahrung letzterer wird von der EU-Kulturpolitik immer wieder in unterschiedlicher Form betont. Dazu zählt der unablässige Verweis auf die Achtung und Förderung der nationalen Vielfalt sowie auf das Subsidiaritätsprinzip (vgl. u. a. Art. 167 AEUV; Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 6.10.1997 Amtsblatt L 291 Ariane). “Europäische Identität”, so zeigt die Verwendung dieses Begriffs, wird auf zwei unterschiedliche Weisen verstanden: zum einen im Sinne eines kulturellen Fundaments, bestehend aus der gemeinsamen Geschichte, zum anderen als ein dynamisches Gefüge, das sich in der Interaktion der Kulturen herausbildet. Bei ersterer Vorstellung liegt der Schwerpunkt auf der Rückbesinnung auf die Vergangenheit als einendes Moment, welches es ausgehend von dem kulturellen Erbe und den Werten der EU zu vermitteln gilt (vgl. Rat der Europäischen Union und der im Rat vereinigten für Kulturfragen zuständigen Minister 13.11.1986: Amtsblatt C 320). So wird in der “Entschließung des Rates über die Einbeziehung der Geschichte in die kulturelle Tätigkeit der Gemeinschaft” für eine Betonung der gemeinsamen Erfahrungen und Erinnerungen plädiert, um auf diese Weise das europäische Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken: “Das Wissen um gemeinsame Erfahrungen und Erinnerungen stärkt das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Bürger Europas und trägt zur Herausbildung eines europäischen Bewußtseins bei.” (Rat der Europäischen Union 28.10.1999: Amtsblatt C 324) Im “Beschluss über das Programm ‘Kultur 2000’” (Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 14.12.2000: Amtsblatt L 063) wird Identitätsbildung ebenfalls durch die Hervorhebung der gemeinsamen Vergangenheit versucht: “Es bedarf einer stärkeren Hervorhebung der gemeinsamen kulturellen Werte und Wurzeln als Schlüsselelemente der Identität der europäischen Bürger.” Darüber hinaus wird in demselben Dokument jedoch auch der “gemeinsame Kulturraum der Europäer”, der zu einer “lebendigen Realität” werden soll, betont. Die Formulierung “lebendige Realität” deutet eine Entwicklung in der EU-Kulturpolitik an, die zur zweiten Vorstellung von Identität bzw. Identitätsbildung geführt hat. In den letzten zehn Jahren ist neben den statischen und rückwärtsgewandten Identitätsbegriff die Auffassung von einer europäischen Identität als die prozessuale Herausbildung eines europäischen Bewusstseins getreten. Die Bildung einer europäischen Identität wird nicht mehr ausschließlich durch die Betonung der Vergangenheit herzustellen versucht, sondern auch durch die aktive Gestaltung eines Europas der Gegenwart. Deutlich wird dieses neue Denkmuster in der “Entschließung zur Festlegung eines Aktionsplans zur Förderung der Mobilität” aus dem Jahr 2000, in der sich der Rat für die Schaffung eines europaweiten Raumes des Wissens ausspricht, der durch das gegenseitige Kennenlernen sowie durch die Öffnung gegenüber anderen Kulturen und das Lernen in einer mehrsprachigen Umgebung entsteht (vgl. Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union 14.12.2000: Amtsblatt C 371). Auch der “Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über das ‘Programm Kultur’” betont die kulturelle Interaktion zur Herstellung eines gemeinsamen Kulturraumes: “Um den gemeinsamen Kulturraum der Völker Europas zu einer Realität werden zu lassen, ist es notwendig, die grenzüberschreitende Mobilität der Kulturakteure, die transnationale Ver- Lena Jöhnk 324 breitung von künstlerischen und kulturellen Werken und Erzeugnissen sowie den interkulturellen Dialog und Austausch zu fördern.” (Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union 12.12.2006: Amtsblatt L 372) Besonders deutlich wird der Wandel des Identitätsbegriffs in der “Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs 2008”. In diesem Dokument werden zwar immer noch die “gemeinsamen kulturellen Werte und Wurzeln” als zentrale Elemente der Identitätsbildung betont, gleichzeitig wird jedoch die unmittelbare Einbindung der Bürger in die europäische Integration thematisiert, um die Europabürgerschaft auf diese Weise greifbarer zu machen (vgl. Europäische Parlament & Rat der Europäischen Union 18.12.2006: Amtsblatt L 412). Der Wandel des Identitätsbegriffs deutet auf eine Entwicklung des EU-Kulturverständnisses hin, das weniger von den Kulturen als in sich geschlossene Entitäten ausgeht, sondern die kulturelle Dynamik mitdenkt. Im Folgenden sollen die Begriffe “gemeinsames kulturelles Erbe” und “interkultureller Dialog”, die im Zuge der Erläuterungen zu “Vielfalt” und “Europäische Identität” bereits mehrfach erwähnt wurden, noch einmal gesondert vorgestellt werden, um an ihnen eine mögliche Entwicklung des EU-Kulturverständnisses aufzuzeigen. 3.3 Gemeinsames kulturelles Erbe Das “gemeinsame kulturelle Erbe” stellt, so zeigt die Untersuchung der ausgewählten EUkulturpolitischen Quellen, von Beginn an einen Schwerpunkt in der EU-Kulturpolitik dar. In der gültigen kulturpolitischen Rechtsakte wird das gemeinsame kulturelle Erbe immer wieder als einendes Element der EU hervorgehoben, das eines besonderen Schutzes bedarf. 33 Ausgehend von der zentralen Stellung, die es in der EU-kulturpolitischen Rechtsakte einnimmt, stellt sich die Frage, was in der EU-Kulturpolitik genau unter diesem Begriff verstanden wird und welche Funktionen ihm zugeschrieben werden. In den “Leitlinien für ein Kulturkonzept der Gemeinschaft” von 1992 wird eine Unterteilung in bewegliches und unbewegliches kulturelles Erbe vorgenommen (vgl. Rat der Europäischen Union 12.11.1992: Amtsblatt C 336). Daneben existiert eine Auflistung der verschiedenen Formen des “europäischen Kulturguts in Form von Kunstwerken und sonstigen Werken von kulturellem und historischem Wert, wozu auch Bücher und Archive zählen.” (Rat der Europäischen Union 13.11.1986 Amtsblatt C 320) Das architektonische Erbe wird aus dieser Aufzählung bewusst ausgeklammert und gesondert behandelt, wodurch ihm ein besonders hoher Stellenwert zukommt. Darüber hinaus liegt in der gültigen kulturpolitischen Rechtsakte keine genauere Definition des kulturellen Erbes vor. Eine Begriffsanalyse ermöglicht es jedoch, weitere Aussagen zu treffen. Zunächst scheint es, als gehörten insbesondere Werke der Hochkultur zum europäischen Erbe. Die Erwähnung der “sonstigen Werke von kulturellem und historischem Wert” lässt diese Vermutung jedoch offen und ermöglicht es ebenso, Kunsthandwerk und Traditionen sowie andere kulturelle Ausdrucksformen zum europäischen kulturellen Erbe zu zählen. Die Betonung der “europäischen Bedeutung” suggeriert, dass nicht jede kulturelle Ausdrucksform, die in Europa entstanden ist bzw. entsteht, automatisch zum gemeinsamen kulturellen Erbe gehört. Wäre dies der Fall, so müssten auch geschichtlich belastete Kunstwerke, wie beispielsweise DDR-Staatskunst oder Propagandakunst sowie in den Mitgliedstaaten entstandene islamische Kunst zum gemeinsamen europäischen Erbe gezählt werden. Ob solche kulturellen Werke in das Verständnis des europäischen Kulturerbes ein- oder ausgeschlossen EU-Kulturpolitik als symbolische Form 325 werden, wird in den EU-kulturpolitischen Rechtsdokumenten nicht beantwortet. Welches Erbe nach der Definition der EU von europäischer Bedeutung ist und welches Erbe dieser Bedeutung entbehrt, wird an keiner Stelle erläutert. 34 Auch die Frage, welche Kulturgüter generell bedeutsam genug sind, um zum europäischen Kulturerbe gezählt zu werden, bleibt in den kulturpolitischen Rechtsdokumenten unbeantwortet. Darüber hinaus wird die Frage, wodurch bestimmt werden kann, was zum europäischen und was zum nationalen Kulturerbe gehört, ausgespart. Die Unsicherheit im Umgang mit der Formulierung “gemeinsames europäisches Kulturerbe” zeigt sich an prominenter Stelle im Primärrecht der EU. In Art. 167 AEUV werden das “gemeinsame kulturelle Erbe” sowie das “kulturelle Erbe von europäischer Bedeutung” erwähnt; die Formulierung “gemeinsames europäisches Kulturerbe” (Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union 12.12.2006: Amtsblatt L 372), wie sie sich in dem “Beschluss über das Programm ‘Kultur 2007-2013’” Verwendung findet, wird hingegen ausgespart. Jan Holthoff weist darauf hin, dass es sich hierbei um die gezielte Umgehung dieses Begriffs zugunsten des Subsidiaritätsprinzips handele. Die Formulierung “gemeinsames europäisches Kulturerbe” wurde seines Erachtens umgangen, um den Eindruck von Zentralismus und Homogenisierung zu vermeiden (vgl. Holthoff 2008: 181-182). Das Kulturerbe im Sinne der EU-Kulturpolitik ist nach diesem Verständnis in erster Linie ein nationales Kulturerbe. Erst in zweiter Linie gewinnt es eine europäische Dimension. In Bezug auf das kulturelle Erbe bleibt die EU-Kulturpolitik somit stark im nationalstaatlichen Denken verhaftet. In der Formulierung “das kulturelle Erbe ist der Ausdruck der nationalen und regionalen Identität und der Bindungen zwischen den Völkern” (Europäischen Parlament & Rat der Europäischen Union 13.10.1997: Amtsblatt L 305) wird dies noch einmal betont. Gleichzeitig zeigt sich jedoch der Wille, die europäische Dimension zu stärken, d. h. einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund aufzufinden bzw. zu erfinden, in den die einzelnen kulturellen Entitäten integriert werden können. Dadurch erklärt sich der Versuch, etwas zugleich zu einem nationalen und europäischen Kulturerbe zu deklarieren, ohne zu definieren, worin letzteres besteht. Die Existenz eines “gemeinsamen Kulturerbes von europäischer Bedeutung” (Art. 167 AEUV) wird in den Dokumenten der EU-Kulturpolitik nicht hinterfragt, sondern als gegeben vorausgesetzt. Dies zeigt sich auch in der Präambel des Vertrags über die Europäische Union (EUV). Hier wird das kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas angeführt: “Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben.” (Präambel des Vertrags über die Europäische Union) Ausgehend von der Existenz eines gemeinsamen kulturellen Erbes wird lediglich der Umstand problematisiert, dass dieses gemeinsame Erbe der Bevölkerung der europäischen Gemeinschaft nicht bewusst genug ist. Aus Sicht der EU-Kulturpolitik ergibt sich daraus die Aufgabe, das gemeinsame kulturelle Erbe stärker zur Geltung zu bringen und zur Kenntnis der europäischen Geschichte beizutragen, um auf diese Weise das Zusammengehörigkeitsgefühl zu steigern. 35 In der “Entschließung des Rates über die Einbeziehung der Geschichte in die kulturelle Tätigkeit der Gemeinschaft” heißt es dazu: “Das Wissen um gemeinsame Erfahrungen und Erinnerungen stärkt das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Bürger Europas und trägt zur Herausbildung eines europäischen Bewußtseins bei.” (Rat der Europäischen Union 28.10.1999) Lena Jöhnk 326 An dieser Stelle zeigt sich die enge Verschränkung der Formulierung “gemeinsames kulturelles Erbes von europäischer Bedeutung” (Art. 167 AEUV) mit dem Begriff der kulturellen Identität. Auch in anderen Dokumenten wird das gemeinsame kulturelle Erbe zur Konstruktion einer europäischen Identität eingesetzt. Beispiele dafür sind die Präambel des Vertrags über die Europäische Union (EUV) sowie die Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. In beiden Präambeln wird gleich zu Beginn das kulturelle, religiöse und humanistische Erbe bzw. das geistig-religiöse und sittliche Erbe erwähnt und als das Fundament bezeichnet, auf das sich die Werte der Union stützen. Das gemeinsame europäische Erbe wird somit als gegeben vorausgesetzt und zur Schaffung von Gemeinsamkeiten verwendet, ohne jedoch zu explizieren, worin es besteht. Welche kulturellen Werke dazu zählen, bleibt ebenfalls weitgehend offen. 3.4 Der interkulturelle Dialog: Aufhebung des statischen Kulturverständnisses Der Begriff “interkultureller Dialog” findet sich erstmals im Jahr 1996 in einem Dokument des Rates. Dabei handelt es sich um den “Beschluss zu dem Programm zur Förderung künstlerischer und kultureller Aktivitäten mit europäischer Dimension (Kaleidoskop)” (Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union 29.03.1996: Amtsblatt L 99; Kaleidoskop). Betont wird das Ziel, den interkulturellen Dialog durch die transnationale Zusammenarbeit zu erleichtern. Wie sich anhand verschiedener Dokumente der Rechtsakte zeigen lässt, wird der interkulturelle Dialog in den Folgejahren zu einem zentralen Anliegen der EU-Kulturpolitik. 36 In 2006 entschieden der Rat und das Parlament, das Jahr 2008 zum Jahr des interkulturellen Dialogs zu ernennen und dadurch der zunehmenden kulturellen Komplexität der EU Rechnung zu tragen (vgl. Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union 18.12.2006: Amtsblatt L 412). Der verstärkten Etablierung des Begriffs des interkulturellen Dialogs in der EU-Kulturpolitik geht laut diesem Dokument die Einsicht voraus, dass das Bild der Kulturen als klar voneinander abgrenzbare Entitäten, die lediglich miteinander im Austausch stehen, nicht der europäischen Realität entspreche und durch eine dynamischere Vorstellung ersetzt werden müsse. Anstatt von den Nationen bzw. Regionen als kulturelle Entitäten auszugehen, werden in diesem Dokument die einzelnen Bürger angesprochen. In der “Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Jahr des interkulturellen Dialogs” heißt es: “Eine Kombination verschiedener Faktoren - mehrere Erweiterungen der Europäischen Union, aufgrund des Binnenmarktes gestiegene Mobilität, alte und neue Migrationsbewegungen, der intensive Austausch in den Bereichen Handel, Bildung und Freizeit sowie die Globalisierung im Allgemeinen - führt dazu, dass die Zahl der Interaktionen zwischen den europäischen Bürgern und aller jener Menschen, die in der Europäischen Union leben, und zwischen unterschiedlichen Kulturen, Sprachen, ethischen Gruppen und Religionen innerhalb und außerhalb Europas ständig zunimmt.” (Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union 18.12.2006: Amtsblatt L 412) Gegenüber früheren Dokumenten der Rechtsakte zeichnet sich in diesem Dokument von 2006 eine Weiterentwicklung hin zu einem dynamischen Kulturverständnis ab, die mit dem Begriff des “interkulturellen Dialogs” einhergeht. Letzterer wird als Chance begriffen, zu einer “pluralistischen und dynamischen Gesellschaft innerhalb Europas und in der Welt” (Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union 18.12.2006: Amtsblatt L 412) beizutragen. Im Gegensatz zu dem Begriff des kulturellen Erbes ist der Begriff des interkulturellen Dialogs EU-Kulturpolitik als symbolische Form 327 nicht rückwärtsgewandt, sondern bezieht sich auf die aktuelle kulturelle Gestaltung der Europäischen Union. In diesem Sinne wird der interkulturelle Dialog verstanden als ein “Prozess, in dem alle in der Europäischen Union lebenden Menschen ihre Fähigkeit verbessern können, in einem offeneren aber auch komplexeren kulturellen Umfeld zurechtzukommen […].”(Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union 18.12.2006: Amtsblatt L 412) Die Entwicklung hin zu einem dynamischen Kulturverständnis lässt sich besonders deutlich in der “Entschließung des Rates zu einer europäischen Kulturagenda” aus dem Jahr 2007 erkennen. In diesem Dokument wird die Förderung des interkulturellen Dialogs durch verstärkte Bemühungen in den Bereichen Mobilität, Austausch und Bildung beschlossen (vgl. Rat der Europäischen Union 16.11.2007: Amtsblatt. C 287). Dennoch werden die Nationalstaaten sowie das Subsidiaritätsprinzip auch in den aktuellsten Dokumenten stark betont. Der “Beschluss über das Programm ‘Kultur 2007-2013’” sieht beispielsweise die Notwendigkeit, nicht nur den interkulturellen Dialog, sondern auch den internationalen Dialog im Rahmen von Sondermaßnahmen zu fördern (vgl. Europäische Parlament & Rat der Europäischen Union 12.12.2006: Amtsblatt L 372). Ähnlich wie dem kulturellen Erbe wird auch dem interkulturellen Dialog eine identitätsbildende Funktion zugeschrieben. Dabei liegt jedoch nicht das rückwärtsgewandte Identitätsverständnis zugrunde, sondern jene Auffassung, die die Identitätsbildung als dynamischen Prozess versteht. In der Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs heißt es: “Der interkulturelle Dialog trägt zur Schaffung eines Gefühls für eine europäische Identität bei, indem er Unterschiede einbezieht und die verschiedenen Aspekte der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft deutlich macht.” (Europäische Parlament & Rat der Europäischen Union: 18.12.2006 Dezember 2006: Amtsblatt L 412) Darüber hinaus soll der interkulturelle Dialog zur Förderung eines “aktiven und weltoffenen europäischen Bürgersinn[s]” (Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union: 18.12.2006 Dezember 2006: Amtsblatt L 412) beitragen, wobei hervorgehoben wird, dass dieser Bürgersinn alle Menschen, die zeitweilig oder ständig in der EU leben, erfassen soll. In diesem Verständnis geht es nicht primär um die Wahrung der kulturellen Unterschiede, sondern um das wechselseitige Kennenlernen und die Förderung des Austauschs sowohl zwischen den europäischen Kulturen als auch zwischen den europäischen und den außereuropäischen Kulturen (vgl. Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 14.02.2000: Amtsblatt L 63). Zu diesem Ziel wurden zahlreiche Einzelmaßnahmen beschlossen. Dazu zählen u. a. der Aufbau eines kulturellen Multimediamarktes (vgl. Rat der Europäischen Union 04.04.1995: Amtsblatt C 247) und die Förderung der Mobilität (vgl. Rat der Europäischen Union 14.12.2000: Amtsblatt C 371). 3.5 Ergebnis der Untersuchung der EU-kulturpolitischen Rechtsdokumente Abschließend soll die Untersuchung der verschiedenen Begriffe als symbolische Formen noch einmal zusammengefasst und im Hinblick auf das EU-Kulturverständnis interpretiert werden. Wie sich gezeigt hat, lässt sich unter der “Einheit in der Vielfalt” weniger ein dynamischer, sich wandelnder Kulturraum verstehen, als ein Kompromiss, der sich aus dem Ringen zwischen der supranationalen Ebene der EU und der Ebene der Mitgliedstaaten ergibt. Diese Lena Jöhnk 328 Diskrepanz schlägt sich in den analysierten Begriffen und Formulierungen der EU-kulturpolitischen Rechtsdokumente nieder. Der Schutz und die Förderung der Vielfalt durch die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips werden in der EU-Kulturpolitik zunächst als eine ausschließlich positive Entwicklung dargestellt. Anhand des verwendeten Quellenmaterials zeigt sich jedoch, dass der Begriff der Vielfalt, wie er von der EU verwendet wird, weniger von einer dynamischen “Kultur der Vielfalt” ausgeht als von der “Vielfalt der Kulturen” im Sinne fest umrissener, voneinander abgrenzbarer kultureller Entitäten. 37 Die kulturelle Vielfalt zu wahren bedeutet in erster Linie, den Schutz dieser kulturellen Entitäten 38 sowie die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, das die Handlungsfreiheit der Mitgliedstaaten im Kulturbereich garantiert. Die Betonung der Wahrung der Subsidiarität kann in erster Linie auf die Angst der Mitgliedstaaten vor einer kulturellen Homogenisierung und Beschneidung ihrer Rechte im Kulturbereich zurückgeführt werden. 39 Dieser Eindruck bestätigt sich durch die Untersuchung des Begriffs “gemeinsames kulturelles Erbe”, anhand dessen sich zeigt, wie stark die Interessen der Nationalstaaten die EU-Kulturpolitik bestimmen. Die Vermeidung der Formulierung “gemeinsames europäisches Kulturerbe” steht stellvertretend für ein Kulturverständnis, das dazu tendiert, das “Eigene” vom “Anderen” zu trennen sowie diese Trennung zu betonen. Das kulturelle Erbe ist in erster Linie ein nationales Kulturerbe, erst an zweiter Stelle gewinnt es europäische Bedeutung. Der Tendenz zur Abgrenzung bzw. Abhebung steht das Bemühen gegenüber, eine Einheit im Sinne einer Identifikation der Bürger mit der EU herzustellen. Das Verständnis von Kulturen als fest umrissene Einheiten bzw. Nationalkulturen, die dennoch ein gemeinsames Bild im Sinne einer gemeinsamen kulturellen Identität ergeben, führt zu der Dringlichkeit, Verbindungen zwischen diesen herzustellen oder eine gemeinsame Basis zu (er)finden. Mit der fortwährenden Betonung einer gemeinsamen Geschichte und gemeinsamer Werte, die sich aus dieser Geschichte entwickelt haben, sowie des gemeinsamen kulturellen Erbes wird der Versuch unternommen, den kulturellen Entitäten eine gemeinsame Hülle zu geben. Die Verwendung des kulturellen Erbes von europäischer Bedeutung sowie einer gemeinsamen Geschichte zur Herstellung einer Einheit erfolgt selektiv. Nicht jedes innerhalb der EU-Mitgliedgliedstaaten entstandene kulturelle Erzeugnis gilt als Teil des kulturellen Erbes. Vielmehr findet eine Auswahl statt, die mit der Konstruktion eines “kulturellen Erbes von europäische Bedeutung” einhergeht. Für eine Spezifierung der Inhalte, die dieses Erbe umfasst, müssten jedoch weitere Texte, wie beispielsweise Förderprogramme, ausgewertet werden. Die Dokumente des Primärrechts und der EU-kulturpolitischen Rechtsakte erlauben diesbezüglich keine weitere Präzision. Festgestellt werden kann lediglich, dass es sich bei dem “gemeinsamen kulturellen Erbe” bzw. dem “kulturellen Erbe von europäischer Bedeutung” um ausschließlich positiv konnotierte Formulierungen handelt. Erkennbar wird dies anhand der Forderungen nach dessen Schutz und Vermittlung, wie sie in den kulturpolitischen Rechtsdokumenten immer wieder gestellt werden (vgl. Rat der Europäischen Union 17.06.1994: Amtsblatt C 235). Weder die Existenz eines kulturellen Erbes noch die auf diesem Erbe basierende europäische Identität werden hinterfragt. Dieses Denkmuster entspricht der Vorstellung von Identität als gegebener Tatsache, die den Bürgern von höherer Ebene vermittelt werden kann. Die Errichtung von EU-Denkmälern oder auch das Schreiben einer europäischen bzw. einer EU-Geschichte zur Identitätsvermittlung wären Maßnahmen im Sinne eines solchen Denkens. Die Art und Weise, auf die die Begriffe “Einheit”, “Vielfalt”, “kulturelles Erbe” und teilweise “kulturelle Identität” in der EU-Kulturpolitik Verwendung finden, zeugt von einem statischen und rückwärtsgewandten Verständnis von Kultur. Hingegen werden die kulturelle EU-Kulturpolitik als symbolische Form 329 Interaktion und Dynamik kaum berücksichtigt. Es zeigt sich, dass Kultur nicht als verbindender, sondern als separierender Begriff verwendet wird. Die kulturelle Vielfalt ist ein Synonym für die nationale bzw. regionale Vielfalt, die es im Interesse der Nationalstaaten zu schützen gilt. Die Interaktion der Kulturen, die zu neuen kulturellen Formen führt, wird mit einem solchen Kulturverständnis negiert. Angesichts dieser Feststellung kann Kaufmann beigepflichtet werden, die in der Verwendung des Begriffs “Vielfalt” in der EU-Kulturpolitik einzig die Betonung der Gleichheit bzw. der Gleichberechtigung verschiedener, leicht voneinander abgrenzbarer und spezifizierbarer Kulturen erkennt: “Im Grunde bleibt dies [die Einheit in der Vielfalt, L. J.] ein statisches Konzept, das uns weniger auf aktuelle kulturwissenschaftliche oder philosophische Ansätze verweist, als vielmehr beispielsweise an den deutschen Romantiker J. G. Herder und seinen Vorschlag erinnert, den Begriff der “Kultur” im Sinne fixierter, von einander unterscheidbaren Einheiten, die sich auf innerer Homogenität begründen und in sich kongruent und autonom sind, zu pluralisieren.” (Kaufmann 2003: o. S.) Dem statischen EU-Kulturverständnis, wie es sich in den Begriffe “Einheit in der Vielfalt”, “kulturelles Erbe” und “europäische Identität” ausdrückt, entspricht das Bild des Mosaiks, dem sich die UNESCO ursprünglich bediente. In diesem Vergleich werden die Kulturen als Mosaiksteinchen verstanden, die zusammen ein farbenfrohes Bild ergeben. Jedes Steinchen besteht für sich, wird jedoch auf einem gemeinsamen historischen Hintergrund Teil eines Gesamtbildes (vgl. Fuchs 2008: 37-38). 40 Mit der häufigeren Verwendung des Begriffs des interkulturellen Dialogs in den letzten Jahren zeichnet sich jedoch eine Entwicklung hin zu einem dynamischen, prozessorientierten EU-Kulturverständnis ab. Dieses geht von einem gemeinsamen, interaktiven und offenen Kulturraum aus, der sich fortwährend verändert und sich durch dialogische Prozesse entwickelt. In diesem neuen Verständnis werden die Nationalkulturen durch die europäischen Bürger als Kulturträger abgelöst. Ausdruck des Wandels weg von dem Denken in Nationalstaaten in Richtung eines Europas der Bürger ist unter anderem die Definition der Unionsbürgerschaft, wie sie in dem Vertrag über der Arbeitweise der Union (AEUV) verankert wurde (vgl. Art. 9 EUV). Wie sich jedoch gezeigt hat, konnte sich das Verständnis von Kultur als gemeinsamer, heterogener und dynamischer Kulturraum in der EU-Kulturpolitik trotz der Anerkennung gesellschaftlicher Veränderungen noch nicht vollständig durchsetzen. Neben den “interkulturellen Dialog” tritt in der EU-Kulturpolitik der “internationale Dialog”, der die Offenheit und Prozesshaftigkeit von Kultur in Frage stellt. Die Möglichkeit, dass die Bürger der EU gleichzeitig Träger mehrerer Kulturen sein können, wird in den untersuchten Dokumenten der EU- Kulturpolitik nicht erwähnt, Heterogenität und Überlappungen innerhalb der nationalen bzw. regionalen kulturellen Einheiten finden keine Berücksichtigung. Ähnlich wird mit den Staaten verfahren, die nicht zur EU gehören. Sie werden ausschließlich als ein ‘außen’ angeführt, von dem sich die EU als Kulturraum abheben möchte. Die enge Verzahnung der EU-Staaten mit anderen Staaten Europas und der übrigen Welt kommt nicht zur Sprache. Zwischen der EU und dem Rest der Welt besteht nach dem Verständnis der EU, wie es sich in der kulturpolitischen Rechtsakte manifestiert, nicht nur eine politische, sondern auch eine kulturelle Grenze. Dabei wird nicht nur die gemeinsame Geschichte als Alleinstellungsmerkmal der EU verstanden, sondern auch die gemeinsamen Werte, die in der Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union betont werden. In der vorgenommenen Untersuchung deuten sich einige gesellschaftliche Konsequenzen eines statischen und rückwärtsgewandten EU-Kulturverständnisses an. Dazu zählen die Lena Jöhnk 330 Etablierung einer Dualität zwischen dem “Eigenen” und dem “Anderen”, verstanden als zwei jeweils homogene Kulturen und einer damit einhergehenden Ausgrenzung von Immigranten und fehlender Wertschätzung kultureller Ausdrucksformen, die nicht dem Kriterium “gemeinsames Erbe von europäischer Bedeutung” standhalten. Kulturelle Entwicklungen werden negiert, die Zusammengehörigkeit wird in der Vergangenheit statt in der Zukunft gesucht. Chancen, die eine aus der Vielfalt hervorgehende kulturelle Entwicklung beinhaltet, werden möglicherweise nicht genutzt. 4 Fazit Die Verwendung kultursemiotischer Ansätze für die Untersuchung der EU-Kulturpolitik ist ein weniger gängiger, jedoch nicht minder lohnenswerter Forschungsansatz, der es ermöglicht, die Komplexität und Dynamik dieses Politikfeldes auf mehreren Ebenen darzustellen und sich auf diese Weise dem EU-Kulturverständnis anzunähern. Ausgehend von der Überlegung, dass das EU-Kulturverständnis als kollektive Bedeutungsstruktur nicht losgelöst von seiner Formierung untersucht und verstanden werden kann, wurde zunächst das Gesamtgefüge der EU-Kulturpolitik als kulturpolitische Handlungsform beschrieben. Dabei diente Lotmans Semiosphäremodell der Darstellung von Strukturen und Translationsprozessen in der EU-kulturpolitischen Sphäre. Dank der Möglichkeit, in diesem Modell sowohl die Akteure als auch die Texte und Codes zu berücksichtigen, konnte Bedeutungsentstehung als komplexer Translationsprozess zwischen den verschiedenen Akteuren und Texten dargestellt werden. Die Prozesse auf der synchronen Ebene und die diachrone Tiefe der Semiosphären bedingen sich gegenseitig, sodass das EU-Kulturverständnis einerseits durch die Interaktion der verschiedenen Subsemiosphären, andererseits durch bereits bestehende Bedeutungsstrukturen beeinflusst wird. Bei der Untersuchung der EU-Kulturpolitik als Handlungssphäre bestätigt sich eine Erkenntnis, die sich bereits in Cassirers Symboltheorie findet: die Entstehung von Bedeutung ist immer zeichengebunden; im Falle der EU-Kulturpolitik manifestiert sie sich in EUkulturpolitischen Rechtsdokumenten. Für die Untersuchung dieser Texte anhand einzelner Begriffe und Formulierungen konnte auf Cassirers Verständnis eines Begriffs als relationales Gebilde zurückgegriffen werden. In der Untersuchung der zentralen Begriffe anhand des EU-Primärrechts und der EUkulturpolitischen Rechtsakte zeigt sich eine Diskrepanz zwischen einem dynamischen, zukunftsorientierten und einem rückwärtsgewandten EU-Kulturverständnis. Die Tendenz zur Einigung durch die Konstruktion von Gemeinsamkeiten stößt auf die Tendenz zur Diversifizierung durch die fortwährende Betonung der Subsidiarität, deren Einhaltung im Kulturartikel der EU (Art. 167 AEUV) verankert ist. Das erklärte Ziel der EU ist es, die kulturelle Vielfalt zu wahren und für den Erhalt des kulturellen Erbes Europas Sorge zu tragen. Hier zeigt sich einerseits die Verpflichtung, nicht in die nationalen und regionalen Kulturpolitiken einzugreifen und jegliche Harmonisierung zu vermeiden, andererseits jedoch der Versuch, über Kultur eine Einheit in Form eines gemeinsamen Kulturraumes zu konstruieren. Anstatt sich für die Umsetzung dieses Vorhabens auf aktuelle kulturelle Entwicklungen im Kulturraum Europa zu berufen, bleibt der Blick in die Vergangenheit gerichtet, wie sich etwa an der Betonung des kulturellen Erbes und der gemeinsamen Geschichte Europas zeigt. Ein vielschichtiger und dynamischer EU-Kulturraum wird zugunsten der kulturellen Vielfalt - verstanden als nebeneinander existierende Entitäten - vernachlässigt. Aktuelle kulturelle EU-Kulturpolitik als symbolische Form 331 Entwicklungen innerhalb des europäischen Raums, in denen sich eine hohe kulturelle Dynamik zeigt, werden größtenteils ignoriert. An Stelle ihrer werden die gemeinsamen kulturellen Wurzeln betont. Die Gefahr einer solchen Orientierung hat der deutschtürkische Schriftsteller Zafer enocak 2005 in seinem Beitrag “Abschied vom Länderspiel” auf der Konferenz des Auswärtigen Amts “Menschen bewegen” deutlich formuliert: “Eine Kulturpolitik, die nur das Bestehende konserviert und verwaltet, droht ins Abseits zu geraten, wenn die neu entstehenden Kulturlandschaften mit ihren individuellen Brüchen unlesbar bleiben.” ( enocak 2005: 71) Die Diskrepanz zwischen Tradition und Innovation ist Cassirer zufolge ein charakteristisches Merkmal von Kultur, das sich auch innerhalb jeder symbolischen Form findet. Mit Lotmans Semiosphäremodell ist es gelungen, die Tendenz zur Erneuerung und Tradierung nicht nur in den Dokumenten, sondern auch in der Struktur der EU-Kulturpolitik zu verorten. Dafür wurde eine Einteilung in zentrale und periphere Subsemiosphären nach dem Kriterium der legislativen Kompetenz vorgenommen. Deutlich wurde der große Einfluss, den die zentralen Subsemiosphären Rat der Europäischen Union, Europäische Kommission und Europäisches Parlament auf das EU-Kulturverständnis ausüben. Der Einfluss durch periphere Subsemiosphären, die keine legislativen Kompetenzen haben, ist hingegen schwer messbar und konnte nur exemplarisch dargestellt werden. Ausgehend von Lotmans Semiosphäremodell kann die Feststellung einer geringen Entwicklung des EU-Kulturverständnisses als ein Appell an die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte peripherer Subsemiosphären verstanden werden, um auf diese Weise das bestehende Kulturverständnis als Metastruktur abzulösen und zur Innovation beizutragen. Für das EU-Kulturverständnis könnte diese Innovation darin bestehen, die kulturelle Entwicklung Europas verstärkt ins Zentrum der EU-Kulturpolitik zu rücken, und die dort vorherrschenden Denk- und Handlungsmuster mit dem heterogenen und dynamischen Europa, wie es im EU-Raum existiert, zu konfrontieren. Abschließend gilt es noch einmal zu betonen, dass, obwohl das Gesamtsystem EU- Kulturpolitik als auch einzelne Begriffe und Formulierungen aus diesem untersucht wurden, kein Anspruch auf eine vollständige Darstellung erhoben werden kann. Die Entstehung von Bedeutung im EU-kulturpolitischen Raum sowie die vorhandenen Bedeutungen selbst könnten bei einer Erweiterung der empirischen Daten noch detaillierter beschrieben werden. Denkbar wäre die Ergänzung des Quellenmaterials um die konkreten Kulturförderprogramme sowie die Beschreibung ihrer Umsetzung an den entsprechenden Orten. Neben der Komplexität führt die Dynamik des EU-Kulturverständnisses dazu, dass es nicht abschließend beschrieben werden kann. Mit Cassirer und Lotman ist deutlich geworden, dass sich die Formierung des EU-Kulturverständnisses nicht auf einen einmaligen Akt beschränkt, sondern nur als Prozess verstanden werden kann, in dem kontinuierlich neue Texte entstehen, die mit älteren interagieren. Selbst unter Berücksichtigung sämtlicher, innerhalb der EU-Kulturpolitik vorhandener Informationen wäre eine abschließende Untersuchung nicht möglich. Aufgabe der Kulturwissenschaft ist es demnach, das EU-Kulturverständnis stets aufs Neue zu untersuchen, um die bestehenden Bedeutungsstrukturen offen zu legen und darauf basierende konstruktive Kritik zu ermöglichen. Lena Jöhnk 332 Literatur Bisanz, Elize 2004: “Einführung: Kulturwissenschaft und Zeichentheorie”. In: Dies. (Hg.) 2004: Kulturwissenschaft und Zeichentheorien. Zur Synthese von Theoria, Praxis und Poiesis. Münster: LIT: 7-19. Brati , Ljubomir 2008: “Die Mitteilung der europäischen Hegemonieansprüche. Notizen zum Kulturverständnis der Europäischen Union”. In: Kulturrisse. Zeitschrift für radikaldemokratische Kulturpolitik, Heft 1.: o. S. Cassirer, Ernst 1988: Der Mythus des Staates. Philosophische Grundlagen politischen Verhaltens. Frankfurt a. M.: Fischer. Cassirer, Ernst 10 1994a: Philosophie der symbolischen Formen. Band 1: Die Sprache. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Cassirer, Ernst 9 1994b: Philosophie der symbolischen Formen. Band 2: Das mythische Denken. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Cassirer, Ernst 10 1994c: Philosophie der symbolischen Formen. Band 3: Phänomenologie der Erkenntnis. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Cassirer, Ernst 6 1994d: Zur Logik der Kulturwissenschaften. Fünf Studien. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Fuchs, Max 2007: Kulturpolitik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Fuchs, Max 2008: “Kulturpolitik und Zivilgesellschaft. Analysen und Positionen”. In: Zimmermann, Olaf & Geißler, Theo (Hg.) 2008: Aus Politik und Kultur. 4. Publikation des Deutschen Kulturrats. Gimbal, Anke 2009: “Europarat”. In: Weidenfeld, Werner & Wessels, Wolfgang (Hg.) 11 2009: Europa von A bis Z. Baden-Baden: Nomos: 225-231. Holthoff, Jan 2008: “Kulturraum Europa. Der Beitrag des Art. 151 EG-Vertrag zur Bewältigung kultureller Herausforderungen der Gegenwart”. In: Schriften zum Kunst- und Kulturrecht, Band 1. Baden-Baden: Nomos. Immerfall, Stefan 2006: Europa - politisches Einigungswerk und gesellschaftliche Entwicklung. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Jöhnk, Lena 2010: EU-Kulturpolitik als symbolische Form. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung an das Kulturverständnis der Europäischen Union (Magisterarbeit, unveröffentlicht). Kaufmann, Therese 2003: “What’s wrong with ‘cultural diversity’? ” In: European Institute for Progressive Cultural Policies (eipcp): Multilingual Webjournal. URL: http: / / eipcp.net/ policies/ dpie/ kaufmann1/ de [10.12.2009]. Lotman, Juri M. 1990: “Über die Semiosphäre”. In: Zeitschrift für Semiotik, Band 12, Heft 4: 288-305. Lotman, Jurij M. 4 1993: Die Struktur literarischer Texte. München: Wilhelm Fink. Lotman, Juri M. 2000: Universe of the Mind: A Semiotic Theory of Culture. Bloomington: Indiana University Press. Ma ków, Jerzy 2006: “Kann das nationale Interesse die europäische Identität zu stärken helfen? ” In: Anhelm, Fritz Erich (Hg.) 2006: Was ist europäische Identität im Europa der Kulturen? Oder: Wozu brauchen wir europäische Kulturpolitik? 50. Loccumer Kulturpolitisches Kolloquium. Loccum: Evangelische Akademie: 35-39. Merkle, Kathrin & Palmer, Robert 2007: “Der Europarat und seine kulturpolitischen Aktivitäten”. In: Jahrbuch für Kulturpolitik 2007. Thema: Europäische Kulturpolitik: Kulturstatistik, Chronik, Literatur, Adressen. Essen: Klartext: 157-163. Mittag, Jürgen 2009: “Ausschuss der Regionen”. In: Weidenfeld, Werner & Wessels, Wolfgang (Hg.) 11 2009: Europa von A bis Z. Baden-Baden: Nomos: 84-87. Münch, Ursula 2008: “Die Europafähigkeit der deutschen Länder nach der Föderalismusreform”. In: Informationen zur politischen Bildung, Heft 298. Bundeszentrale für politische Bildung. URL: http: / / www.bpb.de/ publikationen/ ZFHGO7.html [08.02.2010]. Quenzel, Gundrun 2005: Konstruktionen von Europa. Die europäische Identität und die Kulturpolitik der Europäischen Union. Bielefeld: Transcript. Ratzenbröck, Veronika (Hrsg.) 1993: EG-Kulturdokumentation: Strukturen, Dokumente, Abstracts. Wien: Österreichische Kulturdokumentation, Internationales Archiv für Kulturanalysen. Roth, Bettina 2009: “Ausschuss der Regionen”. SWP Working Paper. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik. URL: http: / / www.swp-berlin.org/ transfer/ Lissabon/ pdf/ ausschuss_der_regionen.pdf [12.02.2010]. Schwencke, Olaf 1998: “Von welchem Kulturbegriff lassen wir uns heute leiten: Aspekte europäischer und internationaler Kulturpolitik”. In: Burmeister, Hans-Peter (Hg.) 1998: Kultur ohne Projekt? Kulturbegriff und Kulturpolitik in heutiger Zeit. 42. Kulturpolitisches Kolloquium. Loccum: Evangelische Akademie. Schwencke, Olaf 2 2006: “Das Europa der Kulturen - Kulturpolitik in Europa. Dokumente, Analysen und Perspektiven von den Anfängen bis zur Gegenwart”. Schriftenreihe Texte zur Kulturpolitik, Kulturpolitischen Gesellschaft e. V., Band 14. Essen: Klartext. EU-Kulturpolitik als symbolische Form 333 enocak, Zafer 2005: “Abschied vom Länderspiel”. In: Auswärtiges Amt (Hg.) 2005: Menschen bewegen - Kultur und Bildung in der deutschen Außenpolitik. Konferenzdokumentation. Schriftenreihe des Auswärtigen Amts. Paderborn: Bonifatius. Singer, Otto 2009: Schwerpunkte der EU-Kulturpolitik für 2009. Deutscher Bundestag. Wissenschaftliche Dienste. Info-Brief WD 10 - 3000 - 002/ 09. Fachbereich WD 10: Kultur, Medien und Sport. URL: http: / / www.bundestag.de/ dokumente/ analysen/ 2009/ Schwerpunkte_der_EU-Kulturpolitik_fuer_2009_.pdf [12.02.2010]. Smiers, Joast 2002: The role of the European Community concerning the cultural article 151 in the Treaty of Amsterdam. Sustaining the development of intercultural competence within Europe. Utrecht: Centre for Research. Villinger, Ingeborg 2005: Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen und die Medien des Politischen. Band 1: Politikwissenschaftliche Theorien. Herausgegeben von Werner Patzelt & Gisela Riescher & Ingeborg Villinger. Würzburg: Ergon. Wagener, Hans-Jürgen & Eger, Thomas & Fritz, Heiko 2006: Europäische Integration. Recht und Ökonomie, Geschichte und Politik. München: Vahlen. Zitierte Rechtsdokumente EU-Primärrecht Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa. Amtsblatt Nr. C 310/ 01 vom 16.12.2004. Enthalten in EUR lex. Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007. Amtsblatt Nr. C 306 vom 17.12.2007. Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union. Amtsblatt Nr. C 83/ 13 vom 30.03.2010. Enthalten in EUR lex. Konsolidierte Fassung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Amtsblatt Nr. C 83/ 391 vom 30.03.2010. Enthalten in EUR lex. Ausschuss der Regionen Eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung. Stellungnahme des Ausschusses der Regionen. Amtsblatt C 053 vom 26.02.2008. Enthalten in EUR lex. Europäisches Parlament Entschließung des Europäischen Parlaments zum neuen Kulturkonzept der Gemeinschaft (Barzanti-Bericht 1992). In: Schwencke, Olaf 2 2006: Das Europa der Kulturen - Kulturpolitik in Europa. Dokumente, Analysen und Perspektiven von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 14: Texte zur Kulturpolitik. Herausgegeben von der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. Essen: Klartext, S. 183-185. Gemeinschaftscharta der Regionalisierung des Europäischen Parlaments (Straßburg 1988). In: Schwencke, Olaf 2 2006: Das Europa der Kulturen - Kulturpolitik in Europa. Dokumente, Analysen und Perspektiven von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 14. Texte zur Kulturpolitik. Herausgegeben von der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. Essen: Klartext, S. 132-134. Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union Beschluss Nr. 719/ 96/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. März 1996 über ein Programm zur Förderung künstlerischer und kultureller Aktivitäten mit europäischer Dimension (Kaleidoskop). Amtsblatt Nr. L 99 vom 20.4.1996. Enthalten in EUR lex. Beschluss Nr. 2085/ 97/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 über ein Förderprogramm im Bereich Buch und Lesen einschließlich der Übersetzung (Ariane). Amtsblatt Nr. L 291 vom 24.10.1997. Enthalten in EUR lex. Beschluss Nr. 2228/ 97/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 für ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Erhaltung des kulturellen Erbes - Programm “Raphael”. Amtsblatt Nr. L 305 vom 8.11.1997. Enthalten in EUR lex. Beschluss 1419/ 1999/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung “Kulturhauptstadt Europas” für die Jahre 2005 bis 2019. Amtsblatt Nr. L 166 vom 01.07.1999. Enthalten in EUR lex. Lena Jöhnk 334 Beschluss Nr. 508/ 2000/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Februar 2000 über das Programm “Kultur 2000”. Amtsblatt Nr. L 63 vom 10.03.2000. Enthalten in EUR lex. Beschluss Nr. 1855/ 2006/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über das Programm Kultur (2007-2013). Amtsblatt Nr. L 372 vom 27.12.2006. Enthalten in EUR lex. Entscheidung Nr. 1983/ 2006/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs (2008). Amtsblatt Nr. L 412 vom 30.12.2006. Enthalten in EUR lex. Europarat Satzung des Europarates, London, 5. Mai 1949. URL: http: / / conventions.coe.int/ Treaty/ GER/ Treaties/ Html/ 001.htm. [01.11.2010] Europäische Kulturkonvention des Europarates, Paris, 19. Dezember 1954. In: Schwencke, Olaf 2 2006: Das Europa der Kulturen - Kulturpolitik in Europa. Dokumente, Analysen und Perspektiven von den Anfängen bis zur Gegenwart. Band 14: Texte zur Kulturpolitik. Herausgegeben von der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. Essen: Klartext, S. 62-65. Zukunft und kulturelle Entwicklung. Abschlusserklärung der Konferenz von Arc et Senans, 7. bis 11. April 1972. In: Schwencke, Olaf 2 2006: Das Europa der Kulturen - Kulturpolitik in Europa. Dokumente, Analysen und Perspektiven von den Anfängen bis zur Gegenwart. Band 14. Texte zur Kulturpolitik. Herausgegeben von der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. Essen: Klartext, S. 74-78. Europäische Kulturdeklaration (Berlin, Mai 1984). In: Schwencke, Olaf 2 2006: Das Europa der Kulturen - Kulturpolitik in Europa. Dokumente, Analysen und Perspektiven von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 14. Texte zur Kulturpolitik. Herausgegeben von der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. Essen: Klartext, S. 66-68. Europäischer Rat Erklärung der Staats- und Regierungschefs über die europäische Identität (Kopenhagener Gipfel, 14. Dezember 1973). URL: http: / / www.ena.lu/ dokument_europaische_identitat_kopenhagen_14_dezember_1973- 030002278.html. [01.11.2010] Kommission der Europäischen Union Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung (KOM(2007) 242 endgültig). Enthalten in EUR lex. Rat der Europäischen Union Entschließung der im Rat vereinigten für Kulturfragen zuständigen Minister von 13. Juni 1985 über Veranstaltungen zur Vorführung europäischer audiovisueller Produktionen in dritten Ländern. Amtsblatt Nr. C 153 vom 22.06.1985. Enthalten in EUR lex. Entschließung der im Rat vereinigten, für Kulturfragen zuständigen Minister vom 17. Februar 1986 über die Einrichtung von grenzüberschreitenden Kulturreiserouten. Amtsblatt Nr. C 044 vom 26.02.1986. Enthalten in EUR lex. Entschließung der im Rat vereinigten, für Kulturfragen zuständigen Minister vom 13. November 1986 über die Erhaltung des europäischen architektonischen Erbes. Amtsblatt Nr. C 320 vom 13.12.1986. Enthalten in EUR lex. Entschließung der im Rat vereinigten, für Kulturfragen zuständigen Minister vom 13. November 1986 über die Förderung des Kulturschaffens durch Unternehmen. Amtsblatt Nr. C 320 vom 13.12.1986. Enthalten in EUR lex. Entschließung der im Rat vereinigten, für Kulturfragen zuständigen Minister vom 13. November 1986 über die Erhaltung von Kunstwerken und sonstigen Werken von kulturellem und historischem Wert. Amtsblatt Nr. C 320 vom 13.12.1986. Enthalten in EUR lex. Schlussfolgerungen der im Rat vereinigten Minister für Kulturfragen vom 12. November 1992 zu Leitlinien für ein Kulturkonzept der Gemeinschaft. Amtsblatt Nr. C 336 vom 19.12.1992. Enthalten in EUR lex. Schlussfolgerungen des Rates vom 21. Juni 1994 zu den kulturellen und künstlerischen Aspekten der Bildung. Amtsblatt. C 229 vom 18.08.1994. Enthalten in EUR lex. Schlussfolgerungen des Rates vom 17. Juni 1994 zur verstärkten Zusammenarbeit im Archivwesen. Amtsblatt Nr. C 235 vom 23.08.1994. Enthalten in EUR lex. Entschließung des Rates vom 04. April 1995 zum Bereich Kultur und Multimedia. Amtsblatt Nr. C 247 vom 23.09.1995. Enthalten in EUR lex. EU-Kulturpolitik als symbolische Form 335 Entschließung des Rates vom 20. Januar 1997 über die Einbeziehung der kulturellen Aspekte in die Tätigkeit der Gemeinschaft. Amtsblatt Nr. C 036 vom 05.02.1997. Enthalten in EUR lex. Entschließung des Rates vom 28. Oktober 1999 über die Einbeziehung der Geschichte in die kulturelle Tätigkeit der Gemeinschaft. Amtsblatt Nr. C 324 vom 12.11.1999. Enthalten in EUR lex. Entschließung des Rates vom 26. Juni 2000 zur Erhaltung und Erschließung des europäischen Filmerbes. Amtsblatt Nr. C 193 vom 11.07.2000. Enthalten in EUR lex. Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 14. Dezember 2000 zur Festlegung eines Aktionsplans zur Förderung der Mobilität. Amtsblatt Nr. C 371 vom 23.12.2000. Enthalten in EUR lex. Entschließung des Rates vom 21. Januar 2002 “Kultur und Wissensgesellschaft”. Amtsblatt Nr. C 032 vom 05.02.2002. Enthalten in EUR lex. Entschließung des Rates vom 25. Juni 2002 über einen neuen Arbeitsplan für die Europäische Zusammenarbeit im Kulturbereich. Amtsblatt Nr. C 162 vom 06.07.2002. Enthalten in EUR lex. Beschluss des Rates vom 18. Mai 2006 über den Abschluss des Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Amtsblatt Nr. L 201 vom 25.07.2006. Enthalten in EUR lex. Entschließung des Rates vom 16. November 2007 zu einer europäischen Kulturagenda. Amtsblatt Nr. C 287 vom 29.11.2007. Enthalten in EUR lex. Schlussfolgerungen des Rates vom 24. Mai 2007 zum Beitrag des Kultur- und Kreativbereichs zur Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Strategie. Amtsblatt Nr. C 311 vom 21.12.2007. Enthalten in EUR lex. Ratspräsidentschaft Ratspräsidentschaft der Tschechischen Republik: New Paradigms, New Models - Culture in the EU External Relations. Ljubljana 13.-14. Mai 2008. Achtzehnmonatsprogramm der Ratspräsidentschaften Deutschland, Portugal, Slowenien vom 21. Dezember 2006 (17079/ 06) URL: http: / / www.eu2007.de/ includes/ Download_Dokumente/ Trio-Programm/ triodeutsch.pdf [01.11.2010]. UNESCO Die Erklärung von Mexiko-City über Kulturpolitik, Weltkonferenz über Kulturpolitik in Mexiko City vom 26. Juli bis 6. August 1982. Informationsdienst. In: Röbke, Thomas (Hg) 1993: Zwanzig Jahre Neue Kulturpolitik. Erklärungen und Dokumente. Essen: Klartext, S. 55-60. Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen der UNESCO (Paris 2005). In: Schwencke, Olaf 2 2006: Das Europa der Kulturen - Kulturpolitik in Europa. Dokumente, Analysen und Perspektiven von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd.14. Texte zur Kulturpolitik. Herausgegeben von der Kulturpolitischen Gesellschaft. Essen: Klartext, S. 325-340. Weitere Dokumente Slovenian Presidency Declaration based on the recommendations of the conference “New Paradigms, New Models - Culture in the EU External Relations” (Ljubljana, 13-14 May 2008). Internetauftritte von Institutionen Internetauftritt des Ausschusses der Regionen. URL: www.cor.europa.eu. [Stand 10.02.2010]. Internetauftritt der Europäischen Kommission. URL: www.ec.europa.eu [Stand 10.01.2010]. Internetseite der Europäische Kommission zur Lissabonstrategie. URL: www.ec.europa.eu/ growthandjobs/ index_ de.htm [Stand 20.02.2010]. Internetauftritt des Europarates. URL: http: / / www.coe.int [Stand 10.03.2010]. Internetseite der Europäischen Union zum Europamotto. URL: www.europa.eu/ abc/ symbols/ motto/ index_de.htm [Stand 02.02.2010]. Lena Jöhnk 336 Anmerkungen 1 Die Strategie von Lissabon ist ein Bündel an Wirtschaftsreformen, durch das Wohlstand und soziale Gerechtigkeit unter Berücksichtigung der ökologischen Nachhaltigkeit innerhalb der EU erzielt werden soll. Nachdem die Strategie zwischen 2000 und 2005 nur mäßigen Erfolg hatte, wurde sie 2005 überarbeitet. Siehe dazu den offiziellen Internetauftritt der Kommission zur Lissabonstrategie: www.ec.europa.eu/ growthandjobs/ index_de.htm [01.11.2010]. 2 Generell ist der Bereich Kulturpolitik in Lehre und Forschung bisher kaum verankert. Nur wenige Wissenschaftler befassen sich schwerpunktmäßig mit Kulturpolitik. Zu ihnen zählen beispielsweise Fuchs und Schwencke, die in dieser Arbeit mehrmals zitiert werden. Siehe insb. Fuchs 2007, Schwencke 2006. 3 Art. 167 AEUV, Abs. 4 legt fast, dass die Union die Kultur in der Ausgestaltung der verschiedenen Politikfelder berücksichtigt. Wie diese Berücksichtigung konkret aussieht, hängt maßgeblich von dem EU-Kulturverständnis ab. 4 Siehe dazu auch die Präambel des “Entwurfs über eine Verfassung für Europa” sowie die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die im Zuge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon rechtskräftig geworden ist. 5 Siehe dazu Villinger (2005: 20) “Man kann zwar versuchen, anhand von Umfragen und Kontroll-Variablen das verinnerlichte Weltbild einzukreisen, doch das Problem, dass das zur Selbstverständlichkeit Herabgesunkene auch nicht gewusst wird und deshalb nicht abgefragt zu werden vermag, kann dadurch nicht wirklich beseitigt werden.” 6 Unter Cassirers Philosophie der symbolischen Formen wird nicht allein das dreibändige Hauptwerk “Philosophie der symbolischen Formen” verstanden, sondern auch theoretische Abhandlungen, in denen diese (weiter)entwickelt wird. Für die in dieser Arbeit angestrebte Darstellung von Cassirers Philosophie der symbolischen Formen als semiotische Theorie wird neben der dreibändigen “Philosophie der symbolischen Formen” und “Zur Logik der Kulturwissenschaften” die spätere Schrift “Mythos des Staates” (1944 konzipiert, 1946 postum veröffentlicht) herangezogen. 7 Der EU-kulturpolitische Handlungsraum ist abzugrenzen von dem geografisch-politischen Raum der EU, zu dem momentan 27 europäische Mitgliedstaaten inklusive einiger außereuropäischer Gebiete dieser Mitgliedstaaten zählen. 8 Diese drei Organe der EU werden im Folgenden verkürzt als Rat, Kommission und Parlament bezeichnet. 9 Der Europäische Gerichtshof spielt hinsichtlich des Kulturverständnisses eine geringe Rolle und kann somit in der hier vorgenommenen Untersuchung unberücksichtigt bleiben. 10 Für eine genauere Darstellung der Struktur des AdR siehe Mittag 2009: 84-92. 11 Der AdR wird auch als “Nebenorgan der EU” bezeichnet. Siehe dazu Roth 2009. Für weitere Informationen zur Struktur und den Aufgaben des AdR siehe den offiziellen Internetauftritt des Ausschusses der Regionen: www.cor.europa.eu. [01.11.2010]. 12 Erst der Vertrag von Lissabon räumt dem AdR das Klagerecht vor dem EuGH ein. Siehe Art. 8 AEUV. 13 Für die Zusammensetzung des “Ausschusses für Kultur, Wissenschaft und Bildung” siehe den offiziellen Internetauftritt des Europarats: www.coe.int [01.11.2010]. 14 Bei der Verabschiedung einer kulturpolitischen Rechtsakte lassen sich nicht nur zwischen den verschiedenen Subsemiosphären dynamische Prozesse aufzeigen, sondern auch innerhalb jeder Subsemiosphäre. So ist beispielsweise das Parlament eine heterogene Struktur, die sich u. a. durch eine sprachliche, kulturelle und ideologische Vielfalt auszeichnet und innerhalb derer Asymmetrien bestehen, die zu einer Beschleunigung der Translationsprozesse führen. 15 Zur EU-kulturpolitische Rechtsakte zählen Beschlüsse vom Rat der Europäischen Union bzw. vom Rat und dem Europäischen Parlament, Entscheidungen vom Rat und dem Parlament, programmatische Entschließungen und Schlussfolgerungen des Rates sowie Empfehlungen und Mitteilungen der Kommission. 16 Die meisten Rechtsakte wurden auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission und unter Einholung der Stellungnahme des Parlaments durch den Rat kodifiziert. Die Verabschiedung erfolgt nur dann nach dem Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, wenn es sich um Fördermaßnahmen handelt. Siehe Art. 167 AEUV. 17 Im Mai 2006 verabschiedete der Rat den “Beschluss über den Abschluss des Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen” (Amtsblatt L 201 vom 25.07.2006). 18 Zu den verschiedenen Aktivitäten des Europarates und ihren Auswirkungen auf die EU-Kulturpolitik siehe Merkle & Palmer 2007. 19 Siehe dazu auch die Auflistung der Dokumente der EU-kulturpolitischen Rechtsakte im Anhang. EU-Kulturpolitik als symbolische Form 337 20 Mit dem traditionellen Kulturbegriff ist an dieser Stelle ein enger, auf Hochkultur beschränkter Kulturbegriff gemeint, wie er sich laut Schwencke im deutschen Idealismus etablierte. Siehe dazu Schwencke 1998: 86. 21 Für eine ausführlichere Darstellung des Einflusses, den die Abschlusserklärung der Konferenz von Arc et Senans “Zukunft und kulturelle Entwicklung” auf spätere EU-kulturpolitische Dokumente aber auch auf die nationale Kulturpolitik hatte, siehe Schwencke 1998. 22 Ähnlich wie Cassirer negiert auch Lotman die Existenz einer bereits vorhandenen transzendentalen Bedeutung, sondern verortet die Bedeutungsentstehung in der Semiosphäre, dem Raum aller Zeichenprozesse. Außerhalb dieses semiotischen Raumes ist eine Bedeutungsproduktion ausgeschlossen. 23 Dabei wurden auch die Programmbeschlüsse einbezogen, die bereits ausgelaufen sind. Nicht berücksichtigt wurden hingegen die Beschlüsse zur Änderungen der Rechtsakte. Sie enthalten keine neuen EU-kulturpolitischen Formulierungen, die für die hier vorgenommene Analyse interessant sein könnten. Die komplette Auswertung befindet sich in den Tabellen im Anhang. 24 Diese verschiedenen Dokumente unterscheiden sich allen voran in ihrer rechtlichen Verbindlichkeit. Beschlüsse und Entscheidungen sind rechtlich verbindlich, Entschließungen, Schlussfolgerungen, Empfehlungen und Mitteilungen sind es hingegen nicht. 25 Siehe Jöhnk 2010: Tabellarische Auswertung. Zentrale Begriffe konnten nicht für alle Dokumente der EUkulturpolitischen Rechtsakte aufgefunden werden, da es sich vielfach um die Verabschiedung einzelner Aktionen handelt, die ohne konzeptionelle Überlegungen auskommen. Von 88 Dokumenten weisen 49 zentrale Begriffe auf. 26 Dieser Beschluss wurde später durch den “Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Februar 2000 über das Programm ‘Kultur 2000’” (Amtsblatt L 63) ersetzt und wird somit nicht mehr zur gültigen Rechtsakte gezählt. Danach fand der Begriff “interkultureller Dialog” Verwendung in der “Entschließung des Rates vom 25. Juni 2002 über einen neuen Arbeitsplan für die Europäische Zusammenarbeit im Kulturbereich” (Amtsblatt C 162). Außerhalb der EU-kulturpolitischen Rechtsakte wurde er bereits 1992 im Zuge eines Berichts des EU-Parlaments gebraucht. Siehe dazu die “Entschließung des Europäischen Parlaments zum neuen Kulturkonzept der Gemeinschaft” im Barzanti-Bericht 1992. 27 Vgl. Jöhnk 2010 (Tabelle). 28 Siehe dazu bspw. die “Erklärung der UNESCO von Mexiko-City über Kulturpolitik” (Mexiko 1982) und das “Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen der UNESCO” (Paris 2005) sowie die “Europäische Kulturdeklaration” (Berlin, 29. Mai 1984). 29 “In Vielfalt geeint” wurde 2000 von der EU zum Europamotto ernannt. Der Ausspruch geht auf einen Vorschlag aus einem Schülerwettbewerb zurück. Siehe dazu das offizielle Internetportal der Europäischen Union: www.europa.eu/ abc/ symbols/ motto/ index_de.htm [01.11.2010]. 30 Die genauen Formulierungen in Art. 151 EGV lauten “Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt” und “Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen”. 31 Der Begriff “Volk” bzw. “Völker Europas” findet in den EU-kulturpolitischen Dokumenten immer wieder Verwendung, ohne dass eine Definition vorliegt. Es entsteht der Eindruck, als würde es sich um ein Synonym für den Begriff Nation handeln. Siehe dazu auch Quenzel, die auf diesen Umstand aufmerksam macht. Quenzel 2005: 139. 32 Siehe dazu auch Quenzel, die die “Vielfalt der Kulturen” und die “Vielfalt der Nationalkulturen gleichsetzt. Quenzel 2005: 139. Auch Kaufmann 2003 stellt in ihrem Aufsatz ein EU-Kulturverständnis fest, das die einzelnen Kulturen als fixe und voneinander abgrenzbare Einheiten betrachtet. 33 Von den 88 Dokumenten der EU-kulturpolitischen Rechtsakte betonen 26 Dokumente das kulturelle Erbe von europäischem Wert. Siehe dazu Jöhnk 2010: Tabellarische Auswertung. Acht Beschlüsse befassen sich schwerpunktmäßig mit dem gemeinsamen kulturellen Erbe. Siehe dazu insbesondere die “Schlussfolgerungen der im Rat vereinigten Minister für Kulturfragen vom 12. November 1992 zu Leitlinien für ein Kulturkonzept der Gemeinschaft” (Amtsblatt C 336 vom 19.12.1992); die “Schlussfolgerungen des Rates vom 17. Juni 1994 zur Erstellung eines gemeinschaftlichen Aktionsplans im Bereich des kulturellen Erbes” (Amtsblatt C 235 vom 23.08.1994); die “Entschließung des Rates vom 28. Oktober 1999 über die Einbeziehung der Geschichte in die kulturelle Tätigkeit der Gemeinschaft” (Amtsblatt C 324 vom 28.10.1999). 34 Eine Untersuchung der EU-Förderprogramme im Kulturbereich würde möglicherweise genaueren Aufschluss darüber geben, was aus Sicht der EU europäisch bedeutsam und somit förderungswürdig ist. So stellt bspw. Quenzel fest, dass im Rahmen des EU-kulturpolitischen Förderprogramms “Raphael”, das dem Schutz und der Vermittlung des europäischen Kulturerbes von 1996-1999 diente, hauptsächlich das Kulturerbe der klassischen Kulturländer in Westeuropa gefördert wurde. Siehe dazu Quenzel 2005: 166-167. Lena Jöhnk 338 35 Siehe dazu u. a. den “Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung “Kulturhauptstadt Europas” für die Jahre 2005 bis 2019” (Amtsblatt L 166 vom 01.07.1999) und die “Entschließung des Rates vom 21. Januar 2002 ‘Kultur und Wissensgesellschaft” (Amtsblatt C 032 vom 05.02.2002). Eine Möglichkeit der Herausstellung des gemeinsamen kulturellen Erbes ist seine Bekanntmachung durch die Aktion “Kulturhauptstadt Europas” oder auch durch die audiovisuellen Medien. Siehe dazu die “Entschließung des Rates vom 26. Juni 2000 zur Erhaltung und Erschließung des europäischen Filmerbes.” (Amtsblatt C 193 vom 11.07.2000). 36 Vgl. hierzu Rat der Europäischen Union 25.06.2002: Amtsblatt C 162; Europäisches Parlament & Rat der Europäischen Union 14.02.2000: Amtsblatt L 063; Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 12.12.2006: Amtsblatt L 372. 37 Siehe dazu auch Quenzel 2005: 159-160. Quenzel kommt in ihrer Untersuchung der Kulturpolitik des Rates der EU zu einem ähnlichen Ergebnis. Auch sie stellt fest, dass der Rat Kulturen nationalen Territorien zuordnet. 38 In der Europäischen Union ist ein nationalstaatliches Denken nach wie vor stark ausgeprägt. Mitglied der Europäischen Union zu sein, bedeutet immer auch, Europa für die Durchsetzung nationaler Interessen zu nutzen. Siehe dazu Ma ków 2006: 35-39. 39 Ein besonders starkes Argument für die Schutzbedürftigkeit der kulturellen Vielfalt stützt sich auf die homogenisierende Wirkung des globalen Marktes. Eine völlige Öffnung im Sinne einer freien Marktwirtschaft hätte laut dem von der EU unterzeichneten “Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen der UNESCO” eine Monopolisierung durch multinationale Konzerne und damit eine Homogenisierung der Kultur zur Folge. Vgl. den “Beschluss des Rates vom 18. Mai 2006 über den Abschluss des Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen” (Amtsblatt L 201 vom 25.07.2006). Die Strategie der EU zum Schutz der Vielfalt ist somit die Abschwächung von Liberalisierungstendenzen durch die Einführung von Sonderregelungen für Kultur und kulturelle Erzeugnisse. Siehe dazu insbesondere Art. 151, Abs. 2 AEUV. 40 Dass das Kulturverständnis der UNESCO nicht bei dem Bild des Mosaiks stehen geblieben ist, zeigt sich daran, wie die UNESCO heute mit der “Einheit in der Vielfalt” umgeht. Sie betrachtet Kulturen nicht als abgrenzbare Entitäten, sondern als dynamische Gebilde, die sich gegenseitig bedingen und sich kontinuierlich verändern (siehe dazu bspw. das “Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen der UNESCO” Paris 2005). Metaphorisch zeigt sich dies in dem Bild des Flusses der Kulturen, dem sich die ehemalige stellvertretende Direktorin der UNESCO, Lourdes Arizpe, bediente. Im Vorwort zum Welterbebericht “Cultural diversity, conflict and pluralism” von 2000 lehnt sie die Beschreibung von Kulturen als feste und begrenzte Entitäten ab und betont stattdessen die Heterogenität, Prozesshaftigkeit und den ständigen Austausch, in dem Kulturen stehen.