eJournals Kodikas/Code 31/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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In dieser Arbeit wird für die Zusammenführung von Semiotik, Phonetik und Poetik plädiert, um das Phänomen der abendländischen Lyrik von der Sappho bis heute angemessener beschreiben zu können. Meine These ist: Gedichte der abendländischen Tradition sind als Produkte oraler Gestik Sprachkörper, und ich möchte zeigen, daß der Begriff Sprachkörper weniger metaphorisch ist, als man zunächst denken könnte. Der poetische Text ist artikulierte Realität eigener Art, er ist ein Respiration-"Ding", ein Objekt. Das ist die semiosische Basis der Referenz(illusion). Die Referenzabsichten des Autors sind das eine. Das andre ist das Produkt dieses Bemühens, das immer "verselbständigt" ist, seine eigene Wirklichkeit im physikalisch-physiologischen Sinn besitzt.
2008
311-2

SPRACHKÖRPER

2008
Chris Bezzel
SPRACHKÖRPER Für eine phonologische Poetik Chris Bezzel In dieser Arbeit wird für die Zusammenführung von Semiotik, Phonetik und Poetik plädiert, um das Phänomen der abendländischen Lyrik von der Sappho bis heute angemessener beschreiben zu können. Meine These ist: Gedichte der abendländischen Tradition sind als Produkte oraler Gestik Sprachkörper, und ich möchte zeigen, daß der Begriff Sprachkörper weniger metaphorisch ist, als man zunächst denken könnte. Der poetische Text ist artikulierte Realität eigener Art, er ist ein Respirations-“Ding”, ein Objekt. Das ist die semiosische Basis der Referenz(illusion). Die Referenzabsichten des Autors sind das eine. Das andre ist das Produkt dieses Bemühens, das immer “verselbständigt” ist, seine eigene Wirklichkeit im physikalisch-physiologischen Sinn besitzt. Anthropologisch/ physiologisch Nach einer neuen Idee zur phylogenetischen Sprachentstehung hat sich die Sprache des homo sapiens aus dem Spiel von Kindern mit kommunikativen Lautäußerungen entwickelt (Spektrum der Wissenschaft, Mai 2002), die Erfindung der Objektbenennung wäre also eine spielerische Erfindung. Nimmt man zu dieser (jedenfalls reizvollen) Idee die Tatsache, daß Kommunikation durch Lautäußerungen bereits bei Wirbeltieren bekannt ist, hinzu, dann läßt sich Sprache als Probehandeln bereits in der menschlichen Frühzeit als auch ästhetisch verstehen. Man bestreitet damit den marxistisch gedachten Zusammenhang von Sprache und Arbeit keineswegs, denn anthropologisch wird man zwischen menschlichem Bedarf und der anwachsenden Fülle von Bedürfnissen differenzieren wollen. Wichtig ist Roman Jakobsons These der Universalität der poetischen Funktion, durch die Dichtung gegenüber der Alltagssprache nur zu einem spezialisierten Fall wird. Phylogenetisch interessant für die Literaturanthropologie ist die Magie als eine der Wurzeln von Dichtung. Wenn man mit Bertholet (Petzoldt 1978: 117ff.) imitative von kontagiöser Magie als Ausdruck von Ähnlichkeit bzw. Berührung unterscheidet, kann man sagen, daß Zaubersprüche in ihrer phonetischen Struktur eine frühe Entfaltungsstufe der poetischen Funktion darstellen. Aber die orale Aktion (wie essen, kauen, spucken usw.) und die damit verbundene und aus ihr entwickelte orale Gestik und Mimik in einem weiten Sinne sind zunächst Tatsachen des Lebens und Überlebens. Die magische Ähnlichkeitsauffassung entspricht der Lautwiederholung, die Koartikulation der Berührung. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 31 (2008) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Chris Bezzel 70 Ich sehe z.B. ich in dem anonymen mhd. i- Gedicht Du bist mîn (siehe Textanhang und Bode 2000! ) einen Rest magischer Evokation in seiner fast manischen Exaltation, die sich durch das gespannte lange i ausdrückt, bei dem sich der Zungenkörper immer neu “steil bis zur extremen Hochlage in Richtung nach vorn-oben aufrichtet.” (Wängler 1974: 91) In der magischen Zeichenauffassung werden Zeichen für eine Sache als die Sache selbst aufgefaßt. Da lag es nahe, die Sache durch Zeichen zu beeinflussen, zu handhaben. Mit Baudrillard kann man die abendländisch vorherrschende repräsentative Sprachauffassung als Quasi-Säkularisierung der magischen beschreiben, mit dem Prinzip der Ähnlichkeit von Zeichen und Sache (seit dem Mittelalter und vielleicht gipfelnd im Barock mit der Verdopplung des Objekts durch die Zeichen. Vgl. Baudrillard 1982 und Foucault 1974) Und selbst der Sprachauffassung der modernen Lyrik bis zur dadaistischen, experimentellen und konkreten Poesie spricht man zurecht noch “alchemistische” Züge zu. Die Materialität des Zeichens (nach Saussure zur parole gehörig) spielt also in unterschiedlichen Formen in der Entwicklung der abendländischen Lyrik von der Sappho bis heute eine entscheidende Rolle: Gedichte überschreiten grundsätzlich die Propositionalität, sie müssen als Sprachkörper aufgefaßt werden. Der Begriff der “notwendigen Form” (Emil Staiger) aus werkimmanenter Zeit bezieht sich auf die Einheit von Sinn und Form. Lyrische Texte stellen einen Versuch der Balance oder Dialektik der drei Sprachebenen Phonetik, Syntax und Semantik dar, was als je spezifische Korrelation, nicht als Harmonisierung zu verstehen ist, Lyrik ist nicht Sprache im dekorativen Zustand, so wenig sie pauschal der emotiven Funktion zugesprochen werden kann. Ebenso ist Dichtung nicht Somatisierung eines unkörperlich Semiotischen, sondern in ihr wird die grundsätzliche artikulatorische Körperlichkeit der Sprache sinnfällig und genußvoll erfahren, während sie in der alltäglichen Kommunikation infolge der Dominanz der sog. Information und der Automatisierung und Geschwindigkeit eher verborgen ist (so schmerzhaft sie im Lärm des Geredes und im Gebrüll der Lautsprecher erlitten wird). Die Universalität der poetischen Funktion nach Jakobson wird im alltäglichen Reden kaum bewußt, wird aber sofort virulent, wenn - auch zufällig - poetische Strukturen auftreten. In Rhetorik, Werbung und Dichtung werden sie aktiviert, in der Werbewelt der sogenannten Spaßgesellschaft ins Lächerliche übertrieben. Ziel der Lyrik ist der vollkommen physisch-geistige Genuß, die Einheit von Artikulation und Reflexion. Lyrik ist Sprache als Fest; ihr gegenwärtiger geringer gesellschaftlicher Stellenwert spiegelt die Unfähigkeit, Feste zu feiern. In unserer visuell tyrannisierten westlichen Welt scheint das Auditive der Lyrik, ja der Literatur überhaupt, ebenso vergessen zu sein wie die Tatsache, daß Dichtung als komplex gegliederte tönende Ausatmung, als modifizierter und modulierter Respirationsprozeß bestimmbar ist. Das Gedicht hat - wie jeder Sprechakt - immer eine illokutive Rolle (nicht nur als politisches oder als Liebesgedicht), doch zuerst und zuletzt hat es ästhetische Funktion, und sein ästhetischer Wert entscheidet über die Dauer seiner Wirksamkeit in einer Kultur. Grundlage des Lebens, aber auch der Phonation ist die Atmung. Einatmen impliziert Muskelspannung und Anhebung von Rippen und Brustbein, also eine Bewegung von unten nach oben. Ausatmen bedeutet Muskelspannung und Senken von Rippen und Brustbein von oben nach unten. Bei der stummen oder ruhigen Atmung sind beide Akte fast gleich lang, aber die Einatmung ist stärker. Sprachkörper 71 Die Phonationsatmung ist wesentlich unterschieden von der stummen Atmung, sie verkürzt die Einatmung und verstärkt/ verlängert die Ausatmung (vgl. Wängler 1974: 64f.) Das bedeutet, daß das Sprechen einen rein physiologischen Prozeß verändert. (Ebenso ist der Kehlkopf, phylogenetisch gesehen, aber auch heute, nicht in erster Linie Stimmorgan (ib. 65) Es gibt kein abgegrenztes Sprechorgan, erst durch das Zusammenwirken “vieler verschiedener Körperfunktionen” (Wängler 1974: 48) wird Sprechen möglich. Zugleich ist es physikalische Einwirkung auf die Umwelt und den Hörer: wer spricht, produziert eine Molekularbewgeung der Luft, die sich im Raum fortpflanzt (ib. 77) Das bei aller Phonation realisierte Spektrum umfaßt Geräusche, Laute, Sprechlaute und Sprachlaute. Der Sprachlaut ist nur “eine Klasse hörbarer Lautmerkmale, die in einer gegebenen Sprache als Einheit gewertet wird…(und) das Phonem ist diese Funktionseinheit.” (ib. 30) Für die Dichtung kann man schon von hier aus sagen, daß sie materialisierte Bedeutung schafft und ist, d.h. zwischen Materie und “Geist” (was immer das sein mag) hin- und herschwingt, nicht “vermittelt” im Sinn des bloßen Transzendierens. Sprechen ist Modifikation des beim Ausatmen entstehenden Luftstromes. Die Teilakte des Sprechens sind: - Kontraktion des Brustkorbs und des Zwerchfells - Auseinandertreibung der Stimmlippenränder durch den Luftstrom - Vibration der Stimmbänder - Rhythmisches Schwingen und Klingen der Luft - Modifikation dieses Klangs im Mundraum durch Lippen, Zunge und Unterkiefer. Brustkorb und Zwerchfell ermöglichen die Atmung, der Kehlkopf die Stimmbildung, der Mundraum die Artikulation. Trotz der Leichtigkeit der erlernten Sprachartikulation und der entsinnlichenden Hypertrophie des menschlichen Geredes - extremisiert durch die akustischen Medien - sind wir sprechend mit unserer Physis verbunden durch Muskelaktivität (Zunge, Lippen, Unterkiefer) und durch die Aus-Atmungsmodifikation mithilfe des Kehlkopfs, die eine Rückwirkung auf die Lunge hat. Weitere Kennzeichen der Sprechtätigkeit sind: - die sehr genauer Feinmotorik von Lippen, Zunge, Stimmbändern und Brustkorb; - genaue Atemkontrolle (zb. b vs p) - periodische Schließbewegungen der Glottis. Die entscheidende Wichtigkeit der Zunge für die Phonation drückt sich im griechischen Wort glotta/ glossa aus, das 1. Zunge, 2. Sprache, Sprachausdruck (nicht: Wort) bedeutet. Pindar sagt (in der ersten Pythischen Ode): chalkeue glottan: schmiede die Zunge/ Rede. Für phonetisch-poetologische Analysen wird man sich intensiv mit der Rolle der Zunge beschäftigen müssen, und es wird sich ziegen, daß dieZunge eine Art artikulatorische “Ich” darstellt, was psychodynamisch zu interprtieren sein wird. Die Anatomie stellt fest: Chris Bezzel 72 “Die Zunge ist ein von Schleimhaut umhülltes Muskelorgan, welches für das Kauen und Sprechen wichtig ist. (…)Wir unterscheiden an der Zunge eine motorische Innervation der Muskulatur, eine sensible Innervation für Tast-, Tiefen-, Temperatur- und Schmerzempfindungen… Der wichtigste in die Zunge einstrahlende Muskel ist der fächerförmige Kinn-Zungen- Muskel (M. genioglossus), welcher die Zunge als Ganzes nach vorne zieht und den Zungenrükken abflacht. In der Zunge selber laufen die Bündel quergestreifter Muskelfasern in allen drei Richtungen des Raumes.” (Faller 1972. 117) Phonetisch grundlegend ist für die Zunge: “Die Zunge ist das aktivste Sprechorgan. Ihre große Beweglichkeit, besonders die Fähigkeit des komplizierten Muskelsystems, sich in verschiedenen Teilen (vorn, Mitte, hinten) zu heben und zu senken, macht sie zum Hauptakteur der Lautbildung.” (Wängler 1974: 70). Macht man sich klar, daß eine phonetische Poetik zusätzlich und anthropologisch mit der objektiven gestischen Symbolik zu tun hat, wird klar, welche Aufgaben vor dieser interdisziplinären Disziplin stehen. Bei jeder poetologische Artikulationsanalyse muß man sich bewußt bleiben, daß die objektiven Analogien des Sprechens zu allen anderen Aktionsmöglichkeiten der Zunge bestehen bleiben, unabhängig von unserem Bewußtsein. Für die Phonation wichtig ist es, daß bei den Vokalen die Zungenspitze “so gut wie niemals aktiv an ihrer Bildung beteiligt ist und in der Mittellinie des Gaumens keine Zungenberührung zustandezukommen pflegt” (Wängler 1974: 41) Die entscheidende Rolle spielt der Zungenkranz, und die vordere, mittlere und hintere Zungeoberfläche sind Artikulationsorgane. Bei den Vokalen handelt es sich daher um ein andres Bildungsprinzip als bei den Konsonanten, sie dienen der “Resonanzraumgestaltung” (ib.), die zu den vokalischen Klanfarben führt. Es geht bei der Vokalbildung um die Lage der Zunge, was zur Systematisierung des sogenannten Vokaldreieckes in der Phonetik geführt hat. Die Zunge bildet bei Vokalen als Resonanzraumgestalterin Umgebung, bei Konsonanten Hemmstellen (wenn auch nicht bei allen (zb. r, l, n und k), dagegen bei p und m). Gestisch zu interpretieren wird es für die Artikulationsbasis auch sein, daß im Deutschen die Lippenhaltung eine relativ größere Aktivität als im Englischen besitzt. Generell wird eine poetologische Phonetik zeigen müssen, in welcher Form die Grundgrößen Artikulationsstelle, artikulierendes Organ und Artikulationsmodus in der tradierten Lyrik je einer Sprache spezifisch und ästhetisch lustvoll korreliert werden. Trotz der biologischen Basis werden - nach der Kulturtheorie von Malinowski (1975: 118ff.) - bereits das Sauerstoffbedürfnis und die Atemtechniken kulturell geprägt, d.h.modifiziert. Malinowski geht von “einfachen Impulsen” aus. Zwar ist das Sprechen ein Respirationsphänomen (d.h. betont gegenüber dem Einatmen), aber auch hier führt “kulturbestimmtes Atmen” zur Abweichung vom rein physiologischen Vorgang (ib. 119). Aus dem beseelten Körper kommt der Bewegungsantrieb und das unmittelbare und zunächst unreflektierte Bedürfnis nach Bewegung und Ausdruck, völlig analog zum Hunger als dem Impuls nach Nahrung. Lyrik ist der Versuch, ursprünglich körperlich-seelische Impulse 1. über die orale Gestik zu verkörpern, wiederholbar zu materialisieren, und zwar in sprachlch-gesellschaftlicher Form (zB. nicht glossolalisch); 2. das Produkt mitzuteilen und sozialem Genuß zuzuführen. 3. dient die Verkörperung also nicht nur der Realisation, sondern zugleich der sozialen Haltbarkeit, also der Einbettung in eine Kultur (gegenüber spontan-diskursivem Poetisieren). Sprachkörper 73 Das gelungene Gedicht kann, muß aber nicht, einem direkten mimetischen Impuls entspringen, wofür die erste Zeile des Gedichts “Der römische Brunnen” von C.F. Meyer (vgl. Bode 2000) ein Beispiel ist: Das erste Wort aufsteigt in “Aufsteigt der Strahl” vollzieht in jeder Silbe ein artikulatorisches Aufsteigen vom basalen a des Mundbodens aus, es bildet also zweimal objektiv die Fontänenbewegung nach (siehe Textanhang). Doch in den meisten Fällen arbeitet Lyrik nicht mimetisch, sondern metaphorisch-geistig mit unbewußt bleibenden Analogien, die es zu analysieren gälte. Wir haben es mit folgenden drei Dimensionen zu tun: der physisch-physiologischen oralen Aktion, der generellen einzelsprachlich kodierten oralen Gestik (z.B. Zahl und Qualität der benützten Vokale) und der individuellen oralen Gesamtgestik eines Gedichts. Ästhetisch ist zu sagen, daß nur dort, wo die Mentalisierung dem Körperlichen entspringt und zu ihm zurückkehrt, bedeutende Kunst denkbar ist. (Auch die concept art ist materialisiert, wie immer reduziert.) Die Sprechtätigkeit des Menschen ist ein Teil seines “universe of actemes” (Zipf 1935: 303 ). Die sprachlichen Handlungsmuster basieren auf den physiologisch-physischen, sie sind als bewußte und freie Aktivität eingebettet in und abhängig von automatisierten Handlungsmustern, wie sie der Mensch zum Leben und Überleben braucht. Atmen, esssen und sprechen haben z.B. gemeinsam, daß sie modifizierte Formen des Öffnens und Schließens der beteiligten Organe sind, sie sind mechanisch miteinander verwandt, ja sie können teilweise synchron betrieben werden. (Man kann beim Sprechen zwar nicht schlucken, aber kauen, und beim Sprechen und Singen wird zugleich geatmet). Zipf (1965: 292) spricht vom “gesture complex” und gibt eine sehr weite Definition der Sprechelemente: “Any speech-element represents an anormous complex of gestures including not only the peculiarly linguistic gestures of the conventional vocal organs… but also the essential acts of living process, such as the acts of respiration, alimentation, and the like.” (292). Und er definiert: “a person is … a universe of actemes” (303). Dabei gibt es einen stufenlosen Übergang von Mustern zu Gewohnheiten zu bewußten Handlungen. Anthropologisch sind die Sprachunterschiede relativ, aber nicht zu vernachlässigen, was die Artikulationsbasis, nämlich die Ruhelage der Artikulationsorgane und ihre Grundhaltung beim Sprechvorgang betrifft. Die “allgemeine Artikulationsaktivität” ist nach Wängler im Deutschen größer als im Englischen, aber kleiner als im Französischen (bezogen auf Zunge, Lippen, Unterkiefer und Velum) (Wängler 1974: 167). Die orale Gestik ist im Deutschen gekennzeichnet durch eine “vorgerückte Zungenlage” (ib. 167), die in Koartikulation verstärkt wird (ib. 168). Die Zungenspitze hat fast immer Kontakt mit der Innenfläche der Unterzahnreihe, die Grundhaltung der Zunge ist konvex gewölbt (ib.). Davon gehen alle Artikulationsbewegungen aus (im Unterschied zur Erwartung der Nahrungsaufnahme, wo die Zunge konkav ist.). Jeder Sprachlaut wird mit mehreren, mit mehr als einem Sprechwerkzeug produziert, ist also eine physiologisch-physisch-dynamische Kooperation. Von den tiefsten zu den höchsten Vokalen, von u zu i, handelt es sich um eine Frequenzbereichserweiterung, d.h. in den höheren Vokalen sind die Frequenzen der tieferen enthalten, im i: also frequenzmäßig alle anderen. die Skala nach unten ist langes ü, kurzes i, ü, langes e, ö, e, ä, Schwa. a, langes a, kurzes o, o, u, langes u. Während der Luftstrom bei den Vokalen frei ist, werden alle Konsonanten im Deutschen durch die unterschiedliche Behinderung des Luftstroms gebildet. Eigentliche Konsonanten sind Geräuschlaute (stimmhaft oder stimmlos) oder Sonanten ohne Geräuschlaute (wie m, n, ng) Chris Bezzel 74 Orale Gestik Ich spreche von oraler Gestik, weil Sprechen beschrieben werden kann als Abfolge von Gebärden im Mund- und Rachenraum, weitgehend unbewußte oder vorbewußte Gebärden. Dazu paßt es, daß nach neuen Ergebnissen Gebärdensprache und Wortsprache wahrscheinlich die gleiche linguistische Verarbeitung “in den zentralen, höheren Ebenen des Gehirns” haben; sie haben “große neurale Bereiche gemeinsam” (Spektrum der Wissenschaft, Oktober 2001: 53). Wie das sprachliche Zeichen ist die orale Gestik zunächst abstrakt-arbiträr, soweit sie zur Zeichenartikulation führt. Aber ihre physiologische Basis ist funktional: die geschlossenen Lippen halten z.B. beim m fest, das englische th zeigt die Zunge. Vielleicht kann man von einer komplexen Kooperation vom Visuellen der Gebärdensprache über die exspiratorisch-muskuläre orale Gestik zur Akustik der Wortsprache sprechen. Ich definiere orale Gestik als sprachspezifische unbewußte Ausdruckshaftigkeit, die in der Dichtung zum Material wie zum Werkzeug wird, wobei auch hier der Grad des Bewußtheit des Dichters unerheblich ist. Die Ausdruckshaftigkeit ist zugleich kulturspezifisch (nicht nur einzelsprachlicht realisiert), so daß, trotz der unterschiedlichen Phonetik etwa der europäischen Sprachen, die Ähnlichkeit lyrischer Stile keineswegs nur semantisch erklärbar sind. Die Mundraumgestik (Phoneme und “artikulatorische Subgesten” nach Zipf 1965.) ist zum größten Teil unbewußt: Den vielen Generationen zb., denen das Sprichwort “Hochmut kommt vor dem Fall” als nicht nur moralisch richtig, sondern auch ausdrucksstark erschien, war sicher die tatsächliche artikulatorische Bewegung im Mundraumvon hinten oben zur hinteren Mitte nach unten nicht bewußt (o u o o e a), d.h. die artikulatorisch-symbolische Ausdruckshaftigkeit. Die artikulatorische Bewegung läßt - überwiegend unbewußte - motorische Empfindungen und Bilder entstehen, die in der alltäglichen Kommunikation kaum eine Rolle spielen, im und durch das Gedicht aber intensiviert und vom Dichter (ebenfalls meist unbewußt) orchestriert werden. Die orale Gestik ist einzelsprachspezifisch, woraus sich auch die Unübersetzbarkeit von Lyrik erklärt. Zur ästhetischen Wirkung gehört, was Zipf schon 1935 (in Zipf 1965) psychobiologisch so formuliert hat: “Any phoneme can be viewed as a complex or configuration of articulatory sub-gestures in sequential arrangement.” (Zipf 1965: 59) Trabant hat in seinem Buch über Giambattista Vico darauf hingewiesen, daß die altgriechische Bedeutung von poietai als Macher im weiten Sinn noch bei Vico gilt, der die Poeten “criatori”nennt, nach Trabant “kreative Zeichen-Macher,…Sematurgen”. Sie “zeigen und deuten ‘Körper’ (corpi), Gegenstände der Welt, indem sie ihnen “Seele” geben…” (Trabant 1994: 47) Nach dieser Vorstellung überschreiten die Lyriker die bloße lexikalisch-semantische Worthaftigkeit der Sprache, sie kombinieren Redekunst mit der quasi skulpturalen Technik der Artikulation. Gedichte als Sprachkörper umfassen demnach das gesamte Spektrum aller Artikulationsebenen: Text, Satz, Wort, Morphem, Phonem und artikulatorische Subgesten. Das linguistisch noch nicht zufriedenstellend gelöste Problem der Textualität betrifft den Ausgangspunkt, den Kern und das Ende jeder poetologischen Analyse. Sie steht diesseits, weil sie gezielt unterhalb des Semantisch-Informatorischen im Körperlichen der Artikulationsbewegungen anzusetzen ist; jenseits, weil es ihr um einen übergreifenden SINN geht, der Sprachkörper 75 die drei sprachlichen Ebenen integriert. (Vgl. dagegen Jakobson, bei dem trotz aller Verdienste um die poetische Sache nicht deutlich wird, ob er mit dem Theorem der russischformalistischen Deautomatisierung nicht doch heimlich ästhetizistisch denkt.) Schon Platon nennt (in Symp. 205 bc) Musik und Dichtung zugleich: “ten mousiken kai ta metra” (Schmitt 1986: 267). Arbitrarität Ich gehe davon aus, daß die immer neuen Versuche der Widerlegung oder Einschränkung des saussuresches Prinzips der Arbitrarität vergeblich sind: Das Zeichen per se drückt zunächst und zuletzt weder semantisch (concept) noch phonematisch (image acoustique) das Objekt aus. Arbitrarität darf nicht nur genetisch verstanden werden, also sich auf die Bildung neuer Zeichen beschränken. Sie gilt strikt in jedem Kommunikationsakt, nach Maturana, radikal konstruktivistisch ausgedrückt: “Wörter sind keine symbolischen Entitäten, noch auch konnotieren oder denotieren sie eigenständige Objekte” (von Glasersfeld 1998: 221)) Von Platons “Kratylos” (der sich jedoch nicht festlegt) bis heute muß sich die Sprachphilosophie und die Linguistik - trotz Saussure - immer neu emanzipieren von der allerdings starken alltäglichen Illusion der “Motiviertheit” sprachlicher Zeichen. Einer der ideengeschichtlichen Gipfel der sprachmetaphysischen Illusion liegt in der Mystik von Jakob Böhme vor, bei dem man lesen kann: “an der äußerliche Gestaltniß aller Creaturen, an ihrem Trieb und Begierde, item, an ihrem ausgehenden Hall, Stimme und Sprache, kennet man den verborgenen Geist. dann die Natur hat jedem Dinge seine Sprache nach seiner Essentz und Gestaltniß gegeben, dann aus der Essentz urständet die Sprache oder der Hall, und derselben Essentz Fiat formet der Essentz Qualität, in dem ausgehenden Hall oder Kraft, den lebhaften im Hall, und den essentialischen im Ruch, Kraft und gestaltniß: Ein jedes Ding hat seinen Mund zur Offenbarung.” (Gaier 1971: 21) Lyrik hingegen - jedenfalls die bedeutende - fällt nicht zurück in die Fiktion einer Natursprache, sondern produziert durch die spezifische Sinnlichkeit ihrer textuellen Artikulation in phonetischer, syntaktischer und semantischer Bedeutung des Wortes körperhaft-gesellschaftliche “Natur”. Den scheinbaren Mangel der Arbitrarität (der in Wirklichkeit Grundbedingung der Semiose ist) gleicht das Zeichen durch die über einen genügend langen Zeittraum stabile Verbindung von Signifikant und Signifikat, ja deren Untrennbarkeit, aus.Vielleicht kann man sagen: die grundsätzliche Beliebigkeit wird durch die kommunikative Verläßlichkeit ausgeglichen. Dichtung ist das Mirakel, daß trotz dieser Zeichenlage sozusagen in the end, nämlich in der Kon-Artikulation des Textes, eine Versöhnung von Zeichen und Objekt auf-scheint, zwar iterierbar, aber immer nur augenblickshaft. (In solchen Momenten hat das Schulkind subjektiv recht, das im Aufsatz formulierte: “Das Schwein trägt seinen Namen zurecht, denn es ist auch eines.”) Im gelungenen Gedicht (also selten) werden arbiträre Zeichen mit andren arbiträren so (das ist das Handwerk) komponiert, daß ein spezifischer humaner Ausdruck entsteht. Dichtung wäre also ein glückliches Arrangement, in dem aus der Komposition arbiträrer Elemente (Phoneme, Morpheme, Wörter, Sätze im prosodischen Zustand) suggestiver Ausdruck wird. Das Gedicht hat eine “Physiognomie”. Chris Bezzel 76 Der Dichter hat nur das arbiträre Material wie jeder Sprechende, die Grenzen seiner Sprache sind die buchstäblichen (phonematisch-konzeptuellen) Grenzen seiner Welt (Wittgenstein). Aber sein Talent läßt ihn Wege finden, innerhalb dieser Grenzen diese quasi zu sprengen: implosiv (statt expandierend); denn im Gedicht übernimmt die artikulatorische Bewegung dort den “Ausdruck” via Sinnlichkeit, wo die abstrakt/ propositional/ semantisch ab-bildende Tätigkeit des Satzes ans Ende gekommen ist. Nennende Zeichenbildung (Satz) und Satzzeichen (im Begriff des Wittgensteinschen “Tractatus”), Sinn und Form schießen zusammen. Kunst ist generell paradox: Sie erhöht mit der “Spürbarkeit der Zeichen” die “Dichotomie von Zeichen und Objekt” (Jakobson1979: 93), doch mit dem Ergebnis, daß durch den sinnlichen Ausdruck die genaueste Verbindung von Zeichen und Objekt, eine Versöhnung hergestellt zu werden scheint. (Und dieser Schein ist der ästhetische Genuß.) Linearität Die unabweisliche Linearität der Sprache ist zunächst nicht zu diskutieren, aber mir scheint wichtig, daß der Begriff metaphorisch und ungenau ist. Er geht von der Schrift und einer spatialen Zeitvorstellung aus, die den Raum entwertet. In Wirklichkeit ist das Sprechen ein raumzeitlicher physikalischer Prozeß. Linearität benennt das irreversible zeitliche Nacheinander, die artikulatorische Sequenz auf kosten der drei anderen Dimensionen. Dazu kommt, worauf Fónagy schon 1965 (Fónagy 1965: 243ff.) hingewiesen hat, daß - jenseits der doppelten Artikulation Morphem/ Phonem - die phonematische und darstellungsrelevante Ebene (nach Bühler) eine Abstraktion ist, zu der realiter die ausdrucksrelevante des jeweiligen Sprechers (als individuelle) hinzukommt. “Die Rede ist daher eigentlich nie linear, nie einschichtig.” (ib. 244) Poetologisch entscheidend ist die grundsätzliche Aufhebung der Linearität durch die textuelle Kon-Artikulation des Gesamtgedichts, die essentiell unabdingbare Ergänzung durch die Vertikalität: Von Gedichten als Sprachkörpern zu sprechen, bekommt dadurch einen, über das Physiologisch-Artikulatorische hinausgehende Bedeutung. Die alltagssprachlich gegebenen Phänomene der sequentiellen Artikulation werden im Gedicht komplex “überlagert”, wobei der Effekt eine Ergänzung/ Erweiterung/ Komplettierung der Linearität in Richtung auf eine “vertikale” Verräumlichung ist, die den lyrischen Text zu einem (immer dynamischen, weil nur im Artikulationsvollzug existierenden) Körpergebilde macht (was im Idealfall zu einer subjektiven Identifizierung mit ihm führt). Kommunikation Alltägliche Sprache ist zunächst nur kommunikatives Mittel zum Zweck, was durch die Sprachspieltheorie von Wittgenstein akzentuiert wird. Aber lange vor der Schrift wurde Sprache bis zu einem gewissen Sinn zum Selbstzweck: Dichtung ist (in anderer Weise als die Metasprache) die Konzentration auf die sprachliche Wirklichkeit selbst bei beigehaltener Mitteilungsfunktion. Sprachkörper 77 Man kann auch sagen: Dichtung gewichtet alle drei Komponenten gleichzeitig und gleich stark. In der poetischen Kommunikation gilt eben nicht, was den Normalfall der alltäglichen Kommunikation bestimmt: “Hauptsache, du verstehst mich.” Das alltagssprachliche Sprachspiel zielt auf die Wirklichkeit und deren Veränderung. Die Sprachform, ja die sprachliche Wirklichkeit, ist quasi vergessen, sobald der Zweck erreicht ist. (Siehe die Paraphrase, vgl. “Er sagte sinngemäß”.) Dagegen ist die poetische Rezeption das reflektierende und ästhetische Verweilen bei der sprachlichen Wirklichkeit, den Zeichenträgern. Gedichte sind nicht nur aus Gründen der Artikulation als ihrer notwendigen und einzigen Existenzform Sprachkörper, sondern auch, weil wir sie als solche Sprachkörper verstehen und genießen -, und zwar beliebig oft. Dichtung ist zunächst unabhängig von Schrift. Durch das Aufschreiben wird ihre unaufhebbare Linearität zunächst betont. Aber die Zweideutigkeit der Schrift bewirkt dann, daß die zweite, die vertikale Dimension zum Vorschein kommt, betrachtbar, reflektierbar wird. Allerdings ist das aufgeschriebene Gedicht nur ein Abbild, ein Schatten seiner dreidimensionalen Körperlichkeit. Durch Sprache wirken Menschen keineswegs nur kommunikativ-semantisch aufeinander ein, sondern - das wird oft genug zum Problem - auch physisch: der Hörprozeß ist ein Erleidensprozeß; was da alles passiert, kann man im Physiologie- und Phonetikbuch nachlesen (vgl. Wängler 1974: 77f.) Semantik Ein Gedanke kann wahr, schön und gut sein, er kann bedeutend, ja genial sein. Sein sprachlicher semantisch-propositionaler Ausdruck macht ihn aber noch nicht zum Gedicht. Der Begriff “Gedankenlyrik” drückt die Grenze aus. Im poetischen Kontext bekommen Laute erst ihren (eventuell symbolischen) Sinn, vor jeder Polysemie kommt die Semierung, insofern es von der abstrakten Zeichenbedeutung zu einer Lautbedeutung kommt. Das Gedicht ist ein Akt (Handlung und actus: Vollzug) der phonatorischen Semierung, d.h. der Aktivierung von Lautbedeutungen; denn der normale Prozeß ist die semantische, konzeptuelle Signifikation, bei der Syntax und Phonetik nur Medium, Hilfmittel sind. Sprachkörper Die Verkörperung der Dichtung liegt 1. in der physiologischen Phonation (gilt auch für die Alltagssprache), 2. in der konkreten Korrelation der drei Ebenen (realisatorisch), 3. in der Produktion eines Textes, durch den die Linearität/ Horizontalität ergänzt wird um die räumliche Vertikalität: die Konartikulation. Das Gedicht existiert nur als Konartikulationsprodukt. Allgemein sprachlich gilt: Raum vor Zeit (Sichtbarkeit/ Hörbarkeit vor Ablauf), wie auch Wahrnehmung am Raum ansetzt, nicht an der Zeit. Deshalb gibt es mehr lokale Deiktika. Was sichtbar, hörbar, tastbar usw. ist, ist primär. Chris Bezzel 78 Dichtung affirmiert im akustischen Medium die Räumlichkeit auf der Basis ihrer eigenen spatialen, der Mundraum-Artikulatorik. (Man könnte sagen: Zunge = Ich = “Hand” des Mundes, das Hauptinstrument). Wenn STIL im weiten Sinne die Ausdrucksweise ist und diese “l’homme même”, dann sind Gedichte als ausgedrücktes, als lebendes Produkt Analogien zum Körper, wobei diese Vergegenständlichung überindividuell ist: der Sprachkörper Gedicht ist jedenfalls gedacht als quasi kollektiver, und in der gelebten Kultur ist er es auch. “Im Styl”, sagt Novalis, “herrscht…das Wort, die Gestalt, Genesis oder der caracter des Worts.” (Novalis 1978: 201) Noch bevor (in einem nicht-zeitlichen Sinn) das Wort zum saussureschen mentalen zweiseitigen Zeichen aus concept und image acoustique wird, zum Bestandteil der langue, ist es physiologischer Laut, Zeichenkörper der parole. Der saussuresche Signifikant ist, weil rein mental, nicht zu verwechseln mit dem artikulatorisch-rhythmischen Schallereignis des Zeichenkörpers. In Bezug auf Klopstock hat das Winfried Menninghaus so ausgedrückt: “Der Derealisierung der Zeichen zu bloßen Bedeutungsträgern kommt die Bewegungsenergie der Wortbewegung buchstäblich zuvor: sie ist schneller, wirkt schneller und ‘geradezu’.” (Menninghaus 1989: 313) Hier verbindet sich die Poetik des movere (des 18. jahrhunderts) mit der poetischen Funtion von Jakobson, unter der wir darauf eingestellt sind, die sogenannte Botschaft als sprachlich-physiologisches Ereignis zu rezipieren. Lyrik als Sprachkörper aufzufassen, bedeutet nicht, die trotz aller Physik bleibende Metaphorik des Begriffs zu übersehen, dh. die Analogien dürfen nicht verdinglicht werden, trotz der Basis, daß lebende Körper wie Gedichte nur als Bewegung und in Bewegung anzutreffen sind. Vokale sind nicht Fleisch, Konsonanten nicht Knochen, obwohl sie nicht selten so anmuten. Es geht bei lebenden wie poetischen Körpern um Multifunktionalität. Sie verbindet sich durchaus mit der vielgenannten Polyvalenz oder poetischen Vieldeutigkeit, die der gefährlichen Vieldeutigkeit abstrakter, z.b. politischer Begriffe (wie “Gleichheit”) als produktiv gegenüberzustellen ist. Die poetische Vieldeutigkeit potenziert und sprengt die (rationalistische) Logik der Begriffe, indem sie rationale und intuitive Erkenntnis, Erfahrung und Phantasie, Wahrnehmung und Assoziation verbindet. Die populäre, aber falsche Herleitung des Worts “dichten” von verdichten trifft doch die Sache, indem Gedichte in jedem Fall, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, unwahrscheinliche Häufigkeitsverteilungen darstellen, die als “Abweichungen” zu beschreiben allerdings leicht in die Irre führen kann. Das Unaussprechliche Von Klopstocks Poetik der Wortbewegung gibt es eine Verbindung zum ästhetischen Zeigen, wie man es Wittgensteins “Tractatus” entnehmen kann: Insofern Kunst allgemein eine Priorität des Ästhetischen setzt, ohne das Semantische abzuwerten, transzendiert sie das Sagbare. Klopstocks Begriff der “Empfindung” ist ganz in diesem Sinne nicht psychologistisch mißzuverstehen, wenn er sagt: “Der Dichter kann diejenigen Empfindungen, für welche die Sprache keine Worte hat…durch die Stellung und die Stärke der völlig ausgedrückten ähnlichen, mit ausdrücken.” (Menninghaus 1989: 171) Dabei verweist “Stellung und Stärke” auf die poetisch-prosodischen Verfahrensweisen, die eine poetologische Phonetik (oder phonetische Poetik) zu analysieren hätte. Die Zeichenkörper bekommen eine physiognomische Bedeutung, “statt nur Zeichen für eine intellegible Sprachkörper 79 Bedeutung” (Mennighaus 1989: 314) zu sein. “Überhaupt”, sagt Klopstock, “wandelt das Wortlose in einem Gedicht umher, wie in Homers Schlachten die nur von wenigen gesehnen Götter” (ib. 172). Bei Klopstock kommt die Wortbewegung nicht nur vor der Bedeutung, sondern sogar vor dem Klang. (ib. 37f.) So weit muß man der idealistischen Poetik ja nicht folgen, ohne die revolutionäre Innovation Klopstocks aufzugeben.(vgl. Menninghaus 1989: 315)) Wendet man den “Tractatus” auf die Poetik an, hat man es mit der grundlegenden Unterscheidung von SAGEN und ZEIGEN zu tun, und zwar auf allen drei linguistischen Ebenen, weil das Gedicht als ästhetisches Gebilde den Bereich des SAGENS, also der Produktion von nach Wittgenstein “sinnvollen Sätzen”, übersteigt: Poesie wäre nach dem Tractatus (paradox) textuelle Produktion von “Unaussprechlichkeit”. Oder anders: Kunst wäre eine Form des verbalen “Schweigens”. Was Wittgenstein übrigens über die Musik formuliert hat, die er 1931 deshalb “die raffinierteste aller Künste” nannte, weil sie “die ganze unendliche Komplexität besitzt, die wir in dem Äußeren der anderen Künste angedeutet finden”, und die sie “verschweigt” (WA 8, 462). Novalis sagt: “Der Sinn für Poesie hat viel mit dem Sinn für Mystizism gemein. Er ist der Sinn für das Eigenthümliche, Personelle, Unbekannte, Geheimnißvolle, zu Offenbarende, das Nothwendigzufällige. Er stellt das Undarstellbare dar. Er sieht das Unsichtbare, fühlt das Unfühlbare etc.” (Novalis 1978: 840 ) Syntaktisch zeigen (im Sinne des “Tractatus”) poetische Texte, insofern hier die Wortstellung die Bedeutungen mitbestimmt und nicht beliebig, nie paraphrasierbar ist. Eine Paraphrase des Gedichts “Schlußstück” von Rilke (siehe Textanhang! ) ergibt kaum mehr als einen altbekannten Gedanken, der schon in einem uralten Kirchenlied ausgedrückt ist: “Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen…” Und den lachenden Tod kennen wir aus mittelalterlichen Totentänzen. (Zusätzlich ist die Formulierung “lachenden Munds” syntaktisch zweideutig und kann sich auf “wir” wie auf den Tod beziehen.) Allgemein zerstören Paraphrasierungsversuche bei Gedichten die Sinnschichten, die ihnen wesentlich sind. (Ebenso kommt die essentielle Unübersetzbarkeit von Gedichten daher.) Phonetisch zeigen poetische Texte, insofern der Textklang entscheidend mitbestimmt: die Artikulation als - auch musikalische - Wortbewegung. In der Poesie wird aktuell, was im rein semantischen Satz-Bild der Standardsprache logisch keine Rolle spielt, weil es zur den Gedanken verkleidenden Form, zum Sprachkleid gehört (T 4.002): “In der Wortsprache ist ein starkes musikalisches Element”, formuliert der “Zettel” 161 von Wittgenstein (W 8, 304). Im Gedicht von Rilke erweisen sich die Reime Seinen, meinen und weinen als bedeutungstragend in der Richtung, daß sie das thematischen Weinen konnotativ erweitern. Und in dem für den Reimperfektionisten Rilke auffälligen unreinen Reim Munds mit uns steckt - objektiv - das doppelte t von “Tod”. Das Gedicht “Mattina” von Ungaretti verwendet fast nur Dauerlaute, die Konsonanten m, l, n und s, wobei nur das s nicht sonor ist.; es zeigt artikulatorisch durch die Sinn-Bildlichkeit der Lippen- und Zungenbewegungen der Geminate ll, durch m und n: Nach der Schließung der Lippen beim m der letzten beiden Silben menso öffnet sich der Mund durch das offene e weit, und das folgende n und s sorgen für eine Verlängerung der Mundöffnung, sie “zeigen” artikulatorisch das genannte “Unermeßliche”. Dabei findet ein Tonhöhenanstieg von u zu offenem e statt. Chris Bezzel 80 Als weitere zeigende artikulatorische und semantische Einzelheiten sind zu nennen: Die Wörter sind alltagssprachlich, weshalb die Überstezung “Unermeßliches” von I. Bachmann nicht glücklich ist. Das Gedicht enthält nur einen Dental, die stimmhaften Sonorlaute m, l und n drücken hier Offenheit und Endlosigkeit aus. Der Titel des Gedichts realisiert mit der ersten Silbe ma mundraumsymbolisch-artikulatorisch die Basis, die Ebene aus, von der aus sich die poetische Vorstellung erhebt. Der Schritt von u zu e ist eine artikulatorische Geste der Öffnung, der Schritt von ll zu mm ist eine Bewegung vom Lateralengelaut zur völligen Öffnung nach Verschluß. M, n und ll etablieren einen ungehinderten Phonationsstrom. Der Vokalwechsel i u i o i e o stellt eine mehrfache Ausmessung des Tonhöhenraums hoch-tief dar, der mit dem Artikulationsraum hinten-oben zu vorn-oben korreliert. Die Klangfarbe von u ist tief, von e mittelhoch. Das Gedicht von Juan Ramón Jiménez (vgl. Siebenmann et. al. 1999) basiert auf der artikulatorischen Ausnutzung von mu-ndo und mu-jer. Für die Präposition en ist wichtig, daß sie weniger erotisch-direkt ist als das deutsche “in”, weil es auch eine instrumentale Bedeutung hat. (Daher ist das Gedicht m.E. nicht als “tagelied” zu verstehen.) Der Reim -er/ -er fällt frappierenderweise zunächst nicht auf, vermutlich wegen des rhythmisch abgesetzten vokativischen mujer. Die Wörter man˜ ana, mundo und mujer bilden alliterativ eine integrierende Reihe. m und n stehen in einem Wechselspiel, und auch der Titel gehört zur Alchemie der Gedichtlaute. Die Integration von mundo und boca drückt sich in den einzigen beiden o des Gedichts aus. 28 der 36 Laute des Gedichts sind weich (m, n, l, b, d). Das Muster der betonten Vokale ist: a e u e o e Durch die beiden hinteren Vokale u (hinten oben) und o (hinten-Mitte) in Spannung zum e wird der reale Mundraum akzentuiert. Der Übergang von besa zu boca stellt eine vokalartikulatorische Bewegung ins Mundinnere dar, was schon bei mundo durch den labialen Anlaut der Fall ist. Der Sinnspruch von Angelus Silesius zeigt den christlichen Dualismus von Mensch/ Welt und Wesen/ Bestehen auch artikulatorisch durch die Opposition von langem e und offenem, kurzen e: werde/ wesentlich/ geht (in vergeht)/ Wesen/ besteht gegenüber Mensch/ Welt/ ver (in vergeht)/ fällt/ weg/ . Die Welt muß, christlich gesehen, in ihrer Nichtigkeit vergehen, damit das Wesen erscheint. Bereits der Alexandriner eignet sich mit seiner rhythmischen Zäsur in der Mitte besonders gut für Dualismen. Der Wechsel von langem e und kurzem ä (orthographisch auch e) ist fast genau durchgeführt. Bei ver-geht haben wir ihn sogar in einem Wort. Dazu kommt lautgestisch die artikulatorische (Mundraum-)Erhöhung zum langen e. Von den 6 langen e sind 5 betont, von den 6 ä 4. Das ä hat größere Schallfülle und steht an dritter Stelle der statistischen Vokalhäufigkeit, langes e erst an achter; auch dieses Faktum ist zugunsten der lautsymbolischen Aussage des Gedichts interpretierbar. Da sich ä und das viermal vorkommende Schwa lautlich nahe sind, ist die Gesamtzahl der die Vergänglichkeit der Welt artikulierenden e-Laute 10. Sprachkörper 81 Lautsymbolik muß von textueller Symbolwirkung durch den Artikulationsprozeß selbst unterschieden werden. Im Gedicht An die Phillis von Hofmann von Hofmannswaldau entsteht parallel zur Textbedeutung eine Symbolisierung dadurch, daß die Silben auf den hohen Hügeln ein Ansteigen der vokalischen Artikulation im Mundraum realisieren, mit einem Abfallen im letzten Wort sterben. Der sexuelle Tabubruch wird also symbolgestisch und artikulatorisch real verstärkt. Auf der Basis der (unumstößlichen primären) Arbitrarität können sich doch Ansätze von Lautsymbolik im Sprachgebrauch herausbilden -, relativ. Besonders im Gedicht vollzieht sich auf der letzten, der Ebene des gesamten Textes eine Verstärkung von Lautsymbolik. Insofern ist (fast) jedes Gedicht ein Akt der relativen Motivierung, während einzelne Laute keine festlegbare symbolische Bedeutung haben (sie haben nur vieldeutigen Ausdruck, der der oralen Basis-Gestik der Phonation entspringt. (Im englischen und spanischen / th/ wird die Zunge gezeigt, was kulturspezifisch noch keine gestische Bedeutung hat.) Das der Sappho (vgl. Wirth 1963) zugesprochene Gedicht aus nur 32 Silben (pro Zeile 8) scheint durch das erst in der 23. Silben vorkommende lange o, das von einem langen, einem kurzen und einem langen o (Omega)gefolgt wird (in ora, ego, mona und kateudo) die Trauer des einsamen Wartens auszudrücken. Da ora (Stunde) auch Lebenszeit bedeuten kann, könnte sich das Spät-Sein unterschwellig auch auf das Leben beziehen. Bei dem Gedicht von Paul Celan wäre phonetisch zu diskutieren, ob nicht die Häufung von sch-Lauten bei den letzten vier Wörtern (beschwerst, Steinen, geschriebenen Schatten) ausgehend vom langen e in beschwerst artikulatorisch das Ausbalancieren des imaginären Schattennetzes ausdrückt, d.h. eine Schwebe realisiert. Dazu käme, in scheinbarem Widerspruch die “ausmessende” Vokalbewegung e, ai, langes i, a, deren Artikulation von der Mundmitte nach unten, ganz nach oben und ganz nach unten geht. Das “naturgedicht” von Jandl ist sowohl ein lakonisches Anti-Naturgedicht als auch ein extrem reduziertes “Stimmungsgedicht”, das artikulatorisch mit seiner Bewegung von / hoi/ zu / ze: / sommerliche Heuhaufen und die Stille eines Sees “beschreibt”. Artikulatorisch-konkret “stellt” heu Anstieg, also Vertikalität, see (durch die Längung) die Fläche, Horizontalität “dar”. Eine Übersetzung ins Spanische verdeutlicht das: montones de heno lago. Der Gleichklang durch das End-o ereicht nicht den Kontrast der zwei deutschen Silben und nicht die “Horizontalität” des langen e in / ze: / . Im Englischen könnte das Gedicht lauten: haystacks lake. Dabei bliebe es bei semantischer Sachlichkeit ohne Versinnlichung der Stille. Das Gedicht von Gerard Manley Hopkins läßt sich als religiös-exaltierter Preis der vielfältigen Schönheit der sogenannten Schöpfung kennzeichnen, den der Dichter semantisch durch Nennung, prosodisch durch die rhythmische Struktur und artikulatorisch durch die spezifische Verteilung von Vokalen und Konsonanten realisiert. Semantisch ist bei diesem Gedicht sehr auffällig, daß es dominant visuell beschreibt, keine akustischen und keine Geruchsphänomene nennt, was man aber infolge der sehr komplexen Bildhaftigkeit wie der starken Klanglichkeit des Gedichts lange Zeit nicht bemerkt. Hopkins Chris Bezzel 82 läßt das Sichtbare klingen durch seine poetische Verfahrensweise. Mittels der aufzählenden phonetisch-prosodischen Inszenierung geht es nicht um die Visualisierung des Aufgezählten im realen Raum z.B. einer Landschaft, sondern insofern um die Konstruktion eines Superzeichens, als das Gedicht exemplarisch die ganze Buntheit und Vielfalt des Irdischen exemplarisch zeigen will. Hopkins preist also nur die Form-Vielfalt der sogenannten Schöpfung. Eine nähere phonetische Analyse hätte zu erklären, warum wir dennoch zu hören, schmecken und riechen glauben, und die Antwort liegt in Richtung der versteckten Analogien des Akustischen zu den anderen Wahrnehmungskanälen. (Vgl. Fonagy 1963) Nennt man das, was das Gedicht semantisch-poetisch aktiviert, ein imaginatives Tableau, dann gehört dazu die zweite seiner Ausmessungen: vom Entferntesten (skies) über das Überschaubare (landscapes) geht es zum Einzelnen, zum Materiell-Dinglichen, ja zum Detail am Einzelnen (finches’ wings). Das alles wird quasi potenziert durch analogisierende Benennungen, die ihrerseits zum Thema des Gedichts geschlagen werden: fresh-fire-coal chestnutfalls, dessen Metaphorik schwer ausschöpfbar ist, was eine “thick description” poetologisch jedoch zu leisten hätte. Durch die Metaphorik werden Dinge zusammengebracht: Rosen mit Forellen, brennende Kohlen mit Kastanien, ja, das Gedicht bezieht durch sein Verfahren die Sprache selbst ein durch Synonymenreihung: pied, brinded, dappled, in stipple, plotted, pieced, counter, original, spare, strange, fickle, freckled. Die Aufzählung zeigt, daß es sich auch und sogar um eine textspezifische Synonymisierung an sich nicht synonymer Wörter handelt. Die steigernde Kurzaufzählung durch die 6 Adjektive in Zeile 9 (swift, slow usw.) nennt zwar weitere Dimensionen, wirkt aber zugleich wie eine thematische Variation, ein Effekt, der insgesamt durch die überreiche Zahl von Alliterationen erzielt wird: Gleichheit und Ähnlichkeit im Lautlichen wie Semantischen bürgt für die Buntscheckigkeit der gepriesenen Welt. Neben Himmel, Tieren und Pflanzen gehören zu den Aufzählungen auch örtliche Gegebenheiten (fold, fallow, plough), aber auch Gegenstände (gear, tackle, trim). Ästhetisch stört die dreimalige Nennung Gottes insofern areligiöse Leser nicht, die Ideologie spielt dadurch keine Rolle, daß der Leser mit der unabschließbaren Betrachtung der beschriebenen Welt vollauf beschäftigt ist. (Dazu kommt phonetisch, daß es das o von God kein zweites Mal im Gedicht gibt; andererseits kommt der Diphthong ei von praise noch viermal vor (in landscapes, trades, strange und change).) Von Aufzählung in der Aufzählung muß semantisch insofern gesprochen werden, als die thematische Buntscheckigkeit nur zum Teil durch pflanzliche und tierische Buntheit beschrieben wird, zum andern durch aufgezähle Ensembles (z.B. trades). Was Hopkins selbst “an emphasis on structure” genannt hat (Hopkins 1966: 85), dazu gehört hier auch das Lexikalisch-Semantische. Verkürzt man eine auszuführende Gesamtinterpretation des Gedichts propositional, dann läßt sich formulieren: Die wandellose Schönheit der Welt liegt in ihrer bewegten unendlichen Vielfalt in jeder Dimension.Wandel selbst ist - paradox - wandellose Schönheit. Novalis hat formuliert, daß uns in der Natur das “Grelle, das Ungeordnete, Unsymmetrische, Unwirthschaftliche nicht misfällt und hingegen bey allen Kunstwerken Milde, schickliches Verlaufen, Harmonie und richtige, gefällige Gegensätze unwillkürlich gefodert werden.” (sic) (Novalis 1978: 835). Hopkins dagegen führt das “Grelle” etc in die Lyrik selbst ein, und er realisiert es semantisch, syntaktisch und, was das Phonetische betrifft, durch seine Konsonanten-Komposition. Sprachkörper 83 Syntaktisch ist das Gedicht gekennzeichnet durch die aufzählende Reihung (for…), wobei eine zunehmende syntaktische Verkürzung auffällt, die in Zeile 10 extrem ist, was semantisch einem verdichtenden Hinweis auf unendlich Vieles gleichkommt. Phonetisch ist zunächst auf die der Exaltation entsprechende schnelle und prosodische Schärfe hinzuweisen, was auch durch den “paeonischen Sprungrhythmus” (Hopkins 1973: 186) erreicht wird. Unter anderm die syntaktische Verkürzung bewirkt eine Beschleunigung des Vortrags ebenso wie die Häufung von Alliterationen. Viele Leser werden erst nach längerer Beschäftigung mit dem Gedicht bemerken, daß es gereimt ist nach einem komplizierten Reimschema: a b c a b c d b c d c. Daß man die Reime zunächst nicht hört, paßt dazu, daß Hopkins die Harmonie der gepriesenen Vielfalt versteckt hinter einem zunächst hart erscheinenden Konsonantismus. Während im Gedicht von Rilke die Reime konstitutiv, ja thematisch sind, ist das Verstecken der Reime bei Hopkins erstens ein Hinweis auf verborgene Harmonie, zweitens ein Zeichen des quasi fortreißenden Rhythmus, für den die Reime zu Haltepunkten werden konnten. Nach von Essen (1979: 97) bestimmen die Vokale insgesamt die “klangspektrische Struktur”, die Konsonanten die “artikulatorische Gestaltung”. Versteht man intuitiv Vokale mit Novalis als “Buchstabenseelen” ( 1978: 606), wird man bei Betrachtung des Vokalismus, des Vokalmusters des Gedichts nach der spezifischen gestischen Ausrichtung gerade dieser Lautverteilung fragen. Das Gedicht enthält, was die betonten Silben betrifft, 16 i, davon 12 ungespannte kurze und 4 gespannte lange; 34 helle, 20 dunkle Vokale (inklusive au), wobei u fast ganz fehlt. Gegenüber der statistischen Vokalverteilung, bei der das i ebenfalls quantitativ hochrangig ist und kurzes u wie oi an letzter Stelle stehen, fällt das Gedicht nicht auf, wobei allerdings die gespannten zu den ungespannten Vokalen im Verhältnis 28 zu 20 vertreten sind. Der vokalische Gesamtklang entspricht also der im Englischen erwartbaren Verteilung, die als Harmonie empfunden werden dürfte, allerdings nicht als betonte, emphatisierte Harmonie wie häufig in der abendländischen Lyrik. Insofern gilt, was Hopkins als poetisches Prinzip benannt hat: “current language heightened” (Hopkins 1973: 218). Die poetische Betonung, ja die Methode des Gedichts liegt klar in seinem Konsonantismus, in Auswahl und Verteilung der sonoren wie nichtsonoren Konsonanten, die sich u.a. durch ihren “Geräuschanteil durch verschiedengradige und verschiedenartige Behinderung des Luftstroms im Ansatzrohr” (Wängler 1974: 118) unterscheiden. Dabei reicht die Bildungsmethode von Engebildungen bis zu Verschlüssen (ib.). Zusätzlich poetologisch relevant ist natürlich die Tatsache, daß die sonoren Konsonanten (wie m, n und ng) den Vokalen verwandt sind, also einen Übergang bilden, was sich bei besonders “wohlklingenden” Gedichten an ihrer Häufung zeigt. Das Gedicht von Hopkins ist, konsonantisch gesehen, eine Plosiv-Frikativ-Komposition, bei nur wenigen sonoren Konsonanten dominieren die 113 von mir gezählten Obstruenten. Der Text enthält, an- und inlautend, 14 f und 14 p, gegenüber dem im Englischen besonders häufigen t, das nur 19mal vorkommt. Das ist sehr prominent, da nach der Lautstatistik von Delattre (1965: 95) das t an erster Stelle, f und p aber an 15. bzw. 16. stelle stehen. Demgegenüber entsprechen die 16 stimmlosen s der Häufigkeitserwartung. Der stimmlose aspirierte labiale Verschlußlaut p besitzt eine große “Verschlußspannung” (Wängler 1974: 125): “Das Gaumensegel ist gehoben, die Atemluft wird im Mundraum leicht und zunehmend komprimiert, bis der Verschluß unter Sprenggeräusch gelöst wird.” (v. Essen 1979: 99) Gestisch-symbolisch paßt es gut, daß das thematische Gedichtwort praise ebenfalls Chris Bezzel 84 mit p anlautet. Man kann wohl behaupten, daß das häufige p, “angeführt” vom thematischen praise, eine explosiv-haptische Wirkung hat, ein bursting out darstellt, das aber zugleich, mit den anderen stimmlosen Verschlußlauten, besonders dem k, auch vom Wahrnehmungskanal her, also dem Taktilen, verstanden und dem Visuellen des Gedichts gegenübergestellt bzw. hinzugefügt werden muß. Beim denti-labialen stimmlosen Reibelaut f streicht der Phonationsstrom “durch die zwischen Oberzahnreihe und Unterlippe gebildete Enge.” (Wängler 1974: 140) Die Öffnung beim Reibelaut bringt ihn in eine gewissen Nähe zu den Vokalen (von Essen 1979: 106). Ästhetisch könnte man feinstrukturell das p dem f insofern gegenübersetzen, als seine Bildung nur kurz dauert, während das nur im Anlaut vorkommende f die Exspiration betont, also ein Strömen zeigt. Sonorität (m, l, n) ist mit 20 Lauten ein Binnenwortphänomen bei diesem Gedicht, im Anlaut kommen sie nur zweimal vor (moles, landscapes), während sie statistisch an 8. (m) bzw. 4.(l) Stelle stehen (Delattre 1965: 95). Das Gedicht zeichnet sich also durch starke vokalische und schwache konsonantische Sonorität aus, wobei es m.E. bei einer wesentlich stärkeren nichtsonoren konsonatischen Wirkung bleibt. Besonders signifikant ist konsonantisch die Fügung “fresh-firecoal chestnutfalls”, bei der man von Kompression in semantischer, syntaktischer und eben auch phonetischer Hinsicht sprechen muß. An diesem “Nukleus” läßt sich auch ermessen, was eine weiterentwickelte phonetische Poetik feinstrukturell zu entwickeln hätte; denn seine gestischsymbolische Bedeutung reicht in tiefenpsychologische Dimensionen, wobei semantisch mit falls nicht nur Farbdifferenzen, sondern auch Bewegungsmomente zusammengebracht werden. Insgesamt impliziert die gestische Auffassung von Sprache, von sprachlicher Artikulation, mögliche Analogien von Außenraum (als im Gedicht beschriebenem) und Mundraum. Zu prüfen ist, ob der Lyriker dargestellte Verhältnisse phonetisch-artikulatorisch nachgebildet hat. Auch hier gilt zunächst der Grundsatz der Arbitrarität, die textspezifisch nur eingeschränkt werden kann, jedenfalls solange Lyrik syntaktisch wohlgeformt bleibt. Das Gedicht von Hopkins enthält im Anlaut achtmal die hinten im Mundraum artikulierten Verschlußlaute g und k, und zwar in den Zeilen 1-7. Durch die Folgelaute wird also im Mundraum die weiteste Bewegung von hinten nach vorn artikuliert, Raum hergestellt. Der Laut h, der nur viermal, in den Schlußzeilen 8, 10 und 11, vorkommt, ist ein “unlokalisierbarer Öffnungskonsonant” (Wängler 1974: 159) im Kehlkopfbereich. Diese Häufung (bei Fehlen in den Zeilen1-7) könnte es nahelegen, die phonetisch-objektive Gestik seiner Artikulation geistig-semantisch im Sinne des Gott preisenden Lyrikers zu interpretieren, denn beim / h/ ist “letzten Endes … die Form des ganzen Ansatzrohrs mitbestimmend” (ib. 159), vgl. das negativ totalisierende verächtliche “Ha! ” im Deutschen und Englischen. Für das mit “praise” (Zeile 11) wegen der Reimworte swimm, trim und dim gleichstark prosodisch zu artikulierende letzte Wort him gilt physiologisch-semantisch die weitere Bestimmung der h- Artikulation: “Die Glottis ist geöffnet. Der Luftstrom durchstreicht das Ansatzrohr und erzeugt ein Geräusch sanfter Reibung, einen Hauch.” (ib. 160) Erst genaue Analyse kann zeigen, wie die artikulatorische Feinbewegung des Gedichts sich lautgestisch darstellt, wenn man nicht nur die Anlaute, sondern alle Laute einbezieht, was ich anglistischen Phonetikers überlassen muß. Die geistige Aussage macht schließlich den ganzen Gedichtkörper Hopkins’ zum akustischen Exempel des Themas, die Illokution (glory be, praise) wird durch die artikulatorische Bewegung des Gedichts selbst vom Vortragenden vollzogen. Ebenso werden die vielen Sprachkörper 85 Alliterationen hineingerissen, weil sich auch an ihnen in der Koartikulation (vgl. tackle gegenüber trim) die gepriesene Heterogenität festmacht. Wenn ein Standardtext semantisch eindimensional oder einstimmig genannt werden kann (auch wenn er mehrere Themen enthält), dann ist jeder poetische Text mehrdimensional oder mehrstimmig, und das “Unaussprechliche” ästhetischer Texte liegt dann in der sozusagen dreidimensionalen Komposition, in der Gleichberechtigung der semantischen, syntaktischen und phonetischen Komponente. Im Tractatus vergleicht Wittgenstein “Namen” (die sogenannten “Urzeichen”) mit Punkten, Sätze mit Pfeilen (T 3.144). Man kann die Reihe so fortsetzen: Kreative Alltagstexte gleichen Pfeilfigurationen. Poetische Texte sind gleichsam dreidimensionale Körper, Textkörper.) In der neuen Lyrik (nach 1945) geht es zunehmend um etwas, das man die Dynamisierung der Sprachformen nennen kann: alle Möglichkeiten werden sozusagen auskomponiert, zueinander in Beziehung gesetzt. “Bilder” (im Sinn von Wittgenstein) werden konstruiert und destruiert, und jede Totalität wird in einer realisatorischen Schwebe gehalten (Beispiele: Franz Mon, Helmut Heißenbüttel und andere). Der Text, soweit er noch akustisch ist, bleibt notwendig linear, aber die Mittel des Zeigens des Unaussprechlichen erzeugen eine nicht mehr beschreibbare “Texträumlichkeit” im metaphorischen Sinne. Zu solcher ästhetischen Texträumlichkeit führt Wittgensteins Theorie des Unaussprechlichen in poetischer Hinsicht, wenn man sie weiterdenkt. (Vgl. Bezzel 1996) Bedeutungsmusik Mein Begriff “Bedeutungsmusik” soll die Schwebe der Dichtung zwischen Musik und Alltagssprache bezeichnen. Die Idee drückt bereits Herder aus mit seiner Formulierung , die Poesie sei “eine lyrische Muse ohne Lyra.” (in Menninghaus 1989: 326) Umgekehrt spricht Rilke in seinem Gedicht “An die Musik” die Musik so an: “Du Sprache wo Sprachen enden.” (sic) In diesem Sinne ist Sprache als Kunst jenseits der Wortsprache. Daß man bei der abendländischen Lyrik in nicht wenigen Fällen von “latenter Mehrstimmigkeit” analog zu den Solostücken für Violine und Cello von Johann Sebastian Bach sprechen kann, kann hier nicht gezeigt werden. Zu verweisen ist jedoch auf die sehr eingehende Studie von Clemens Fanselau (Fanselau 2000). Diese Arbeit könnte zum Ausgangspunkt einer endlich konkreteren Analyse des Zusammenhangs von musikalischer und lyrischer Struktur werden, die auch das scheinbar unlösbare Grundproblem der semantischen Musikinterpretation in einem neuen Licht zeigen dürfte. Das Gedicht verstärkt auf seine eigene komplexe Weise, was nach Zipf (1965) psychobiologisch für Sprache generell gilt, nämlich als System die Tendenz zu haben, den Zustand des Gleichgewichts (“condition of equilibrium” ( 1965: 80) ) zu erhalten. Für die Lyrik gilt, daß sie ein textuell höheres Gleichgewicht erzeugt, das nicht mit ornamentaler Harmonie verwechselt werden darf. Festzustellen ist beim gelungenen Gedicht eine konartikulierende Aufhebung der alltäglichen Wahrscheinlichkeitsverteilung von Lauten in Richtung auf siginfikanter Unwahrscheinlichkeit. Darin sehe ich die Basis der Parallelismus-Thematik von Jakobson. Chris Bezzel 86 Der Musiksemiotiker Karbusicky (1986: 151) hat die Wiederholung in Musik und Sprache grundsätzlich auf ein “Spielprinzip” zurückgeführt und mit dem Nachahmungstrieb verbunden, wie er sprachlich in den Onomatopoiien erscheint, die - siehe “kuckuck” - häufig als Lautwiederholungen erscheinen. Ich komme durch die Analyse von Gedichten der abendländisachen Tradition zu dem Ergebnis, daß das Dilemma zwischen saussurescher Arbitrarität und phonetischer Motivation auf der poetischen Ebene lösbar ist, gelöst ist, ja sich auflöst, insofern zur arbiträren Systemgebundenheit eine Systematik der Vokalisation im einzelnen poetischen Text kommt, so daß orale Gestik bis zur artikulatorischen Symbolik (bewußt wie unbewußt) realisiert wird - im gefühlten Kontrast zur statistischen Lautverteilung im alltagssprachlichen Sprechen. Damit sind “auditory icons” , wie sich Roman Jakobson ausdrückt nicht mehr ontologisch, sondern textuell verankert, funktionieren also nur von Fall zu Fall. Man kann mit Dell Hymes (Sebeok 1964: 113) von einem “temporary effect” sprechen, insofern für die Ausdruckshaftigkeit gilt, daß die Laute “induce a sense of appropriateness in speakers.” Poetisch wird also sozusagen der Schein zur Wirklichkeit. Einen Text, dessen Elemente nicht zufällig (und nur aus syntaktischen und semantischen Gründen) ko-okkuriereren, so daß er jederzeit ohne Bedeutungsverlust paraphrasiert werden könnte, einen Text, dessen Glieder eine sich gegenseitig stützende notwendige Einheit, ein kleines materialisiertes “System” bilden, einen solchen Text nenne ich einen Textkörper. Auch hier sage ich fast nur das Alte; denn Dichtung als versus (‘Wendung, Wiederkehr’) wird schon in der antiken Rhetorik der prosa (von provorsa ‘nach vorn gerichtete Rede’) entgegengesetzt (Lausberg 1967: 151) Eine Sprache ist phonetisch, prosodisch, syntaktisch und semantisch ein Artikulationssystem, eine System der selektiven Gliederung und des Ausdrucks, die Ambiguität des Begriffs “Artikulation” ist festzuhalten. Ein Gedicht ist im Kontrast zu alltagssprachlichen Äußerungen eine Art Modell der Sprache, ein Mikrosystem, es übersteigt in jedem gelungenn Fall die Partikularität, auch des Themas. (Ein Liebesgedicht ist nie nur der Ausdruck eines Liebesverlangens, im Unterschied zum druchschnittlichen Liebesbrief.) Goethe hat in einem physikalischen Vortragsschema geschrieben: “Durch Worte sprechen wir weder die Gegenstände noch uns selbst aus. Durch die Sprache entsteht gleichsam eine neue Welt, die aus Notwendigem und Zufälligem besteht.” (Ueding 1994: 85) Für die Literatur kann daraus gefolgert werden: Die poetisch nicht relevante Literatur, also die große Mehrheit alles literarisch Publizierten, besteht sozusagen dominant aus “Zufälligem”. Gelungene Dichtung dagegen versteht es, die Sprache in einem hohen Grade “notwendig” zu machen, Form selbst sprechen zu lassen durch hochkomplexe Verfahrensweisen, in denen keineswegs das Phonetische als das Klingende allein herrscht, sondern die je spezifische Integrantion aller drei sprachlichen Ebenen: der phonetisch-prosodischen, der syntaktischen und der semantischen. Für eine phonologische Poetik gilt, daß das Phonetische nicht direkt und unmittelbar nutzbar gemacht werden kann. Es sind keine phonetisch-poetischen “Universalien” denkbar, die Poetizität realisiert sich auf der Ebene der einzelsprachlichen Textualität. Die physikalisch-physiologischen Fakten sind Befunde, die poetologisch erst interpretiert werden müssen, wie stark sie auch intuitiv-unbewußt beim poetischen Genuß wirksam sind. Dabei ist der Wechsel von direkt räumlicher Beschreibung des Motorischen und die unabdingbare Metaphorik der phonetischen Begriffe ein schwieriges Problem, das es im Einzelfall genau abzuwägen gilt. (Ein Beipiel wäre die “hintere Höhe” der Artikulationsstelle beim u bei gleichzeitiger relativer “Tiefe” der Tonfrequenz etwa zum i.) Sprachkörper 87 Die sprachliche Wirklichkeit ist die Wirklichkeit der Sprache, die Sprache selbst in ihren zusammenwirkenden Dimensionen als Klang, als Form, als Bedeutung. Lyrik ist reflektierter Genuß sprachlicher Wirklichkeit und hat Erkenntnisfunktion. Die Sprache existiert nur in actu: als physiologisch-kognitiver Artikulationsprozeß. Das gerät durch die Automatisierung im kulturellen Fortgang schnell in Vergessenheit. Die heutige Digitalisierung der Sprache (in einem weiten metaphorischen Sinn) erklärt zum Teil die scheinbare Entkörperlichung, den Schein der Entkörperlichung - entgegen der sog Ästhetisierung des Alltagslebens bis ins unbedeutende Detail von Gebrauchsartikeln. Vortrag, gehalten am 19.7.2002 auf dem 10. Internationalen Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (DGS) e.V. in Kassel Literatur Bezzel, C. 1996: Wittgenstein zur Einführung. Hamburg (3. Auflage) Bode, D. (Hgg.) 2000: Deutsche Gedichte. Eine Anthologie. Stuttgart Celan, P. 19777: Gedichte in zwie Bände. Zwieter Band. Frankfurt/ Main Delattre, P. 1965: Comparing the Phonetic Featueres of English, French, German and Spanish: An Interim Report. 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Angelus Silesius Mensch, werde wesentlich: denn wann die Welt vergeht, So fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht. C HRISTIAN H OFMANN VON H OFMANNSWALDAU An die Phillis. DEr und jener mag vor mir Das gelobte land ererben; Laß mich / Phillis / nur bey dir Auf den hohen hügeln sterben. Sprachkörper 89 C ONRAD F ERDINAND M EYER Der römische Brunnen Aufsteigt der Strahl und fallend gießt Er voll der Marmorschale Rund, Die, sich verschleiernd, überfließt In einer zweiten Schale Grund; Die zweite gibt, sie wird zu reich, Der dritten wallend ihre Flut, Und jede nimmt und gibt zugleich Und strömt und ruht G ERARD M ANLEY H OPKINS Pied Beauty Glory be to God for dappled things - For skies of couple-colour as a brinded cow; For rose-moles all in stipple upon trout that swim; Fresh-firecoal chestnut-falls; finches’ wings; Landscape plotted and pieced - fold, fallow, and plough; And áll trádes, their gear and tackle and trim. All things counter, original, spare, strange; Whatever is fickle, freckled (who knows how? ) With swift, slow; sweet, sour; adazzle, dim; He fathers-forth whose beauty is past change: Praise him. (Gescheckte Schönheit Ehre sei Gott für gesprenkelte Dinge - Für Himmel zwiefärbig wie eine gefleckte Kuh; Für rosige Male all hingetüpfelt auf schwimmender Forelle; Kastanien-Fall wie frische Feuerkohlen; Finkenflügel; Flur gestückt und in Flicken - Feldrain, Brache und Acker; Und alle Gewerbe, ihr Gewand und Geschirr und gerät. Alle Dinge verquer, ureigen, selten, wunderlich; Was immer veränderlich ist, scheckig (wer weiß wie? ) Mit schnell, langsam; süß, sauer; blitzend, trüg; Was er hervorzeugt, dessen Schönheit wandellos: Preis ihm. U. Clemen und F. Kemp) R AINER M ARIA R ILKE Schlußstück Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen Lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns. G IUSEPPE U NGARETTI Mattina M’illumino d’immenso Chris Bezzel 90 J UAN R AMÓN J IMÉNEZ La fusión (Die Verschmelzung Al amanecer, Bei Tagesanbruch el mundo me besa Küßt mich die Welt en tu boca, mujer. In/ mit deinem Mund, Frau.) P AUL C ELAN In den Flüssen nördlich der Zukunft werf ich das Netz aus, das du zögernd beschwerst mit von Steinen geschriebenen Schatten H ELMUT H EISSENBÜTTEL Einsätze I überall : immer und überall : je und je : morgens mittags und abends sogar im Büro : ein dies dies ist ein : wasfürein : wie am wenn auf oder in das heißt als was andersartiger als : und das was wenn nichts als dies und so fort : Fixierung fixiert : in der Lage ich man leit in genau ins man : chanisch chanisiert pfern : meta fern : Domizil mizivil zivil : ein Zel mir griffig mir greifend mir Kiel […] E RNST . J ANDL naturgedicht heu see