eJournals Italienisch 35/70

Italienisch
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
2013
3570 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Alessandra Riva: Traumboote nach Italien. Eine literatur- und kulturwissenschaftliche Untersuchung deutscher Italienschlager. Wilhelmsfeld: Gottfried Egert Verlag 2012, VII + 289 Seiten, € 49,00 (Studia litteraria, Bd. 14)

2013
Sieglinde Borvitz
136 Kurzrezensionen Alessandra Riva: Traumboote nach Italien. Eine literatur- und kulturwissenschaftliche Untersuchung deutscher Italienschlager. Wilhelmsfeld: Gottfried Egert Verlag 2012, VII + 289 Seiten, € 49,00 (Studia litteraria, Bd. 14) Wer kennt sie nicht, die fröhlich-verheißungsvollen Schlager der Fünfziger und Sechziger Jahre, in denen uns Peter Alexander, Caterina Valente, Vico Torriani oder Rudi Schuricke gen Süden locken: «Komm ein bisschen mit nach Italien» (1956). Diese Lieder stilisieren Italien als Sehnsuchtsort und Ferienland. Das besungene süße Leben, Gastronomie und Wein, der immer azurblaue Himmel, attraktive und leidenschaftliche Italiener und die Hoffnung auf Liebesabenteuer prägen die landläufige Vorstellung von Italien bis heute. Es ist das Verdienst von Alessandra Riva, sich dieses populärkulturellen Genres in einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Untersuchung aus der Perspektive der Imagologie angenommem zu haben. Gerade die Schlager bespiegeln die beidseitige Annäherungsbewegung der deutsch-italienischen Beziehungen insbesondere in der Nachkriegszeit und in den Jahren des Wirtschaftswunders, also den Moment, in dem der deutsche Massentourismus in Italien en vogue ist und die italienische Einwanderung in die industriellen Ballungszentren Deutschlands ihren Höhepunkt erreicht. Dementsprechend begreift Riva den Italienschlager als einen «Seismograph gesellschaftlicher Strömungen» (S. 33), der auch politische Veränderungen zu reflektieren vermag. Nach einer allgemeinen Einführung in die Gattung des Schlagers, verortet Riva den Italienschlager im historischen Kontext der deutsch-italienischen Kultur- und Austauschbeziehungen. Dabei knüpft die populäre Musik der 50er und 60er Jahre an das romantisierte Italienbild der Goethezeit an. Die Heraufbeschwörung jenes Arkadien steht auch hier im Zeichen des Eskapismus, «jedoch ohne die philosophischen Bedürfnisse ihrer gelehrten Vorläufer» (S. 207), sondern aus der Notwendigkeit heraus, den harten Alltag der Nachkriegszeit vergessen zu wollen. Die eingängigen, so unbeschwert daherkommenden Melodien bieten ein einfaches Universum und einfache Lösungen: Als verklärte und idyllische Traumwelt fungiert Italien hier - ähnlich wie das zu dieser Zeit beliebte Genre des Heimatfilms - als positive Folie und Gegenbild zur prekären Lebenswirklichkeit der meisten Bundesdeutschen: zu den zerstörten, noch in Trümmern liegenden Städten, zu Lebensmittelknappheit, zur Trauer über die Toten, zum bangen Warten auf noch Vermisste oder zur Suche nach einer neuen Heimat mehrerer Millionen Vertriebener, die sich auch noch Jahre danach ungewollt und nicht akzeptiert fühlen. 2_IH_Italienisch_70.indd 136 30.10.13 09: 25 137 Kurzrezensionen Das in den damaligen Hits evozierte Leben bietet Glücksversprechen, erlauben doch gerade die vagen Beschreibungen, die Stereotypen und das Aufrufen bekannter Elemente, dass die Hörer das zu einer Leerform avancierte Italienbild je nach Belieben, nach persönlichen Erfahrungen, Bedürfnissen und Wünschen aufladen können. Diese Schlüsse zieht Riva aus ihrer voluminösen Toposanalyse, der ein Korpus von 147 transkribierten Liedtexten zu Grunde liegt. Sie zeigt, wie die «Mutter des Fernwehschlagers» (S. 216) auf ein ganzes Arsenal tradierter Topoi rekurriert, diese reaktualisiert und so einen Diskurs über Italien formiert, in dem die Topoi als Italiensignale fungieren, um eine spezifische, verklärte «Italianität» heraufbeschwören. Riva zeigt also die Mythisierung Italiens durch die Schlager. Als «Traumboote» bieten sie für jeden Zugang zu jener glücklichen Scheinwelt. Reduziert auf emblematische Orte, welche sich schnell als die Hauptreiseziele des späteren Massentourismus herausstellen (neben Kunst- und Kulturstädten wie Rom, Florenz, Mailand, Verona oder Venedig, insbesondere der Golf von Neapel als Inbild der Sehnsucht und der Treueschwüre bei Sonnenuntergang (z.B. «Capri-Fischer» 1943, «Un bacio in Sorrento» 1959 u.v.m.), ferner die (Adria-) Küste und der Gardasee), verspricht der Zufluchtsort Italien Geselligkeit bei Wein, Gesang und Mandoline ebenso wie romantische Traumlandschaften als Kulisse für große Gefühle. Dass diese nur andauern, bis es heißt «Ciao Ciao Bambina» (1959), liegt auf der Hand. Dass es sich aber nicht lohne, einer alten Liebe hinterher zu weinen und dass freie Herzen schnell Ersatz finden, suggerieren viele der unterhaltenden Ohrwürmer. Schließlich geizt «das Land, wo die Zitronen blüh’n» (1950) weder mit schöner Natur noch mit menschlicher Wärme. Schnell kommt es zum Stelldichein mit kontaktfreudigen Einheimischen an lauen Frühlings- und Sommerabenden. Gerade die im Schlager besonders prominente Liebe bedarf eines italienischen Gegenübers. Dementsprechend bevölkern der ein oder andere heißblütige Gino, eine faszinierende, stolze Antonella oder die schöne Raffaella die Texte. Die fragmentierte Beschreibung ihrer Körper entspricht dem begehrenden Blick des lyrischen Ichs, welches von einem anziehenden Lächeln, dem schwarzen Haar, den schwarzen funkelnden Augen und den roten, süßen Lippen gefangen ist, stehen doch gerade Letztere für das Versprechen inniger Küsse. Während die Italienerinnen zunächst die ernsten Absichten prüfen und ihre Verehrer nicht selten erst einmal gleichgültig unter dem Fenster warten lassen, verhalten sich die italienischen Männer den Touristinnen gegenüber weitaus aufgeschlossener. Nicht selten erobert «Mr. Casanova» (1963) mit dem savoir faire des leidenschaftlichen, wenn auch routinierten Verführers die Frauenherzen - mit der für den Fremdenverkehr erfreulichen Folge: «Alle Damen fahren gern nach Italien» (1957). Natürlich befördert diese Form der Völkerfreundschaft auch den sprachlichen Austausch. Der durch den Praxis- 2_IH_Italienisch_70.indd 137 30.10.13 09: 25 13 8 Kurzrezensionen bezug erzielte Lernerfolg stellt sich schnell ein und wird stolz verkündet: «Ich hab über Nacht Italienisch studiert» (1953) - auch wenn sich das Vokabular zumeist auf ein gehauchtes «Amore» beschränkt, was dafür jedoch nicht oft genug wiederholt werden kann. Frivolität kennzeichnet das Genre von Beginn an,und der Italienschlager spielt nicht selten mit sexuellen Allusionen, die er bisweilen keck expliziert. So wenn der Publikumsliebling Peter Alexander darauf verweist, beim Mondenschein «zeigt ein richt’ger Italiener, was er kann» (S. 260). Dass es nicht bei einer Serenade bleibt, verdeutlicht Evelyn Künneke 1965 mit «Ferien auf Italienisch (Der Triebwagen)», wo eine misogyne Anklage von Sittenlosigkeit und weiblichem Sextourismus anklingt, die nicht zuletzt die Symptomatologie einer unterdrückten Angst zum Vorschein bringt. Insofern ist es nicht überraschend, dass dieses im Grunde ambivalente Verhältnis zu Italien als einer Fremde, die fasziniert, aber auch beunruhigt, zum Bild eines pittoreskverniedlichten Italien gerinnt, dessen Romantisierung zugleich eine symbolische Degradierung und somit Domestizierung impliziert. Dies gilt nicht nur für die von Conny Froboess besungenen «Zwei kleine[n] Italiener» (1962), die als Gastarbeiter schwer an ihrer Emigration zu tragen haben und voller Sehnsucht nach Neapel schauen, wo ihre Verlobten auf sie warten - ein Lied, dass die innerdeutsche Perspektive und die Einwanderung im Zuge des Anwerbeabkommen mit Italien von 1955 bespiegelt -, sondern ebenso für andere aufgerufene Topoi. Scheinen die Italienschlager aufgrund der von ihnen kreierten Images zunächst leicht und gedankenlos daher zu kommen, so lassen sie sich dennoch in einer «orientalistischen» Diskurstradition verorten, welche durch die ihnen implizit innewohnende Reduktion von Alterität insbesondere Aufschluss über Blick und Selbstverständnis des sprechenden Ichs geben. Auch wenn uns Riva diese Analyseansätze vorenthält, so schließt sie mit ihrer umfassenden, wenn auch etwas langatmigen Monographie ein Desiderat der Forschung, nicht nur weil sie sich eines spezifisch historischen Phänomens der deutschen Populärkultur annimmt, was lange unbeleuchtet und unterschätzt blieb. Auch wenn die Behandlung dieses Sujets mehr Esprit als eine extensive Wortfeldanalyse und aktuellere Quellen hätte erwarten lassen, so legt Riva dennoch einen Grundstein für weiterführende kulturwissenschaftliche Analysen. In diesem Sinne ließe sich, neben der bereits aufgezeigten Perspektive, beispielsweise nach den heutigen Auswirkungen solcher Stereotypen auf die europäischen Beziehungen fragen, oder inwiefern die in Oldie-Sendungen weiterhin gern gespielten «Traumboote» die eigene Vergangenheit verklären. Sieglinde Borvitz 2_IH_Italienisch_70.indd 138 30.10.13 09: 25