eJournals Italienisch 40/80

Italienisch
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
2018
4080 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Mario Isnenghi/Thomas Stauder/Lisa Bregantin: Identitätskonflikte und Gedächtniskonstruktionen. Die "Märtyrer des Trentino" vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg: Cesare Battisti, Fabio Filzi und Damiano Chiesa. Berlin: LIT Verlag Berlin, 2018 (Studien zur italienischen Literatur und Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts, Band 2), 402 Seiten, € 29,90

2018
Frank-Rutger Hausmann
14 3 Kurzrezensionen Mario Isnenghi / Thomas Stauder / Lisa Bregantin: Identitätskonflikte und Gedächtniskonstruktionen. Die «Märtyrer des Trentino» vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg: Cesare Battisti, Fabio Filzi und Damiano Chiesa. Berlin: LIT Verlag Berlin, 2018 (Studien zur italienischen Literatur und Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts, Band 2), 402 Seiten, € 29,90 Zwei italienische Historiker und ein deutscher Romanist legen ein eindringliches «Triptychon» vor: Präsentiert werden drei habsburgische Untertanen italienischer Abstammung, die im ersten Weltkrieg nach Italien desertierten, in der italienischen Armee gegen Österreich-Ungarn kämpften, in Gefangenschaft gerieten, nach den damaligen Gesetzen wegen Hochverrat zum Tode verurteilt und grausam (Standrecht) hingerichtet (gehängt bzw. erschossen) wurden und, insbesondere in der faschistischen Zeit, als Ikonen patriotischer Opferbereitschaft verherrlicht wurden. Erinnert sei daran, dass sich Italien bei Kriegsausbruch zunächst neutral verhielt und erst am 23. Mai 1915 Österreich-Ungarn den Krieg erklärte, was Kaiser Franz Joseph pathetisch für einen «Treubruch, dessengleichen die Geschichte nicht- kennt», erklärte. Mario Isnenghi, Professor emeritus für zeitgenössische Geschichte der Università Ca’ Foscari in Venedig, porträtiert den bekanntesten Vorkämpfer für den Anschluss des Trentino an Italien, Cesare Battisti (4.2.1875 Trient - 12.7.1916 ebd.); Thomas Stauder, Augsburger Romanist und höchst verdienstvoller Begründer der vielversprechenden Reihe, in welcher der vorliegende Band erscheint, Battistis Weggefährten Fabio Filzi (20.11.1884 Pisino - 12.7.1916 Trient) und seine drei Brüder Fausto, Mario und Ezio, die sich ebenfalls als Irredentisten hervortaten und von denen Fausto den Soldatentod starb; Lisa Bregantin, Forscherin an den Istituti per la Storia della Resistenza (Venedig und Treviso) und der ANCR (Associazione Nazionale Combattenti e Reduci, Padova), zeichnet das Schicksal von Damiano Chiesa (24.5.1894 Rovereto - 19.5.1916 Trient) nach. Battisti, bis heute der bekannteste Irredentist, war promovierter Geograph, Sozialdemokrat, Journalist, Abgeordneter im Wiener Reichsrat wie im Tiroler Landtag, Antimilitarist, Autonomist und Reformer. Als er nach Kriegsausbruch seine Hoffnung auf die Gewährung wenigstens einer Teilautonomie für den italienischen Bevölkerungsteil begraben musste, bekannte er sich zum Anschluss Welschtirols an Italien und wechselte die Seiten, um in der italienischen Armee für diese Ziele zu kämpfen und nicht die Waffen auf seine italienischen Brüder richten zu müssen. Die habsburgische Doppelmonarchie war ein Vielvölkerstaat, in dem die Italiener mit nur 2,8% der Gesamtbevölkerung (1910 800.000 Bürger) in den Kronländern Tirol und Istrien zwar nur eine kleine Minderheit bilde- Italienisch_80.indb 143 01.03.19 12: 09 14 4 Kurzrezensionen ten, die jedoch politisch besonders aktiv war. Der italienische Bevölkerungsteil konzentrierte sich um Trient, wo sich 42,1% der Bewohner zur italienischen Sprachgruppe bekannten. Keineswegs alle, jedoch viele junge und akademisch gebildete Italophone kämpften seit Ende des 19. Jahrhunderts um Anerkennung. Zu erinnern ist an die fatti di Innsbruck im Jahr 1904, als den intellektuell anspruchsvollen und bildungsbeflissenen italienischen Bürgern statt einer eigenen Universität nur eine juristische Fakultät konzediert wurde, die den heftigen Widerstand deutschnationaler Studenten entfachte und schon bald wieder geschlossen wurde. Die Verfasser liefern einlässliche, auf souveräner Stoffbeherrschung beruhende Porträtskizzen «della triade dei Martiri trentini», die durch einmaliges Bildmaterial, das einen besonderen Glanzpunkt ihrer Studie bildet, aufgelockert wird. Ihre Darstellung ist objektiv und lässt allen Parteien und ihren Standpunkten Gerechtigkeit widerfahren. Jedes Kapitel schließt mit einer Bibliographie. Stauder hat die beiden Kapitel seiner italienischen Co- Autoren in ein flüssiges, gut lesbares Deutsch übersetzt. Wenn er am Anfang konstatiert, das Thema der italienischstämmigen Freiheitskämpfer aus Südtirol zur Zeit des Ersten Weltkriegs habe eine grenzüberschreitende Perspektive, und die drei Porträts sollten Teil eines europäischen Erinnerungsdialogs sein, so soll dieser Gedanke zum Schluss der Rezension aufgegriffen werden: Die Verfasser vermeiden eine Aktualisierung der Südtirol-Frage, die schon längst kein «deutsches» Problem mehr ist. Dies hängt möglicherweise damit zusammen, dass Hitler, der sich ansonsten großspurig zum Beschützer aller außerhalb der deutschen Grenzen lebenden «Deutschen» aufspielte, die nach 1919 zu Italienern gewordenen Südtiroler aus Opportunitätsgründen seinem frühen Lehrmeister Mussolini «geopfert» hatte. In Österreich ist die Südtirol-Frage hingegen unterschwellig noch präsent. So will die Regierung Kurz angeblich der in Südtirol lebenden deutschsprachigen Minderheit die österreichische Staatsbürgerschaft anbieten, was in Italien für Verwunderung sorgt. In einem vereinigten Europa spielen territoriale Zugehörigkeiten nur noch eine untergeordnete Rolle. Aber gerade im Hinblick darauf wären Hinweise auf den jahrhundertelangen Kampf um die Brennergrenze willkommen gewesen, der durch führende Risorgimento-Ideologen wieder angefacht und 1919 im Frieden von Saint-Germain zugunsten Italiens entschieden wurde. Die hier porträtierten «Märtyrer des Trentino» hatten an dieser Entwicklung einen nicht zu unterschätzenden symbolischen Anteil, und es war im Geiste ihrer Zeit nur folgerichtig, dass Ihnen Grab- und Denkmäler errichtet wurden, die heute noch zu sehen sind. Frank-Rutger Hausmann Italienisch_80.indb 144 01.03.19 12: 09