eJournals Italienisch 40/79

Italienisch
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Narr Verlag Tübingen
2018
4079 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Giacomo Leopardi: Opuscula moralia oder Vom Lernen, über unsere Leiden zu lachen. Operette Morali, ausgesucht und übersetzt von Burkhart Kroeber auf Basis der Erstübersetzung von Paul Heyse. Berlin: Die andere Bibliothek, Band 389, 2017, € 42,00

2018
Franca Janowski
130 Kurzrezensionen Giacomo Leopardi: Opuscula moralia oder Vom Lernen, über unsere Leiden zu lachen. Operette Morali, ausgesucht und übersetzt von Burkhart Kroeber auf Basis der Erstübersetzung von Paul Heyse. Berlin: Die andere Bibliothek, Band 389, 2017, € 42,00 Giacomo Leopardis Operette Morali sind den Italienern ein geliebtes und vertrautes Opus So hatte der Regisseur Mario Mortone, dessen Film Il giovane favoloso (2014) über den Dichter aus Recanati sehr erfolgreich war, 2011 den Versuch gewagt, das Werk in einer Theater- Inszenierung zu präsentieren In der Tat eignet sich ein Text, bei dem Satire und Reflexion wie in einer Komödie dialogisch ineinandergreifen, vorzüglich als Vorlage für ein Bühnenwerk Vergleiche mit Lukians Geist, mit der philosophischen Tiefe Platons, mit der pathetischen Kraft von Torquato Tassos Prosa sind für diesen Text verwendet worden, den sogar ein denigratore Leopardis wie Niccolò Tommaseo als das am besten geschriebene Buch seines Jahrhunderts bezeichnet hat Natürlich sollte sich daher der deutsche Leser freuen, wenn - 39 Jahre nach der Übersetzung von Alice Vollenweider - der Text heute in der von Hans Magnus Enzensberger begründeten Anderen Bibliothek in einer auffällig gestalteten Ausgabe auf den Markt kommt Um so erfreulicher, wenn ein Burkhart Kroeber, der wunderbare Übersetzungen etwa von Calvino oder Eco verfasst hat, für diese Edition verantwortlich zeichnet Kroebers Intention ist eine doppelte: einerseits dem Namen eines bedeutenden Dichters, der in Deutschland lediglich unter Romanisten richtig bekannt ist, zu huldigen; andererseits einem in Vergessenheit geraten Kenner und Übersetzer italienischer Literatur, Paul Heyse, Gerechtigkeit zu erweisen Denn Kroebers Entscheidung, auf Paul Heyses Ausgabe von 1878 zurückzugreifen, ist auch polemisch intendiert Seine Recherchen haben offenbar ergeben, dass viele Passagen der späteren Übersetzungen ohne Angabe der Quelle aus Heyses Übertragung stammen Glücklich scheint mir die Wahl des Titels zu sein, der auf eine wörtliche Übersetzung wie ‘Kleine moralische Werke’ verzichtet Opuscula moralia bezeichnet eine Leopardi vertraute Gattung In einem Brief an seinen Mailänder Verleger Antonio Fortunato Stella vom 12 März 1826 bekundet er sein Interesse für ein in Leipzig erschienenes zweibändiges Werk von Johannes Conrad von Orelli aus dem Jahr 1821 Der Titel: Opuscula grae- Kurzrezensionen 131 corum veterum sententiosa et moralia - graece et latine Wie wir wissen, beschäftigte sich Leopardi, der auch ein bemerkenswerter Philologe war, in jener Zeit mit der Übertragung stoischer Philosophen aus dem Griechischen Besonders am Herzen lagen ihm aber seine Operette Morali, ein «manoscritto…più caro dei suoi occhi» - wie er im selben Brief bemerkt 1827 wird Stella das Werk, das 20 Texte enthielt, veröffentlichen Davon waren in der Florentiner Zeitschrift Antologia bereits drei Dialoge erschienen Der Untertitel Vom Lernen, über unsere Leiden zu lachen, den der Verleger Christian Döring «trefflich» nennt, ruft hingegen eine leise Skepsis hervor Man kann den Verdacht, das Buch als vergnügliche Lektüre leichter verkaufen zu wollen, nicht ganz von der Hand weisen Dennoch weckt der im Untertitel enthaltene Gedanke Interesse Über das Lachen verdanken wir Leopardi in der Prosa des Zibaldone oder der Pensieri tiefgründige Reflexionen, die vor allem auf die Macht des Lachens hinweisen Wirkungsvoll schreibt er beispielsweise im Zibaldone: «Schrecklich und awful ist die Kraft des Lachens: Wer den Mut hat zu lachen ist Herr über die anderen, so wie jener, der den Mut hat zu sterben» (Zib 4391, 23 Sept 1828) Lachen kann ein Ausdruck der Freude am Leben sein, wie die wunderbar leichte Operetta Elogio degli uccelli (Lob der Vögel) vermuten lässt Dort sind allerdings eher die geflügelten Kreaturen als die dem Unglück geweihten Menschen gemeint Aber in der komplexen Struktur der Operette Morali bleibt m .E die Bewertung des Lachens zweideutig Wird darin wirklich suggeriert, dass wir lernen können, über unsere Leiden zu lachen? In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass Heyse eine Auswahl getroffen hat, die auf zwei Texte verzichtet, die wegen ihrer biografischen Komponente lehrreich sind: Parini ovvero della gloria und Detti memorabili di Filippo Ottonieri Gravierender für die Problematik des Lachens ist aber m .E die Umstellung der Reihenfolge der letzten Operette Grundlage ist die Edizione postuma von 1845, die Antonio Ranieri nach dem Willen von Leopardi drucken ließ und mit dem Dialogo di Tristano e di un amico schloss Heyse ändert die Reihenfolge so, dass das Werk nun mit dem relativ ‘tröstenden’ Dialog zwischen Plotin und seinem Schüler Porphyrios schließt Erspart werden so dem Leser zunächst die trostlosen Worte Tristans, die nach Leopardis Entscheidung das Buch schließen sollten und als facit des Buches (miss)verstanden werden könnten: «Wenn der Tod mir naht, werde ich so ruhig und zufrieden sterben, als hätte ich nie etwas anderes auf der Welt erhofft und gewünscht Dies ist die einzige Wohltat, die mich mit dem Schicksal versöhnen kann» (Dialog zwischen Tristan und einem Freund, S 240) Heyse, dessen Aufsatz «Leopardis Weltanschauung» im Anhang der hier besprochenen Ausgabe abgedruckt wird, teilt die Neigung der romanti- Kurzrezensionen 132 schen Kritik, dem privaten Leben der Autoren zu viel Gewicht zu verleihen So nimmt die Diskussion über Pessimismus und Optimismus viel Platz im Text ein Andererseits ist es für einen Autor, der den Zibaldone (der erst 1898-1900 erschienen ist) und die darin enthaltene teoria del piacere nicht kennen konnte, bemerkenswert, dass er die Aufmerksamkeit auf Leopardis Bejahung des Willens zum Leben gelenkt hat Den Stil der Operette Morali kann man als eine poetische Prosa charakterisieren, die von einer tiefen Musikalität und rhythmischen Intensität geprägt ist Die Auswahl von seltenen, anmutig klingenden Worten geschieht im Geiste einer Poetik des vago und indefinito Eine reiche und eigenwillige Interpunktion soll Begriffe und Gedanken von einander trennen und intensiv fokussieren Die Sätze erscheinen wie die Strophen eines Gedichtes Lässt sich dies alles ins Deutsche übertragen? Zur Qualität von Heyses Übersetzung - insbesondere die Modernität der Sprache überrascht - sagt Kroeber zurecht: «Im allgemeinen hat Heyse […] das größte Problem dieser Übersetzung, nämlich den Umbau der italienische Syntax, zumal in ihrer kreativen Behandlung durch Leopardi, in eine dem Deutschen angemessene Form recht gut gemeistert» (S 308) Auf zwei Titel gehe ich kritisch ein: Sollte man bei dem großartigen metaphysischen Text: Il cantico del gallo silvestre wirklich die Übersetzung: Das Krähen des urigen Hahns von Heyse beibehalten? Zumal Kroeber den Werktitel zurecht verändert hat Im Italienischen weckt das Wort cantico Erinnerungen an den franziskanischen Cantico delle creature, aber auch an das biblische Cantico de’ Cantici (das Hohe Lied) Es klingt erhaben und traditionsbeladen Auch die Wahl des Beiworts für das mythologische Tier: der «urige» Hahn scheint mir nicht glücklich Sollte man denn nicht vielleicht lieber ein wenig frei sagen: Gesang des himmlischen Hahns? Das andere Beispiel betrifft den Dialogo di TorquatoTasso e del suo genio familiare Heyse übersetzt: Dialog zwischen Torquato Tasso und seinem vertrauten Flaschengeist Gewiss ist die Anspielung an den faustischen Homunculus reizvoll, dennoch: Wenn man die Bedeutung der klassischen Bildung für den Dichter aus Recanati bedenkt, sollte man hier nicht vor allem an den Schutzgeist der römischen Familie (genius) denken und lieber einfach vom ‘Hausgeist’ reden? Wir können Burkhart Kroeber für diese Edition dankbar sein Er hat nicht nur die Arbeit von Paul Heyse gewürdigt; er hat vor allem mit seiner bewährten Kompetenz und Sensibilität durch Korrekturen, Anmerkungen und ein Nachwort dem heutigen Leser ein ganz besonderes klassisches Werk wieder zugänglich gemacht . Franca Janowski