eJournals Italienisch 39/78

Italienisch
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
2017
3978 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Eine Rose für Claudio Monteverdi

2017
Florian Mehltretter
1 Eine Rose für Claudio Monteverdi Musikfreunde in aller Welt feiern dieses Jahr den 450 Geburtstag von Claudio Monteverdi (1567-1643) Seit der breiten Neurezeption barocker Musik der 1980er Jahre sind seine Opern, besonders L’Orfeo und L’incoronazione di Poppea, feste Bestandteile internationaler Spielpläne geworden und haben die Präsenz italienischsprachiger Dramatik auf den Bühnen der Welt weiter verstärkt Aber nicht deshalb soll Monteverdi Gegenstand dieses Editorials sein, sondern wegen seiner Rolle für die Wahrnehmung italienischer Lyrik Wie viel Petrarca oder Tasso, ganz zu schweigen von Guarini oder Marino, wird heute außerhalb Italiens gelesen oder rezitiert? Wie ausgeprägt ist das Bewusstsein für die Eigenart der frühneuzeitlichen italienischen Anverwandlung von Traditionen der Liebeslyrik, für die darin liegende Kulturleistung - und für ihren ästhetischen Wert? Die Antwort wird in jedem Falle vorsichtig ausfallen, aber in Konzertsälen und auf Tonträgern üben sich amerikanische, deutsche, russische oder japanische Musiker mit Hilfe der Madrigalkompositionen vor allem Monteverdis in petrarkistischem Liebeskrieg und pastoralem Seufzen, bejubelt von Hörern, die anhand von Übersetzungen auch den Text würdigen - nicht zuletzt, da diese Art der Musik den Text sehr differenziert ausdeutet Die acht (zusammen mit einem posthum publizierten: neun) Madrigalbücher Monteverdis sind ein Kosmos italienischer Poesie, von allerlei Anonymi über nicht zu unterschätzende Größen ihrer Zeit wie Rinuccini, Guarini, Grillo und Marino bis hin zu Höhepunkten der Weltliteratur wie Petrarca und Tasso Sie stellen die Klanglichkeit, Affektwelt und Semantik dieser Dichtung intensiv und verdichtet vor unser Ohr und Auge und lassen auch die Qualitäten der traditionell als Minori eingeschätzten Autoren hervortreten Dabei sind die Bücher selbst Mikrokosmen, die häufig die Einzeltexte in interessante makrotextuelle Zusammenhänge überführen Dies gilt nicht nur für die strenge Ordnung des berühmten achten Buches, der Madrigali guerrieri et amorosi von 1638, das Liebe und Krieg in strenger Symmetrie - mit je einem Proömialsonett, einem kanonischen Petrarcasonett, einer Reihe von Vertonungen kleinerer zeitgenössischer Texte und einem in den dramatischen Darstellungsmodus wechselnden Abschluss - einander gegenüberstellt und metaphorisch aufeinander bezieht Es gilt auch für weniger auffällige Zyklen wie etwa das dritte Madrigalbuch von 1592, dessen raffinierte interne Gruppenbildung und dessen packender Intensivierungsverlauf bei jedem Hören mehr beeindruckt Monteverdi gibt der frühneuzeitlichen Lyrik Präsenz und Vitalität Damit widerlegt er die immer noch beliebte Verfallsgeschichte, der zu Folge ab etwa 1550 in Italien eine lange Epoche kulturellen Niedergangs beginnt Auch deshalb sollten wir eine frische Rose auf Monteverdis Grab in der Frari-Kirche zu Venedig legen .