eJournals Italienisch 38/76

Italienisch
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
2016
3876 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Alice Malzacher: «Il nodo che…me ritenne…». Riflessi intertestuali della ‘Vita Nuova’ di Dante nei ‘Rerum vulgarium fragmenta’ di Petrarca, Strumenti di letteratura italiana 41, Firenze: Cesati 2013, 297 Seiten, € 25,00

2016
Hermann H. Wetzel
Kurzrezensionen 14 3 Alice Malzacher: «Il nodo che…me ritenne…». Riflessi intertestuali della ‘Vita Nuova’ di Dante nei ‘Rerum vulgarium fragmenta’ di Petrarca , Strumenti di letteratura italiana 41, firenze: Cesati 2013, 297 Seiten, € 25,00 Die Untersuchung bearbeitet ein ideales Dissertationsthema, da sie theoretisch-methodische Überlegungen und philologische Detailarbeit an konkreten, überschaubaren Texten gleichermaßen verlangt Seit Bachtin und Kristeva gehören Dialogizität und Intertextualität zu den meistdiskutierten Grundlagen der Literaturwissenschaft Malzacher zieht angesichts der beiden in Beziehung gesetzten Werke (ergänzt durch die einschlägigen Stellen in der Commedia) mit Recht jedoch einen von Broich/ Pfister und Hempfer favorisierten enger gefassten Begriff von Intertextualität vor, der sich auf identifizierbare Texte beschränkt («Sarà dunque il maggiore interesse di questo lavoro di concepire come nell’atto di trasformazione dell’ipotesto dantesco nasca il nuovo e mutato significato petrarchesco .», S 34) Methodisch lehnt sich Malzacher überdies an Kuon und seine Typologie der verschiedenen Beziehungsformen zwischen Dante und seinen Nachfolgern an Petrarcas Canzoniere ist darüber hinaus noch ein besonders dankbarer Gegenstand, als er sich generell über die aemulatio und imitatio der Alten als auch über sein Verhältnis zu Dante theoretisch geäußert hat, wenn auch zum Teil widersprüchlich Ein erster Block (Kap 2, S 49-118) untersucht die Beziehung von Dantes Canzone Donne ch’avete intellecto d’amore , zusammen mit ihrem Kontext in der Vita Nuova (Kap X) und in der Commedia (Purgatorio XXIV) als Muster des Stilnovismo, zu Petrarcas canzoni degli occhi (RVF 71-73), speziell zu den ersten beiden Stanzen von RVF 71 Malzacher beschränkt sich nicht auf die Aufzählung lexikalischer und motivischer Anleihen beim Stilnovismo noch auf Analogien in der Positionierung innerhalb der verglichenen Werke, sondern sie benützt die Analyse der Ähnlichkeiten und Unterschiede zu einer beispielhaften Demonstration dessen, was sie mit Pfister ein «Optimum an Dialogizität» nennt Die Anklänge an Dantes ‚neuen Stil‘, der das vom amor cortese geerbte persönlich involvierte Ich und seine Ansprüche zugunsten der Spiritualisierung der Liebesbeziehung und des Lobes der Geliebten zurücknimmt, sind daher nach Malzacher keine Wiederaufnahme (neo-stilnovismo petrarchesco, S 54), sondern Aufhänger für einen kritischen Dialog, in dem Petrarca seine geradezu entgegengesetzte poetica della presenza als eine Art «contro-manifesto» (S 114) gegen den Stilnovismo entfaltet Die Hoffnung des Liebenden auf einen belohnenden Blick in RVF 73 erscheint als deutlicher Rückgriff, wenn nicht als Regression auf die höfische Liebe (S 92) 2_IH_Italienisch_76.indd 143 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 14 4 Malzacher bietet unter den vielen scharfsinnigen Beobachtungen etwa über Dantes Bemühen, nicht von sich in der ersten Person zu sprechen, während Petrarca das Ich in den Vordergrund stellt (S 76), wie auch über den Wechsel vom (eher erzählend distanzierten) Endecasillabo Dantes zu einem (emotiveren) Settenario in den Eingangszeilen von Petrarcas Canzone 71 (S 90) - zum Teil auch solche, von deren Pertinenz sie selbst nicht so ganz überzeugt zu sein scheint («va forse aldilà di una mera speculazione», S 63), wenn sie in den Versen 5/ 6 von RVF 71 in der mehrfach disseminierten Silbenfolge la und do ein «phonisches Echo» der Danteschen loda sieht, wobei der subjektiv empfundene Schmerz (la doglia) bei aller lautlichen Ähnlichkeit im semantischen Kontrast zum entpersönlichten stilnovistischen Lob der Geliebten (la loda) steht Zumal die titelgebende Metapher des nodo (aus Purgatorio XXIV) eignet sich als Beispiel für den spezifischen Dialog zwischen Petrarca und Dante Dieser Dialog geht insofern weit über das im Untertitel Versprochene hinaus, als die Arbeit nicht nur «riflessi» nachweist, sondern exemplifiziert, wie Petrarca das stilnovistische Material gegen grundlegende Errungenschaften des Stilnovismo wendet Während Dante sich dank Amor mit seinem «neuen Stil» und seiner distanzierten Betrachtung der Geliebten von den Fesseln der traditionellen höfischen Poesie befreit, bekommt der nodo bei Petrarca unter dem Eindruck der poetica della presenza eine andere Bedeutung: Es ist die unmittelbare Gegenwart der Geliebten, die zunächst seine Zunge fesselt, letztlich aber zum Ursprung seiner Dichtung wird «Le ‘canzoni degli occhi’ sono infatti indubbiamente già la manifestazione di quelle nuove rime di cui parla Petrarca Ed esse si realizzano nella rappresentazione immediata della condizione dell’innamorato, e non, come in Dante, nella sublimazione della stessa esperienza .» (S 109) Petrarca knüpft hierbei jedoch schon an zwei widersprüchliche Modelle Dantes selbst an (S 252 ff .): Einmal an das ‘Modell Beatrice’, geprägt von der Abwesenheit, der metaphysischen und heilsgeschichtlichen Funktion der Geliebten, und an das Gegenmodell der ‘donna pietosa’, die für sinnliche Präsenz und gleichzeitig für den drohenden Heilsverlust steht Doch diese antithetische Bewertung der beiden Modelle wird in der Vita Nuova dem Prosateil überantwortet In den Gedichten über Laura dagegen vereinen sich die widersprüchlichen Konzeptionen der Vita Nuova ohne eine klare moralische Entscheidung für eines der Modelle, ja Malzacher sieht in dieser Ambivalenz gar den Motor von Petrarcas Dichtung Dante jedoch Kontrollverlust und Inkohärenz (S 254) vorzuwerfen, weil er die Figur der ‘donna pietosa’ eingeführt hat, scheint mir nicht berechtigt; im Gegenteil, es handelt sich ganz offensichtlich um eine kontrollierte Ambiguität 2_IH_Italienisch_76.indd 144 23.12.16 09: 52 Kurzrezensionen 14 5 «Anche se questi componimenti vengono stilizzati dal commento in prosa composto a posteriori come un errore, e con ciò integrati in modo apparentemente coerente con lo schema ascensionale della narrazione, l’amore sensuale per la ‘donna pietosa’ lascia un’impressione intensa Si può dunque per dare assodato che Dante talvolta nel suo tentativo di costruire un discorso congruo non abbia il controllo completo su eventuali incongruenze Se Petrarca per converso dichiara sin dall’inizio l’esperienze amorosa come un’esperienza in sé contraddittoria e lascia convivere l’uno con l’altro diversi elementi, egli appare alla fine nelle sua dichiarata contraddittorietà più coerente di Dante, che nella sua dichiarata coerenza era divenuto incoerente .» Das wäre etwa so, wie wenn man Dante vorwürfe, dass er Francesca in die Hölle verbannt, obwohl er doch ihren Sündenfall mit offensichtlichem Einfühlungsvermögen und mit Verständnis gestaltet, oder den moralischen Diskurs von Boccaccios Vorwort zum Decameron gegen seine Novellen ausspielte Der theoretisch-systematische Diskurs ist das eine, der poetische das andere Sollte die Poesie nicht doch anderen Gesetzen gehorchen als die Moral? Ob die Verteilung auf zweierlei Diskursformen weniger kontrolliert ist als Ambiguitäten innerhalb einer einzigen, scheint mir nicht ausgemacht Unstrittig ist dagegen die explizite Bezugnahme auf Dantes Hypotexte und die Feststellung einer historischen Entwicklung Viele der Korrespondenzen wurden von der Forschung schon früher konstatiert Doch Frau Malzacher hat die Möglichkeiten eines solchen Dialogs zwischen den Texten in beispielhafter Weise ausgelotet, indem sie ihn auf die unterschiedliche Poetik der beiden Autoren bezog und didaktisch so überzeugend darstellte, dass man die Dissertation als Grundlage eines Seminars nehmen möchte . Hermann H . Wetzel 2_IH_Italienisch_76.indd 145 23.12.16 09: 52