eJournals Italienisch 38/76

Italienisch
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
2016
3876 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Italienische Esskultur

2016
Christine Ott
1 Italienische Esskultur Italien ist seit Jahrzehnten eines der weltweit beliebtesten Ziele nicht nur des Kultur-, sondern auch des Gastro-Tourismus - das weiß man hierzulande nur zu gut Die Pasta- und Cappuccino-Kultur hat ihrerseits derart in den deutschen Alltag Einzug gehalten, dass so mancher Bundesbürger von sich behauptet, in der Küche ein Italiener zu sein Auch die Slow-Food-Bewegung kommt ursprünglich aus Italien Weniger bekannt ist, dass die Ursprünge von Slow Food eng mit der kommunistischen Partei in Italien zusammenhängen In den 1980er Jahren begann die kommunistische Zeitschrift Manifesto, eine Beilage namens Il Gambero Rosso zu publizieren Deren auch selbstironischer Titel spielt auf eine Episode in Carlo Collodis Pinocchio an Der Holzbengel gelangt hier in die Osteria del gambero rosso (also das Wirtshaus zum roten Krebs), wo er einem betrügerischen Wirt auf den Leim geht, der mit seinen Gegenspielern unter einer Decke steckt Vor ähnlichen Erfahrungen im Bereich der Gastronomie möchte die Zeitschrift ihre Leser schützen: durch Restaurant-Kritiken und einen Weinführer 1987 fing Il Gambero Rosso an, mit Carlo Petrini, dem Begründer von Slow Food, zusammenzuarbeiten Zwei Jahre später wurde Slow Food offiziell gegründet - zu den Unterzeichnern des Manifests gehören unter anderem Dario Fo und Gerardo Chiaromonte, Direktor der kommunistischen Zeitung Unità Es ging der Bewegung, die eine Schnecke zu ihrem Symbol erhob, nicht nur darum, billigem und schlechtem Fast Food eine Rückbesinnung auf gutes Essen entgegenzusetzen Vielmehr übte Slow Food im Zeichen einer neuen Langsamkeit Kritik am schnellebigen Geist des Kapitalismus Seitdem hat sich viel getan, die kleine Schnecke ist zum Label geworden, unter dem regionale Produkte vermarktet werden - zu teuer vermarktet, sagen kritische Stimmen Nicht nur unter dem Label von Slow Food hat sich in Italien ein Authentizitätsdiskurs entwickelt, der gutes Essen gleichsam zum italienischen Vorrecht erklärt und bisweilen nicht frei von nationalistischen Implikationen ist Die Emphase, mit der Italiener zuweilen die Authentizität ihrer Esskultur und ihrer Produkte behaupten, ist aber wohl auch eine Reaktion auf die Folgen des EU- Lebensmittelmarktes sowie auf die Globalisierung überhaupt Viele italienische Lebensmittelhersteller sehen sich aufgrund der EU-Lebensmittelgesetze einer Diskriminierung von Inlandsprodukten ausgesetzt Wenn nämlich für Importwaren niedrigere Standards gelten als für die heimischen Produkte, wird der Markt von billigen Importprodukten überschwemmt; andererseits können italienische Exportprodukte kaum mehr mit den kostengünstigeren Imitaten mithalten Als Reaktion auf die Problematik des falschen Made in Italy, das freilich nicht nur den Lebensmittelsektor, diesen aber doch in einem hohen Maß betrifft, haben der italienische Landwirtschaftsverband Confagricoltura und die beiden italienischen Handelskammern in Deutschland unter der Leitung von Emanuele Gatti 2015 die Initiative Italian Sounding ins Leben gerufen Ihr Ziel ist es, in Deutschland hergestellte und fälschlicherweise eine italienische Herkunft suggerierende Produkte zu sanktionieren Auch wenn Italian Sounding in Italien berechtigte Sorgen um den Erhalt des Marktwerts italienischer Produkte hervorruft, ist es ein eindrucksvoller Beleg für den hohen Stellenwert, den die italienische Gastronomie in Deutschland genießt (Das gleiche gilt für Mode und Design ) Wenn die Deutschen lernen sollen, die Kopie vom Original zu unterscheiden, dürfen sie also in der Küche weiterhin ‘Italiener’ bleiben - und nicht nur in der Küche Schließlich bedeuten nationale Küchen nichts ohne das historische, kulturelle, ökonomische Substrat, aus dem sie erwachsen sind Italienische Küche lieben sollte deshalb immer auch bedeuten, italienische Kultur zu lieben 2_IH_Italienisch_76.indd 1 23.12.16 09: 52