eJournals Forum Modernes Theater 24/1

Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2009
241 Balme

“Können Neger blond sein?” – “Du, die sind zu allem fähig!”

2009
Danièle Galiby-Daude
“Können Neger blond sein? ” - “Du, die sind zu allem fähig! ” Zur Inszenierung der Zauberflöte von Hans Neuenfels Danièle Galiby-Daude (Berlin) “Ich weiß nur allzu viel - Weiß, daß deine Seele ebenso schwarz als dein Gesicht ist.” (Die Zauberflöte, Sarastro Elfter Auftritt) Opernkonventionen Am 25. November 2006 schließt die Komische Oper Berlin ihren Mozart-Zyklus mit der Zauberflöte unter der Regie von Hans Neuenfels. Dass Neuenfels keine illustrative Märchenoper auf die Bühne stellen würde, war zu erwarten, sorgte sein Idomeneo doch kurze Zeit zuvor für die Erhitzung der aktuellen Debatte um die Mohammed-Karikaturen. Sex auf der Bühne sowie die Frage danach, ob die Aufführungspraxis der Oper veraltet sei, zeichnen sich schnell als Leitlinien seiner Inszenierung der Zauberflöte ab: Als szenische Mittel setzt der Regisseur unter anderem einen über einen Meter langen Penis als Flöte und einen silbernen Hodenbaum als Glokkenspiel ein, außerdem einen sexuell frustrierten und onanierenden Papageno und einen homosexuellen, pädophilen Priester. Unser Augenmerk richtet sich jedoch auf den zweiten Aspekt: auf die Kritik an den veralteten Dramaturgien und Aufführungspraktiken der zeitgenössischen Oper. Neuenfels erweitert das Ensemble um drei zusätzliche Figuren: Marie-Louise, die französische Leiterin einer Schauspieltruppe (Elisabeth Trissenaar) und ihre zwei Gehilfen Franz (Ludwig Blockbeger) und Xaver (Alexander Heidenreich). Die von Neuenfels selbst verfassten Dialoge lassen die aufklärerische Intention des Regisseurs von Anfang an erkennen. Das Spiel ist emphatisch und der Grundton der Inszenierung plakativ. Hinsichtlich der intendierten Kritik am Opernbetrieb erweist sich die Beschäftigung des Regisseurs mit der Neben-Figur Monostatos als besonders aufschlussreich. Auf der dramatischen wie auf der szenischen Ebene stellt Monostatos jeden Regisseur vor eine Herausforderung. Er steht abseits - nicht zuletzt durch seine Schwarze Hautfarbe, die nach altem Komödienrecht auf seine Bösartigkeit schließen lässt. […] Monostatos, d.h. seine Arie, ist das Gegenbild zur Liebe Taminos, Papagenos und Paminas, ja auch zur allgemeinen Menschenliebe Sarastros. Seine Lüsternheit stiftet keine Beziehung. 1 Zudem wird jeder Regisseur, der sich mit der Zauberflöte beschäftigt, mit einer starken Aufführungstradition konfrontiert. 2 In dieser Hinsicht erweist sich die Darstellung des Monostatos nicht nur als gattungsspezifische, sondern als durch und durch kulturhistorische Problematik. Kunze erwähnt die schwarze Hautfarbe der Figur als traditionelles Symbol des Bösen in der Komödie. Sicherlich bildet das Komische einen Teilaspekt der musikdramatischen und szenischen Konstruktionen dieser Figur. Der ideologische Boden dieser Konvention reizt allerdings nicht zum Lachen. Denn Monostatos werden Merkmale wie dumm, böse, unterwürfig, lüstern, schreckhaft, feige zugeschrieben. Kurz: es handelt sich bei diesen Zuschreibungen um eine bildliche Übertragung des Be- Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 19-30. Gunter Narr Verlag Tübingen 20 Danièle Galiby-Daude griffs NEGER 3 auf die Bühne - und zwar ohne Anführungszeichen. Die Stigmatisierung der Figur Monostatos verfestigte sich im Laufe der Aufführungsgeschichte im Sinne des rassistischen Begriffs NEGER, bis diese den Status einer Aufführungskonvention erreichte und damit legitimiert und normalisiert wurde. Eine Konvention, der eine während der europäischen so genannten Aufklärung systematisierte Rassentheorie 4 zugrunde liegt, muss hinterfragt werden. Dies tat Neuenfels, indem er versuchte, solcherart rassisierte Darstellungen zu thematisieren. 5 Gewiss ist der Versuch, rassisierte Darstellungen zu demaskieren, sei es durch inszenatorische oder akademische Arbeiten, zunächst begrüßenswert. Immerhin erkannte Neuenfels die von der Figur Monostatos ausgehende Problematik und versuchte ihr entgegenzuwirken. Der gute Vorsatz allein reicht aber zu einer erfolgreichen Demaskierung oder Entlarvung rassisierter Inhalte nicht aus. Im musiktheatralen Bereich wird die Demaskierung (wie in jeder auf Re-Präsentation basierenden künstlerischen Ausdrucksform) zusätzlich dadurch erschwert, dass rassisierte Darstellungen ästhetisiert und dadurch verharmlost werden. Oft wird argumentiert, dass ‘es’ doch im Werk stehe oder, dass die Inszenierung eben einer Aufführungstradition gehorche. Der Gedanke, dass jegliche rassisierten Darstellungen im Grunde genommen nichts anderes als eine Aufführungstradition seien, ist nicht nur falsch, da sich die Aufführungsgeschichte der Oper einer ihrer prägenden Bestandteile ist, sondern auch inakzeptabel, denn er rechtfertigt rassisierte Darstellungen. Sowohl in der Inszenierungspraxis wie auch in der Forschung besteht ein dringender Nachholbedarf, was die Auseinandersetzung mit rassisierten Inhalten anbelangt. Zunächst einmal fehlt die theoretische Grundlage zur Auseinandersetzung mit diesem durchaus unangenehmen Thema. Hinzu kommt die Komplexität des musiktheatralen Forschungsgegenstands. Die musikwissenschaftliche Opernforschung gibt hierzu eine unmissverständliche Einschätzung, indem sie jegliche szenische Komponente als außermusikalische Angelegenheit bezeichnet und sie damit von jeglicher Betrachtung ausschließt. Die Theaterwissenschaft hingegen kann sich dem Thema nur schwer entziehen, denn ihr Forschungsgegenstand ist nun einmal das theatrale Ereignis, also die Inszenierung und die Aufführung. 6 Die Auseinandersetzung mit rassisierten Darstellungen wird demnach aus einer theaterorientierten Perspektive erfolgen, welche den spezifischen Forschungsgegenstand Oper bzw. Musiktheater als Ergebnis und Teil eines kulturhistorischen Kontextes betrachtet. Denn es gilt jene Tradition und jenen akademischen Diskurs, welche Rassismus banalisieren und unsichtbar machen, zu benennen und zu hinterfragen. Dieser Artikel versteht sich als einen Beitrag zu dieser wesentlichen, und dennoch vernachlässigten Problematik der Opernpraxis und -forschung. Daher erfolgt die Analyse von Neuenfels’ Kritik an einem Aspekt der Operntradition, nämlich der Darstellung des Monostatos, auf zwei Ebenen. Zunächst werden die szenischen Mittel seiner Entlarvungsstrategien anhand dreier repräsentativer Beispiele untersucht: erstens der Monostatos-Arie; zweitens des Aufklärungsdialogs zwischen Franz und Xaver und drittens der kurzen Dialogstelle zwischen Monostatos und Marie-Louise. Der Erfolg der Entlarvung wird dabei geprüft, indem die ideologischen Voraussetzungen, wovon diese Mittel ausgehen und woran sie appellieren, untersucht werden. Vor diesem Hintergrund wird weiter der akademische Diskurs anhand seiner drei tragenden und auffälligsten Argumente analysiert. Genauso wie Mysogynie den Mann - bzw. eine androzentrische Perspektive - als Normalität voraussetzt, wird Rassismus erst durch die gleichermaßen konstruierte Kategorie des Weißseins bedingt und allererst ermöglicht. Ich werde daher an “Können Neger blond sein? ” 21 die deutschsprachige Weißsein-Forschung anknüpfen, welche für die folgende Argumentation grundlegende Erkenntnisse liefert und damit eine erste Bestandaufnahme für den Bereich der Operntheorie und -praxis ermöglicht. Beispiel 1: Auftritt und Fall des Monostatos: “Alles fühlt der Liebe Freuden” Ich habe meinem Agent gesagt, ich habe nichts dagegen einen NEGER, den Monostatos, zu spielen, wenn man erkennt, dass ich keiner bin. (Dialog aus der Zauberflöte, Neuenfels) Es sei hier zunächst kurz an die textlichen und musikalischen Vorgaben erinnert: Gliederung Taktzahlen Tonarten Dynamik u. Motivik Libretto und Regieanweisungen Orchester Vorspiel 1-9 C-Dur Allegro 2/ 4 1. pp, doch meist mf - f gespielt 2. Motiv: Thematisch (Holzbläser und V I) Pointierter Rhythmus/ Begleitung rasche Sechzehntel (Streicher außer V I) (Alles wird so piano gesungen und gespielt, als wenn die Musik in weiter Entfernung wäre) Durchführung 10-43 A 10-24 C-Dur Ritournelle a1 10-14 1. “Alles fühlt der Liebe Freuden, schnäbelt, tändelt, herzt und küsst; ” 2. “Drum so will ich weil ich lebe, schnäbeln, küssen, zärtlich sein! ” a2 15-20 18-20 Modul. in G- Dur 1. “und ich soll die Liebe meiden, weil ein Schwarzer hässlich ist! ” 2. “Lieber, guter Mond, vergebe, eine Weiße nahm mich ein.” a1 21-25 G-Dur B 25-34 G-Dur Kontrastierender Divertissement b1 25-28 Wird meist p - mp gespielt 1. “Ist mir denn kein Herz gegeben? ” 2. “Weiß ist schön, ich muß sie küssen” b2 29-34 1. “bin ich nicht vom Fleisch und Blut? ” 2. “Mond! verstecke dich dazu.” A’ (a1+ a2) 35-43 C-Dur Coda 1. “Immer ohne Weibchen leben, wäre wahrlich Höllenglut! ” 2. “Sollt’ es dich zu sehr verdrießen, o, so mach die Augen zu.” Orchester Nachspiel 43-49 C-Dur (er schleicht langsam und leise zu Pamina hin) 22 Danièle Galiby-Daude Schikaneder und Mozart bemühen sich nicht sonderlich darum, Monostatos Tiefe zu verleihen. Sie geben ihm zwar im Ansatz dramatische Züge, zerstören diese jedoch gleichzeitig, indem sie sie oberflächlich halten und nicht weiter verfolgen. Textlich verweisen die drei ersten Strophen des Librettos auf die Einsamkeit der Figur. Monostatos klagt über seinen Staus im Reich Sarastros: von allen verstoßen und nicht ernst genommen. Selbst eine Partnerin wird ihm verweigert, “weil ein Schwarzer hässlich ist”. Doch die vierte Strophe setzt der mühsam aufgebauten Tragik der Figur ein abruptes Ende und lässt sie ins Bestialische abstürzen. Amüsiert kündigt Monostatos schamlos und selbstverständlich seine Absicht der Vergewaltigung Paminas an. Musikalisch könnte diese extrem kurze Aria da Capo ABA’ (49 Takte) kaum einfacher sein: C-Dur (A) geht auf die Dominante G-Dur (B) und kehrt etwas bereichert auf der ursprünglichen Tonart C-Dur (A’) zurück. Tempo: Allegro. Das kontrastierende Divertissement, das aus zwei Motiven besteht, lässt allerdings wenig Raum für einfühlsamen Ausdruck (10 Takte). Es handelt sich also nicht um ein Klagelied. Der rasche 2/ 4-Takt und der punktierte hastige Rhythmus des Themas auf die Sechzehntel der Bässe erwecken einen Eindruck der Hektik. Hier deutet sich Monostatos’ sexuelle Erregung bereits an. Mozart hatte hier offensichtlich kein Interesse daran, Monostatos als Mitleid erregende Figur darzustellen. Er nimmt ihn so wenig ernst, dass er ihn auf zwei völlig unterschiedliche Inhalte die gleiche Melodie singen lässt, nämlich “weil ein Schwarzer hässlich ist” als Klage über seine einsame Situation im Reich Sarastros und “eine Weiße nahm mich ein” als Ausdruck der Hoffnung über einen möglichen Ausweg aus seiner einsamen Situation durch die Bindung mit einer Frau. Wie stellt sich Neuenfels zu diesem Inhalt? Er lässt Monostatos mit schwarzer Schminke und überdimensionierter roter Bemalung der Lippen auftreten. Dieses szenische ‘Nachäffen’ von Schwarzen hat natürlich eine Geschichte, die mit der des Kolonialismus in Verbindung steht und entsprechend weit zurückreicht. Berühmt und verbreitet wurde diese szenische Karikatur von Schwarzen jedoch erst später, und zwar durch den Erfolg der Minstrel Shows und ihrer Titel- Figur Jim Crow auf US-amerikanischen Bühnen im 19. Jahrhundert. Die Show wurde von weißen Schauspielern präsentiert, welche die von ihrem weißen Umfeld den Schwarzen zugeschriebenen Attribute - dumm, lüstern, lustig, böse, feige, unterwürfig usw. - tänzerisch und gesanglich illustrierten. Diese Zuschreibungen basierten auf bereits propagierten und praktizierten Formen im abendländischen Raum und in den Kolonien. Die Minstrel Shows tourten auch durch Europa und machten dort Schule. Ihre Funktion war eine doppelte. Einerseits affirmierten sie rassistische Normsetzungen beziehungsweise die Ideologie einer weißen Überlegenheit, andererseits trugen sie zur nachträglichen Rechtfertigung der über vier Jahrhunderte andauernde Deportierung afrikanischer Menschen als Sklaven in die Karibik und nach Amerika bei. 7 Ich gehe davon aus, dass die Absurdität und die Gefährlichkeit der Rassen- Ideologie jedem klar sind und werde sie daher nicht weiter ausführen. Wenn man aber dieser Ideologie entgegen zu wirken gedenkt, sollten ihre Mechanismen nachvollzogen werden. Und zwar nicht auf einer abstrahierenden Makro-Ebene, sondern auf der individuellen Mikro-Ebene. In dieser Hinsicht erweist sich die Reflexion über die Konstruktion von Weiß-Sein beziehungsweise über die eigene Positionierung innerhalb dieses Kontextes als unverzichtbar. “Können Neger blond sein? ” 23 Wie ist der ‘Bananen-Esser’ zu deuten? Einer verbreiteten Ansicht gemäß ist diese Figur nichts als ein weiteres Zeichen einer überladenen, sexualisierten Zauberflöte. Genauso wie Monostatos’ Hautfarbe ausschließlich anhand einer Komödienkonvention nicht zu verstehen ist, ist diese rassisierte Darstellung nicht ohne ihren ideologischen, genauer: rassenideologischen Hintergrund zu erklären. An dieser Stelle lässt sich ein begrifflicher Exkurs nicht vermeiden. Wie bereits in der Darstellung der Minstrel Shows erwähnt, funktioniert die Rassen-Ideologie durch die Kategorisierung von Menschen aufgrund ihnen zugeschriebener Merkmale. Es handelt sich dabei um eine Übertragung der darwinschen Evolutionstheorie auf die menschliche Kultur, die Machtverhältnisse naturalisiert und somit legitimiert. Dabei werden Schwarze als eine Art Zwischenstufe zwischen dem Affen und dem der weißen ‘Herrenmenschen’ dargestellt. 8 Wenn Neuenfels seinen schwarz geschminkten Schauspieler langsam und genussvoll eine Banane essen lässt, rekurriert er auf diesen Zusammenhang. Vor diesem Hintergrund will ich nun Prämissen und Auswirkungen des vorgestellten Dialogs ergründen. Fraglich ist, wie die von Neuenfels angestrebte Entlarvung der Rassenideologie stattfindet. Die Bloßstellung ist zu Beginn des Dialogs plakativ eingeführt. Dennoch gilt es zur Art der Entlarvung an dieser Stelle einige Fragen zu stellen: wird durch ein solches offensives ‘Alibi’ die Verwendung des rassistischen Wortes NEGER weniger rassistisch? Worüber lacht das Publikum? Über den rassistischen Witz oder über die Entlarvung? Ist das Gelächter des Publikums - wie vielfach behauptet - ein Beleg für ihren Erfolg? Im Folgenden will ich erläutern, warum gerade das Gelächter des Publikums als Misserfolg der Entlarvung aufgefasst werden muss. Erstens: Bevor man Rassismus entlarven kann, muss man in der Lage sein, ihn überhaupt zu erkennen. Unabdingbare Voraussetzung für ein Erkennen bildet allerdings die Kenntnis des Rassismus. Dazu bedarf es zum einen einer Aneignung von Kenntnissen über die Erscheinungsformen (sprachlich, bildlich etc.) rassistischer Vorurteile, ihre Verwandlungen und “Verfeinerungen” im Laufe der Beispiel 2: “Können NEGER blond sein? ” (verkniffenes Gelächter im Parkett) - “Du, die sind zu allem fähig! ” (Gelächter) Franz und Xaver sind allein. Ihr Dialog beginnt wie folgt: “Ich würde gerne mal schwarz sein. Wenn ich danach wider normal sein kann” “Du meinst weiß” [gestische Untermalung mit beiden Händen] “Ja na klar! ” [leichtes Gelächter in meiner Umgebung, im Parkett] Dann tritt ein Schauspieler von rechts auf. Er ist schwarz gekleidet, groß und schlank, mit halblangem blondem Haar. Wie Monostatos ist er schwarz geschminkt, die Lippen sind rot übermalt. Er isst langsam und genussvoll eine Banane. Im folgenden Dialog wird nicht weniger als sechs Mal das Wort NEGER ausgesprochen. Ein Ausschnitt sei hier wiedergegeben: “Ist er [der NEGER, D. G.-D.] echt? ” [einer schnüffelt an seinem linken Bein herum] “Ja, er stinkt! ” [offenes Gelächter im Zuschauerraum] “Nein, es ist die Schminke! ” [erneutes Gelächter] […] “Können NEGER blond sein? ” [Gelächter, so dass der Schauspieler seinen Ansatz leicht verzögert] “Du, die sind zu allem fähig! ” [offenes Gelächter] 24 Danièle Galiby-Daude Zeit (von Beginn der deutschen Kolonialzeiten an), sowie ihrer ideologischen Prämissen und ihrer Auswirkungen im aktuellen gesellschaftlichen Kontext. Zum anderen, und das ist der schwierige Part, gilt es, sich des eigenen ‘weißen’ Raums beziehungsweise der Konstruktion des Weißseins bewusst zu werden. Diese Reflexion und die daraus folgende individuelle Positionierung zur weißen Selbstverständlichkeit unterscheidet sich grundlegend von einer Reflexion, welche von Weißsein als Norm ausgeht. Sie zwingt zur Auseinandersetzung mit den eigenen Vorurteilen. Es geht hierbei keinesfalls darum, sich in die Lage von Minoritäten, hier Schwarzen, zu versetzen. Denn man braucht nicht selber in aller Öffentlichkeit ausgegrenzt, beschimpft und gedemütigt zu werden, um zu wissen, dass es sich nicht gut anfühlt. Rassistische Vorstellungen haben weniger mit einem konstruierten ‘Anderen’ zu tun, in das es sich hineinzuversetzen gälte, um diesen Vorstellungen entgegenzuwirken. Vielmehr hängen sie mit der Projektion ‘weißer’ Phantasien auf Schwarze zusammen, die in ‘weißen’ Räumen entstanden sind und in diesen weiter fortgeführt werden (z.B. Minstrel Shows). Zweitens: das ‘N-Wort’. An dieser Stelle bedarf es einer begrifflichen und historischen Erläuterung von Bezeichnungen für Schwarze in Deutschland. 9 MOHR ist im deutschsprachigen Raum die älteste Bezeichnung für nicht-weiße Menschen. Das Wort ist vom lateinischen Mauri abgeleitet und wurde im Mittelalter dazu verwendet, Heiden von Christen zu unterscheiden. Die abwertende Prägung bekam das Wort mit dem Beginn der Kreuzzüge und den daraus folgenden Kriegen zwischen Moslems und Christen. Ein vergleichbarer Bedeutungswandel zeigt sich auch an anderen Stellen im christlichen Vokabular. 10 Zunächst Ende des 17. Jahrhunderts für die Klassifikation von Tieren und Pflanzen verwendet, wurde der Begriff ‘Rasse’ im Zeitalter der so genannten Aufklärung auf Menschen übertragen. Auf diese Weise wurde die christliche Farbensymbolik zum Ausgangspunkt einer Rassenideologie, die Menschen in einer ethnozentrischen Entwicklungstheorie klassifizierte bzw. auf- und abwertete. Im Kontext der kolonialen Expansionen Europas (vom 16. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert) setzte sich das N-Wort zur Bezeichnung von Schwarzen in weißen Räumen durch. Es löste die Bezeichnung MOHR ab und fügte eine weitere abwertende Komponente hinzu: den Aspekt der Versklavung und der damit verbundenen Demütigungen. Von diesem Punkt an ist das N-Wort endgültig zum Schimpfwort geworden. Nicht ohne Grund bediente sich auch die Nazi-Propaganda dieses Begriffs. Neu war allerdings die Verbreitung einer bildlichen Umsetzung des N-Worts im Medium der US-amerikanischen Minstrel Shows. M- und N-Worte finden im heutigen Deutschland trotz massiver Proteste Schwarzer Communities weiterhin Verwendung. Man denke an die vielen Redewendungen, Kinderlieder, Sprüche, Bücher-, Zeitungs- oder Magazintitel, an bildliche Darstellungen, die durch die Produkte der Konsumindustrie reproduziert werden - u.a. Lakritze, Schokolade, Backwaren in Tierform oder Straßennamen wie ‘M-straße’. Durch diese Banalisierung von M- und N-Worten beziehungsweise entsprechender bildhafter Darstellungen tritt die Tatsache in den Hintergrund, dass es sich dabei um eine abwertende Fremdbestimmung handelt, welche nach wie vor in einer rassistischen Ideologie gründet. Daher ist das von Weißen verwendete N-Wort immer rassistisch und gegenüber Schwarzen abwertend. Und so muss bezüglich Neuenfels’ szenischer Mittel (seien es die Dialoge, die Schminke, die Figurenzeichnung des Monostatos) gefragt werden, wie man rassistische Stigmatisierungen demaskieren soll, ohne dass man sich über die Konstruktion von Weißsein als hegemoniale Macht- und Wissensstruktur im Klaren ist. Denn der weiße Raum “Können Neger blond sein? ” 25 wird hier in seinem Bestand und in seiner Selbstverständlichkeit weiterhin bestätigt und verfestigt, indem ein Witz von und für Weiße inszeniert wird. Dieser Prozess kann per definitionem keine Entlarvung enthalten. Und das führt uns zum letzen Punkt: dem Raum, also der Komischen Oper Berlin, in dem solche ‘Witze’ geäußert werden können. Drittens: ‘Witze’ setzen immer einen in- und einen outsider und somit einen sozialen Raum voraus. Der Erzähler oder Darsteller des Witzes versucht sein Publikum zu unterhalten, indem er sich seiner eigenen sowie der Repräsentationsfelder seines Publikums bedient. Innerhalb des weißen Raumes werden ihm auf diese Weise ‘Witze’ in den Mund gelegt, die auf Gemeinsamkeiten fußen, hier: die von Weißen für Weiße auf Kosten von Schwarzen konzipiert werden. Diese sehr beliebte und verbreitete Verwendung rassistischer Darstellungen auf deutschen Theater- und Musiktheater-Bühnen nenne ich den White-Joker-Modus. 11 Die Bezeichnung zielt weniger auf den ursprünglichen Narrencharakter des Jokers als vielmehr auf die Intra-Referenzialität des so benannten Witzes. Intra-Referenzialität unterscheidet sich von Selbst-Referenzialität: Während die letztere ein dargestelltes Objekt ausschließlich durch die von ihm hervorgebrachten eigenen Referenzen definiert - in diesem Falle wäre hier ein Witz von und für Neuenfels - setzt Intra- Referenzialität den Fokus auf die interaktive Beteiligung einer exklusiven Gruppe, hier Weiße, auf Basis gemeinsamer Referenzen. Den vorgegebenen Witz auf ein selbstreferenzielles Niveau zu reduzieren, leugnet diesen gemeinsamen Referenzboden, den weißen Raum, an den der Witz appelliert. Diese Verharmlosung ist paradigmatisch für das Misslingen der Entlarvung. Denn der Witz hat in einem Raum stattgefunden, in dem ein Diskurs über Rassismus vorgeführt wurde, ohne dass die Kategorie ‘Weißsein’ als einzige gültige epistemologische und historische Referenz dekonstruiert wurde. Man kann Rassismus nicht entlarven, wenn man seine Mechanismen im eigenen Raum nicht erkennt. Wie ist diese Szene zu deuten? Vordergründig handelt es sich hier um eine durchschnittliche Bürgerin, für die die Toleranz selbstverständlich ist, 12 denn Toleranz lernt man in Deutschland schon früh. Gleichzeitig lernt man aber auch, dass eine tolerante Einstellung nicht unmittelbar mit ihrer Umsetzung verbunden ist. Marie-Louise reagiert hier nicht nur zickig, sondern sie sieht aufgrund der Beleidigung durch Monostatos keinen weiteren Grund, ihre tolerante Fassade beizubehalten. Dadurch spricht sie empathisch alternde weiße Frauen an. Die plakative Botschaft lautet: die unbescholtene Bürgerin ‘rastet aus’ und zeigt ihr wahres, wenig schönes Gesicht. Indem der Regisseur rassistische Verhaltensmuster in Alltagssituationen als marginale Ausraster wohlmeinender Bürger präsentiert, erklärt er deren - für den gesellschaftlichen Alltag grundlegende - Mechanismen für nichtig. Damit ist der erste Schritt hin zur Leugnung der Existenz des alltäglichen Rassismus bereits getan. Und wie soll etwas bekämpft werden, das nicht existiert? Beispiel 3: Marie-Louise rastet aus: “Ja, was ist NEGER? ! ” “Ja, es gibt Menschen mit anderen Hautfarben”, sagt Marie-Louise, die Leiterin der Theatertruppe, “schwarze Menschen”. Ihre Begegnung mit dem lüsternen, aber anscheinend auch begehrenswerten Monostatos verläuft dennoch schlecht. Marie- Louise, die ohnehin schon Schwierigkeiten mit ihrem Alleinsein und Älterwerden hat, reagiert ganz pikiert auf Monostatos ‘Kompliment’: “Sie sehen ja ganz gut aus für Ihr Alter”. Zunächst starr vor Wut, ‘rastet sie aus’. Sie brüllt ihren Gesprächpartner, den zwischenzeitlich verschwundenen Monostatos, an: “Ja, was ist? NEGER! ”, was erneutes Gelächter im Zuschauerraum hervorruft. 26 Danièle Galiby-Daude Die zu Beginn plakativ angekündigte Erziehung des Durchschnittsbürgers zielt also vielmehr darauf, diesen zu entlarven. Um eine Kritik des Bürgertums zu vollziehen, könnte m.E. aber auf das N-Wort verzichtet werden. Das Publikum Aufgrund der Intra-Referenzialität von Neuenfels’ szenischen Darstellungen ist das Handeln bzw. das Nicht-Handeln des Publikums mindestens ebenso problematisch wie die präsentierten Beispiele der Regie. Es wurde gelacht und zwar mehrmals. Worüber? Über die rassistische Witze oder über deren Entlarvungen? Die Darstellung des Monostatos schockierte niemanden; niemand regte sich über die groteske Schminke, die Reproduktion der rassistischen Attribute auf. Auch von der wiederholten Artikulation des N-Wortes wurde wenig Notiz genommen. Monostatos wurde am Ende gleichgültig applaudiert; er wurde weder ausgebuht noch ausgepfiffen noch löste er Entsetzen aus. Im Parkett vernahm ich hinter mir sogar ein “gut dieser MOHR! ”. Zu empörten Reaktionen ist das Publikum an diesem Abend dennoch fähig: Die Figur der Marie-Louise löste Aufregung aus. Die Gründe sind unschwer zu erraten. Als Leiterin der eingeführten Theatertruppe verkörpert sie einen Angriff auf die Zauberflöte, auf das Werk selbst. Und dagegen wehrt das Opernpublikum sich. Klar ist, dass rassistische Ideologie nur mit stillschweigender Duldung des Publikums und der Strukturen des Kulturbetriebs auf der Bühne zur Darstellung kommen kann. In Frankreich oder den USA wäre Neuenfels’ Inszenierung schon allein wegen der Verwendung des N-Worts nicht möglich gewesen, der Regisseur hätte sich strafbar gemacht. Entsprechende Gesetze werden durch die entsprechenden Lemmata in Wörterbüchern und Lexika bestätigt: Das N-Wort wird dort als rassistische Bezeichnung klassifiziert. Das haben sich Schwarze Communities blutig erkämpft. Obgleich auch in Deutschland für die Gleichberechtigung Aller gekämpft wird, ist die Verwendung des N-Worts hier nicht strafbar. Dadurch wird der alltägliche Rassismus verharmlost und auf die vermeintliche Überempfindlichkeit der Betroffenen geschoben. 13 In Deutschland besteht ein Konsens zwischen weißem Publikum und weißen Theatermachern, der es ermöglicht, Nicht- Weiße Mitbürger als quantité négligeable zu betrachten. Interpretation und Analyse im akademischen Raum Ich setze an einem Zitat des US-amerikanischen Philosophen Arnold Farr an: Eine der tragischen Vorstellungen westlicher Philosophie ist die, dass wir philosophische Fragestellungen irgendwie auf eine unbeteiligte Art und Weise angehen können. Ein zweites Problem ist die Annahme, dass, auch wenn wir keine unbeteiligte Haltung einnehmen können, unsere Interessen trotzdem universell bleiben. Der Philosoph/ die Philosophin neigt zu der Annahme, dass seine/ ihre Interesse universell sind, ohne die biologische, geographische, ‘rassische’, kulturelle und klassenbedingte Grundlage für dieses Interesse genau zu untersuchen. Der Blick aus dem Nirgendwo ist eine Unmöglichkeit, da dieser Blick durch ein Interesse motiviert ist, das in der materiellen Welt des Philosophen gründet. 14 Arnold Farr beschreibt ein Faktum, das nicht nur die Philosophie, sondern alle geisteswissenschaftlichen Fächer betrifft, ganz besonders, wenn es um Interpretation und Analyse geht. Mit ihrer Publikation Die Frau in der Oper, besiegt, verraten und verkauft (1992) führte Catherine Clément die gender-Problematik in die Opern- und Musiktheaterforschung ein. Indem sie ihr Augenmerk auf einen blinden Fleck der Opernforschung lenkte, machte sie die konstruierte Selbstver- “Können Neger blond sein? ” 27 ständlichkeit einer androzentrischen Perspektive sichtbar. Erst nachdem rassisierten Mechanismen benannt sind, können sie bekämpft werden. Während der Problematik des androzentrischen Blicks allmählich Platz in der Forschung eingeräumt wird, 15 bleibt Weißsein als konstruierte Normalität und Selbstverständlichkeit noch zu thematisieren. Nach der Konstruktion von Geschlecht bildet die Konstruktion von ‘Rasse’ die zweitgrößte unerforschte Thematik der Opernforschung. Dies liegt nicht zuletzt am erheblichen geistigen Aufwand, den die Erforschung dieser Themen mit sich bringt. Die Auseinandersetzung mit sexistischer und rassistischer Thematik in der Oper erfordert nämlich nicht nur die Beherrschung der technischen musik- und theaterwissenschaftlichen Instrumentarien. Sie verlangt darüber hinaus die Beschäftigung mit Sexismus und Rassismus, was mit einem Prozess der Bewusstwerdung und der daraus folgenden kritischen Reflektion der eigenen Position als weißer Mensch in einer weißen Gesellschaft einhergehen muss. Solch eine kritische Einstellung benötigt wiederum eine grundlegende Untersuchung rassisierter Mechanismen und Erscheinungsformen auf sprachlicher (etymologischer, semantischer und rhetorischer), geschichtlicher (vom Moment der Entstehung einer systematischen Rassen-Ideologie während der Aufklärung bis zu heutigen Varianten in den aktuellen Diskursen) und epistemologischer Ebene in Form einer systematischen Untersuchung der Gültigkeit von Erkenntnis im Zusammenhang mit den diskursiven Machtstrukturen. Michel Foucault definiert Macht nicht als Instrument der Repression, sondern als eine kontrollierende und regulierende Instanz. Sie stelle daher weniger eine geplante institutionelle Unterdrückung dar, als vielmehr einen impliziten, kollektiven diskursiven Konsens: Das Instrument der Machtausübung und -Erhaltung ist der Diskurs. Im Musiktheater können Diskurse in zweierlei Hinsichten betrachtet werden. Diskurs als unterschwellige Ideologie innerhalb der Musik-Kritik und -Wissenschaft einerseits, als Spiegelung einer Ideologie im Sinne einer kulturellen Gemeinschaft beziehungsweise eines kulturellen Gedächtnisses andererseits. 16 Im ersten Fall erfolgt eine Untersuchung des analytischen Instrumentariums von Opern- und Musiktheaterforschung durch die Thematisierung der ihnen zugrunde liegenden implizierten Wissensformen, der Tropen. Es handelt es sich also um eine historische Epistemologie des musik- und theaterwissenschaftlichen Wissens. Im zweiten Fall, und darin liegt die Aufgabenstellung dieses Aufsatzes, werden szenische Vorgänge als besonders effiziente diskursive Form untersucht, welche immer auf spezifischen kulturhistorischen Aspekten ihrer Aufführungszeit beruht. Ich möchte an dieser Stelle auf die wichtigsten Einwände gegen eine Kritik am akademischen Diskurs eingehen. 17 Erstes Argument: “das Thema Rassismus hat hier keine Relevanz” Für wen? In welcher Hinsicht? Für Mozarts Zauberflöte, für ihre Aufführungsgeschichte oder für die Inszenierung von Neuenfels? Auf die Dramaturgie und die Aufführungsgeschichte der Zauberflöte bin ich bereits zu Beginn dieses Artikels eingegangen. Ich will deshalb jetzt auf die Relevanz des Themas Rassismus angesichts der Darstellung von Monostatos eingehen. Wenn man sich die Rezensionen der Zauberflöte von Neuenfels ansieht, fällt auf, dass Monostatos so gut wie immer abgebildet wird. Die Bilder bleiben jedoch bis auf den Eintrag von Al Jolson: He wants his blackface back unkommentiert. 18 Warum? Neuenfels’ Monostatos ist repräsentativ genug, um als exemplarisches Bild zu gelten; schließlich wurde er zum Markenzeichen der Inszenierung. 19 Er ist aber nicht repräsentativ genug um kommentiert zu 28 Danièle Galiby-Daude werden. Woran liegt das? Wahrscheinlich an den Berührungsängsten mit dem Thema Rassismus. Es ist durchaus verständlich, wenn man sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen will, denn das Thema ist für jeden unangenehm und für manchen besonders schmerzhaft. Die skizzierte Art der Vermeidung, will man sie Blindheit oder Naivität nennen, ist ein Privileg, das aus der schon erwähnten Konstruktion von Weißsein als hegemonialer und unsichtbarer Norm resultiert. Es erlaubt es Themen auszublenden, die ‘uns’ scheinbar nicht unmittelbar betreffen. Und dieses Ausblenden ist das direkte Resultat mangelnder Reflexion über das Thema Rassismus im eigenen weißen Raum beziehungsweise auf der eigenen individuellen Ebene. Rassismus ist nicht abstrakt, sondern eine traurige Realität, die verleugnet, nämlich verharmlost, verschleiert, ignoriert wird. Ich nenne dieses Phänomen Leugnungsmodus. Der Leugnungsmodus besteht darin, den unangenehmen Problematiken des Rassismus auszuweichen, indem man sie für nicht existent oder für ein “Problem der Betroffenen” erklärt: diese reagieren angeblich “überempfindlich”, interpretieren “sehr einseitig” oder “missverstünden” gar die eigentliche Problematik. Kurz, der Leugnungsmodus macht Rassismus unsichtbar, er erklärt ihn gar für eine Phantasie der Betroffenen. Von dort her stellt sich die Frage, wie solch eine magische Struktur bekämpft werden kann, die zwar weiterhin Menschen tötet, aber eigentlich nicht existiert? Zweites Argument: “Die Darstellung des Monostatos bezieht sich auf eine Opernkonvention, nämlich die Tradition des ‘Mohren’. Neuenfels überzieht diese Konvention so offensichtlich, dass sie lächerlich wird”. Demnach läge die Qualität der Darstellung des Monostatos darin, dass Neuenfels eine rassistische Konvention als subversives Mittel gegen diese selbst einsetzt. Dass Monostatos’ Schminke Tradition hat, habe ich erläutert. Sie dient bei Neuenfels aber nicht als subversives Mittel. Rassistische Darstellungen sind nicht dadurch zu bekämpfen, dass man sie ausführlich zitiert. Das genannte Argument impliziert außerdem, dass rassistische Darstellungen nicht als solche gelten dürfen, wenn sie zum kulturhistorischen Gemeingut gehören. Und damit wird Rassismus legitimiert, indem er zum kulturellen Erbe erklärt wird. Ist eine rassistische Tradition - hier eine Opernkonvention - denn weniger rassistisch, wenn sie konventionalisiert ist? Drittes Argument: “Neuenfels konfrontiert das Publikum mit den eigenen Vorurteilen. Er legt die Absurdität der rassistischen Ideologie offen und bekämpft sie damit”. Dass Neuenfels’ Intention auf die Entlarvung rassistischer Mechanismen zielt, steht außer Frage. Fragwürdig sind aber die Mittel dieser Demaskierung. Ihr kann nur Erfolg beschieden sein, wenn die überwiegende Mehrheit des Publikums mit der grundlegenden Problematik vertraut ist. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass sich jeder Zuschauer der Implikationen seines eigenen Weiß-Seins bewusst ist, sie reflektiert und daher auch unbeschwert darüber lachen kann - und zwar schon aufgrund der dazu erforderlichen Denkanstrengungen und der bewussten Positionierung im und zum eigenen weißen Raum. Man ist nicht von rassistischen Vorurteilen frei, weil man kein Rassist sein will. Schlusswort Die Darstellungen von Schwarzen auf der Bühne sind repräsentativ dafür, inwieweit eine Gesellschaft ihre koloniale Geschichte verarbeitet hat. Eine der berühmtesten und “Können Neger blond sein? ” 29 erfolgreichsten Opern der Operngeschichte wie die Zauberflöte eignet sich für solch eine Überprüfung besonders gut. Schon ein kurzer Blick in ihre Inszenierungsgeschichte vermittelt einen Eindruck der tiefen Verankerung rassistischer Mythen in der Gattung Oper. Abgesehen von vereinzelten Aufsätzen über Exotismus als Form rassisierter Darstellung wurde eine grundlegende systematische Untersuchung rassistischer Formen auf deutschen Opernbühnen bis heute nicht geleistet, weder in der musiknoch in der theaterwissenschaftlichen Forschung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine grundlegende Reflexion über das Thema Rassismus auf deutschen Opernbühnen fehlt und nachzuholen wäre. Eine erfolgreiche Demaskierung kann nur auf der Grundlage solcher Vorüberlegungen erfolgen. Andernfalls läuft man Gefahr, die zu demaskierenden Formen mangels Sachkenntnis nur weiter zu tradieren. Als erstes sollten Grundkenntnisse über das Thema, seine Auswirkungen und seine Prämissen vorhanden sein. Eine Kritik am Rassismus kann nur erfolgen wenn Weißsein als eine Konstruktion erkannt wird, welche auf die Erhaltung bestimmter Machtverhältnisse zielt. Erst dann können deren Mechanismen im eigenen weißen Raum erkannt und bekämpft werden. Und es sind Mittel einzusetzen, die weder nach dem White-Joker- Modus noch nach dem Leugnungsmodus funktionieren. Denn durch Unreflektiertheit verfehlt die Entlarvung nicht nur ihr Ziel, sondern reproduziert die zu demaskierende Mechanismen. Anmerkungen 1 Stefan Kunze, Mozarts Opern, Stuttgart 1984, S. 591-592. 2 Unter ‘Aufführungstradition’ fasse ich die Konventionen zusammen, die sich innerhalb eines geographischen Raumes etabliert und als kulturhistorisches Moment normalisiert haben. 3 Die Großschreibung soll auf die Problematik des Begriffs hinweisen, der Schwarzen das Mensch-Sein abspricht, indem er eine koloniale Fremdbestimmung wiederholt. Zur Umschreibung dieses Begriffs verwende ich die von Schwarzen-Communities gewählte Bezeichnung ‘N-Wort’. 4 Exemplarisch sind etwa Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: “Bei den NEGERN ist nämlich das Charakteristische gerade, daß ihr Bewußtseyn noch nicht zur Anschauung irgend einer festen Objektivität gekommen ist, wie zum Beispiel Gott, Gesetzt, bei welcher der Mensch mit seinem Willen wäre, und darin die Anschauung seines Wesen hätte […]. Der NEGER stellt, wie schon gesagt worden ist, den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unabdingbarkeit dar: von aller Ehrfurcht und Sittlichkeit, von dem was Gefühl heißt muss man abstrahieren, wenn man ihn richtig auffassen will: es ist nicht an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden”, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Sämtliche Werke, hg. v. Hermann Glockner, Stuttgart 1971, Bd. 11, S. 137 5 Die Formel rassisierte Darstellung weist auf den Prozess einer systematischen Stigmatisierung hin. Damit sind alle Aspekte gemeint, die aus der rassisierten Konstruktion eines herrschenden Diskurses resultieren, ob rassistische, sexistische, homo- und transphobe, antimuslimische, anti-semitische etc. Tendenzen. 6 Vgl. Erika Fischer-Lichtes Definition von Inszenierung als “Vorgang der Planung, Erprobung und Festlegung von Strategien, nach denen die Materialität der Aufführung performativ hervorgebracht werden soll.”, in: Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, Frankfurt/ M. 2004, S. 327. 7 Oft wird angemerkt, dass Deutschland keine Kolonialmacht gewesen und daher vom kolonialen Denken ‘verschont’ geblieben sei. Damit wird behauptet, rassistisches Verhalten werde durch koloniale Expansion hervorgebracht. Umgekehrt setzt aber die Versklavung Schwarzer Menschen eine ‘Rassentheorie’ schon voraus, wie sie im 18. Jh. in Deutschland durchaus vorhanden war (etwa bei Kant, Herder und Blumenbach). 30 Danièle Galiby-Daude 8 Paradigmatisch der in Fußballstadien und in der Neonazi-Szene beliebte Vergleich Schwarzer mit Affen. 9 Natürlich sind Schwarze genauso wenig schwarz wie Weiße weiß, dennoch ist er die bestmögliche Bezeichnung. Der Begriff beschreibt eine politische Realität und konstituiert Identität, weshalb ich ihn groß schreibe. Darüber hinaus hat diese Bezeichnung den Vorzug, keine Fremd-Zuschreibung zu sein, sondern eine Selbst-Benennung. Schwarze Deutsche bezeichnen sich auch als Afro-Deutsche. Im Grunde reichen Bezeichnungen wie ‘Deutsche’, ‘Dänen’, ‘Franzosen’, ‘Portugiesen’, ‘Italiener’, ‘Finnen’ etc. aus. 10 So wurde der Begriff ‘Ägypter’ mit dem des Teufels gleichgesetzt. Zeitgleich entstehen Abbildungen, auf denen geschwärzte Gesichter auf Heiden oder Ketzer und somit auf das Böse verweisen: Weiße, die von der christlichen Norm abwichen, wurden dergestalt als ‘Schwarze’ dargestellt. Gemäß der Vorstellung, der Mensch müsse für die Sünden seiner Vorväter büßen, setzte sich im 16. und 17. Jahrhundert die Idee durch, die schwarze Hautfarbe sei der Spiegel einer ‘schwarzen’, d.h. teuflischen Seele. 11 Der Begriff bezeichnet eine intentionale Ausrichtung auf Insider, hier: Weiße. Dabei soll die Aufmerksamkeit vom ‘Witz’ auf den ‘Witz-Macher’ gelenkt werden, welcher auf schon vorhandene Intra-Referenzialität zwar referiert und diese somit weiterführt, sie aber konstituiert hat. Dadurch wird auch die Basis für eine Untersuchung der Interaktionen bzw. Intersubjektivitäten zwischen dem ‘Joker’ und seinem Publikum geschaffen. 12 ‘Tolerieren’ heißt ‘dulden’. Geduldet wird nur etwas, was vorderhand nicht akzeptiert wird. Die durchgesetzte positive Verwendung dieses Wortes zählt zu den zahlreichen Beispielen der ambivalenten Strukturen des Rassismus. 13 Vgl. Noah Sow, “Das N-Wort in Enzyklopädien und Wörterbüchern”, in: Sow, Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus, München 2008, S. 120. 14 Arnold Farr, “Aufklärungsrassismus und die Struktur eines rassifizierten Bewusstseins”, in: Kritische Weißseinforschung in Deutschland. Mythen, Masken und Subjekte, Münster 2005, S. 43. 15 Zur Konstruktion von gender in der Oper vgl. Gabriele Busch-Salmen/ Eva Rieger (Hg.), Frauenstimmen, Frauenrollen in der Oper und Frauen-Selbstzeugnisse, Herbolzheim 2000, sowie Carmen Ottner, Frauengestalten in der Oper des 19. und 20. Jahrhunderts, Symposium 2001. 16 Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, München 2005. 17 Vgl. die Positionen in Werner Hintze/ Clemens Risi/ Robert Sollich, Realistisches Musiktheater. Geschichte, Erben, Gegenpositionen, Berlin 2008, bes. S. 231-235. 18 “Although Neuenfels isn’t the first director to depict Monostatos in blackface (Norbert Orth also appeared in blackface in Wolfgang Sawllisch’s 1983 Munich Opera version with Popp, Gruberova, and Moll), I personally don’t see the necessity or allure […]. Aside from his use of the oldest racist caricature in the entire book, this production actually doesn’t look so bad” (Al Jolson, “He wants his blackface back”, in: Opera Chic, 23.11.2006). 19 Vgl. die Abbildungen im Jahresprogramm der Komischen Oper Berlin.