eJournals Forum Modernes Theater 24/2

Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
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2009
242 Balme

Anja Klöck. Heisse West- und kalte Ost- Schauspieler? Diskurse, Praxen, Geschichte(n) zur Schauspielausbildung in Deutschland seit 1945. Theater der Zeit. Recherchen 62. Berlin: Verlag Theater der Zeit, 2008, 289 Seiten.

2009
Rezensionen 199 pearean Stage, 1574-1642 ( 1 1970/ 4 2009) oder zuletzt Shakespeare’s Opposites: The Admiral’s Company 1594-1625 ( 1 2009), durch ihre gute Lesbarkeit zu Standardwerken geworden sind, ist Chambers sperriger und entzieht sich einer einfachen Lektüre. Gerade darin aber liegt zugleich seine Stärke: Es ist ein ganzes Konvolut von unterschiedlichen Informationen, die dem, der mit einer gezielten Fragestellung sucht, sich öffnet und neue Einsichten erlaubt. The Elizabethan Stage sucht keine Leser, sondern Forscher, die aus der Fülle des zusammengetragenen Materials neue Überlegungen generieren. In diesem Sinne muss man sich aber auch hüten, das eine gegen das andere auszuspielen, sondern vielmehr die unterschiedlichen Annäherungsformen als bereichernde Vielfalt begreifen. So ist es denn dankenswert und verdienstvoll, dass Clarendon Press sich entschlossen den seit langem vergriffenen Chambers, der im antiquarischen Handel teilweise beachtliche Preise erzielte, in einer sehr schön gestalteten und mit dem bislang separat gehandelten Register von Beatrice White versehenen Ausgabe neu aufzulegen. Ob der Verlag hierbei mit der Hoffnung spielte, dass die Bände als Merchandising-Produkt am Erfolg von The Shakespeare Secret (2008; dt. Die Shakespeare Morde) von Jennifer Lee Carrell profitieren kann, ist nicht bekannt: In diesem im anglophonen Raum sehr populären Krimi gelingt es der jungen Theaterregisseurin Kate Stanley mit Hilfe von Chambers-Sammlung eine Serie von Morden und das Geheimnis um das legendäre verschollene Shakespeare-Stück Cardenio zu lüften. (Endlich darf auch mal eine Theaterwissenschaftlerin in die Fußstapfen des Action-Archäologen Indiana Jones treten …) Aber auch für weniger spektakuläre und blutige Recherchen bietet diese Neuauflage eine Möglichkeit zu prüfen, inwiefern sich aus dem Blickwinkel neuerer methodischer Überlegungen eine produktive Auseinandersetzung mit älteren Forschungstraditionen führen lässt. Bern P ETER W. M ARX Anja Klöck. Heisse West- und kalte Ost- Schauspieler? Diskurse, Praxen, Geschichte(n) zur Schauspielausbildung in Deutschland seit 1945. Theater der Zeit. Recherchen 62. Berlin: Verlag Theater der Zeit, 2008, 289 Seiten. Spätestens seit dem Erscheinen von Hans-Thies Lehmanns viel zitierter Schrift Postdramatisches Theater im Jahr 1999 steht die Materialität des Darstellerkörpers im Mittelpunkt der theaterwissenschaftlichen Diskussion. Präsenz statt Repräsentation, Dekomposition des Menschen statt Komposition einer dramatischen Figur, sinnliche Wirkung anstelle von Sinnerzeugung sind Schlüsselbegriffe, die die nunmehr ein Jahrzehnt andauernde Wende der fachlichen Auseinandersetzung von der darstellerischen zur performativen Qualität des Schauspielerkörpers anzeigen. Das Buch von Anja Klöck bildet in diesem Zusammenhang eine auffallende Ausnahme, da es sich wieder Problemen der klassischen Schauspielkunst und Methoden der Menschendarstellung zuwendet. Diese Ausrichtung ist einer klar historisch begründeten Fragestellung zu verdanken, die dem Forschungsprojekt “Systemische Körper? Kulturelle und politische Konstruktionen des Schauspielers in schauspielmethodischen Programmen Deutschlands 1945-1989” voranging und dessen erste Ergebnisse das Buch vorstellt. Ausgehend von dem bedeutenden historischen Schnitt, den das Jahr 1989 für die deutsch-deutsche Geschichte darstellt, liegt der Fokus des Buches auf der Untersuchung der Entstehens- und Überlebensbedingungen der hartnäckigen Mythen vom “kalten”, d.h. eine Rolle analytisch über die Aktionen einer Figur und äußeren Bedingungen des Handelns erarbeitenden, Ost-Schauspieler und vom “heißen”, sich psychologisch von Innen in seine Figur einfühlenden West-Schauspieler. Der Begriff des Mythos ist von der Autorin im Sinne Roland Barthes bewusst eingeführt worden, um auf den Prozess der Naturalisierung hinzuweisen, der dazu geführt hat, dass sich die Rede von heißem und kaltem Schauspieler in Essentialsisierungen niedergeschlagen hat. Dass die alchemistisch anmutenden, kulturelle Differenzen festschreibenden Essentialisierungen “im öffentlichen Diskurs der neunziger Jahre [auch] zu künstlerischen Qualitätsmerkmalen” (S. 7) wurden, kann Anja Klöck an zahlreichen Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 2 (2009), 199-201. Gunter Narr Verlag Tübingen 200 Rezensionen Beispielen aus Fachzeitschriften, Presse und auch wissenschaftlichen Arbeiten belegen. Es liegt auf der Hand, dass diese Unterscheidung auf der Annahme eines Methodendualismus beruht, der sich seit 1945 aus einer an Brecht und somit an Techniken der Verfremdung orientierten Schauspielausbildung im Osten und einer an Stanislawski und an Techniken der Einfühlung orientierten Ausbildung im Westen Deutschlands entwickelt haben soll. Die im vorliegenden Buch präsentierten ersten Ergebnisse der dreijährigen Forschungsarbeit geben nicht nur Aufschluss darüber, ob die Polarisierung zwischen “heiß” und “kalt” in ihrer Entstehung tatsächlich als ein Ergebnis des genannten Methodendualismus gewertet werden kann. Gleichzeitig liefern sie, nicht zuletzt dank des Reichtums an vielfältigen Quellen, einen höchst interessanten Einblick in deutsch-deutsche Kultur- und Mentalitätsgeschichte seit 1945. Unterbaut wird dieser Ansatz insbesondere durch die Verknüpfung von vergleichender Diskursgeschichte, Institutionsgeschichte und von Praxis-Geschichten. Entsprechend gliedert sich das Buch in drei Teile. Unter der Überschrift “Gegenwärtige Diskurse” nimmt der erste Teil den “Schauspieler als diskursive Größe nach 1989” unter die Lupe. Mittels einer Re-Lektüre von Denis Diderots schauspieltheoretischem Schlüsseltext “Das Paradox über den Schauspieler” und einer Analyse von dessen Rezeptionsgeschichte in den Nachkriegsjahren wird nachgewiesen, dass die Mythen vom Gefühls- und Verstandesschauspieler historischen Langzeitprozessen geschuldet sind, die nicht zuletzt auch auf unterschiedliche Rezeptionen des Diderotschen Paradoxes zurückgehen. Dadurch kann gleichzeitig aufgezeigt werden, dass die Mythenbildung nicht zuletzt auch eine Folgeerscheinung von ideologisch bestimmten kulturellen Praktiken der Auslegung und Vermittlung dieses Textes ist. Dieses Ergebnis wird im zweiten Teil, “Historisierte Praxen”, konterkariert, ohne allerdings den Anspruch zu erheben, “der Analyse ideologisierter Erzählungen des ersten Teils faktische des zweiten Teils entgegen[zu]setz[en]” (S. 52). Die hier geleistete historiographische Untersuchung von den Schauspielprogrammen, die an wiedereröffneten und neu gegründeten Schauspielschulen zwischen 1945 und 1949 in den verschiedenen Besatzungszonen aufgestellt und pädagogisch umgesetzt wurden, versteht sich explizit nicht als wissenschaftliches Korrektiv zum ersten Teil, sondern als Schritt, der sich erst durch die Fragen aus der Gegenwart heraus als notwendig erweist. Besonders interessant ist die Art des Forschungsfeldes, das zu Beginn des Kapitels skizziert wird. Denn anhand der erfolgten Recherche in den Archiven der Militärregierungen der vier Besatzungszonen stellte sich heraus, dass lediglich zu den Entwicklungen in den sowjetischen und amerikanischen Besatzungszonen Einzelstudien vorliegen, die allerdings keinen systematischen Vergleich zwischen den Kulturprogrammen in Wechselbeziehung zur jeweiligen Besatzungspolitik leisten. Das heißt, hier liegt ein umfangreiches Desiderat vor, das die Autorin denn auch dazu veranlasst, die Vorläufigkeit der präsentierten Ergebnisse zu betonen. Gleichwohl können aufgrund der in den Archiven geleisteten Quellenforschung erste Aussagen zu Tendenzen und Unterschieden zwischen den jeweiligen Lehrplänen und Methoden in Bezug auf Prozesse des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels in jener Zeit getroffen werden. Diese Aussagen basieren auf dem Vergleich von sieben Fallbeispielen: Schauspielschulen in München, Hannover, Berlin Ost und Berlin West, Weimar, Saarbrücken und Hamburg, deren Auswahl nach den Kriterien der staatlich institutionalisierten Einrichtung und dem Fortbestand bis 1989 erfolgte. Ohne hier zu sehr ins Detail gehen zu wollen, kann als aufschlussreichstes Ergebnis festgehalten werden, dass in den vier Jahren der Besatzungszeit kaum von einer Brecht-Orientierung die Rede sein konnte. Für alle Schulen gilt die Aneignung des “Systems Stanislawski”, wenn auch in unterschiedlicher Ausrichtung. Diese historisch begründete Differenzierung der Diskurse, die einen West- und Ostschauspielertypus hervorbringen, wird schließlich im dritten Teil des Buches unter dem Titel “Erinnerungsräume” um eine weitere Facette ergänzt: Mittels Interviews (geführt im Jahr 2007) mit vierzehn ehemaligen Lehrkräften und Studierenden der staatlichen Schauspielabteilungen soll “den unterschiedlichen Erfahrungen und den unterschiedlichen Weisen, über Schauspielausbildung zu reden, Raum [ge]geben [werden]” (S. 127). Mit derselben Rezensionen 201 Sorgfalt, die auch die anderen Teile des Buches auszeichnet, wird die Methodik der Gesprächsführung ausführlich erläutert und begründet. Sie lässt dann auch keinen Zweifel am theaterwissenschaftlichen Ertrag der Berichte und Erinnerungen, die einen vielsagenden Einblick in die inneren, eher heterogenen Strukturen der jeweiligen Schauspielausbildungen an den genannten Schauspielschulen vermitteln. Allerdings nimmt dieser 139 Seiten umfassende Teil beinahe die Hälfte des Buches ein. Vielleicht wäre man dem überzeugenden Konzept der gegenseitigen Durchdringung von Diskursen, Praxen und Institutionalisierungsprozessen, das der Beantwortung der Frage nach dem heißen West- und kalten Ost-Schauspieler zugrundegelegt wurde, noch besser gerecht geworden, wenn man der “Polyphonie der ‘Sprecher” (S. 8/ 9) ein letztes Wort der Autorin hätte folgen lassen, das Diskurs-Geschichte, Praxis-Geschichte und Institutions-Geschichte der Schauspielausbildung zusammenfassend reflektiert. Amsterdam K ATI R ÖTTGER Wilfried Floeck / Sabine Fritz (eds.), La representación de la Conquista en el teatro español desde la Ilustración hasta finales del franquismo, Hildesheim/ Zürich/ New York: Georg Olms Verlag, 2009, 299 Seiten. (Teoría y práctica del teatro, Bd. 18) Das weltgeschichtliche Ereignis der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, die schrittweise Eroberung der Neuen Welt durch Hernán Cortés, Francisco Pizarro und andere Konquistadoren und die damit verbundene Zerstörung der indigenen Hochkulturen der Inkas und Azteken haben vom frühen 16. Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart umfassenden Niederschlag in vielen Nationalliteraturen und literarischen Gattungen gefunden. Für die spanische Literatur ist dieser Themenkomplex naturgemäß immer schon besonders relevant gewesen. Allerdings habe sich die Forschung, wie die Herausgeber des vorliegenden Bandes, Wilfried Floeck und Sabine Fritz, in ihrem kurzen Vorwort betonen, bisher hauptsächlich auf die Epoche des Siglo de Oro und den Aufschwung der literarischen Produktion im Umfeld des fünfhundertjährigen Jubiläums der Entdeckung Amerikas durch Europa im Jahr 1992 konzentriert. So erklärt sich die - alles in allem vorbildlich eingelöste - Absicht, die Darstellung der “Conquista” im spanischen Theater bzw. in dramatischen Texten in der bisher noch kaum gewürdigten Zeitspanne von der Aufklärung bis zum Ende der Franco-Diktatur einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Der so entstandene, gattungshistorisch angelegte und im Wesentlichen stoff-, themen- und motivgeschichtlich orientierte Band geht auf ein gleichnamiges Kolloquium zurück, das im Mai 2008 an der Justus-Liebig- Universität Gießen stattfand. Er enthält fünfzehn durchgehend spanischsprachige Beiträge von Hispanisten aus Deutschland, Spanien, den USA und Costa Rica, von denen die meisten bereits zuvor mit einschlägigen oder zumindest thematisch verwandten Arbeiten hervorgetreten sind. Die Beiträge sind so ausgewählt und angeordnet, dass sich tatsächlich ein weitgehend kohärenter und nahezu vollständiger Überblick über die sich wandelnde ästhetische und ideologische Modellierung des “Conquista”-Stoffes im Verlauf von dreihundert Jahren spanischer Theatergeschichte ergibt. Das Spektrum reicht von der Fortsetzung des Barocktheaters im 18. Jahrhundert sowie der gegen dessen Ende dominierenden neoklassizistischen Poetik und der kurzen Mode des empfindsamen Theaters über die Romantik und Postromantik des 19. Jahrhunderts bis hin zu den mehr oder weniger regimetreuen Darstellungen unter der Franco-Diktatur und den ersten Ansätzen eines metahistorischen Dramas Mitte der 1960er Jahre. Lediglich die Avantgarden des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts bleiben ausgespart. Mit Herminia Gil Guerreros Beitrag zu Ramón José Sender und Jorge Chen Shams Fallstudie zu Salvador de Madariaga kommen dagegen die spezifischen Motivationslagen des Exiltheaters gleich zweifach zum Tragen. Daneben finden auch andere interessante Teilaspekte Berücksichtigung, etwa die von Bernardita Llanos Mardones an Beispielen aus Mexiko untersuchte Dramenproduktion in den Kolonien selbst, die von Alberto Pérez-Amador Adam rekonstruierten Überliefe- Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 2 (2009), 201-203. Gunter Narr Verlag Tübingen