eJournals Forum Modernes Theater 24/2

Forum Modernes Theater
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2009
242 Balme

Christina Thurner, Beredte Körper – bewegte Seelen. Zum Diskurs der doppelten Bewegung in Tanztexten. Bielefeld: Transcript, 2009, 229 Seiten.

2009
Wolf-Dieter Ernst
196 Rezensionen Dreiteilung des Plans an sich, welche aufgrund des Papierformats vorgenommen wurde - in Anbetracht der Kosten von Schreibmaterialien eine äußerst einleuchtende Begründung. Mit dieser Vorüberlegung funktioniert die Verortung einwandfrei und bildet die Grundlage zu einer Rekonstruktion des Spielablaufs, welche hinsichtlich der spätmittelalterlichen theatralen Praxis und dem Einfluss bürgerlich geprägter Gruppierungen wie der Bruderschaft zur Dornenkrone, genauso wie bezüglich des Zusammenhangs von stadtspezifischer Raumsemantik und Spielablauf ergiebig ist. Passagen wie diese wirken auf den Leser ebenso intellektuell anregend wie plastisch unterhaltsam. Hier wird die Autorin, wie im Großteil ihres Werks nicht zuletzt auch aufgrund der vielen illustrierenden wie interferierenden Abbildungen, ihrem postulierten Anspruch gerecht, den Spagat zwischen Fach- und Laienpublikum zu meistern. Insgesamt handelt es sich bei Greco-Kaufmanns Untersuchung um ein gelungenes, unterhaltsames und wissenschaftlich ergiebiges Werk, welches sich weder scheuen muss noch scheut, die verwendeten Archivbestände in Buchform wie auch anhand einer beigefügten CD-ROM dem Leser offen vor Augen zu legen, so dass man nicht nur mit Genuss liest, sondern ebenso anhand der Quellen den historischen Abriss nachvollziehen und hinsichtlich der eigenen Interessen weiterdenken kann. Gießen M ATTHIAS D ÄUMER Christina Thurner, Beredte Körper - bewegte Seelen. Zum Diskurs der doppelten Bewegung in Tanztexten. Bielefeld: Transcript, 2009, 229 Seiten. Der Aufschwung der Tanzwissensschaft, der sich seit einigen Jahren abzeichnet, hat das Konzept der Bewegung erneut in den Blickpunkt gerückt, und die Dimension semiotischer Bewegungsanalyse um wichtige Fragen nach der körperlich-motorischen und sensorischen Dimension von Bewegung bereichert. Fasste der Begriff der Bewegung im theater- und tanzwissenschaftlichem Verständnis immer schon das Wechselspiel äußerer Bewegung und inneren Bewegt-Seins, wie es aus der rhetorischen Lehre überliefert ist und die Darstellungstheorie des 18. Jahrhunderts prägt, so zeichnet sich in jüngeren Publikationen eine wissens- und diskursgeschichtliche Dimension des Bewegungsbegriffs ab, die geeignet ist, am Problem der Darstellung von Bewegung zugleich ganz verschiedene Wissenskulturen in den Blick zu nehmen. So kann etwa die Qualität der Bewegung als Gestik und Mimik im Sinne der Anthropologie (des Darstellers) der raum-zeitliche Bestimmung von Bewegung, wie sie die newtonsche Physik formuliert, zur Seite gestellt werden. Das rhetorische Konzept der Bewegung, das movere, wird wiederum in seiner Ausdifferenzierung in die Psychologie (der Emotionen) und die Körpertechnik (etwa als Bewegungsgesetze in der Tanz- und Schauspielkunst) erkenntlich. Gemeinsam ist diesen Wissenskulturen das Problem der Beobachtung von Bewegung, genauer die Relativität der Beobachterposition. Just diese Unschärfe des Wissens über Bewegung steht im Kern der historischen Semantik und der Wissensgeschichte, die sich unter dem Konzept der Bewegung abzeichnet. In doppelter Hinsicht - als Phänomen der Bewegungskunst ‘Tanz’ und als Diskurs über die Wirkung und Rezeption von Kunst überhaupt stellt Christina Thurner das Konzept der “doppelten Bewegung” in den Mittelpunkt ihrer Studie Beredte Körper - bewegte Seelen. Mit dem Konzept der doppelten Bewegung differenziert sie das Wechselverhältnis von körperlicher und innerer (seelischer) Bewegung aus, welches als commercium mentis et corporis die ästhetischen Debatten um die Darstellung von Emotionen zur Zeit der Ballettreform und der Formulierung von Schauspieltheorien im 18. Jahrhundert prägt. Damit nimmt sie erneut die Debatte um den ‘heißen’ und ‘kalten’ Schauspieler und die Suche nach einer ‘natürlichen Gestalt’ und Ausdruckssprache auf, wie sie bereits etwa in Günter Heegs Studie über das Phantasma der natürlichen Gestalt zum Thema wird. In diesem Sinne liegt ein Teil ihrer Arbeit darin, den Unmittelbarkeits- und Naturdiskurs, wie ihn Heeg für den Charakterdarsteller ausmacht, im Feld des Tanzes aufzuzeigen. Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 2 (2009), 196-198. Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen 197 Jedoch erschöpft sich ihrer Studie nicht darin, die Zuschreibung des Tanzes als Körpersprache, die “direkt zum Herzen ‘spricht’” (15), in ihrer kulturellen und historischen Bedingtheit darzulegen. Vielmehr geht sie davon aus, dass bereits die schriftliche Form des Diskurses einen entscheidenden Anteil daran hat, dass überhaupt von Unmittelbarkeit (der Bühnenpräsentation) die Rede sein kann. Thurners methodische Vorgehensweise leistet hier eine Medienreflexion der Bewegungsanalyse, Bewegung ist ihr (auch) Denkbewegung und Bewegung ‘im Text’. Dezidiert beschränkt sie sich daher darauf, die einschlägigen Tanztraktate und die Abhandlungen über die Gestik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts einer erneuten Lektüre zu unterziehen und die historische Aufführungspraxis vorerst hinten an zustellen. Denn, so die Autorin, es sei davon auszugehen, dass es sich bei diesen Traktaten um poetische Texte handele, welche den Wandel der Bühnendarstellungen und der Sichtbarkeiten emotionaler Regungen vorwegnähmen. “In den theoretischen Schriften und Tanztrakten wird nämlich […] diskursiv eine neue Ästhetik - samt intendierter Realisierung und Wirkung - geschaffen […] indem Art und Weise des Zeichengebrauchs, Handlungsvollzugs und dessen angestrebte Wahrnehmung gewissermaßen vor-geschrieben werden.” (22) Hier betritt die Autorin tatsächlich methodisches Neuland und geht über die von ihr e r w ä h n t e n V o r a r b e i t e n v o n J e s c h k e (1983/ 1991/ 1992), Schroedter (2004) und Woitas (2004) hinaus. Die Studie entfaltet in drei Hauptteilen die Etablierung und Wandlung des Diskurses der doppelten Bewegung und schlägt dabei einen Bogen vom Ende des 17. Jahrhunderts, der Wandlung des Ballet de Cour hin zum Ballet des Action, über die sensualistische und empfindsame Phase ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis hin zu den Virtuosendarstellungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Arbeit ist in drei Abschnitte unterteilt. Der erste Teil zeigt, wie unter Einfluss der Commedia dell’Arte und in Abkehr vom höfischen Ballett das Pantomimische betont wird. Bezeichnend für dieses neue Bewegungskonzept sei die Betonung der actio- und pronuntatio-Lehren der Rhetorik sowie die Rückbesinnung auf das Mimesiskonzept des Aristoteles, die vor allem für den angestrebten emotionalen Nachvollzug der Körperbewegung durch die Seelenbewegung des Zuschauers in Anspruch genommen werde. Der Band bietet hier eine pointierte Lektüre wichtiger Stellen bei Louis de Cahusac, John Weaver, Johann Pasch und Claude François Ménestrier, mithin also eine internationale Perspektive. Der zweite Hauptteil ist der Entwicklung einer Bewegungssprache gewidmet, die der Forderung nach Natürlichkeit entspricht und insbesondere die Gebärden und Ausdrucksbewegungen auf ihre emotionale Bedeutung und Stimmigkeit hin konzipiert. Hier ist vor allem Jean Georges Noverre der Gewährsmann des Arguments. Allerdings kann Thurner auch an Schriften Engels, Lessings und Schillers aufzeigen, wie der Tanz als Modell einer natürlichen Gebärden- und Empfindungssprache konzipiert wird. Die doppelte Bewegung wird in der Ballettreform zum zentralen Ansatzpunkt, um erstens den Tanz als eigenständige Kunst von Handwerk und Zierart zu unterscheiden, zweitens den angestrebten Effekt der Unmittelbarkeit körperlicher Bewegung von seiner Vermittlung zu unterscheiden (vgl. 111) und drittens einer anthropologisch begründeten Verinnerlichung von Emotion und Handlung, der “psycho-physischen Metaphorisierung” (132) von Bewegung, Vorschub zu leisten. Der dritte Teil schließlich nimmt diesen Faden in Hinblick auf die romantische Tanzkritik und ihren Unsagbarkeits-Topos wieder auf. Thurner weist darauf hin, dass neben der Literatur vor allem das Feuilleton jene flüchtige und subjektive Textform darstelle, in welchem sich die Mythologisierung und Verklärung tänzerischer Bewegung etablieren konnte. (vgl. 140) In Hinblick auf die Schriften Théophile Gautiers und den Ballerinenkult, wie er sich exemplarisch an der Pariser Oper um Marie Tagliogni und Fanny Elßler entfaltet, stellt die Autorin dar, wie die romantische Tanzkritik eine “Praktik der idealisierenden Poetisierung”(200) entwickelt. Diese Praktik prägt nach Thurner auch die heutige Tanzkritik, wie sie im abschließenden Kapitel nachweisen kann. Ihr Anliegen, die doppelte Bewegung als Diskurseffekt nach zu zeichnen, der vor allem von Vor-Schriften zum Tanz ausgeht, kann die Autorin einlösen und leistet damit einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Selbst- Bestimmung der Kunstform Tanz zwischen konzeptuellem und mimetischem Ansatz. Der Studie 198 Rezensionen wäre im Hinblick auf die Darstellungstheorie im 18. Jahrhundert der Rückgriff auf die von Joseph Roach vorgelegte Diskursanalyse der Leidenschaften zuträglich gewesen, um insbesondere anthropologische und psychologische Konzepte in ihrer Historizität darzustellen. Zudem wünscht man sich in der Lektüre der Trakate von Ménestrier und Noverre den Nachweis der Bewegungsreflexion dichter vom Text und seiner Metaphorik her entwickelt - ein Verfahren, welches der Autorin in Teil über die romantische Kritik überzeugend gelingt. Insgesamt stellt Beredte Körper - bewegte Seelen einen wichtigen Beitrag zur Theorie und Analyse von Bewegung dar, der auch Leser jenseits der Tanzwissenschaft interessieren dürfte. Bayreuth W OLF -D IETER E RNST E.K. Chambers: The Elizabethan Stage. 4 vols. (orig.: 1923). Oxford: Clarendon Press, 2009, ca. 372,00 Die Historiographie nimmt mitunter eigentümliche Wege: So sehr sie sich in Fragen der Analyse und Interpretation von den Fesseln einer engstirnigen Faktenhuberei befreit hat, so sehr ist sie doch gleichzeitig auf das Vorhandensein solcher Sammlungen angewiesen. In diesem Sinne stehen die methodischen Diskussionen, die seit Ende der 1970er Jahre eine gänzliche neue Form der Kulturgeschichtsschreibung hervorgebracht haben, nicht nur in einem dialektischen Verweisungszusammenhang zu jener älteren, aus den Tiefen des 19. Jahrhunderts stammenden Tradition, sondern auch in der Relation einer recht unmittelbaren inneren Abhängigkeit. Edmund Kerchever Chambers (1866-1954) gehört zu jenen in das 20. Jahrhundert hineinragenden Gestalten, der das Unterfangen einer solchen Materialsammlung gleich zwei Mal in seinem Leben auf sich genommen hat: Zunächst erschien 1903 The Medieval Stage, eine zweibändige Sammlung von Daten, Quellen und Verweisen zum mittelalterlichen Theater Englands. 1923 folgte dann das vierbändige Konvolut The Elizabethan Stage, das aufgrund seiner Informationsfülle bis heute eine wichtige Referenz für alle Forscher ist, die sich mit dem englischen Theater des 16. und 17. Jahrhunderts beschäftigen. Chambers geht in seiner Sammlung mit einer umfassenden Systematik vor: Der erste Band beschreibt die Verhältnisse am Hofe sowie die Kontrolle der Theater. Gerade hier wird mitunter die zeitliche Differenz zwischen diesem Werk und einem heutigen Leser sehr deutlich spürbar: Die geistesgeschichtlichen Ausführungen, etwa zum Verhältnis von Reformation und Theater, halten der sehr weit reichenden neueren Forschung in diesem Bereich nicht mehr stand. Gleichwohl beeindrucken die Ausführungen immer noch durch die reine Fülle von Quellen, die Chambers für seine Ausführungen gesichtet hat und die er sorgfältig aufführt. Der zweite Band steht im Zeichen der Theaterpraxis selbst; minutiös listet Chambers hier die einzelnen Truppen auf und hat sogar ein eigenes Kapitel, in dem die ihm bekannten Informationen zu einzelnen Schauspielern zusammengetragen sind. Zusammen mit der Liste aller in London nachgewiesenen Theater liegt hier eine Ressource vor, die für die Theater- und Shakespeare-Forschung äußerst hilfreich ist. Die Bände III und IV schließlich komplettieren das Bild vor allem durch die Auflistung der bekannten Dramatiker und ein Verzeichnis mit kurzen Angaben zu ihren Werken, wobei der Umstand, dass der Band IV neben den anonym überlieferten Werken vor allem aus Anhängen besteht, unterstreicht, wie sehr dieses Werk als eine ‘Werkzeugkiste’ zu verstehen ist: So gibt es 13 verschiedene Anhänge, die von Dokumentensammlungen, über den Kalender des Hofes bis zu Quellen zur Kontrolle der Theater reichen und auch etwa Serlios Trattato sopra la scene (1551) in Auszügen in italienischer Sprache umfassen. So laden die insgesamt sehr schön gestalteten Bände der hier vorliegenden Neuauflage weniger zu einer systematischen Lektüre als zum Nachschlagen und Weiterforschen ein. Und hier erweist sich das Überangebot, das diese Sammlung unterbreitet, als eine Stärke gegenüber anderen Darstellungen. Während etwa die Arbeiten von Andrew Gurr, dessen Werke wie The Shakes- Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 2 (2009), 198-199. Gunter Narr Verlag Tübingen