eJournals Forum Modernes Theater 24/2

Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
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Anhand von Katie Mitchells Londoner Inszenierung Waves (2006) stellt dieser Beitrag die Frage nach dem möglichen Forschungscharakter experimenteller theaterpraktischer Arbeit. Zunächst wird daher die Inszenierung detailliert auf die experimentellen Aspekte ihrer Versuchsanordnung hin untersucht, wobei insbesondere Fragen der Fragmentierung von Darstellung, Interaktivität von Wahrnehmung, Betonung der Prozesshaftigkeit und der Intermedialität in den Blick genommen werden. Mitchells Inszenierungsstrategien entpuppen sich dabei als die Einladung zur Teilnahme an einem intermedialen Experiment und nicht als Präsentation seiner Ergebnisse. Anhand der Beobachtungen am Fallbeispiel Waves sucht der Beitrag in einem zweiten Teil einige der Chancen und Gefahren eines Forschungsanspruchs an theaterpraktische Arbeit zu formulieren, indem er auf eine Reihe von Paradoxien hinweist. Diese Paradoxien, wie zum Beispiel die Unvereinbarkeit von Innen- und Außensicht oder die Spannung zwischen Prozes- und Produktorientierung, lassen sich zwar nicht auflösen, wohl aber ins Produktive wenden und sowohl kreativ als auch erkenntnisleitend fruchtbar machen.
2009
242 Balme

“An entirely new art form”

2009
David Roesner
“An entirely new art form” 1 - Katie Mitchells intermediale Bühnen-Experimente David Roesner (Exeter) Anhand von Katie Mitchells Londoner Inszenierung Waves (2006) stellt dieser Beitrag die Frage nach dem möglichen Forschungscharakter experimenteller theaterpraktischer Arbeit. Zunächst wird daher die Inszenierung detailliert auf die experimentellen Aspekte ihrer Versuchsanordnung hin untersucht, wobei insbesondere Fragen der Fragmentierung von Darstellung, Interaktivität von Wahrnehmung, Betonung der Prozesshaftigkeit und der Intermedialität in den Blick genommen werden. Mitchells Inszenierungsstrategien entpuppen sich dabei als die Einladung zur Teilnahme an einem intermedialen Experiment und nicht als Präsentation seiner Ergebnisse. Anhand der Beobachtungen am Fallbeispiel Waves sucht der Beitrag in einem zweiten Teil einige der Chancen und Gefahren eines Forschungsanspruchs an theaterpraktische Arbeit zu formulieren, indem er auf eine Reihe von Paradoxien hinweist. Diese Paradoxien, wie zum Beispiel die Unvereinbarkeit von Innen- und Außensicht oder die Spannung zwischen Prozes- und Produktorientierung, lassen sich zwar nicht auflösen, wohl aber ins Produktive wenden und sowohl kreativ als auch erkenntnisleitend fruchtbar machen. 1. Theater als Forschung Heiner Goebbels teilte vor kurzem in Theater der Zeit die Theaterlandschaft in zwei Großkategorien ein: Theater als Museum, als Ort der Ausstellung und Bewahrung des schon Dagewesenen, und Theater als Labor, also als Ort des Experiments, der Forschung und des Neuen. 2 Die Idee, dass Theater ein Ort des Forschens und Experimentierens ist, eine Zeit des Erprobens und Testens beinhaltet und einen Anlass und eine Möglichkeit bietet, die Fragen und Erkenntnisse dieses Forschens zu veröffentlichen und erfahrbar zu machen, ist zunächst nicht neu. Alle großen Theaterneuerer, von Brecht und Piscator über Stanislawski, Grotowski, Boal, Barba oder Mnouchkine, um nur einige zu nennen, haben ihr Theater als Labor und als Forschungsarbeit verstanden. 3 In den letzten 10-15 Jahren jedoch ist die Idee eines Theater als Forschung vor allem im englischsprachigen Raum neu und anders diskutiert worden. Theatrale Praxis, so der Wunsch aus den universitären Studiengängen und Forschungszentren, müsse endlich auch als Forschung geltend gemacht und finanziell gefördert werden können. Nach langen Debatten, vielen Projekten und Workshops und etlichen Richtlinien-Dokumenten ist Practice as Research 4 längst eine etablierte Kategorie für Evaluationen, Publikationen und Doktorarbeiten in den performing arts - doch einige der innewohnenden Paradoxien hat dieses institutionalisierte Verständnis von einem Theater als Labor noch nicht abgelegt und wird es vielleicht auch nicht mehr tun. Am Beispiel einer jüngeren Arbeit der britischen Regisseurin Katie Mitchell möchte ich im Folgenden der Frage der Forschung und des Labors auf der Theaterbühne genauer nachgehen und abschließend auf einige der Paradoxien von Practice as Research, bzw. “forschender Theaterpraxis” 5 - als solche etabliert sich diese Idee auch im deutschsprachigen Raum zunehmend - hinweisen. Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 2 (2009), 103-121. Gunter Narr Verlag Tübingen 104 David Roesner 2. Katie Mitchell “The Waves” 6 [The Waves constitutes] an ambitious and ingenious experiment in the incorporation of multimedia and especially video technology into live theatre. 7 Katie Mitchell ist in England seit etwa zwanzig Jahren eine feste Größe der Theaterwelt, bekannt und durchaus umstritten durch ihre Inszenierungen von Klassikern und Zeitgenossen, die im englischen Kontext durch eine klare Regiehandschrift auffallen, wie man sie sonst eher auf dem Festland kennt. Erst 2008 führte sie ihre erste Regie an einem deutschen Theater mit Franz Xaver Kroetz’ Wunschkonzert am Schauspielhaus Köln und wurde enthusiastisch gefeiert und zum Theatertreffen 2009 nach Berlin eingeladen. Waves markiert in Mitchells künstlerischer Biographie einen Wendepunkt 8 , insofern sie in dieser Produktion eine theatrale Spielart für sich entdeckt hat, die sie seither immer wieder neu auslotet 9 : Es handelt sich um Theater als die gleichzeitige Produktion und Präsentation eines Live-Films, wobei alle Produktionsmittel offengelegt werden. Die Entdeckung dieser Methode war zunächst das Resultat eines Forschungsprojekts Mitchells, das durch das National Endowment for Science, Technology and the Arts (NESTA) 10 gefördert wurde. In einem Interview sagt sie: “I revisited The Waves recently as part of my research for NESTA. I was looking for a non-theatre text with which to explore the relationship between theatre and dance”. 11 In einem späteren Publikumsgespräch fasst sie das Forschungsinteresse etwas weiter, sicherlich nicht zuletzt deshalb, weil der Schwerpunkt Tanz in der Arbeit deutlich in den Hintergrund gerückt war: About five years ago I got some money from the government - an organisation called NESTA - to do some research into the relationship between theatre and related forms, and that would be: architecture, visual arts, other types of writing, neuroscience, psychology etc. - one of those easy, light-weight research projects you get involved in [Gelächter, DR]. So, part of that was looking for other forms of writing to see whether investigating them would lead to pushing us to create a different type of language for theatre. So one of the things we looked at was The Waves. 12 Waves begann also als Forschungsprojekt, bevor es als Inszenierungsauftrag in die Spielzeitplanung des National Theatre aufgenommen wurde. Die hier zunächst etwas vage beschriebene Suche nach der Beziehung des Theaters zu verwandten Kunstformen bekam durch die Entscheidung für Virgina Woolfs Roman ein klarere Richtung und Methodik. Der Roman stellte Mitchell und ihr Team vor ein Problem, da er selbst in hohem Maße experimentell ist. Woolf bricht in The Waves mit erzählerischen Konventionen, indem sie die Narration primär über stream of consciousness Monologe ihrer sechs Hauptfiguren entwickelt. Sie selbst nannte den Roman ein “playpoem”. 13 Das heißt, dass Mitchell nicht nur die intermediale Grundfrage der Adaption eines Mediums (Roman) in ein anderes (Theater) zu bewältigen hatte, sondern die Adaption eines bereits in sich genre-transzendierenden Textes, der Charakteristika von Epik, Poesie und Drama vereint. Da der Roman eine erzählerische Vorstellung und Entwicklung der Charaktere des Romans verweigert (die Narration ergibt sich nur implizit durch die inneren Monologe), stellte sich aus praktischer Sicht zusätzlich die Frage, wie Schauspieler diese Charaktere darstellen sollten. Mitchell berichtet, dass der Intendant des National Theatre, Nicholas Hytner, in einer frühen Probenphase fand, dass Geschichte und Charaktere in hohem Maße unklar blieben. 14 Mitchells Lösung bestand darin, das Medium des Films für die Inszenierung zu nutzen. Dem Kino geschulten Publikum könne man Charaktere in wenigen Filmbildern plausibel machen, wo das Theater Szenen, Dialoge und Handlung “An entirely new art form” 105 benötige. Um der Hybridität der Vorlage gerecht zu werden, entschied Mitchell, dieser mit einer ebenfalls aus unterschiedlichsten Elementen zusammengesetzten Theatersprache zu begegnen, die die Wahrnehmung der Zuschauer in vergleichbarer Weise fordert, wie es die experimentelle Romanstruktur Woolfs tut. Diese hybride Theatersprache gilt es genauer zu untersuchen. Zunächst fällt auf, dass Mitchell zum einen eine deutliche Trennung verschiedener Ausdrucksebenen vornimmt, zum anderen aber gleichzeitig ihre verblüffende Synthese in einem live projizierten Filmbild vorführt (s. Abb. 1 und 2). Der Kritiker Neil Blackadder beschreibt diesen Vorgang: For instance, as one actor spoke a young woman’s stream-of-consciousness, another actor used props to make the sounds she described; a third embodied the character; a fourth directed a lamp at her face, held up a sheet of Plexiglas, and sprayed it with water; a fifth actor shot the live-video footage we saw of a woman looking out of a window on a rainy day. Later, we viewed seven actors seated on the same side of a long table, but above them the video convincingly suggested that they were facing one another. 15 Diese Schichtung und partielle Verzahnung ist faszinierend zu beobachten, weil sie dem Zuschauer 16 zu jeder Zeit die Wahl überlässt, sich ganz der beeindruckenden Choreographie der fragmentierten Bild- und Klangerzeugung zu widmen oder deren Ergebnis in Form des projizierten Films, oder - und das werden die meisten Zuschauer wählen - kontinuierlich zwischen den verschiedenen Ebenen hin und her zu springen. Dieses Oszillieren der Aufmerksamkeit erzeugt eine Synthese zweiter Ordnung: Für kaum einen Zuschauer stellt der Film die eigentliche Synthese dar - nur sehr wenige werden sich ausschließlich auf das Filmbild konzentrieren, d.h. der Film wird selbst immer nur in Fragmenten wahrgenommen. Die Synthese besteht - für jeden Zuschauer individuell - in dem “Zusammensehen” und “Zusammenhören” von allen theatralen Aktivitäten und ihrer filmischen Wiedergabe, die jedoch nie gleichzeitig gesehen werden können. Das szenisch-mediale setting ist ein Experiment sowohl für die Ausführenden als auch für die Zuschauer. Hybrid und Fragment: vertikale und horizontale Ebenen der Darstellung Für die Ausführenden ist die Aufführung ein hochkomplexes Hybrid aus unterschiedlichen technischen, musikalischen und darstellerischen Aufgaben. 17 Jeder Darsteller agiert in kürzesten Zeitabständen abwechselnd als Kameramann, foley artist, Beleuchter, grip, voice over und Schauspieler. In anderen Worten heißt das: Die Darsteller sprechen die Texte, die hier stets den Charakter von Kommentaren aus dem Off haben; sie spielen stumm Situationen und Begegnungen, agieren stumme Blicke, Haltungen, Emotionen, Verhalten; sie rangieren Bühnenbildelemente hin und her, die innerhalb der stets eng gehaltenen Kadrierung des Filmbildes hinreichend Orte charakterisieren (Wohnzimmer, Bad, Zug, Restaurant); sie erzeugen die Geräusche zu den gefilmten Handlungen (Schreiben, Tee Trinken, Essen); sie beleuchten mit Schreibtischlampen die jeweilige Szene; und sie erzeugen Spezialeffekte wie künstlichen Regen oder geisterhafte Imaginationen durch Spiegeleffekte (s. Abb. 2). Das Experiment für die Darsteller besteht meines Erachtens in einer Doppelfragmentierung ihrer Aufgaben: Die eine Fragmentierung verläuft auf der Zeitachse gewissermaßen horizontal und besteht in der enormen Anforderung, die rasanten Aufgabenwechsel übergangslos zu absolvieren. Die zweite quasi vertikale Fragmentierung besteht darin, dass viele der beschriebenen Aufgaben in sich wiederum verteilt sind. Ein Schauspieler spielt beispielsweise, dass er Tee trinkt; der Vorgang wird im Film allerdings durch den 106 David Roesner Abb. 1: Räumliche Trennung auf der Bühne und Synthese im Filmbild. Szene aus Katie Mitchells Waves. (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Stephen Cummiskey) Abb. 2: Filmische Spezialeffekte - szenisch handgemacht. Szene aus Katie Mitchells Waves. (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Stephen Cummiskey) “An entirely new art form” 107 Abb. 3: Fragmentierung der Darstellung. Szene aus Katie Mitchells Waves. (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Stephen Cummiskey) Schnitt zwischen wechselnden Einstellungen auf seinen Oberkörper und - in einem point of view shot - auf seine Hände und den Tisch vor ihm gezeigt. Die point of view Einstellung entsteht aber an einer anderen Stelle eines langen Tisches (s. Abb. 3), an dem ein anderer Schauspieler mit dem gleichen Teeservice hantiert, was dann durch virtuoses Timing im Live-Schnitt wie ein Vorgang aussieht. Für den zweiten Darsteller heißt das aber, dass er zwar im horizontalen Kontinuum eine darstellerische Aufgabe übernimmt, diese aber vertikal fragmentiert ist, da er lediglich den Arm einer Figur spielt. Ähnliches gilt für andere Aufgaben: Zwei Darsteller an entgegengesetzten Enden der Bühne produzieren die Geräusche für die eben skizzierte Szene, aber auch sie decken jeweils nur Teile dieser Aufgabe ab: Einer übernimmt das Schlürfen, ein anderer das Klappern der Tasse auf der Untertasse (s. Abb. 3). Distanz vs. Immersion / suspension vs. affirmation of disbelief Auf der Zuschauerseite resultiert dieses Darstellungsexperiment in einem Kontinuum an Wahrnehmungsangeboten, die zwischen Einladungen zur Synthese und irritierenden Dissoziationen schwanken. Als Zuschauer kann man in beinahe jedem Moment der Aufführung zwischen einer suspension of disbelief und einer affirmation of disbelief wählen, da die Angebotspalette stets sowohl immersive Fiktion als auch das verfremdende Ausstellen ihrer Gemachtheit umfasst. Ein wesentliches Interesse entsteht für den Zuschauer aus der hohen Fluktuation von szenischen Vorgängen, deren Synthese plausibel und nachvollziehbar erscheint, und solchen, bei denen wir uns selbst verblüfft dabei beobachten, Ebenen zusammenzudenken, die eigentlich nicht zusammenpassen. Plausibel ist es zum Beispiel, wenn wir im Film in einer nahen Einstellung eine Figur gehen sehen und 108 David Roesner diesen Eindruck durch den Klang von Schritten bestätigt finden, auch wenn dieser Klang offensichtlich an einer anderen Stelle der Bühne von einem anderen Darsteller durch Gehen auf der Stelle produziert wird. Eine Schuss-Gegenschuss-Montage eines Gesprächs hingegen, deren Beteiligte sich entgegen unseres Eindrucks vom Filmbild eben nicht gegenübersitzen, sondern weit auseinander und einander nicht zugewandt (s. Abb. 1), lässt unsere filmische und theatrale räumliche Orientierung einander widersprechen. Ein anderes Beispiel ist der Fall, wenn Filmbild und Ton plausibel zusammenpassen, wie z.B. beim Beschreiben und Auswischen einer Tafel vor jedem der sieben Teile der Aufführung, wir aber beobachten können, dass die ‘passenden’ Geräusche mit ganz anderen Mitteln erzeugt werden. Lyn Gardner beschreibt dieses Wechselbad aus Immersions- und Distanzierungsangeboten als “merkwürdige und beunruhigend gespaltene Sinneswahrnehmung”: […] the multi-stranded, non-linear, nonnarrative stream of consciousness unfolds with the fluidity of running water. It feels shockingly intimate and oddly dispassionate, and neither film nor live action alone could come anywhere close to achieving this curious and disconcerting split sensation. 18 Ich will drei Konsequenzen hervorheben, die meines Erachtens aus diesem Spiel mit Immersion und Verfremdung hervorgehen: die Ästhetik des Prozesses, die Dynamisierung von Hierarchien und der ‘doppelte Reiz’, an dessen Erörterung sich eine längere Diskussion des besonderen Intermedialitätsgefüges bei Mitchell anschließt. Die Ästhetik des Prozesses Mitchells Inszenierung räumt der Prozessualität viel Raum ein. Christopher Campell beschreibt, dass ihm bei einem Probenbesuch häufig nicht ganz klar war, ob er bereits einer Darstellung, also einem Probenresultat, oder lediglich dem Versuch ein bestimmtes Problem zu lösen, also einem Probenprozess, zusah. 19 Der springende Punkt scheint mir aber zu sein, dass bereits diese Unterscheidung nicht mehr greift. Auch bei einer Aufführung von Waves sieht man stets gleichzeitig dem Resultat einer Arbeit sowie einem Arbeitsprozess zu, den die Aufführung zum einen als solchen ausstellt und kenntlich macht, ihm aber gleichzeitig einen ästhetischen Eigenwert verleiht. Die konzentrierte Geschäftigkeit, mit der die Schauspieler ihre stets wechselnden Aufgaben versehen, entfaltet eine eigene Theatralität und Schönheit, die mit dem Stoff von Waves eigentlich nichts mehr (oder: noch nichts) zu tun hat, aber zurecht als ästhetischer Vorgang - einer Choreographie nicht unähnlich - beschrieben wurde; ein Effekt, der sich auch jenseits der einzelnen Produktion zu wiederholen scheint, wie eine Beschreibung von Wunschkonzert nahelegt: Im Gegensatz zur Statik des Gefilmten und Projizierten ist auf der Bühne im Off der Kameras stets Bewegung, Kameras und Beleuchtung werden auf- und abgebaut, Requisiten arrangiert, Kostüme gewechselt, die Crew ist geschäftig. Die Synchronizität von Ton- und Bildmaschinerie, von Totale und Detail, von Bühne und Leinwand bietet eine gute Stunde lang eine faszinierend präzise Choreographie der Produktion des filmischen Scheins. 20 Auf die Bedeutung der Prozesshaftigkeit im Bereich eines forschenden, experimentellen Theaters werde ich im dritten Teil noch einmal zurückkommen, wenn ich auf einige der Paradoxien von forschender Theaterpraxis eingehe, wie zum Beispiel auf das Spannungsverhältnis von Prozess- und Ergebnisorientierung. Die Dynamisierung von Hierarchien 21 Mitchells Inszenierung geht mit einer Dynamisierung von Hierarchien der theatralen “An entirely new art form” 109 Ausdrucksebenen einher. Während einerseits scheinbar alle Ausdrucksmittel ihrer Synthese im Film zuarbeiten und innerhalb des Films klar dem Filmbild und dem voice over Text untergeordnet sind, bricht die Offenlegung des Entstehungsprozesses diese Hierarchisierung wieder auf. Im theatralen Gesamtgefüge kann hier auch das Erzeugen von Schrittgeräuschen oder das Sprühen von künstlichem Regen auf eine Scheibe ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken und Text oder Film in den Hintergrund treten lassen. Eine zweite hierarchische Achse kommt dabei in Bewegung: die Verbindung der beiden Pole ‘Bühne’ als Bedeutungserzeuger einerseits und ‘Zuschauerraum’ als Bedeutungsempfänger andererseits. Diese Achse beschreibt gewöhnlich einen eher einseitigen Informationsfluss (von der Bühne zum Zuschauer) und wird hier durch ein dynamischeres Konstrukt ersetzt: Viele Bedeutungs- Pfeile verbinden nun Bühne und Zuschauerraum und verlaufen in beiden Richtungen. 22 Durch die Multiplizierung der Fokusse einerseits und die Aufwertung der synthetisierenden und dissoziierenden Wahrnehmungen des Zuschauers andererseits wird die Inszenierung zu einem lebendigen Basar der Wahrnehmungs- und Bedeutungsangebote, verhandlungen und -transaktionen. Eine solche Aufwertung beschreiben George Fisher und Judy Lochhead in einem anderen Zusammenhang unter Bezug auf Peggy Phelan als die Performativität des Sehens: Seeing is performative then in the sense that it is creative and continually refreshed. Further, in her insistence that ‘all seeing is performative’ Phelan adopts a Merleau-Pontyian notion that ‘those who watch’ will bodily enact perceptual meaning in ways similar to ‘those who make’. 23 Auch wenn diese Performativität laut Phelan für alles Sehen gilt, bestehen m.E. doch graduelle Unterschiede, inwieweit eine Inszenierung ein solches Sehen begünstigt und herausfordert. Waves scheint mir dieses aktive, Bedeutung erzeugende Sehen in besonderer Weise zu befördern. Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Erkenntnispotential der Inszenierung deutet sich hier bereits an, dass sich nicht nur der methodische Zugang zu neuer Erkenntnis durch Praxis von anderen Forschungmethoden unterscheidet, sondern auch die Art des Wissens eine andere ist. Ich werde diesen Aspekt einer Neubewertung von Wissen im dritten Teil genauer betrachten. Der ‘doppelte Reiz’ In gewisser Weise ist der Reiz, der von dem in Waves erzeugten Spannungsverhältnis zwischen suspension und affirmation of disbelief ausgeht, dem “doppelten Reiz” nicht unähnlich, den Johann Wolfgang von Goethe bei der Betrachtung von Männern in Frauenrollen in den “römischen Komödien” empfand. 24 In seiner Beobachtung ist es gerade die Gleichzeitigkeit von Illusion und ihrer Aufdeckung, die er mit dem Paradox der “selbstbewußten Illusion” auf den Begriff bringt, die theaterästhetisch erstrebenswert ist. Bernhard Greiner formuliert das so: Der Mann mag die weibliche Figur noch so perfekt vorstellen, so weiß der Zuschauer doch in jedem Augenblick gleichzeitig, dass es ein Mann ist, der eine Frau spielt. Dieses Zugleich ist der Fluchtpunkt der Theaterarbeit: über dem Dargestellten (auf das als Abwesendes verwiesen wird und in das durchaus illusioniert werden soll) die Darstellung unter den jeweiligen Bedingungen der Wirklichkeit hier und jetzt von Schauspieler und Publikum (als Anwesenden) nicht zu vergessen, diese Dopplung vielmehr gerade zu betonen. ‘Selbstbewußte Illusion’ als Ergebnis solchen Spiels ist eine Illusion, die zugleich einbekennt, dass sie Illusion ist. 25 Auch bei Katie Mitchell sind die (filmische) Illusion und das Bewusstsein ihrer Hervorbringung stets gleichzeitig präsent. Die schau- 110 David Roesner spielerischen Darstellungen zielen nie auf vollständige Verkörperungen, Verschmelzungen oder Selbstdarstellungen, sondern sind eine künstlerisch organisierte Präsentation von mosaiksteinartigen Verhaltensmomenten - ein Blick aus dem Fenster, das Eingießen einer Tasse Tee, das Schreiben eines Briefes -, die mit großer Detailgenauigkeit “studiert” und “wieder hervorgebracht” werden. 26 Insbesondere gilt dies auch für die offengelegte Geräuscherzeugung: Ein bestimmter Klang wird genau imitiert, doch die Differenz zwischen dem verweisenden Klang und dem visuellen Signifikat wird spielerisch herausgestellt. Anders als bei den römischen Komödien ist jedoch nicht eine gegengeschlechtliche Besetzung der Auslöser für den doppelten Reiz und das Paradox einer selbstbewussten Illusion, sondern die intermediale Versuchsanordnung, die ich nun etwas genauer untersuchen werde. Intermedialität Intermediality as a concept is no longer reduced to being confined to the mere use of various media technologies in live performance; not as being confined to the computerized media-cultural economy in the early years of the twenty-first century. Rather it is an effect performed in-between mediality, supplying multiple perspectives and foregrounding the making of meaning rather than obediently transmitting meaning. 27 Katie Mitchells Inszenierung ist nicht nur eine raffinierte Schichtung, Verzahnung und Trennung theatraler und filmischer Ausdruckmittel, sie ist auch ein komplexes Beispiel von Intermedialität als einer experimentellen Strategie, um etablierten Kunstformen und Medien durch die wechselseitige Verschränkung, Übersetzung und Vereinnahmung neue Arbeitsweisen, Ästhetiken und Wahrnehmungsgefüge zu entlocken. Waves ist eine Art intermediale russische Matrjoschka-Puppe: In einer Inszenierung steckt ein Film einer Bearbeitung eines Romans, der gleichermaßen poetische und dramatische Konventionen benutzt. Folgt man der Differenzierung verschiedener Formen von Intermedialität, wie Jörg Schröter sie vorschlägt, schachteln sich hier eine Reihe unterschiedlicher theoretischer Modelle von Intermedialität ineinander. 28 Betrachtet man die Aufführung als Ganzes, greift Schröters Begriff der “Synthetischen Intermedialität”: verschiedene Medien verschmelzen in Waves zu einem neuen Ganzen, einem neuen Intermedium 29 : Sichtbares- Produzieren-eines-Live-Films-auf-einer- Theaterbühne-nach-einem-Roman. Dieses Verschmelzen geschieht aber bei Mitchell nur momentweise, weil sie das Trennende genauso stark macht wie das Verbindende. Es ist eine intermediale Kippfigur: Wenn man den Blick ein wenig unscharf stellt, kann man Ton und Bild, live und gefilmt, Wort und Handlung, Bühne und Musik als Eines wahrnehmen, doch sobald man eines der Elemente fokussiert, kippt man zurück in die Betrachtung der Teile und ihrer Nahtstellen, Zerfaserungen und Verflechtungen. Auch Spielarten von ‘trans-medialer Intermedialität’ lassen sich in Waves konstatieren. Dieser Modus basiert “on the assumption that methods and modes of representation (aesthetic conventions) operate in several media” 30 und bringt medienübergreifende Grundprinzipen als tertium comparationis ins Spiel, wie etwa Rhythmus, Narration, Perspektive, Metapher etc. 31 Waves thematisiert die Frage nach diesen Grundprinzipien gerade durch das Wechselspiel von Dopplung und Ergänzung zwischen den Medien. Mal wird das im Text Beschriebene auf der Bühne gezeigt und im Film nochmals wiedergegeben, mal divergieren Text, szenisches Spiel und Filmbild deutlich oder ergänzen sich. So gibt es etwa eine Passage, in der eine der Figuren ansetzt einen Brief zu schreiben (s. Abb. 4). Der innere Monolog beschreibt “An entirely new art form” 111 Abb. 4: S. 41 der Dokumentation von Waves. (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Leo Warner) ausführlich die Aspirationen des Schreibers, das Filmbild fokussiert hingegen die Materialität der Schreibutensilien, der Soundtrack die Klanglichkeit, während der Schauspieler versucht, den Beschreibungen des Textes ein Gesicht zu geben. 32 Die beschriebene Situation ist in allen Medien die gleiche, aber das Spiel mit Klanglichkeit, Rhythmus und Perspektive variiert deutlich. Dem Zuschauer werden also medienspezifische Ausformungen medienunspezifischer ästhetischer Prinzipien zum Vergleich angeboten. Bei Schröters ‘transformationaler Intermedialität’ handelt es sich um die Repräsentation eines Mediums in einem anderen Medium: Diese Praxis durchzieht die Aufführung von Waves und ihre Problematisierung scheint mir das Besondere dieser Arbeit auszumachen. Viele Theaterinszenierungen basieren auf Romanen, viele nutzen Film oder Video auf der Bühne, in vielen wird live musiziert. Transformationale Repräsentationen, so Chapple und Kattenbelt, “always have ontological implications because they assume an awareness of the ontology of the medium”. 33 Interessant ist nun aber bei Waves, dass Katie Mitchell hier stets mit diesem Bewusstsein über das ‘Wesen’ der Medien spielt. Die 112 David Roesner Medien des Romans, des Films, des Schauspiels werden im Rahmen des Theaters repräsentiert, aber ihre Charakteristika werden gleichzeitig in Frage gestellt: Der Roman wird sowohl zur szenischen Lesung als auch zum filmischen voice over, der Film ist hier kein konservierendes Medium, sondern ebenso ephemer wie das Theater, und das Schauspiel ist ein Hybrid aus task performance, Bühnentechnik, Geräuschemachen und Camera- Acting. Mitchells intermediales Experiment ist somit nicht zuletzt eine Dekonstruktion intermedialer Praktiken und führt die Vorstellung stabiler Medien-Ontologien ad absurdum. Das hat zum einen zur Folge, dass die Faszination an Mitchells Experiment zu einem nicht geringen Teil durch den performativen Überschuss hervorgerufen wird, der in Mitchells besonderer intermedialer Versuchsanordnung dadurch entsteht, dass keine der intermedialen Übertragsrechnungen ohne Rest aufgeht. So gibt es beispielsweise bei den kontinuierlich offen gelegten Bemühungen, den Live-Film zu erzeugen, performative Rückstände: Wenn ein Schauspieler einem anderen hilft ein Kamera-Kabel zu entwirren, ein anderer sich Requisiten noch einmal zurechtrückt, ein Dritter einen Moment lang konzentriert wartet, bis er auf seine Position kann, dann sind dies Momente einer ganz unbewussten theatralen Präsenz, die ich als Zuschauer nicht mit dem entstehenden Film verrechne, sondern um ihrer selbst willen betrachte. Zum anderen ist Mitchells Arbeit ein Paradebeispiel für eine emergente Narration. 34 Die Erzählung entsteht aus dem Wechselspiel der Medien und ihren Zwischenräumen, dem in-between, dessen Bedeutung für intermediale Performances Chapple und Kattenbelt betonen. 35 Ein Kennzeichen von Emergenz ist laut Steven Johnson die Bewegung von “low-level rules to higher-level sophistication”. 36 Und Peter Corning ergänzt mit Bezug auf Jeffrey Goldstein: “Emergence refers to ‘the arising of novel and coherent structures, patterns and properties during the process of self-organization in complex systems’”. 37 Wenn man für Mitchells Produktion das Neuartige bei der intermedialen Erzählform ansiedelt, besteht die Emergenz in diesem Versuchsaufbau darin, dass keine der beteiligten Instanzen oder Aktanten (wie Bruno Latour das unter Einbeziehung technologischer ‘Akteure’ nennt 38 ) die resultierende Erzählung verantwortet, sondern diese das Produkt der Selbst-Organisation von Schauspielern, Texten, Geräuschen, Kameras, Requisiten, Lampen, Musik und dem selektiven Blick der Zuschauer ist. Obwohl die Inszenierung in sich bereits hoch organisiert ist, lässt sie durch ihre Prozesshaftigkeit und die Mosaikartigkeit ihrer Bestandteile viel Raum für eine Emergenz des Verstehens und des Erzählens in der Aufführungssituation. 39 Aus der Interaktion des Zuschauers mit den beteiligten Medien und dem Spinnen des Netzes in-between entsteht einerseits die Vielfalt der Geschichten, die auf Woolfs Roman basieren, andererseits darüber hinaus eine Vielfalt an Geschichten über das Geschichtenerzählen selbst. So schreibt Neil Blackadder: “These inventively composed images prompted the audience to ponder how we see, how we experience, and how we remember”. 40 In gewisser Weise ist natürlich jede Theaterinszenierung ein potentiell emergentes komplexes System aus Aktanten, aber graduell ist das Maß der Verantwortung eines Schauspielers für die Geschichte seiner Figur in einer Inszenierung psychologischer Prägung viel höher. Hier verkörpert er die Figur, während er bei Mitchell einmal ihren inneren Monolog spricht, ihr ein andermal sein Gesicht leiht, ihre Geräusche produziert oder nur ihren Arm ‘spielt’. Erst dadurch, dass bei Mitchell die Aufgaben der Akteure auf “lowlevel rules” basieren statt auf hoch entwickelter Verkörperungskunst, eröffnet sich die “An entirely new art form” 113 Möglichkeit zur Emergenz zu “higher-level sophistication”. 41 Ich will nun abschließend versuchen, einige der Beobachtungen, die ich anhand von Waves angestellt habe, auf ihre Bedeutung für eine forschende Theaterpraxis hin zu befragen. Obwohl ich fest vom Wert solcher Practice as Research überzeugt bin, schien es mir angemessen, einige der Implikationen solcher Forschung als Paradoxien zu formulieren. 3. Paradoxien einer forschenden Theaterpraxis Ich habe in der Aufführungsanalyse von Waves versucht, den experimentellen Charakter der Aufführung und ihre Eigenschaften als Versuchsaufbau für neue Formen der Darstellung, Wahrnehmung und Intermedialität herauszuarbeiten. Experimente haben üblicherweise ihren angestammten Ort in der Forschung. Experimente sollen dabei helfen etwas herauszufinden, eine Prämisse zu überprüfen oder eine theoretische Frage mit empirischer Beobachtung zu paaren. Ihr Ziel ist es, sowohl das theoretische Rüstzeug als auch das praktische Instrumentarium zu stärken und zu schärfen. Experimente dienen außerdem dem Ziel der Erweiterung: dessen, was wir wissen, und dessen, was wir können. Natürlich unterscheiden sich Experimente in den Naturwissenschaften von denen in den Geisteswissenschaften. Die übergeordneten Forschungsziele beider divergieren deutlich. Wo die Naturwissenschaften Gesetzmäßigkeiten, Regeln und Gewissheiten zu erkennen und etablieren suchen, zielt geisteswissenschaftliche Forschung und künstlerische Praxis nicht selten auf das Transgressive, Individuelle, Ungewisse und Abweichende. Und anders als in den sozialwissenschaftlichen Fächern hat in den Kunst- und Kulturwissenschaften das Experiment als empirische Methode noch nicht so richtig Fuß gefasst. Dennoch hat die Idee, dass etwa eine experimentelle künstlerische Praxis eine Forschungsmethode sein kann, mittlerweile einen gewissen Aufschwung erfahren. Der Anspruch dieser sich verbreitenden Idee von Practice as Research bzw. einer forschenden Theaterpraxis ist, dass Praxis eine zentrale Funktion innerhalb eines Forschungsvorhabens einnimmt. Wenn man die Formel Praxis als Forschung ernst nimmt, geht es hier also nicht um die bloße Illustrierung, Anwendung oder Überprüfung von theoretischen Überlegungen. 42 Praxis als Forschung heißt, dass die künstlerische Arbeit selbst Methode und Ergebnis bei der Beantwortung einer Forschungsfrage ist. Darin liegen sowohl der Reiz als auch eine der Hauptschwierigkeiten. Erstes Paradox: Eigengesetzlichkeiten von Kunst und Forschung Beginnen wir mit den Schwierigkeiten: Forschung wird im Allgemeinen als ein Vorgang zur Generierung, diskursiven Verbreitung und zur Anwendung von Wissen gesehen, der methodisch selbstreflexiv, transparent und eindeutig ist, also Prämissen offen legt, Methoden begründet und Quellen zitiert. Künstlerische Praxis hingegen beruht meist auf einem polymethodischen patchwork, verschleiert ihren Prozess, zielt auf semantische Mehrdeutigkeit und auf vordiskursive Elemente wie Erfahrung und sinnliches Erlebnis - sowohl für Künstler als auch für Zuschauer - und ihre Verbreitung ist, im Falle des Theaters, flüchtig und nicht fixierbar. Es spricht also manches dafür, dass Praxis als Forschung ein Paradox ist, die Quadratur eines Kreises. Ich habe im britischen akademischen Kontext etliche Beispiele gesehen, die das bestätigen: Mal gerät die Praxis akademisch, trocken und langweilig, mal entwickelt sich eine aufregende Performance, die aber mit den Forschungsfragen und -methoden nur noch lose assoziativ verknüpft ist und in 114 David Roesner gewisser Weise als Kunst gelingt und als Forschung scheitert. Auf dem Kongress Europäische Dramaturgie im 21. Jahrhundert (Universität Frankfurt, September 2007) sagte Marianne Van Kerkhoven, eine der führenden Dramaturginnen der Niederlande und Belgiens und Dozentin an der Universität Utrecht, sinngemäß, sie begrüße es, dass Theaterpraktiker und Theaterforscher eine Brücke zwischen sich gebildet hätten und häufiger das “Territorium” des jeweilig anderen besuchten, aber Kunst bleibe Kunst, und Forschung bleibe Forschung, und sie fände es sehr problematisch, sich mitten auf der Brücke dazwischen häuslich einrichten zu wollen. Van Kerkhoven bekräftigt also die Eigengesetzlichkeit von Kunst und Forschung, fordert sie geradezu ein und stellt die Vereinbarkeit beider grundsätzlich in Frage. Die Erfahrung gibt ihr m.E. bisher Recht. Das Beispiel Waves zeigte, dass die Inszenierungsarbeit nach dem anfänglichen Forschungsimpetus eher einer künstlerischen Eigendynamik folgte. Die Arbeit ermöglicht zwar sowohl für Akteure, Zuschauer und Forscher einen Erkenntnisgewinn, die Erfahrung eines Experiments und seiner Entdeckungen, aber die Inszenierung selbst ist keine Veröffentlichung im akademischen Sinne und will es auch nicht sein. Universitäre Forschungsprojekte oder auch sogenannte practice-led oder practicebased PhDs, die explizit als Practice as Research gekennzeichnet, mit Drittmitteln gefördert und evaluiert bzw. benotet werden, umgehen das Paradox in unterschiedlicher Weise, aber lösen es nicht auf. Eine pragmatische Lösung besteht häufig darin, zu akzeptieren, dass forschende Praxis in ihrer Zweckgebundenheit zwar eine Erkenntnis leitende Methode sein kann, aber eben nicht auf Kunst zielt, sondern auf ein Forschungsergebnis. Forschende Praxis ist hier - im besten Sinne - Kunsthandwerk; ein künstlerisches Tun, das in seinem Zweck aufgeht, während Kunst weiterhin immer auch von einem Überschuss an Bedeutung und Sinnlichkeit, von prä- und postdiskursiven Elementen und von Zweckfreiheit bestimmt ist. Mitchells Inszenierung primär unter den Aspekten ihres Erkenntnis- und Erfahrungspotenzials für Darsteller und Zuschauer zu betrachten, wie ich das getan habe, zeigt die Neuigkeit, die Diskursivierbarkeit und Intelligenz dieser Arbeit, unterschlägt aber das Staunen und Überwältigtsein der Zuschauer und die schiere Schönheit der Aufführung. Zweites Paradox: Explizite und implizite Forschung Obwohl Practice as Research den Anspruch hat, in und durch Praxis zu forschen, braucht es stets eine Etikettierung und Kontextualisierung von außen, damit eine künstlerische Praxis als Forschung gelten darf. Es wird der Praxis also gleichzeitig intrinsischer Wert als Forschung zugesprochen, die Kriterien aber werden nach außen verlagert, in ein von den Theatermachern explizit zu formulierendes Forschungsvorhaben. Die drei Faktoren, die beispielsweise das Arts and Humanities Research Council Englands vorsieht, sind dafür ein klarer Beleg: Als Forschung wird gewertet, was eine oder eine Reihe von Forschungsfrage(n) (research question[s]) formuliert und deren Beantwortung verfolgt. Forschung muss sich außerdem in einem relevanten wissenschaftlichen Zusammenhang oder Stand der Forschung verorten (research context) und schließlich seine Methodik transparent machen (research methods). 43 Angela Piccini schreibt dazu, “that context is the most significant of the assessment criteria - how the practitioner situates the work as ‘fit for purpose’”. 44 Katie Mitchells Arbeit ist in dieser Hinsicht ein gutes Beispiel für eine Arbeit, die intrinsisch zwar als künstlerisches Labor mit interessanten Ergebnissen gesehen werden kann, die aber im Kriterienkatalog der AHRC nicht als Forschung gelten “An entirely new art form” 115 dürfte. Mitchell folgte zwar zunächst ausdrücklich einem Forschungsimpuls oder “research imperative”, dieser wurde aber spätestens durch die Kommission der Inszenierung durch das National Theatre von einem “professional imperative” 45 abgelöst - der “purpose” oder Zweck, von dem Piccini spricht, ist nun ein anderer. Die Forschungsfrage bleibt zwar erhalten, aber Forschungskontext und Methodologie treten gegenüber der Pragmatik des Theatermachens als auch der künstlerischen Eigendynamik in den Hintergrund. Auch die Dokumentation der Arbeit trägt nicht die Merkmale eines Forschungsergebnisses, sondern liefert eher Material für research about practice. 46 Drittes Paradox: Neubewertung von Wissen Eine forschende Theaterpraxis schafft zwar neues Wissen, nicht selten stellt sie jedoch in Frage, was wir Wissen nennen. Das Wissen, das in einer Aufführung verkörpert, vermittelt und erfahren wird, lässt sich nicht “getrost nach Hause tragen”. 47 Forschung als Praxis erfordert eine Neubewertung von Wissen. Wissen ist hier ein Prozess der Erkenntnis, der in Gang gesetzt wird und eher durch das Verb ‘wissen’ als durch das Substantiv ‘Wissen’ beschrieben werden kann. 48 Wissen wird zu einem aktiven, dynamischen Vorgang und damit selbst wieder zu einer Praxis. 49 Katie Mitchell hat in ihrer Inszenierung eine Versuchsanordnung aufgebaut, die dem Zuschauer nicht einfach das Ergebnis eines Experiments präsentiert, sondern ihn daran teilhaben lässt. Diese Art der Verschiebung haben Ian Sutherland und Sophie Krzys Acord anhand von Beispielen aus Musik und Bildender Kunst als eine Abwendung von einer “isolation of knowledge in the artistic artifact, separated from its production and the evolving reception” beschrieben. 50 Stattdessen, so schlagen sie vor, eröffne sich Wissen als ein verkörpertes, stillschweigendes und kontextabhängiges Phänomen: Knowledge production happens as a combined effort of creators, technology, mediators, artistic works, contexts and recipients - permeable and material art worlds. Knowledge is, therefore, best understood as an embodied, tacit and contextualized phenomenon, varied and subjective: a verb rather than a noun. 51 Angela Piccini unterschiedet ganz vergleichbar das “knowing how” und “knowing that”, 52 kritisiert allerdings auch zurecht eine allzu schematische Gegenüberstellung, die “critical-theoretical research” und “practice as research” als Gegensatzpaar konstruiere. 53 Hence a focus on the ‘uniqueness’ of PAR’s production of knowledge (as embodied or otherwise) runs counter to the wider critical engagement with ‘knowledge making’ in the arts and humanities. PAR may significantly contribute alternatives to current ‘ways of knowing’ in that it crucially calls into question notions of, for example, ‘objectivity’ and ‘originality’. 54 Wo Piccini die dichotomische Gegenüberstellung von theoretischer und praktischer Forschung problematisiert, scheint mir darüber hinaus eine forschende Theaterpraxis die Stabilität der Kategorien ‘Theorie’ und ‘Praxis’ in Frage zu stellen und ihr Verhältnis neu zu bestimmen, was uns zu einem vierten Paradox führt. Viertes Paradox: Notwendigkeit und Unmöglichkeit der Theorie/ Praxis-Dichotomie Forschende Theaterpraxis basiert auf einer konzeptionellen Abgrenzung von Theorie und Praxis, die sie gleichzeitig zu problematisieren sucht. Diese Erkenntnis hat sich im englischsprachigen Raum vor allen in der praxisbetonten Arbeitsweise von universitären Theaterstudiengängen und Promotionen durchgesetzt und wurde unter anderem 116 David Roesner bereits 1998 von Christopher McCullough in seinem Buch Theatre Praxis (London) reflektiert. Er etabliert darin den im Englischen wenig gebräuchlichen Begriff der praxis als ein Verhältnis von theory und practice, die sich in einem zyklischen Wechselprozess befänden. The precise division between theory as a contemplative activity and practice as all action seems to crude a model. There is surely a form of action in theory in the form of verbal discourse, as there is contemplation and decision-making in practice. 55 Stephen Farrier ergänzt diese Bestimmung von praxis 56 um die Idee eines Fluidums zwischen Denken und Tun: The fluidity of moving from work to theory and back to work is probably familiar to most university teachers working in the studio. The fluidity of such a way of working is, I think, best expressed in the idea of praxis. […] Praxis can be seen as an axis around which the exploration of performance genres and processes can be questioned, along with their theoretical categories and considerations. 57 Die Feedback-Schleife zwischen theoretischen Überlegungen und praktischer Erprobung, deren Balance und ‘Drehmoment’ in jedem Projekt neu ausgehandelt werden müssen, erlaubt einen flüssigen Wechsel zwischen Außen- und Innensicht des theatralen Entstehens und Geschehens und ermöglicht so einen experimentellen, forschenden Zugang zur Theaterpraxis. Die Idee einer forschenden Theaterpraxis braucht also gleichzeitig die konzeptionelle Abgrenzung von Theorie und Praxis, um sich als eigenständiger methodischer Weg zu etablieren, muss aber in ihrer Ausübung die gedachte Dichotomie zwischen Theorie und Praxis aufzuheben suchen. Fünftes Paradox: “Outsider-versus-Insider-Perspektive” 58 Eine weitere problematische Dichotomie ergibt sich aus der eben erwähnten Feedback- Schleife, zwischen Theorie und Praxis und Außen und Innen: Es besteht ein wesentlicher Unterschied zu einem von der Naturwissenschaft her gedachten Begriff des Experiments als Forschungsmethode. Während sich im naturwissenschaftlichen Labor meist klar zwischen den Forschenden und dem Forschungsgegenstand unterscheiden lässt - sei es eine chemische Substanz, eine Zelle oder eine weiße Maus -, sind im Theaterlabor die Forscher meist auch ihr eigener Gegenstand und Versuchsobjekt 59 und müssen immer wieder neu Verfahren erfinden, wie dieses Paradox der teilnehmenden Beobachtung produktiv zu machen ist. 60 Vilém Flusser hat darauf hingewiesen, dass sowohl die Beobachtung ihren Gegenstand verändert und manipuliert (oder verändern muss, um ihn beobachten zu können), als auch, dass der Gegenstand den Beobachter verändert. 61 Dieses Problem haben natürlich alle Wissenschaften und innerhalb der Theaterwissenschaften alle Disziplinen, von der Historiographie bis zur Aufführungsanalyse, aber die häufige psycho-physische Untrennbarkeit von Forscher und Gegenstand in der praktischen Theaterforschung stellt ein graduell gravierenderes Problem dar, dem je individuell kreativ begegnet werden muss. Sechstes Paradox: Prozessvs. Ergebnisorientierung Obwohl Forschung in aller Regel ergebnisorientiert ist, führt die methodische Öffnung zur forschenden Theaterpraxis unter anderem zu einer Betonung des Prozesses in der Arbeit und der Aufführung. Forschungsgeleitete Theaterexperimente bewahren häufig ihre Prozesshaftigkeit auch in der Aufführung und legen Teile ihres Entstehungsprozesses offen. Das ermöglicht eine für Forschung erforderliche Transparenz und Nachvollziehbarkeit und demonstriert methodische Selbstreflexivität, schafft aber häufig gleichzeitig eine Ambiguität und Un- “An entirely new art form” 117 abgeschlossenheit, die zusätzlicher Kommentierung bedarf, um Teil einer Forschungsveröffentlichung sein zu können. Bei Katie Mitchell war diese Offenlegung des Übersetzungsprozesses von Virginia Woolfs Sprache in eine Theatersprache deutlich zu sehen, wurde aber nicht als Ergebnis präsentiert, sondern als - offene - Erfahrung zugänglich gemacht. Für die Kunst hat ein research imperative positiv zur Folge, dass sich der forschende Experimentalcharakter auch im Arbeitsprozess selbst niederschlägt, indem hier etablierte und erprobte Arbeitsweisen in Frage gestellt werden. Bei Katie Mitchell stand nicht der Text oder die Institution des National Theatre an erster Stelle des Prozesses, sondern eine Fragestellung: “Will investigating the relationship of other arts and other forms of writing lead to the creation of a different type of language for theatre? ” Dann erst erfolgte die Wahl von Waves als Material und Gegenstand, und dann ein Proben- und Forschungsprozess in Zusammenarbeit mit einem Team, innerhalb dessen bestimmte Arbeitshierarchien und -chronologien neu verhandelt werden mussten. So wurden Videodesigner Leo Warner und Sound Designer Gareth Fry schon viel früher als sonst üblich in den Entwicklungsprozess involviert und waren nicht Ausführende eines Regiekonzepts, sondern integraler Bestandteil eines eher emergenten Prozesses. 62 Für die Theaterwissenschaft ist hier also zusätzlich ein Desiderat hinsichtlich der methodischen Schwierigkeiten entstanden, welche die Erforschung und Reflexion von theatralen Entstehungsprozessen mit sich bringen. Über die forschende Theaterpraxis hinaus gilt es hier die Entwicklung und Fundierung von “genetic research” 63 (etwa: Geneseforschung oder Prozessanalyse), wie Josette Féral es nennt, voranzutreiben. 64 4. Zusammenfassung An Katie Mitchells Inszenierung Waves habe ich versucht, das Potential und einige der Schwierigkeiten der Idee eines Theaterlabors bzw. einer experimentellen Theaterpraxis zu zeigen. Während in vielen historischen Formen von Theaterlaboratorien entweder die Arbeit des Schauspielers an sich selbst und seiner Rolle privilegiert wurde oder die theatrale Situation selbst innerhalb von Happenings, Zufalls-Aktionen sowie durch Verweigerungstrategien gegenüber Figur und Narration in Frage gestellt wurde, ist bei Mitchell eine Vereinigung dieser historischen Stränge zu beobachten. Es findet sowohl eine Reflexion über das Darstellen als auch über das Wahrnehmen und das Wechselspiel verschiedener Medien auf dem Theater statt, wobei gleichzeitig immer noch (oder wieder) eine Geschichte erzählt wird und Figuren entstehen. Mitchells Inszenierung ist ein Beispiel dafür, dass Theaterpraxis durchaus Forschung im Sinne einer Vermehrung der Erkenntnis und Erfahrung sein kann. An Beispiel ihrer Inszenierung ließen sich aber gleichzeitig auch einige der Paradoxien, die dem Projekt einer “forschenden Theaterpraxis” innewohnen, herausarbeiten. Forschende Theaterpraxis trägt der Erfahrung Rechnung, dass es Aspekte des Theatermachens und der Reflexion über Theater gibt, die sich nur durch künstlerisches Tun erforschen lassen. Dass das Resultat aufgrund der methodischen Anforderungen keine Kunst mehr ist, gehört zu den Kosten dieser Unternehmung, verringert aber meines Erachtens nicht ihren Wert als Praxis oder als Forschung. Im besten Fall generiert die forschende Theaterpraxis eigene, neue Formen des kreativen Arbeitens und der Publikation durch Aufführung, die sich nicht ex negativo als defizitäre Forschung oder defizitäre Kunst definieren, sondern neu verstandenes Wissen auf neue Weise erfahrbar machen. 65 Katie 118 David Roesner Mitchell ist hierfür kein Paradebeispiel, da in ihrem Projekt Waves institutionell bedingt der Forschungsanspruch dem Kunstanspruch gewichen ist, aber das ästhetische und darstellerische Prinzip, das sie mit Waves erfunden hat, ließe sich m.E. bestens für weitere Forschung - gerade im Bereich der Intermedialität, der fragmentierten Wahrnehmung und Darstellung und ihrer narrativen Synthese - fruchtbar machen. Abbildungen Abb 1-3: Inszenierungsfotos Waves, Fotograf: Stephen Cummiskey Abb 4: Seite 41 der Dokumentation von Waves 66 , Fotograf: Leo Warner Notes 1 “The Waves at the National Theatre is that rarely sighted beast, a performance where theatre and video come together so seamlessly and complement each other so exquisitely it is as if Mitchell, her actors and video artist Leo Warner have created an entirely new art form.”; Lyn Gardner, “Waves sets a high-water mark for multimedia theatre”, in: http: / / www.guardian. co.uk/ stage/ theatreblog/ 2006/ dec/ 04/ wavessets ahighwatermarkfo, 04.12.2006 [14.03.2009]). 2 Vgl. Heiner Goebbels, “Der Kompromiss ist ein schlechter Regisseur. Eine Rede anlässlich des Symposiums Neue Theaterrealitäten beim Körber Studio Junge Regie 2008 in Hamburg”, in: Theater der Zeit, 06 (2008), S. 18-21. 3 Siehe dazu u.a. Mirella Schino, Alchemists of the Stage. Theatre Laboratories in Europe, Holstebro/ Malta/ Wroc aw, 2009. 4 Siehe dazu u.a. die Website des Forschungsprojekts der Universität Bristol “Practice as Resarch in Performance” (www.bris.ac.uk/ parip) und die dort zu findende Auswahl an Literaturverweisen (www.bris.ac.uk/ parip/ bib. htm) [28.03.09] sowie Angela Piccini, “An Historiographic Perspective on Practice as Research”, in: Studies in Theatre and Performance, 23. 3 (2003), S. 191-207. 5 Entscheidende Impulse gehen hierbei von den beiden praxisorientierten Theaterstudiengängen in Gießen und Hildesheim aus. 6 Der Untertitel der Produktion, “A work devised by Katie Mitchell and the Company? from the text of Virginia Woolf’s novel”, betont die kollaborative Art der Arbeit, weshalb ich hier alle Beteiligten aufliste. Der Einfachheit halber spreche ich im Folgenden dennoch von Katie Mitchell als Autorin der Inszenierung. Waves. A work devised by Katie Mitchell and the Company from the text of Virginia Woolf’s novel, The Waves. Cast: Kate Duchene, Michael Gould, Anastasia Hille, Kristin Hutchinson, Sean Jackson, Liz Kettle, Paul Ready, Jonah Russell, Director: Katie Mitchell; Designer: Vicki Mortimer; Lighting Designer: Paule Constable; Video Designer: Leo Warner; Music: Paul Clark; Sound Designer: Gareth Fry. Premiere am 17. November 2006. 7 Neil Blackadder, “Review of WAVES. Devised by Katie Mitchell and the company from the text of Virginia Woolf’s novel, The Waves. Cottesloe Theatre, London. 13 January 2007. ATTEMPTS ON HER LIFE. By Martin Crimp. Directed by Katie Mitchell and the company. Lyttelton Theatre, London. 5 April 2007”, in: Theatre Journal, 60. 1 (2008), S. 139-141, S. 139. 8 Eine ausführliche Beschreibung von Mitchells Arbeitsweise vor The Waves, die für viele ihrer Produktionen auch weiterhin gültig ist und sich auch in ihren intermedialen Arbeiten niederschlägt, findet sich in: Erica Diane Kylander-Clark, Katie Mitchell: A Director Who Listens, PhD Thesis, University of California, Santa Barbara, 2001. 9 So z.B. in Some trace of her … (National Theatre, 2008), Attempts on her Life (National Theatre, 2007) oder Wunschkonzert (Schauspielhaus Köln, 2008). 10 NESTA bezeichnet sich als “a unique and independent body with a mission to make the UK more innovative” (in: www.nesta.org.uk [14.03.2009]. 11 Katie Mitchell (2006) “Breaking the waves”, in: www.guardian.co.uk/ stage/ 2006/ nov/ 11/ theatre.stage [14.03.2009]. 12 Katie Mitchell, im Gespräch mit Christopher Campell am 12.01.2008, in: www.national- “An entirely new art form” 119 theatre.org.uk/ 23945/ podcast-episodes/ katiemitchell-on-emwavesem.html [15.03.2009]. 13 Siehe Gabriele Schwab, Subjects without Selves: Transitional Texts in Modern Fiction, Boston 1994, S. 209. 14 Katie Mitchell, im Gespräch mit Christopher Campbell, siehe Fußnote 12. 15 Blackadder 2008, S. 140. 16 Hier und im Folgenden meine ich stets männliche und weibliche Zuschauer und Darsteller (etc.) gleichermaßen, verzichte aber zugunsten der Lesbarkeit auf die kontinuierliche Nennung beider. 17 Davon ausgenommen sind lediglich die Mitglieder des Musikensembles, das zwar live, aber außerhalb der Sicht des Publikums die ‘Filmmusik’ liefert, die hier gleichzeitig als Schauspielmusik fungiert. 18 Gardner 2006, o. S. 19 Siehe Katie Mitchell im Gespräch mit Christopher Campell, Fußnote 12. 20 Anon., “Die Nacht brodelt vor elf Sternen”, n.P., http: / / www.kulturraumverdichtung.de/ 2008/ 12/ 24/ katie-mitchell-inszeniert-kroetzwunschkonzert-in-koeln.html [03.03.2010]. 21 Zum Thema der Hierarchie der Bühnenmittel siehe auch meine Ausführungen in “The politics of the polyphony of performance: Musicalization in contemporary German theatre”, in: Contemporary Theatre Review, 18. 1 (2008), S. 44-55. 22 Dieser Gedankengang basiert auf Christopher Smalls Beobachtungen in: Musicking: The Meanings of Performing and Listening, Hanover 1998, S. 6. 23 George Fisher / Judy Lochhead, “Analyzing from the Body”, in: Theory and Practice, 27 (2002), S. 37-68, hier S. 43. 24 Goethe schreibt: “Ich besuchte die römischen Komödien nicht ohne Vorurteil; allein ich fand mich bald, ohne dran zu denken, versöhnt; ich fühlte ein mir noch unbekanntes Vergnügen, und bemerkte, daß es viele andre mit mir teilten. Ich dachte der Ursache nach, und glaube sie darin gefunden zu haben: daß bei einer solchen Vorstellung, der Begriff der Nachahmung, der Gedanke an Kunst, immer lebhaft blieb, und durch das geschickte Spiel nur eine Art von selbstbewußter Illusion hervorgebracht wurde. […] Ebenso entsteht ein doppelter Reiz daher, daß diese Personen keine Frauenzimmer sind, sondern Frauenzimmer vorstellen.”, in: Johann Wolfgang von Goethe, “Frauenrollen auf dem römischen Theater durch Männer gespielt (1788)”, in: ders., Das römische Karneval, hg. von Isabella Kuhn, Frankfurt/ Main 1984, S. 147-152, hier S. 150 , Hervorhebungen im Original. 25 Bernhard Greiner, Die Komödie: Eine theatralische Sendung. Grundlagen und Interpretationen, Tübingen 2 2006, S. 207. 26 Vgl. Goethes Formulierung “Der Jüngling hat die Eigenheiten des weiblichen Geschlechts in ihrem Wesen und Betragen studiert; er kennt sie und birngt sie als Künstler wieder hervor.”; Goethe 1984, S. 150. 27 Peter M. Boenisch, “Aesthetic Art to Aisthetic Act: Theatre, Media, Intermedial Performance”, in Freda Chapple und Chiel Kattenbelt (Hrsg.), Intermediality in Theatre and Performance, Amsterdam/ New York 2006, S. 103-116, hier S. 103. 28 Jens Schröter, “Intermedialität”, in: www. theorie-der-medien.de/ text_detail.php? nr=12 [20. Feb. 2006]. 29 Schröter macht auf die stark ideologisch geprägte Diskussion aufmerksam, wie sie von Befürwortern einer synthetischen Intermedialität geführt wurde - ich verwende den Begriff hier rein operativ. Ebenso ist mein Anliegen beim Hinweis auf Schröters Kategorien kein taxonomisches, sondern ein pragmatisches: Ziel ist es, anhand der Schröterschen Differenzierung die Vielfalt intermedialer Verfahren bei Waves in den Blick zu bekommen. 30 Freda Chapple und Chiel Kattenbelt (Hrsg.), Intermediality in Theatre and Performance, Amsterdam/ New York 2006, S. 13. 31 Vgl. Schröter, “Intermedialität”, o. S. 32 Siehe: Katie Mitchell, Waves: a record of the multimedia work devised by Katie Mitchell and the company from the text of Virginia Woolf’s novel The Waves, London 2008, p. 41. 33 Chapple/ Kattenbelt 2006, S. 13. 34 Siehe zum Thema der emergenten Narration ausführlicher: David Roesner, “Musicking as Staging”, Studies in Musical Theatre, 4.1 (2010) (im Druck). 35 Siehe Chapple/ Kattenbelt 2006, S. 12. 120 David Roesner 36 Steven Johnson, Emergence. The Connected Lives of Ants, Brains, Cities and Software, London 2001, S. 18. 37 Laut Peter Corning stammt “perhaps the most elaborate recent definition of emergence” von Jeffrey Goldstein “in the inaugural issue of Emergence”; Peter A. Corning, “The Re-Emergence of ‘Emergence’: A Venerable Concept in Search of a Theory”, in: Complexity, 7. 6 (2002), S. 18-30, hier: S. 7. 38 Siehe: Bruno Latour, Reassembling the Social: An Introduction to Actor-Network-Theory, Oxford 2005. 39 Der Film ist dabei nur vermeintlich der Ort der Synthese und der narrativen Autorität, da die szenische Anordnung seine Dominanz für die Narration gleichzeitig in Frage stellt und untergräbt. Kaum ein Zuschauer wird sich primär auf das Filmbild konzentrieren, sondern stets zwischen Prozess und Resultat hin und her springen; das heißt, dass die Synthese gleichzeitig in der Aufmerksamkeit des Zuschauers wieder fragmentiert wird, bzw. sich gar nicht erst realisiert. 40 Blackadder 2008, S. 140. 41 Johnson 2001, S. 18. 42 Vieles von dem, was Patricia Leavy in ihrem Buch Method Meets Art. Arts-Based Research Practice (New York/ London 2009) beschreibt, fällt m.E. unter diese Kategorien - sie verwendet daher auch den weiteren Begriff der “kunstbasierten Forschungspraxis”. 43 Siehe die Kriterien des AHRC, zitiert in Piccini 2003, S. 197. 44 Piccini 2003, S. 196. 45 Piccini 2003, S. 196. 46 Katie Mitchell, Waves: a record of the multimedia work, London 2008. 47 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, Der Tragödie erster Teil, Studierzimmer, Vers 1966-1967, in ders. Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Band 3, Hamburg 6 1962, S. 64. 48 Siehe Ian Sutherland und Sophie Krzys Acord, “Thinking with Art: From Situated Knowledge to Experiential Knowing”, in: Journal of Visual Art Practice, 6, 2 (2007), pp. 125-140; hier p. 126. 49 Gay McAuley nennt dies “the dynamically shifting and contingent nature of theatrical meaning-making” in ihrem Aufsatz “Not Magic but Work: Rehearsal and the Production of Meaning”, in: Theatre Research International, 33. 3 (2008), S. 276-288, hier S. 277. 50 Sutherland/ Acord 2007, S. 125. 51 Sutherland/ Acord 2007, S. 126. 52 Piccini 2003, S. 192. 53 Siehe hierzu auch Susan Melroses detaillierte Überlegungen zum Theorie/ Praxis-Verhältnis in Practice as Research und ihr Konzept einer “critical meta-practice” in Susan Melrose, “Entertaining Other Options … Restaging ‘Theory’ in the Age of Practice as Research”, http: / / www.sfmelrose.u-net.com/ inaugural/ , posted Jan. 2002 [23.03.2009]. 54 Melrose 2002, S. 193. 55 Christopher McCullough (Hrsg.), Theatre Praxis: Teaching Drama Through Practice, London 1998, S. 4. 56 Ich schreibe im Folgenden praxis stets klein und kursiviert, um den Begriff vom deutschen Begriff der Praxis zu unterscheiden, mit dem practice gemeint ist. 57 Stephen Farrier, “Approaching performance through praxis”, in: Studies in Theatre and Performance, 25. 2 (2005), S. 129-143; hier S. 132. 58 Rolf Lindner zit. in Matthias Rebstock, “Theorie der Praxis, Praxis als Theorie. Überlegungen zu einer ‘praktischen Musik-Theater- Wissenschaft’”, in: Stephan Porombka [et al.] (Hrsg.) Theorie und Praxis der Künste. Jahrbuch für Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis 2008, Tübingen 2008, S. 61-80, hier S. 76. 59 Ich danke Jens Roselt für die Anregung zu diesem Gedanken in Reaktion auf eine frühere Form dieses Artikels. 60 Matthias Rebstock hat dazu einige lesenswerte Vorschläge gemacht. Er schreibt: “Eine Grundfunktion dieses Labors besteht vielmehr darin, Erfahrungswissen zu generieren, zu inkorporieren und zu reflektieren” (Rebstock 2008, S. 78) und entwickelt im Folgenden methodische Grundlagen u.a. auf der Basis Geertzscher dichter Beschreibung für eine “Praxis als Theorie” jenseits der insider/ outsider Dichotomie. Siehe Rebstock 2008, S. 61-80. “An entirely new art form” 121 61 Flusser, Vilém, “Die Geste des Fotografierens”, in: Ders. (Hrsg.), Die Revolution der Bilder, Köln 1995, S. 99-114, hier S. 111. 62 Ähnlich beschreibt Heiner Goebbels, dass in seinen Arbeiten der Licht-Designer Klaus Grünberg nicht wie üblich das fertig geprobte Stück beleuchtet, sondern mitunter Szenen erst auf der Basis eines Licht-Vorschlags von ihm erfunden und erarbeitet werden. (Podiumsgespräch mit Heiner Goebbels, Ruedi Häusermann, Manos Tsangaris und Julian Klein, moderiert von David Roesner, am 7. Oktober 2007 im Rahmen des Symposiums über Zusammenarbeit und Autorschaft im Neuen Musiktheater veranstaltet von der “KlangKunstBühne” (UdK und HfM Berlin) im Haus der Berliner Festspiele, Berlin. 63 Josette Féral, “Introduction: Towards a Genetic Study of Performance - Take 2”, in: Theatre Research International, 33. 3 (2008), S. 223-233, hier S. 225. 64 Es gibt bereits eine Reihe viel versprechender methodischer Ansätze zur Untersuchung von theatralen Arbeits- und Probenprozessen, die unter anderem auf Erkenntnisse der Ethnographie (z.B. Clifford Geertz), Soziologie und Netzwerktheorie (z.B. Bruno Latour) als auch der Prozessphilosophie (z.B. Alfred North Whitehead) zurückgreifen. Siehe dazu u.a. Wolf-Dieter Ernst, “Schauspiel durch Medien. Die verdeckte Funktion der Techne bei Konstantin Stanislawski und Alexander Moissi”, in: Forum Modernes Theater, 22.1 (2007), S. 33-46; Gay McAuley, “Not Magic but Work: Rehearsal and the Production of Meaning”, in: Theatre Research International, 33.3 (2008), S. 276-288; Rebstock 2008; David Roesner, “Die Utopie ‘Heidi’. Arbeitsprozesse im experimentellen Musiktheater am Beispiel von Leo Dicks Kann Heidi brauchen, was es gelernt hat? ”, Vortrag auf der internationalen Konferenz der Gesellschaft für Theaterwissenschaft ‘Orbis Pictus - Theatrum Mundi’, 23.-26.10.2008 in Amsterdam. Erscheint 2010 bei Rodopi (Amsterdam). 65 Die in den letzten Jahren vielfach erprobte Lecture-Performance mag als Beispiel gelten. Siehe auch: Wolf-Dieter Ernst, “Die Lecture- Performance als dichte Beschreibung”, in: Hajo Kurzenberger / Annemarie Matzke (Hrsg.), TheorieTheaterPraxis, Berlin 2005, S. 192-202. 66 Mitchell 2008.