eJournals Forum Modernes Theater 26/1-2

Forum Modernes Theater
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Publikationen über zeitgenössisches Theater in Subsahara-Afrika sind rar. Der vorliegende Artikel versucht, durch eine Analyse des Theaters Nanzikambe Arts, ausgewählter Inszenierungen sowie seiner Stellung in der aktuellen Theaterlandschaft Malawis zum Forschungsstand beizutragen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Untersuchung der in den Aufführungen verwendeten theatralen Ästhetik. Der Artikel basiert dabei außer auf der Forschungsliteratur zum Theater in Subsahara-Afrika insbesondere auf persönlicher Rezeption von Inszenierungen sowie einer Fülle von Gesprächen und Interviews mit malawischen Künstlern, die aus einer intensiven dreijährigen Zusammenarbeit mit Nanzikambe Arts resultieren.
2011
261-2 Balme

Das Theater Nanzikambe Arts in Malawi

2011
Thomas Spieckermann
Das Theater Nanzikambe Arts in Malawi Das Portrait einer Bühne in Südostafrika Thomas Spieckermann (Konstanz) Publikationen über zeitgenössisches Theater in Subsahara-Afrika sind rar. Der vorliegende Artikel versucht, durch eine Analyse des Theaters Nanzikambe Arts, ausgewählter Inszenierungen sowie seiner Stellung in der aktuellen Theaterlandschaft Malawis zum Forschungsstand beizutragen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Untersuchung der in den Aufführungen verwendeten theatralen Ästhetik. Der Artikel basiert dabei außer auf der Forschungsliteratur zum Theater in Subsahara-Afrika insbesondere auf persönlicher Rezeption von Inszenierungen sowie einer Fülle von Gesprächen und Interviews mit malawischen Künstlern, die aus einer intensiven dreijährigen Zusammenarbeit mit Nanzikambe Arts resultieren. 1 Das Umfeld: Ein Abriss der Theaterlandschaft in Malawi Theater blüht in Malawi in allen geographischen Regionen und in unterschiedlichen ästhetischen Ausprägungen, die in ihrer Gesamtheit nicht Thema dieses Aufsatzes sein sollen. Eine kurze Skizze der zeitgenössischen Theaterlandschaft Malawis erscheint hingegen für die Einordnung der Bühne Nanzikambe Arts sinnvoll. In diesem Zusammenhang muss man berücksichtigen, dass in Subsahara-Afrika der Begriff Theater nicht von dem des Performativen zu trennen ist. Von dieser Grundannahme ausgehend, kann man die Wurzeln des gegenwärtigen Theaters in Malawi im Wesentlichen in zwei unterschiedlichen historisch-kulturellen Bezugssystemen ausmachen. Das erste Bezugssystem stellt die ethnische Struktur des Landes und die daraus hervorgehende unterschiedliche kulturelle Ausprägung dar. Malawi ist ein Agrarstaat mit nur zwei großen Städten - Lilongwe und Blantyre mit jeweils rund 700.000 Einwohnern. Der größte Bevölkerungsanteil Malawis lebt nach wie vor in ländlichen Gebieten, die sich historisch-ethnisch ausdifferenzierten. In diesen Gesellschaften ist bis heute eine reiche Kultur aus Tanz, Musik und performativen Elementen lebendig, die häufig von tradierten Mythen, von Genese, Abgrenzung und Migration einzelner Ethnien erzählen. 2 Diese Kultur des Performativen stellt eine Säule des aktuellen Theaters in Malawi dar. 3 Das zweite Bezugssystem ist das europäische Aufführungsverständnis, das während der britischen Kolonialzeit eingeführt wurde und die Unabhängigkeit im Jahre 1964 überdauert hat. Nachhaltig sichtbar wurde diese Form der Bühnenkunst durch die Gründung des Secondary School English Drama Festivals im Jahr 1969: Um das Verständnis der englischen Sprache unter ihren Schülern zu verbessern, leiteten damals Englischlehrer aus allen Teilen des Landes Theatergruppen an, britische dramatische Literatur aufzuführen und auf dem Festival zu zeigen. 4 Diese zwei Bezugssysteme verschmolzen in der zeitlichen Folge, so dass im gegenwärtigen malawischen Theater meist performative und europäische Aufführungsformen amalgamieren. So gründete beispielsweise der Autor Steven Ndhlovu das Wandumi Theatre in Liwonde und entwickelte Dramentexte, die eine europäische Dramaturgie aufgreifen und diese mit dem politisch ausgerichteten Protest Forum Modernes Theater, 26 (2011 [2014]), 181 - 190. Gunter Narr Verlag Tübingen Theatre Südafrikas verbinden. 5 Stanley Mambo hingegen, Schauspieler und Gründer der Mwezi Entertainment Arts Company in Lilongwe, benutzt in seiner Inszenierung Gany ’ (2011) akrobatische Elemente und verbindet diese mit dramatischen Texten, um seinerseits mit dem Mittel des Theaters politische Fragestellungen zu untersuchen: To some people, Africa is portrayed as an irredeemable beggar, but the question that the play raises is: ‘ What is the African elite class doing to redeem Africa from this situation? ’ The snobbish elite class are seen wrinkling their noses at the squalor that their fellow Africans are experiencing, yet they are not taking any action to alleviate the situation, except enjoying themselves in the comfort brought about by the wealth they amassed. 6 Diese zwei Künstler seien beispielhaft für die reiche Theaterkultur genannt, die in den letzten Jahrzehnten in Malawi entstanden ist und auch zu einer großen Bandbreite neuer malawischer Dramatik geführt hat. Sie ausführlicher zu analysieren wäre Aufgabe einer eigenständigen Forschungsarbeit. 7 Eine besondere Rolle in der Theaterlandschaft Malawis nimmt das Theatre for Development ein. Historisch reichen die Wurzeln ins Jahr 1970 zurück: Zu diesem Zeitpunkt gründete sich das Travelling Theatre am Chancellor College der University of Malawi: Eine Gruppe von Studenten griff virulente Themen der malawischen Gesellschaft, wie z. B. Zugang zu öffentlicher Bildung, Fragen der Frauen- und allgemein der Menschenrechte auf, verdichtete sie dramaturgisch im Kollektiv in der Art von Devised Plays und führte sie auf Tourneen im ganzen Land auf. 8 Von seinem Selbstverständnis und Anspruch her lässt sich das Travelling Theatre am Abb. 1: „ Welt 3.0 - Maschinerie Hilfe “ von Clemens Bechtel, Thokozani Kapiri, Misheck Mzumara, Thomas Spieckermann. Auf dem Foto: Julia Philippi und Dipolathu Katimba. Foto von Ilja Mess. 182 Thomas Spieckermann ehesten in die Vielzahl von Theatergruppen in jungen, gerade unabhängig gewordenen Staaten des südlichen Afrikas einordnen, die sich mit den Theorien von Paulo Freire und des Theaters der Unterdrückten von Augusto Boal erklären oder auf sie zurückführen lassen. Sie alle versuchten, getragen durch einen aufklärerischen Impetus, Elemente des traditionellen Theaters mit denen des europäischen Theaters zu verbinden und ihre Aufführungen möglichst weitflächig im Land zu zeigen. Diese Form des Popular Theatre ist in der Theaterwissenschaft ausführlich beschrieben und analysiert worden. 9 In Malawi haben in diesem Zusammenhang die Non-Governmental-Organizations (NGOs) eine große Bedeutung, die seit dem Ende der diktatorischen Regierung von Hastings Kamuzu Banda (Präsident Malawis 1966 - 1994) und der folgenden Öffnung des Landes enorm an Zahl und Bedeutung gewonnen haben. Um insbesondere in ländlichen Gebieten ihre Ziele durchzusetzen - z. B. Aufbau und Erhalt einer sanitären Infrastruktur, Aufklärung im medizinischen Bereich (HIV/ AIDS, Malaria etc.), Förderung des Verständnisses für demokratische Strukturen 10 - und die Unterstützung der malawischen Bevölkerung für ihre Projekte zu gewinnen, greifen viele NGOs auf das Medium Theater zurück. Diese Aufführungsform wurde als Theatre for Development maßgeblich von Theaterpraktikern aus akademischen Kreisen Südostafrikas durchgesetzt. Christopher Kamlongera, der intensiv zu dessen Erforschung beigetragen hat, beschreibt die Arbeitsweise einer Theatergruppe des Chancellor Colleges in der ländlichen Gegend um Liwonde wie folgt: Use of theatre as a tool for development is becoming widespread in Africa as a whole. The strategy in ‘ Theatre for Development ’ Abb. 2: „ The Messenger “ von Aaron Ngalonde, bearbeitet von Misheck Mzumara und Mphatso Chidothe. Auf dem Foto Otooli Masanza und Ensemble von Nanzikambe Arts. Foto von Ilja Mess. 183 Das Theater Nanzikambe Arts in Malawi work is to shift emphasis from script as happens in conventional ‘ professional ’ theatre to the process of creating the drama and what happens thereafter. [. . .] Whereas the script and the actor dominate in the ‘ professional ’ theatre, it is the creative process - which is dependent on research - that is central to ‘ Theatre for Development ’ . 11 In welcher Hinsicht reiht sich nun das Theater Nanzikambe Arts in Blantyre in die bisher vorgestellte Theaterlandschaft Malawis ein? Betrachtet man die gesellschaftspolitischen Anliegen sowie die theatralen Bereiche, in denen die Gruppe aktiv ist, so lassen sich zahlreiche Bezüge bzw. Parallelen erkennen: Theaterpädagogen arbeiten in Workshops beispielsweise mit Straßenkindern, mit misshandelten Frauen, mit Inhaftierten oder ehemals Inhaftierten malawischer Strafgefängnisse. 12 Neben dieser theaterpädagogischen Arbeit entstehen Stücke in der Form des Theatre for Development - zuletzt die Stückentwicklung “ I will marry when I want ” , die in einer Tournee in über 30 kleinen Städten und Dörfern des Landes gezeigt wurde und aktiv zur Stärkung des Selbstbewusstseins und der Selbstbestimmung der Frauen in den ländlichen Gegenden Malawis beitragen sollte. 13 Das Theater Nanzikambe Arts - Organisation und Struktur einer Bühne in Südostafrika Woher rührt dann die besondere Rolle von Nanzikambe Arts in der jungen, impulsiven und in stetem Wandel begriffenen Theaterszene Malawis? Diese ist primär dadurch gekennzeichnet, dass es keine finanzielle Sicherheit für die diversen Theatergruppen gibt, die weder von Seiten des Staates, der Provinzen oder der Kommunen subventioniert werden. Jede Gruppe muss sich durch Eintrittserlöse oder durch die spezifische Förderung internationaler Organisationen erhalten. Ensembles und Theater entstehen und vergehen daher in rascher Folge. Die Sonderstellung des Theaters Nanzikambe Arts lässt sich vor diesem Hintergrund allein schon an seinem Alter und seiner Struktur erkennen: Es wurde 2003 von den Britinnen Kate Stafford und Melissa Eveleigh sowie dem Malawier Smith Likongwe in Blantyre gegründet und ist nach Kenntnis des Verfassers damit die älteste durchgängig aktive Theatergruppe des Landes. 2005 wurde es in die Organisationsform einer Local NGO überführt, ein malawisches Board of Trustees bestellt seitdem die Theaterleitung, überwacht und entlastet deren Entscheidungen. 2006 schied Kate Stafford aus, Melissa Eveleigh leitete das Haus mit wechselnden Partnern - zuletzt mit dem Südafrikaner William Le Cordeur. Im Jahr 2011 führte das Board eine einschneidende Strukturveränderung durch. Dieser lag das Anliegen zugrunde, dass Nanzikambe Arts auch in seinen Leitungsfunktionen in ausschließlich malawische Hände übergehen sollte. Melissa Eveleigh verließ daraufhin Nanzikambe Arts, das seitdem von Chris Nditani als Managing Director und Thokozani Kapiri als Arts Programme Manager erfolgreich geleitet wird. Nanzikambe Arts verfügt über rund 20 feste Mitarbeiter, die unter anderem in den Abteilungen Künstlerische Leitung, Organisation, Verwaltung und Pädagogik tätig sind. Darüber hinaus existiert ein großer Pool freier Mitarbeiter und Schauspieler, die für spezifische Inszenierungen engagiert werden. Finanziert wird das Theater durch das Funding internationaler Partner wie z. B. der Norwegischen Botschaft, USAid, GIZ, Trocaire, Africalia. Als neuer Partner ist durch das Projekt “ Crossing Borders - von See zu See ” das Theater Konstanz hinzugetreten, dessen Kooperation maßgeblich durch den Fonds Wanderlust der Kulturstiftung des Bundes und das Goethe-Institut finanziert wird. 184 Thomas Spieckermann Neu und nach Kenntnis des Verfassers einmalig in Malawi ist des Weiteren, dass Nanzikambe Arts über eine eigene Bühne im Naperi Township im Süden Blantyres verfügt - alle anderen Bühnen des Landes gehören Institutionen oder werden von Privatleuten vermietet. 14 Es ist eine überdachte Holzbühne mit Seitenwänden aus aufrollbaren Plastikplanen, vor der in einem betonierten, halbrunden Auditorium unter freiem Himmel, das an einen antiken Bühnenbau erinnert, rund 300 Zuschauer Platz finden. Die großen Inszenierungen von Nanzikambe Arts haben hier ihre Premieren und touren dann durch das Land, meistens nach Lilongwe und Zomba, manchmal auch in das geographisch weit entfernte Mzuzu, nach Liwonde am Malawisee oder in kleine Städte des Landes. Im Hinblick auf die Ausstattung mit Räumlichkeiten, Fördermitteln und einer auf Kontinuität angelegten Organisation lässt sich Nanzikambe Arts durchaus als Ausnahmefall in Malawi bezeichnen. Doch gilt dies auch im Hinblick auf die künstlerische Ausrichtung und die theatrale Ästhetik? Zur theatralen Ästhetik von Nanzikambe Arts am Beispiel von “ The Frogs ” und “ The Messenger ” Auffällig in der Programmgestaltung von Nanzikambe Arts ist, dass von Beginn ihrer künstlerischen Arbeit im Jahr 2003 an große europäische Klassiker adaptiert und inszeniert wurden - so z. B. The African Hamlet (2003) und African Macbeth (2004) nach William Shakespeare, The Little Prince (2005) nach Antoine de Saint-Exupéry, Freedom nach Jon Fosse (2006), A Doll House (2006) und Nora ’ s Sisters (2007) nach Henrik Ibsen, The Frogs (2009) nach Aristophanes sowie Makwacha Hip-Opera nach Brechts Dreigroschenoper (2010). 15 Die anspruchsvolle und selten gespielte Komödie Die Frösche spielt in der Unterwelt. Theatergott Dionysos, begleitet durch seinen Sklaven Xanthias - das erste komische Herr- Diener-Paar der Theatergeschichte - , soll den Streit entscheiden, ob Aischylos oder Euripides den Platz des größten Tragödiendichters einnehmen soll. Dionysos unterbricht das Wortgefecht der Kontrahenten durch ironische Kommentare und entscheidet zuletzt zugunsten von Aischylos, dem Bewahrer der Tradition. Die Inszenierung von Nanzikambe Arts griff diesen Grundplot auf und übertrug ihn in die afrikanische Gegenwart. Regisseur William Le Cordeur deutete die Figur von Aischylos als einen selbstbewussten konservativen Vertreter einer malawischen Community, der sich aktiv gegen jeden Einbruch der Moderne in traditionelle Lebensweise und Denken verwahrt. Euripides hingegen wurde zu einer in der globalisierten Welt vernetzten Figur, die für Wandel, Fortschritt und Aufgabe hinderlicher Traditionen eintritt. Auf der Grundlage improvisierter neuer Texte versuchen beide Figuren, das Publikum von ihrer Sichtweise zu überzeugen. Richter Dionysos überlässt dem Publikum durch ein Mehrheitsvotum die Entscheidung, wer den Sieg im Wettstreit davontragen soll. In einem Interview mit dem Verfasser sagte Le Cordeur, dass sich erstaunlicherweise in allen Vorstellungen das traditionell verwurzelte Denken durchgesetzt hat. Der Widerstreit der beiden Positionen spiegelte für Le Cordeur die Zerreißkräfte der gegenwärtigen malawischen Gesellschaft wider. Das Theater ist für ihn ein Mittel, um diese Kräfte bewusst zu machen und einen Diskurs anzustoßen: “ Our plays are done in the way that people should have a debate on what is good and what is right, so The Frogs is adapted just to fit that scope in the Malawian context ” , Melissa Eveleigh said. William Le Cordeur who is directing the new production said the adapted 185 Das Theater Nanzikambe Arts in Malawi production challenges the audience to consider how performance culture can influence the reflection of society and politics. ‘ The reason of adapting a Greek classic into a contemporary Malawian play was to explore issues in the rapidly developing country ’ , he said. He said the play explores the ever changing contemporary culture to traditional values. 16 Die Entscheidung, in kontinuierlicher Folge europäische Klassiker zu adaptieren und sie nach ihrer Relevanz für die gesellschaftlichpolitische afrikanische Realität zu befragen, ist nach Kenntnis des Verfassers singulär in der malawischen Theaterwelt und löst, so kann man schlussfolgern, großes Interesses bei internationalen Partnern und Festivals aus. 17 Es schließt sich die Frage an, welche ästhetischen Mittel Nanzikambe Arts in seinen Inszenierungen verwendet und welche Spielweisen malawische von deutschen Schauspielern unterscheiden? Das Projekt “ Crossing Borders - von See zu See ” der Theater Konstanz und Nanzikambe Arts gibt beiden Bühnen die Möglichkeit zu direkter Zusammenarbeit und zu einem Austausch von Inszenierungen. So zeigte das Theater Konstanz im Juli 2011 die Uraufführung von Nkhata Bay - Inventing Parzival von Clemens Bechtel in Malawi. 18 Im Gegenzug präsentierte Nanzikambe Arts im Juni 2011 The Messenger von Misheck Mzumara nach Aaron Ngalonde in Konstanz. Inhaltlich gab es nur eine vorab besprochene Setzung: Beide Theater sollten sich mit ihren eigenen kulturellen Wurzeln theatral auseinandersetzen. 19 The Messenger basiert auf mythischen Überlieferungen, die vom Schicksal des Regenmachers M ’ bona erzählen. Historisch betrachtet gehört diese Figur in den Kontext des Abspaltungsversuchs der Lundu von der Herrschaft der Kalonga in der Lower Shire Area im Malawi des ausgehenden 16. Jahr- Abb. 3: „ The Messenger “ von Aaron Ngalonde, bearbeitet von Misheck Mzumara und Mphatso Chidothe. Auf dem Foto Misheck Mzumara und Ensemble von Nanzikambe Arts. Foto von Ilja Mess. 186 Thomas Spieckermann hunderts. Die politische Sezession wurde 1623 durch die Kalonga unterdrückt, eine religiöse Abspaltung der Lundu fand aber statt. Die tradierte Geschichte um den Regenmacher ist der Gründungstext des M ’ bona-Kultes, der bis heute in der Provinz Nsanje lebendig ist. 20 Steve Chimombo übersetzte mit seiner Dramatisierung The Rainmaker, die 1975 in Zomba uraufgeführt wurde, den Mythos auf das Theater. 21 Mzumara und Ngalonde legten nun eine neue Fassung des Stoffes vor, die als Devised Play entwickelt wurde. Die Aufführung beginnt mit einer Folge kurzer pantomimischer Szenen, die in Europa spielen: Menschen kaufen in einem Supermarkt ein und stehen in einer Schlange an der Kasse, Menschen fahren Bus in einer Großstadt, ihre Fahrscheine werden kontrolliert. Typische Gesten wie das Scannen von Barcodes werden repetiert und stellen die Wiederholung des immer Gleichen dar. Es sind Szenen aus dem europäischen Alltag, die dann unvermittelt durch die Explosion einer Bombe unterbrochen werden. Auftritt eine Figur, die unter Aufhebung der vierten Wand und in direktem Kontakt mit dem Publikum kommentierend durch den weiteren Abend führt - ein Kunstgriff, der an Brechts episches Theater erinnert. Die Figur schlussfolgert, dass religiöse Konflikte Auslöser für Gewalt und Terror in der westlichen Welt sind. Auch in Malawi existiere eine Fülle aktiver religiöser Gemeinschaften, die aus anderen Kulturkreisen kommend keinen Konnex mit der afrikanischen Gesellschaft hätten. Der Mythos von M ’ bona, der nun detailliert nacherzählt wird, dient in der Folge als ein Beispiel für eine genuin afrikanische Religion. Als ästhetische Elemente verwendet die Aufführung auch weiterhin Mittel der Pantomime und des epischen Theaters. Die folgenden Episoden des Mythos werden zunächst dem Publikum in englischer Sprache erzählerisch erläutert und dann szenisch dargestellt - entweder wortlos oder in Chichewa, der afrikanischen lingua franca Malawis. Diese Szenen treiben die äußere Handlung voran. Die Regie nutzt dabei szenische Arrangements, schauspielerische Gänge und performative tänzerische Elemente, die einer rhythmisierten, abstrahierenden Form verhaftet sind. Nicht im Fokus stehen Dialoge oder sich zuspitzende Figurenkonflikte. Der Spannungsbogen der Aufführung folgt dem des Mythos, er benutzt weder retardierende noch zuspitzende Elemente und greift damit keine Mittel einer klassischen europäischen Dramaturgie auf. Stattdessen stellt die Inszenierung eine starke Identifikation mit der Hauptfigur her. Seine Deutung als Underdog, die Gefahr, in die er Abb. 4: „ Welt 3.0 - Maschinerie Hilfe “ von Clemens Bechtel, Thokozani Kapiri, Misheck Mzumara, Thomas Spieckermann. Auf dem Foto: Michael J. Müller, Noah Bulambo, Julia Philippi. Foto von Ilja Mess. 187 Das Theater Nanzikambe Arts in Malawi sich begibt, seine Triumphe und sein Leiden stellen diese Wirkung her - fast im antiken Sinne des Eleos. Entgegen dem europäischen Theaterverständnis benutzen die Darsteller von Nanzikambe Arts in ihrer Schauspielkunst weder Subtexte noch zeigen sie elaborierte Figurenbögen, vielmehr üben sie eine große Suggestivkraft auf die Zuschauer aus, die sie durch ihre physische, direkte, und expressive Spielweise herstellen. Szenen, in denen Regen beschworen wird, nutzen ebenso musikalische und tänzerisch-performative Elemente wie Passagen mit Bühnenkämpfen. Verallgemeinernd kann man schlussfolgern, dass die malawischen Schauspieler im Gegensatz zur deutschen Tradition weniger introspektiv agieren, weniger das Nachempfinden von Emotionen und Darstellen innerer Zustände ins Zentrum rücken, sondern vielmehr das Erzählen der Fabel und die Ausgestaltung der Figuren durch eine qua ihrer Physis expressive Spielweise. Sie stellen so emotionale Zustände ihrer Figur dar und nutzen die Nähe zum Publikum, die durch die Aufhebung der vierten Wand möglich ist. Die Fokussetzung auf die Darsteller wird durch eine starke Reduktion aller weiteren illusionistischen Bühnenzeichen verstärkt. So besteht das Szenenbild nur aus drei schlicht bemalten Rücksetzern, die Strohhütten in einem malawischen Dorf in der Nsanje Provinz skizzieren. Auch Kostüme, Maske, Licht und Toneinspielungen sind auf ein Mindestmaß beschränkt, stellen in ihrer Konkretheit aber den Realismus der Szenen her - Schalen, Töpfe, Matten, Kleidung aus Tüchern evozieren häusliches Interieur, Speere, Schleudern und Keulen hingegen entschlossene Kriegszüge. Schlussfolgerungen Nanzikambe Arts führt in seiner Theaterkunst eine selbstbewusste Abgrenzung zu Europa durch. Dies wird auf inhaltlicher Ebene deutlich durch die szenische Darstellung Deutschlands als Massengesellschaft, die durch den Terrorismus bedroht ist, und durch die durchaus stolze Darstellung Malawis als ein Land mit reicher Kultur und eigenen religiösen Mythen. Auch auf ästhetischer Ebene eifert Nanzikambe Arts keineswegs europäischen Aufführungstraditionen nach. Weder adaptieren die Künstler den Stil britischer Konversationsstücke oder “ Well-made-Plays ” , noch kopieren sie in Europa übliche schauspielerische Spielweisen. Epische Elemente mischen sich stattdessen mit performativen Charakteristika - Bewegung, Tanz, Musik - , die wiederum eine starke physische Präsenz der Schauspieler auf der Bühne erzeugen. Die bewusst verfolgte Reduktion in der Ausstattung schafft zusätzliche Konzentration auf die Darsteller. Diese ästhetischen Entscheidungen sind zumindest in der Theaterlandschaft Malawis - vielleicht sogar in einer geographisch größeren südostafrikanischen Region - singulär und machen Nanzikambe Arts zu einem Protagonisten der Theaterszene und der künstlerisch-ästhetischen Entwicklung des Landes. Anmerkungen 1 Der Verfasser ist Chefdramaturg des Theaters Konstanz und Künstlerischer Leiter des Projekts “ Crossing Borders - von See zu See ” . Dieses Projekt verbindet über drei Jahre (2009 - 2012) das deutsche und das malawische Theater als Kooperationspartner. Die Zusammenarbeit besteht aus einem Austausch von Künstlern und Inszenierungen sowie der gemeinsamen Erarbeitung einer Uraufführung, die mit einem gemischten Team von Autoren, Regisseuren und Schauspielern aus beiden Ländern realisiert wird ( “ Welt 3.0 - Maschinerie Hilfe ” , Uraufführung 17. April 2012 am Theater Konstanz). Vgl. dazu www.theaterkonstanz.de sowie 188 Thomas Spieckermann www.kulturstiftung-des-bundes.de. Die internationale Zusammenarbeit wurde durch die Förderung im Fonds Wanderlust der Kulturstiftung des Bundes möglich und wird unterstützt durch das Goethe-Institut. 2 Vgl. dazu z. B. Ntara, Samuel Josia. The History of the Che ŵ a. Wiesbaden, 1973. 16 f. sowie Schoffeleers, Matthew. “ Introduction. ” The Rainmaker. Hg. Steve Chimombo, Limbe, o. J. 5. 3 So erforscht u. a. das Department of Fine and Performing Arts des Chancellor Colleges der University of Malawi in Zomba die theatrale Diversität der unterschiedlichen Ethnien Malawis. Vgl. www.chanco.unima.mw (05. 10. 2011). 4 Diese Schultheater-Festivals existieren bis heute. In den letzten fünf Jahren fanden sie als Association of teaching English in Malawi Drama Festival (ATEM) in Blantyre statt. Vgl. Mponda, Justice. ATEM Drama returns with bang: We want to resurrect English Drama. www.malawivoice.com (05. 10. 2011). 5 Vgl. z. B. Ndhlovu, Steven. The Trial of Jack Mapanje. Glasgow, 2009. 6 Tera, Richmore. “ Stanley Mambo is back! ” www.herald.co.zw (10. 10. 2011). 7 Siehe dazu als Anthologien: Malagasi, Mufunanji, Hg. Beyond the Barricades: A Collection of Contemporary Malawian Plays. Zomba, 2001; Ders. Stage Drama in Independent Malawi: 1980 - 2002. Zomba, i. E.; Gibbs, James, Hg.: Nine Malawian Plays. Limbe, 1976. Monographien: Chimombo, Steve. The Rainmaker. Limbe, o. J.; Ders. Wachiona Ndani. o. O., o. J.; Ders. Sister Sister. o. O., o. J.; Chisiza, Dunduzu Jr. De Summer Blows and other plays. o. O., 1998. Ders. Democracy Boulevard and other Plays. o. O., 1998; Ders. Du Chisiza Classics. o. O., 1992. 8 Vgl. dazu Magalasi, Mufunanji, Hg. Beyond the Barricades, A Collection of contemporary Malawian Plays. Zomba, 2001. 5. 9 Vgl. dazu u. a. Kerr, David. Popular Theatre. Portsmouth, 1995; Ders. Dance, Media Entertainment and Popular Theatre in South East Africa. Bayreuth, 1997; Desai, Gaurav. “ Theater as Praxis: Discursive Strategies in African Popular Theater. ” African Studies Review 33. 1 (1990): 65 - 92; Miller, Judith G. “ History, Practice, Performance: Afrian Popular Theater. ” Theater 28. 2 (1998): 102 - 104. 10 Vgl. dazu beispielsweise die Arbeit folgender in Malawi aktiver NGOs, mit denen der Verfasser Interviews führte: Centre for Development Communications, Water for People, Pakachere Institute of Health & Development Communication, The Story Workshop. 11 Kalipeni, Ezekiel/ Kamlongera, Christopher. “ The Role of Theatre for Development in Mobilising rural Communities for Primary Health Care: The Case of Liwonde PHC Unit in Southern Malawi. ” Journal of Social Development in Africa 11. 1 (1996): 53 - 78. Siehe zu dem Thema auch Kamlongera, Christopher F. “ Theatre for Development: The Case of Malawi. ” Theatre Research International 7. 3 (1982): 207 - 222; sowie Ders. Theatre for Development in Africa with case studies from Malawi and Zomba. Bonn, 1989. 12 Siehe dazu z. B. die Dokumentarvideos “ Nazikambe Theatre Arts & Chickenshed Project ” oder “ Blanytre Women ’ s Community Arts Club ” auf www.youtube.de (13. 10. 2011). 13 Vgl. dazu www.nanzikambearts.org (13. 10. 2011). 14 So gehört die häufig bespielte Bühne des Little Theatre in Zomba zur University of Malawi; das Madsoc Theatre in Lilongwe hingegen ist in privatem Besitz und vermietet seinen Raum an verschiedene Theatergruppen und Institutionen; das French Cultural Centre in Blantyre, einst ein häufig genutzter Spielort, schloss vor wenigen Monaten seine Tore im Zuge der Einfrierung der Entwicklungshilfe verschiedener EU-Staaten als Protest gegen die Politik Präsident Bingu wa Mutharikas. 15 Über die Aufführungen vor 2009 existieren leider kaum Quellen und auch die beteiligten Künstler sind nicht mehr greifbar. Eine Aufführung von “ The Frogs ” hat der Verfasser im French Cultural Centre in Blantyre 2009 sehen können. 16 “ Malawi theater group tackles social injustice. ” AfricaNews 25. November 2009. 17 Nanzikambe Arts gastiert seit Jahren regelmäßig auf dem National Arts Festival in 189 Das Theater Nanzikambe Arts in Malawi Grahamstown, Südafrika, dem bedeutendsten Theaterfestival südlich der Sahara, sowie dem Harare International Festival of the Arts, Zimbabwe. 18 Siehe dazu auch Spieckermann, Thomas. “ Das Theater Konstanz in Afrika. ” Konstanzer Almanach 2012. Hg. Martina Keller-Ullrich/ Walter Rügert, Konstanz, i. E.; Bechtel, Clemens. “ Der rote Ritter und die Revolution. ” Theater der Zeit 10 (2011): 64. 19 Clemens Bechtel tat das am Beispiel des Toren Parzival, der versucht, in der ihm fremden Ritterwelt Fuß zu fassen, und dabei aus Unwissenheit gravierende Fehler begeht. Er spiegelte diese mittelalterliche Welt an der Situation von vier Schauspielern, die vor der Abreise nach Malawi ihre Ängste, Unsicherheiten und Stereotype austauschen - vier Toren vor der Reise in die für sie fremde afrikanische Welt. 20 Vgl. dazu Schoffelers, Matthew. “ The History and political Role of the M ’ bona Cult among the Mang ’ anja. ” The Historical Study of African Religion. Hg. T. O. Ranger/ I. Kimambo, London, 1972. 73 - 94. 21 Chimombo o. J. 190 Thomas Spieckermann