eJournals Forum Modernes Theater 30/1-2

Forum Modernes Theater
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FMTh-2015-0008
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2019
301-2 Balme

Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos (mit besonderem Blick auf die Dareios-Szene in den Persern)

2019
Anton Bierl
Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos (mit besonderem Blick auf die Dareios-Szene in den Persern) Anton Bierl (Universität Basel) Framing and change of frames make ritual become self-reflexive. Already the fact that a ritual is incorporated into a Dionysian performance creating ‚ ritual in ritual ‘ makes mimesis metaritual. At the same time such re-enactments of ritual or connected mythic narratives are reassembled with other components to new and impressive scenes that tragedians deploy for the dramatic effect. Since ritual and theater are deeply connected each re-enactment of ritual on stage possesses a genuinely theatrical dimension. Aeschylus tends to dramatically display ritual as a mise en abyme, reflecting the macrostructure of the play in the microstructure. Thus in the central and striking necromantic scene of Dareius in Persians Aeschylus can reflect key motifs and religious themes of the whole tragedy. The conjured up king from the dead even becomes a voice to interpret the intricacies of the recent historical past in hermeneutical tones fusing the Persian with the Greek perspective. Ritual practice is usually represented by the choral group acting out a multimodal performance on the level of song, dance, rhythm, and music. Therefore staging religion becomes self-reflexive in a double sense. First, choral selfreference highlights the ritual action in the form of a speech-act, and second, choreia represents ritual action in the purest sense, embedding other ritual re-enactments that aim at highly spectacular performances. Eine Funktion von Drama ist Totenbeschwörung - der Dialog mit den Toten darf nicht abreißen, bis sie herausgeben, was an Zukunft mit ihnen begraben worden ist. 1 0. Tragödie und Religion Der Mythos und das Ritual bestimmen in der altgriechischen Welt weitgehend die Religion. Griechische Religion ist also keine individualistische Glaubenslehre. Die Menschen sind kaum einem Glaubenssystem verpflichtet wie dies in neuzeitlichen monotheistischen Religionen der Fall ist. Vielmehr zeichnet sich griechische Religion durch Handlungen und rituelle Praktiken, d. h. mimetische Performanzen, Feste und kultische Regeln, sowie durch Formen des traditionellen Erzählens aus, die das Ritual auf einer anderen, mythischen Ebene mit Blick auf die Gesellschaft verhandeln, begründen, hinterfragen und in Szenarien der Gewalt und Übertretung überführen. Als performatives, mimetisches, semiotisch besonders aufgeladenes, politisches und mündlich vermitteltes Genre mit ritueller Einbettung, das über den Mythos und das Ritual in einer Aufführung zentrale Werte und Begriffe einer traditionell ausgerichteten Bürgerschaft in Frage stellt, ist das attische Drama, insbesondere die Tragödie des Aischylos, für unser Thema des reenacting religion besonders fruchtbar. 2 Der Zusammenhang von Ritual und Theatralität ist unbestritten. In der Forschung gibt es hierzu zwei grundsätzliche Ansatzweisen: a) das Drama ist insgesamt Ritual; b) das Drama verwendet das Ritual oder rituelle Abläufe lediglich zur Konstruktion einer Handlung. 3 Zum einen verfügt das antike Drama qua Einbettung in den Dio- Forum Modernes Theater, 30/ 1-2 (2015 [2019]), 86 - 105. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2015-0008 nysos-Kult über eine besondere Rahmung, die auch auf die Stücke rückwirkt, zum anderen liegt der Ausgangspunkt der Tragödie, Komödie und des Satyrspiels wahrscheinlich im Mythos und Ritual. Theo Girshausen hat in seinem Buch Ursprungszeiten des Theaters (1999) gezeigt, wie die antike Tragödie nicht als reines Ritual zu verstehen ist, sondern eher die Negativität des Scheins, die Brüche, Risse und Erschütterungen in den Blick nimmt. Der „ Uranfang “ wird nämlich im Spiel lediglich in eine „ Möglichkeitsform “ einer durch Mimesis hergestellten Präsenz übertragen. Daher reicht man nie an den eigentlichen Ursprung heran, sondern kann immer nur bis zum „ Ur-Sprung “ zurückgehen, d. h. zu dem Punkt, an dem sich die Menschheit schmerzhaft von holistischen Phantasmen getrennt hat - lediglich in der Religion kann die Ganzheitssehnsucht gestillt und die Lücke vermeintlich geschlossen werden. 4 Die attische Tragödie vergegenwärtigt also Riten wie das Opfer in ihrer scheinbaren archaischen Unmittelbarkeit auf der Bühne, um gerade die Brüche in der Religion aufzudecken und ihre Brutalität auszustellen. Dies ist schon Teil einer Strategie des Selbstreflexiv-Machens. Darüber lagert sich eine weitere Stufe, dass nämlich die rituelle Ebene einer reinszenierten, re-enacted religion immer zugleich mit theatralen Mitteln, also mit Wort, Musik und Tanzbewegung, ausgedrückt und dadurch erneut als „ Spiel im Spiel “ metatheatral kenntlich gemacht wird. 5 Gerade bei Aischylos stehen rituelle Praktiken stets auch als theatrale Möglichkeiten zur Disposition. Man spielt sie aus, nicht um religiöse Wirklichkeiten abzuspiegeln, sondern um die Spannungen und Brüche kenntlich zu machen, die inhärente Gewalt zu beleuchten und vor allem damit erst Theater als Theater zu ermöglichen. Aischyleische Tragödie ist weitgehend prädramatisches Theater, das sich von einem rein aristotelischen und noch viel mehr vom modernen naturalistischen Theater radikal unterscheidet. Es geht weder um Spannung noch um die Einheit eines stimmigen Charakters, sondern - unterbrochen von überlangen chorischen Passagen - um ein bildgesättigtes Gleiten in assoziativ aneinandergereihten Szenen, die auf mythischen Gegebenheiten beruhen und die Vorgeschichte des Mythos stets einfließen lassen. 6 Seit den 1990er Jahren kann man auch in der traditionell deutlich textlich ausgerichteten klassischen Philologie vom Einzug des neuen Paradigmas der Performance sprechen: Dies gilt besonders in der Dramenforschung, wo eine Beschäftigung mit den Medien jenseits des reinen Texts und gerade die Berücksichtigung der Dimensionen des Chorischen, des Musikalischen, der Stimme, der Performativität und Ritualität auf der Hand liegen. Formen des Selbstreflexiv- Werdens und der Metatheatralität beziehen sich im multimedial geprägten Gesamtkunstwerk der Tragödie mit Vorliebe auf die performative und poetische Ebene. Vor allem versucht man mit der Zurschaustellung des rituellen Hintergrunds das Publikum, das permanent zwischen den Wahrnehmungsperspektiven des Hier und Jetzt und des Damals und Dort in der Handlung changiert, einzubeziehen und auf der Folie der spezifischen Verzerrung zum Denken und Problematisieren anzuregen. 7 Folgende rituelle Praktiken und allgemeine Riten kommen in Frage, die im aischyleischen Theater in besonderer Weise und vornehmlich durch den Chor ausgestellt werden: l Hochzeitsriten und ihre Verbindung mit Todeserfahrungen, l Supplikationsszenen, l Opferhandlungen, Libationen, l Reinigungen, l Segnungen, l Beschwörungen, 87 Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos l Verfluchungen, l Jagdriten, l Heilungen, l Gebet und Gebetsreihen, l Eide, magische Binderituale, l Bestattungsbräuche, Klagen und Threnoi, l Tanz und Komoi, l Agone und Prozessionen. 8 Theater, das selbst im rituellen Kontext aufgeführt wird, integriert diese Riten meist in Chorpartien als direkt am Körper ausagierte lebensweltliche Praktiken, wobei performativ gewissermaßen ‚ Ritual im Ritual ‘ entsteht. Das oszillierende Ineinandergreifen von intra- und extrafiktional-pragmatischer Ebene - gerade durch den Chor als internen Zuschauer - erzeugt communitas und Kohäsion der im Spektakel anwesenden Polis. Die von der Realität entfernten, auch gattungs- und okkasionsbedingten Zerrbilder sowie die freie, auf den Prinzipien der Kombination und Selektion basierende bricolage schaffen erst die theatrale Handlung, die Blicke auf die Risse und Brüche des realen Rituals freigibt. 9 Indem also Dramatiker über allerlei Rituale der Lebenswelt als performatives Material kreativ verfügen, schaffen sie immer neue poetische Möglichkeiten. Tragiker konstruieren durch Einverleibung von Riten sowie durch Ankündigung und spätere Ausführung einen Plot. Die Autoren wecken damit zudem Erwartungen beim Publikum, die später eventuell enttäuscht werden, und sie verstehen sich darauf, die festen Ablaufmuster für ihre Zwecke regelrecht zu manipulieren. 10 Das dem Ritual inhärente spektakuläre Potential kann für den dramatischen Effekt genutzt werden, indem man die hier umspielte Gewalt zur fiktionalen Wirklichkeit werden lässt. Dies bedeutet letzten Endes die mimetische Perversion des Rituals, das eigentlich dazu da ist, Bedrohungen der Zivilisation performativ zu bewältigen. Wie wir sehen werden, hat jede rituelle Handlung im Theater eine bereits selbstreflexive Komponente. Die theatrale Ausstellung eines Rituals spiegelt bereits die Konstellation der Tragödie, die aus zahlreichen zusammengesetzten Ritualformen besteht und selbst in einen rituellen Aufführungsrahmen eingebettet ist. 1. Der Gebrauch des Opfers in der Tragödie: Perversion des Tieropfers im Agamemnon Für das Drama spielt das Opfer seit Walter Burkerts Aufsatz aus dem Jahre 1966 eine prominente Rolle. 11 Darin führt er die Tragödie nach einer antiken Tradition auf den „ Gesang beim Bocksopfer “ bzw. „ um den Preis eines Bockes “ zurück. 12 „ Opfer ist rituelle Tötung. Im Opferritual verursacht und erfährt der Mensch den Tod “ . 13 Aus dem Schrecken, Grauen und Schock über den offen zur Schau gestellten Mord am Tier und aus dem einsetzenden Schuldgefühl erwächst nach Burkert soziale Gemeinschaft, weswegen Opferfeste dazu dienten, soziale Krisen zu überwinden. 14 Bekanntermaßen verzerrt die Tragödie die Perspektiven ins Gewaltsame. Daher verarbeitet die Gattung das Gemeinsamkeit stiftende Opfer oft als pervertiertes Opfer. 15 In der Verzerrung wird das Gewaltpotential des Tieropfers dramaturgisch mit Vorliebe auf den Mord und Totschlag im Mythos lebender Helden übertragen. Immer wieder kann man beobachten, wie menschliches Töten mit Opferterminologie versehen und damit das Opferritual performativ und theatral ausgespielt wird. 16 Gerade indem man die Szenen so markiert, wird das Opfer als Akt in der Vorstellung selbstreflexiv, vor allem weil es die zentrale Handlung der Tragödie, das Morden und Töten, beleuchtet. 88 Anton Bierl Zusätzlich wird das Ritual metatragisch markiert, indem in typischer Weise die für das Theaterspiel entscheidenden Ausdrucksmodi - das Wort, das Singen und Tanzen - damit verbunden werden. Choreia stellt in der archaischen Liedkultur paideia dar, die Erziehung zum Guten mithilfe positiver Inhalte und Bewegungen oder in der Kontrastwirkung mit die Norm überschreitenden Verhaltensweisen des Hässlichen. Im Agamemnon versucht man die schrecklichen Ereignisse laufend performativ zu überspielen, d. h. mit rhetorischen und rituellen Mitteln schönzureden. Nach dem Erkennen der verabredeten Zeichen (semata), die den Sieg im Kampf um Troja vermelden, fordert der Bote Klytaimestra auf, sich schnell vom Lager zu erheben und im Haus den „ Ololygmos, entsprechend den Regeln der Euphemia, für diese Fackel laut aufjauchzen lassen “ ( ὀλολυγμὸν εὐφημοῦντα τῇδε λαμπάδι / ἐπορθιάζειν Ag. 28 - 29). Der Ololygmos ist freilich nicht nur der Jubelschrei, sondern auch der schrille, gellende Schrei der Frauen, der in der Krisensituation das Moment der Gefahr performativ übertönt. 17 Insbesondere unmittelbar vor dem Abschlachten des Opfertiers beim rituellen Opfer, das üblicherweise von Chorreigen begleitet wird, lässt man diesen Schrei aufheulen ( ἐπορθιάζειν 29). Klytaimestra jubelt also nicht nur über den endlich eingetretenen Sieg, sondern leitet damit auch die Handlung des pervertierten Opferrituals ein. Der Krieg scheint nun zu Beginn der Trilogie beendet, doch anstehende Versöhnungsopfer der Klytaimestra oder Tränen des goos können nach Aussage der Choreuten den Zorn nie wirklich übertönen, überzaubern und überspielen (69 - 71). Erst als Klytaimestra hineingeht, maßt sich der Chor, der aufgrund des Alters zu Hause blieb, also gar nichts wirklich von den Ereignissen um Troia als Augenzeuge weiß (72 - 74), ihre hermeneutische Autorität an (104 - 106). Die Vorgeschichte wird in der langen und verschachtelt-rätselhaften Parodos zum Teil in den direkten Worten des Sehers Kalchas wiedergegeben. Vom Opfermord an Iphigenie als möglichem Ausgangspunkt der Handlungskette der Orestie singt der Chor besonders ausführlich (186 - 246). Von Kalchas wegen der Windstille in Aulis vor das Dilemma gestellt, entweder seine Tochter zu opfern oder den Oberbefehl aufzugeben, wählt Agamemnon den Weg der Besänftigung von Artemis, die den Wind abflauen ließ. Obwohl ihm das Verbrechen vor Augen steht, begeht er nahezu in einem Wahn die rituelle Tat des perversen Jungfrauenvoropfers vor ihrer Hochzeit ( προτέλεια 227), um die Ausfahrt der Schiffe nach Troia zu gewährleisten. Auf die Flehrufe des Mädchens geben die Herrscher nichts. Vielmehr befiehlt Agamemnon nach einem Gebet (231), Iphigenie „ gleich einer Geiß auf den Altarstein ( δίκαν χιμαίρας ὕπερθε βωμοῦ )/ umflossen von dem Gewand - festen Muts - die gebeugte/ fassend zu heben “ (231 - 234). 18 Vor allem soll ihr „ schönschnabliger Mund “ ( στόματός τε καλλιπρῴρου 235 - 236) davor zurückgehalten werden, „ einen Fluchlaut dem Haus gegenüber “ ( φθόγγον ἀραῖον οἴκοις 237) auszustoßen. Durch Knebelgewalt kann Iphigenie nichts mehr sagen, doch stumm können immer noch auf visuellem Wege Signale des Flehens gesandt werden, die wie Pfeile treffen. Im Verlangen der Klangäußerung gleicht sie einem stummen Bild (242), aus dem man doch die Geste ablesen kann. Iphigenies Intention wird angesichts des Leids deutlich, zumal sie sonst oft im Männersaal, voll schöner Tische mit ansehnlichen Opfern, das fromm-reine Lied in der richtigen Klangfärbung anstimmte (240 - 246); denn mit „ geheiligter Stimme sang die Jungfrau, noch unbegattet “ ( ἔμελψεν , ἁγνᾷ δ’ ἀταύρωτος αὐδᾷ 245) zu dreifacher Spende, also einem Libationsopfer des 89 Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos Danks, den Paian, die musikalische Konkretisierung des Heilgotts Paion-Apoll ( παιῶνα 247). Ihr Gesang war üblicherweise das glückverheißende Lied der rituellen Feierlichkeit und Hoffnung auf Heil. Schöner Gesang steht demnach gegen den Fluch (ara). Iphigenies grausames Ende wird also als hocherotisches Bild gefasst. Nachdem ihr Kleid zum Boden gefallen ist, wird sie nackt in ihrer ganzen jungfräulichen Pracht wie ein Tier abgeschlachtet. 19 Das Opfer wird also in Narration bildhaft gemacht, weil es als ein möglicher Anfang der Rachemorde nicht direkt auf der Bühne umgesetzt werden kann. Es bereitet auf das weitere Morden im Stück der Verkettung von Rache und Widerrache vor. Schon der Kontrast mit dem kultischen, rein positiven Opfer, das in seiner Feierlichkeit als ästhetisches, alle Sinne ansprechendes Ereignis, besonders aber in seiner klanglichen Dimension erfasst wird, verleiht dem Menschenopfer eine besondere autoreferentielle Kontur. Die Gewalt wird damit als Opfer in sämtlichen Schattierungen thematisiert. Mit dem Bildvergleich wird die pervertierte Praktik nochmals gerahmt und zugleich erneut medial selbstreflexiv, wodurch das Schlüsselmotiv der gesamten Trilogie deutlich wird, das die chorische Szene im Kleinen spiegelt. 2. Der hymnos desmios in den Eumeniden (299 - 397): Gebet, Magie, Opfer und Gewalt In der Äußerung des Gebets an die Götter sowie bei Beschwörungen, Verfluchungen und Segnungen vollziehen die Choreuten auch diese Handlung. Die illokutionäre Kraft steckt in der rituellen Formelsprache, die den Befehl unterstreicht. Das Tun in der Anrede wird in der Gebärdensprache des Chortanzes nachempfunden und bestärkt den Sprechakt. Ein gutes Beispiel für solche chorisch-performative Selbstreflexivität ist der ‚ Fesselhymnos ‘ der Erinyen in den Eumeniden des Aischylos (321 - 396), die Orest verfolgen und töten wollen. 20 Das Lied stellt ihre Gewalt aus und macht sie im für die Tragödie essentiellen Chortanzlied konkret erfahrbar. Der coup de théâtre am Anfang der Eumeniden besteht darin, das abstrakte Racheprinzip, das mit dem Muttermord in den Choephoren zuletzt an die vergöttlichte Personifikation zurückfällt, nun plötzlich als theatral wirkliche Figuren, den neuen Chor der Eumeniden, tatsächlich auftreten zu lassen, während sie am Ende der Choephoren zunächst nur als psychotisches Hirngespinst in Orests Wahnsinnsanfall metaphorisch sichtbar wurden. Zu Beginn der Eumeniden wurden sie als treibende Kraft freilich deaktiviert, da Apoll die Situation für seinen Zögling Orest unter Kontrolle brachte. Doch als Apoll trotz seiner traditionellen Reinigungsrituale den Mörder immer noch nicht ganz von der Blutschuld lösen kann und ihn deswegen zu Athene nach Athen schickt, wirft er auch die Chorvampire aus seinem Tempel, die daraufhin ihrem Opfer nachjagen. Zwischen Orests Anruf, einem hymnos kletikos in jambischer Rede, an die Göttin, die alles mit peitho regeln wird, und ihrem eigentlichen Erscheinen wird die Zeit mit diesem so selbstreferentiellen Hymnos der Erinyen überbrückt. Sie haben just ihr Opfer erreicht und möchten es nun magisch mit Gesang und Umkreisung fesseln, um Orest die Eigeninitiative zu nehmen und ihn als Schlachtopfer für die Rache vorzubereiten. Im Gebet bekräftigen sie mit Verweis auf die chthonische Mutter Nacht und Moira ihre angestammte Rechtsposition, die Athene ihnen streitig zu machen versucht. Dies käme einem Umsturz gleich, dem man sich vehement widersetzt. Die Selbstreflexivität des in die Mitte genommenen Lieds manifestiert sich in der nur über die theatralen Medien operierenden rituellen Tätigkeit, die 90 Anton Bierl mittels chorischer Selbstreferenz zugleich das Handeln in der Rolle unterstreicht. Magische Praktiken des Worts werden in Handlung umgesetzt: durch die Worte schickt sich der Chor an, Orest in der Tat zu fesseln bzw. zu bannen. Die Formation und die eindringliche Sprache zielen auf die angestrebte Wirkung des psychischen Bindens. Die Chorteilnehmer rufen sich auf, sich an den Händen zu nehmen ( ἄγε δὴ καὶ χορὸν ἅψωμεν Eum. 307), und bilden somit einen magischen Kreis um das Opfer am Altar. Der Refrain kommt einem Zauberspruch gleich. Die Gleichklänge, der Stabreim und der intensive Staccato-Rhythmus der ‚ laufenden ‘ Trochäen, die durch einen Pherecrateus unterbrochen sind, verleihen ihm große illokutionäre Kraft. Das Opfer wird gewissermaßen in Hypnose versetzt (328 - 333 = 341 - 346). 21 ἐπὶ δὲ τῷ τεθυμένῳ τόδε μέλος , παρακοπά , παραφορά , φρενοδαλής , ὕμνος ἐξ Ἐρινύων , δέσμιος φρενῶν , ἀφόρ μιγκτος , αὑονὰ βροτοῖς . Über unserem Opfer ist dies unser Lied: Wahnsinns Schlag, Geistesverrückung, geistverstörend! Ein Hymnos von den Erinyen fesselnd den Verstand, ohne Leier, Dürre für die Sterblichen. Die Choreuten agieren mit Selbstbezügen auf das aktuelle Singen und tanzen den Ritus aus. Deiktisch verweisen sie auf dieses Lied ( τόδε μέλος ). Der Schlüsselbegriff ὕμνος δέσμιος wird zunächst als Motto plakativ vorangestellt (306), um die erstrebte Wirkung dann in der magischen Formel durchzuführen. Die Tänzer stellen ihre Reigenformation des Beschwörungszaubers performativ her (307), indem sie sich im Exhortativ der ersten Person Plural selbst dazu auffordern. Das Lied stellt die Gewalt der Blutsauger aus, weswegen sie ihr Lied im Gegensatz zum reinen hymnischen Gebet als „ leierlos “ ( ἀφόρμιγκτος 332 - 333 = 345 - 346) und „ verhasste Muse “ ( μοῦσαν στυγεράν 308) bezeichnen. Im nächsten Refrain vollziehen die Sänger und Tänzer erneut im Sprechakt die gegenwärtige Performance. Während sie ihre destruktiven Worte äußern, stampfen die Akteure auf den Boden und verkünden, alle Zivilisation zu zerschlagen „ mittels unseres dunkelgewandigen Ansprungs und durch die hasserfüllten Tänze des Fußes “ ( ἁμετέραις ἐφόδοις μελανείμοσιν ,/ ὀρχησμοῖς τ’ ἐπιφ⟨θ⟩όνοις ποδός 370 - 371). Erneut unterstreicht die Selbstreferenz auf den Tanz im Hier und Jetzt die erwünschte rituelle Praxis sympathetischer Magie, die für den Fortgang der Handlung von Bedeutung ist. Wenn Athene Orest durch ihre Intervention nicht schützen würde, wäre der Held ganz in den Fängen der archaischen Monster. Hymnos, Gebet und vorweggenommenes Opfer werden ostentativ zur Schau gestellt, um die Gewalt zu thematisieren und problematisieren. 3. Selbstreflexives Ritual in den Sieben gegen Theben: Kledonomantik und ein vorderorientalisches Heilritual als mise en scène und mise en abyme Die Kledonomantik ist ursprünglich eine divinatorische Technik, die bestimmten Äußerungen Vorzeichencharakter zuweist. Aischylos verwendet das Ritual in seinen Sieben gegen Theben als Mittel der theatral-performativen Vorausschau und Deutung. Im zentralen Teil, in dem in übermäßiger Länge von einem Boten die Darstellungen auf den Schilden der Kämpfer beschrieben werden (Th. 375 - 652), geht es um das rätselhafte Potential von Zeichen und erklärender Sprache, die entsprechend der Semiotik zum Träger von orakelartigen Botschaften wer- 91 Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos den können. 22 Zudem kann man mit Walter Burkert die Tradition der mythischen Erzählung von den Sieben gegen Theben als Reflex eines babylonischen magischen Heilrituals zur Vertreibung des Bösen betrachten. 23 Dieses Heilritual hat offenbar auch Aischylos in die Konzeption seines Stücks eingefügt. Burkert geht demnach davon aus, dass es nicht, wie üblicherweise angenommen, reale geschichtliche Ereignisse widerspiegelt. Das bedeutet, dass nicht ein bestimmter Krieg um die historisch belegte Befestigung von sieben Toren in den Mythos Thebens Eingang fand. Vielmehr ist die Sieben eine heilige Zahl, die in Ritualen und mythischen Verarbeitungen typischerweise vorkommt. Babylonische Magier und Heiler trieben eine Krankheit aus, indem sie die Bilder von sieben angreifenden Dämonen herstellten, denen sie sieben verteidigende entgegenstellten. Brüder standen sich also auf beiden Seiten gegenüber, deren Figuren am Ende der Zeremonie verbrannt wurden. Durch das Aufstellen und Vernichten wird gewissermaßen in einem Modellspiel symbolisch Gewalt verarbeitet. In der gegenseitigen Gewaltanwendung wird rituell Reinigung in der totalen Vernichtung der Gegner erzeugt, die für das Überleben der Gesamtpolis eingesetzt wird. Die Schlacht kann bekanntermaßen nicht auf der Bühne umgesetzt werden, sondern solche Gewaltexzesse werden nach der attischen Bühnenkonvention durch ausführliche Berichte lebendig. In diesem Fall greift Aischylos zum Mittel, mithilfe der Vermittlung des Boten, der von der Aufstellung der argivischen Helden berichtet, dem Zuschauer den Moment davor, also die Zulosung der sieben thebanischen Helden durch Eteokles miterleben zu lassen, die im Duell des Heerführers gegen seinen eigenen Bruder Polyneikes gipfelt (Zulosung 632 - 652 und Folge 653 - 860). Die Kampfesgewalt wird also nicht direkt gezeigt, sondern durch die ekphrastischen Schilddarstellungen vermittelt, die schon seit der berühmten Schildbeschreibung im 18. Buch der Ilias (478 - 608) mit Vorliebe selbstreferentiellen Charakter besitzen. 24 Dem semiotischen Gewaltpotential eines bestimmten Kriegers stellt man jeweils einen Gegner entgegen, der aufgrund der gefährlichen oder apotropäischen Zeichenkraft seines Schildes das Gegenüber zu besiegen oder wenigstens abzuwehren vermag. In diesem Fall wird in der beschränkten narrativen Szene die ganze Handlung der Sieben gegen Theben samt ihrem größeren ideologischen, auf der Tragik basierenden Zusammenhang gespiegelt. Die lange Ekphrasis stellt also ein in Zeichen und Bildern verdichtetes Geschehen auf theatrale und spektakuläre Weise dar. Die mise en scène beinhaltet die Inszenierung von Zeichen als Träger der tieferen Bedeutung. Die Tragik beruht auf der palintonos harmonia, der „ gegenstrebigen Fügung “ (Heraklit fr. B 51 DK). Als schreckliche Dialektik der Verstrickung kommt sie im Brüderkampf zum Ausdruck (811 - 960). Das typische Zusammenfallen von Selbst und Anderem ist der Fluch Thebens, des tragischen Orts par excellence. 25 Gerade im Ödipus-Geschlecht wird diese Konstellation immer wieder durchgespielt: Inzest, Bruderkampf und gegenseitig verschränkte Gewalt drücken den Mangel an Differenzierung aus. Das Finale der Trilogie endet im Gegensatz zur Orestie nicht mit einem Ausgleich, sondern in der totalen Vernichtung, die qua Katharsis das Fortbestehen der Polis garantiert. 4. Die Nekromantie-Szene in den Persern: Goos und Mantik Das Beschwörungsritual (Pers. 598 - 680) samt dem vollständigen Auftritt des toten ehemaligen Königs Dareios an dessen Grab in den Persern des Aischylos (532 - 907) ist für unsere Fragestellung wohl die ergiebigste Szene. Wie gesagt, ein Ritual als ‚ Ritual im 92 Anton Bierl Ritual ‘ ist im Drama grundsätzlich ein selbstreflexiver Akt, d. h. die Zurschaustellung von theatralem Tun. Es geht um die Ostentation, um spektakuläres Zeigen im Schautheater. Die Szene ist nicht nur ein plötzlicher Theatereinfall, sondern sie ist eingebettet in die ganze Komposition. Dareios ’ Beschwörung wird in die Mitte des gesamten rituellen Spiels genommen, das von Klage, Vorausahnung des Leids und dessen tatsächlichem Eintreffen gekennzeichnet ist. Klageriten, Goos und Threnos bestimmen das gesamte Bildreservoir des Stücks. Besonders das Zerreißen des königlichen Kleids des Xerxes reflektiert wiederum das Ritual. 26 Entscheidend ist also das In-die-Mitte-Nehmen, das en-abyme-Setzen, das nach Lucien Dällenbach das Große im Kleineren nochmals spiegelt und damit weitere Aspekte auf das Ganze freigibt. 27 Vor kurzem hat Jonas Grethlein das Moment der mise en abyme in der Dareios-Szene bezüglich der Erinnerungsarbeit und der Geschichtsdeutung herausgearbeitet. 28 Ich möchte im Folgenden den nämlichen Aspekt für das religiöse Tun unterstreichen. Im Folgenden wird ersichtlich, wie die Szene in die Mitte genommen wird, um dadurch ein Konglomerat von Riten als Konstrukt auszustellen und dadurch ein Nachdenken über die zentrale Frage des Selbst und Anderen auszulösen. Damit erhält die Szene eine ganz neue Perspektive. Während sich bisher die Diskussion meist um die Frage drehte, ob wir hier einen Spiegel tatsächlicher Riten von Magie vor uns haben - strittig war vor allem, ob griechische oder genuin persische Praktiken der Totenbeschwörung auf der attischen Bühne reflektiert werden - , will ich im Folgenden das performative Wirken in den Fokus nehmen und betrachten, wie theaterwirksam Aischylos die Szene gestaltet und auf welche Weise das Publikum das Bühnengeschehen rezipiert. Gerade erst seit kurzem setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Passage weniger den Spiegel realer Verhältnisse darstellt, sondern mit Hilfe von bricolage rituelle Versatzstücke auf eindrückliche Weise zusammenstellt. 29 Diese nach Claude Lévi-Strauss benannte ‚ Bastelei ‘ in phantastischer Konstruktion hat zugleich etwas mit der Gesamtanlage der theatralen Perspektive zu tun. Ein grundsätzliches Oszillieren zwischen dem Selbst und dem Anderen, zwischen Innen und Außen, gehört wesensmäßig zum antiken Drama. Doch in den Persern ist dieses Charakteristikum auch für den Sinn und die Darstellungsweise des Stücks eingesetzt. Das zeitgeschichtliche Ereignis der nur acht Jahre zurückliegenden Siege über die Perser bei Salamis und Plataiai wird als Pathosinszenierung aus dem Blickwinkel des Anderen, d. h. der Perser, ins kollektive Gedächtnis überführt und das Geschichtliche dabei entsprechend den generischen Regeln zur Mythhistorie umgestaltet. 30 Die Multiperspektivität, das Oszillieren und Changieren zwischen der Perspektive der Perser, von der aus das Stück eigentlich gestaltet ist, und derjenigen der Griechen, die es in Athen rezipieren sollen, ist überdeutlich. An zahlreichen Stellen mengt sich die griechische Sichtweise in die der Perser. 31 In der Narration von Ereignissen liegt wiederholt eine Art sekundäre und externe Fokalisation des Autors hinsichtlich des Horizonts und der Erwartungshaltung des griechischen Zielpublikums vor, 32 wodurch es komplizenhaft einbezogen wird. 33 Am deutlichsten wird dies überall, wo die Perser von sich selbst als Barbaren sprechen. Daher übernimmt Dareios, der hier von den Toten heraufbeschworen wird, später überraschend, aber nur folgerichtig eine Deutung der Ereignisse aus griechischer Sichtweise vor (739 - 842). Die Vermengung der Blickwinkel geschieht freilich zudem auf der rituellen Ebene, so dass alles zu einem neuen Phantasieritual verschmilzt. Die doppelte Fokalisierung manifestiert sich auch in dieser 93 Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos zentralen Szene (623 - 680), wodurch sie die Sichtweise sowohl persischer Spezialisten, der Magoi, als auch griechischer Adoranten annimmt, die in einer hymnischen Anrufung eine Gottheit um Erscheinung bitten. Zugleich verschmelzen unterschiedlichste Praktiken und Vorstellungen miteinander: griechische Toten- und Heldenverehrung, Gebet, die Bitte um Epiphanie eines Gottes, persische Zauberei und magische Praktiken der Totenbeschwörung und Goetik, Totenkult sowie die aus der griechischen Literatur bekannte Nekyomantie. Elemente von Klage, Libation, Spende eines Opferkuchens, Grabeskult, Orakelwesen und Mantik gehen fließend ineinander über, wobei die das Stück prägenden zentralen Praktiken von Goos und Opferguss sowie die theatralen Sprechakte von Musik, Hymnos und Choreutik en abyme genommen werden. Ich gehe davon aus, dass der Theatereffekt und die ideologischen Möglichkeiten für die Geister-Szene, die den dramatischen Höhepunkt der Perser ausmacht, entscheidend sind. 34 Das aus unterschiedlichen Elementen zusammengesetzte Bricolage-Ritual wirkt wie ein Knotenpunkt der spektakulären Energie oder wie der Motor einer sonst vergleichsweise unterentwickelten prädramatischen Handlung. Einerseits ist der coup de théâtre lange vorbereitet, andererseits kommt er hier wirklich überraschend. 35 Bezeichnenderweise beschwört der Chor zusammen mit Orest und Elektra in einer vergleichbaren Szene, nämlich in dem langen, ebenfalls in die Mitte genommenen Kommos der Choephoren (306 - 478), über weite Strecken den Toten Agamemnon. Man bittet dort ähnlich wie in den Persern, Agamemnon möge erscheinen, auf die Erde zurückkehren und in der Rachehandlung konkret seinem Sohn Orest zu Hilfe kommen. Doch „ Aufwand “ und „ Ergebnis “ , die durch Variationen eindringlich ausgedehnte Länge und der mangelnde perlokutionäre Erfolg des Rituals stehen in keinem Verhältnis zueinander, da Agamemnon nicht erscheint. 36 Einem Toten ist bekanntermaßen, jedenfalls nach griechischer Konzeption, eine Wiederauferstehung nicht möglich. Doch kann er nach den Vorstellungen einer traditionellen Kultur aus dem Grab heraus - im konkreten Fall als Racheprinzip in der Orestie - wirken, auch ohne tatsächlich zu erscheinen. Im vorliegenden Fall wird Klytaimestra, Agamemnons Frau und Mörderin, nach seinem chthonischen Betreiben die ungewollte Auslöserin dieses Tuns, indem sie ihren toten Ex-Gatten ebenfalls mit Weihgüssen (choai) besänftigen will (Ch. 22 - 83). Doch durch die Umpolung der ursprünglichen Handlungsintention machen Elektra und Orest Klytaimestras Opfer zu einem Totenbeschwörungsritual: statt Besänftigung wird die Libation zum Aufruf zur Rache umfunktionalisiert (Ch. 84 - 162). Klytaimestra leitet dann nach dem Kommos die tragische Verkettung von Handlungselementen ein (Ch. 510 - 930), indem sie weiterhin heimlich vom rächenden Toten aus dem Tumulus heraus in ihrem verhängnisvollen Tun geführt wird. 37 Auf diesem Hintergrund des Nichterscheinens ist nun zu untersuchen, ob in der Dareios-Szene überhaupt eine tatsächliche Nekromantie intendiert ist oder die Rückkehr des toten Perserkönigs unter die Lebenden ganz überraschend für das Publikum eintritt. Man ersucht eigentlich gar nicht um ein Orakel. Zu fragen also bleibt, was die unerwartete Rückkehr eigentlich bezwecken soll. Offenbar geht es Aischylos in der mise en abyme also um die Möglichkeit der Deutung nach griechisch-tragischen Vorstellungen in der Figur des der vergangenen Generation zugehörigen Dareios, wobei die paradoxe Überlagerung die typische Vermengung der Perspektiven abbildet. Es stellt sich die Frage, wie man überhaupt zu dieser skurrilen Theateridee der Beschwörung des toten Perserkönigs gelangt. Interessanterweise geschieht dies 94 Anton Bierl über eine typische assoziative Gleitbewegung. Zunächst hat Atossa nach der kollektiven Vorausahnung der Choreuten (Pers. 1 - 139), die den Goos damit schon vorwegnehmen, individuell einen schrecklichen Traum: Xerxes stürzt zu Boden. Hinzu tritt ihr toter Gatte Dareios, ehemaliger König und Vater des gemeinsamen Sohnes Xerxes, der sich in der typischen Geste des Trauerrituals die Kleider zerreißt (176 - 200). Beim apotropäischen Opfer eines Kuchens (203 - 205), das an die unheilabwehrenden Dämonen gerichtet ist, sieht sie zudem ein verhängnisvolles Vogelzeichen (201 - 214). Der persische Chorführer rät nun der verschreckten Königin, zur Abwehr (apotrope) des Bösen, das offenbar just von den chthonischen Mächten in ihrer Doppelnatur kommt, 38 - also um zu verhindern, dass das Schreckgespinst Realität wird, - die olympischen Götter und nicht Dämonen anzuflehen. Darauf solle sie noch ein an Ge (Erde) und die Toten gerichtetes Trankopfer durchführen. Dabei möge sie vor allem Dareios anflehen, damit er ihr und dem Sohn „ Edles “ ( ἐσθλά ), also positive Ereignisse und Segen aus dem Grab heraufschicke ( πέμπειν . . . γῆς ἔνερθεν εἰς φάος 222) und das Gegenteil in der Erde zurückbehalte (215 - 225) - daher rührt auch die Betonung auf die besänftigende Wirkung der Gussspende (220, 609 - 610). Damit und mit der richtigen, euphemistischen Adressierung (620, 625 - 627) versucht man die negative Seite der ambivalenten Doppelnatur chthonischer Mächte und Toter zu minimieren. 39 Doch kann Atossa den Rat nicht mehr umsetzen. Das Ritual und das angestrebte Ergebnis kommen nicht zustande, da der Auftritt des Boten das Vorhaben unterbricht (249 - 514), der das Negative mithilfe seines Berichts über die Katastrophe narrativ in Erinnerung ruft (290 - 352, 353 - 432, 441 - 514). Atossa kritisiert daraufhin den vorher erteilten Rat des ihr nahestehenden Chors (520) - sie war zu spät. Dareios als nachtwandelnder Toter und die chthonischen Mächte haben offenbar negativ gewirkt. Der Traum hat sich sofort erfüllt (517 - 519). So versucht sie nun post festum - also nach der Niederlage - mit dem Gebet an die Götter und mit einer Libation sowie einer Opferkuchengabe an die Erde und die Toten zu erwirken, dass wenigstens für die Zukunft das Gute eintrete, das Schlechte aber gebannt werde (521 - 526). Erst nach dem Goos des Chors (532 - 597) kehrt Atossa auf die Bühne zurück (598 - 622), nun nicht mehr in der königlichen Aufmachung und im Wagen, sondern zu Fuß. Das Lied war nach ihrer Perzeption ein gellender Lärm, nicht ein Paian (605). Offenbar veranlasst sie der schreckliche Klang zur beabsichtigten Aktion des Gussopfers, das den alten König und alle Toten besänftigen und zugleich das Schreckliche abhalten soll. Atossa bringt Milch, Honig, Wasser und ungemischten Wein sowie Blumen (609 - 618). Da beschreibt sie eine Arbeitsteilung zwischen ihr als Individuum und dem Chor als Kollektiv. Der Chor ist für die Lieder, die Hymnik des magischen Sprechakts zuständig, der in richtiger, euphemistischer Form (vgl. 620) an die unterirdischen Götter gerichtet ist, um Dareios heraufzurufen, die Königin für die an die Unteren gerichteten choai (619 - 622). In diesem Augenblick beginnt das Lied (623 - 680): Mit Hymnen erfleht also der Chor eine gnädige Rückkehr von den Geleitern ( πομπούς 626), also den unterirdischen Göttern, die den Toten zurück auf die Erde senden sollen. Ge, die Erde, und Hermes, der König der Unteren, Psychopompos und Vermittler zwischen den Welten, werden aufgerufen, das Positive von der Tiefe an die Oberfläche zu schicken. Welche Totenseele (psyche) zurück ans Licht und auf die Erde gesandt werden soll, geht zunächst nur aus dem Vorherigen hervor. Ziel ist auf alle Fälle die „ Heilung ( ἄκος ) von Bösem “ (631). Hilfe seitens der Toten und Genesung kann 95 Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos freilich nur einsetzen, wenn die wiedererstarkte Seele des Dareios das Ende der Threnoi verkündigt, mit denen er zugleich herbeizitiert wird (623 - 632): βασίλεια γύναι , πρέσβος Πέρσαις , σύ τε πέμπε χοὰς θαλάμους ὑπὸ γῆς , ἡμεῖς θ’ ὕμνοις αἰτησόμεθα φθιμένων πομποὺς (625) εὔφρονας εἶναι κατὰ γαίας . ἀλλά , χθόνιοι δαίμονες ἁγνοί , Γῆ τε καὶ Ἑρμῆ , βασιλεῦ τ’ ἐνέρων , πέμψατ’ ἔνερθεν ψυχὴν εἰς φῶς · (630) εἰ γάρ τι κακῶν ἄκος οἶδε πλέον , μόνος ἂν θρήνων πέρας εἴποι . Königin, verehrungswürdig den Persern, schicke die Spenden in die Wohnstätten unter der Erde - und wir wollen bitten mit unseren Liedern, es mögen gnädig sein die Geleiter der Seelen in der Unterwelt. Auf, ihr reinen Daimonen der Tiefe, Gaia und Hermes und du, Gebieter der Toten, sendet von unten die Seele zum Licht! Denn sollte ein Mittel er wissen gegen das Leid, ein bessres als wir, so dürfte als einziger er auf der Welt ein Ende des Unglücks uns künden. Um ein Orakel wird bezeichnenderweise gar nicht gefleht. Vielmehr erhofft man sich ganz allgemein und nach den traditionellen Vorstellungen eine irgendwie geartete Hilfe und Zufluss von Positivem seitens des Toten, des zum Heros stilisierten ehemaligen Großkönigs. Höchstens indirekt wird Dareios, der vor allem erst einmal die Niederlage des Heeres unter der Führung seines Sohns Xerxes und deren Folgen erfahren soll, um eine Aussage gebeten, wie man das Ende des negativen Ist-Zustands erreichen könnte. Sie besteht nach langer Aufklärung über die neuen Verhältnisse (681 - 738) in seinem überraschenden Rat: nie wieder Krieg mit Hellas (790 - 792). Und zuletzt sagt Dareios vor allem die weitere Katastrophe von Plataiai voraus und gibt Xerxes die Schuld für die Misere nach rein griechischen Maßstäben (800 - 831). Einen Rat richtet er wenigstens noch an seine ehemalige Frau, die Mutter von Xerxes, ihrem auch äußerlich zerfetzten Sohn entgegen zu gehen, ihm neue Prachtkleider zu bringen und ihn zu besänftigen (832 - 838). Im eigentlichen Stasimon (633 - 680) wird in der ersten Strophe (633 - 639) zunächst thematisiert, ob der göttergleiche König ( ἰσοδαίμων βασιλεύς 634) als Heros in seinem Grab die Choreuten und ihr Lied überhaupt hören könne. Sie senden in den chthonischen Bereich barbarische Laute aus, die offenbar deutlich zu hören sind. Dies geschieht in paralleler Bewegung zu den Libationen. Es sind schlimme Töne der Klage. Gussopfer und Goos, die spontane laute Klage, sind die typischen Medien, um mit den Toten unter der Erde in Kontakt zu treten. Die Frage nach dem Hören ist topisch für Hymnen. 40 Allerdings wirkt sie in diesem Fall fast ironisch. Offenbar hat man doch Zweifel an einer direkten Kommunikation mit den Toten (633 - 639): ἦ ῥ’ ἀίει μου μακαρίτας ἰσοδαίμων βασιλεὺς (633/ 634) βάρβαρα σαφηνῆ (635) ἱέντος τὰ παναίολ’ αἰανῆ δύσθροα βάγματα ; παντάλαν’ ἄχη διαβοάσω · νέρθεν ἆρα κλύει μου ; Hört er mich, der selige, göttergleiche König, wie ich in Barbarensprache, verständlich ihm, in wechselnden Tönen, traurig, klagend, die Stimme erschallen lasse? Soll ich Elender meine Trauer laut herausschreien? Kann er von unten mich hören? Der Chor beschwört die Erde und die Führer der Unterwelt, sie mögen Dareios, den Persergott, auffordern, aus den unterirdischen Behausungen nach oben zu kommen. Der schon lange vorbereitete Kontrast zwischen 96 Anton Bierl Alt/ Gut und Jung/ Schlecht wird damit aufgenommen. Dareios ist als Vertreter der vorherigen Generation das Prinzip des Guten, das auf die Erde zurückkehren soll, wobei man aber den negativen Aspekt der chthonischen Polarität bewusst ausblendet (640 - 646): ἀλλὰ σύ μοι , Γᾶ τε καὶ ἄλλοι χθονίων ἁγεμόνες , (640) δαίμονα μεγαυχῆ (642) ἰόντ’ αἰνέσατ’ ἐκ δόμων , Περσᾶν Σουσιγενῆ θεόν , πέμπετε δ’ ἄνω οἷον οὔπω (645) Περσὶς αἶ’ ἐκάλυψεν . Auf, Gaia und ihr anderen Fürsten der Unterwelt, gebt die Erlaubnis dem ruhmreichen Schatten, euer Heim zu verlassen, dem Gotte der Perser, den Susa gebar! Lasst ihn heraufziehen, ihn, einen Helden, wie ihn die persische Erde noch niemals bedeckt! Dann thematisiert der Chor die emotionale Nähe zu dem Königsgrab. Denn das Grab (sema) ist das Wendesignal und der Ort zwischen Leben und Tod, wo die aus dem Tod gerufene Seele (psyche) des Dareios sich wieder mit seinem emotionalen Zentrum (thymos) und seinem Leib (soma) vereinen kann, um ins Leben zurückzukehren (647 - 651): 41 ἦ φίλος ἁνήρ , { ἦ } φίλος ὄχθος · φίλα γὰρ κέκευθεν ἤθη . Ἀιδωνεὺς δ’ ἀναπομπὸς ἀνείης , Ἀιδωνεύς , (650) { Δαρεῖον } θεῖον ἀνάκτορα Δαριᾶνα · ἠέ . Teuer ist uns der Held, teuer der Grabhügel, teuer ist ja, was er birgt. Aidoneus, geleite zum Licht ihn, Aidoneus, den König ohne Beispiel, Dareios! Ach! Dareios wird als außergewöhnlicher Retter magisch angerufen, da er als ein θεομήστωρ (655) im Gegensatz zu seinem Sohn nie andere aus Verblendung (ate 653, cf. 98, 1007) in den Tod sandte. Er hört nämlich auf den Rat und die Weisheit der Götter, weshalb er ein Freund der Götter, göttergleich und selbst ein Gott ist. Daher wird er in einem hymnos kletikos zur Epiphanie gerufen, damit er vielleicht den Schritt zurück vom Tod ins Leben vollziehen kann. 42 Während der Perserchor ihn eindringlich herbeizitiert mit den Worten „ los, komm,/ komm herauf zur obersten Spitze des Grabmals,/ heb den safrangefärbten Schuh deines Fußes! “ (658 - 660), kehrt Dareios wirklich auf die Erde zurück. Die illokutionäre Kraft des Sprechakts führt also zum perlokutionären Erfolg. So adressiert ihn der Chor mit den Worten (658 - 663): βαλλήν , ἀρχαῖος βαλλήν , ἴθι , ἱκοῦ , ἔλθ’ ἐπ’ ἄκρον κόρυμβον ὄχθου , κροκόβαπτον ποδὸς εὔμαριν ἀείρων , (660) βασιλείου τιήρας φάλαρον πιφαύσκων · βάσκε πάτερ ἄκακε Δαριάν · οἴ · König, ehrwürdiger König, wohlan, so komme! Steig auf die Kuppe des Grabhügels, hebe die safrangefärbte Sandale an deinem Fuß, lasse leuchten die Spitze der Königstiara! Komm, Vater Dareios, du Fürst ohne Tadel! Oh! Die besondere, illokutionäre und magische Ausdrucksintensität steckt in der rituellen Formelsprache der Zwei- und Dreigliedrigkeit, die den Befehl unterstreicht. Das Heben des Fußes in der Anrede wird in der Gebärdensprache des Chortanzes nachempfunden worden sein und bestärkt den Sprechakt. Mit den Aufforderungen steigt Dareios also tatsächlich herauf, während der Chor dazu seinen Fuß hebt und auf den Boden stampft (vgl. 683). Der Knauf seiner Tiara soll ihm im Dunkeln leuchten, während er ans Licht nach oben geschickt wird 97 Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos ( εἰς φῶς 630). Er glänzt in seiner orientalisch-prunkvollen Aufmachung, obwohl er als Toter Teil der Dunkelheit ist. Auf die Spitze des Grabes soll er treten, um somit die Wendemarke zum Schritt zurück ins Leben zu nutzen. Dareios wird aufgefordert, den Goos über die aktuellen Leiden anzuhören, zu dessen schrecklichen Klängen er hochzitiert wird (665 - 671): ὅπως κοινά τε κλύῃς νέα τ’ ἄχη · δέσποτα δέσποτ’ ὢ φάνηθι . (666) Στυγία γάρ τις ἐπ’ ἀχλὺς πεπόταται · νεολαία γὰρ ἤδη κατὰ πᾶσ’ ὄλωλεν · (670) βάσκε πάτερ ἄκακε Δαριάν · οἴ · 665: κ ' λύῃς West Vernehmen sollst du gemeinsames, unerhörtes Leid, Herr meines Herren, erscheine! Stygisches Dunkel umweht uns; sank doch die junge Mannschaft nunmehr dahin, ohne Ausnahme. Komm, Vater Dareios, du Fürst ohne Tadel! Oh! Das Lied ist expressiver Ausdruck von Xerxes ’ entsetzlicher Niederlage, die das Leben zum Tod machte. Im Nekromantie-Ritual wie im Goos gleicht man sich ebenfalls an den Tod an. Die Grenze von oben und unten ist dadurch verschoben, weshalb der Schritt zurück leichter ist. Man ruft ihn an zu erscheinen ( φάνηθι 666) - eigentlich, damit er wie eine Gottheit in der Epiphanie Gutes und vielleicht auch Rat bringe. Erst ganz am Schluss wird mit einem ti ( „ warum “ ) die Frage nach dem Grund und der Schuld der Katastrophe gestellt (675 - 680): τί τάδε , ⟨τί τάδε , ⟩ δυνάτα δυνάτα (675) †περὶ τᾷ σᾷ δίδυμα δια† γόεδν’ ἁμάρτια ; πᾶσαι ⟨γὰρ⟩ γᾷ τᾷδ’ ἐξέφθινται τρίσκαλμοι (679) νᾶες ἄναες ἄναες ; (680) Wie konnte nur, König, mein König, dein Verschulden über unser ganzes Volk solch zweifaches Leid hereinbrechen lassen? Vernichtet sind unsere Dreiruderer, Schiffe, die keine Schiffe mehr sind! Nun erfolgt der coup de théâtre. Der Sprechakt führt im Gegensatz zum langen Kommos der Choephoren überraschend zum gewünschten Resultat. Das mehr oder minder Unerwartete gelingt, wohl weil Barbaren als Spezialisten, Magoi und Goeten, am Werk sind. Doch zur Überraschung aller weiß der vorher mit göttlicher Weisheit versehene König über die Gegenwart gar nichts, da er als Toter weder hören noch sehen konnte. Dareios empfindet die erzwungene Rückkehr auf Erden infolge magischer Worte als eine Störung seiner Grabesruhe. Das Stampfen, Schlagen und entsetzliche Geschrei der Stimmen im Goos bringen ihn nach oben; die Erde wird dabei von den rituellen Praktiken affiziert und „ stöhnt “ (683) selbst (681 - 685): ὦ πιστὰ πιστῶν ἥλικές θ’ ἥβης ἐμῆς , Πέρσαι γεραιοί , τίνα πόλις πονεῖ πόνον ; στένει , κέκοπται , καὶ χαράσσεται πέδον . λεύσσων δ’ ἄκοιτιν τὴν ἐμὴν τάφου πέλας ταρβῶ , χοὰς δὲ πρευμενὴς ἐδεξάμην . (685) Ihr Treuen unter den Getreuen, Jugendfreunde, ihr greisen Perser, woran leidet unsre Stadt? Sie stöhnt, schlägt Haupt und Brust, ihr Grund wird aufgewühlt. Ich sehe meine Frau am Grab und hege Furcht, nahm freilich ihre Opferspenden gnädig auf. Dareios schaudert selbst, als er nun seine Frau am Grabe sieht - offenbar denkt er, sie war die Spezialistin - , ihr Gussopfer nahm er freilich gnädig an (684 - 685). Doch bedeutet dies noch nicht, dass er wirklich nach oben gehen wollte. Offenbar waren es die psychagogoi gooi (687), die magischen Trauergesänge begleitet von Bewegungsabläufen seitens des Perserchors, die seine Totenseele, 98 Anton Bierl im Sprechakt hinaufzogen (686 - 688). Dareios ’ Reaktion ist wie folgt (686 - 693): ὑμεῖς δὲ θρηνεῖτ’ ἐγγὺς ἑστῶτες τάφου καὶ ψυχαγωγοῖς ὀρθιάζοντες γόοις οἰκτρῶς καλεῖσθέ μ’ . ἔστι δ’ οὐκ εὐέξοδον , ἄλλως τε πάντως , χοἰ κατὰ χθονὸς θεοὶ λαβεῖν ἀμείνους εἰσὶν ἢ μεθιέναι . (690) ὅμως δ’ ἐκείνοις ἐνδυναστεύσας ἐγὼ ἥκω · τάχυνε δ’ , ὡς ἄμεμπτος ὦ χρόνου · τί ἐστὶ Πέρσαις νεοχμὸν ἐμβριθὲς κακόν ; Ihr jammert, nah dem Grabmal stehend, und indem ihr laut die Schattenwelt beschwört, ruft kläglich ihr nach mir; doch ist der Weg herauf durchaus nicht leicht, die Götter in der Unterwelt begehren eher sich Beute zu gewinnen als sie freizulassen. Gleichwohl: ein Herrscher auch in ihrem Kreis, bin ich zur Stelle. Sag mir gleich - des Säumens Vorwurf sei mir fern - : Welch neues Unheil lastet auf den Persern? Es ist ein „ nicht leichter Gang nach oben und heraus “ (688), denn erfahrungsgemäß versuchen die Götter einen eigentlich eher unten im Grab zu halten ( λαβεῖν ) als loszulassen ( μεθιέναι 690) (688 - 690). Nur die Klagegesänge (gooi) vermögen Seelen nach oben zu ziehen, weshalb solche Spezialisten auch Goeten heißen. 43 Geduld hat Dareios nicht, denn er fühlt sich eigentlich den Unteren zugehörig und dazu verpflichtet, bald wieder nach unten zu gehen. Zuletzt erfolgt die überraschende Frage, was denn das neue Leid sei, das die Perser drückt (693). Das bedeutet, dass der angeblich um Rettung und Hilfe, also um ein Orakel und Sprüche gerufene König göttlicher Weisheit gar nicht um die Umstände der Perserniederlage weiß und zunächst einmal selbst aufgeklärt werden muss. Erst im Nachhinein spricht er von einer alten Weissagung und einem Götterspruch (739 - 740), die sich nun bewahrheitet haben. In Wirklichkeit agiert er eher als ein innerer Deuter nach griechischen Kategorien, die an Solon erinnern. Hybris (808, 821), Ate (822, cf. 98, 653 und 1007) und die Zeusherrschaft (827 - 828; cf. 532, 740) der ausgleichenden Gerechtigkeit (dike) bestimmen das Denken des zum Gott stilisierten ehemaligen Perserkönigs. Das Ganze hat Aischylos also so gestaltet, damit Dareios diese Rolle in dieser Form spielen kann und nicht einfach, wie man nach dem rituellen Schema der Nekromantie erwarten würde, damit er ein Orakel von sich gibt. Kurzum: diese zentrale Szene ist wie die gesamten Perser ein Dazwischen und bildet die Multiperspektivität ab. Damit fungiert sie nochmals im kleineren Format als sinnfälliger Spiegel der ganzen Tragödie. Die Szene einer goetischen Psychagogie verarbeitet also Elemente einer Nekyomantie, ohne wirklich als solche gelten zu können. Zudem reflektiert sie gleichzeitig sowohl griechische als auch barbarische Vorstellungen. Obwohl man weniger gezielt auf den Spruch eines Toten zielte, wird Dareios doch noch zur höheren Stimme, zum inneren Deuter des schrecklichen Geschehens, das auch in der Rahmung davor schon als Rache seitens eines Daimon (158, 345, 354, 472, 515, 911, 921, 942; cf. 724 - 725; theos 93, 102, 362, 373, 454, 495, 742) gesehen wurde. Das Ziel des Rituals ist damit gescheitert. Gewissermaßen kann Dareios ’ segensreiche Seite nicht abgerufen werden, sondern nach seiner Beseelung bleibt er ein schrecklicher Toter, der entsprechend der Charakterisierung der Toten in Aischylos ’ Psychagogoi (TrGF 273 a, bes. 4 und 9) als nachtwandelnder ( νυκτίπολος ) Wiedergänger und bösartiger Geist auf der Welt sein Unwesen treibt. 44 Nahezu alle notwendigen Elemente des rituellen pattern einer Nekromantie sind mindestens zum Teil vorhanden, werden aber im theatralen Spiel mittels bricolage neu zusammengesetzt und zu einer komplexen Aussage im Sinne einer an das 99 Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos griechische Publikum gerichteten Tragödie umgestaltet. Das Grab ist der geeignete Ort für die Grenzüberschreitung. Die magische Heraufbeschwörung des Toten erfolgt auf der verbal-musikalischen Ebene durch Gooi, die mit tänzerischen Zirkelbewegungen und rituellen Praktiken wie Opferlibationen unterlegt werden. Nur das Blut fehlt im Gussopfer, wenn wir die Beschreibung im 11. Buch der Odyssee und dessen Verarbeitung in Aischylos ’ Psychagogoi (TrGF 273 a, bes. 1 - 6), wo Odysseus in der Nekromantie auf Spezialisten zurückgreift, vergleichen. Doch ist es durch das Blut der zahlreichen Gefallenen, die damit den Erdboden tränken (595, 816), schon im textlichen Umfeld vorhanden. Der erscheinende Geist ist schrecklich und doch auch Stimme der Weisheit. Dareios steht zwischen Leben und Tod und kann nun nach der Rückkehr (nostos), die der lethe, dem Vergessen, Einhalt gebietet, Weissagungen für die Zukunft mitgeben. Diese verlaufen aber letztlich nach griechischen Kriterien. Nostos, die „ Rückkehr zum Licht und Leben “ , hat etwas mit noos, geistiger Aktivität und wiedererstarktem Bewusstsein, zu tun; in beiden steckt die indoeuropäische Wurzel *nes-, 45 die genau diese geistige Dynamik zurück zum Bewusstsein beinhaltet. Dareios wird deutlich zum Heroen stilisiert. Im Grab (sema) wird die Seele (psyche), die sich vom Leib im Tod löste, nach einem wundersamen, mystischen Übergang nun wieder damit vereint. 46 Der schreckliche Tote wird dadurch euphemistisch als „ hochselig “ ( μακαρίτας 633) apostrophiert, da das Ritual Segen und Heilung verspricht. Wie in einer Mysterieninitiation wird aus dem Toten ein glückselig Lebender, ja ein Dämon und Gott. 47 Die Szene inszeniert gewissermaßen den Moment der Heroisierung. Der „ seelenlose “ ( ἄψυχος ) Tote wird mit Gussspenden gestärkt. Nun kehrt der Held samt seiner Seele, die sowohl zum Sender als auch zur Botschaft wird, zurück ans helle Tageslicht und ins Leben. Er wird damit „ allbeseelt “ ( πάμψυχος ) und unsterblich. 48 Auf dem Tumulus der tragischen Bühne wird entsprechend einer alten griechischen Vorstellung das Bewusstsein des toten Dareios reaktiviert, so dass er als Medium und Vertreter der Gerechtigkeit im neuen Zustand der seligen Unsterblichkeit nun mittels Zeichen (semata) und wie in einem Orakel Wahrheiten über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verkündet. 49 Mit der hier verfolgten Perspektive wird die Szene in ihrer selbstreflexiven Komponente deutlich. Die Perser nehmen eine besonders ostentative Szene in die Mitte, um in konzentrierter sowie in theatraler, performativer und ritueller Form nochmals gespiegelt das auszudrücken, um was es im ganzen Stück geht: die Verarbeitung und Deutung des Vergangenen, die Überführung des Leids ins kollektive Gedächtnis, das Ausleben eines prädramatischen, auf Bildern basierenden Pathosoratoriums, das Leid erfahrbar macht. Die für das Nekromantie-Ritual und den Goos zentrale Angleichung des Lebens an den Tod fokussiert im Kleinen die grundsätzliche Thematik der Perser. Das Leben nach der Katastrophe ist nahezu identisch mit einer Existenz in der Unterwelt. Die Welt am Hofe der Perser ist daher fast ganz der Perspektive des Hades angeglichen. Gerade deswegen ist die letzte Szene mit Xerxes (1067 - 1077, bes. 1074 - 1077) nicht als Reintegration des geschlagenen Königs Xerxes, als Wiederaufnahme in seinen Palast zu verstehen, wie normalerweise angenommen wird, zumal Xerxes weiter König blieb. Vielmehr zieht er am Schluss in den Hades ein. 50 Auch im Sinne des Rituals vereinigt die Szene als mise en scène und mise en abyme alle das Stück bestimmenden Rituale, vor allem den Goos und die Opferlibation. Hinsichtlich der Deutung geht der Dareios-Teil der Perser einher mit der Erzählung des Boten. 100 Anton Bierl Was die rituelle Performanz betrifft, kommen darin Gebet, Magie, hymnische Anrufung, Gottesverehrung sowie Heros- und Totenkult zum Tragen. Die Szene an dem sema, dem Grab und der Wendemarke, kann zudem die Wende und den Übergang vom Tod zum Leben und vom Leben zum Tod versinnbildlichen. 51 Vor allem wird darin die theatrale Performanz in Wort, Musik, Rhythmik und Tanz, also zusammen mit der Ritualität die gesamte Performativität und Choralität, die für die Gattung der Tragödie konstitutiv sind, nahezu selbstreflexiv ausgestellt und beleuchtet. Nach Heiner Müller war die Tragödie dem Ursprung nach und ist auch heute noch „ Totenbeschwörung “ und „ Dialog mit den Toten “ . Wir zitieren seiner Ansicht nach im Theater stets Geister auf die Bühne, lassen Tote sprechen und agieren, indem wir sie einerseits mittels Mimesis lebendig verkörpern, andererseits gleichzeitig die Distanz zwischen Maske und Schauspieler, Rolle und Figurencharakter spürbar werden lassen. 52 Die Nekromantie-Szene der Perser ist demnach die mise en abyme dieser Funktion. Aischylos macht dadurch selbstreflexiv auf diese Zusammenhänge aufmerksam und verarbeitet das spektakuläre Potential des Rituals in neuer Zusammensetzung zu seiner künstlerischen und politischen Aussage. Das gerade für die Perser typische Oszillieren zwischen dem Selbst und dem Anderen macht die Freude an einem Spiel aus, das die Risse und Brüche nicht verdeckt, sondern betont, um sich von der dionysischen Perversion der Gewalt zu distanzieren und gleichzeitig zur Reflexion anzuregen. Schlussbemerkung Rahmungen und Rahmenwechsel bewirken, dass ein Ritual mehr oder minder selbstreflexiv wird. Schon die Tatsache, dass ein Ritual in eine Aufführung integriert wird und dadurch die Konstellation eines Rituals im Ritual entsteht, macht die mimetisierte Praktik metarituell. Zugleich werden solche Handlungen oder damit verbundene Narrative - Geschichte wird in den Persern zum Mythos umgeformt - mit anderen Elementen zu neuen Formen zusammengesetzt und von den Theaterautoren zum Zweck der Steigerung der Bühnenwirksamkeit und des dramatischen Geschehens eingesetzt. Ritual und Theater sind verwandt, weswegen jeder rituellen Handlung bereits eine genuin spektakuläre Komponente innewohnt. Im Spiel wird eine solche Darstellung also zwangsläufig selbstreflexiv und metatheatral. 53 Das Ritual wird zudem oft als mise en abyme besonders ausgestellt, wodurch die Makrostruktur sich nochmals in der Mikrostruktur abbildet und damit auf der theatralen und rituellen Ebene die Schlüsselmotive und -themen der Perser reflektiert werden können. Zuletzt wird die rituelle Praxis mit Vorliebe vom Chorkollektiv dargestellt. Dabei wird diese mit den für den Chor üblichen Modi des Gesangs, Tanzes, der Rhythmik und der Musik auf der Bühne umgesetzt. Dadurch wird die Aufführung religiöser Szenen auf der Bühne in zweifacher Weise selbstreflexiv. Chorische Selbstreferenz unterstreicht die rituelle Handlung in ihrer Form als Sprechakt, wobei Choreutik selbst wiederum rituelles Spiel in Reinform darstellt, das im Theater freilich andere rituelle Formen im Interesse einer möglichst theatral wirksamen Handlung einbettet. 54 Anmerkungen 1 „ Ein Gespräch zwischen Wolfgang Heise und Heiner Müller “ , in: Gregor Edelmann und Renate Ziemer (Hg.), Gesammelte Irrtümer II. Interviews und Gespräche, Berlin 1991, S. 50 - 70, hier S. 64. 2 Ich danke Julia Stenzel für die freundliche Einladung, mich an der Ringvorlesung zum 101 Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos Thema Re-Peating Religion. Vom Wiedererzählen und Wiederaufführen ‚ religiöser ‘ Performanzen in Mainz zu beteiligen. Der vorliegende Text ist die gründlich überarbeitete und erweiterte Fassung des Vortrags, den ich am heißen Sommernachmittag des 11. Juni 2015 hielt. Der griechische Text ist zitiert nach Martin L. West, Aeschyli tragoediae cum incerti poetae Prometheo, Stuttgart 1998 (2. korr. Aufl.). Die Übersetzung der Perser stammt mit kleinen Abänderungen von Dietrich Ebener, Aischylos. Werke, Berlin 1987, die der anderen Teile ist von mir. 3 Anton Bierl, Der Chor in der Alten Komödie. Ritual und Performativität (unter besonderer Berücksichtigung von Aristophanes ’ Thesmophoriazusen und der Phalloslieder fr. 851 PMG), München/ Leipzig 2001, bes. S. 22 - 33; Anton Bierl, „ Literatur und Religion als Rito- und Mythopoetik. Überblicksartikel zu einem neuen Ansatz in der Klassischen Philologie “ , in: Anton Bierl, Rebecca Lämmle und Katharina Wesselmann (Hg.), Literatur und Religion I. Wege zu einer mythisch-rituellen Poetik bei den Griechen, Berlin/ New York 2007, S. 1 - 76, bes. S. 15 - 16. 4 Theo Girshausen, Ursprungszeiten des Theaters. Das Theater der Antike, Berlin 1999, bes. S. 392 - 404. 5 Anton Bierl, Dionysos und die griechische Tragödie. Politische und ‚ metatheatralische ‘ Aspekte im Text, Tübingen 1991, S. 111 - 218. 6 Anton Bierl, „ Die griechische Tragödie aus der Perspektive von Prä- und Postdramatik. Die Perser des Aischylos und die Bearbeitung von Müller/ Witzmann “ , in: Nikolaus Müller- Schöll und Heiner Goebbels (Hg.), Heiner Müller sprechen (Theater der Zeit: Recherchen 69), Berlin 2009, S. 201 - 214; Anton Bierl, „ Prädramatik auf der antiken Bühne: Das attische Drama als theatrales Spiel und ästhetischer Diskurs “ , in: Martina Groß und Patrick Primavesi (Hg.), Lücken sehen . . . Beiträge zu Theater, Literatur und Performance. Festschrift für Hans-Thies Lehmann zum 66. Geburtstag, Heidelberg 2010, S. 69 - 82. 7 Bierl, Der Chor in der Alten Komödie. 8 Zusammenstellung bei Bierl, „ Literatur und Religion als Rito- und Mythopoetik “ , S. 30 - 31. 9 Bierl, Der Chor in der Alten Komödie. 10 Dazu vgl. am Beispiel des Sophokles Albert Henrichs, „‚ Let the Good Prevail ‘ : Perversions of the Ritual Process in Greek Tragedy “ , in: Dimitrios Yatromanolakis und Panagiotis Roilos (Hg.), Greek Ritual Poetics, Cambridge MA 2004, S. 189 - 198. 11 Walter Burkert, „ Greek Tragedy and Sacrificial Ritual “ , in: Greek, Roman, and Byzantine Studies 7 (1966), S. 87 - 121. Vgl. zum Folgenden Bierl, „ Literatur und Religion als Rito- und Mythopoetik “ , S. 33 - 36, bes. S. 33 - 34. 12 Burkert, „ Greek Tragedy and Sacrificial Ritual “ , dt. Zitat Burkert, Wilder Ursprung. Opferritual und Mythos bei den Griechen, Berlin 1990, S. 14. 13 Ebd., dt. Zitat Burkert, Wilder Ursprung, S. 21. 14 Walter Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, Stuttgart u. a. 1977, S. 101 - 115; zur kritischen Würdigung seiner Thesen vgl. Susanne Gödde, „ Unschuldskomödie oder Euphemismus. Walter Burkerts Theorie des Opfers und die Tragödie “ , in: Anton Bierl und Wolfgang Braungart (Hg.), Gewalt und Opfer. Im Dialog mit Walter Burkert, Berlin/ New York 2010, S. 215 - 245 und Anton Bierl, „ Walter Burkert - ein Religionswissenschaftler als Inspirationsquelle für eine moderne Gräzistik und kulturwissenschaftlich geprägte Literaturwissenschaft “ , in: Anton Bierl und Wolfgang Braungart (Hg.), Gewalt und Opfer. Im Dialog mit Walter Burkert, Berlin/ New York 2010, S. 1 - 44, bes. S. 13 - 18, 21 - 23. 15 Froma I. Zeitlin, „ The Motif of the Corrupted Sacrifice in Aeschylus ’ Oresteia “ , in: Transactions of the American Philological Association 96 (1965), S. 463 - 508; Froma I. Zeitlin, „ Postscript to Sacrificial Imaginary in the Oresteia (Ag. 1235 - 37) “ , in: Transactions of the American Philological Association 97 (1966), S. 645 - 653; Albert Henrichs, „ Drama and Dromena: Bloodshed, Violence, and Sacrificial Metaphor in Euripides “ , in: Harvard Studies in Classical Philology 100 (2000), S. 173 - 188; John Gibert, „ Apollo ’ s Sacrifice. The Limits of a Metaphor in Greek Tragedy “ , in: Harvard Studies in Classical Philology 101 (2003), S. 159 - 206; Albert 102 Anton Bierl Henrichs, „ Blutvergießen am Altar: Zur Ritualisierung der Gewalt im griechischen Opferkult “ , in: Bernd Seidensticker und Martin Vöhler (Hg.), Gewalt und Ästhetik. Zur Gewalt und ihrer Darstellung in der griechischen Klassik, Berlin/ New York 2006, S. 59 - 87. 16 Henrichs, „ Drama and Dromena “ ; Gibert, „ Apollo ’ s Sacrifice “ ; Henrichs, „ Blutvergießen am Altar “ . 17 Ludwig Deubner, „ Ololyge und Verwandtes “ , in: Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse 1, Berlin 1966, S. 3 - 28. 18 Henrichs, „ Blutvergießen am Altar “ , S. 67 - 74. 19 Vgl. Anton Bierl, „ Melizein Pathe or the Tonal Dimension in Aeschylus ’ Agamemnon: Voice, Song, and Choreia as Leitmotifs and Metatragic Signals for Expressing Suffering “ , in: Niall Slater (Hg.), Voice and Voices in Antiquity (Orality and Literacy in the Ancient World 11), Leiden/ Boston 2017, S. 166 - 207, bes. S. 177 - 179. Zur Ästhetik der Gewalt vgl. Karl Heinz Bohrer, „ Zur ästhetischen Funktion von Gewalt-Darstellungen in der Griechischen Tragödie “ , in: Bernd Seidensticker und Martin Vöhler (Hg.), Gewalt und Ästhetik. Zur Gewalt und ihrer Darstellung in der griechischen Klassik, Berlin/ New York 2006, S. 169 - 184. 20 Vgl. zum Folgenden Bierl, Der Chor in der Alten Komödie, S. 81 - 83. 21 Zum Bezug zur magischen Praktik vgl. Christopher A. Faraone, „ Aeschylus ’ ὕμνος δέσμιος (Eum. 306) and Attic Judicial Curse Tablets “ , in: Journal of Hellenic Studies 105 (1985), S. 150 - 154. Zu den Eumeniden aus der Perspektive der chorischen Selbstreferenz vgl. auch Albert Henrichs, „ ,Why Should I Dance? ‘ : Choral Self-Referentiality in Greek Tragedy “ , in: Arion 3rd series 3.1, Fall 1994/ Winter 1995, S. 56 - 111, bes. S. 60 - 65. Zur Interpretation des Erinyenchors in Verbindung mit Austins Sprechakttheorie vgl. Yopie Prins, „ The Power of the Speech Act: Aeschylus ’ Furies and Their Binding Song “ , in: Arethusa 24 (1991), S. 177 - 195. 22 Froma I. Zeitlin, Under the Sign of the Shield. Semiotics and Aeschylus ’ Seven against Thebes, Roma 1982; Isabelle Torrance, Aeschylus: Seven against Thebes (Duckworth Companions to Greek and Roman Tragedy), London 2007, S. 68 - 91. 23 Walter Burkert, „ Seven against Thebes: An Oral Tradition between Babylonian Magic and Greek Literature “ , in: Carlo Brillante, Mario Cantilena und Carlo Odo Pavese (Hg.), I poemi epici rapsodici non omerici e la tradizione orale (Atti del convegno di Venezia, 28 - 30 settembre 1977), Padova 1981, S. 29 - 48. 24 Marina Coray, Homers Ilias. Gesamtkommentar (Basler Kommentar/ BK), hg. v. Anton Bierl und Joachim Latacz, vol. XI.2: Achtzehnter Gesang ( Σ ): Kommentar, Berlin/ Boston 2016, S. 187 - 266, bes. S. 198 - 200. 25 Froma I. Zeitlin, „ Thebes. Theater of Self and Society in Athenian Drama “ , in: J. Peter Euben (Hg.), Greek Tragedy and Political Theory, Berkeley 1986, 101 - 141; Nachdr. in: John J. Winkler und Froma I. Zeitlin (Hg.), Nothing to Do with Dionysos? Greek Drama in Its Social Context, Princeton 1990, S. 130 - 167. 26 Susanne Gödde, „ Zu einer Poetik des Rituals in Aischylos ’ Persern “ , in: Susanne Gödde und Theodor Heinze (Hg.), Skenika. Beiträge zum antiken Theater und seiner Rezeption. Festschrift zum 65. Geburtstag von Horst- Dieter Blume, Darmstadt 2000, S. 31 - 47; Anton Bierl, „ Zwischen dem Selbst und dem Anderen. Aischylos ’ Perser und das Politische in der antiken Tragödie “ , in: Erika Fischer-Lichte und Matthias Dreyer (Hg.), Antike Tragödie heute. Vorträge und Materialien zum Antike-Projekt des Deutschen Theaters (Blätter des Deutschen Theaters 6), Berlin 2007, S. 49 - 64, hier S. 53 - 62; Bierl „ Die griechische Tragödie aus der Perspektive von Prä- und Postdramatik “ , S. 204 - 211. 27 Lucien Dällenbach, Le récit spéculaire. Essai sur la mise en abyme, Paris 1977, bes. S. 18; vgl. Richard Martin, „ Wrapping Homer Up: Cohesion, Discourse, and Deviation in the Iliad “ , in: Alison Sharrock und Helen Morales (Hg.), Intratextuality. Greek and Roman Textual Relations, Oxford, 2000, S. 43 - 65, hier S. 63: „ a text-within-text that 103 Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos functions as microcosm or mirror of the text itself “ . 28 Jonas Grethlein, „ The Hermeneutics and Poetics of Memory in Aeschylus ’ s Persae “ , in: Arethusa 40 (2007), S. 363 - 396, bes. S. 379 - 388. 29 Charles E. Muntz, „ The Invocation of Darius in Aeschylus ’ Persae “ , in: Classical Journal 106 (2011), S. 257 - 271. Zur Szene insgesamt: Samson Eitrem, „ The Necromancy in the Persai of Aischylos “ , in: Symbolae Osloenses 6 (1928), S. 1 - 16; Herbert J. Rose, „ Ghost Ritual in Aeschylus “ , in: Harvard Theological Review 43 (1950), S. 257 - 280; Vittorio Citti, Il linguaggio religioso e liturgico nelle tragedie di Eschilo, Bologna 1962, S. 41 - 43; François Jouan, „ L ’ évocation des morts dans la tragédie grecque “ , in: Revue de l ’ histoire des religion 198 (1981), S. 403 - 421; Edith Hall, Aeschylus. Persians, edited with an Introduction, Translation and Commentary, Warminster 1996, S. 150 - 166; Alex F. Garvie, Aeschylus: Persae, with Introduction and Commentary, Oxford/ New York 2009, S. 232 - 336, bes. S. 249 - 325; zur Nekromantie vgl. Daniel Ogden, Greek and Roman Necromancy, Princeton 2001, bes. zur Fremdzeichnung der Szene S. 128 - 148. Sarah Iles Johnston, Restless Dead: Encounters between the Living and the Dead in Ancient Greece, Berkeley 1999, S. 82 - 123, zur Stelle bes. S. 117 - 118, und dies, „ Delphi and the Dead “ , in: dies., Peter T. Struck (Hg.), Mantikê. Studies in Ancient Divination, Leiden/ Boston 2005, S. 283 - 306, bes. S. 287 - 292 sieht die griechische Nekromantie lediglich als literarischen Topos und nicht als tatsächliche Praxis, weswegen diese dem marginalen Anderen, den Ausländern, vor allem den Persern, zugeschrieben worden sei und eher pejorativ als goeteia bezeichnet werde. Als rein persisch und magisch: Walter Headlam, „ Ghost-Raising, Magic, and the Underworld “ , in: Classical Review 16 (1902), S. 52 - 61, bes. S. 55 - 59. John C. Lawson, „ The Evocation of Darius (Aesch. Persae 607 - 93) “ , in: Classical Quarterly 28 (1934), S. 79 - 89, bes. S. 79 - 83 und Rose, „ Ghost Ritual “ , S. 262 - 265 deuten die Szene hingegen als rein religiöse, nicht magische Praxis. Jouan, „ L ’ évocation des morts “ , S. 419 - 421 betrachtet sie als Mischung beider Elemente. Luigi Belloni, Eschilo: I Persiani, Milano 1988 (1994 2 ), S. 184 - 187 erkennt darin vor allem eine göttliche Epiphanie. Als Ausdruck rein griechischer Hymnik: Citti, Il linguaggio religioso e liturgico, S. 41 - 43. Zum homerischen Vorbild der Odyssee, bes. 10.490 - 540 und 11.20 - 149, vgl. Eitrem, „ The Necromancy in the Persai “ , S. 1 - 5 und Oliver Taplin, The Stagecraft of Aeschylus, Oxford 1977, S. 114 - 115. Als mise en abyme: Grethlein, „ Memory in Aeschylus ’ s Persae “ , S. 379 - 388; Marianne Govers Hopman, „ Chorus, Conflict, and Closure in Aeschylus ’ Persians “ , in: Renaud Gagné und Marianne Govers Hopman (Hg.), Choral Mediations in Greek Tragedy, Cambridge 2013, S. 58 - 77, hier S. 70. 30 Pierre Judet de La Combe, „ Il mito interpreta la storia. I Persiani “ , in: Anna Beltrametti (Hg.), La storia sulla scena. Quello che gli storici antichi non hanno raccontato, Roma 2011, S. 87 - 103. 31 Bierl, „ Zwischen dem Selbst und dem Anderen “ , S. 58 - 61; Hopman, „ Chorus, Conflict, and Closure “ , S. 65 - 67. 32 René Nünlist und Irene de Jong, „ Homerische Poetik in Stichwörtern (P) “ , in: Joachim Latacz (Hg.), Homers Ilias. Gesamtkommentar (Basler Kommentar/ BK). Prolegomena, München/ Leipzig 2000 (2009 3 ), S. 159 - 171, hier S. 169. Zu den polyphonen Möglichkeiten vgl. auch Hopman, „ Chorus, Conflict, and Closure “ , bes. S. 59 - 67. 33 Vgl. Guido Avezzù, Il mito sulla scena. La tragedia ad Atene, Venezia 2003, S. 64, 66. 34 Siehe Hall, Aeschylus. Persians, S. 151: „ The necromancy is the most exciting section in the play, visually and aurally bizarre and distinctive “ . 35 Garvie, Aeschylus: Persae, S. 229. 36 Lutz Käppel, Die Konstruktion der Handlung in der Orestie des Aischylos. Die Makrostruktur des ‚ Plot ‘ als Sinnträger in der Darstellung des Geschlechterfluchs (Zetemata 99), München 1998, S. 204 - 215. 37 Käppel, Die Konstruktion der Handlung in der Orestie, S. 196 - 204, bes. S. 215 - 232. 104 Anton Bierl 38 Albert Henrichs, „ Namenlosigkeit und Euphemismus: Zur Ambivalenz der chthonischen Mächte im attischen Drama “ , in: Heinz Hofmann unter Mitarbeit von Annette Harder (Hg.), Fragmenta Dramatica. Beiträge zur Interpretation der griechischen Tragikerfragmente und ihrer Wirkungsgeschichte, Göttingen 1991, S. 161 - 201. 39 Henrichs, „ Namenlosigkeit und Euphemismus “ . Zur Bitte, den Segen aus der Unterwelt hervorzubringen ( ἀνιέναι τἀγαθά ) vgl. S. 199 Anm. 83. Im Kommos der Choephoren kann hingegen das negative Potential des Fluchs und der Rache des toten Agamemnon aktiviert werden. 40 Muntz, „ The Invocation of Darius “ , S. 263. 41 Nagy, Greek Mythology and Poetics, S. 215 - 219. 42 Nach Muntz, „ The Invocation of Darius “ , S. 267 ist die Szene in den Worten von Hall, Aeschylus. Persians, S. 151 „ bizarr “ , da nicht ein griechischer Gott, sondern ein vergöttlichter Perserkönig angerufen wird. 43 Dazu Walter Burkert, „Γόης . Zum griechischen ‚ Schamanismus ‘“ , in: Rheinisches Museum 105 (1962), S. 36 - 55; Anton Bierl, „‚ Schamanismus ‘ und die Alte Komödie. Generischer Rückgriff auf einen Atavismus und Heilung (mit einer Anwendung am Beispiel von Aristophanes ’ Frieden) “ , in: Religion. Lehre und Praxis (Universität Athen, Philosophische Fakultät, Archaiognosia, Suppl. 8), Athen 2009, S. 13 - 35, bes. S. 21 - 26; Ogden, Greek and Roman Necromancy, S. 111. 44 Vgl. Henrichs, „ Namenlosigkeit und Euphemismus “ , S. 187 - 192. 45 Douglas Frame, The Myth of Return in Early Greek Epic, New Haven 1978. http: / / nrs.harvard.edu/ urn3: hul.ebook: CHS_Frame.The_ Myth_of_Return_in_Early_Greek_Epic.1978 [Zugriff am 15. 07. 2018], S. 81 - 115, 134 - 152; ders., Hippota Nestor (Hellenic Studies 34), Cambridge MA/ Washington DC 2009. http: / / nrs.harvard.edu/ urn-3: hul.ebook: CHS_Frame.Hippota_Nestor.2009 [Zugriff am 15. 07. 2018], S. 23 - 58, bes. S. 39 - 45; Nagy, Greek Mythology and Poetics, S. 202 - 222, bes. S. 218 - 219; Gregory Nagy, The Ancient Greek Hero in 24 Hours, Cambridge MA/ London 2013. http: / / nrs.harvard.edu/ urn3: hul.ebook: CHS_NagyG.The_Ancient_Greek_Hero_in_24_Hours.2013 [Zugriff am 15. 07. 2018], S. 275 - 278, 296 - 298. 46 Ebd., S. 418 - 419, 422 - 424, 428 - 439. 47 Vgl. Aristophanes fr. 504 K.-A., bes. 10 ( μακαρίτης ) aus den Tagenistai; vgl. die orphischen Goldblättchen Thurioi A 4 Zuntz = 487 Bernabé = A 67 Colli = 3 Graf, v. 4 a: „ Gott wurdest du aus einem Menschen “ ; man vergleiche auch den Makarismos A 1 Zuntz = 488 Bernabé = A 65 Colli = 5 Graf, v. 9: „ Glückseliger und glücklichster, Gott wirst du sein anstelle eines Sterblichen “ . Siehe auch Pelinna 1 - 2 = 485 - 486 Bernabé = 26 a und b Graf, v. 1: „ Jetzt bist du gestorben und jetzt geboren worden “ . Vgl. auch die Knochentäfelchen von Olbia: ΒΙΟΣ - ΘΑΝΑΤΟΣ - ΒΙΟΣ ( „ Leben-Tod-Leben “ ) (463 Bernabé). Zur Bezeichnung der Toten als Selige vgl. Henrichs, „ Namenlosigkeit und Euphemismus “ , S. 198. 48 Wie der Heros Amphiaraos (S. El. 841); vgl. Henrichs, „ Namenlosigkeit und Euphemismus “ , S. 188 - 189. 49 Zum Gesamtkomplex der Vorstellung zum Helden vgl. Nagy, The Ancient Greek Hero, bes. S. 233 - 454. 50 Bierl, „ Zwischen dem Selbst und dem Anderen “ , S. 61; zumindest gegen die meist vertretene Rehabilitation von Xerxes argumentiert auch Garvie, Aeschylus: Persae, S. 339; er plädiert nicht ganz so drastisch dafür, dass ein ‚ closure ‘ fehlt und man im Palast ohne Ende weiterklagt (S. 369 - 371). 51 Vgl. Nagy, Greek Mythology and Poetics, S. 202 - 222. 52 Vgl. Heiner Müller, Gesammelte Irrtümer II, Berlin 1991, S. 64 (siehe Motto) und Heiner Müller, Zur Lage der Nation, Berlin 1990, S. 87. 53 Vgl. Richard Hornby, Drama, Metadrama, and Perception, Lewisburg 1986, S. 21 bei Grethlein, „ Memory in Aeschylus ’ s Persae “ , S. 380; vgl. auch Bierl, Dionysos und die griechische Tragödie, S. 111 - 218 und Bierl, Der Chor in der Alten Komödie. 54 Vgl. ebd., bes. S. 37 - 64. 105 Momente performativen Selbstreflexiv-Werdens in der Tragödie des Aischylos