eJournals Forum Modernes Theater 28/1

Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
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2013
281 Balme

Matthias Dreyer. Theater der Zäsur. Antike Tragödie im Theater seit den 1960er Jahren. Paderborn: Wilhelm Fink 2014, 327 Seiten.

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Kati Röttger
und meint damit vor allem postdramatische Formen. Das letzte Kapitel zum Thema „ Strukturen planen “ fokussiert das Verhältnis von freiem Theater und Stadttheater. Dieses sei von Ambiguität geprägt (Fülle), da es sich um zwei getrennte Systeme handelt, die jedoch immer wieder durch Geldmittel, Publikum und Akteure interagieren. „ Unfreiwillige Gemeinsamkeiten “ (S. 15) fallen auch Jens Roselt auf. Diese beziehen sich auf den finanziellen Rahmen der öffentlichen Förderung, auf die ästhetischen Formen und die Inhalte. Alexander Pinto verortet künstlerische Innovation bei gleichzeitig ökonomisch effizienter Produktionsweise vor allem im Bereich des freien Theaters, weist jedoch auf den Aspekt der sozialen Ungleichheit dieser strukturellen Attraktivität freier Gruppen und Theaterschaffenden hin. Die Autoren beobachten eine große Vielfalt der Arbeits- und Produktionsweisen und eine damit einhergehende Uneinheitlichkeit des freien Theaters (Matzke) bei einem gleichzeitig durch die Theaterschaffenden selbst kritisch gesehenen Institutionalisierungsprozess der freien Gruppen und Kollektive (Pinto). Die Publikation ist in einem interdisziplinären Forschungsfeld zu verorten, welches die Fachdisziplinen Kulturmanagement, Kulturpolitikforschung und Theaterwissenschaft vereint. Es bedarf gerade dieser Zusammensetzung, um die Frage nach der Verschränkung von Produktionsstrukturen, Institutionen und Ästhetik zu erforschen. Innerhalb der Theaterwissenschaft stellt dies ein relativ junges Forschungsfeld dar, wie auch der Fokus auf das freie Theater. In der Forschungsliteratur wird die freie Theaterszene erst seit kurzem gleichberechtigt neben den Strukturen der Stadt- und Staatstheater gewürdigt (neben Schneider 2004/ 2007 siehe unter anderem auch Büscher 1990, Schößler/ Bähr 2009, Mittelstädt/ Pinto 2013 und Fülle 2016) - eine Asymmetrie, die äquivalent zur priorisierten Mittelzuteilung und diskursiven Dominanz der Stadt- und Staatstheater zu sehen ist. Besonders im freien Theater führt die Ökonomisierung von Lebensbereichen sowie die Kommerzialisierung öffentlicher Güter und Institutionen zu einem steigenden Mobilitäts- und Normierungsdruck (Brenner 2013; Brauneck 2016). Weiterer Forschungsbedarf liegt in der tatsächlichen Verknüpfung der Analyse von strukturellen Rahmenbedingungen und den konkreten ästhetischen Formen, denn das Verhältnis zwischen den Produzierenden, den Produktionsbedingungen und der jeweiligen Ästhetik kann als reziprok bezeichnet werden. Dies verweist auf den performativen Charakter der Institution Theater. Durch die verschiedenen Stimmen, die im vorliegenden Band vereint sind, entsteht ein ausgewogenes Bild der Haltungen der Vertreter und Vertreterinnen dieses Forschungsfeldes. Allerdings changiert der Band zwischen wissenschaftlicher Analyse des Strukturwandels der deutschen Theaterlandschaft und sehr konkreten kulturpolitischen Empfehlungen. Damit wirkt er unentschieden und geht in den einzelnen Kapiteln zu wenig in die Tiefe. Der Sammelband stellt jedoch als Impuls einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Forschungsdiskussion um die Institution Theater in Deutschland dar. Hannover M ARA R UTH K ÄSER Matthias Dreyer. Theater der Zäsur. Antike Tragödie im Theater seit den 1960er Jahren. Paderborn: Wilhelm Fink 2014, 327 Seiten. An Forschungsliteratur zur Tragödie herrscht bekanntermaßen kein Mangel. In Disziplinen wie den Literaturwissenschaften oder etwa auch der Philosophie werden Jahr für Jahr zahlreiche Beiträge aus verschiedensten, u. a. psychoanalytischen, ethischen oder auch postkolonialen Perspektiven vorgelegt. Vom bekannten Steinerschen Diktum des ‚ Tods der Tragödie ‘ kann in diesem Sinne keine Rede sein. Dennoch wird in jüngerer Zeit vermehrt darauf hingewiesen, dass die Tragödienforschung ein eklatantes Desiderat aufweist. So haben unter anderem Tina Chanter (2011), Page DuBois (2010) und zuletzt auch Hans-Thies Lehmann (2013) darauf aufmerksam gemacht, dass die Aufführungspraxis von Tragödien in der Forschung bislang kaum berück- Forum Modernes Theater, 28 (2013 [2017]), 92 - 95. Gunter Narr Verlag Tübingen 92 Rezensionen sichtigt worden ist. Die traditionell allzu große Fixierung auf den Dramentext und damit verbundene poetologische Fragestellungen haben bislang den Blick auf die unmittelbare Zuschauererfahrung im Hier und Jetzt des Spiels verstellt. An diesem Punkt ist die Theaterwissenschaft gefragt. Hans-Thies Lehmann setzte den Ton, indem er in seinem beinahe 750 Seiten umfassenden Buch den Anspruch erhebt, eine neue Theorie der Tragödie zu entwerfen, welche die tragische Erfahrung in den Mittelpunkt rückt. Zwar bildet die Gegenwärtigkeit der Tragödie in Europa von der Antike bis zum postdramatischen Theater den Leitfaden des Buches. Allerdings bleibt auch in diesem Fall die Aufführungspraxis von Tragödien außen vor. Das Konzept der tragischen Erfahrung wird bei Lehmann vielmehr als poetologische Kategorie eingeführt, mittels derer die Geschichte der Tragödie anhand relevanter Texte revidiert wird. Das besondere Verdienst von Matthias Dreyers Buch besteht vor diesem Hintergrund darin, vor allem die Aufführungspraxis von antiken Tragödien seit den 1960er Jahren in den Blick zu nehmen. Diesen innovativen Ansatz begründet er in erster Linie mit der seitdem explosiv angestiegenen Anzahl von Antike-Inszenierungen. Dass „ im ganzen Zeitraum von der Antike bis zu den 1960er Jahren nicht annähernd so viele Inszenierungen griechischer Tragödien entstanden sind wie seit dieser Zeit “ (S. 13) stellt er in einen direkten Zusammenhang mit dem Scheitern humanistischer Werte im Zuge der „ Erschütterung westlicher Kultur durch die Shoah “ , die „ einen radikalen Einschnitt im Verständnis von Bildung, Tradition und Historie “ erforderte (S. 14). Die Gegenwärtigkeit der Tragödie in der Aufführungserfahrung wird damit zwar in den Vordergrund gestellt, aber direkt zurückgebunden an das Geschichtliche. Von zentraler Bedeutung für dieses Anliegen ist der bereits im Titel prominent genannte Begriff der Zäsur. Angelehnt an Hölderlins poetologische Kategorie der „ Cäsur “ , die dieser in seinen berühmten Anmerkungen zur Antigonä und Anmerkungen zum Oedipus entwickelte, handelt es sich um eine Zusammenführung der zwei Dimensionen des „ Denkens der Zäsur “ : die Zäsur im Sinne einer ästhetischen und im Sinne einer geschichtlichen Diskontinuität. Mit dieser Zusammenführung verbindet Dreyer verschiedene Ansprüche, die so bisher noch nicht an die Untersuchung von Tragödien herangetragen wurden. Zum einen geht es Dreyer darum, das Bewusstsein für die historische Bedingtheit von Theater mit der Ereignishaftigkeit von Aufführungen gedanklich zu verknüpfen. Zum anderen zielt er auf die Reflexion der Geschichtlichkeit des Theaters selbst in den ausgewählten Antiken- Inszenierungen ab. Damit verbindet sich geradezu selbstredend die Bedingung, dass Ereignishaftigkeit als emanzipatorischer Ansatz gewertet werden muss, denn sie steht Dreyer zufolge für die Erfahrung des Bruchs mit geschichtlichen Prozessen, von denen das Theater selbst auch einen Teil ausmacht. Dreyer zieht hier einen klaren Strich hinter die bis weit in die 60er Jahre herrschenden Tradition einer, wie er es nennt, universalistischen Auseinandersetzung mit der Antike, (für die ihm zufolge u. a. Namen wie Wolfgang Schadewaldt und Hans-Georg Gadamer stehen), die von Tendenzen der Aneignung und des Historizismus geprägt seien. Sein Interesse gilt hingegen dem Unzeitgemäßen und Diskontinuierlichen, die mit gegenwärtigen Inszenierungen altgriechischer Tragödien in das moderne Theater gebracht werden. Dass allerdings Gadamer und Schadewaldt hier in einem Atemzug genannt werden, ist insofern nicht ganz unproblematisch, als ja gerade Gadamer die Tragödie als hervorragendes Beispiel anführte, um die Zuschauererfahrung als wesentlichen Bestandteil des Darstellungscharakters von Tragödien hervorzuheben. Die methodische Klammer, mittels derer Dreyer die zentrale Frage, „ auf welche Weise Geschichtlichkeit in der Gegenwart des Theaters überhaupt erfahrbar ist “ (S. 22) in insgesamt sechs Kapiteln verfolgt, schränkt den Corpus der zu untersuchenden Inszenierungen im Vorfeld bereits insofern ein, als die Ästhetik der Zäsur „ als Suche dessen, was eine neue Sprache des Theaters, des Denkens, des Menschen “ (S. 33) nach 1960 sein könnte, vorgegeben ist. Das erklärt nicht zuletzt auch die Auswahl der untersuchten Theaterproduktionen, die auf den ersten Blick vielleicht willkürlich erscheinen könnte, da eine große Anzahl viel besprochener Antike- Inszenierungen jenes Zeitraums keine Erwähnung finden (wie z. B. Peter Steins Orestie aus dem Jahr 1980). Obwohl der Fokus auf das 93 Rezensionen deutschsprachige Theater gerichtet ist, werden punktuell auch US-amerikanische Beispiele wie Antigone des Living Theatre, Richard Schechners Dionysos 69 und Inszenierungen von Robert Wilson und Peter Sellers besprochen, sofern sie von Bedeutung für die Ästhetik deutschsprachiger Tragödieninszenierungen sind und Dreyers These von der künstlerischen Emanzipation erfüllen. Das Buch umfasst vier Kapitel, die jeweils einen spezifischen thematischen Rahmen bilden und denen ausgewählte Inszenierungen beispielhaft zugeordnet sind. So widmet sich etwa das dritte Kapitel dem Thema des Dionysischen als Zäsur. Die Wiederentdeckung des Rituellen und des Rausches wird am Beispiel von Hansgünther Heymes Der Ödipus des Sophokles (1968 Schauspielhaus Köln) und dem Antikenprojekt an der Schaubühne am Halleschen Ufer 1974 (Übungen für Schauspieler in der Regie von Peter Stein und Euripides Bakchen in der Regie von Klaus Michael Grüber) erläutert und als Voraussetzung für ein neues Verständnis von Geschichte interpretiert. Dieses zeichne sich dadurch aus, lineare Konzepte zu verwerfen und stattdessen das Abgebrochene, Verdrängte, Gescheiterte auf die Bühne zu bringen. Dreyer fußt seine ausführlichen Analysen in erster Linie auf Walter Benjamins Geschichtskonzept, um zu betonen, dass in diesen Inszenierungen ein Kontakt mit der Vergangenheit gesucht wird, der eine besondere Erfahrung mit dieser im Sinne eines schockartigen Aufrufens von Erinnerung ermöglicht. Weitere Themen sind die Wiederkehr des Chors (viertes Kapitel) am Beispiel von u. a. Einar Schleef-Inszenierungen, der Mythos als Landschaft (fünftes Kapitel) am Beispiel von Wilson und Heiner Müller und schließlich das Gespenstische (sechstes Kapitel), welches das Theater als Ort der diskontinuierlichen Wiederkehr auszeichnet. Eine im Sinne der Wiederkehr vielsagende Klammer zwischen Anfang und Ende des Buches bildet Dimiter Gotscheffs Inszenierung Die Perser (2006) am Deutschen Theater Berlin, die Tragödie, in welcher der Geist des toten Königs Darius heraufbeschworen wird. Nachdem eine anschauliche Beschreibung der Inszenierung in das Thema des Buches eingeleitet hat, wird sie am Ende erneut aufgerufen, um die besondere Ästhetik der „ Auslassung, Leere, [des] Unbelebten “ (S. 285) aufzuzeigen, die unerlässlich sei, um die Stimmen der Toten zu hören. Diese chronologisch aufgebaute, andere Geschichte der Tragödie, die sich von 1968 bis 2006 erstreckt, wird nicht bruchlos in den Raum der Nachkriegsgeschichte gestellt. Den eigentlichen Dreh- und Angelpunkt zur Erklärung für den neuen Umgang mit historischen Materialien im Theater findet Dreyer im Geschichtsdiskurs von Bertolt Brecht und in dessen Antigonemodell aus dem Jahr 1948. “ Die distanzierte Haltung “ , so Dreyer, die ein Historiker zum Material der Geschichte einnimmt, bildete Brechts zentrales Modell zur Behandlung auch nicht-historischer Stoffe. Ein Rückbezug auf Brecht bietet sich deshalb an, um dem Theater der Zäsur Konturen zu verleihen. Und dies zudem, weil Brechts Verfahren der Historisierung zu einem zentralen Referenzpunkt des experimentellen Theaters seit den 1960er Jahren wurde. (S. 79) Das zweite Kapitel begründet mit einer ausführlichen Analyse von Brechts Antigone-Projekt, warum die im Buch angeführten Inszenierungen ohne Brechts Vorarbeit nicht denkbar seien. So einleuchtend dieses Argument auf den ersten Blick auch formuliert wird, so stellt es das bedeutende Unterfangen von Dreyer an einem grundsätzlichen Punkt doch auch in Frage. Es handelt sich genau um den Punkt der Zäsur. Wenn der Autor die von ihm analysierten Tragödieninszenierungen durch den unmittelbaren Bezug auf Brecht in einen direkten Überlieferungszusammenhang mit dem epischen Theater stellt, schreibt er sie dann nicht genau in die Kontinuität von Geschichtlichkeit ein, gegen die er sich wendet? Dreyer selbst räumt ein, dass „ [d] ie Gegenwart des Theaters, in der Begegnung mit der antiken Tragödie, verstanden [wird] als eine Bewusstwerdung von Geschichtlichkeit, als Befragung von Zäsur in ihren Möglichkeiten und Wirkweisen “ (S. 33). Damit kommt er Hans-Georg Gadamer, gegen dessen angeblich mangelnden kritischen Abstand zur Tradition sich Dreyer im ersten Kapitel methodisch über den Begriff der Zäsur absetzt, doch viel näher als beabsichtigt. Besonders auffällig ist in diesem 94 Rezensionen Zusammenhang nicht nur, dass sich Dreyer immer wieder hermeneutischer Begriffe wie der Horizontverschmelzung bedient, sondern auch, dass Hölderlin zwar als Stichwortgeber zitiert wird (S. 27 - 30), seine Stimme aber ansonsten im gesamten Buch abwesend ist. So wird zum Bespiel nicht an Klaus Michael Grübers Inszenierung Empedokles - Hölderlin lesen referiert, mit der Grüber 1975, ein Jahr nach den Bakchen, Hölderlin als Zeitgenossen auftreten ließ. Damit hat Matthias Dreyer ein großes Potential seiner wichtigen Arbeit noch unausgeschöpft gelassen, nämlich über ein Theater der Zäsur zu schreiben, in welches „ die Desorganisation der Tragödie “ (Lacoue-Labarthe) im Hölderlinschen Sinne als das Tragische der Zäsur eingeschrieben ist. Amsterdam K ATI R ÖTTGER Michael Gissenwehrer, Katharina Keim (Hrsg.). Materialität(en) des Kultur- und Wissenstransfers in prä- und transnationalen Kontexten. Kulturwissenschaft(en) als interdisziplinäres Projekt. Band 8. Frankfurt am Main: Peter Lang 2015, 232 Seiten. Der aus einer Tagung des DAAD-Arbeitskreises „ Kulturwissenschaft(en) als interdisziplinäres Projekt “ an der Theaterwissenschaft München hervorgegangene Band versammelt Beiträge, die sich aus verschiedenen Perspektiven und theoretisch unterschiedlichen Ansätzen der Frage nach Entwicklung und Transfer von Kulturkonzepten und -diskursen unter besonderer Beachtung ihrer materiellen Basis widmen. Grund, sich anhand von 13 Artikeln dem Kultur- und Wissenstransfer und seinem Wandel zu widmen, sehen die Herausgeber in der durch die Digitalisierung bedingten Transformation unserer Wissenskultur. Mit diesem Umbruch offenbart sich die Bedeutung der materiellen Grundlagen für die Etablierung bestimmter Episteme und Wissenspraktiken wie auch die Historizität eines seit der Neuzeit durch die Buchkultur geprägten Denkstils und der damit einhergehenden Wissensformationen. Als Reaktion auf die von Wolfgang E. J. Weber in seinem Einführungsaufsatz formulierte Gefahr in den Kulturwissenschaften in einen „ Symbolkulturalismus “ zurück zu fallen, bietet der Band eine Auffächerung von historischen bis zeitgenössischen Beispielen der Vermittlung von kulturellem Wissen und Narrationen via medialen Praxen (von der Skulptur bis zum Internet) an. Diese Transferleistungen, so macht die Heterogenität der Artikel deutlich, vollziehen sich gebunden an Zeit und Raum und sind „ mit all ihren Begriffen, Objekten und Artfakten durch bestimmte [. . .] materiale, technische und institutionelle Aspekte konditioniert “ (S. 3). Der Band liest sich wie ein Plädoyer für die Kulturwissenschaft(en): Diese scheinen insbesondere geeignet für die Darlegung, dass Wissen von Quellen und Kulturgütern immer eine bestimmte Materialität und Form von Inszenierungen benötigt, um transferiert zu werden. Beispiel für die Frage der Konstruktion im Rahmen dieser Vermittlungen ist Sabine Huschkas Artikel über den Transfer historischer Tänze und des damit verknüpften Tanzwissens. Sie geht davon aus, dass im Tanz neben dem „ knowing how “ (Erfahrungswissen) das „ knowing that “ (ein theoretisch eingebettetes Wissen) bedeutend ist. Davon ausgehend zeichnet sie die Vermittlung von Hoftänzen im 17. und 18. Jh. nach. Im Rahmen der Etablierung von Verhaltensweisen einer bürgerlichen Schicht wurden neue Formen von Notation und Lehrmethoden entwickelt. Die damit verbundenen Möglichkeiten (wie Transfer und Archivierung) sowie Probleme (z. B. fehlende Übermittlung von Ausdruck) verweisen in die Gegenwart, in der die Debatten um den Umgang mit dem choreographischen Erbe geführt wird. Diese Konstruktionen von Wissen und seiner Verteilung, die national und topographisch spezifisch sind, machen die Artikel des Bandes ebenso deutlich wie die Übergänge, an denen „ Verschiebungen kultureller Praktiken “ (S. 6) anhand einer Untersuchung von materiellen Komponenten deutlich werden. So untersucht Johannes Feichtinger mit einem gebrauchsgeschichtlichen Ansatz wie das frühchristliche Motiv der auf eine Halbmond-Sichel tretenden Maria von der katholischen Kirche im 17. Jh. in Österreich mit Hilfe von Marien-Siegessäulen im öffentlichen Raum zur Inszenierung eines wirkungsmächtigen Türken-Feindbildes instrumentalisiert wur- Forum Modernes Theater, 28 (2013 [2017]), 95 - 96. Gunter Narr Verlag Tübingen 95 Rezensionen