eJournals Forum Modernes Theater 28/1

Forum Modernes Theater
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
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Der Aufsatz unternimmt eine Relektüre des antiken Chores, die sich auf Félix Guattaris Beschreibung eines „neuen ästhetischen Paradigmas“ sowie auf Michel Foucaults Diskussionen der „Gouvernementalität“ stützt. Die leitende These besagt dabei, dass sich in den heutigen technologischen, politischen und epistemologischen Transformationen eine primordiale Relationalität in veränderter Gestalt geltend macht, die Guattari im Begriff des „protoästhetischen Paradigmas“ beschrieb und die aus historischem Blickwinkel für die Jahrhunderte vor dem „klassischen“ 5. Jahrhundert prägend war. Während die klassische Polis sich von dieser Relationalität abzuschneiden suchte, wurde sie im Theater noch einmal vom Chor erinnert, der neben dem Protagonisten anderen wichtigen Bühnenfigur. Am Beispiel von Philippe Quesnes La Mélancolie des Dragons (2008) versucht der Aufsatz zu zeigen, wie diese nicht-protagonistische Subjektivität des Chores heute mehr und mehr Relevanz zurückgewinnt.
2013
281 Balme

Ästhetisierung, Gouvernementalisierung, Chor

2013
Sebastian Kirsch
Ästhetisierung, Gouvernementalisierung, Chor - am Beispiel von Philippe Quesnes La Mélancolie des Dragons Sebastian Kirsch (Bochum) Der Aufsatz unternimmt eine Relektüre des antiken Chores, die sich auf Félix Guattaris Beschreibung eines „ neuen ästhetischen Paradigmas “ sowie auf Michel Foucaults Diskussionen der „ Gouvernementalität “ stützt. Die leitende These besagt dabei, dass sich in den heutigen technologischen, politischen und epistemologischen Transformationen eine primordiale Relationalität in veränderter Gestalt geltend macht, die Guattari im Begriff des „ protoästhetischen Paradigmas “ beschrieb und die aus historischem Blickwinkel für die Jahrhunderte vor dem „ klassischen “ 5. Jahrhundert prägend war. Während die klassische Polis sich von dieser Relationalität abzuschneiden suchte, wurde sie im Theater noch einmal vom Chor erinnert, der neben dem Protagonisten anderen wichtigen Bühnenfigur. Am Beispiel von Philippe Quesnes La Mélancolie des Dragons (2008) versucht der Aufsatz zu zeigen, wie diese nicht-protagonistische Subjektivität des Chores heute mehr und mehr Relevanz zurückgewinnt. 1992 notiert Félix Guattari in seinem letzten Buch Chaosmose, dass „ das ästhetische Empfindungsvermögen auf dem besten Weg zu sein (scheint), innerhalb der kollektiven Enunziationsgefüge unserer Epoche eine privilegierte Position einzunehmen. “ 1 Er formuliert damit am Vorabend der digitalen Revolution die Ahnung eines exzessiven Wandels der (westlichen) Arbeits- und Sinnkultur, der sich ihm als allgemeine Ästhetisierung darstellt: Quer durch Institutionen und in allen möglichen gesellschaftlichen Zusammenhängen würden, so Guattaris Auffassung, Prozesslogiken an die Stelle von Produktlogiken treten, Kreation an die Stelle der Produktion. Tatsächlich sind die Symptome dieser Dynamik mittlerweile bis in Feuilletons, Zeitgeistmagazine und Ratgeberliteratur hinein bekannt. Sie liegen etwa der öfter zu hörenden Vermutung zu Grunde, dass heutzutage alle nur noch Künstler sein wollen. Sie werden als Mutation einer Kulturindustrie, die dem Modell der fordistischen Fabrik verpflichtet war, zu einer weit umfassenderen „ Kreativindustrie “ mit ihren „ digitalen Nomaden “ beschrieben. Ebenso ist der von Guattari bemerkte Sachverhalt unter dem Stichwort der „ Künstlerkritik “ zum Gegenstand soziologischer Analysen geworden, die im Wunschbild des freischaffenden Künstlers das Rollenmodell der flexibilisierten und häufig „ prekarisierten “ Unternehmer ihrer selbst ausmachen, die für die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts so typisch sind. 2 Was hingegen das Theater anbelangt, schlägt der Wandel sich nicht selten in einer Lagerbildung nieder, in der „ performative Formate “ und das sogenannte „ repräsentative Schauspielertheater “ gegeneinander ausgespielt werden. Gerade in diesem Kontext kann man sich indes des Eindrucks nicht erwehren, dass hier auch vieles durcheinandergeworfen oder kurzschlüssig behandelt wird, ob nun von der einen Seite die Ansätze verschiedenster Performancekünstler umstandslos mit Slogans wie dem Deutsche-Bank-Werbespruch „ passion to perform “ verrechnet werden, oder ob auf der anderen Seite die Theatergeschichte (oder das, was dafür gehalten wird) dem Forum Modernes Theater, 28 (2013 [2017]), 25 - 39. Gunter Narr Verlag Tübingen Müllhaufen der Geschichte überantwortet wird und die Auseinandersetzung mit Aischylos, Shakespeare oder Heiner Müller unter Konservativismusverdacht gerät. Auch um diese Missverständnisse ein wenig zu entwirren, will ich im Folgenden Guattaris Argumentation aufgreifen und ihr eine spezifisch theatertheoretische Überlegung zur Seite stellen. Diese möchte ich wiederum an Philippe Quesnes La Mélancolie des Dragons konkretisieren, einem Stück, das seit seiner Premiere im Jahr 2008 auf zahlreichen internationalen Theaterfestivals gezeigt worden ist und als eine der bekanntesten Arbeiten des 2003 von Quesne in Paris gegründeten „ Vivarium Studios “ gelten kann. Der Kerngedanke, um den es mir dabei geht, ist am knappsten wohl von Ulrike Haß in einem Gespräch über die Konstellation von Chor und Protagonist als den „ zwei Körpern des Theaters “ formuliert worden, nämlich: „ Heute wird ersichtlich, dass unter den Protagonisten die Figur des Chores liegt. “ 3 Allerdings möchte ich direkt hervorheben, dass dasjenige, was hier mit „ Chor “ gemeint ist, weit über die geläufige Vorstellung von einer Gruppenfigur hinausweist, die auf einer Bühne spricht, singt oder tanzt. Es geht um eine Möglichkeit, räumliche Prozesse, affektive Bezugnahmen, Subjekt-Objekt-Relationen, die Einfaltungen des Einzelnen in mannigfaltige Umräume und damit Prozesse der Subjektivierung überhaupt in anderer Weise zu verstehen als es die Koordinaten der Protagonistenform zulassen, deren innere Aporien indes das europäische Theater ungleich sichtbarer geprägt und beschäftigt haben. Die These lautet also, dass dasjenige, was Guattari als Heraufkunft eines „ neuen ästhetischen Paradigmas “ porträtierte, sich aus theatertheoretischem Blickwinkel als neue Relevanz einer „ chorischen Topologie “ 4 darstellt. Diese schien aufgrund einer langen Dominanz protagonistischer Darstellungsformen (und noch ihrer Dekonstruktion) in den Hintergrund gerückt - was gerade nicht heißt, dass sie dort nicht wirksam war. Heute aber macht sie sich in dem Maße neu bemerkbar, wie die Erfahrung eines primordialen „ Seins-in-Relation “ sich nicht mehr notwendig - jedenfalls nicht ausschließlich und primär - in den Registern der Subjektkrise oder des Endlichkeitsschocks formuliert, die für das 20. Jahrhundert so prägend waren. Dass die chorische Topologie sich mit neuer Kraft anmeldet, legt zugleich aber auch nahe, nach den Kräften zu fragen, die sie unter der Voraussetzung globaler technologischer Vernetzung bebauen, abschöpfen, aufzeichnen, aber auch politisch instrumentalisieren wollen. Ebendiese Kräfte kann man neoliberal nennen; im Vokabular Guattaris ausgedrückt, „ reterritorialisieren “ sie den Sinn von Kreation. An dieser Stelle gilt es deswegen um so entschiedener, auf einer Differenz zu beharren. Auf dem Spiel stehen nämlich Möglichkeit und Notwendigkeit, zwischen den Werdenslogiken der ästhetischen Kreation und ihrer Überführung in neuartige Repräsentationslogiken zu unterscheiden. Um dies deutlicher zu machen, will ich im dritten Teil meines Versuches einige Passagen zur „ neoliberalen Gouvernementalität “ aus Michel Foucaults Vorlesungen von 1978/ 1979 zu Rate ziehen. 5 Mit diesen Vorlesungen begann Foucault seinerseits, nach den Mächten zu forschen, die das Paradigma der Fabrik - mit Foucault: das Disziplinarregime - schon zur Zeit seiner Genese im 18. Jahrhundert zu untergraben begannen, um sich schließlich im Aufstieg der Neoliberalismen nach 1945 voll zu entfalten. Dabei kommt Foucaults Analyse nicht nur Guattaris Überlegungen zum ästhetischen Paradigma in mehrfacher Hinsicht nahe. Bei näherem Hinsehen stellt sich auch der Registerwechsel zwischen Disziplinarmacht und Gouvernementalität als Schritt von einer primär protagonistischen 26 Sebastian Kirsch zu einer primär chorischen Konfiguration dar. Melancholische Drachen Eine Schneelandschaft im Nirgendwo, mittendrin ein alter Citroen samt Anhänger, dessen Inneres von Planen verhüllt ist. Durch die Fensterscheiben der Rostlaube erkennt man immerhin eine Gruppe abgewetzt wirkender Metaller-Typen mit filzigen Zottelmähnen, die sich mit Musik der Kategorie „ Scorpions “ vergnügen und nicht den Eindruck machen, als wollten sie in näherer Zukunft ihr Vehikel verlassen. Lieber trinken sie Dosenbier, widmen sich ab und an einem kleinen Plastikdinosaurier oder ihrem schwarzen Hund, der nicht aus Plastik ist, sondern lebendig. Sonst geschieht vorerst nichts, nichts jedenfalls, das die Zuschauer davon abhalten würde, sich in die hypernaturalistische Landschaftsszenerie mit ihren verschneiten Bäumchen zu versenken. Endlich, nach ewigen Minuten, verlässt einer der sechs Männer das Auto, und es beginnt etwas, das man wohl nur um den Preis gnadenloser Übertreibung die Handlung von La Mélancolie des Dragons nennen kann: Eine Passantin ist vorbeigekommen, die sich als Automechanikerin namens Isabelle entpuppt. Günstigerweise, denn der Citroen ist liegengeblieben, und nach einigem Herumschrauben im heftig qualmenden Motorraum diagnostiziert Isabelle: Verteilerdose defekt. Weniger günstig ist allerdings, dass das Ersatzteil erst in sieben Tagen kommen wird. Die gestrandete Gruppe beginnt nun, vielleicht um die Wartezeit zu überbrücken, vor Isabelle ihre Ladung auszupacken: Im Gepäck haben sie die Attraktionen eines Freizeitparks, den sie demnächst eröffnen wollen, und diese werden der Mechanikerin nun eine nach der anderen vorgeführt. Es handelt sich freilich um recht notdürftig zusammengezimmerte, trashig anmutende Effekte. Da wären etwa: ein paar von der Anhängerdecke baumelnde Perücken, die im Ventilatorwind tanzen, ein schmaler Schneeteppich zum Skilaufen, aufblasbare Luftkissen, die sich immerhin zu durchaus beeindruckender Größe aufpumpen lassen und die von der Gruppe entweder über ihren Köpfen umhergetragen werden - was ein wenig an ein exotisches Tanzritual erinnert - oder aber als Projektionskörper für gebeamte Bilder dienen: Dürers Melencolia I wird angeworfen, Caspar David Friedrichs Landschaftsgemälde, oder verschiedene Namenvorschläge für den Park: „ Freizeitpark Antonin Artaud “ ist am schönsten. Artaud findet man auch in der parkeigenen „ Bibliothek “ , einem Karton, der zudem Wagner, Strindberg und ein paar Kinderbücher über Drachenaufzucht enthält. Die vier Elemente werden mit einer Seifenblasenmaschine, einem Zimmerspringbrunnen, einer Schneekanone und einer Nebelpistole beschworen, und irgendwann bekommt Isabelle ein T-Shirt, das Breughels Jäger im Schnee zeigt. All das läuft mit Seelenruhe, fast schon autistisch ab; gesprochen wird kaum, und wenn, dann klingt es nach Gemurmel. Selbst die Kommentare „ Superbe! “ oder „ C'est magique! “ , mit denen Isabelle die Attraktionen ein ums andere mal bedenkt, hören sich ein wenig an wie unter Valium geäußert. Wobei die eigentlich jämmerlichen Tricks tatsächlich eine sonderbare „ Magie “ entfalten, vielleicht auch deswegen, weil das Geschehen insgesamt so meditativ, freundlich und sanft wirkt wie die Schneelandschaft selbst. Und das ist dann auch schon alles, was bis zum Ende passiert, das eigentlich kein Ende ist, weil es so noch ewig weitergehen könnte. Angesichts dieses Minimalismus kann es durchaus verwundern, dass La Melancolie des Dragons ein derart großer internationaler Erfolg werden konnte. Andererseits ist es natürlich leicht, die Gruppe von liegen- 27 Ästhetisierung, Gouvernementalisierung, Chor gebliebenen Freaks, die im Niemandsland mit anrührender Solidarität an einem armseligen Projekt werkeln, als Identifikationsangebot zu verstehen, das nicht wenige Zuschauer gerade des freien Theaters dankbar annehmen dürften. Und doch führt, wie ich zeigen möchte, die zeitdiagnostische Kraft der Produktion über diese feuilletonistische Ebene hinaus. Denn zum einen spielt sie, wenn sie die sechs einander ähnelnden „ Metalheads “ mit der Mechanikerin Isabelle zusammentreffen lässt, in der Tat eine zeitgenössische Variante der „ antiken Konstellation “ 6 von Chor und Protagonist durch, deren räumliche Komponente sie zugleich in den zahlreichen Bezügen auf Landschaft und Umgebung thematisiert. Und zum anderen untersucht sie erstaunlich präzise und zugleich lakonisch das Verhältnis zwischen der chorischen Topologie und den Logiken von Ästhetisierung und Gouvernementalisierung im Sinn von Guattari und Foucault. Chor Zunächst will ich an drei Momente der Konstellation von Chor und Protagonist erinnern, die sich aus den überlieferten antiken Stücken herausfiltern lassen und die bei Quesne tatsächlich mit großer Deutlichkeit aufgenommen werden. 7 So bildet sich erstens das antike Theater des „ klassischen “ 5. Jahrhunderts in der Berührung und Montage zweier heterogener Figurentypen und zweier Bühnen heraus - eben von Chor und Protagonist, Orchestra und Skene. Die Chorform verweist dabei auf Formen des Tanzens, Singens und Sprechens, die wesentlich älter sind als das Theater und deren Spuren sich im Dunkel früherer, oral geprägter Jahrhunderte verlieren. Schon deswegen lässt sie sich nicht auf die eine Herkunftsgeschichte zurückführen. Was in den Tragödien als Chor firmiert, verweist vielmehr auf diverse, auch geographisch auseinanderstrebende Ursprungsherde, auf Feste und Rituale, die keine einheitliche Religion voraussetzen. Demgegenüber ist der Protagonist ungleich stärker mit einem diskursiven Gründungsgeschehen verschwistert. Er entsteht im Übergang vom 6. zum 5. Jahrhundert, zunächst im Umfeld der Tyrannis; und insgesamt verläuft seine Entwicklung parallel zur Geschichte der attischen Polis, die sich zusammen mit oligarchischen Herrschaftsformen von älteren Götter- und Umweltbezügen zu lösen sucht. Diese klassische Polis zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich vielleicht nicht für souverän im neuzeitlichen Sinn erklärt, aber doch trennscharfe Unterscheidungen von Polis- Innerem und Polis-Äußerem einzuführen beginnt. Diffusionszonen werden vereindeutigt, die Umräume vom Wirken der Gottheiten gereinigt, das zuvor mit diesen assoziiert war. Der Bühnenprotagonist, dem schon bald mit Deuteragonisten und Tritagonisten ein zweiter und ein dritter Dialogpartner beigesellt werden, erscheint daher als Pendant einer antiken „ kopernikanischen Wende “ , in deren Verlauf die Menschen die Dinge untereinander und ohne Bezug auf die Götter auszuhandeln beginnen. Der Theaterchor hingegen erinnert noch einmal ältere Wissens-, Praxis- und auch Kommunikationsformen, die unter den neuen Bedingungen relativ rasch in den Hintergrund treten. Mit Blick auf Quesne lassen sich in diesem Kontext nun gleich zwei Auffälligkeiten von La Mélancolie des Dragons benennen, die auf die ältere Chorformation verweisen, selbst wenn sie sich eher wie ihr Echo ausnehmen: Da sind erstens die eigentümlichen Archaismen des Stückes - die Drachen und Dinosaurier, die Anrufung der vier Elemente, aber auch die überdimensionierten Objekte und der Tanz mit dem Luftkissen. Und da ist zweitens die offensichtliche Rücknahme einer intersubjektiven dialogischen Struktur, so- 28 Sebastian Kirsch weit diese vorrangig zur Protagonistenform gehört: An die Stelle klarer Aussprache unter scharf bezeichneten Dialogpartnern tritt hier jedenfalls ein Murmeln und Nuscheln, das sich nicht allzu sehr von der sonstigen Geräuschkulisse des Geschehens abhebt. Nun dürfte das Verblassen des Chores im 5. Jahrhundert auch darauf zurückzuführen sein, dass dieser nicht als starker Handlungsträger im Sinne protagonistischer Aktivität erscheint. Der Protagonist behauptet von sich beispielsweise, Städte gründen, verteidigen oder retten zu können, alleine einen Mörder ausfindig zu machen oder das Kriegsgeschehen zu wenden. Solche Behauptungen, wie sie paradigmatisch von Ödipus geäußert werden, kennt der Chor nicht. Aber selbst wo er einen starken und sogar unbeugsamen Willen artikuliert - wie etwa der Danaidenchor in Aischylos ’ Hiketiden, der sich um jeden Preis seiner Hochzeit entziehen will - spielt diese Energie doch jenseits der Register werkhafter Produktion. Auch diese andere, nicht werkhafte Logik lässt sich in La Mélancolie des Dragons entdecken. So mag der „ Freizeitpark Antonin Artaud “ zwar als Projekt entworfen sein. Dieses ist aber aufgeschoben und hat noch nicht einmal einen definitiven Titel. Was wir de facto sehen, ist ein chorischer Bastelspaß, der nur durch Abbruch endet und andererseits erst einmal gar nicht anfangen will. Wenn hier hingegen auf das Produktions- und Werkparadigma angespielt wird, dann höchstens mit der Mechanikerin Isabelle, die gegenüber der chorischen Gruppe ja tatsächlich eine protagonistische Position innehat - oder eher das, was von ihr übriggeblieben ist. In diesem Kontext fällt auf, dass La Mélancolie des Dragons die „ Ödipus “ -Dramaturgie geradezu umstülpt: Dort wartet der um die pestbefallene Stadt besorgte Thebanerchor zu Beginn stumm auf den Protagonisten Ödipus, der die Stadt „ wiederaufzurichten “ verspricht; hier wartet zu Beginn der Chor ebenfalls stumm in seinem kaputten Auto auf die Protagonistin Isabelle, die es wieder flott machen soll. Die Tragödie des Protagonisten fällt bei Quesne dann aber zugunsten einer exzessiven Konzentration auf die eigene Sphäre des Chores aus. Der dritte Aspekt der antiken Konstellation, der hier interessiert, liegt schließlich in der eigentümlichen Doppelstellung des antiken Chores zwischen Unabhängigkeit und Verwicklung. Er ist schon da, bevor die episodische Tragödie der einzelnen Helden einsetzt, er überlebt ihr Ende, aber er ist auch nicht unbeteiligt: Er geht mit den Leiden der Protagonisten affektiv mit, er geht aber nicht in ihnen auf. Diese Eigenschaft lässt sich räumlich übersetzen: Der Chor eröffnet zunächst einen Auftrittsraum, in dem die Protagonisten überhaupt erst in Erscheinung treten können. Als solcher fungiert er gleichsam wie ein Grund oder ein „ transzendentales Feld “ , 8 ohne dessen Entrollung es den protagonistischen Auftritt überhaupt nicht geben könnte. Die protagonistischen Gründungsenergien drängen indes darauf, sich von diesem vorgelagerten Feld zu lösen, das durch nichts anderes so sehr gekennzeichnet ist als durch seine Mannigfaltigkeit. Übrig bleibt im Gefolge dieses Isolierungsversuchs zunächst die Beschäftigung mit den inneren Aporien der protagonistischen Gründungsbehauptungen, die sich ein ums andere mal als haltlos darstellen. Mit Blick auf Quesne wiederum wäre in diesem Kontext vor allem die Nähe seines Chores zur vorgängigen Umgebung und zur Landschaft zu nennen, die in diesem Stück so stark akzentuiert wird: Alle Attraktionen, die der Chor vorführt, eröffnen hier letztlich eine Art Zwischenraum, der zwischen den menschlichen Akteuren und der Schneelandschaft vermittelt. Zugleich wird allerdings hervorgehoben, dass diese Landschaftsbezüge immer auch Theatertricks sind, Effekte einer Bühnenmaschine, die am Ende nicht weniger simpel funk- 29 Ästhetisierung, Gouvernementalisierung, Chor tioniert als die Bauteile des Freizeitparks selbst. Diese drei Aspekte des antiken Chores - seine auf die archaischen Jahrhunderte zurückweisende, aber nicht auf ein Gründungsgeschehen rückführbare Geschichte, seine nicht mit der Logik werkhafter Produktion übereinkommende Aktivität, seine Funktion als vorangehende Mannigfaltigkeit in der Nähe zum Landschaftsgrund - werden also bei Quesne aufgegriffen. Sie sind aber, wie ich im nächsten Schritt ausführen möchte, auch für Guattaris Begriff des „ neuen ästhetischen Paradigma “ relevant. Ästhetische Paradigmen In Chaosmose differenziert Guattari drei Paradigmen, nämlich ein „ protoästhetisches Paradigma “ , ein Paradigma, das die Transzendenz des Subjekts inauguriert, und dann eben ein „ neues ästhetisches “ Paradigma. 9 Auf diesem Weg versucht er, drei weiträumige medienwie subjektgeschichtliche Lagerungen kenntlich zu machen, die durchaus epochalen Wert haben. Gleichzeitig betont er aber die Unmöglichkeit ihrer schlichten zeitlichen Reihung sowie die Künstlichkeit ihrer Trennung. Dabei mag man die Großflächigkeit im Detail für kritikwürdig halten. Sie hat aber den Vorzug, die Tiefendimension von Verschiebungen erahnen zu lassen, die im 21. Jahrhunderts oft genug als Alltagsumstellungen unbekannten Ausmaßes erfahren werden. Zugleich könnte man sich vielleicht an Guattaris Darstellung des ersten Paradigmas stoßen: Ähnlich wie es bereits die ethnologischen Passagen des Anti-Ödipus taten, 10 greift die Schilderung auf eine Vorstellung animistischer, archaischer oder auch schlicht „ wilder “ Gesellschaften zurück, deren Zeitgebundenheit sicherlich zu diskutieren wäre. Bevor ich aber auf diesen Vorbehalt eingehe, möchte ich Guattaris Überlegungen erst einmal referieren. Das erste und dritte Paradigma beruhen gleichermaßen auf der Prävalenz dessen, was Guattari „ nicht-signifikative Semiotiken “ nennt. 11 Das zweite Paradigma ist dagegen durch eine Vormachtstellung signifikanter Codes definiert. Folglich gibt es eine Nähe zwischen den beiden „ äußeren “ Paradigmen, von der aus ich weiter unten auch die heute neu zu Tage tretende Relevanz des Chores ableiten werde. Die mit der Transzendenz des Subjekts verklammerte mittlere Position wird sich entsprechend auf die lange Geschichte der protagonistischen Hegemonie samt ihrer Aushöhlungen beziehen lassen. Guattari skizziert eine historische Abfolge der drei Paradigmen, wobei er noch einmal hervorhebt, dass diese letztlich nur in ihrer Verflechtung zu begreifen sind. Es handelt sich also lediglich um eine methodische Aufspaltung; auch den Operationen der Signifikanz liegen nicht-signifikante Semiotiken unter, allerdings arbeiten sie verdeckter. So erscheint das protoästhetische Paradigma einerseits als „ erste Figuration eines Gefüges “ , 12 wie es in Guattaris Augen charakteristisch für archaisch-animistische Gesellschaften ist: ein Raum, der (noch) nicht durch die signifikanten Einkerbungen definiert wird, mit denen später die Staatsapparate ihre Zuständigskeitsbereiche abstecken wollen (und die mit Blick auf die griechische Geschichte eben in der Neuausrichtung der Polis im „ klassischen “ 5. Jahrhunderts zu suchen wären). Andererseits beharrt Guattari aber darauf, dass den animistischen Gesellschaften eine Subjektivität entspricht, die sich auch „ in der Welt der frühen Kindheit, des Wahnsinns, der Liebesleidenschaft und des künstlerischen Schaffens “ 13 wiederfinde. Es ist wichtig, dass Guattari das „ künstlerische Schaffen “ hier nicht auf Werke bezieht, wie sie zu einer „ institutionalisierte(n) Kunst “ 14 und ihren 30 Sebastian Kirsch sozialen Rahmungen gehören werden. Stattdessen geht es ihm um eine „ Schaffensdimension im Entstehungszustand, die sich selbst ständig vorgelagert und voraus ist “ 15 - exakt jene Schaffensdimension also, die ich mit Blick auf die spezifischen chorischen Aktivitätsformen als nicht werk- und produktionslogisch charakterisiert habe. Von dieser Einschätzung her erklärt sich im übrigen auch die Bezeichnung des ersten Paradigmas als „ protoästhetisch “ . Auf dieser Ebene kann also nicht von souveränen Grenzziehungen mit ihren Interioritäten und Exterioritäten ausgegangen werden. Territorien definieren sich hier stattdessen durch wiederholte Faltbewegungen einer „ kollektive(n) Subjektivität “ 16 , die „ die einen Wertuniversen auf die anderen um(klappt) “ 17 : etwa in „ rituellen Ritornellen “ 18 , die makrokosmische und mikrokosmische Prozesse aufeinanderfalten. Daraus folgt, dass Raum und Zeit hier keine stabilen Transzendentalien sind: Sie sind „ nie einfach neutrale Behälter, sie müssen durch Produktionen der Subjektivität - die Gesänge, Tänze und Erzählungen über die Vorfahren und die Götter in den Dienst nehmen - entfaltet, hervorgebracht werden “ . 19 Zudem existiert hier weder eine klare Trennung von Subjekt und Objekt noch eine Unterscheidung zwischen belebter und unbelebter Materie. Stattdessen findet man eine „ Art von polysemischer, animistischer und transindividueller Subjektivität “ 20 , die von Grund auf relational verfasst ist. Diese Subjektivität richtet Objekte bzw. „ Objektitäten “ in einer transversalen, vibratorischen Position ein, die ihnen eine Seele verleiht, ein anzestrales, tierisches, pflanzliches und kosmisches Werden. Diese Objektitäten-Subjektitäten neigen dazu, sich zu verselbstständigen, sich in einem animistischen Brennpunkt zu verkörpern; sie überschneiden einander, überwuchern sich, um kollektive Entitäten zu bilden, die halb Ding halb Seele, halb Mensch halb Tier sind, Maschine und Fluss, Materie und Zeichen [. . .]. 21 Nun kann allerdings nicht genug betont werden, dass diese polysemische Subjektivität in archaischen Gesellschaften immer auch in strikter Weise „ territorialisiert “ ist. Sie sieht sich beispielsweise unverrückbaren kosmologischen Ordnungen unterworfen oder Clanstrukturen eingepasst, die sich über Semantiken des Blutes und zugehörige Strafen - etwa die Blutrache - erhalten. Trotzdem will Guattari nicht einfach die Grausamkeiten der „ wilden “ Gesellschaften gegen diejenigen jüngerer Gesellschaftseinrichtungen ausspielen oder abgleichen. Wichtiger ist, die funktionalen Unterschiede zu begreifen: Archaische Formen der Unterwerfung (und Subjektivierung) funktionieren anders als die Einschreibung in staatliche Ordnungssysteme und die identifizierende Auszeichnung durch vereindeutigende, repräsentative (Namens-)Signifikanten, die für das zweite, „ protagonistische “ Paradigma tragend sind. Die jeweiligen Codierungen beruhen sogar auf nachgerade umgekehrten Logiken: Guattari erinnert an „ die Vervielfachung der Eigennamen, die einem Individuum in vielen archaischen Gesellschaften zugeschrieben werden. “ 22 Unter machttheoretischen Gesichtspunkten liegt die Eigentümlichkeit des protoästhetischen Paradigmas also in dem Umstand, dass die ihm entsprechenden Gesellschaftsformen sich in starkem Bezug auf eine vielgestaltige Subjektivität einrichten und erhalten, während die signifikanten Operationen diese Polysemie auszuschalten versuchen und sie, wo sie sich dennoch bemerkbar macht, vor allem als Störung erfahren: als - und sei es notwendiges - Scheitern von Repräsentationszusammenhängen. Es ist nun nicht schwer zu sehen, inwiefern der Kontrast des ersten und des zweiten Paradigmas die Konstellation von Chor- und 31 Ästhetisierung, Gouvernementalisierung, Chor Protagonistenform abbildet: Die polysemische und relationale Subjektivität, die allenfalls relative Trennung von Subjekt und Objekt wie von Menschen, Tieren, Pflanzen und Steinen, die Tänze, Gesänge und „ rituellen Ritornelle “ und nicht zuletzt die Schwellen- und Übergangszonen anstelle harter Grenzziehungen - all diese Momente des „ protoästhetischen Paradigmas “ verweisen auf Koordinaten, die auch für den Chor eine Rolle spielen. Die vereinheitlichende Tendenz des zweiten Paradigmas hingegen korrespondiert deutlich mit der Protagonistenform. In Guattaris Erzählung entstehen aus diesem Synthesewunsch zudem die diversen Transzendentalien, deren Konstruktion und Dekonstruktion eine 2500-jährige Geschichte abendländischer Subjektivität begleiten werden: der Gott der Monotheismen, die philosophischen Seinsbehauptungen und Hegels absoluter Geist, die Energie- und Entropietopoi der Thermodynamik oder auch der „ Herrensignifikant “ des sprachlichen Unbewussten Lacans samt seiner Disseminationen. 23 Darüber hinaus mag man bei Guattaris Erzählung einer frühzeitlichen Übercodierung des protoästhetischen durch das signifikante Paradigma auch konkrete Tragödienhandlungen assoziieren. Man denke nur an jenen Übergang, von dem Aischylos ’ Eumeniden berichten: von einer Clan-Ordnung des Blutes und der Blutrache zur Polis-Ordnung des paternalen Gesetzes, die sich nur aporetisch zu gründen vermag; eine Verknüpfung, die umso näher liegt, als bei Aischylos ja gerade die auf Blutrache pochenden, erdgeborenen Erinnyen als Chor figurieren. Dennoch lässt sich, wie gesagt, argwöhnen, ob Guattari mit seinem Rekurs auf archaisch-animistische Gesellschaften nicht einer romantisierenden Projektion verfällt. So räumt auch der Medienwissenschaftler Erich Hörl, der sich in seiner Darstellung einer „ technologischen Sinnverschiebung “ an zentraler Stelle Guattaris Theorie eines maschinischen, und nicht allein sprachlichsymbolisch arbeitenden Unbewussten verpflichtet fühlt, in diesem Kontext ein, dass Guattari „ in dieser offenen Anrufung des Animismus, ein Stück weit sicherlich auch einer archaischen Illusion “ unterliegt; einer Illusion im übrigen - so Hörl weiter - deren Wiederkehr unter dem Eindruck digitaler Netzwerkumgebungen in der ubiquitären Reklamation der Handlungsmacht nicht-menschlicher Akteure zur Beschreibung der gegenwärtigen Lage zu beobachten ist, die ja mitunter, zum Beispiel bei Latour, ganz offen einen neuen Animismus reklamiert. 24 Wie also mit dieser Gefahr umgehen? Tatsächlich ist für Hörl der womöglich idealisierende Zug von Guattaris Überlegungen eher sekundär gegenüber der medientheoretischen Pointe, die sie erlauben. Denn ungeachtet seines wie immer archaisierenden Porträts einer nicht-signifikanten, „ wilden Gesellschaftsmaschine “ ermöglicht Guattari eine Ebene von Medialität und damit von Technizität zu denken, die dem Paradigma unhintergehbarer symbolischer Vermittlung (und ihres ebenso unhintergehbar notwendigen Scheiterns) entgeht: jene Technizität, die Guattari gemeinsam mit Deleuze im Konzept des „ Maschinischen “ fasste, dem Gegenbegriff zum Mechanischen der symbolischen Apparaturen. Auf der Ebene dieser Medialität geht es vor allem um zirkulierende körperliche Affekte, um ihren medialen Transport und ihre Verkettungen, die sich gerade nicht in den Registern endloser Signifikantenverschiebungen und imaginärer Signifikatseffekte einholen lassen. Zur Verdeutlichung mag man hier an die exponierten Farben im Kino Godards denken, die sich der symbolischen Aufladung entziehen (obwohl sie diese auch nicht komplett verweigern), sich mit anderen Farbtönen verkoppeln und gleichsam als 32 Sebastian Kirsch Farb-Mannigfaltigkeiten die Rahmungen der einzelnen Szenen und handlungstragenden Einheiten durchqueren und durchziehen. 25 Diese andere, maschinische Medialität wäre nun aber auch als genuin chorische Bezugsform zu begreifen: als nicht-signifikante Medialität der Und-Verknüpfungen, der affektiven Berührungen, der Geflechte und Gemische. Versteht man aber, dass es noch eine andere Dimension von Medialität gibt als diejenige einer aporetisch verfassten symbolischen Vermittlung, wird es auch unnötig, die „ verlorenen “ Chöre der älteren Oralkulturen absolut gegen die bereits aufgeschriebenen Chöre der klassischen Tragödien auszuspielen. Stattdessen kann man sagen, dass sich in beiden Fällen eine mediale Logik artikuliert, die nicht diejenige der Signifikanz ist. Andererseits lässt sich von hier aus aber dennoch eine besondere Qualität gerade des Theaterchores denken. Denn insofern er im Übergang vom 6. zum 5. Jahrhundert auf dem Theater erscheint und vom antiken Drama ein wenig wie ein „ Migrant “ (Haß) behandelt wird, 26 ist der Chor - und die mit ihm verbundene polysemische Dimension von Subjektivität - aus den mutmaßlichen archaischen Territorialisierungen entbunden. Gleichzeitig ist seine besondere Medialität hier aber auch noch nicht vollständig von den Registern der Signifikanz verdeckt, sondern wird als maschinische Verkettungstechnik von spezifischer Logik kenntlich. Unter diesen Gesichtspunkten wird der Chor als wesentlich ästhetische Praxis der Bezugnahme denkbar, die Disparates und Uneinheitliches ohne übergeordnete Totalität zu konstellieren und dabei nebeneinander bestehen zu lassen vermag, ganz so wie es dem Nebeneinander vieler Ursprünge, vieler Herkunftslinien selbst entspricht, das dem Theaterchor konstitutiv innewohnt. Das bedingt letztlich auch das Interesse, das unter heutigen technologischen Bedingungen solchen Phänomenen entgegengebracht wird, die offensichtlich in der Nähe des Chores liegen - man denke etwa an die populäre Rede von „ Schwärmen “ oder „ kollektiven Intelligenzen “ . Aber erst wo der Chor als eigene ästhetische Praxis verstanden wird, wohnt ihm eine reflexiv-distanzierende Kraft gegenüber seinen instrumentellen Territorialisierungen auch im Rahmen des dritten „ neuen ästhetischen Paradigmas “ inne. Mit der Konstruktion dieses dritten Paradigmas antwortet Guattari gegenwartsdiagnostisch auf die Ermüdungserscheinungen signifikanter oder symbolischer Bindesysteme und damit auf eine „ Austrocknung “ 27 protagonistischer Subjektivität, die 1992 nicht mehr zu übersehen ist. Zugleich koppelt er seine Beobachtung an technikphilosophische Überlegungen, die das spätestens seit 1945 immer deutlichere Verblassen werkhafter Produktion und der mit ihr verbundenen Arbeits- und Angestelltenkultur reflektieren. Insbesondere der Aufstieg kybernetischer Technologien im 20. Jahrhundert mit ihren Begriffen der Autopoiesis und Emergenz bildet den Hintergrund dieser Überlegungen. Kurz gesagt, besteht die Signatur des dritten Paradigmas in einer erneuten, technologisch unterfütterten Generierung und Freisetzung polysemischer Subjektivität, die nicht mehr primär als Unterbrechung oder Scheitern signifikanter bzw. disziplinarischer Bündelungsversuche zu beschreiben ist, und zwar deswegen, weil die Stärke solcher Einklammerungen nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Stattdessen bedarf es neuer, positiverer Beschreibungen, die zudem die Handlungsmacht jener „ nicht-menschlichen Akteure “ einbegreifen, die mittlerweile in der Soziologie etwa Bruno Latours, im Feld der Human-Animal-Studies oder auch im Gefolge der „ objekt-orientierten Ontologien “ so prominent geworden sind. 28 Guattari: 33 Ästhetisierung, Gouvernementalisierung, Chor Das Für-sich und das Für-andere sind keine Vorrechte der Menschheit mehr; sie kristallisieren überall, wo maschinische Schnittstellen Disparität hervorbringen und im Gegenzug durch diese begründet werden. Die Betonung wird nicht mehr auf das Sein gelegt, als allgemeines ontologisches Äquivalent, das [. . .] den Prozess umhüllt, schließt und desingularisiert, sondern auf die Seinsweise, die Machination, um Existierendes herzustellen, die Erzeugungspraktiken von Heterogenität und Komplexität. 29 Es gibt also mindestens ein Echoverhältnis zwischen „ protoästhetischem “ und „ ästhetischem “ Paradigma, dem Guattari mit einer „ vorläufigen, aber notwendigen Rückkehr “ zu einem animistischen und damit „ maschinischen “ Subjektbegriff gerecht zu werden versuchte. 30 Gegenüber der Rhetorik einer Rückkehr mag man dabei die erwähnten Vorbehalte hegen. Im Ganzen lässt Guattaris Argumentation aber die epistemologische Verschiebung begreifen, vor deren Hintergrund heute eben auch in einer Produktion wie La Mélancolie des Dragons nicht nur die skizzierten Archaismen auftauchen, sondern auch die - wie immer echohaften - „ Objektitäten “ , deren kollektiv-animistische Einrichtung Guattari sich in seiner Charakteristik des ersten Paradigmas ausmalte. Nun ahnt natürlich auch Guattari, dass die im Rahmen „ allgemeiner Ästhetisierung “ maschinischer (oder chorischer) werdenden Subjektivitäten sich sogleich wieder neuartigen Formen der Territorialisierung unterworfen sehen, die nicht weniger gewaltförmig ausfallen als die vermutlichen Grausamkeiten der wilden Gesellschaften oder die „ Gründungsgewalt “ der symbolischen Ordnungen. Das wäre denn auch die Alltagserfahrung der letzten zwei Dezennien, in denen jeder Entlastung von signifikanten Einkapselungen, jeder Aufwertung prozessualer Kreation sogleich neue Formen der Kontrolle und Abschöpfung gefolgt sind. Insbesondere die neue Bedeutung einer nicht werkhaft ausgerichteten Kreationslogik funktioniert dabei wie ein Boomerang: Sie äußert sich auch darin, dass man unter kontrollgesellschaftlichen Bedingungen „ nie mit irgend etwas fertig wird “ , 31 während man in den Disziplinargesellschaften mit ihren definierten institutionellen Produktionszusammenhängen und genealogischen Taktungen niemals damit aufhörte, „ anzufangen (von der Schule in die Kaserne, von der Kaserne in die Fabrik) “ . 32 Sie entspricht, anders gesagt, dem beim sogenannten „ Nachwuchs “ verbreiteten Gefühl, nirgends wirklich ankommen oder überhaupt anfangen zu können, trotz länger werdender Lebensläufe, Leistungskataloge und Publikationslisten. Das aber ist die andere Seite, auf die La Mélancolie des Dragons abhebt: Zu sehen ist hier eben auch ein Kreativ-Chor im ewigen Wartestand. Um diese zeitgenössische Reterritorialisierung „ chorischer “ Subjektivität beschreibbar zu machen, möchte ich nun noch auf Foucaults Überlegungen zur Gouvernementaliät kommen. Gouvernementalisierung Foucaults Untersuchungen des gouvernementalen Regierungstyps bewegen sich in großer Nähe zu Guattaris (und Deleuzes) Frage nach anderen denn signifikant codierten Subjektivierungslogiken, auch wenn sie zunächst einen anderen historischen Bezugspunkt setzen: Gouvernementalität wird in Foucaults Vorlesungen als spezifische Machttechnik eingeführt, die sich im 18. Jahrhundert, etwa mit den frühen Liberalismen, gegen das etwas früher anzusiedelnde Disziplinarregime zu formulieren beginnt. Später wird die fragliche Regierungslogik von Foucault aber auch als etwas Uraltes porträtiert, das nomadischen Ursprungs ist: Die Spuren verlaufen entlang der „ Pastoralmacht “ zurück bis in antike 34 Sebastian Kirsch und archaische Formationen. Und andererseits gipfeln die Vorlesungen eben in einer hellsichtigen Analyse der Neoliberalismen, die sich nach 1945 etablieren. Diese Doppelbewegung, die vom bürgerlichen Zeitalter zweifach fortstrebt, spiegelt tatsächlich die Verwandtschaft zwischen „ protoästhetischem “ und „ ästhetischem “ Paradigma. Im Begriff der Gouvernementalität erweitert Foucault seine älteren Analysen, die sich auf den Übergang von der Souveränitätsmacht zum Disziplinarregime und seiner panoptischen Einschließungsmilieus konzentrierten. Das entscheidende Moment liegt dabei, kurz gesagt, in der Entdeckung, dass Souveränität und Disziplin trotz ihrer Unterschiede einen gleichen Referenzpunkt haben, nämlich den im Feld moderner Sichtbarkeit konstituierten Einzelkörper der Untertanen bzw. Bürger, während die gouvernementale Macht damit beginnt, jene Dimensionen des Lebens oder besser des Lebendigen zu okkupieren und zu regulieren, die auf der Ebene der konturierten Einzelkörper nicht „ behandelt “ werden können. Foucault: Nach einem ersten Machtzugriff auf den Körper, der sich nach dem Modus der Individualisierung vollzieht, haben wir einen zweiten Zugriff der Macht, nicht individualisierend diesmal, sondern massenkonstituierend, wenn sie so wollen, der sich nicht an den Körper-Menschen, sondern an den Gattungsmenschen richtet. 33 Anders ausgedrückt, beginnt die gouvernementale Regierung, einen Werdensgrund zu bebauen und zu optimieren, der den Einzelkörpern als gattungsmäßige Erscheinensbedingung vorangeht und als solche jenseits der panoptischen Wahrnehmungsschwellen situiert werden muss. Aus theatertheoretischer Sicht handelt es sich hier aber um nichts anderes als um eine regierungstechnische Fokusverlagerung von der Protagonistenform hin zum „ transzendentalen Feld “ des chorischen Grundes - weswegen sich in Foucaults Unterscheidung von „ Körpermensch “ und „ Gattungsmensch “ auch mit großer Deutlichkeit die antike Konstellation von Protagonist und Chor neu bemerkbar macht. Erst das 20. Jahrhundert wird indes die technologischen Mittel perfektionieren, mit denen sich die Gattungsbedingungen, die gewissermaßen im Rücken konturierter Einzelwesen arbeiten, in immer neuen Tiefendimensionen explorieren, bebauen und auch politisch codieren lassen. Diese Möglichkeit ist eine Bedingung für die sich ab dem späten 19. Jahrhundert zuspitzenden biologischen Rassismen, aber auch für die ökonomistischen Klassendeterminismen derselben Ära, insofern diese die „ Gattungsdimension “ der Einzelwesen mit ihrer Stellung im sozialen Gefüge in eins setzen. Doch Gouvernementalisierung geht bei weitem nicht in diesen historisch spezifischen Entwicklungen auf, sondern liegt vielmehr sehr verschiedenen Prozessen zu Grunde, die sich zudem unter heterogenen politischen Vorzeichen entfalten. In La Mélancolie des Dragons lassen sich in diesem Kontext nun vor allem zwei Aspekte entdecken. Der erste betrifft dabei vorrangig die Prozessualitäten des Grundes selbst, der zweite die nichtsignifikante Subjektivierung, die sich aus diesen Prozessualitäten ergibt. Wie gesagt, zielt die gouvernementale Regierung darauf ab, nicht so sehr die konturierten Einzelwesen zu disziplinieren, sondern die Umräume, Milieus und Lebensbedingungen zu kontrollieren, die diesen Einzelnen vorangehen und mit denen sie verflochten sind. Dieser Ansatz birgt auch die Möglichkeit, eigenständige künstliche Umwelten zu entwerfen, in denen die Einzelkörper sich auf bestimmte Weise verhalten oder auch einfach nur existieren können. Zur Gouvernementalisierung gehört daher wesentlich das Bestreben, Umgebungen mit immer raffinierteren Technologien simulierbar, transportabel und schließlich selbst- 35 Ästhetisierung, Gouvernementalisierung, Chor organisierend zu machen, eine Entwicklung, die sich im 21. Jahrhundert etwa in den berüchtigten algorithmischen „ Filterblasen “ und „ Bubbles “ fortsetzt. Mit Blick auf das 20. Jahrhundert hingegen mag man hier an Beispiele wie die Raumfahrt denken, deren Kapseln ja nicht einfach disziplinierbare Einzelkörper ins All transportieren, sondern den Umraum dieser Körper selbst. Ebenso gehört zu dieser Entwicklung die Anlage von Städten in Umgebungen, die in nichts dafür prädestiniert sind - etwa eine Stadt wie Las Vegas, die in der Wüste von Nevada venezianische Kanäle und Pariser Stadtviertel simuliert. Beide Beispiele lassen erahnen, dass das gouvernementale Paradigma auch einer anderen kommerziellen Einrichtung zu Grunde liegt, die ihren Aufstieg ebenfalls im 19. und 20. Jahrhundert erlebt: dem Themenpark mit seinem Nebeneinander künstlicher „ Erlebniswelten “ nämlich, der daher nicht selten als Metapher für „ postsouveräne “ und „ postdisziplinäre “ Stadträume, wenn nicht Gesellschaften überhaupt herangezogen worden ist. 34 Auch La Mélancolie des Dragons bedient sich mit dem „ Freizeitpark Antonin Artaud “ offensichtlich dieser Gesellschaftsmetapher. Und genauer noch: Wenn hier die Attraktionen des transportablen Parks selbst ununterscheidbar in die naturalistische Bühnenlandschaft übergehen, wird es unmöglich, sinnvoll zwischen einer ersten Lebensumgebung und der simulierten „ zweiten “ Natur des Freizeitparks zu trennen. Beide erscheinen vielmehr als gleichermaßen maschinisch organisierte Umräume, die nahtlos miteinander verschmelzen können. Allerdings - und hierin liegt ein erstes Moment reflexiver Distanz - reichert Quesne seinen Freizeitpark nun gerade nicht mit den neuesten technologischen Gimmicks an. Im Gegenteil erscheint das Dargebotene in jeglicher Hinsicht als etwas Vorsintflutliches, aus der Zeit Gefallenes: Der Abend zeigt auch den Versuch eines ausgesonderten Chores, mit den spärlichen prädigitalen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, eine gesellschaftliche Entwicklung einzuholen, die ihm offensichtlich schon längst davongelaufen ist. Damit ist aber auch der zweite Aspekt berührt, die Frage, wie Subjektivierung unter dem Vorzeichen von Gouvernementalität beschrieben werden kann. Wichtig ist in diesem Kontext zunächst, dass Foucault die gouvernementale Regierung des Grundes auch als Basis der ökonomischen Idee des „ Humankapitals “ beschreibt: des Kerngedankens der neoliberalen Schulen also, die sich nach 1945 durchsetzen - und zwar in den beiden Varianten der deutschen Ordoliberalen um Ludwig Erhard und der historisch erfolgreicheren amerikanischen Ökonomen um Hayek und Becker. Man kann sagen, dass das transzendentale Feld von diesen Schulen als Stätte potentieller Ökonomisierung entdeckt wird. Der neoliberale „ homo oeconomicus “ wird sich darum wesentlich dadurch auszeichnen, die diversen Vektoren, die ihn von Geburt an als relationales Milieu umgeben, als kreativ auszubeutendes Kapital zu begreifen. Foucault nennt das Beispiel der Genausstattung, von der anzunehmen sei, dass sie sich in naher Zukunft als Kapital handhaben lassen werde; 35 mit Blick auf den Alltag des 21. Jahrhunderts könnte man auch an den unternehmerischen Wert eines gut vernetzten Social-Media-Profils oder an die Privatautos und Couches denken, die heute die Basis einer immer kleinteiliger werdenden „ Share Economy “ bilden. Auf der Suche nach Beschreibungsmöglichkeiten für diese andere, nicht-disziplinäre Subjektivität macht Foucault allerdings noch einmal einen historischen Sprung: Er greift auf Überlegungen der englischen Empiristen (Locke und Hume) zurück. Denn diese treffen für Foucault mit ihrem ungewöhnlichen Begriff des Interesses exakt eine Subjektform, die sich als „ Partner “ der gouvernementalen Vernunft im 18. Jahrhundert 36 Sebastian Kirsch quasi embryonal auszubilden beginnt. So konzipieren die Empiristen ein Subjekt, das „ als Subjekt individueller Entscheidungen erscheint, die zugleich nicht weiter zurückführbar und unübertragbar sind “ . 36 Es geht ihnen um atomistische Differenzbildungen, die einem unmittelbaren, subjektiven Willen entspringen, das heißt sowohl ohne Begründung auskommen als auch lediglich singuläre Gültigkeit beanspruchen. Dem entsprechen Aussagen, denen nichts anderes zu Grunde liegt als der pure Affekt. Etwa: „ Blau ist meine Lieblingsfarbe, aber ich weiß weder warum, noch muss das notwendig für jemand anderen gelten. “ Der wichtige Punkt ist nun, dass dieses „ Interessensubjekt “ nicht auf das juristisch bestimmte „ Vertragssubjekt “ rückführbar ist, das in den politischen Theorien etwa von Hobbes und Rousseau so folgenreich reüssiert (und als solches einen Hauptgegenstand der Dekonstruktion bilden konnte). Tatsächlich erinnert die damit gesetzte Unterscheidung sehr genau an die Differenz, die Deleuze und Guattari in Anti-Ödipus zwischen der schizoiden „ Wunschmachine “ (Interessenssubjekt) und dem ödipalisierten Paranoiker (Vertragssubjekt) ziehen: So ist das Vertragssubjekt laut Foucault per definitionem eines, das „ die Negativität akzeptiert, das den Verzicht auf sich selbst akzeptiert, das in einem gewissen Sinne seine Spaltung akzeptiert “ . 37 Es hängt zusammen mit Gesetzen und Verboten. Dem Interessenssubjekt hingegen entspricht eine egoistische Mechanik, [. . .] eine unmittelbar multiplikative Mechanik [. . .], eine Mechanik ohne jegliche Transzendenz und [. . .] eine Mechanik, bei der sich der Wille von jedem spontan und unwillkürlich auf den Willen und das Interesse der anderen abstimmt. “ 38 Dieser Typus befindet sich in einem Bereich unbestimmter Immanenz [. . .], der ihn einerseits in Form einer Abhängigkeit an eine ganze Reihe von Zufällen kettet und der ihn andererseits in Form der Produktion an den Profit der anderen, an den Vorteil der anderen bindet oder der seinen Vorteil mit der Produktion der anderen verknüpft. 39 Diese Eigenschaften weisen das Interessenssubjekt aber nicht mehr der Sphäre symbolischer Codierung zu, sondern derjenigen des Marktes und seines Kräftespiels. Denn es gilt: „ Der Markt und der Vertrag funktionieren auf genau entgegengesetzte Weise, und es handelt sich tatsächlich um zwei heterogene Strukturen. “ 40 Bei genauem Hinsehen zeigt sich nun, dass im neoliberalen „ Unternehmer seiner selbst “ eben das Interessenssubjekt zu neuen Ehren kommt, das sich auf nichts anderes bezieht als auf eine nicht-diskursiv einholbare Sphäre des Affekts. Man kann das etwa am Beispiel eines Bewerbungsformats illustrieren, das in den letzten Jahren populär geworden ist und dessen Struktur tatsächlich mit der „ Handlung “ von La Mélancolie des Dragons übereinkommt - und zwar wieder als absurd verfremdete Variante. Ich meine das Format des sogenannten „ Elevator Pitchs “ . Dieses beruht auf der Vorstellung, man könne bei einer Fahrstuhlfahrt zufällig einem potentiellen Sponsor für ein geplantes Projekt begegnen und habe nun maximal zwei Minuten Zeit, um für sein Unternehmen zu werben. Schon der Anfangssatz des „ Pitches “ soll dabei - so die Theorie - in nichts anderem bestehen als in einem rein affektiven Bezug auf eigene Vorlieben oder Wünsche, die ohne Begründung das spontane Vorstellungsgespräch eröffnen können, und zwar deswegen, um im Gedächtnis zu bleiben. Und ansonsten gilt: Je unwahrscheinlicher und „ verrückter “ das Projekt, desto bessere Chancen wird man haben, den Fahrstuhl mit einer Finanzierungszusage zu verlassen. Hingegen dürfte wohl nichts chancenloser sein, als einen „ Elevator Pitch “ als Vertragssubjekt anzugehen. 37 Ästhetisierung, Gouvernementalisierung, Chor Vor diesem Hintergrund lässt sich die (Nicht-)Handlung von La Mélancolie des Dragons aber ohne weiteres als der „ längste Elevator Pitch der Welt “ bezeichnen: Abgerissene Chorgestalten versuchen, ihre abstruse Geschäftsidee - animistische Instant- Rituale aus der Dose - in einem Fahrstuhl ins Nirgendwo dem denkbar ungeeignetsten Sponsor vorzuführen. Was sich in dieser verzerrten „ Pitch “ -Version im übrigen am auffälligsten verändert, ist die Zeitlichkeit affektiver Berührung selbst: Die besinnungslose Hektik, mit der die neoliberale Affektmaschine sich an die jeweils neueste Optimierungsmöglichkeit anzuschließen sieht, verkehrt sich hier in eine schier endlose Gegenwartsdehnung. Ein wenig erinnert diese an die Zeitlichkeit, die Jean-Luc Nancy in seinem Essay „ Äquivalenz der Katastrophen. Nach Fukushima “ vorsichtig als mögliches Schlupfloch aus der Diktatur der Zweck-Mittel-Relationen beschrieben hat: eine Gegenwart, „ in der etwas oder jemand gegenwärtig wird. “ 41 Vielleicht spielt Quesnes leises Chorstück in einer solchen Gegenwart; in jedem Fall vergegenwärtigt es die Bedingungen, unter denen „ allgemeine Ästhetisierung “ heute gleichermaßen als Quelle von Befreiung wie von unendlicher Erschöpfung erfahren wird. Anmerkungen 1 Félix Guattari, Chaosmose, Wien 2014, S. 129. 2 Vgl. Luc Boltanski, Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003. 3 Ulrike Haß, Matita Tatari, „ Eine andere Geschichte des Theaters “ , in: Marita Tatari (Hg.), Orte des Unermesslichen. Theater nach dem Ende der Geschichtsteleologie, Berlin 2014, S. 77 - 90, hier S. 90. Vgl. außerdem: Marita Tatari, „ Die zwei Körper des Theaters. Protagonist und Chor “ , in: ebd., S. 139 - 159. 4 Ebd., S. 90. 5 Vgl. Michel Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I; Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II, Frankfurt a. M. 2004. 6 Vgl. zu diesem Begriff vor allem Einar Schleef, Droge Faust Parsifal, Frankfurt a. M. 1997. 7 Vgl. zum Folgenden ausführlicher Ulrike Haß, „ Woher kommt der Chor “ , in: Monika Meister, Stefanie Schmitt (Hg.): Auftritt Chor. Formationen des Chorischen im gegenwärtigen Theater, Maske und Kothurn 1 (2012), Wien 2012, S. 13 - 30; Sebastian Kirsch, „ Vermählt mit dem (Theater)Gott. Aischylos ’ ‚ Hiketiden ‘ oder der Chor als Medium des Heiligen “ , in: Friedrich Balke, Bernhard Siegert, Joseph Vogl (Hg.): Medien des Heiligen. Archiv für Mediengeschichte 15, München 2015, S. 21 - 29. 8 Vgl. zu diesem Begriff vor allem Deleuzes letzten Text „ Die Immanenz, ein Leben “ , den man Zeile für Zeile als Text über die Vorgängigkeit des Chores lesen könnte, in: Gilles Deleuze, Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975 bis 1995, Frankfurt a. M. 2005, S. 365 - 370. 9 Vgl. Guattari, Chaosmose, S. 125 - 150. 10 Vgl. insbesondere das Kapitel „ Wilde, Barbaren, Zivilisierte “ , in: Gilles Deleuze und Félix Guattari, Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I, Frankfurt a. M. 1974, S. 177 - 351. 11 Vgl. zur Situierung dieses Begriffs, der sich durch sämtliche späteren Schriften Guattaris zieht, vor allem sein gemeinsam mit Deleuzes verfasstes Kapitel „ 587 v. Chr. - 70 n. Chr. Über einige Zeichenregime “ , in: Gilles Deleuze und Félix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin 1990, S. 155 - 203. 12 Guattari, Chaosmose, S. 130. 13 Ebd., S. 129. 14 Ebd. 15 Ebd. 16 Ebd., S. 130. 17 Ebd. 18 Ebd. 19 Ebd. 20 Ebd., S. 129. 38 Sebastian Kirsch 21 Ebd., S. 130. 22 Ebd., S. 126. 23 Vgl. ebd., S. 131. 24 Erich Hörl, Jörg Huber, „ Technoökologie und Ästhetik. Ein Gedankenaustausch “ , in: Elke Bippus, Jörg Huber und Roberto Nigro (Hg.), Ins Offene. Gegenwart: Ästhetik: Theorie, Zürich 2012, S. 9 - 20, hier S. 14. 25 Vgl. hierzu den mittlerweile klassischen Essay von Joseph Vogl, „ Schöne gelbe Farbe. Godard mit Deleuze “ , in: Joseph Vogl, Fridrich Balke (Hg.): Gilles Deleuze. Fluchtlinien der Philosophie, München 1996, S. 252 - 265. 26 Vgl. Haß, Woher kommt der Chor, S. 19. 27 Ebd., S. 134. 28 Vgl. als guten Querschnitt durch diese Diskurse Friedrich Balke, Maria Muhle und Antonia von Schöning (Hg.), Die Wiederkehr der Dinge, Berlin 2012. 29 Ebd., S. 138. 30 Zit. nach dem Vorwort von Irene Albers und Anselm Franke, in: Irene Albers, Anselm Franke (Hg.), Nach dem Animismus, Berlin 2016, S. 9 - 16, hier S. 12. 31 Gilles Deleuze, „ Postskriptum über die Kontrollgesellschaften “ , in: Gilles Deleuze, Unterhandlungen 1972 - 1990, Frankfurt a. M., S. 254 - 262, hier S. 257. 32 Ebd., S. 257. 33 So bereits Foucaults Bestimmungen 1977 in Michel Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1999, S. 286. 34 Vgl. exemplarisch Guido Lauen, Stadt und Kontrolle. Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten, Bielefeld 2011, darin speziell das Unterkapitel „ Soziale Kontrolle als Mickey-Mouse-Konzept: Disneyfizierung und Themenparks “ , S. 163 - 176. 35 Foucault, Die Geburt der Biopolitik, S. 316. 36 Ebd., S. 373. 37 Ebd., S. 377. 38 Ebd., S. 378. 39 Ebd., S. 381. 40 Ebd., S. 379. 41 Jean-Luc Nancy, Äquivalenz der Katastrophen (Nach Fukushima), Zürich / Berlin 2013, S. 55. 39 Ästhetisierung, Gouvernementalisierung, Chor