eJournals Forum Modernes Theater 27/1-2

Forum Modernes Theater
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2012
271-2 Balme

Jeanette R. Malkin/Freddie Rokkem (Eds.). Jews and the Making of Modern German Theatre. Iowa City: University of Iowa Press, 2010, 304 Seiten.

2012
Miriam Drewes
Schleefs Rehabilitierung des Chors als unentbehrlichen Bestandteil der Bühne in dieser Hinsicht eine vollständige, effektvolle und dauerhafte Verwandlung unseres Theaters in einen realen Versammlungsort. Paris MARIELLE SILHOUETTE Jeanette R. Malkin/ Freddie Rokkem (Eds.). Jews and the Making of Modern German Theatre. Iowa City: University of Iowa Press, 2010, 304 Seiten. Als im Juli 2010 während des XVI. Weltkongresses der International Federation for Theatre Research (IFTR) die Buchpräsentation von Jews and the Making of Modern German Theatre stattfand, war der Hörsaal der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Bersten voll. In der Tat verdient das Vorhaben der Herausgeber Jeanette R. Malkin und Freddie Rokkem, die Rolle von Juden und Nicht-Juden an der Entwicklung eines modernen deutschen Theaters in den Jahren 1871 bis 1933 zu beleuchten, besondere Aufmerksamkeit. Die Beiträge des Bandes halten sich von gesellschaftlichen, historischen und wissenschaftlichen Stereotypen weitgehend fern und öffnen zugleich neue Perspektiven auf das Thema: Dazu gehört die Betrachtung der Zeit vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten ebenso, wie die Korrektur der These von der Mitgestalterrolle der Juden an der deutschen Kultur („contribution history“, S. 3), bis hin zum Verständnis von der jüdischen Bevölkerung als Teil der gesellschaftlichen Gesamtstruktur („part of its fabric“, S. 3). Wichtig zu erwähnen ist zudem, dass es den Herausgebern mit diesem Band erstmals gelungen ist, interkulturelle Perspektiven in einem Sammelband zu vereinen. Tatsächlich bestätigt die Vielzahl der Aufsätze mit den unterschiedlichsten Schwerpunkten und den vielfältigen Zugangsweisen zu diesem Thema nicht nur die (in sich) widersprüchliche Situation jüdischer bzw. nicht-jüdischer Theatermacher im deutschsprachigen Raum, insbesondere in Deutschland und Österreich, die jegliche monokausale Deutung verbietet. Die Breite der Ansätze und Perspektiven vermittelt zudem neue Erkenntnisse über die vielfältigen Verbindungslinien zwischen Juden und Nicht-Juden auf dem Theater sowie deren Wirkung und Rückkoppelungseffekte vom Theater in gesellschaftliche und politische Kontexte. Das Theater als Ort ästhetischer, kultureller, intellektueller und politischer Sinnkonstitution, aber auch als Produktionsstätte mit spezifischen Organisationsstrukturen, vermag auf ganz besondere Weise das komplexe Problem jüdischer Identitätsbildung zu veranschaulichen, was auch an der theatralen Ausdrucksform vom Verstecken und Zeigen, von der Maskerade eines (vermeintlich) Authentischen oder an der flexiblen Binarität von Präsenz und Repräsentation liegen mag. Diese Vielfalt zu vermitteln, versucht beispielsweise der Aufsatz von Anat Feinberg, der überzeugend darlegt, dass das Interesse von Juden am Theater, bei den Machern wie beim Publikum, im Wilhelminismus zwar durchaus auch der Rezeption des bildungsbürgerlichen Kanons, der Texte Lessings, Goethes und Schillers geschuldet war. Vor allem aber seien das Praktizieren von Theater im privaten Familien- und Freundeskreis - wie etwa die Erinnerungen von Sammy Gronemann, Sohn des Hannoverschen Rabbis, zeigen - oder auch die theatrale Komponente religiöser Riten Ursachen für ebenso frühkindliche wie intensive Theatererfahrungen gewesen, die wiederum nicht selten in Berufen mündeten, die mehr oder weniger eng mit dem Theater zu tun hatten. Die Annahme von der Assimilation an ein deutsches Bildungsbürgertum relativiert auch Peter Jelavich, der zwar, wie Feinberg, zugibt, dass vor allem die ethischen Konzepte der deutschen Aufklärung, wie Offenheit, Toleranz und damit auch Pluralität, viele Juden im deutschsprachigen Raum begeistert hätten und weniger die Anpassung an eine (vermeintlich) homogene Vorstellung einer deutschen Kulturnation. Dies verdeutliche die Entwicklung einer pluralen Theaterkultur der so unterschiedlich orientierten Theatermacher Otto Brahm und Max Reinhardt. Deren Ästhetiken wiederum belegten, dass von einer spezifisch jüdischen Ausdruckskultur schlichtweg nicht zu sprechen sei, sondern allenfalls von einem hohen Maß an Sensibilisierung Forum Modernes Theater, 27 (2012 [2016]), 116-117. Gunter Narr Verlag Tübingen 116 Rezensionen und Offenheit für unterschiedliche Theaterinhalte wie Theaterästhetiken, befördert durch die den Juden zugewiesene Außenseiterposition. Eine analoge Vielfalt ist zudem im jiddischen Theater anzutreffen, wie Delphine Bechtel ausführt. Das jiddische Theater, selbst in hochkulturelles Theater und Unterhaltungstheater unterteilt, aber häufig als Theater der Unterprivilegierten wahrgenommen, sei in Wahrheit ein Ort der Versammlung unterschiedlichster kultureller Stile und Sprachen gewesen. Das Theater sei eine Möglichkeit, ein Hybrid an (Sprach- und Sprech-) Stilen nicht nur zu präsentieren, sondern auch zu inszenieren, und werde damit zum bewussten Verhandlungsort einer Vielzahl von Stimmen, das es ermögliche, die ironische Brechung vorgefertigter Haltungen auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft vorzuführen. Dass die Vielzahl dieser Stimmen keineswegs Eintracht innerhalb der jüdischen Gemeinschaft bedeutete, belegt wiederum die Untersuchung von Hans-Peter Bayerdörfer, der am Beispiel des Kabaretts in Berlin und Wien vor 1933 darlegt, dass es innerhalb der „jewish community“ durchaus wechselseitigen Widerspruch gab. Die theatrale Praxis der jungen Kabarettisten, namentlich Walter Mehring und Kurt Tucholsky, belege nicht nur deren reges Interesse an neuen, unkonventionellen Theaterformen. Sie zeige, so Bayerdörfer, auch ein Widerstandspotential gegenüber konventionalisierten Meinungen des jüdischen Establishments von einer angemessenen Auffassung jüdischer Identität in einer sich neu definierenden nationalen Gemeinschaft. Ihre Kritik zielte vor allen Dingen gegen die offensichtlich allzu liberale und auch inaktive Haltung gegenüber einer antijüdischen Propaganda. Auf eine kritische Lektüre monokausaler Deutungsmuster zielt auch Bernhard Greiners Beitrag zur Entwicklung jüdischer Theaterkultur im deutschsprachigen Raum: Das Theater verhandele in Praxis wie Theorie erst seit Ende des 18. Jahrhunderts die Binarität von Realismus und Idealismus, von der faktischen Integration der Juden und deren idealisierter Selbstinterpretation, da die Notwendigkeit einer Anpassung die Frage nach einer idealen jüdischen Identität überhaupt erst als Problem habe aufkommen lassen. Die Sehnsucht nach einer jüdischen Identität, gepaart mit der Ambivalenz jüdischer Selbstwahrnehmung, verdeutlicht wiederum die Analyse von Arnold Zweigs Theaterutopie durch Peter W. Marx: Arnold Zweigs Vorstellung vom Theater als Beitrag zu einer authentischen jüdischen Kultur, wie er sie in dem jüdischen Ensemble aus Vilnius und der Hebräischen Habima zu erkennen glaubte, sei erkauft gewesen durch eine imaginierte Homogenität. Die tatsächliche Interferenz dieser Truppen mit dem nicht-jüdischen europäischen Mainstream-Theater musste Zweig, um dieser Utopie gerecht zu werden, ausblenden. Es scheint, als vermöge das Theater aufgrund seiner binären Disposition von Rolle und Selbst - wie kongruent diese auch immer ausfallen mag - die Frage nach der Identität überhaupt erst in dieser Tiefendimension aufzuwerfen. Sie bildet den Nexus der Beiträge von Jews and the Making of Modern German Theatre. Im Eingangsaufsatz spricht Steven E. Aschheim von den Problemen einer essentialistischen Identitätsrhetorik mit all ihren (tragischen) Konsequenzen. Dabei zeigt sich, dass hier die Debatte um den Anteil einer performativen, also handlungsorientierten Konstruktion von Identität überhaupt erst die Möglichkeit einer kritischen Genealogie essentialistischer und damit eben auch rassistischer Zuweisungen eröffnet. Die Verbindung von Außenseiterposition und theatraler Praxis wirkt hier nicht nur destabilisierend, sondern eben auch produktiv, indem sie die Selbstwie Fremdwahrnehmung in besonderer Weise zu schärfen vermag. Hildesheim MIRIAM DREWES Daniele Daude, Oper als Aufführung - Neue Perspektiven auf Opernanalyse. Bielefeld: transcript Verlag, 2014, 291 Seiten. Neue Perspektiven auf Opernanalyse verspricht Daniele Daude mit ihrer Dissertation Oper als Aufführung. Ihr Ziel ist es, „ein systematisches Instrumentarium zu entwickeln, mittels dessen die Prägungen einer Opernaufführung [. . .] in den Analyseprozess mit einbezogen werden“ (S. 14). Für ihre Untersuchung wählte Daude zwei an der Forum Modernes Theater, 27 (2012 [2016]), 117-119. Gunter Narr Verlag Tübingen 117 Rezensionen