eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 48/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2019-0001
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2019
481 Gnutzmann Küster Schramm

Zur Einführung in den Themenschwerpunkt

2019
Karen Schramm
Max Bechtel
48 (2019) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0001 K AREN S CHRAMM , M ARK B ECHTEL * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 1. Problemaufriss: Funktionen von Videoaufnahmen in der Lehrer(innen)bildung Inspiriert von der videobasierten Lehrer(innen)bildung in anderen Fächern, insbesondere der Mathematik- und Physikdidaktik (z.B. K RAMMER / R EUSSER 2005; K RAMMER et al. 2006; S EIDEL / P RENZEL 2007; D IGEL / S CHRADER 2013; S ONN - LEITNER et al. 2018), exploriert die Fremdsprachendidaktik derzeit Chancen und Grenzen des Videoeinsatzes in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrpersonen (s. einführend K LIPPEL 2016a, K URTZ 2016). Diese Forschungsanstrengungen sind eingebunden in ein neu erwachtes Interesse an der Professionsforschung, das im Zusammenhang mit der Meta-Meta-Analyse von H ATTIE (2008) und seinen Befunden zur Bedeutung der Lehrpersonen für den Erfolg von Unterricht steht. Aktuelle Publikationen zur Professionsforschung wie die von K LIPPEL (2016b), L EGUTKE / S CHART (2016) und B URWITZ -M ELZER / R IEMER / S CHMELTER (2018) dokumentieren die anhaltende intensive Auseinandersetzung der Fremdsprachendidaktik mit erfahrungsbasiertem, reflexivem und forschendem Lernen in der Lehrer(innen)bildung; diese erhält nicht zuletzt auch durch politische Initiativen wie die Qualitätsoffensive Lehrerbildung in Deutschland Aufwind. Innerhalb dieses Rahmens entwickelt sich eine zunehmend auch empirisch verankerte Diskussion speziell zum Videoeinsatz in der fremdsprachendidaktischen Lehrer(innen)bildung, die im Zentrum dieses Themenschwerpunkts stehen soll. Die Funktionen, die Videoaufnahmen fremden und eigenen Unterrichts in der Lehrer(innen)bildung erfüllen können, sind vielfältig (vgl. S CHRAMM 2016). Erstens sind Illustrationen methodischer Verfahren in Lehrfilmen und Beispielausschnitten * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Karen S CHRAMM , Universität Wien, Institut für Germanistik, Porzellangasse 4, A-1090 W IEN . Email: karen.schramm@univie.ac.at Arbeitsbereiche: DaF-Didaktik; DaF-Unterrichtsdiskurs; DaF-Lehrer(innen)bildung; DaF-Curriculumforschung. Prof. Dr. Mark B ECHTEL , Universität Osnabrück, Institut für Romanistik/ Latinistik, Neuer Graben 40, 49074 O SNABRÜCK . Email: mark.bechtel@uni-osnabrueck.de Arbeitsbereiche: Didaktik der romanischen Sprachen; Fremdsprachenlehrer(innen)bildung; Unterrichtsforschung; Interkulturelles Lernen. Videobasierte Lehre in der Fremdsprachendidaktik 4 Karen Schramm, Mark Bechtel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0001 48 (2019) • Heft 1 zur Ausbildung einer Berufssprache im Rahmen von Input-Phasen wie z.B. Vorlesungen zu nennen. Zweitens spielt die Schulung der professionellen Wahrnehmung an fremden Unterrichtsaufnahmen mittels Beobachtungs- und Transkriptanalyseaufgaben eine wichtige Rolle. Drittens kann die Selbstreflexion auf der Grundlage von Mitschnitten eigener Fremdsprachenlehre in individuellen Formaten (z.B. Praktikumsbericht) oder sozialen Interaktionen (z.B. Präsenz- oder virtuelle Videoclubs) initiiert werden. In Anlehnung an P AULI / R EUSSER (2006: 792f.) unterscheiden wir im Folgenden den Einsatz von Videos als Referenzobjekte, als Grundlage der professionellen Reflexion des Lehrerhandelns und als ‚Fälle’; darüber hinaus schneiden wir auch kurz die Funktion von Videos als Grundlage von Evaluation an. Unabhängig von der Funktion erscheinen uns mindestens vier weitere Aspekte für eine entsprechende Typologie zentral, die im Folgenden bei der Diskussion der Funktionen jeweils angerissen werden sollen. • Analysegrundlage - Wird das Video mittels Beobachtung oder Transkriptanalyse ausgewertet? • Kommunikationspartner(innen) - Wird das Video allein oder gemeinsam mit anderen ausgewertet? • Schriftlichkeit/ Mündlichkeit - Wird das Video in schriftlicher oder mündlicher Form ausgewertet? • Kommunikationsmedium - Wird das Video in analoger oder digital vermittelter Kommunikation ausgewertet? 1.1 Videos als Referenzobjekte Wenn Videos als Referenzobjekte Einsatz finden, steht die Verbindung zwischen abstraktem theoretischen Konzept und konkretem unterrichtspraktischen Beispiel zu Zwecken der Illustration im Zentrum. Diese Verbindung wird in Input-Phasen von Expert(inn)en auf der Train-the-Trainer-Ebene wie Hochschullehrenden, Lehrbuchautor(inn)en oder Weiterbildner(inne)n hergestellt und in Übungsphasen von den teilnehmenden Lehrpersonen selbst. Prototypische Beispiele sind im Rahmen eines instruktivistischen Vorgehens wie einer Vorlesung oder eines Lehrbuchs in der ersten Phase der Lehrer(innen)bildung zu finden, in denen die Filmausschnitte genutzt werden, um theoretische Konzepte am konkreten Beispiel auf induktive oder deduktive Weise besser verständlich zu machen. Auch bei Beobachtungsaufgaben, die darauf abzielen, Tiefenstrukturen des Unterrichts zu erkennen und fachterminologisch zu benennen, ist diese Funktion als Referenzobjekt zentral. Der Einsatz von Videos als Referenzobjekte kann... • ... mit oder ohne Transkript erfolgen: Für Makrostrukturen wie z.B. Unterrichtssequenzen eignen sich Transkripte weniger als für Mikrostrukturen wie z.B. die Interaktion bei der mündlichen Fehlerkorrektur. • ... als Selbstlernangebot (z.B. geschlossene Beobachtungsaufgaben mit Lö- Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 48 (2019) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0001 sungsschlüssel) oder in sozialer Interaktion (z.B. gemeinsame Transkriptanalyse) ausgestaltet werden. • ... mündlich (z.B. in Vorlesungen) oder schriftlich (z.B. in didaktischen Einführungswerken) geschehen. • ... in Präsenzveranstaltungen (z.B. Einführungsseminaren) und/ oder digital vermittelter Lehre (z.B. Webinaren) erfolgen. 1.2 Videos als Grundlage der professionellen Reflexion des Lehrerhandelns und als Fälle Werden Videos als Grundlage der professionellen Reflexion des Lehrer(innen)handelns oder als Fälle betrachtet, geht es um mehr als das bloße Erkennen und terminologische Benennen der Tiefenstrukturen, das für den Einsatz von Videos als Referenzobjekte charakteristisch ist. Vielmehr spielt bei der Interpretation einer Videoaufnahme über das wissenschaftliche Wissen hinaus auch das praktische Handlungswissen der teilnehmenden Lehrpersonen eine wichtige Rolle. Wie N ITTEL (1997) mit Blick auf die (nicht videobasierte) Fallarbeit in der Fort- und Weiterbildung von Erwachsenenbildner(inne)n festhält, gilt als Ziel solcher interpretativen Prozesse der Aufbau von Professionswissen: Wissensverwendung auf Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen bedeutet, daß das höhersymbolische Fortbildungswissen nicht in einem Eins-zu-eins-Verhältnis bei den TeilnehmerInnen ankommt, sondern filigranen Reinterpretationsprozessen ausgesetzt wird. Teils wird es mit berufspraktischen Erfahrungen kontrastiert und in eine produktive Beziehung gebracht, teils wird es aber auch umfunktioniert oder abgespalten. Auszugehen ist also von komplexen Transformationsprozessen, die keineswegs einer simplen Rationalität folgen, so daß die weithin unterstellte ‚Transfervariante’ eher als die Ausnahme und nicht als der Regelfall zu gelten hat. [...] Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen nach dem Modell der Interpretationswerkstatt sind prototypische Orte sowohl der Generierung wie der ‚Weitergabe’ von Professionswissen; sie eröffnen einen Raum, wo praktisches Handlungswissen und wissenschaftliches Wissen aufeinander treffen und in Gestalt des Professionswissens in einen anderen Aggregatzustand übergehen (N ITTEL 1997: 144). M ASSLER et al. (2009: 165f.) unterscheiden mit Blick auf den Einsatz von Videos zu solchen Zwecken die folgenden Formate: • Video-Clubs, auch video study groups oder lesson study groups genannt, bieten Lehrenden die Möglichkeit, gemeinsam Videomitschnitte eigenen oder fremden Unterrichts anzusehen. Die Gruppe wird dabei als reflexive Gemeinschaft verstanden. [...] • Video-Analyse-Werkzeuge sind Hypermedia-Programme, die es dem Benutzer erlauben Videomaterial, vorzugsweise sein eigenes, mit Texten (z.B. Transkripten), Bildern oder Kommentaren zu versehen. Ziel ist es, Lehrenden zu einer eigenständigen Analyse des Unterrichts zu verhelfen. [...] • Video-Netzwerke / Videobasierte Lernplattformen binden Software zur Analyse von Unterrichtsvideos in virtuelle Plattformen ein. Dadurch stehen den 6 Karen Schramm, Mark Bechtel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0001 48 (2019) • Heft 1 Benutzern über Netzwerke und das Internet große Mengen an Videos zur gemeinsamen Sichtung, Kommentierung und Bearbeitung zur Verfügung. [...] J ANÍK / M INAŘÍKOVÁ / N AJVAR (2013) schlagen eine ähnlich gelagerte Typologie vor, in der sie die in diesem Abschnitt behandelten Funktionen von Videos als Intervention charakterisieren. Dabei unterscheiden sie (a) die Intervention in professionelles Sehen, (b) die Intervention in professionelles Wissen und (c) die Intervention in professionelles Handeln. Die videobasierte Analyse fremden Unterrichts kann in stärker didaktisierter Form (z.B. Beobachtungsaufgaben) oder weniger stark gesteuerter Form (z.B. schriftliche Annotation, mündliche Interpretationswerkstätten) erfolgen. Dagegen steht bei der Arbeit mit eigenen Unterrichtsvideos meist die (offene) Selbstreflexion der unterrichtenden Lehrperson im Zentrum, die beispielsweise im Rahmen eines Praktikums oder der Erprobung neuer Handlungsmöglichkeiten eigene Unterrichtserfahrungen dokumentiert und reflektiert. Der Einsatz von Videos als Grundlage der professionellen Reflexion des Lehrerhandelns und als Fälle kann... • ... mit oder ohne Transkript geschehen. • ... nach vorgelagerter eigenständiger Interpretation am besten in der sozialen Interaktion vorgenommen werden. Eine entsprechende pragmalinguistische Erforschung der Gespräche über videographierten Unterricht hat inzwischen eingesetzt (z.B. A RYA / C HRIST / C HIU 2014; D OBIE / A NDERSON 2015). • ... im mündlichen Gespräch oder in schriftlichen Reflexionen bzw. Fallanalysen durchgeführt werden. • ... in Präsenzveranstaltungen (Interpretationswerkstätten, Videoclubs) und/ oder digital vermittelter Kommunikationsform (bzw. Blended Learning) erfolgen. Aufgrund des hohen Entwicklungsaufwands von Unterrichtsvideotheken liegt die Kooperation über digitale Netzwerke (z.B. Fall-Laboratorium der AG Videofallarbeit 1 ; Portal der Uni Münster „ProVision“ 2 ) besonders nahe und entwickelt sich derzeit zu einem Forschungsschwerpunkt der videobasierten Lehrer(innen)bildung. 1.3 Videos als Evaluationsgrundlage Eine weitere Einsatzmöglichkeit von Videos in der Lehrer(innen)bildung besteht im Bereich der Evaluation. In dem richtungsweisenden Projekt Lernen aus Unterrichtsvideos (LUV) stand die Kompetenzmessung auf der Grundlage von Video-Ratings im Zentrum (z.B. S EIDEL / P RENZEL 2007). Ebenso können Videoaufnahmen eigenen Unterrichts zur Evaluation und entsprechende Videoportfolios zur Dokumentation der eigenen Lehrkompetenzentwicklung dienen. 1 Vgl. http: / / www.videofallarbeit.de/ . 2 Vgl. https: / / www.uni-muenster.de/ ProVision/ . Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 48 (2019) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0001 Der Einsatz von Videos als Evaluationsgrundlage... • ... ist nach unserer Kenntnis bisher nur auf der Grundlage von Videoaufnahmen (ohne Transkripte) erfolgt. • ... ist in der Tradition akademischer Einzelprüfungen in diesem Format besonders naheliegend; grundsätzlich ist aber auch das videobasierte Testen in sozialer Interaktion denkbar. • ... ist bisher vor allem in digitaler Weise und auf schriftlicher Grundlage erfolgt; grundsätzlich erscheint der Einsatz in traditionellen mündlichen und schriftlichen Prüfungen ebenso möglich. 2. Umsetzungen in der fremdsprachendidaktischen Lehrer(innen)bildung 2.1 Videos als Referenzobjekte in der Fremdsprachendidaktik Videoaufnahmen wurden in der Fremdsprachendidaktik bereits in den 1980er und 1990er Jahren auf eindrückliche Weise als Referenzobjekte in didaktisch-methodischen Lehrfilmen realisiert. Als prominente Beispiele aus der Englischdidaktik seien hier der Lehrfilm Airport. Ein Projekt für den Englischunterricht in Klasse 6 aus dem Jahre 1983 und die von Larsen-Freeman kommentierten Methoden-Illustrationen aus dem Jahre 1990 genannt. Der Film zum Airport-Projekt erläutert das Lernen in Projekten; ein professionelles Filmteam hat eine authentische Klasse im Unterricht und bei einem Ausflug zum Frankfurter Flughafen begleitet, die Aufnahmen geschnitten und als Lehrfilm mit entsprechenden voice-overs mit Informationen zum methodischen Vorgehen aufbereitet (vgl. auch L EGUTKE 2006). Im Gegensatz dazu handelt es sich bei den von Larsen-Freeman in Zusammenarbeit mit dem U.S. Information Agency erstellten Videos aus dem Jahre 1990 um Studioillustrationen von Methoden. 3 Die didaktische Kommentierung erfolgt durch Larsen-Freeman, die in einem kurzen Vorspann Charakteristika der Methode benennt und die Zuschauer(innen) auf bestimmte Ereignisse aufmerksam macht. Deutlich später entwickelte sich in der Fremdsprachendidaktik der Einsatz von Beobachtungsaufgaben, bei denen die (angehenden) Lehrpersonen Tiefenstrukturen des aufgenommenen Unterrichts erkennen sollen. Als Beispiel soll hier das Programm Deutsch Lehren Lernen des Goethe-Instituts dienen, in dem zahlreiche Einführungsbände erschienen sind, die mit Videoillustrationen und Beobachtungsaufgaben arbeiten (vgl. L EGUTKE / R OTBERG 2018). Viele dieser Beobachtungsaufgaben zielen darauf ab, dass die Leser(innen) Konstrukte, die im Lehrbuch vorgestellt werden, in den Unterrichtsmitschnitten wiedererkennen. Charakteristisch dafür sind geschlossene Formate, wie sie das Beispiel der Aufgabe in Abbildung 1 (  S. 8) zu verschiedenen Typen der mündlichen Fehlerkorrektur zeigt. 3 Vgl. https: / / www.youtube.com/ watch? time_continue=6&v=Pz0TPDUz3FU. 8 Karen Schramm, Mark Bechtel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0001 48 (2019) • Heft 1 Abb. 1: Beispiel für geschlossene Video-Aufgabe in „Deutsch Lehren Lernen 4“ (F UNK et al. 2014: 79) 2.2 Videos als Reflexionsgrundlage und als Fälle in der Fremdsprachendidaktik Der Einsatz von Videos als Reflexionsgrundlage oder als Fälle (z.B. B IRNBAUM / K UPKE / S CHRAMM 2016; D IENER 2016; I MGRUND 2013; N IESEN 2017) knüpft in der Fremdsprachendidaktik an eine lange Tradition der Reflexion von Unterricht an (vgl. F ARRELL 2015). Abbildung 2 (  S. 9) zeigt eine offene Video-Transkript- Aufgabe, die als Beispiel für einen videobasierten Reflexionsimpuls gelten kann. Die in diesem Themenschwerpunkt vorgestellten Studien von B ECHTEL / M AYER , G IEßLER und J ANÍK / J ANÍKOVÁ zeigen entsprechende fremdsprachendidaktische Seminarkonzeptionen, bei denen die Autor(inn)en das Konstrukt der professionellen Unterrichtswahrnehmung (s. dazu einführend W EGER in diesem Heft) in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 48 (2019) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0001 Abb. 2: Beispiel für offene Video-Transkript-Aufgabe aus „Deutsch Lehren Lernen 15“ (F EICK / P IETZUCH / S CHRAMM 2013: 59) Was die Arbeit mit eigenen Videos betrifft, so sind als Pionierarbeiten in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik insbesondere die Arbeiten von W IPPERFÜRTH (s. Beitrag in diesem Heft) anzuführen, die einen Videoclub von Englisch-Lehrpersonen initiierte und erforschte, der sich auf der Grundlage von Transkripten über Ausschnitte eigenen Unterrichts austauschte (zu einem ähnlichen Vorgehen vgl. auch S CHWAB 2014); eine weiterführende Analyse der Aufnahmen aus diesem Videoclub stellt sie in diesem Themenschwerpunkt vor. D AWIDOWICZ et al. (2017) erläutern eine Konzeption für ein internationales DaF-Lehrpersonen- Netzwerk zum Extensiven Lesen, das sich per social video software austauscht. Auch die in diesem Themenschwerpunkt vorgestellte Studie von D AWIDOWICZ fokussiert das Lernen aus eigenen Videos in einem internationalen und digital vermittelten Kommunikationsrahmen. 2.3 Videos als Evaluationsgrundlage in der Fremdsprachendidaktik Uns sind keine Erfahrungen mit der Evaluationsfunktion von Videos in der fremdsprachendidaktischen Lehrer(innen)bildung bekannt, aber erfreulicherweise wird an der Universität Bielefeld derzeit im Rahmen des Projekt DazKom-Video 4 ein solches Instrument entwickelt. 4 Vgl. https: / / www.uni-bielefeld.de/ erziehungswissenschaft/ ag4/ projekte/ dazkom-video.html. 10 Karen Schramm, Mark Bechtel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0001 48 (2019) • Heft 1 3. Fragestellungen und Beiträge dieses Themenschwerpunkts Vor diesem Hintergrund präsentieren wir in diesem Themenschwerpunkt Studien aus der sich aktuell entwickelnden fremdsprachendidaktischen Forschungslandschaft zu diesen Themenfeldern. Die ausgewählten Beiträge, die im Vorfeld auf einem Symposium an der Universität Osnabrück mit dem Titel „Videoeinsatz in der fremdsprachlichen LehrerInnenbildung“ auf Einladung von Mark B ECHTEL in Zusammenarbeit mit Karen S CHRAMM präsentiert und diskutiert wurden, fokussieren insbesondere folgende Fragenstellungen: • Aufgabenformate in der videobasierten Lehrer(innen)bildung: Welche Aufgabenformate (z.B. Beobachtung, Annotation, Transkriptanalyse) eignen sich zur Entwicklung bestimmter Fremdsprachenlehrkompetenzen? Welchen Prinzipien folgen die jeweiligen Aufgabenformate? • Blended Learning in der videobasierten Lehrer(innen)bildung: Welche Blended-Learning-Formate erweisen sich als geeignet für die videobasierte Fremdsprachenlehrer(innen)bildung? • Gesprächsführung in der videobasierten Lehrer(innen)bildung: Welche pragmalinguistischen Einsichten in die diskursive Beschaffenheit gelingender Gespräche über videographierten Fremdsprachenunterricht liegen vor? Welche Empfehlungen lassen sich auf dieser Grundlage für das Arrangement entsprechender Lernsettings in der Fremdsprachenlehrer(innen)bildung ableiten? Der erste Beitrag von D ENIS W EGER verfolgt den Begriff der professionsspezifischen Wahrnehmung (professional vision) von seinem Ursprung in der linguistischen Anthropologie in die aktuelle Lehrer(innen)bildungsdiskussion. Er zeigt auf, dass das Konstrukt sich in aktuellen Untersuchungen zur videobasierten Lehrer(innen)bildung als Indikator für professionelle Kompetenz etabliert hat und gibt einen fremdsprachendidaktisch motivierten Überblick über Studien zur Förderung der professionsspezifischen Wahrnehmung. Auf dieser Grundlage fokussieren die Beiträge von R ALF G IEßLER (am Beispiel der Englischdidaktik), M ARK B ECHTEL und C HRISTOPH M AYER (am Beispiel der Französischdidaktik) sowie von M IROSLAV J ANÍK und V ĚRA J ANÍKOVÁ (am Beispiel der DaF-Didaktik) die Arbeit mit fremden Videoaufnahmen in der ersten Ausbildungsphase von Fremdsprachenlehrpersonen. In einer Mehrfachfallstudie untersucht G IEßLER die Eignung verschiedener schriftlicher Aufgabenformate für die Erfassung und Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung im Bereich der Wortschatzarbeit. Im Zentrum seiner inhaltsanalytischen Auswertungen steht die Frage, welcher Grad an Strukturiertheit von Beobachtungsprompts für bestimmte Ziele vielversprechend erscheint. Nach einer Bestimmung des Verhältnisses zwischen den Konstrukten der professionellen Unterrichtswahrnehmung und der Selbstreflexion untersuchen B ECHTEL / M AYER in einer Einzelfallanalyse inhaltsanalytisch, wie schriftliche Beobachtungs- Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 11 48 (2019) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0001 aufgaben professionelle Unterrichtswahrnehmung und Selbstreflexion im Bereich des Hörverstehens anregen. J ANÍK / J ANÍKOVÁ untersuchen die Eignung einer selbst entwickelten videobasierten Online-Plattform für die Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Studierenden im Bereich der Aufgabenstellung, der Vermittlung kommunikativer Fertigkeiten sowie sprachlicher Mittel. In ihrer im Prä-Post-Design angelegten Vorstudie werten sie inhaltsanalytisch aus, inwiefern sich die professionelle Unterrichtswahrnehmung entwickelt und welchen Einfluss dabei die Gelenktheit der Beobachtung hat. Die letzten beiden Beiträge fragen nach dem Potenzial von Gesprächen über eigene Videos. In einer emischen Studie nutzt M ARTA D AWIDOWICZ den Referenzrahmen von VAN E S (2012) für die Entwicklung von Lehrer(innen)-Lerngemeinschaften in einem Videoclub, um Gelingensbedingungen für Gespräche über eigene Unterrichtsvideos zu untersuchen. Auf der Basis von Interviews und schriftlichen Reflexionen arbeitet sie insbesondere heraus, welche Merkmale von videobasierten Gesprächen DaF-Lehrende als (nicht) lernförderlich betrachten. M ANUELA W IPPERFÜRTH fragt in ihrem Beitrag nach den verschiedenen Wissensarten, die bei Videoclub-Gesprächen von erfahrenen Lehrpersonen zusammenfließen; dabei betont sie besonders die Unterschiede zu Ausbildungssituationen von angehenden Lehrpersonen. An einem Transkriptbeispiel zeigt sie auf, wie diese verschiedenen Wissensarten in der Interaktion sprachlich verhandelt werden, und leistet damit einen wichtigen Beitrag zu einem besseren Verständnis von ko-konstruktivem Wissensaufbau in der Lehrer(innen)bildung. Somit stellt dieser Themenschwerpunkt den Versuch dar, ein in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik aktuell entstehendes Praxis- und Forschungsfeld der Lehrer(innen)bildung in ersten Umrissen abzubilden und auf diese Weise Orientierungspunkte für die derzeit in größerem Umfang einsetzende Diskussion zu bieten. Literatur A RYA , Poonam / C HRIST , Tanya / CHIU, Ming Ming (2013): „Facilitation and teacher behaviors. An analysis of literacy teachers’ video-case discussions“. In: Journal of Teacher Education 65.2, 111-127. B IRNBAUM , Theresa / K UPKE , Juana / S CHRAMM , Karen (2016): „Das SERA/ ESRA-LehrerInnenbildungsmodell revisited: Konzeption und Evaluation einer Weiterbildungsreihe zur Sprachsensibilisierung von Lehrpersonen in der beruflichen Qualifizierung“. In: K LIPPEL , Friederike (Hrsg.): Teaching languages - Sprachen lehren. Münster: Waxmann, 145-161. B URWITZ -M ELZER , Eva / R IEMER , Claudia / S CHMELTER , Lars (Hrsg.) (2018): Rolle und Professionalität von Fremdsprachenlehrpersonen. Tübingen: Narr. 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