eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 47/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
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Narr Verlag Tübingen
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2018
472 Gnutzmann Küster Schramm

Frank RABE: Englischsprachiges Schreiben und Publizieren in verschiedenen Fachkulturen: Wie deutschsprachige Forscher mit der Anglisierung der Wissenschaftskommunikation umgehen. Tübingen: Narr Francke Attempto 2016, 375 Seiten [68,– €]

2018
Julia Hüttner
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 145 47 (2018) • Heft 2 der z.T. durch einen Bildimpuls ergänzt wird. Für die Aufbereitung der Daten kommt neben einer Transkriptionssoftware auch die Software KWIC Concordance for Windows zum Einsatz, die u.a. die Gesamtzahl der vorkommenden tokens, die Zahl der geäußerten types und deren Relation angibt und somit die Basis für die Auswertung darstellt. Die Ergebnisse sind auf den ersten Blick wenig überraschend: So steigt z.B. die Anzahl der tokens und der types auf Spanisch vom Messzeitpunkt 1 zum Messzeitpunkt 3 im zweiten Lernjahr an (vgl. 205), die Probandinnen des dritten Lernjahres verfügen sowohl über eine flüssigere Verwendung des Spanischen als auch über eine größere Wortschatzvielfalt als diejenigen des zweiten Lernjahres, so dass sich diese Lerngruppe „am monolingual ausgeprägten Ende des language mode continuums ansiedelt“ (212). Da die Unterrichtsbeobachtungen und die schriftlichen Überprüfungen die höchsten Zeitbzw. Itemanteile bei den grammatischen Strukturen (insbesondere im Verbalbereich) verzeichnen, wurde die Lernersprache auch auf diese Aspekte hin untersucht: Die Gruppenergebnisse zeigen, dass sowohl die Anzahl finiter Verbformen (in absoluten Zahlen) als auch die zielsprachenadäquate Verwendung (in Prozenten) in beiden Lernjahren mit der Zeit von 233 auf 960 bzw. von 80 auf 98 Prozent ansteigt (vgl. 217f.). Allerdings machen die Tabellen und die Kommentierungen hinsichtlich der individuellen Ergebnisse der Probandinnen in Kapitel 5.4.2 deutlich, dass lediglich das Indikativ Präsens und das indefinido weitgehend als erworben gelten können. Tabelle 114 zeigt darüber hinaus zusammenfassend, dass auch am Ende des dritten Lernjahres die meisten Vergangenheitszeiten bei den Probandinnen als nicht erworben eingestuft werden müssen (vgl. 246). In Kapitel 6 erfolgt schließlich eine resümierende Ergebnistriangulierung. Die Untersuchungen der Verfasserin zeigen, dass insgesamt eine geringe Übereinstimmung zwischen vermittelten, überprüften und erworbenen Verbalstrukturen im Spanischunterricht existiert: Das Konstrukt Grammatik definiert sich im Unterricht und in den Überprüfungen als explizites, deklaratives Regelwissen - die spontane Lernersprachenproduktion erfordert demgegenüber aber ein implizites, prozedurales Anwenden von Sprachstrukturen! Die Verfasserin sieht in der Entschleunigung sowohl des Unterrichts als auch von Überprüfungen eine denkbare Lösung (vgl. 278). Der Vorschlag wird allerdings leider nicht näher ausgeführt, so dass m.E. am Ende des Werkes konkrete unterrichtsmethodische Alternativvorschläge fehlen, mit deren Hilfe die gewünschte Konstruktvalidität hergestellt werden könnte. Diese wiederum würde dazu führen, dass die im Unterricht vermittelten und überprüften Strukturen von den Probanden auch tatsächlich erworben werden (könnten). Die Untersuchungsergebnisse sprechen eine klare Sprache, allerdings können sie allenfalls eine (häufig beklagte) Tendenz bekräftigen. Zur Untermauerung sind daher zukünftig das Einbeziehen mehrerer Schultypen und mehrerer Lehrpersonen erforderlich, um Aussagen auf einer breiteren empirischen Basis machen zu können. Wuppertal M ARCUS B ÄR Frank R ABE : Englischsprachiges Schreiben und Publizieren in verschiedenen Fachkulturen: Wie deutschsprachige Forscher mit der Anglisierung der Wissenschaftskommunikation umgehen. Tübingen: Narr Francke Attempto 2016, 375 Seiten [68,- €] Die zentrale Bedeutung des Englischen als Wissenschaftssprache wird zumeist als unabdingbare Konsequenz einer fortschreitenden Internationalisierung des Wissenschaftsbetriebes beschrieben, die sich sowohl in vermehrter Publikationstätigkeit auf Englisch als auch in steigenden Kursangeboten in englischer Sprache an Universitäten außerhalb des englischsprachi- 146 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 47 (2018) • Heft 2 gen Raums zeigt. Dieser Trend wird von zahlreichen Akteuren im tertiären Bildungswesen in nicht-anglophonen Ländern, wie Deutschland, positiv konnotiert, wobei u.a. die größere internationale Wahrnehmung lokaler Wissenschaftler(innen) vorangestellt wird. Allerdings gibt es neben positiven und neutral beobachtenden Stimmen natürlich auch kritische Positionen, die den Verlust etablierter Nationalsprachen in der Wissenschaftsdomäne befürchten. Generell ist zu beobachten, dass sich hinter dieser Beschreibung einer globalen Anglisierung Praktiken und Sichtweisen abzeichnen, die geographisch und fachlich oft erheblich voneinander abweichen und deren detaillierte Erforschung bisher eher wenig Beachtung gefunden hat. Der vorliegende Band leistet einen wichtigen Beitrag zu einem differenzierteren Verständnis des Phänomens der Anglisierung in Bezug auf die Schreib- und Publikationspraktiken deutscher Wissenschaftler(innen). Durch einen klaren Fokus auf die Deutsche Forschungsgemeinschaft und eine Aufgliederung auf verschiedene Fachrichtungen und Stadien beruflicher Entwicklung wird der Komplexität des Themenbereichs Rechnung getragen. Das Augenmerk auf Deutschland erscheint besonders gerechtfertigt, da es ein stellvertretendes Fallbeispiel eines Landes mit starker nationalsprachlicher Wissenschaftstradition darstellt, das gleichzeitig eindeutig ein wichtiger internationaler Akteur im Wissenschaftsbetrieb ist. Die vorgestellte Forschungsarbeit untersucht die Sichtweisen deutschsprachiger Wissenschaftler(innen) auf Anglisierungsprozesse und -praktiken in der akademischen Schreibkultur, wobei soziokulturelle Dimensionen wissenschaftlichen Schreibens in den Vordergrund gestellt werden. Als Datenbasis dient ein Korpus von 36 Leitfadeninterviews, von dem wiederum ein Teilkorpus, das 24 Interviews mit Forscher(inne)n der Fachrichtungen Biologie, Geschichtswissenschaften, germanistische Linguistik und Maschinenbau umfasst, als Grundlage der Kapitel 4.1 und 5.2 verwendet wurde. Diese Arbeit ist in sieben Kapitel aufgeteilt und diskutiert zunächst die Situation des Englischen als globale Wissenschaftssprache diskutiert (Kap.1). In diesem Zusammenhang ist die Diskussion der Vielfältigkeit der deutschen Publikationslandschaft, u.a. mit Augenmerk auf die Bedeutung von Sammelbänden und Monographien, besonders positiv zu erwähnen. Im 2. Kapitel werden die analytischen Konzeptualisierungen einer soziokulturellen Sicht auf wissenschaftliches Schreiben besprochen, und zwar v.a. anhand der beiden Konstrukte Diskursgemeinschaft und Praxisgemeinschaft. Der gegebene Fokus auf Schreibprozesse wird so theoretisch gut untermauert und es wird eine hilfreiche Einteilung verschiedener Fachrichtungen (vgl. Abb. 5) vorgeschlagen. Eine klarere Positionierung subjektiver Theorien bzw. auch von Sprachideologien als gemeinschaftsbildender Teil wäre hier wohl hilfreich gewesen, dennoch besticht dieser Teil durch eine überzeugende Darstellung komplexer Inhalte und durch die Breite der diskutierten Themen. Kapitel 3 (inkl. Anhänge) beschreibt die empirische Interviewstudie mit detaillierten Informationen zu Forschungs- und Analysemethoden und zeigt modellhaft, wie eine Interviewstudie konzipiert und analysiert werden kann. Einzig eine genauere Beschreibung der geographischen und institutionellen Verortung der Studienteilnehmer(innen) wäre interessant gewesen, v.a. auch in Bezug auf das Vorhandensein weiterer Internationalisierungsprozesse, wie z.B. englischsprachiger Studiengänge, an den jeweiligen Heimatuniversitäten. Da diese Studie Teil eines größeren Forschungsprojektes ist (Publish in English or Perish in German), wären entweder in diesem oder einem späteren Kapitel ausführlichere Hinweise zu den Forschungsergebnissen anderer Teilprojekte, v.a. der Befragungsresultate der Herausgeber(innen), bereichernd gewesen. Die Forschungsergebnisse werden in den Kapiteln 4 bis 6 behandelt. Der erste Themenkomplex befasst sich mit Anforderungen und Ressourcennutzung und gliedert sich in strategische, sozio-akademische und technische Ressourcen, die Wissenschaftler(innen) zur Erstellung einer englischsprachigen Publikation ihrer Forschung nutzen. Die Interviewpartner(in- Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 147 47 (2018) • Heft 2 nen) begründeten ihre als unterschiedlich empfundenen Anforderungen beim fremdsprachlichen Schreiben durch den Grad der Normativität der geforderten Textsorten. Während in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern die als formelhafte Textualisierungsmuster wahrgenommene Schreibpraxis in etablierten Zeitschriften als Unterstützung aufgefasst wird, beobachten Geschichtswissenschaftler(innen) durch die höhere Variabilität der geforderten Textsorten auch gesteigerte Anforderungen an sie als Autor(inne)n. Neben weit verbreiteten Ressourcen wie Korrekturleser(innen), online-Wörterbüchern und Fachliteratur erscheint hier die Praxis der befragten Biolog(inn)en eines Schreibens im Team von besonderem Interesse zu sein, wobei je nach Expertise komplementäre Schreibaufgaben erfüllt werden. Hierdurch wird ein Lernprozess der Doktorand(inn)en, ausgehend von einer legitimate peripheral participation, ermöglicht, bei dem muttersprachlicher Korrektur in diesem äußerst internationalen Fachbereich keine Rolle mehr zuteil wird. Kapitel 5 umfasst Themenkomplex II: Einstellungen und Sichtweisen und ist m.E. das gelungene Kernstück dieser Arbeit. Hier werden die Perzeptionen der Interviewteilnehmer(innen) in Bezug auf Muttersprachler(innen) des Englischen oder des Deutschen im Gebrauch des Englischen, sowie allgemeinere Sichtweisen zu diesen beiden Wissenschaftssprachen, besprochen. Die vielschichtigen Wahrnehmungen, die die Einstellungen prägen, werden genau aufgearbeitet, wodurch ein nuanciertes Bild der Ambivalenz gezeichnet wird, die deutsche Forscher(innen) empfinden. So werden unterschiedliche Positionen zu verschiedenen wissenschaftlichen Funktionen des Englischen vertreten, das als Publikationssprache als nützlich oder gar unvermeidbar beschrieben wird. Eine Notwendigkeit (oder Sinnhaftigkeit) einer expliziten Förderung des Deutschen wird in diesem Kontext nicht gesehen. Als Unterrichtssprache in Deutschland wird dem Englischen jedoch aufgrund fehlender kommunikativer Authentizität nur sehr begrenzt eine Rolle zugesprochen. In der Reflexion ihrer Position als nicht-muttersprachliche wissenschaftliche Autor(inn)en auf Englisch sind sich die Teilnehmer(innen) zwar einig, dass dadurch ein empfundener Mehraufwand entsteht, aber dennoch gibt es auch positive Wahrnehmungen der eigenen wissenschaftlichen Zweisprachigkeit und der damit einhergehenden breiteren Forschungsbasis, v.a. bei den Geschichtswissenschaftler(inne)n. Leider wird in der Diskussion zu (Nicht-)Muttersprachlichkeit in der englischsprachigen Wissenschaftslandschaft die Forschung zu English as a lingua franca nicht explizit erwähnt, was in Anbetracht der wachsenden Beiträge aus dieser Forschungsrichtung und auch der Übernahme des Begriffes selbst durch Laien verwundert. So meint ein interviewter Physikprofessor, wohl auch teilweise mit negativer Konnotation: „dieses Fachenglisch […] ist scientific pidgin. Das ist nicht mehr Englisch. […] es [ist] wirklich Lingua Franca geworden“ (S. 217). Die Diskussion hätte hier sicherlich durch eine nähere Besprechung dieser Forschungsrichtung in einem konzentrierten Abschnitt gewonnen. In Kapitel 6 wird der dritte Themenkomplex Ausbildung und Sozialisiation behandelt und es werden die von den Teilnehmer(inne)n genannten Maßnahmen zur Unterstützung der Nachwuchswissenschaftler(innen) sowie Einstellungen zur sprachlich-fachlichen Sozialisation junger Akademiker(innen) besprochen. Hier zeigt sich, dass die Teilnehmer(innen) v.a. dem sogenannten „learning by doing“ große Bedeutung beimessen und geleitetete, kooperative Aktivitäten, wie z.B. gemeinsames Präsentieren und Publizieren, als besonders zweckmäßig erfahren. Andererseits wird wissenschaftlichen Sprach- und v.a. Schreibkursen eine komplementäre, ebenso wichtige Rolle zugesprochen, wobei es hier generell als notwendig erachtet wird, dass eine klare fachspezifische Ausrichtung erfolgt. Die Anwendung des Konzepts der Praxisgemeinschaft als Erklärungsmodell für wissenschaftliche Sozialisation ist schlüssig, allerdings wäre hier eine breitere Diskussion der zahlreichen Forschungsbeiträge zu studentischem Schreiben, akademischem Schreibunterricht und ggf. auch akademischer Sprachsozialisation wünschenswert gewesen. 148 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 47 (2018) • Heft 2 Das letzte Kapitel (Fazit und Ausblick) bietet eine klare Zusammenfassung der Kernergebnisse der Arbeit und einen interessanten Ausblick auf weitere mögliche Forschungsfragen. Die korrekte Einschätzung, dass einer verstärkt englischsprachigen Publikationspraxis in vielen, v.a. naturwissenschaftlichen und technischen Fächern eine dezidiert mehrsprachige Wissenschaftspraxis gegenübersteht, findet bereits in Modellbildungen zum englischsprachigen Unterricht an mehrsprachigen Universitäten ihren Niederschlag und wird sicherlich noch weitere Forschungsarbeit generieren. In Summe zeichnet der vorliegende Band ein nuanciertes Bild der wissenschaftlichen Schreibpraxis deutscher Wissenschaftler(innen), die (auch) auf Englisch publizieren. Die Erkenntnisse der detaillierten Analyse der Sichtweisen dieser Forscher(innen) sind - neben einem linguistischen Fachpublikum - auch für universitäre Führungskräfte, v.a. jene zuständig für internationale Agenden, eine höchst empfehlenswerte und lesbare Lektüre. Wien J ULIA H ÜTTNER