eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 47/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2018
472 Gnutzmann Küster Schramm

Der Companion zum GeR 2017 – eine gelungene sprachenpolitische Initiative?

2018
Karin Vogt
Hans-Jürgen Krum
47 (2018) • Heft 2 Der Companion zum GeR 2017 - eine gelungene sprachenpolitische Initiative? Im September 2017 wurde der neue Companion to the CEFR nach einem dreijährigen, mehrstufigen Entstehungsprozess mit zahlreichen Konsultationen von Institutionen und Experten veröffentlicht. Er sollte zum einen auf veränderte Bedingungen und Bedürfnisse von mehrsprachigen und mehrkulturellen Gesellschaften eingehen und zum anderen die pädagogischen Visionen von Lernenden als sozial Handelnden ausschärfen. Kritik bzgl. fehlender oder unvollständiger Konzepte (Sprachmittlung, Onlinekommunikation, Rezeption literarischer Texte) wurde aufgegriffen, indem Skalen und Deskriptoren ergänzend oder neu entwickelt wurden. Insbesondere in den weit verzweigten Skalen zu Sprachmittlung (Englisch: Mediation) wird ein Verständnis des Sprachhandelnden deutlich, der auf allgemeine und sprachliche Kompetenzen sowie mehrsprachige und -kulturelle Ressourcen zurückgreift, um Aufgaben zu erledigen. Die pädagogische Vision des Companion ist beeindruckend und orientiert sich an den veränderten Realitäten von Mehrsprachigkeit und -kulturalität. Gesellschaften und Lerngruppen sind plurilingual und plurikulturell, diesem muss Rechnung getragen werden etwa durch language across the curriculum und das Aufgreifen und die Aufwertung mehrsprachiger Ressourcen in institutionellem Fremdsprachenunterricht. Bei Lernenden vorhandene plurikulturelle Kompetenzen sollen aufgewertet werden und damit zu einer inklusiven Gesellschaft beitragen. Dies ist im deutschsprachigen Raum vor dem Hintergrund einer Interkomprehensionsdidaktik oder vorhandener Konzepte des sprachsensiblen Fachunterrichts nicht neu, stellt aber dennoch eine Herausforderung in der Praxis dar, die mitunter weit hinter diesen ehrgeizigen Zielen zurück liegt. Auch die Rolle der Fremdsprache als Unterrichtsfach ist nicht hinreichend geklärt. Der Companion trägt dazu bei, auf der Basis einer Bedarfsanalyse Kompetenzprofile zu beschreiben und weniger Kompetenzniveaus festzulegen - auch dies ist nicht gänzlich neu. Herausforderungen bestehen bei der Implementierung der pädagogischen Vision des Companions. Ein Paradigmenwechsel kann nur mit Hilfe aller Beteiligten umgesetzt werden und so bedarf es bezogen auf den institutionellen (Fremd-)Sprachenunterricht neben vermehrter Anstrengungen zur Lehrerbildung in allen Phasen auch der Mitarbeit durch die Schulverwaltung, Eltern und Lernende. Gut ist das Augenmerk auf dem aufgabenorientierten Lernen und Lehren von Sprachen im Sinne von transversalen Kompetenzen und weniger auf dem Assessment. Besonders bezogen auf die Bewertung von multidimensionalen Konstrukten wie Sprachmittlung jedoch besteht eine große Diskrepanz zwischen den (formativ orientierten) Möglichkeiten der Bewertung von Sprachmittlung und den Erfordernissen bzw. Bedürfnissen des Marktes nach einer standardisierten Evaluation durch externe Tests. Andererseits kann man hier eine Chance für den vermehrten Einsatz und die Aufwertung formativen Assessments sehen, insbesondere in sehr testorientierten Kontexten. Trotz aller Herausforderungen und Problemanzeigen versucht der Europarat mit dem Companion to the CEFR neuen Gegebenheiten und Entwicklungen Rechnung zu tragen, um das Sprachenlernen zu modernisieren, was für sich genommen als positiv zu werten ist. Heidelberg K ARIN V OGT Pro und Contra 131 47 (2018) • Heft 2 Dass der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GER) schon in der ursprünglichen Form beides ist, ein starker positiver Impuls für den Fremdsprachenunterricht und die Fremdsprachendidaktik und zugleich ein Ärgernis, vor allem wegen seiner politischen Vereinnahmung und einseitigen Verwendung, bei der es nicht um individuelle Sprachenprofile und autonome Lernende geht, sondern um starre Niveaustufen, die zur systematischen Ausgrenzung und Diskriminierung von Migrant(inn)en und Flüchtlingen führen, ist seit langem bekannt. In Österreich z.B. sollen nach einem Regierungsbeschluss vom Mai 2018 Migrant(inn)en, die keine Deutschprüfung auf dem Niveau B1 vorweisen können, nur noch eine erheblich reduzierte Mindestsicherung erhalten; in zahlreichen europäischen Ländern, Deutschland und Österreich eingeschlossen, sind Familiennachzug und Aufenthaltsbewilligung vom Bestehen von Sprachprüfungen auf einer bestimmten Niveaustufe des GERs abhängig. All dies widerspricht den Intentionen, mit denen der Europarat den Referenzrahmen entwickelt und publiziert hat - insofern wäre zu hoffen und zu erwarten gewesen, dass dem bei einer Bearbeitung oder Erweiterung Rechnung getragen wird. Genau das aber passiert leider nicht. Zugegeben, die Erweiterung nimmt einige bedeutsame Ergänzungen vor: Präzisierung vieler Deskriptoren und eine neue Niveaustufe Pre-A1 sowie zu Mediation und Phonologie, hilfreiche Erläuterungen zur Verwendung des GERs, auch der Möglichkeiten der Profilbildung. Aber auf die grundsätzliche Kritik und den sprachenpolitischen Missbrauch geht nicht einmal ein Vorwort ein. Manche der Einwände gelten für die Erweiterung in verstärktem Maße: die unterschwellige Orientierung am Native Speaker (genauer P ITZL 2015); das klingt bei den neuen Deskriptoren für Literatur dann eher wie eine Abituraufgabe als eine Kompetenzbeschreibung: Can outline his/ her interpretation of a character in a work; their psychological/ emotional state, the motives for their actions and the consequences of these actions (C1). Vor allem die Deskriptoren für die neu aufgenommenen Bereiche Building on pluricultural repertoire, Plurilingual comprehension und Building on plurilingual repertoire fallen hinter den Diskussionsstand im Fach zurück - von wenigen Ausnahmen abgesehen bleibt es bei einem Nebeneinander von ‚Sprache A‘ / ‚Sprache B‘ bzw. zwei Kulturen. Der Verzicht auf die Komplexität des Referenzrahmens für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen ist nicht gelungen. Der Irrglaube, man könne das menschliche Miteinander und die Diversität der Lernsituationen präzise vermessen und nach sauber abprüfbaren Niveaustufen 1 - 6 gradieren, herrscht ohne Selbstzweifel. Dem weiteren Missbrauch des Referenzrahmens für Segregation bleibt damit - jetzt in erweiterter Form! - Tor und Tür geöffnet. Schade, dass der Appell der französischen Fremdsprachenverbände, die Ergänzung auszusetzen und erst einen viel breiteren und wirklich öffentlichen Fachdiskurs zu führen, nicht gehört wurde. Eigentlich verträgt sich das nicht mit den menschenrechtlichen Zielen und der auf Integration gerichteten Politik des Europarats. Wien H ANS -J ÜRGEN K RUMM