eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 47/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2018
472 Gnutzmann Küster Schramm

Aufgabenorientierung in der sprachdidaktischen Hochschullehre

2018
Bernd Tesch
Linda Pelchat
Marta Ulloa
47 (2018) • Heft 2 © 2018 Narr Francke Attempto Verlag B ERND T ESCH , L INDA P ELCHAT , M ARTA U LLOA * Aufgabenorientierung in der sprachdidaktischen Hochschullehre Ein Projekt zur Förderung von Studierendenautonomie durch Praxisseminare Abstract. It is not unusual that university students even in subject-didactic teaching complain of a lack of interaction, an excess of theoretical input and an insufficient supply with regard to classroom practices. A still prevailing script in many seminars reportedly consists of an introduction given by the lecturer, the issuing of presentation topics, talks given by students and finally a written exam or a thesis. In the light of those reports, an innovative project has been conceived at the chair for the didactics of Romance languages at the University of Kassel based on the implementation of task-based teaching and learning in the field of foreign language academic teaching. The main objective consists of directly relating didactic theory to practice through the development and the practical trial of tasks in school classes and thus enhancing autonomous and reflective pedagogical acting. The present paper presents the conception, the implementation and the evaluation of the project. 1. Einleitung Die Aufgabenorientierung stellt begleitend zur Kompetenzorientierung nicht nur ein tragendes Unterrichtskonzept, sondern auch ein innovatives Konzept der Lehramtsbildung dar. Lernaufgaben (z.B. H ALLET 2012; M ÜLLER -H ARTMANN / S CHOCKER / * Korrespondenzdressen: Prof. Dr. Bernd T ESCH , Institut für Romanistik, Universität Kassel, Kurt- Wolters-Str. 5, 34125 K ASSEL . E-Mail: tesch@uni-kassel.de Arbeitsbereiche: Fremdsprachenlehr- und -lernforschung, Aufgaben- und Aufgabenbearbeitungsforschung, Unterrichtsforschung. Linda P ELCHAT , Institut für Romanistik, Universität Kassel, Kurt-Wolters-Str. 5, 34125 K ASSEL . E-Mail: pelchat@uni-kassel.de Arbeitsbereiche: Schreibforschung. Marta U LLOA , Institut für Romanistik, Universität Kassel, Kurt-Wolters-Str. 5, 34125 K ASSEL . E-Mail: marta.ulloa@uni-kassel.de Arbeitsbereiche: Didaktische Textkompetenz von Lehramtsstudierenden. N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l 100 Bernd Tesch, Linda Pelchat, Marta Ulloa 47 (2018) • Heft 2 P ANT 2013; T ESCH / L EUPOLD / K ÖLLER 2008; T ESCH 2010) sind fester Bestandteil der Didaktik des kompetenzorientierten Fremdsprachenunterrichts und werden fächerübergreifend zu Recht als „Katalysatoren für Lernprozesse“ (T HONHÄUSER 2008) bezeichnet. Im Bereich der Fremdsprachen geht ihre Konzeption auf das Vorbild der tasks und deren Rolle im task-based teaching and learning zurück. Task-based learning (z.B. E LLIS 2003; E STAIRE 2007; N UNAN 1989, 2004; W ILLIS 1996) breitete sich seit den frühen 1990er Jahren zunächst in den angelsächsischen Ländern und in Spanien aus, seit etwa 2005 auch in Deutschland. Im Kern geht es darum, die Aufgaben im Klassenzimmer an diejenigen Aufgaben anzugleichen, die auch in natürlichen Situationen außerhalb des Klassenzimmers von Lernenden zu bewältigen sind. Die Kernidee dieses Ansatzes auf die Lehre an Hochschulen zu übertragen, führte am Kasseler Lehrstuhl für die Didaktik der romanischen Sprachen zu einem Praxiskonzept, das darauf abzielt, dass die Studierenden in den Lehrveranstaltungen kompetenzbezogene Aufgaben theoriegeleitet entwickeln, diese Aufgaben in schulischem Unterricht erproben und den Erarbeitungsprozess inkl. der Erprobungsergebnisse evaluieren. Das Praxiskonzept wurde allerdings nicht als bloße Übertragung eines fremdsprachendidaktischen Verfahrens auf die Hochschullehre entwickelt, sondern knüpft auch an die forschende Beobachtung von Seminarpraktiken und an Befragungen von Studierenden an. Die Studierenden äußerten insbesondere ihr Unbehagen an einer Seminargestaltung, die sich vorwiegend auf Studierendenreferate und gelegentliche Unterrichtssimulationen stützt. Auch Micro-Teachings durch und mit Studierenden, d.h. ohne reale Erprobung schulischen Unterrichts, wurden als problematisch dargestellt (s. Kap. 4). Nicht zuletzt wurde von den Studierenden auf den Nutzen der erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Seminare hingewiesen, gleichzeitig aber eine Abgrenzung dieser Komponenten des Lehramtsstudiums von den spezifisch fachdidaktischen Komponenten angemahnt. Aus dieser Problemlage heraus wurde eine Neuausrichtung der Seminare konzipiert. Sie beruht auf einer Identifizierung des fachdidaktischen Lernfelds „Aufgaben und Aufgabenbearbeitung“ als Fokussierungsbereich für fachdidaktische Theorie. Die Erwartung war, fachdidaktische Theorie durch die Erstellung von kompetenzorientierten Lernaufgaben sowie die Beobachtung und Auswertung der Aufgabenbearbeitung in der Unterrichtspraxis besser vermitteln zu können. Die Seminare sollten den doppelten Transformationsprozess von fachlichem Wissen in fachdidaktisches Studierendenwissen in Gestalt von Aufgaben und von fachdidaktischem Wissen in das Wissen von Schülerinnen und Schülern in Gestalt von Aufgabenbearbeitungen transparent werden lassen. In dem folgenden Kapitel 2 wird zunächst der Ausgangspunkt des Kasseler Lehrinnovationsprojekts dargelegt. In Kapitel 3 werden sodann dessen Konzept und Umsetzung vorgestellt. Kapitel 4 widmet sich der Projektevaluation in qualitativer Hinsicht auf Grundlage der Auswertung von Studierendendiskussionen mit Hilfe der dokumentarischen Methode und in quantitativer Hinsicht auf Grundlage einer statistischen Auswertung von Fragebogenuntersuchungen über drei Semester. Im Aufgabenorientierung in der sprachdidaktischen Hochschullehre 101 47 (2018) • Heft 2 abschließenden Kapitel 5 werden die Untersuchungsergebnisse auf die konzeptionellen Grundlagen rückbezogen und kritisch diskutiert. 2. Ausgangspunkt Ein Gramm Erfahrung ist besser als eine Tonne Theorie, einfach deswegen, weil jede Theorie nur in der Erfahrung lebendige und der Nachprüfung zugängliche Bedeutung hat. (John Dewey 1916, zitiert nach R UMMLER 2012: 8) In dem obigen Zitat beschreibt der Philosoph, Reformpädagoge und Begründer der Demokratiepädagogik John Dewey den Zusammenhang von Erfahrung und Theorie und betont dabei die Tragweite, die dem persönlichen Erfahren zukommt. Hundert Jahre später spielt dieser Gedanke in den aktuellen fachdidaktischen und allgemeinpädagogischen Diskursen nach wie vor eine zentrale Rolle. Das Lernen in und durch Erfahrung liegt auch dem projektbasierten Ansatz, der ab den 1960er Jahren entwickelt wurde und als dessen Begründer Dewey gilt, zu Grunde. 1 Ausgangspunkt war die Feststellung, dass das institutionalisierte Lernen von Lehrmethoden dominiert ist, deren Reichweite und Effektivität insofern in Frage gestellt werden kann, als das Unterrichtsgeschehen i.d.R. eine große Distanz zur (Berufs-)Realität aufweist. Dieser Diskrepanz soll mit dem projektbasierten Ansatz entgegengewirkt werden, ein Anspruch, der spätestens seit der Bologna-Reform auch für die Hochschullehre gilt. Seitdem werden dort verschiedentlich Versuche unternommen, diese Diskrepanz zu überwinden. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Einführung des sog. Praxissemesters im Bereich der Lehramtsausbildung, das seit 2015 in mehreren Bundesländern (u.a. in Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen) eingeführt wurde (vgl. S CHÜSSLER et al. 2017). Ein weiterer Ansatz, der bislang vor allem im schulischen Unterricht Anwendung findet, ist das sog. task-based learning (s. Einleitung). Ein gemeinsames Merkmal der benannten Ansätze besteht darin, dass es nicht primär um Wissensvermittlung geht, sondern darum, einen Raum zu schaffen, in dem Wissen um- und eingesetzt und somit erfahren werden kann. Bei aufgabenorientierten Arrangements handelt es sich um den Versuch - mittels eines bestimmten Typs Aufgabe (vgl. u.a. E LLIS 2003) - möglichst authentische und für die Lernenden bedeutungsvolle Situationen hervorzubringen, die wiederum bestimmte Sprachhandlungen auslösen. Beim projektbasierten Ansatz und dem Praxissemester wird der tatsächliche Schritt in die Praxis vollzogen und somit der institutionalisierte Raum verlassen. Es findet eine Begegnung mit der Praxis in all ihrer Komplexität und Unvorhersehbarkeit statt, in der (zumindest teilweise eigenverantwortlich) agiert werden muss. 1 Zu Hintergrund und Entwicklung des projektbasierten Ansatzes vgl. B ASTIAN et al. (1997), S EBE - O PFERMANN (2014: 58ff.), R UMMLER (2012), W ICKE (2012), W ÖLL (2011). 102 Bernd Tesch, Linda Pelchat, Marta Ulloa 47 (2018) • Heft 2 Das vorliegende Projekt bleibt zunächst auf ein aufgabenorientiertes didaktisches Szenario beschränkt: Studierende in der fremdsprachlichen Lehramtsausbildung entwickeln in Kleingruppen Aufgaben für Schülerinnen und Schüler einer konkreten Klasse. Dabei befinden sie sich im Seminarraum und werden von der universitären Lehrkraft betreut und beraten. In einem zweiten Schritt erproben sie ihre Aufgabe in einer oder mehreren Unterrichtsstunden mit dieser Klasse. Auf diese Weise kommt es für die Studierenden zum realen Kontakt mit der Schulpraxis und damit auch mit ihrem zukünftigen Berufsfeld. Der aufgabenorientierte Ansatz wird somit um eine Art ,Mini-Projekt‘ erweitert. Die Vorzüge beider Ansätze werden hier in Kombination genutzt: Zunächst erfolgt die Konzeption der Aufgaben in einem geschützten Raum und daraufhin die Konfrontation mit den unmittelbaren Reaktionen der Schülerinnen und Schüler in der Unterrichtspraxis. Der gesamte Prozess wird durch das Seminar eingerahmt und ermöglicht durch das gemeinsame Nachdenken und Präsentieren der Erprobung Reflexionsanlässe. Von dieser Grundidee leiten sich die zentralen Prinzipien und Schritte der praktischen Umsetzung ab, die im Folgenden erläutert werden. 3. Prinzipien und Umsetzung des Kasseler Lehrinnovationsprojekts Das Lehrinnovationsprojekt umfasst folgende Prinzipien: • Transparenz und Selbstbestimmung: Mit der Erstellung einer eigenen Lernaufgabe in studentischen Kleingruppen und der selbstständigen Planung, Durchführung und Evaluation derselben wird eine Erhöhung der Ziel- und Prozesstransparenz angestrebt. Zugleich wird angenommen, dass die selbstbestimmte Arbeitsweise die Motivation der Studierenden erhöhen kann. • Planung und Arbeitsprozess: Der oben beschriebene Ansatz erfordert die Fähigkeit, einen Arbeitsprozess zu planen und zu steuern. Folgende Leitfragen können den Studierenden als Unterstützung dienen: Wie kann der Arbeitsprozess in Teilaspekte gegliedert werden? Welche konkreten Planungsschritte sind erforderlich? Welche inhaltlichen, personellen und zeitlichen Ressourcen erfordert die Entwicklung der Aufgabe? Wie kann die Aufgabenbearbeitung evaluiert werden? Welche Kriterien könnten für eine erfolgreiche Aufgabenbearbeitung angesetzt werden? • Förderung der Selbstdiagnose und -evaluation: Die bisher genannten Prinzipien legen es nahe, den Arbeitsfortschritt fortlaufend zu diagnostizieren. Wo stehen wir gerade in der geplanten Schrittfolge? Welche Ressourcen haben sich als unzureichend erwiesen? Wie können die aufgetretenen Hindernisse überwunden werden? Lassen wir uns von aufgetretenen Hindernissen entmutigen oder eher anspornen? • Differenzierung in Lehrveranstaltungen: Das Prinzip der Aufgabenorientierung beinhaltet auch, dass sich Individuen oder Gruppen Aufgaben selbst stellen können. Je nach Interesse, Anspruch und Vorwissen können Schwer- Aufgabenorientierung in der sprachdidaktischen Hochschullehre 103 47 (2018) • Heft 2 punkte und zu vertiefende Aspekte innerhalb der Gruppen verhandelt und festgelegt werden. Damit ist eine Differenzierungsmöglichkeit gegeben, die sich in leistungshomogenen oder leistungsheterogenen Gruppenbildungen ausprägen kann. • Nachhaltigkeit: Die Stärken und Schwächen des Lehrinnovationsprojekts werden im Laufe der Projektentwicklung systematisch erfasst und evaluiert und in den Optimierungskreislauf der Folgeseminare eingegeben. Insbesondere aber sollten die in den Seminaren generierten Aufgaben und Unterrichtsdaten in einer Aufgabendatenbank gespeichert werden, um in Folgeseminaren systematisch für neue Aufgaben genutzt werden zu können und öffentlich zugänglich gemacht werden. 2 • Evaluation: Als Messinstrumente zur wissenschaftlichen Evaluation des Projekts und zur Berichterstattung gegenüber der Förderinstitution (Universität) wurden Fragebögen und Analysen von Gruppengesprächen eingesetzt. Die konkrete Umsetzung des Lehrinnovationsprojekts in fremdsprachendidaktischen Seminaren weist folgende Grundstruktur auf: Zu Beginn des Seminars erhalten die Studierenden theoretischen Input (Plenarphase) zu einem bestimmten Seminarthema, bspw. dem literarischen Lesen. Ausgehend davon konzipieren sie in der anschließenden Gruppenphase über einen längeren Zeitraum von ca. vier Wochen in Kleingruppen eine Aufgabe. Es hat sich gezeigt, dass es für einen reibungslosen Ablauf sinnvoll ist, die Gruppenbildung bereits in der Plenarphase anzubahnen, damit Kontakte zu Kooperationsschulen bzw. konkreten Klassen möglichst früh hergestellt und Termine für die Aufgabenerprobung eruiert werden können. Am günstigsten verläuft die Kooperation erfahrungsgemäß, wenn ein Gruppenmitglied gleichzeitig ein Schulpraktikum absolviert und damit ohnehin in einer Klasse eingesetzt ist. Im Hinblick auf ‚ihre Klasse‘ erarbeiten die Studierenden dann ihre Aufgabe, z.B. eine Aufgabe zum literarischen Lesen. Nach dem Aufstellen eines Zeitplans macht sich eine Gruppe bspw. zunächst auf die Suche nach geeigneten Lesetexten für die vereinbarte Klasse, d.h. sie diskutieren selbst ausgewählte Texte und deren Komplexität in Bezug auf die Lernvoraussetzungen der Klasse und das dort eingesetzte Lehrwerk. Dabei wie auch bei allen weiteren Arbeitsschritten erhalten sie regelmäßig Feedback des Dozierenden. Der nächste Arbeitsschritt besteht darin, Leseziele festzulegen, Texte auszuwählen und Arbeitsaufträge zu formulieren. Die einzelnen Bestandteile der Aufgabe sollen nun aufeinander abgestimmt in Form eines Mini-Projekts für eine Unterrichtsstunde realisierbar gemacht werden. Höhepunkt der Kleingruppenarbeit ist die Erprobung ihrer selbst entwickelten Aufgabe in einer Klasse. Es zeigen sich dabei Stärken und Schwächen der Aufgabenkonzeption, so dass die Aufgabe anschließend reflektiert werden kann. 2 Eine Auswahl im Kasseler Lehrinnovationsprojekt generierter Aufgaben kann mittlerweile auch online eingesehen werden: https: / / romda.uni-kassel.de. 104 Bernd Tesch, Linda Pelchat, Marta Ulloa 47 (2018) • Heft 2 Den Abschluss des Seminars bildet eine Präsentationsphase im Plenum. Sie umfasst standardmäßig für alle Gruppen zunächst eine Kurzvorstellung der Aufgabe, z.T. erweitert um eine zehnbis fünfzehnminütige Bearbeitungsphase, so dass auch die anderen Studierenden die jeweiligen Aufgaben kennenlernen und erproben können. Anschließend werden die literaturbzw. lesetheoretische Begründung der Aufgabe sowie die methodischen Überlegungen präsentiert. Den dritten Teil jeder Präsentation bildet die Schilderung der Durchführung im Unterricht und die Vorstellung und Erläuterung der Reaktionen und Produkte der Schülerinnen und Schüler. Im vierten und letzten Teil wird die Aufgabe und ihre Durchführung reflektiert, ggf. werden Modifikationen vorgestellt und gemeinsam diskutiert. 4. Projektevaluation Die quantitative Evaluation beruht auf der Auswertung von knapp 200 Fragebögen aus insg. 15 Seminaren, die am Lehrstuhl angeboten wurden. Die Fragebögen wurden jeweils zum Ende des Semesters an die Studierenden ausgeteilt. Der Zeitraum der Evaluation erstreckte sich vom Sommersemester 2014 bis zum Ende des Sommersemesters 2015 mit einer Pilotphase im Wintersemester 2013/ 2014. Generell kann festgehalten werden, dass die Studierenden die Evaluationsbögen als Möglichkeit annahmen, den Seminarverlauf allgemein zu bewerten und ihre Erfahrungen mittels Kommentaren zu beschreiben. Die Evaluationsbögen wurden im Erhebungszeitraum leicht modifiziert und beinhalten vier Bereiche: Das Seminarkonzept, die verschiedenen Arbeitsphasen im Seminar, die einzelnen Arbeitsschritte in der Gruppenphase sowie die Hausarbeit. Diese Bereiche sollten jeweils hinsichtlich ihrer Verständlichkeit und Klarheit (Seminarkonzept, Aufbau der Gruppenphase, Aufbau der Hausarbeit) und ihrer Angemessenheit bezogen auf die Realisierung im Seminar (Menge des theoretischen Inputs, Qualität des Feedbacks) eingeschätzt werden. Abschließend wurde eine Gesamtbewertung des Seminars eingefordert. Die Rücklaufquote betrug 90%. Die Fragen zu den Arbeitsphasen im Seminar werden in der Auswertung als zentral erachtet, da die Plenar-, die Gruppen- und die Präsentationsphase hinsichtlich der Grundstruktur die Säulen des Praxisseminars bilden. Die Aussagen der Studierenden in Bezug auf den theoretischen Input, auf den Gruppenarbeitsprozess und auf die abschließende Präsentationsphase, in der die Ergebnisse der erprobten Aufgaben zusammengetragen wurden, gaben überdies den Impuls für die Neuausrichtung der fachdidaktischen Seminare. Die folgende Grafik (  S. 105) stellt die Ausprägung der Angemessenheit bzgl. der Phasengestaltung dar: Aufgabenorientierung in der sprachdidaktischen Hochschullehre 105 47 (2018) • Heft 2 Abb. 1: Wahrgenommene Angemessenheit der verschiedenen Seminarphasen Die Graphik gibt den Vergleich der von den Studierenden wahrgenommenen Angemessenheit bezogen auf die Ausgestaltung der drei Seminarphasen wieder (SoSe 2014 bis SoSe 2015). Die positiven Antworten der Studierenden zu der Frage nach der Angemessenheit des Feedbacks sowohl in der Gruppenphase als auch in der Präsentationsphase erreichen von Anfang an Werte von ca. 80% bezogen auf die Inputphase und über 80% bezogen auf die Gruppen- und Präsentationsphase. Die Ergebnisse bezüglich des von den Dozierenden gegebenen Feedbacks in der Präsentationsphase zeigen so gut wie keine Veränderung bzw. bleiben konstant hoch. Damit bewegen sich die Ergebnisse generell in einem sehr hohen Prozentbereich; mit anderen Worten, in allen drei Semestern bewerteten die Studierenden die Gestaltung der drei Seminarphasen sehr positiv. Aus den Antworten der Studierenden lässt sich schließen, dass sowohl die Menge an fachdidaktischer Theorie als auch die Qualität des Feedbacks in den Seminaren als angemessen bewertet wurde. Des Weiteren bringt die studentische Evaluation anhand dieser Daten zum Ausdruck, dass die Verbindung des theoretischen Vortrags des Dozierenden mit seinem praktischen Feedback im Rahmen der Aufgabenentwicklungsphase als positiv einzuschätzen ist. Die hier aufgeführten quantitativen Ergebnisse werden durch eine qualitative Evaluation vertieft. Diese basiert auf Gruppengesprächen, die am Ende des Sommersemesters 2014 sowie am Ende des Wintersemesters 2014/ 2015 mit Studierenden verschiedener Seminare durchgeführt und mit Hilfe der Dokumentarischen Methode (vgl. B OHNSACK 2014, 2017) ausgewertet wurden. Auf Grund der bereits 106 Bernd Tesch, Linda Pelchat, Marta Ulloa 47 (2018) • Heft 2 in den Gruppenarbeitsphasen beobachteten Vielschichtigkeit der internen Relevanzsetzungen sowie der Komplexität der Normerwartungen (vgl. ebd.) wurde diesem Analyseverfahren der Vorzug gegenüber anderen denkbaren Verfahren (z.B. Konversationsanalyse, Leitfadeninterviews) gegeben. Insgesamt wurden vier Gruppengespräche auf der Basis freiwilliger Teilnahme in der zweiten Hälfte der letzten Seminarsitzung durchgeführt. Der Dozent, Erstautor des vorliegenden Artikels, verließ während der Gruppengespräche den Raum, um die Unvoreingenommenheit der Äußerungen nicht zu gefährden. Er erklärte den Teilnehmenden im Vorfeld das Prozedere, d.h. die erwünschte Selbstläufigkeit der Gruppendiskussion, daher kein Gesprächsleitfaden, stattdessen Gesprächsaufzeichnung mit Hilfe eines Diktiergeräts, Transkription, Anonymisierung und Auswertung im Expertenteam. Um die Aufrechterhaltung des Gesprächsflusses sicherzustellen, wurde aus der Gruppe heraus eine Moderatorin bzw. ein Moderator bestimmt, die bzw. der auch den Gesprächsbeginn mit einer rituellen Frage initiierte und den Gesprächsabschluss nach ca. 45 Minuten durch einen Hinweis auf die Zeit rituell rahmte. Die Auswertung berücksichtigt die Analyseschritte der formulierenden und der reflektierenden Interpretation, beschränkt sich jedoch auf Grund des überschaubaren Samples und der zur Verfügung stehenden Ressourcen auf die Eruierung von Orientierungsrahmen. 3 Die folgende Übersicht zeigt exemplarisch die Themen, die in einem der untersuchten Gruppengespräche verhandelt wurden: 1. Seminarkonzept (roter Faden des Seminars, Zeitangemessenheit für die Aufgabenentwicklung, Förderung von Kreativität, Vielfalt an Sprachen bzw. Wissenschaftstraditionen bezogen auf die theoretischen Texte, Arbeitssprache im Seminar) 2. Praxisbezug (Praxisbezug und Unterrichtserprobung, Soll- und Ist-Vergleich, Unterschied zu den schulpraktischen Studien) 3. Theorie-Praxis-Verhältnis (Angemessenheit des theoretischen Inputs, Verständnisschwierigkeiten bezogen auf die theoretischen Texte) 4. Gruppenarbeit (soziale Interaktion, Gruppengröße, Hausarbeit, Betreuung durch Dozierende) 5. Praktische Probleme (Klassensuche) 6. Kursklima (Umgang mit Abwesenheiten) Diese Themen können als durchaus typisch für die Sorgen der Studierenden zu Beginn des Projekts angesehen werden. Neben einigen praktischen Herausforderungen wie der Suche einer geeigneten Klasse für die Aufgabenerprobung und Unzuverlässigkeiten von Mitstudierenden während der Gruppenarbeit befürchteten man- 3 Ein ambitionierteres Evaluationsprojekt mit dem Ziel einer Typenbildung war mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht realisierbar, wird aber zurzeit im Rahmen einer Dissertation weiterverfolgt (U LLOA , i.V.). Aufgabenorientierung in der sprachdidaktischen Hochschullehre 107 47 (2018) • Heft 2 che, notwendiger theoretischer Input müsse aus Zeitgründen der Praxis geopfert werden. Generell wurde in allen beobachteten Gruppen der Theorie-Praxis-Bezug sehr intensiv diskutiert. Als typisch für diese Thematik kann der folgende Transkriptauszug (Z. 363-371) angesehen werden 4 : Johanna: Und ich fand am Anfang ham wir ganz schön geschwommen eigentlich da sind wir geschwommen ääh weil wir nicht so richtig wussten wie wir jetzt eigentlich anfangen sollten (.) so da hatt ich mir am Anfang Anna: Das ist ja das Gute eigentlich dass man plötzlich anfängt zu schwimmen und merkt das geht irgendwie; und dann kommt langsam irgendwie dann kriegt das Substanz also ich glaub weil ihr gesagt habt im Seminar letztes Semester hattet ihr son son son Leitfaden wie [Flüsterkommentar: „das stimmt“] man jetzt grob nicht was jetzt also wie man grob vorgehen sollte so. Chris: (...) Aufgaben Anna: Genau (.) Emotionaler Höhepunkt der hier zitierten zwanzigminütigen Diskussion ist die metaphernreiche Schilderung des pädagogischen ‚Urerlebnisses‘ der Erprobungsstunde durch Johanna und Anna. Diese Schilderung knüpft an eine Zwischendiskussion zum Grobthema „Probestunde“ als Teil des Seminarkonzepts an. Johanna formuliert ihr Erlebnis und benutzt dabei die Metapher „ganz schön geschwommen“. Das Schwimmen ohne es zu können führt durch Übung zum Schwimmenlernen oder zum Untergehen. Diese Metapher wird von ihr zweimal mit „am Anfang“ verbunden, was das Bild des Urerlebnisses verstärkt. Anna schließt unmittelbar daran an, greift die Metapher vom Schwimmen auf und beschreibt plastisch den Augenblick des Schwimmenlernens: „das ist ja das Gute eigentlich dass man plötzlich anfängt zu schwimmen und merkt das geht irgendwie; und dann kommt langsam irgendwie dann kriegt das Substanz“. Es stellt sich das Erfolgserlebnis ein, oben zu bleiben und eben nicht unterzugehen und eine Lehrsequenz mit „Substanz“ zu erzielen. Aus dem Lernen wird Lehren, der Trockenkurs geht in erste eigene Praxis über, die als „Substanz“ wahrgenommen wird. Eine ergänzende Haltung zur Erprobung von Aufgaben in realen Klassen äußert sich in einer anderen Gruppe wie folgt (Z. 188-208) 5 : Annika ( L ): also ich glaube für mich war wirklich der ähm entscheidende Unterschied zu anderen Seminaren dieser Praxisaspekt in der Schule [Zustimmung] weil das ist die Realität; ahm hab ich jetzt gesehen mit meinen beiden Klassen, die sind ja so total unterschiedlich (1) ähm und ich glaube das ist ganz wichtig wenn man diese Erfahrung ich sag mal jetzt nicht hat, dass man dual fährt unterrichtet und studiert sondern im Studium ist das ganz wichtig dass man so oft wie möglich in die verschiedensten Klassen kommt. [Zustimmung] Und das war für mich eigentlich der Hauptunterschied und das fand ich auch sehr motivierend und fand auch alle eben im Seminar waren äh sehr gut dabei; sehr 4 Vollständige Fallbeschreibung: https: / / www.uni-(...).de/ fb02/ fileadmin/ datas/ fb02/ Institut_f% C3%B Cr_Romanistik/ Dateien/ 2015/ Praxisseminar_Gruppendiskussion_Fallbeschreibung_BLAU.pdf. Die Transkription lehnt sich an die Richtlinien in B OHNSACK (2014) an. 5 Vollständige Fallbeschreibung: https: / / www.uni-kassel.de/ fb02/ fileadmin/ datas/ fb02/ Institutf%C3% BCr_Romanistik/ Dateien/ 2015/ Praxisseminar_Gruppendiskussion_Fallbeschreibung_GRUEN.pdf 108 Bernd Tesch, Linda Pelchat, Marta Ulloa 47 (2018) • Heft 2 motiviert und äh auch bei der Aufgabenkonzeption und bei der Umsetzung und ähm die eigene Analyse; diese Selbstreflexion dann durchzuführen Nicole: Die kann ja auch nur stattfinden wenn man ne realistische Klasse vor sich hat ne? Das geht ja nicht wenn Studenten da sich als Schüler ausgeben; das funktioniert einfach nicht. Annika ( L ): ja man fühlt sich dann lächerlich [@(...)@]; also auch wenn man selber da sitzt und vorne wird so eine Simulation mit einem gemacht: man soll sich jetzt nochmal versuchen in die Rolle eines Siebtklässlers hineinzuversetzen; ich persönlich kann mich nicht mehr dran erinnern wie viel Spanisch ich in der 7. Klasse schon tatsächlich konnte und wie viel nicht. [Zustimmung] Nicole: @ich hatte es nicht mal@ Die Studierenden bringen hier deutlich zum Ausdruck, dass sie den Ansatz, Unterricht im Seminar zu simulieren, für problematisch halten. Sie vertreten die Ansicht, dass das Verständnis fachdidaktischer Theorie in ganz entscheidendem Maße durch die Realität des Unterrichts befördert wird. Denkt man diesen Ansatz zu Ende, so ergibt sich für die fachdidaktische Lehrerbildung der ersten Phase neben den schulpraktischen Studien ein großes Innovationspotential: Theorie kann z.B. über die Reflexion medial vermittelter Praxis (Unterrichtsaufzeichnungen, Transkripte) oder auch über aufgabenbasierte Praxisseminare vermittelt werden. Die Interpretation der Gruppendiskussionen insgesamt ergab folgende sozial geteilte Orientierungen zum Theorie-Praxis-Verhältnis: • Fachdidaktische Theorie bezieht sich direkt auf die Berufspraxis der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer. Bedarf an Theorie besteht vor allem hinsichtlich der Transformation fachdidaktischen Wissens in Aufgaben und umfasst mithin sowohl fachdidaktische Grundlagen (Modelle, Konstrukte) als auch Methodik. • Fachdidaktische Theorie beweist ihre Belastbarkeit und Reichweite im konkreten Praxisraum des Klassenzimmers. Bezüglich des Seminarkonzepts konnten folgende Orientierungen ermittelt werden: • Kernstück und Höhepunkt ist das Ausprobieren der selbst entwickelten Aufgabe im realen Unterricht. Dieses Ausprobieren wiederum hat zwei Vorteile: a) Es erlaubt eine Prüfung der Theorie auf Praxistauglichkeit, b) es wird nicht benotet (im Unterschied zu den schulpraktischen Studien an der Universität Kassel). • Gruppenarbeit ist unverzichtbar für das Gelingen von Seminaren. Erfolgreiche Gruppenarbeit impliziert persönliche Zuverlässigkeit in organisatorischen Fragen. • Studentische Unzuverlässigkeiten (Abwesenheiten, Vergesslichkeit etc.) stellen für Mitstudierende und Dozierende gleichermaßen eine erhebliche Belastung dar. Studierende erwarten aber von Dozierenden, dass sie souverän damit umgehen. Aufgabenorientierung in der sprachdidaktischen Hochschullehre 109 47 (2018) • Heft 2 Aus den qualitativen Daten konnten Schlüsse hinsichtlich organisatorischer Verbesserungen wie auch hinsichtlich der konzeptionellen Passung des Praxisseminars gezogen werden. Eine organisatorische Verbesserung betraf z.B. die Steuerung der Klassensuche, die größtenteils auf die Dozierenden verlagert wurde, so dass die Studierenden sich ganz auf die Seminarinhalte konzentrieren konnten. Eine weitere organisatorische Veränderung betraf den Umfang und die Platzierung des theoretischen Inputs. Teilweise wurde bedarfsabhängig der Anteil theoretischer Sitzungen insgesamt verlängert, teilweise anders distribuiert, z.B. nach einem theoretischen Input von vier Sitzungen auf weitere, aber kürzere Anteile über andere Sitzungen. Die generelle Passung des Lehrinnovationsprojekts zum Anspruch, die Lernerautonomie zu fördern und den Praxisbezug der Lehrveranstaltungen zu verbessern, wurde sowohl durch die quantitativen als auch die qualitativen Auswertungen bestätigt. Die Auswertung der Gruppendiskussionen führte zu einem tieferen Verständnis der Orientierungen, die die Praktiken Studierender in fachdidaktischen Seminaren rahmen. 5. Diskussion Eine Kernthematik fachdidaktischer Lehrveranstaltungen an Hochschulen betrifft die Verortung fachdidaktischen Wissens neben anderen Wissensdomänen (Allgemeine Didaktik, Fachwissenschaften, Pädagogik, Psychologie, Soziologie etc.) sowie die Attribuierungen, die Studierende gegenüber theoretischem fachdidaktischem Wissen, ja gegenüber theoretischem Wissen generell, vollziehen. Dabei geht es um basale Kategorien wie Theorie und Praxis, Methodik und Didaktik, prozedurales und deklaratives Wissen, implizites und explizites Wissen und um die Frage, wie diese in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen verhandelt werden. Die Befunde der Evaluation des Kasseler Lehrinnovationsprojekts „Aufgabenorientierung in der sprachdidaktischen Hochschullehre“ zeigen, dass die Studierenden die genannten Kategorien und Dichotomien zwar als ein Spannungsverhältnis erleben, die angebotenen Praxisseminare jedoch als Chance zur Überwindung dieses Spannungsverhältnisses erfahren. Als Entwicklungsauftrag für die künftige Seminargestaltung resultiert, dass die Dichotomien künftig stärker bewusst gemacht bzw. reflektiert werden sollten, um auf diese Weise die Studierendenautonomie weiterzuentwickeln. Der doppelte Transformationsprozess fachlichen Wissens in fachdidaktisches Wissen - in Gestalt von Aufgaben - und von Aufgaben in Formen der Aufgabenbearbeitung sollte in seinen Chancen und Schwierigkeiten von Anfang an begleitend thematisiert und kritisch reflektiert werden. Parallel zu und zusätzlich zur unmittelbar aufgabenbezogenen fachdidaktischen Reflexion (Kompetenzbezug von Aufgaben, didaktisches Potential von Texten, methodische Zugänge) sind die Studierenden für die spezifischen Bedingungen der Aufgabenerprobung wie z.B. die Schwierigkeit der Diagnose des schülerseitigen Vorwissens der Schülerinnen und Schüler, das unbestimmte heterogene Vorwissen der Studierenden, die Experte-Novizen- 110 Bernd Tesch, Linda Pelchat, Marta Ulloa 47 (2018) • Heft 2 Beziehung im Klassenzimmer, die Interaktion Studierender mit Schülerinnen und Schülern und die Interaktion Studierender mit der regulären Lehrkraft zu sensibilisieren. Die Beobachtung der Seminarinteraktionen sowie die Auswertung der Gruppendiskussionen zeigen, dass die angestrebte Erhöhung der Motivation für fachdidaktische Seminare durch diese Seminarform erreicht wurde. Besonders das Feedback der Dozierenden in der Erarbeitungsphase, das Erfolgserlebnis bei der Erprobung sowie das fertige Produkt in Gestalt einer selbst entwickelten Lernaufgabe sorgten für positive Rückmeldungen. Die Auswertung der Evaluationsbögen bestätigte ebenfalls, dass alle Seminarphasen als kohärent und transparent empfunden wurden. In diesen Kontext fällt zudem die angestrebte Planungs- und Steuerungskompetenz. Wenn auch keine Daten zu ihrer Bewertung oder gar Messung vorliegen, so ließ sich doch innerhalb der Seminare eine zunehmende Planungssouveränität in den Kleingruppen beobachten. Diese verabredeten sich bei Schwierigkeiten auch außerhalb des regulären Seminartermins oder diskutierten Probleme auf elektronischem Wege. Zu beobachten war außerdem, dass sich in den Gruppen eine rege selbstdiagnostische Aktivität entfaltete; konkret gab es immer einzelne Gruppenmitglieder, die die anderen auf Schwachstellen in der Aufgabenkonzeption hinwiesen. Die Studierenden, die bereits zum zweiten oder dritten Mal ein aufgabenbasiertes Seminar besuchten, konnten von der zunehmenden Routine profitieren und kommentierten zustimmend die Weiterentwicklung des Seminarkonzepts. Schließlich konnten Studierende im Experimentierraum des Praxisseminars Gruppenarbeit generell auch positiv erleben, eine Erfahrung, die für den Aufbau „professioneller Lerngemeinschaften von Lehrerinnen und Lehrern“ (B ONSEN / R OLFF 2006) konstitutiv sein könnte. Abschließend und vor dem Erfahrungshintergrund des Kasseler Lehrinnovationsprojekts bzw. der Schlüsse, die daraus für die Weiterentwicklung des Seminarkonzepts gezogen werden, wäre zu diskutieren, ob sich die Kluft zwischen Theorie und Praxis, die immer wieder von Lehrerinnen und Lehrern im Beruf wahrgenommen und geäußert wird, auf diesem Wege tatsächlich einebnen lässt. Fachdidaktische Theorie wird von diesen zwar als interessante akademische Praxis, mitunter jedoch als berufspraktisch von geringer Relevanz empfunden. Die Kasseler Erfahrungen legen ein Nachdenken über die Potentiale der Ausbildung durch Aufgabenerstellung und Aufgabenerprobung nahe. Diese Potenziale liegen im Austausch Studierender und dem Feedback der Dozierenden über mehrere Wochen hinweg, in der damit verbundenen iterativen Verbindung verschiedener Perspektiven, im langsamen Reifen fachdidaktischer Konzepte im Experimentierraum des Seminars, im Abgleich theoretisch durchdachter Konzepte mit ihrer praktischen Umsetzung und in der Weitergabe innovativer Impulse an die Erprobungsschulen. Die Aufgabenerprobung in realen Klassen behält dabei den Charakter des Besonderen. Es geht eben nicht darum, alle Faktoren des unterrichtlichen Geschehens gleichzeitig in den Blick zu nehmen, sondern die Komplexität der Faktoren bewusst auf die beobachtbare Aufgabenbearbeitung zu reduzieren. Die aufgabenbasierten Seminare konkurrieren in Aufgabenorientierung in der sprachdidaktischen Hochschullehre 111 47 (2018) • Heft 2 dieser Hinsicht nicht mit den schulpraktischen Studien bzw. dem Praxissemester, wo gerade dieser umfassende Blick auf den Unterricht eingeübt werden soll. Zu diskutieren wäre schließlich, ob die Koppelung fachdidaktischer Studien bzw. fachdidaktischer Theorie an Aufgaben zu einer Reduktion der Theorie führt. Dies wurde von einigen Studierenden als Befürchtung in den Raum gestellt. Wie viel fachdidaktische Theorie ist in Aufgaben operationalisierbar, und gibt es einen Theorieüberschuss, der sich in Aufgaben nicht abbilden bzw. in der Aufgabenbearbeitung nicht transformieren lässt? Natürlich existieren fachdidaktische Wissensgebiete, die keinen direkten Einzug in Aufgaben finden, z.B. aus dem Bereich der Geschichte der Fachdidaktik oder im Hinblick auf Methoden fachdidaktischer Forschung. Doch dürften diese Themen eher einen geringeren Raum im fachdidaktischen Seminarangebot einnehmen. Der Anspruch eines fachdidaktischen Lehrangebots, zukünftige Lehrerinnen und Lehrer zu bilden und auszubilden, verweist in seinem Kern auf die Aufgaben. Diese implizieren eine doppelte Transformation. In beiden Prozessen fungiert die praktische Situierung der Aufgaben als eine Art ‚ökologischer Filter‘ für die fachdidaktische Theorie: Theoretische Konstrukte werden in einem Aufgabenerstellungsprozess und einem Aufgabenerprobungsprozess transformiert und dabei gefiltert. Damit aber wären die oben gestellten Fragen empirische Fragen: Empirische fachdidaktische Forschung müsste Aufschluss über die Reichweite fachdidaktischer Theorie bringen, was seit der empirischen Wende in den Fachdidaktiken zweifelsohne in Ansätzen bereits geschieht. Literatur B ASTIAN , Johannes / G UDJONS , Herbert / S CHNACK , Jochen / S PETH , Martin (Hrsg.) (1997): Theorie des Projektunterrichts. Hamburg: Bergmann + Helbig. B OHNSACK , Ralf (2014): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. Stuttgart: UTB. B OHNSACK , Ralf (2017): Praxeologische Wissenssoziologie. Opladen & Toronto: Barbara Budrich. 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