eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 47/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2018
472 Gnutzmann Küster Schramm

Zur Einführung in den Themenschwerpunkt

2018
Torben Schmidt
Nicola Würffel
47 (2018) • Heft 2 © 2018 Narr Francke Attempto Verlag T ORBEN S CHMIDT , N ICOLA W ÜRFFEL * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Digitale Medien bieten viele Möglichkeiten für das Fremdsprachenlehren und -lernen. So gibt es ein immer größer werdendes Angebot an fremdsprachenspezifischer digitaler Lern- und Übungssoftware und an digitalen Schulbüchern, an nicht fremdsprachenspezifischen Classroom-, Learning- oder Content-Management-Systemen, interaktiven Werkzeugen und internetbasierten Kooperations- und Kommunikationsplattformen. Trotz dieses steigenden Angebots kann von einer breiten und nachhaltigen Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts noch nicht die Rede sein. Das hat vielfältige Gründe; einer davon mag sein, dass dem immer größer werdenden Angebot an Lernmedien und Lernwerkzeugen eine unzureichende Systematisierung der Ergebnisse zu ihrem Einsatz beim und dessen Effekten für das digital unterstützte/ n Fremdsprachenlernen gegenübersteht. Dieses Forschungsdesiderat erschwert vielen Lehrenden eine gezielte Einarbeitung in die jeweiligen Möglichkeiten der Digitalisierung; eine besondere Hürde stellt es wahrscheinlich vor allem für diejenigen dar, die digitalen Medien kritisch gegenüberstehen. Nicht nur mit Blick auf diese Gruppe, sondern in Hinsicht auf alle Akteure eines digitalisierten Fremdsprachenunterrichts erscheint es deshalb wichtig herauszuarbeiten, aus welchen Gründen der Einsatz digitaler Medien trotz eines scheinbaren oder auch tatsächlichen monetären oder technischen Mehraufwands einen Mehrwert bietet, der auf anderem Wege nicht oder nur weniger gut erreicht werden kann. Dieser Mehrwert wiederum sollte empirisch belegt und in systematischer und leicht zugänglicher Weise dargestellt werden. Ein Feld, in dem digitale Medien einen solchen deutlichen Mehrwert bieten können, ist die Umsetzung des Prinzips der Differenzierung. Dieses Prinzip des Fremdsprachenunterrichts, das spätestens seit der verstärkten Lernerorientierung als bedeutsam für den Fremdsprachenunterricht angesehen wird, hat in Zeiten steigender Diversität von Lerngruppen (und angesichts eines rechtlich zementierten An- * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Torben S CHMIDT , Leuphana Universität Lüneburg, Institute of English Studies, Universitätsallee 1, 21335 L ÜNEBURG . E-Mail: torben.schmidt@leuphana.de Arbeitsbereiche: Computergestütztes Fremdsprachenlernen, Projektarbeit, Mündlichkeit. Prof. Dr. Nicola W ÜRFFEL , Universität Leipzig, Herder Institut, 04081 L EIPZIG . E-Mail: nicola.wuerffel@uni-leipzig.de Arbeitsbereiche: Computergestütztes Fremdsprachenlernen, Kooperatives Lernen, Lehrerprofessionalisierung. Digitalisierung und Differenzierung 4 Torben Schmidt, Nicola Würffel 47 (2018) • Heft 2 spruchs auf ein inklusives Bildungssystem) noch einmal an Bedeutung gewonnen. Spricht man im Zusammenhang mit dem Fremdsprachenunterricht von einer Diversität von Lernenden, so bezieht sich dieser Begriff sowohl auf die Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten von Lernenden in Bezug auf kulturelle, soziale und leistungsbezogene Unterschiede sowie auch Unterschiede in der Motivation, den Interessen, der Lern- und Leistungsbereitschaft, den Lernvoraussetzungen, dem Lernstil oder dem Lerntempo, den Sprachlernerfahrungen oder dem Sprachregister (vgl. C ASPARI / H OLZBRECHER 2016: 10ff). Angesichts der vielen Ebenen, auf denen Lernende sich voneinander unterscheiden, macht es eigentlich wenig Sinn zu behaupten, der Fremdsprachunterricht hätte es jemals mit homogenen Gruppen zu tun gehabt. Tatsächlich wurden in der Fremdsprachendidaktik auch schon früh Ansätze der (äußeren und inneren) Differenzierung für heterogene Lerngruppen entwickelt. Eine äußere Differenzierung erfolgt z.B. durch die Beschulung in verschiedenen Schulformen oder die Trennung von Klassen bzw. Gruppen in unterschiedliche Leistungsniveaus. Unter einer inneren Differenzierung versteht man hingegen unterrichtsorganisatorische und didaktischmethodische Maßnahmen, die für eine Lerngruppe angewendet werden, um die unterschiedlichen Lernenden in der Gruppe jeweils angemessen fördern zu können (vgl. T ÖNSHOFF 2004: 227). Bei den unterrichtlichen Ebenen der Differenzierung lassen sich nach E ISENMANN (2016: 358) und T ÖNSHOFF (2004: 229-230) folgende unterscheiden: • Gestaltung der Lernangebote (Themen, Darstellungsmodi, Aufgaben, zusätzliche Hilfen etc.); • Lernprozesse (Lernziele, Lerntypen, Interessen, Schwierigkeitsgrade etc.); • Lernprodukte (Präsentationsmodi etc.); • Interaktion (Arbeits- und Interaktionsformen; Feedbackformen etc.); • Diagnose/ Bewertung der Lernerkompetenzen (Lernstandsdiagnostik, Lernstandserhebungen, eigene Reflexion des Lernfortschritts durch die Lernenden); • Lernumgebung (Ort, Raumgestaltung, Zeit etc.). Digitale Medien lassen sich sehr gut für eine Differenzierung von Lernangeboten, Lernprozessen und Lernprodukten nutzen. Sie können eingesetzt werden, um unterschiedliche Interaktionen zu ermöglichen, die Diagnose von Lernendenkompetenzen zu unterstützen und sehr unterschiedliche Lernorte für Lehrende und Lernende zugänglich zu machen. Zu einigen unterrichtlichen Ebenen der Differenzierung wird in Hinblick auf die Unterstützungsmöglichkeiten der digitalen Medien schon länger geforscht, und es liegen empirische Ergebnisse vor; einige andere sind bislang eher weniger oder zu wenig in den Blick genommen worden. Das zeigte sich auch in der Vorbereitung dieses Heftes, bei dem versucht wurde, möglichst viele der oben genannten Differenzierungsebenen durch die eingeworbenen Beiträge abzudecken: Einige der Beiträge können schon auf eine recht fundierte Forschungslage zugreifen; andere beschäftigen sich dagegen mit Medien oder Werkzeugen, die zwar interes- Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 47 (2018) • Heft 2 sante Möglichkeiten zu eröffnen scheinen, die aber erst am Beginn ihres Einsatzes stehen und bei denen man deshalb noch keine weitreichenderen Aussagen zu ihrer Lerneffektivität in der Praxis treffen kann. Den Auftakt zum vorliegenden Themenheft gestaltet der Beitrag von C AROLYN B LUME und N ICOLA W ÜRFFEL , der sich der Nutzung digitaler Medien zur Förderung des Fremdsprachenlernens in inklusiven Gruppen widmet. Die Vielfältigkeit der Möglichkeiten macht es nötig, verschiedene Differenzierungsebenen zu thematisieren: Die durch die verschiedenen Werkzeuge und Medien jeweils geförderten Formen der Differenzierung können die Ebenen der Angebote, der Prozesse, der Produkte oder auch der Interaktion betreffen. Um die verschiedenen Technologien zur Unterstützung von Lernenden mit besonderen Bedürfnissen darzustellen, werden zwei unterschiedliche Herangehensweisen gewählt: Zunächst werden fünf Charakteristika digitaler Lehr- und Lernmedien dargestellt, die diese (auch) für Lernende mit besonderen Bedürfnissen als sinnvoll für das Fremdsprachenlernens erscheinen lassen. Anschließend wird auf einzelne Förderbedarfe eingegangen und beispielhaft dargestellt, mit welchen Technologien das Fremdsprachenlernen von Lernenden mit dem jeweiligen Förderbedarf ermöglicht und gefördert werden kann. Dabei wird ebenfalls thematisiert, wie mit den dargestellten Technologien auch die anderen Lernenden in der inklusiven Gruppe in ihrem Fremdsprachenlernen unterstützt werden können. Der Beitrag schließt mit einer kurzen Diskussion von Herausforderungen, die mit dem technologieunterstützten Fremdsprachenlehren und -lernen in inklusiven Gruppen verbunden sind. Es folgt der Beitrag von A NNIKA K OLB , der sich mit den Ebenen der Differenzierung von Lernangeboten und Lernprozessen beschäftigt. Im Fokus ihres Beitrags mit dem Titel „Eigenständiges Lesen im Englischunterricht der Grundschule - digital und differenziert? “ steht die Nutzung von story apps im Bereich des frühen Fremdsprachenlernens. Es wird dabei der Frage nachgegangen, wie digitale Bilderbücher, die sich durch ihre multimedialen Elemente und umfangreichen Gelegenheiten der Leserinteraktion auszeichnen, es bereits Kindern im Grundschulalter ermöglichen, sich die multimodalen Texte selbstständig zu erschließen, und welche Strategien die jungen Leserinnen und Leser hierbei einsetzen. Auf dieser Basis wird dargestellt, inwieweit story apps Möglichkeiten der Differenzierung bieten und auf individuelle Bedürfnisse der Lernenden eingehen. So können etwa je nach Bedarf unterschiedliche Unterstützungsangebote genutzt oder verschiedene Handlungsstränge verfolgt werden. Insgesamt werden in diesem Beitrag das Potential dieser Medien für einen individualisierten Leseunterricht ausgelotet und Anregungen zu dessen Gestaltung vorgestellt. Ebenfalls mit den Ebenen der Differenzierung von Lernangeboten und Lernprozessen beschäftigt sich J ÜRGEN K URTZ : Er widmet sich in seinem theoretischen Beitrag zum Thema „Adopting Augmented Reality for Task-Oriented EFL Textbook Development, Instruction, and Learning“ der übergeordneten Frage, wie die Nutzung digitaler Möglichkeiten der ‚Erweiterung der Realität‘ gedruckte fremdsprachliche Lehrwerke zu multimedialen, interaktiven, differenzierenden Lernumgebungen 6 Torben Schmidt, Nicola Würffel 47 (2018) • Heft 2 werden lassen kann. Als ‚erweiterte Realität‘ wird dabei eine computergestützte Realitätswahrnehmung bezeichnet, bei der sich die Wahrnehmung der realen und der virtuellen Welt durch Nutzung von mobilen Geräten wie Smartphones oder Multimediabrillen ‚vermischen‘ sollen: Zu dem Ausschnitt der gerade betrachteten realen Welt können so in einer Lernsituation synchron, d.h. zeitgleich, informative Texte, Grafiken, Animationen, Audio- und Videomaterialien angeboten werden, die beispielsweise weiterführende Informationen, Hilfs-, Unterstützungs- und Wiederholungsangebote sowie Möglichkeiten zum entdeckenden Lernen anbieten. Es kann zudem eine für verschiedene Sinnesmodalitäten, Lernstile und -präferenzen passende Darbietung der Inhalte ermöglicht werden. K URTZ diskutiert in seinem Beitrag die Veränderungsprozesse, die sich durch die Integration der Technologie in Lehr-/ Lernkontexten ergeben können, vor allem hinsichtlich einer Einbindung in ein aufgabenorientiertes Fremdsprachenlernen. Im Mittelpunkt des Beitrags von D ETMAR M EURERS , K ORDULA D E K UTHY , V ERENA M ÖLLER , F LORIAN N UXOLL , B JÖRN R UDZEWITZ und R AMON Z IAI unter dem Titel „Digitale Differenzierung benötigt Informationen zu Sprache, Aufgabe und Lerner - Zur Generierung von individuellem Feedback in einem interaktiven Arbeitsheft“ steht das adaptive Üben mithilfe eines intelligenten tutoriellen Systems. Dieser Beitrag berührt damit sowohl die Differenzierungsebenen der Lernangebote und Lernprozesse als auch die der Interaktionen und der Diagnose. Anhand der digitalen Lernumgebung Feedbook, die als Ersatz eines gedruckten Englisch-Workbooks für die 7. Klasse entwickelt wurde, wird verdeutlicht, wie durch Nutzung computerlinguistischer Verfahren sämtliche Lernendeneingaben (z.B. fehlerhafte Antworten), Informationen zur Übung (z.B. sprachliche Merkmale, enthaltene Schwierigkeiten) und zum Lernenden selbst (Übungsverhalten) im Zusammenspiel analysiert und für die Individualisierung des Übungsprozesses sowie dabei insbesondere die Generierung von hochgradig personalisiertem Feedback und Scaffolding genutzt werden können. Der Beitrag verdeutlicht so die Chancen, aber auch die besonderen Herausforderungen der Digitalisierung von Übungsmaterialien. Mit der Ebene der Differenzierung von Lernumgebungen beschäftigt sich schließlich der Beitrag von D IANA F EICK . In ihrem Beitrag zeigt die Autorin auf, wie der Lernort Klassenzimmer mit anderen didaktisch sinnvollen Lernorten verbunden werden kann und wie Lernorte so mithilfe mobiler Technologien differenziert werden können. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass durch die Mobilität der Technologien die besonderen Eigenschaften bestimmter Orte zum Lernen genutzt und auf diese Weise ein kontextsensitives Lernen ermöglicht werden kann. Zudem kann das (mobile) Internet selbst als virtueller Lernort fungieren. Neben einer Darstellung aktueller Konzepte zur Rolle von Lernorten im Fremdsprachenunterricht sowie von (medien-)didaktischen Theorien des mobilen Lernens und des Mobile Language Learning untersucht der Beitrag aktuelle fremdsprachenspezifische Studien zum mobilen Lernen im Hinblick auf ihre Erkenntnisse zur Differenzierung von Lernorten bzw. zu medial vermittelten Lernorten. Schließlich präsentiert der Beitrag mit der „Augmented-Reality-Campus-Tour“ ein Praxisbeispiel, das aufzeigt, Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 47 (2018) • Heft 2 wie eine Lernortdifferenzierung beim Fremdsprachenlernen aussehen kann und welche Rolle mobile Technologien dabei spielen. Die in diesem Heft gesammelten Beiträge machen deutlich, dass der Einsatz digitaler Technologien im Fremdsprachenunterricht vielfältige Möglichkeiten der Differenzierung bieten kann; sie zeigen aber auch auf, welche Schwierigkeiten dabei auftreten können bzw. bedacht werden müssen. Alle Autorinnen und Autoren weisen zudem auf mehrschichtige Desiderate hin, die nicht nur die Forschung betreffen, sondern vor allem auch die Praxis: In dieser müssen zunächst einmal die nötigen Strukturen geschaffen werden, damit Lehrende und Lernende dann gemeinsam die neuen Möglichkeiten zur Differenzierung durch den Einsatz digitaler Technologien tatsächlich gewinnbringend nutzen können. Literatur C ASPARI , Daniela / H OLZBRECHER , Alfred (2016): „Individualisierung und Differenzierung im kompetenzorientierten Französischunterricht“. In: K ÜSTER , Lutz (Hrsg.): Individualisierung im Französischunterricht. Mit digitalen Medien differenzierend unterrichten. Seelze: Klett/ Kallmeyer, 7-37. E ISENMANN , Maria (2016): „Binnendifferenzierung“. In: B URWITZ -M ELZER , Eva / M EHLHORN , Grit / R IEMER , Claudia / B AUSCH , Karl-Richard / K RUMM , Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. (6. Auflage). Tübingen: Francke, 358-361. T ÖNSHOFF , Wolfgang (2004): „Binnendifferenzierung im lernerorientierten Fremdsprachenunterricht (I)“. In: Deutsch als Fremdsprache 41.4, 227-231.