eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 47/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
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Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2018
471 Gnutzmann Küster Schramm

Bettina AKUKWE, Rüdiger GROTJAHN, Stefan SCHIPOLOWSKI (Hrsg.): Schreibkompetenzen in der Fremdsprache. Aufgabengestaltung, kriterienorientierte Bewertung und Feedback. Tübin- gen: Narr 2017 (Studienbücher), 304 Seiten [28,99 €]

2018
Stefan D. Keller
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 135 47 (2018) • Heft 1 ausstellen, etwa dann, wenn Schüler/ -innen, z.B. durch ein Auslandsjahr an einer englischsprachigen Schule, über eine höhere Kompetenz in der Fremdsprache verfügen als ihre Lehrer/ -innen. Braunschweig C LAUS G NUTZMANN Bettina A KUKWE , Rüdiger G ROTJAHN , Stefan S CHIPOLOWSKI (Hrsg.): Schreibkompetenzen in der Fremdsprache. Aufgabengestaltung, kriterienorientierte Bewertung und Feedback. Tübingen: Narr 2017 (Studienbücher), 304 Seiten [28,99 €] Die Kompetenz, sich in einer Fremdsprache schriftlich auszudrücken, ist zentral sowohl für die Möglichkeiten eines Menschen, in dieser Sprache kommunikativ erfolgreich zu handeln, wie auch für die Evaluation dieser Kompetenz. Auf der Sekundarstufe wird Schreiben zunehmend zum zentralen und Bildungsziel des Fremdsprachenunterrichts, besonders auch mit Bezug auf Studierfähigkeit und employability im Kontext der Globalisierung. Angesichts dieser thematischen Bedeutung kommt der vorliegende Band wie gerufen. Er ist „das Produkt eines längeren Dialogs“ (S. 12) zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Sprachlehrforschung (primär Rüdiger Grotjahn und Karin Kleppin) und Lehrkräften bzw. Personen aus der Lehrerfortbildung (primär Elke Philipp und Günther Sommerschuh) unter der Moderation von Psychometrikerinnen und Psychometrikern des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB; primär Bettina Akukwe und Stefan Schiplowski). Durch diesen inter-disziplinären und inter-institutionellen Zugang vereint der Band sowohl theoretische als auch praktische Hinweise zu Rahmenbedingungen der Evaluation von Schreibkompetenz in der Fremdsprache. In Kapitel 1 wird eine allgemeine Einführung in das fremdsprachliche Schreiben im Kontext eines kompetenzorientieren Unterrichts geliefert. Kapitel 2 erläutert die Rahmenbedingungen der Evaluation von Schreibkompetenz im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER), der nationalen Bildungsstandards und IQB-Tests. Kapitel 3 fasst verschiedene Typen und Funktionen von Evaluation zusammen (z.B. summativ vs. formativ, kriterienvs. bezugsgruppenorientiert). Die ersten drei Kapitel haben einführenden Charakter, danach steigen Detaillierungsgrad und Anspruchsniveau der geschilderten Inhalte deutlich an. Kapitel 4 hat Gütekriterien bei der Evaluation von Schreibkompetenzen (Objektivität, Reliabilität, Validität, Rückwirkung der Evaluation auf den Unterricht, usw.) zum Thema. Kapitel 5 ist Testkonstrukt und Testspezifikationen gewidmet (z.B. Modelle kommunikativer Kompetenz, psycholinguistische und sozio-kognitive Modelle fremdsprachlichen Schreibens). Kapitel 6 stellt die kriterienorientierte Evaluation von Schreibkompetenzen in den Fokus und in Kapitel 7 wird eine fundierte Einführung in die Erarbeitung von Testaufgaben beim Schreiben vorgelegt. Ab Kapitel 8 ändert sich der Fokus des Bandes: Er geht weg von der Konzeption von Tests und Aufgaben hin zum Umgang mit Schülerleistungen. Kapitel 8 hat die Evaluation von Schreibkompetenzen mithilfe von Beurteilungsrastern zum Thema. Kapitel 9 befasst sich mit Feedback zu schriftlichen Lernerproduktionen, wobei sowohl formative wie summative Aspekte erklärt werden. In Kapitel 10 schließlich wird von aktuellen Trends bei der Leistungsbewertung berichtet, etwa computerbasiertes Testen oder Beurteilung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Wie diese Aufzählung zeigt, legen die Herausgebenden den Fokus ganz klar auf die Evaluation von Schreibkompetenzen sowie das Formulieren von Testaufgaben. Dies ist die größte 136 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 47 (2018) • Heft 1 Stärke dieses Bandes: Er ist ein hervorragendes Kompendium zum Beurteilen fremdsprachlicher Schreibleistungen, in welchem die entsprechenden testtheoretischen Gütekriterien und praktischen Verfahren so ausführlich und verständlich beschrieben werden, dass Lehrpersonen in Aus- und Weiterbildung ein umfassendes Bild des modernen Kenntnisstandes erhalten. Eine zentrale Aufgabe für Lehrpersonen beim Überprüfen von Schreibkompetenzen ist etwa die Festlegung des richtigen Schwierigkeitsgrads von Prüfungsaufgaben, welche die Lernenden weder übernoch unterfordern sollen. Die meisten Lehrkräfte zählen dabei auf ihre Erfahrung: Sie wissen, was Lernende auf einer bestimmten Stufe in etwa leisten und welche Aufgaben ihnen zugemutet werden können. Aus Sicht der Testtheorie ist dieser Grundvorgang des schulischen Arbeitens als spezifische Form von „rater-mediated assessment“ (S. 118) zu betrachten. Die Qualität der Urteilsprozesse hängt dabei von folgenden Faktoren ab: • Merkmale der Beurteilenden (Erfahrung, Fachwissen, beruflicher Hintergrund); • Merkmale der Testsituation (standardisierte Testung vs. informelle Leistungskontrolle); • Merkmale der Beurteilungsskalen (Präzision, Handhabbarkeit der Kriterien); • Schwierigkeit der verwendeten Kriterien (Passung von Aufgabenschwierigkeit und Personenfähigkeit); • Merkmale der Aufgabe (Inputmaterial, Itemformat); • Merkmale der Testpersonen (sprachliche Fähigkeiten, Weltwissen, Vertrautheit mit dem Aufgabenformat) (Kap. 6, S. 119). Der Band liefert theoretische Hintergründe für jeden dieser Bereiche: Bei der Aufgabengestaltung geht es etwa um Authentizität, also den Grad an Übereinstimmung zwischen Merkmalen der Testaufgabe und der zielsprachlichen Verwendungskontexte. Ebenso zu beachten sind curriculare Validität (Passung zum Lehrplan), Konstruktvalidität (Passung der Aufgabe zum dahinterliegenden Konstrukt des Schreibens) sowie konsequente Validität (Rückwirkung des Tests auf den Unterricht). Solches Orientierungswissen soll den Lehrkräften dabei helfen, sich theoretisch mit dem Beurteilungsprozess auseinanderzusetzen und ihre eigene Bewertungspraxis kritisch zu reflektieren (S. 117). Allerdings zeigt die obige Aufzählung auch, wie schwer das für Lehrpersonen in der Praxis konkret zu erreichen ist. Besonders willkommen sind deshalb die im Band enthaltenen konkreten Hilfestellungen. Dazu gehört etwa die Checkliste für die Erstellung von Testaufgaben (S. 171), besonders aber auch die vielen kommentierten Aufgabenbeispiele in Französisch und Englisch (ab S. 172). Für die intendierte Verbesserung der Beurteilungspraxis im Unterricht sind diese Beispiele vermutlich wertvoller als hundert Literaturverweise. Ebenso hilfreich sind die unterschiedlichen Beurteilungsraster für verschiedene Texttypen und Stufen des GER, die teilweise am IQB entwickelt und validiert wurden (Kap. 8). Testtheoretisch umstritten, aber praktisch nützlich sind die Hinweise zur Umrechnung von kriterialen Urteilen in Noten (z.B. S. 193). Von hohem Gebrauchswert für Lehrkräfte werden auch die kommentierten Schülerlösungen sein, die in Kap. 8 für die verschiedenen Aufgabenformate angeboten werden (leider teilweise schlecht lesbar). Anhand authentischer Schülertexte auf verschiedenen Stufen des GER (A2, B1 usw.) wird konkret aufgezeigt, wie Schreibleistungen in Bezug auf Textsorte, Situationsbezug, Angemessenheit sowie linguistische Kriterien wie Kohäsion oder sprachformaler Richtigkeit zu beurteilen sind. Ebenso erhalten Praktiker konkrete Hinweise, wie Beurteilungen in lernförderliches Feedback umgesetzt werden können. In diesem Teil werden die theoretischen Ansprüche an „rater mediated assessment“ für den Schulalltag handhabbar gemacht. Wichtig sind dabei neben der Gesamtbeurteilung von Schreibkompetenzen auch Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 137 47 (2018) • Heft 1 Hinweise für die Weiterarbeit, welche sich aus der Testung ergeben. Die Qualität von Beurteilungen im Schulkontext bemisst sich nicht (alleine) an psychometrischen Gütekriterien, sondern auch an der Nützlichkeit der Testung für die Schülerinnen und Schüler. Diese sollen konkrete Hinweise für ihr weiteres Lernen sowie Motivation für die dafür notwendigen (Schreib-)Arbeiten gewinnen. Dies lässt sich erreichen durch wertschätzendes, adressatenorientiertes Feedback (ab S. 262), insbesondere Hinweise zu den eigenen Stärken (und nicht nur den Schwächen! ) sowie Peer Evaluation (ab S. 274). Denn, um den abgegriffenen Satz nochmals zu zitieren, allein durch Wiegen wird das Schwein nicht fett. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass die Vorbereitung, Durchführung und Evaluation von Schreibunterricht in der Fremdsprache über jene Aspekte der Leistungsbeurteilung hinausgehen, die in diesem Band schwerpunktmäßig behandelt werden. Dazu gehören etwa detaillierte Kenntnisse der zentralen Genres des fremdsprachigen Schreibens. In modernen, genrebasierten Curricula verläuft die Planung von Lernprozessen über die zunehmende Beherrschung unterschiedlicher kommunikativer Situationen: einfache Briefkorrespondenz, Twitter- Botschaften und Werbebroschüren (Anfänger); Zeitungsartikel, Reportagen und kurze literarische Erzählungen (erweitert), argumentative Essays oder akademische Präsentationen (Fortgeschrittene). Von solchen Themen erfahren die Leserinnen und Leser dieses Bandes relativ wenig, ebenso wenig wie von prozessorientierten Modellen der Schreibdidaktik. Mit Bezug auf das zentrale Genre argumentative essay könnte dies etwa so aussehen: Lernende analysieren einen Mustertext zum Thema bezüglich Makrostruktur, Textorganisation und typisches Vokabular. Sie suchen sich ein eigenes, kontroverses Schreib-Thema und diskutieren ihre Ideen dazu im Klassenverband. Danach schreiben sie einen Entwurf, planen die Gesamtstruktur und ordnen ihre Argumente in einzelnen Paragraphen an. In der Phase der Überarbeitung wird der Text mit Lehrpersonen und Peers ausgetauscht und besprochen. Am Ende verfassen die Lernenden einen bereinigten Text, publizieren diesen in geeigneter Form (Online, Klassenzeitung, usw.) und reflektieren kurz ihre Fortschritte sowie Lernbedarfe beim Schreiben. Für die zweite Auflage des vorliegenden Bandes (welche hoffentlich bald benötigt wird), könnte vielleicht der Titel angepasst werden: „Evaluation von Schreibkompetenzen in der Fremdsprache: Testaufgaben, kriterienorientierte Beurteilung und Feedback“. In diesem Bereich liefert dieser Band die beste, verständlichste und vollständigste Einführung in deutscher Sprache. Aus diesem Grund gehört er in jedes Lehrerzimmer, in jedes Weiterbildungsinstitut und in jede Fachschaftsbibliothek. Das im Titel versprochene, umfassende Überblickswerk zu „Schreibkompetenzen in der Fremdsprache“ muss jedoch erst noch geschrieben werden. Basel S TEFAN D. K ELLER