eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 46/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2017
461 Gnutzmann Küster Schramm

Manuela WIPPERFÜRTH: Professional vision in Lehrernetzwerken. Berufssprache als ein Weg und ein Ziel von Lehrerprofessionalisierung. Münster: Waxmann 2015 (Münchener Arbeiten zur Fremdsprachen-Forschung, Band 32), 360 Seiten [€ 39,90]

2017
David Gerlach
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 141 46 (2017) • Heft 1 für verschiedene Erstsprachen zu stärken, ist die Software, die im MuVIT-Projekt (Fostering multiliteracy through multilingual talking books) entwickelt worden ist. 3 Geradezu ärgerlich ist es, Lehrkräften pauschal zu unterstellen, sie hielten Lerngruppen für homogen: „Wenn Lehrkräfte bereits heute ein Verständnis entwickeln würden, dass Heterogenität Realität ist, würde die Diskussion um die Umsetzung von Inklusion wahrscheinlich nicht so schleppend vorangehen. Im Grunde muss nur akzeptiert werden, dass jede Klasse heterogen [ist]“ (S. 25). Auf S. 60 folgt die Erkenntnis: „So homogen, wie meist vermutet, sind die Klassen heute schon nicht“. Hier entsteht der Verdacht bzw. der Eindruck, dass die Autorin bisher nur wenig Kontakt zu Lehrkräften hatte bzw. wenig konkrete Unterrichtserfahrung vorweisen kann. Schließlich ist verwunderlich, dass die Autorin in ihren Bemühungen, einen inklusiven Fremdsprachenunterricht zu skizzieren, nicht auf bilingualen Sachfachunterricht zu sprechen kommt. Dieser Unterricht eignet sich deshalb für inklusives Lernen, weil das Sprachenlernen implizit abläuft und kein bewusstes Formen- und Strukturlernen involviert ist, sondern der Sachfachinhalt im Vordergrund steht. Es gibt Hinweise darauf, dass sich bilingualer Sachfachunterricht gerade auch für Lerner mit Migrationshintergrund eignet. 4 Fazit: Ich stimme der Autorin zu, wenn sie (zugegebenermaßen etwas simplistisch) feststellt, Inklusion müsse im Kopf beginnen (S. 37). Ebenso ist zu begrüßen, dass Mehrsprachigkeit und Migrationshintergrund in dieser Studie im Rahmen eines inklusiven Fremdsprachenunterrichts thematisiert werden. Es lohnt sich auch, die Auswertung einer Befragung von Lehrkräften und Lehramtsstudierenden zum Thema Inklusion und Mehrsprachigkeit anzuschauen, um einen Eindruck davon zu gewinnen, was involvierte Lehrkräfte bzw. Lehramtsstudierende über Inklusion denken und wie weit sie mit dem Prinzip vertraut sind. An zu vielen Stellen dieser Studie bleibt die Autorin jedoch deutlich hinter ihren Ansprüchen zurück, und der Argumentation fehlen entweder der Verweis auf entsprechende Studien oder eindeutige Begriffsbestimmungen. Einige Passagen, die ohne Bezüge zur Forschung auskommen, wirken geradezu wie ein plakatives bildungspolitisches Pamphlet (z.B. S. 33, 65) und nicht wie die Argumentation einer wissenschaftlichen Studie. Köln A NDREAS R OHDE Manuela W IPPERFÜRTH : Professional vision in Lehrernetzwerken. Berufssprache als ein Weg und ein Ziel von Lehrerprofessionalisierung. Münster: Waxmann 2015 (Münchener Arbeiten zur Fremdsprachen-Forschung, Band 32), 360 Seiten [€ 39,90] Es mag kaum jemand widersprechen, wenn behauptet wird, dass ein Austausch über das eigene Handeln mit anderen professionell agierenden Kolleginnen und Kollegen - in welchem Arbeitsfeld auch immer - bereichernd sein kann. Im Kontext von Schule und Unterricht verliert sich dieser Austausch leider häufig nach anfänglich intensiver Kooperation in ersten Ausbildungsphasen hin zum Lehrerberuf aufgrund einer Mehrfachbelastung durch unter- 3 Daniela E LSNER , Anja W ILDEMANN : „MuVit - Multiliteracy Virtual Talkingbooks: Why, What, How? “ In: Wladimir M. K URITSYN (Hrsg.): Language Competencies and their Development. Staatliche Universität Schuja: FGBOU VPO „SGPU“ 2012, 5-17. 4 Anja S TEINLEN , Thorsten P ISKE : „Zur Entwicklung der Schulleistungen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund in einer bilingualen Grundschule: Eine Pilotstudie“. In: Markus K O ̈ TTER , Jutta R YMARCZYK (Hrsg.): Englisch auf der Primarstufe: Neue Forschungen - Weitere Entwicklungen. Frankfurt/ M.: Lang 2015, 123-149. Lizenziert für Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG am 27.01.2022 um 08: 06 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG 142 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 46 (2017) • Heft 1 schiedlichste Faktoren. Die Einrichtung von Reflexionsgruppen - z.B. auch mit dem Einsatz von aufgezeichneten Unterrichtsstunden in video clubs - wird daher auch in dieser Hinsicht vermehrt in Forschung und Praxis angeregt und betrachtet, um einen solchen Austausch zu initiieren und die professionelle Entwicklung von Lehrkräften weiterzuführen. Die Verfasserin beschäftigt sich in ihrer Dissertation interessanterweise mit einer solchen, organisierten Form des Lehrer(innen)austauschs über Erfahrungswissen und professionelle Praxis und untersucht dabei ein Projekt, das hierdurch Reflexion von Unterricht unter Lehrenden stärken möchte. Sie gliedert ihre Arbeit in sechs größere Teile, von denen die ersten beiden als Theorieabschnitte charakterisiert werden können, und nähert sich ihrem Untersuchungsgegenstand nach einer Einleitung (Kap. 1) über das Konzept der Berufssprache, welches bislang im Kontext des Lehrerberufs, noch dazu im Kontext der Forschung zum Fremdsprachenlehrerberuf, überraschenderweise wenig Beachtung gefunden hat. In einer theoriegeleiteten, hermeneutischen Herangehensweise werden die Eigenschaften und Funktionen von Berufssprache von Lehrerinnen und Lehrern zusammengefasst und ihre Potenziale im Kontext der gemeinsamen Besprechung von Unterricht diskutiert (Kap. 2). Dazu nötig ist sowohl der erziehungswissenschaftlich und kognitionspsychologisch geprägte Diskurs um den Bruch zwischen explizierbarem Wissen, Kompetenz und Handeln, z.B. auch „dass das, was Lehrer-/ innen verbalisieren, nur sehr wenig mit ihrer tatsächlichen Praxis zu tun hat“ (S. 18). Beschrieben wird in diesem Zusammenhang auch die Fähigkeit zur professional vision, dem Erkennen und Explizieren von Schlüsselmomenten eigener Handlungspraxis (Kap. 3). Genau diese professional vision nimmt die Verfasserin anschließend in den Fokus (Kap. 4), um zu diskutieren, worin diese genau besteht und wie sie damit modellhaft zur Grundlage ihrer eigenen Forschung gemacht werden kann (Kap. 5). Das Projekt „Lernendes Lehrernetzwerk“ gab von 2010 bis 2011 für ein Jahr lang vier Englischlehrkräften unterschiedlicher berufspraktischer Erfahrung sowie vier Berufseinsteigenden einen Raum zum professionellen Austausch anhand von Unterrichtsmitschnitten und gemeinsamer Reflexionsgespräche aller Teilnehmenden (Kap. 6). Die theoretischen Grundannahmen mit Leitideen wie Kooperation, deliberate practice und critical friends sowie der Einsatz von videographiertem Material (Kap. 7) werden getrennt von der praktischen Umsetzung des Projekts betrachtet (Kap. 8) und abschließend zusammenfassend charakterisiert (Kap. 9). Es folgt die umfassend dargestellte Untersuchung, Ergebnispräsentation und Diskussion in drei größeren Teilen mit acht weiteren Kapiteln. Die Datenerhebung erfolgte auf mehreren Ebenen: Es wurden sowohl berufsbiographische Daten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhoben, Leitfadeninterviews zur Wahrnehmung und Veränderung von Unterricht geführt sowie die Netzwerktreffen an sich videographiert und ausgewertet (Kap. 10). Die Auswertung der Daten mittels Qualitativer Inhaltsanalyse wird methodisch wie auch gegenstandstheoretisch leitend begründet und zielt insbesondere darauf ab, auch das Potenzial induktiver Kategorienbildung zu nutzen, d.h. tatsächlich von den teilnehmenden Lehrkräften aufkommende Themen und Elemente berufssprachlicher Kommunikation in die Auswertung einzubeziehen (Kap. 11). Teil IV der Arbeit widmet sich der Auswertung der Leitfadeninterviews und der (berufs-) biographischen Fragebögen unter dem Fokus der „erlebten Potentiale von Berufsgesprächen“. Kap. 12 zeigt dabei, warum und worüber im Lehrerberuf mit Kolleginnen und Kollegen gesprochen wird (z.B. im Kontext von Unterrichtsbesuchen oder zur Materialbeschaffung), während in Kap. 13 das Verständnis der teilnehmenden Lehrkräfte zum Konzept der Berufssprache dargestellt wird. Interessanterweise beschreiben die Befragten aufgrund subjektiv Lizenziert für Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG am 27.01.2022 um 08: 06 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 143 46 (2017) • Heft 1 empfundener hoher Ansprüche „eine dominierend negative Einstellung gegenüber der wissenschaftlichen Disziplin der Englischdidaktik“ (S. 161), die Reflexion und gemeinsamen Gespräche in der Gruppe charakterisieren sie jedoch als durchaus „motivierend“ und „anspornend“ (ebd.). Entsprechend positiv erfolgt die Evaluation des „Lernenden Lehrernetzwerks“ auf Grundlage der Erwartungen und Lernpotenziale. So erleben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine größere Motivation, ihren Unterricht zu entwickeln, und sehen die Chance, durch den Austausch Selbstreflexion antreiben und eigenes Wissen reaktivieren zu können (Kap. 14). In Kap. 15 widmet sich die Verfasserin den Gesprächen in den Netzwerktreffen an sich und interessiert sich hier insbesondere dafür, welche Funktionen Berufssprache in diesem Zusammenhang einnimmt. Sie bleibt bei der Auswertung bewusst zunächst auf einer sehr oberflächlichen Ebene der angesprochenen Themen und verwendeten (fremdsprachendidaktischen) Fachtermini, die auffindbare Bandbreite an diskutierten Bereichen auf Grundlage der acht Treffen ist dabei beachtlich und spiegelt auch die Komplexität fremdsprachenunterrichtlichen Lehrerhandelns wider. Der Fokus der Netzwerkgespräche liegt dabei offensichtlich auf Aspekten der Lehrer-Schüler-Interaktion in einem kommunikativ orientierten Fremdsprachenunterricht. In Rückgriff auf die Interviewauswertung stellt die Verfasserin heraus, „dass die Teilnehmer/ -innen die dienende Funktion von Fachterminologie [zwar; D.G.] besonders betonen … Fachterminologie [aber; D.G.] nur zu einem gewissen Maß als notwendig [erachten]“ (S. 279). Inwiefern der explizite Gebrauch professions- oder domänenspezifischen Vokabulars also für einen reflexiv orientierten Austausch zielführend ist, bleibt dabei weiterhin offen. Der sechste Teil der Arbeit mit den abschließenden beiden Kapiteln widmet sich dezidiert der aus dem Untersuchungsgegenstand konstruierbaren professional vision und explizierbarem Lehrerwissen. Es zeigt sich, dass die Netzwerkgespräche „die Verbalisierung und damit potentielle Veränderung des handlungsleitenden Lehrerwissens fördern“ (S. 308) und somit auch aufgrund geteilten Erfahrungswissens Potential für die individuelle Entwicklung der teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer sowie für deren Unterrichtsentwicklung bieten (Kap. 16). Ein interessantes wie auch erwartetes Ergebnis zur professional vision ist hierbei, dass „Beobachtung und Verbalisierung intensiv miteinander [interagieren]“ (S. 309), aber Diskussionen um eine konkrete unterrichtliche Herausforderung, z.B. aufgeworfen durch den jeweils diskutierten Unterrichtsmitschnitt, schnell auf einer allgemeineren, abstrakteren Ebene weitergeführt werden. Die Verfasserin identifiziert im gleichen Schritt anhand ihrer Daten allerdings auch Faktoren, die einen theoriegeleiteten und fokussierten Austausch ermöglichen (können). Sie entwickelt als Ausblick auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse zwei Vorschläge zur Ausgestaltung von Lehrernetzwerken: zum einen das Konzept einer community of practice and research, bei dem - wie im Forschungsprojekt angelegt - eine gewisse Nähe zur Universität (z.B. durch vorgegebene Rahmenbedingungen oder Prozesssteuerung) besteht und somit Praxis und Forschung enger verknüpft werden könnten; zum anderen der Entwurf einer allgemeineren reflective best practice von Praktikerinnen und Praktikern, die einen Schritt über die basale Diskussion videographierten Unterrichtsmaterials in Nachbesprechungen hinausgeht und explizit das Verbalisieren von Erfahrungswissen innerhalb solcher Diskussionsrunden hervorhebt. Der Verfasserin gelingt es in ihrer Dissertation, im Zusammenhang der Förderung einer Fremdsprachenlehrerprofessionalisierung ausgehend vom Konzept der (Berufs-)Sprache einen bedeutenden Zugang zu Reflexivität, Lehrer(erfahrungs)wissen und der Förderung von Continuing Professional Development offenzulegen, einem Gegenstand, der im Kontext einer Ausschärfung fremdsprachendidaktisch orientierter Professionsforschung weiter verfolgt und Lizenziert für Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG am 27.01.2022 um 08: 06 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG 144 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 46 (2017) • Heft 1 vertiefend untersucht werden müsste. Dabei sollte die Chance der professionellen (und freiwilligen) Weiterentwicklung durch die Einrichtung entsprechender Austausch- und Reflexionsgruppen schul- und fachübergreifend Lehrerinnen und Lehrern schmackhaft gemacht werden. Allerdings: Flexiblere Zeitstrukturen (z.B. im Nachmittagsbereich) müssten dabei schulorganisatorisch freigegeben werden, damit Lehrpersonen die Möglichkeit zum Austausch bekommen und somit Wissen und Expertise, den leider regelmäßig wieder vergrabenen Erfahrungsschatz (Kap. 1 und S. 310), verbalisieren und in ihren Unterricht zurücktragen können. Möglicherweise können die positiven Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung auch hierfür einen Beitrag leisten. Marburg D AVID G ERLACH Eva B URWITZ -M ELZER , Grit M EHLHORN , Claudia R IEMER , Karl-Richard B AUSCH , Hans-Jürgen K RUMM (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6. Auflage. Tübingen: Francke 2016, 692 Seiten [49,99 €] Im August 2016 erschien die 6. Auflage des bewährten Handbuchs Fremdsprachenunterricht erstmals in rotem Umschlag. Die Farbe weist deutlich auf grundlegende Neuerungen dieser völlig überarbeiteten und erweiterten Auflage hin. Gegenüber der 5. Auflage gibt es nicht nur einen neuen roten Umschlag, sondern vor allem auch ein neues Herausgeberteam und eine neue konzeptionelle und inhaltliche Gestaltung. Das Herausgeberteam markiert sowohl Kontinuität gegenüber den vorangegangenen Auflagen als auch Erneuerung: Es handelt sich um Eva B URWITZ -M ELZER , Grit M EHLHORN und Claudia R IEMER , die für einen Generationenwechsel in diesem Team stehen, sowie um Karl- Richard B AUSCH und Hans-Jürgen K RUMM , die bereits die vorangegangenen Auflagen herausgegeben haben. Herbert C HRIST war bis zu seinem Tod im Februar 2011 ebenfalls an der Entstehung und Entwicklung wesentlich beteiligt, Werner H ÜLLEN hingegen konnte als vierter der Herausgeber der Erstausgabe nicht mehr daran mitwirken. Das Handbuch hat den Anspruch, „eine differenzierte und möglichst vollständige Bestandsaufnahme des Fremdsprachenunterrichts in allen seinen institutionellen und fachlichen Ausprägungen“ sowie „Einblicke in die zentralen unterrichtlichen Fragestellungen und den Forschungsstand des Lehrens und Lernens fremder Sprachen in den verschiedenen Alters- und Lernstufen sowie im schulischen und außerschulischen Bereich“ zu gewähren (S. XI). Diesem von den Herausgebern im Vorwort formulierten Ziel wird die Publikation voll gerecht. Die Strukturierung des Fachgebiets trägt dem aktuellen Stand der Forschung ebenso Rechnung wie sprachenpolitischen und curricularen Entwicklungen. Die Gliederung umfasst die folgenden Abschnitte: A Das Lehren und Lernen von Sprachen: Grundlagen B Interdisziplinäre Bezüge auf das Lernen und Lehren von Sprachen C Sprachenpolitische, bildungspolitische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen D Kompetenzen und Standards E Entwicklung sprachlicher Curricula F Spezifische Formen des Lernens und Lehrens von Sprachen G Die Sprachenlernenden H Spracherwerb und Sprachenlernen I Die Lehrenden J Methodische Prinzipien und Verfahren Lizenziert für Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG am 27.01.2022 um 08: 06 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG