eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 46/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
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Narr Verlag Tübingen
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2017
461 Gnutzmann Küster Schramm

Zur Einführung in den Themenschwerpunkt

2017
Michaela Perlmann-Balme
46 (2017) • Heft 1 © 2017 Narr Francke Attempto Verlag E VA B URWITZ -M ELZER , J ÜRGEN Q UETZ * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 1. Vorüberlegungen zu diesem Themenheft Wer Fremdsprachen unterrichtet, übt einen Beruf mit politischen und bildungspolitischen Bedingungen und Beschränkungen aus, denn staatliche, nationale oder auch übernationale Regelungen schlagen sich in Gesetzen, Richtlinien, Verordnungen und Empfehlungen nieder, die in die verschiedenen Sphären des Fremdsprachenunterrichts für Kinder, Jugendliche und Erwachsene hineinwirken (vgl. K RUMM 2016: 45f.; I. C HRIST 2016: 57f.). Diese Tatsache ist Fremdsprachenlehrkräften und Fremdsprachenstudierenden oft gar nicht bewusst. Die allermeisten Studierenden und Lehrkräfte sind eher an fachdidaktischen oder pädagogischen Fragen interessiert. In diesem Themenheft von Fremdsprachen Lehren und Lernen wollen wir einigen ausgewählten sprachenpolitischen Aspekten nachgehen, die im deutschen Bildungswesen heute besonders relevant sind. Wir schließen uns dabei der Definition von Herbert C HRIST (1995: 75) an: „Als Sprachenpolitik ist jede öffentliche Beeinflussung des Kommunikationsradius von Sprachen (Sprachförderung, Spracherhaltung, Sprachkonflikt, Sprachenkampf, Sprachdurchsetzung, Sprachimperialismus, Sprachkolonialismus) zu verstehen. Die Beeinflussung des inneren Systems einer Sprache (Normierung, Standardisierung, Verschriftung, Sprachreinigung, Sprachpflege) wird als Sprachpolitik bezeichnet.“ Diese Gegenüberstellung von Sprachenpolitik und Sprachpolitik war in den letzten Jahrzehnten richtungsweisend für die fremdsprachendidaktische Diskussion. Das Cambridge Handbook of Language Policy (S POLSKY 2012) ist das aktuelle Standardwerk über Sprachenpolitik. Es führt auf ca. 750 Seiten eine große Vielzahl an Themen aus, die weltweit diskutiert werden. Dabei geht es vor allem um theoreti- * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Eva B URWITZ -M ELZER , Justus-Liebig-Universität Gießen, FB Sprache, Literatur, Kultur, Otto-Behaghel-Straße 10 G, 35394 G IEßEN . E-Mail: eva.burwitz-melzer@anglistik.uni-giessen.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik, Interkulturelles Lernen, Sprachlehrforschung, Lehrerbildung in der Fachdidaktik Englisch. Prof. i.R. Dr. Jürgen Q UETZ , Goethe-Universität Frankfurt, privat: Jahnstraße 54, 60318 F RANKFURT / M. E-Mail: quetz@em.uni-frankfurt.de Arbeitsbereiche: Englischunterricht mit Schwerpunkt Sprachdidaktik. S pra c h e n p o litik Lizenziert für Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG am 27.01.2022 um 08: 06 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG 4 Eva Burwitz-Melzer, Jürgen Quetz 46 (2017) • Heft 1 sche Positionen und Konzepte sowie um philosophische, historische und soziologische Eingrenzungen des Begriffs language policy. Die einzelnen Kapitel zeigen dann die ganze Spannbreite der Probleme und Konflikte auf, und es ist überraschend, wie viele es davon vor allem in den Beziehungen von Sprachen zueinander geben kann. Überraschend ist vielleicht auch, dass trotz vieler Forschungsdesiderata in diesem Bereich bis auf wenige Ausnahmen groß angelegter Studien empirischen Forschungsergebnisse noch rar sind (vgl. K RUMM 2016: 49). In diesem Themenheft wollen wir erst gar nicht versuchen, die große Vielfalt an sprachenpolitischen Themen aufzugreifen. Wir haben uns vielmehr darauf konzentriert, auf momentan besonders dringliche Probleme und sprachenpolitische Fragen im deutschen Bildungssystem einzugehen. Dabei stehen zwei Themenbereiche im Mittelpunkt der Aufsätze: die Problematik von Migration und Globalisierung und ihre Auswirkungen auf die deutsche Sprachenpolitik und die deutsche Schulsprachenpolitik. Beide müssen stets in Relation gesetzt werden zum Desiderat und politisch formulierten Ziel der Mehrsprachigkeit, insbesondere zum Konzept der Plurilingualität des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (E URO - PARAT 2001). Es ist uns durchaus bewusst, dass wir damit zahlreiche, ebenfalls aktuelle Probleme der Sprachenpolitik in Deutschland und Europa ausblenden, doch erscheint eine Beschränkung auf wenige Bereiche, die dafür aus mehreren Perspektiven beleuchtet werden, für dieses Themenheft besonders sinnvoll. 2. Zuwanderung, Migration und Mehrsprachigkeit Betrachtet man die Sprachenpolitik im deutschen Sprachraum, so kann man bei allen Unterschieden der Entwicklung in den Jahrzehnten seit dem Ende des zweiten Weltkriegs doch mit K RUMM feststellen, dass sie vor allem „im Zusammenhang mit politisch-wirtschaftlichen Entwicklungen zu sehen“ sei (K RUMM 2016: 46): „Die gegenwärtige Sprachenlandschaft in Schule und Gesellschaft ist ein Ergebnis der europäischen Nachkriegszeit, der Besatzungsmächte, der Phase des Kalten Krieges und der Wirtschaftsexpansion der Vereinigten Staaten sowie seit den 1970er Jahren der zunehmenden Arbeits- und Flüchtlingsmigration“ (ebd.). Gerade die Globalisierungsprozesse der letzten fünfzehn Jahre und die stürmischen Migrationsbewegungen der letzten fünf Jahre führen dazu, dass sprachenpolitische Entscheidungen über Prüfungen, Zuwanderungsbeschränkungen und Zertifizierungen von Sprachkompetenzen direkt in das Leben von Hunderttausenden von Menschen eingreifen, die in diesem Sprachraum als Arbeitsmigranten oder Flüchtende Fuß fassen wollen. Sie treffen gerade in Deutschland auf ein Bildungssystem, das immer noch durch einen starken „monolingualen Habitus“ geprägt ist (G OGOLIN 1994) und in dem Lehrkräfte nach wie vor recht unzureichend auf die Entwicklung von Mehrsprachigkeit vorbereitet sind, wie sie als europäisches Sprachkonzept im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen und zahlreichen anderen Empfehlungen vorgesehen ist. Lizenziert für Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG am 27.01.2022 um 08: 06 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 46 (2017) • Heft 1 Eine Muttersprache plus zwei Fremdsprachen zu fördern ist ein Postulat, das bereits bei der wichtigen Frage überdacht werden muss, welche Muttersprache denn wohl vom GeR gemeint ist, wenn sich die Lernenden mit anderen Muttersprachen als Deutsch im deutschen Bildungssystem wiederfinden. Oft ist ja nicht einmal ein Förderunterricht in diesen Mutter- und Familiensprachen vorgesehen. Das Potenzial der mitgebrachten Sprachen, das für Fremdsprachendidaktiker eigentlich von unschätzbarem Wert für die interkulturelle Entwicklung und die Mehrsprachigkeitsentwicklung der Lernenden ist, verpufft, wenn das Bildungssystem nur an der Muttersprache Deutsch orientiert ist. Dieser Frage sollen die ersten Kapitel des Hefts gewidmet sein, denn für die Bundesrepublik Deutschland stellt die zunehmende Anzahl von Menschen, deren L1 nicht Deutsch ist, eine aktuell besonders brisante sprachenpolitische Herausforderung dar. Wie viel Deutsch sollten Zuwanderer können, um ihr Leben in Deutschland so zu gestalten, wie es ihren Bedürfnissen entspricht? Viele Asylsuchende werden in ihr Heimatland zurückkehren wollen, wenn die Lebensbedingungen dort sich wieder normalisiert haben. Für Servicekontakte reicht normalerweise Englisch, das die meisten Zuwanderer auf funktionaler Ebene durchaus beherrschen. Andere wollen aber dauerhaft in Deutschland bleiben und müssen daher umfangreichere deutsche Sprachkenntnisse erwerben oder nachweisen, die eine Integration möglich machen. Wie überprüft man unter Berücksichtigung der Lernerbiographie, ob dies tatsächlich der Fall ist? M ICHAELA P ERLMANN -B ALME (Goethe-Institut München), die an der Entwicklung des Zuwanderertests im Auftrag des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) beteiligt war, hat einen Beitrag verfasst, der genau auf diese Problematik fokussiert. Die Entscheidung, welche Deutschkenntnisse in welchem Zusammenhang erforderlich sind, ist eine sprachenpolitische, bei der vielfältige Weichen gestellt werden. Welche Mindestanforderungen kann man für verschiedene Gruppen von Personen stellen, deren Bildungsvoraussetzungen und Erwartungen äußerst heterogen sind? Im beruflichen Sektor z. B. liegen die Anforderungen an einen Ingenieur höher, um sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten zu können, als die an einen Bauarbeiter, der manchmal sogar Analphabet ist. Beide aber müssen abends beim Einkaufen über funktionale Sprachkenntnisse in Servicesituationen verfügen sowie über weitere berufsunabhängige Kompetenzen, um am öffentlichen Leben teilhaben zu können. Für Kurse und Prüfungen bedeutet das einen Spagat, auf den hauptberuflich Lehrende in der Erwachsenenbildung oft ebenso wenig vorbereitet sind wie nebenberuflich und ehrenamtlich tätige Lehrende in Integrationskursen. Fortbildung für Kursleiterinnen und -leiter werden mittlerweile von vielen Institutionen angeboten, die in der Regel vom BAMF akkreditiert sein sollten. Das Bild der Eingangsqualifikationen für solche Lehrkräfte ist aber wiederum buntscheckig: Ein Studium der Germanistik bzw. ein Lehramtsstudium für das Fach Deutsch umfasst vielfältige Teilkompetenzen und eventuell auch eine Qualifikation in DaF (Deutsch als Fremdsprache), bestenfalls sogar in DaZ (Deutsch als Zweitsprache). Aber welche Bundesländer oder Hochschulen sind da schon modellhaft aktiv? Die Lizenziert für Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG am 27.01.2022 um 08: 06 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG 6 Eva Burwitz-Melzer, Jürgen Quetz 46 (2017) • Heft 1 Zuwanderungsproblematik stellt die Aus-und Fortbildung der Fremdsprachenlehrkräfte vor neue Herausforderungen. Mit welchen Konzepten soll ein Förderunterricht in verschiedenen Muttersprachen durchgeführt werden? Wie werden die Fremdsprachenlehrkräfte dafür ausgebildet? Welche Förderprogramme integrieren statt zu segregieren? In einem zweiten Beitrag zu diesem Heft geht B EATE L ÜTKE (Humboldt-Universität Berlin) deshalb der Frage nach, welche Ausbildungsmöglichkeiten es an deutschen Universitäten im Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ für angehende Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen gibt. Viele Universitäten, die ein breites Angebot an Lehramtsstudiengängen bereithalten, diskutieren im Moment die Frage, ob ein Studienelement in DaZ tatsächlich für jede angehende Lehrkraft zur Ausbildung gehören sollte. In NRW sollen im Rahmen der Lehrerausbildung neuerdings alle Lehramtsstudierenden Leistungen in „Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte für alle Lehrämter“ erbringen (vgl. L ÜTKE in diesem Heft). L ÜTKE s Beitrag setzt sich damit auseinander, welche Konzepte dabei zugrunde liegen und welche Erfahrungen man bereits damit gemacht hat. Ganz unumstritten ist dieses Feld der Ausbildung nicht. Dass z.B. Mathematik ein weitgehend sprachlich vermitteltes Schulfach ist, ist evident, aber welcher Student der Mathematik, welcher Mathematik-Dozent wird das einräumen, wenn ein DaZ- Modul wertvolle Ausbildungszeit in seinem eigenen Fach kostet? 3. Herkunftssprachen, Nachbarsprachen und Schulwirklichkeit Ein weiterer wichtiger Aspekt der Zuwanderungsproblematik ergibt sich bei einem Blick auf die zugewanderten Lernenden mit verschiedenen Herkunftsbzw. Nachbarsprachen: Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (E UROPARAT 1998) und der GeR betonen den Wert aller Sprachen und propagieren den Schutz von weniger häufig gesprochenen Sprachen. Diese politisch vernünftige Verlautbarung wird aber im Alltag in den bildungspolitischen Einrichtungen oft ignoriert. Denn in Deutschland, im deutschsprachigen und europäischen Raum wird Englisch als Weltsprache in den Bildungssystemen bevorzugt behandelt; es gilt als prestigeträchtige Sprache der Wirtschaft und Wissenschaft und damit unbestritten als erste und auf jeden Fall als wichtigste Fremdsprache. Wenn nationalsprachliche Grenzen verwischen, wenn die digitalen Medien diese Tendenz zunehmend unterstützen, ist Englisch eine perfekte lingua franca, die in den Bildungssystemen in aller Welt und auch in Deutschland besonders gefördert wird (vgl. G NUTZMANN 1999; S EIDLHOFER 2005; Q UETZ 2010). Erst mit Abstand folgen Französisch und Spanisch, während andere Sprachen, wie die osteuropäischen oder arabischen, bei der Standardorientierung sowie in den Curricula der Länder vernachlässigt werden. Hier liegt ein Konfliktpotential politischer Art, denn eine Ablehnung ganzer Sprachengruppen schafft Identitätsprobleme bei denen, die diese Sprachen mit sich bringen und sie auch weiter sprechen möchten. Auch erscheint eine solche Sicht auf Herkunfts- und Nachbarsprachen wenig Lizenziert für Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG am 27.01.2022 um 08: 06 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 46 (2017) • Heft 1 vereinbar mit aktuellen fremdsprachendidaktischen Theorien (vgl. G IBBONS 2002; B ENHOLZ / M AVRUK 2016: 217-221 sowie H UFEISEN 2016: 167-172). Es ist also zu prüfen, ob es in Deutschland tatsächlich Bestrebungen gibt, die auf plurilinguale Kompetenz zielende sprachenpolitische Formel 1+2 umzusetzen, oder ob das wenigstens angestrebt wird? Das Thema Rolle der Herkunftssprachen im deutschen Schulwesen behandelt G RIT M EHLHORN (Universität Leipzig) für Russisch und Polnisch. Zu Türkisch haben C HRISTOPH S CHROEDER (Universität Potsdam) und A LMUT K ÜPPERS (Sabanc ı University Istanbul/ Goethe Universität Frankfurt am Main) eine Art ‚Streitschrift‘ verfasst, die pointiert den sogenannten muttersprachlichen Unterricht kritisiert, da er kaum zur Integration türkischstämmiger Kinder beitrage. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Deutschland sei es wichtig zu überlegen, inwiefern Türkisch als eine der Sprachen von Einwanderern im deutschen Bildungswesen adäquat berücksichtigt wurde und welche Fehler möglichst vermieden werden sollten, um auch andere Zuwanderungssprachen als Bildungsressource zu nutzen. Ihre Forderung, Türkisch statt im muttersprachlichen Unterricht als reguläre Fremdsprache in den Kanon der Schulsprachen aufzunehmen, ist provokant und durchaus bedenkenswert. In diesem Zusammenhang muss man auch die Rolle der Nachbarsprachen im deutschen Schulsystem betrachten. Obwohl sich die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (E UROPARAT 1998) für deren Förderung einsetzt, spielen sie im öffentlichen Schulwesen der Bundesrepublik eine noch geringere Rolle als Herkunftssprachen, mit Ausnahme des Französischen. Warum gibt es in Schulen kaum Unterricht für Polnisch, Tschechisch, Dänisch, Niederländisch? Zu diesem Thema äußern sich exemplarisch W ALDEMAR M ARTYNIUK (Jagiellonen-Universität Krakau und European Centre for Modern Languages of the Council of Europe Graz) und M AŁGORZATA M ÜLLER (VHS Eschweiler) für Polnisch. Während Deutsch in Polen nach der Wende im polnischen Bildungswesen zu den häufig gelehrten und gelernten Fremdsprachen geworden ist, ist Polnisch als international weniger häufig gesprochene slavische Sprache in Deutschland klar benachteiligt. Aber darin spiegelt sich auch eine Art „Sprachimperialismus“, wie er dem Englischen immer wieder vorgehalten wird (vgl. P HILLIPSON 1992 Linguistic Imperialism). In Regionen Deutschlands, in denen die Nachbarsprache Polnisch häufiger gesprochen wird, ist sie auch in den Lehrplänen des öffentlichen Schulwesens zu finden. Das gilt aber nicht für alle Bundesländer, obgleich ja seit der ersten Migrationswelle im frühen 20. Jahrhundert (vor allem von Bergleuten in das Ruhrgebiet) zahlreiche „polnischstämmige“ Deutsche mit „Migrationsgeschichte“ leben. 4. Englisch, Französisch und andere traditionelle Schulsprachen Betrachtet man die schwache Position der Herkunfts- und Nachbarsprachen an deutschen Schulen, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie auch so Lizenziert für Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG am 27.01.2022 um 08: 06 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG 8 Eva Burwitz-Melzer, Jürgen Quetz 46 (2017) • Heft 1 wenig Beachtung in der Sprachenfolge finden, weil es zwei prominente „fortgeführte Fremdsprachen“ (KMK 2012) gibt (Englisch und Französisch), die als einzige Sprachen in die Kompetenz- und Standardorientierung einbezogen wurden und deshalb stets im Mittelpunkt des Interesses der Kultusministerien und damit auch der Lehrkräfte stehen. Ein spezieller Fall sind die romanischen Sprachen Französisch, Spanisch und Italienisch im deutschen Schulwesen. Historisch war Französisch als Sprache des Hofes und der sog. „gebildeten Stände“ wichtiger und weiter verbreitet als Englisch, das erst mit der Einrichtung von „Realgymnasien“ im 19. Jahrhundert den Weg ins Schulwesen fand. Seit 1963 hatte es in den „Verträgen über Partnersprachen“ zwischen Frankreich und Deutschland eine starke Förderung des Französischunterrichts an deutschen Schulen gegeben, gestützt durch Austauschprogramme des Deutschfranzösischen Jugendwerks. Der Erfolg war aber gering, denn seit 1963 ist die Zahl der Französischlernenden in Deutschland (und umgekehrt) ständig gesunken. Amerikanisches und Britisches Englisch entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zur internationalen Verkehrssprache, zur lingua franca wie früher Latein. Französisch verlor folglich auch im deutschen Schulsystem immer weiter an Boden, trotz der Sonderstellung, die dieser Sprache nach wie vor bildungspolitisch eingeräumt wurde. Die „Bildungsstandards“ wurden zwar für Englisch und Französisch von Klasse 5 bis 13 verbindlich formuliert (KMK 2004, 2005, 2012), aber das änderte nichts daran, dass Französisch kontinuierlich an Boden verliert. Die aktuelle Statistik des Statistischen Bundesamts zeigt zwar keinen Längsschnitt, macht aber die Gewichtung alle Sprachen gegenüber Englisch deutlich. Allgemeinbildende Schulen Sprachen Schuljahr 2013/ 14 2014/ 15 absolut absolut Veränderung zum Vorjahr in % Englisch 7 307 948 7 274 027 - 0,5 Französisch 1 556 275 1 535 600 - 1,3 Latein 709 407 688 625 - 2,9 Spanisch 391 552 404 183 3,2 Italienisch 52 666 51 012 - 3,1 Russisch 107 132 108 922 1,7 Türkisch 12 549 12 182 - 2,9 Quelle: www.destatis.de/ DE/ ZahlenFakten/ GesellschaftStaat/ BildungForschungKultur/ Schulen/ Tabellen/ AllgemeinBildendeBeruflicheSchulenFremdsprachUnterricht.html Lizenziert für Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG am 27.01.2022 um 08: 06 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 46 (2017) • Heft 1 Die Schwankungen in der Gesamtschülerzahl sind dabei zu berücksichtigen, aber der aktuelle Trend umfasst auch alle letzten Jahrzehnte. M ARCUS B ÄR (Wuppertal) diskutiert, welche Faktoren dazu beitragen, dass der Status des Französischunterrichts, der sich bildungs- und sprachenpolitisch von mehreren Seiten unter Druck sieht, so stark verändert. Die Konkurrenz der Weltsprache Spanisch, aber auch die unklare Politik der Bundesländer in Bezug auf die Verkürzung der gesamten Schulzeit und die oben dargestellte Berücksichtigung von DaZ und Herkunftssprachen spielen dabei auch eine Rolle. Angesichts der Tatsache, dass Englisch für seine Rolle als lingua franca einen hohen Preis bezahlt, indem Pidginisierungstendenzen immer stärker werden, muss man weltweit nach Standards suchen, um dieser Tendenz gegenzusteuern. Seit seinem Erscheinen 2001 hat der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen: lehren, lernen, beurteilen (E UROPARAT 2001) die Rolle als Standardisierungsinstrument übernommen. In seinem Gefolge wurden in Deutschland Bildungsstandards geschaffen und Vergleichsarbeiten und zentrale Abschlussprüfungen begonnen. Für das Fach Englisch diskutiert in diesem Heft H ENNING R OSSA (Universität Trier), welche bildungs- und sprachenpolitischen Faktoren den Weg zu Bildungsstandards in den Ländern bzw. zum Zentralabitur beeinflussen und wie erfolgreich sie bislang umgesetzt wurden. Er hatte schon in der Zeitschrift für Fremdsprachenforschung (2016: 99-122) die Frage aufgegriffen, wie Bildungsstandards und zentrale Abschlussprüfungen den Englischunterricht beeinflussen und wie man diesen Einfluss überprüfen kann. In diesem Beitrag geht er jetzt der Frage nach, wie es zur Standardorientierung kam und ob sie die Unterrichtswirklichkeit schon nachweislich verändert hat. Die Koordinatoren dieses Themenhefts hoffen, dass es in vielen Kontexten des Bildungssystems viele Anregungen zum weiteren Nachdenken über die zahlreichen sprachenpolitischen Baustellen gibt. 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Tübingen: Stauffenburg G OGOLIN , Ingrid (2008): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster: Waxmann. H UFEISEN , Britta (2016): „Gesamtsprachencurriculum“. In: B URWITZ -M ELZER et al. (Hrsg.), 167- 172. KMK (= Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland) (2004, 2005, 2012). Bildungsstandards. http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2003/ 2003_12_04-BS-erste- Fremdsprache.pdf (22.11.2016). K RUMM , Hans-Jürgen (2016): „Sprachenpolitik und das Lehren und Lernen von Sprachen“. In: B URWITZ -M ELZER et al. (Hrsg.), 45-51. P HILLIPSON , Robert (1992): Linguistic Imperialism. Oxford: OUP. Q UETZ , Jürgen (2010): „Auf dem Weg zur fremdsprachlichen Monokultur? Fremdsprachen an den Schulen der Bundesrepublik Deutschland“. In: Sociolinguistica 24, 170-186. R OSSA , Henning (2016): „Wie verändern Bildungsstandards und zentrale Prüfungen den Fremdsprachenunterricht? “ In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 27.1, 99-122. S EIDLHOFER , Barbara (2005): „English as a lingua franca.“ In: ELT Journal 59.4, 339-341. S POLSKY , Bernard (Hrsg.) (2012): The Cambridge Handbook of Language Policy. Cambridge: CUP. Lizenziert für Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG am 27.01.2022 um 08: 06 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG