eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 45/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2016
452 Gnutzmann Küster Schramm

Meike STROHN: Binnendifferenzierung im Englischunterricht. Die Lehrerperspektive. Bochum/ Freiburg: projektverlag 2015, 544 Seiten [32,80 €]

2016
Matthias Trautmann
146 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 45 (2016) • Heft 2 aber nicht immer gelingt: So ist die von T OMLINSON vorgeschlagene Systematik nach readiness, interest und learning profile eben nicht übersetzbar mit den Ausdrücken Leistung, Interesse und Lernstilen (S. 58), und wird diese Systematik dann wieder zugunsten einer anderen verlassen, gibt es wenig zielführende Exkurse zum Ganztag oder zum Potential von Lehrwerken. Verwunderlich ist auch die mehrfach vorgetragene Behauptung, es gebe für den Fremdsprachenunterricht eine „einzigartige Systematisierung“ (S. 120). Am Ende stehen eine Arbeitsdefinition (S. 167) und zwei unterschiedliche Systematisierungsversuche (S. 89 ff. und S. 170ff.), welche als „Analyseheuristik für die systematische Auswertung der Interviewergebnisse“ (S. 43) dienen sollen. Im anschließenden Teil III werden die Grundlagen für die eigene Interviewstudie vorgestellt. Als forschungsleitendes Konzept wird das in der Fremdsprachenforschung verbreitete Konstrukt der subjektiven Theorien in der weiten Fassung genutzt, d.h. ohne explanative Validierung, aber mit im Laufe des Projekts wechselnden Formen der kommunikativen Validierung. Das Sample umfasst 12 Interviews mit unterschiedlich berufserfahrenen Englischlehrenden (2x Grundschule, 1x Berufskolleg, 1x Gesamtschule, 8x Gymnasien mit und ohne Ganztag). Die zur Auswahl führenden Überlegungen sind teilweise nachvollziehbar, zeigen aber auch die Schwierigkeiten der Bildung einer guten qualitativen Stichprobe: Zunächst wurden Lehrpersonen unterschiedlicher Schulformen interviewt (Warum? ), darauf folgend männliche Lehrkräfte (obwohl eine Fragebogenuntersuchung an Ganztagsgymnasien keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bezüglich des Einsatzes von Binnendifferenzierung ergeben hatte), schließlich wurde entschieden, Englischlehrpersonen auszuwählen, „die der Binnendifferenzierung im eigenen Englischunterricht mehr oder weniger große Bedeutung schenkten, über unterschiedlich gute Ausbildung auf dem Gebiet sowie über unterschiedlich umfangreiche Unterrichtserfahrung verfügten“ (S. 222); zuletzt wurde noch eine weitere Lehrperson mit umfangreichen Erfahrungen und einer positiven Haltung zum Thema gewonnen. In zukünftigen Studien wird man diesem Punkt größere Aufmerksamkeit schenken müssen. Zur Auswertung wurde die integrative, texthermeneutische Analysemethode nach K RUSE und H ELFFERICH eingesetzt, welche sequenziell mit Fokus auf dem Was und Wie vorgeht und sogenannte „Zentrale Motive“, Thematisierungsregeln und Lesarten zunächst der einzelnen Fälle, dann im Fallvergleich herausarbeitet. Diese entscheidenden Analyseziele und -begriffe bleiben etwas im Hintergrund und hätten noch mehr expliziert werden sollen; gemeint ist aber offenbar eine Art thematischer oder begrifflicher roter Faden, der die Interviews durchzieht. Teil IV stellt zunächst überraschend noch einmal methodische Aspekte der Untersuchung in den Vordergrund (Umgang mit der Subjektivität der Forscherin, Forschungsfragen, Vorstudie, Stichprobe und Darstellungsform), bevor im Anschluss die Ergebnisse fünf ausgewählter Einzelfallanalysen präsentiert werden. Auch hier stellt sich wieder die Frage der Auswahlkriterien innerhalb der Auswahl. Genannt werden fünf quantitative sowie vier qualitative Kriterien - eine Komplexität, die mich als Leser überfordert hat. Es hätte hier nähergelegen, sich stärker an ein oder zwei zentralen qualitativen, inneren Kriterien zu orientieren und erst im Nachgang Vermutungen zum Zusammenhang dieser Fälle mit weiteren Merkmalen anzustellen. Zu den fünf Einzelfällen: Dargestellt werden jeweils nacheinander Hintergrundinformationen, „Zentrale Motive“ sowie Thematisierungsregeln, eine Analyse der Eingangssequenz des Interviews, die Ergebnisse der kommunikativen Validierung, abgerundet durch eine verbale Zusammenfassung und einen Schaukasten der zentralen Elemente der subjektiven Theorie. Es schließt sich eine sehr viel umfangreichere Querauswertung (über 130 Seiten! ) an. Dort werden zunächst die wichtigsten Ergebnisse noch einmal aufgelistet, dann geht es um Begriffsverständnis, emotionale Bewertung und mit Binnendifferenzierung verbundene sonstige Aspekte des Lehrerberufs, schließlich um Erfahrungen, Gelingensbedingungen, Hinderungsgründe der Diffe- Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 147 45 (2016) • Heft 2 renzierung speziell im Englischunterricht. Schlussendlich werden verschiedene sehr weitausgreifende Hypothesen formuliert, welche Ausgangspunkt weiterer Studien sein könnten, als Beispiel: Binnendifferenzierung nach Leistung erfolgt in der Unterstufe von oben, in der Mittelstufe von unten, in der Oberstufe wird sie ersetzt durch ein Angebot individueller Beratung. Als Leser dieses Teils habe ich mir oft ein etwas weniger narratives Vorgehen gewünscht, oder anders gesagt: mehr auf den Punkt, stärker fokussiert, durchaus auch mit stärkerer Unterscheidung zentraler Ergebnisse von Nebensächlichkeiten. Teil V fasst die Ergebnisse der Studie zusammen. In meiner Lesart: Die befragten Lehrpersonen sehen (lediglich) die Leistung bzw. das Lerntempo als für eine theoretisch notwendige Binnendifferenzierung von oben relevante Heterogenitätsdimensionen ihrer Schüler an. Im Unterricht ergibt sich eine Leistungsdifferenzierung - wenn überhaupt - dann eher zufällig, ohne Diagnosen, etwa über eine Vielfalt eingesetzter Methoden. Der Mehraufwand wird gescheut; weniger aufwändige Verfahren sind nicht bekannt; Binnendifferenzierung wird daher nicht oder nur selten praktisch realisiert. Die Autorin lässt diesen ernüchternden, aber nicht neuen Befunden verschiedene, auf unterschiedlichen Ebenen liegende und z.T. weitausgreifende „Lösungsansätze“ (kleinere Klassen, Team teaching, leicht einsetzbare, an verschiedenen Kompetenzbereichen orientierte, Diagnoseinstrumente für alle Schulformen und Jahrgangsstufen usw.usf.) vorausgehen, später gefolgt von ebenso zahlreichen Ideen für Forschung und Lehrerausbildung. Es ist zwar m.E. ganz richtig, etwa auf die zentrale Bedeutung der Diagnose(kompetenz) zu verweisen, aber die vielen Ideen zur Verbesserung der desolaten Situation wirken doch zu oft abstrakt, bereits bekannt und zu wenig in Verbindung mit den zentralen Ergebnissen der Interviewstudie stehend. Fazit: Das Verdienst der Studie besteht darin, das Thema Binnendifferenzierung umfangreich und über die Erhebung der Lehrerperspektive wieder in den Fokus der fachdidaktischen Diskussion gerückt zu haben. Insofern: Must read! Allerdings zeigt die Untersuchung auch schmerzhaft, was einer englischdidaktischen Professionsforschung noch fehlt: Sie muss noch näher an die Theorien und Konzepte der allgemeinen Professionsforschung heranrücken (etwa über eine Beschreibung und Modellierung entsprechender Kompetenzen/ Kompetenzfacetten in Bezug auf die differenzierende Planung, Durchführung von Unterricht und einen stärkeren Fokus auf die begleitende Lernverlaufsdiagnostik); sie muss sich in der Befassung mit Binnendifferenzierung unbedingt für weitere anspruchsvolle qualitative und quantitative Methoden öffnen (Stichworte etwa: Experimente/ Interventionsstudien oder teilnehmende Beobachtungen), und sie muss - das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis - mehr Entwicklungsprojekte initiieren, die den Status Quo aktiv zu ändern versuchen. Siegen M ATTHIAS T RAUTMANN 45 (2016) • Heft 2 I n f o r m a ti o n e n • V o r s c h a u Vorschau auf Jahrgang 46.1 (2017) Der von Eva B URWITZ -M ELZER (Gießen und Kristiansand) und Jürgen Q UETZ (Frankfurt/ M.) koordinierte Themenschwerpunkt trägt den Titel „Sprachenpolitik“. Für Lehrende stehen in der Regel didaktische und methodische Aspekte ihrer Tätigkeit im Zentrum des Interesses. Sie blenden gerne aus, dass diese Tätigkeit in hohem Maß von politischen und bildungspolitischen Parametern bestimmt wird. „Als Sprachenpolitik ist jede öffentliche Beeinflussung des Kommunikationsradius von Sprachen (Sprachförderung, Spracherhaltung, Sprachkonflikt, Sprachenkampf, Sprachdurchsetzung, Sprachimperialismus, Sprachkolonialismus) zu verstehen. Die Beeinflussung des inneren Systems einer Sprache (Normierung, Standardisierung, Verschriftung, Sprachreinigung, Sprachpflege) wird als Sprachpolitik bezeichnet“, schreibt Herbert Christ im Handbuch Fremdsprachenunterricht (1995, S. 75). Die Vielzahl möglicher Aspekte, die hier angesprochen werden, wollen wir eingrenzen auf aktuelle Themen, die im deutschen Bildungswesen, aber auch in anderen deutschsprachigen Ländern diskutiert werden. Dabei werden aktuelle Schwerpunktsetzungen vorgenommen, die in der letzten Zeit schulische und außerschulische Kontexte betroffen haben. Das Themenheft wird auf verschiedene Problemfelder wie die Sprachausbildung von Migrantinnen und Migranten, eine angemessene Vorbereitung von Fremdsprachenlehrkräften im Studium durch Zweitsprachen-Module, die Stellung von Nachbar- und von Herkunftssprachen im deutschen Bildungssystem sowie auf wichtige aktuelle Veränderungen bei den klassischen Schulfremdsprachen eingehen. Bei Redaktionsschluss lagen Zusagen für folgende Beiträge vor: Marcus B ÄR (Wuppertal): Französisch, Spanisch, Italienisch - Zur Stellung der romanischen Schulsprachen im deutschen Bildungssystem. Beate Lütke (Berlin): Deutsch als Zweitsprache-Module im Lehramtsstudium: Entwicklung, Relevanz und curriculare Konzepte. Waldemar M ARTYNIUK (Krakau), Małgorzata M ÜLLER (Eschweiler): Die Rolle der Nachbarsprache Polnisch im deutschen Bildungswesen. Grit M EHLHORN (Leipzig): Herkunftssprachen im deutschen Schulsystem. Michaela P ERLMANN -B ALME (Goethe-Institut): Wie viel Deutsch sollen Migranten können? Henning R OSSA (Dortmund): Lost in Translation. Überlegungen zum Wirksamkeitsdefizit der Bildungsstandards als bildungspolitische Steuerungsinstrumente für die Unterrichtsentwicklung im Fach Englisch. Christoph S CHROEDER (Potsdam), Almut K ÜPPERS (Frankfurt und Istanbul): Warum der türkische Herkunftssprachenunterricht ein Auslaufmodell ist und warum es sinnvoll wäre, Türkisch zu einer modernen Fremdsprache auszubauen. Eine sprachenpolitische Streitschrift. Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 46.2 (2017) Frühes Fremdsprachenlernen (koordiniert von Heiner B ÖTTGER )