eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 45/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
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2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2016
452 Gnutzmann Küster Schramm

Martina NIED CURCIO, Peggy KATELHÖN, Ivana BAŠIĆ (Hrsg.): Sprachmittlung – Mediation – Mediazione linguistica. Ein deutsch-italienischer Dialog. Berlin: Frank & Timme 2015, 325 Seiten [€ 39,80]

2016
Andrea Rössler
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 141 45 (2016) • Heft 2 Wiedergabe und Zusammenfassung von vorgegebenen fremdsprachlichen Inhalten in der Zielsprache als Sprachmittlung zu verstehen und den Begriff damit bis zur Unkenntlichkeit zu überdehnen. Allein der Beitrag von Carmen D ELL ’ ASCENZA widmet sich der Sprachmittlung im fremdsprachlichen Unterricht an italienischen Sekundarschulen und fordert, diese Kompetenz dort - angesichts der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung - viel stärker als bisher auszubilden und auch die (angehenden) Lehrkräfte entsprechend zu schulen. Dass die Implementierung von Sprachmittlungsaufgaben im fremdsprachlichen Unterricht an den Schulen in der BRD dagegen schon weit vorangeschritten ist, dokumentieren die Beiträge in Teil I „Sprach- und Kulturmittlung im GeR und ihre Anwendung im Fremdsprachenunterricht in Deutschland“. Der Schwerpunkt liegt auf der Evaluation schriftlicher Sprachmittlungskompetenz, insbesondere in den fremdsprachlichen Abiturprüfungen. Elisabeth K OLB schlägt zum einen vor, den prozentualen Anteil der Bewertung der inhaltlichen Aspekte der Aufgabenlösung gegenüber der Bewertung der sprachlichen Korrektheit anzuheben, da bei dieser realitätsnahen kommunikativen Aktivität „mindestens genauso stark zu werten [sei], ob die den Adressaten interessierenden Inhalte korrekt und vollständig gemittelt werden“ (S. 61). Zum anderen gibt sie zu bedenken, dass mit schriftlichen Sprachmittlungsaufgaben im Unterschied zu mündlichen Aufgabenformaten nur in sehr eingeschränktem Maße interkulturelle Kompetenzen evaluiert werden könnten. Ausgehend von der translationswissenschaftlichen Skopos-Theorie von Reiss und Vermeer geht es Daniel R EIMANN in seinem Beitrag darum, das Diagnoseinstrumentarium zur Evaluation schriftlicher Sprachmittlungskompetenz - nicht nur in Abituraufgaben - zu ergänzen und zu verfeinern. Die Skopos-Theorie veranlasst ihn dazu, bei der Bewertung schriftlicher Sprachmittlungsleistungen auch die „textpragmatische Leistung“ (u.a. Textsortenspezifika) und die „Aufgabenerfüllung qua Skopos-Orientierung“ (pragmatische Adäquatheit) zu berücksichtigen (vgl. S. 73). Frank S CHÖPP schließlich hält als wesentliches Ergebnis seiner Analyse fest, dass Hessen im Zentralabitur die schriftliche Sprachmittlungskompetenz auf das Resümee eines muttersprachlichen Textes in der Zielsprache (hier: Italienisch) reduziere. Der situative Rahmen und die Adressatenorientierung spielten dabei nahezu keine Rolle. Hier klafft offenbar noch ein großer Widerspruch zwischen der theoretischen Modellierung von Sprachmittlungskompetenz in der Fremdsprachendidaktik und der gängigen Praxis in zentralen Prüfungsformaten. Frank G. K ÖNIGS erweitert in seinem Grundlagenbeitrag das im deutschen Kontext bis dato ausgehandelte Begriffsverständnis und Modell von Sprachmittlung um das Konzept des „mentalen Sprachmittelns“. Hierunter versteht er die lernerseitige Planung von eigenen Äußerungen in der Fremdsprache durch die sukzessive Anpassung der ursprünglichen, muttersprachlichen Ausdrucksintention an die in der Zielsprache zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel. Gemeint ist somit eine innersprachliche Mittlung, die den „artikulierten oder vollzogenen Sprachmittlungsvorgang“ (S. 37) vorbereitet. Dabei kommen - ganz im Sinne der von B ICKERT in Anschlag gebrachten Komplexitätsreduktion (s.o.) - diverse Kommunikationsbzw. Kompensationsstrategien zum Tragen, die vor allem für die ersten Lernjahre, in denen die Muttersprache beim Fremdsprachenlernen noch eine größere Rolle spielt, von Bedeutung sind. Auch aus diesem Grund argumentiert K ÖNIGS zu Recht für eine Förderung der Sprachmittlungskompetenz von Beginn des Fremdsprachenunterrichts an. Ob es trotz dieser zweifelsohne wichtigen und richtigen Überlegungen tatsächlich notwendig ist, noch einen weiteren Typus von Sprachmittlung auszudifferenzieren - eben den der „mentalen Sprachmittlung“ -, wäre indes m.E. noch zu diskutieren. In Teil III „Über den Horizont hinaus: Sprach- und Kulturmittlung und verwandte Disziplinen“ rekurriert Martina N IED C URCIO auf die Lexikographie als Bezugsdisziplin, um für die Lösung von Sprachmittlungsaufgaben im schulischen Kontext den systematischen Aufbau einer „Wörterbuchbenutzungskompetenz“ sowohl in Rezeptionsals auch in Produktionsphasen 142 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 45 (2016) • Heft 2 anzumahnen. Neben Kollokations- und Synonymwörterbüchern seien dabei vor allem von den Schülern heute häufig genutzte Online-Wörterbücher zu berücksichtigen. Auch Elisa C ORINO nimmt den Einsatz von Wörterbüchern in den Blick, allerdings eher für professionelle Kontexte und nicht nur aus lexikographischer, sondern auch aus korpuslinguistischer Perspektive. Dabei zeigt sie beispielhaft auf, dass die Konsultation von Textkorpora im Zusammenspiel mit dem kompetenten Gebrauch von Wörterbüchern zur sprachlichen und pragmatischen Korrektheit des Translats maßgeblich beitragen kann. Da die Veränderung der Textsorte bei der Mittlung von der Ausgangsin die Zielsprache als konstitutives Merkmal der Sprachmittlung gelten kann, pocht Peggy K ATELHÖN darauf, die Textsortenkompetenz und das Textmusterwissen der Fremdsprachenlerner besonders zu schulen. Elisabetta B ONVINO spürt in ihrem Beitrag den Berührungspunkten zwischen der Interkomprehensionsdidaktik einerseits und der Sprachmittlungsdidaktik andererseits nach und stellt fest, dass bei einer bilingualen Kommunikation, bei der beide Sprecher gemäß dem Interkomprehensionsprinzip in ihrer jeweiligen L1 agieren, ähnliche Produktionsbzw. Kompensationsstrategien zum Tragen kommen wie bei der Sprachmittlung. Hier ergeben sich interessante Überschneidungen mit dem von K ÖNIGS geprägten Begriff des „mentalen Sprachmittelns“. Susanne L IPPERT ordnet unter Bezugnahme auf das neurolinguistisch fundierte, deklarativ-prozedurale Sprachlernmodell von P ARADIS das implizite prozedurale Sprachlernen der Ebene der Sprachmittlung zu und das explizit erworbene Regel- und Grammatikwissen der Ebene der kontrastiven Linguistik, die im Sinne eines focus on form durch den Vergleich zwischen Ausgangs- und Zielsprache im Kontext von Sprachmittlungsaufgaben ins Spiel kommen und zu einem natürlichen Sprachvergleich genutzt werden könne. Lucilla L OPRIORE greift auf Vygotskys Konzept der cultural mediation zurück und versteht mediating so als grundlegenden (Sprach-)Lern- und Sozialisationsprozess und als Kommunikationsstrategie zwischen Individuen, die verschiedene sprachliche und kulturelle Hintergründe haben. Solche Mediationsprozesse gezielt zu begleiten und ins (Sprach-)Bewusstsein zu heben, sei in multikulturellen Gesellschaften und Klassenräumen wichtiger und aktueller denn je. In der Zusammenschau aller drei Teile zeigt sich für die Modellierung der Sprachmittlungskompetenz im deutschen Kontext u.a. die Notwendigkeit, das Aufgabendesign und die Entwicklung von Bewertungsrastern für die Lösung von Sprachmittlungsaufgaben besser miteinander zu verzahnen und den Aspekt der Kulturmittlung auch in der Fremdsprachendidaktik (und nicht nur in der interkulturellen Kommunikationsforschung) stärker in den Blick zu nehmen. Für beide Kontexte befruchtend dürfte die Erkenntnis sein, dass die Sprachmittlung nicht nur eine realitätsnahe und äußerst aktuelle translatorische Aktivität darstellt, sondern auch eine, die ein hohes Potenzial für die Förderung von Sprachbewusstheit und Sprachlernbewusstheit birgt. So ist der mehrsprachige Band (Deutsch/ Italienisch/ Englisch) eine lohnende und inspirierende Lektüre. Hannover A NDREA R ÖSSLER Jenny J AKISCH : Mehrsprachigkeit und Englischunterricht. Fachdidaktische Perspektiven, schulpraktische Sichtweisen. Frankfurt/ M.: Lang 2015 (Fremdsprachendidaktik inhalts- und lernerorientiert. Bd. 31), 376 Seiten [59,80 €] In ihrer bei Claus G NUTZMANN entstandenen Braunschweiger Dissertation betritt Jenny J AKISCH ein weites Feld, was schon nur wenige Stichwörter aus den Kapitelüberschriften umreißen: Definitionen zu Mehrsprachigkeit (hinfort M.), Mehrsprachenerwerb, Schulsprachenwahl und -folge, Mehrsprachigkeitsdidaktik (Mdid.), Erziehung zur M., Englischunterricht und M. in Europa, lebensweltliche M., interkomprehensive M. und schulpraktische Sichtweisen. Letzterem sind Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 143 45 (2016) • Heft 2 zwei empirische Studien (Schülerfragebogen und Lehrerinterviews) gewidmet. Die Leitfrage lautet: „Welchen Beitrag kann der Englischunterricht zur Entwicklung von M. leisten? “ (S. 18) Es ist eine Frage, deren Behandlung eine detaillierte Kenntnis verschiedener Wissenschaftsdiskurse verlangt. Der zweite Teil erfordert Vertrautheit mit den Standards qualitativer und quantitativer Forschung. M. ist ein dynamischer, polyreferentieller und kontrovers diskutierter Begriff: M. „begegnet als „eine personale Qualität, die von jeder Person anders verwirklicht wird“ (C HRIST 2002: 9; Zitat S. 28). Als pädagogisches Programmwort bezeichnet Mdid. ein umkämpftes Konzept (S. 25). Die Gründe sind politischer, kultureller und ökonomischer Natur. Wie sein antonymischer Mitspieler (Muttersprache + E. „only“) trifft M. auf Interessen: innerhalb der ‚Exportdidaktiken‘ wie TESOL, DaF usw. auf die der nationalen Sprachindustrien; bei den ‚Importdidaktiken‘ (Französischunterricht in Deutschland z.B.) auf die der Fachverbände (Lehrerstellen, Stundenkontingente, Bedeutung der Zielsprachen in der eigenen Gesellschaft u.a.m. So stellte die Romanistik mit dem Begriff der Mdid. einem vermeintlich erdrückenden Übergewicht des Englischen ein Konzept entgegen, das die Interessen der anderen Schulfremdsprachen zu schützen versprach. Nun hat sich die Situation grundlegend gewandelt - global, europäisch, national. Die Notwendigkeit, Englisch zu lernen, ist unbestritten. Zugleich sieht auch die Englischdidaktik die Notwendigkeit eines stufenübergreifenden und Sprachen vernetzenden Konzepts schulischen Fremdsprachenlernens. All dies macht die Nachzeichnung des heterogenen Diskurses nicht leichter. Bis auf wenige Ausnahmen löst J AKISCH das Problem, indem sie die großen Linien der Positionen zusammenstellt. Nun greift der Blick in die Geschichte des Diskurses dann zu kurz, wenn neue Daten die argumentative Gemengelage bestätigen, relativieren oder falsifizieren und dennoch unberücksichtigt bleiben. Ein Beispiel: Das von V OLLMER (2001: S. 17) konstatierte „Dilemma“ - die Notwendigkeit, Englisch als globales Verständigungsmittel (zu lernen) versus E. als Bedrohung für die M. - wird leider nicht weitergeführt: Hier wären etwa die Befunde des Schweizer Forschungsprogramms 56 1 zu erwähnen gewesen. Ihm zufolge zeigen ‚Mehrsprachige mit Englisch‘ höhere Kompetenzen als ‚Einsprachige plus Englisch‘. Auch die DESI-Studie betont den Vorteil der M. für das Lernen von Englisch, wie J AKISCH berichtet (S. 60). Auf deutsche Verhältnisse übertragen ließe sich wohl empirisch nachweisen, dass z.B. saarländische Schüler der Sekundarstufen (mit Französisch plus Englisch) im Allgemeinen zwei Schulfremdsprachen besser beherrschen als etwa ihre Hamburger Altersgenossen; zugleich wäre der Nachweis kaum möglich, dass sie im Schnitt im Englischen weniger gut abschneiden als die Hamburger Vergleichspopulation. Derlei Vorteile für den breiten Erwerb von M. werden hierzulande totgeschwiegen - auch in der vorliegenden Studie. Auffällig ist, dass zahlreiche Publikationen, wie J AKISCH referiert, ungeprüft eine fragwürdige Korrelation vorgeben: zwischen einer einzelzielsprachlich ausgerichteten Didaktik, der i.d.R. ohne empirische Evidenz per se ein hohes Maß an Effizienz unterstellt wird, und einer Mdid., die vergleichbare (produktive) Performanzstufen nicht erreiche. Es handelt sich um einen Popanz, denn erstens baut die Mdid. (es ist wohl der interkomprehensive approach gemeint) ja genau darauf auf, dass (neben der Muttersprache) zwei Fremdsprachen umfassend (Lesen und Schreiben, Hörverstehen und Sprechen) hinlänglich (B1 des GeR oder höher) beherrscht werden, wovon eine fast immer Englisch ist. Zweitens will der Mehrsprachenansatz systematisch die lernerseitig vorhandenen Ressourcen mobilisieren, (a) um weitere Sprachen rasch lesend zu ver- 1 Iwar W ERLEN , Lukas R OSENBERGER , Jachin B AUMGARTNER : Sprachkompetenzen der erwachsenen Bevölkerung in der Schweiz. Zürich: Seismo 2011.