eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 45/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2016
452 Gnutzmann Küster Schramm

Interkulturelle Motivation im Vergleich: DaF in Polen und den USA

2016
Maciej Mackiewicz
Interkulturelle Motivation im Vergleich: DaF in Polen und den USA 79 45 (2016) • Heft 2 2. Zur Begriffsbestimmung der interkulturellen Motivation Die Motive zum Erlernen einer Fremdsprache, ihre Qualität, Intensität und Wandlungen sind in bestimmtem Maße Widerspiegelung der jeweiligen wirtschafts-, bildungs- und kulturpolitischen Verhältnisse sowie der Beziehungen und Einstellungen zur Zielsprachengesellschaft und ihrer Kultur. Die aktuellen Globalisierungsprozesse, die damit verbundene zunehmende Mobilität und daraus resultierende Herausforderungen bezüglich Sprachkompetenzen und soziokultureller Unterschiede sind bedeutende Faktoren, die die Fremdsprachenlernmotivation zu beeinflussen vermögen. Auch die evaluierende Fremdsprachenmethodik und die Weiterentwicklung der kommunikativen Methode zum interkulturellen Ansatz (siehe z.B. P FEIFFER 2000: 126; N EUNER / H UN - FELD 1993: 122-127) haben zur Folge, dass neue Anforderungen an den Fremdsprachenunterricht formuliert werden, die die Lernmotivation weitgehend prägen können und neuartige Motive entstehen lassen. Da eines der wichtigsten Ziele des interkulturell orientierten Fremdsprachenlernens der Erwerb der interkulturellen Kompetenz ist (vgl. B YRAM 1997; B REDELLA 1999: 85; B LIESENER 2002: 13), erscheint die Frage legitim, ob und wie diese Zielsetzung die Motivation beeinflusst. In der hier vorgeschlagenen Auffassung wird einerseits dem G ARDNER schen Konzept der „Integrativität“ und der „integrativen Orientierung“ (vgl. G ARDNER 2010: 87) Rechnung getragen, andererseits werden aber andere Akzente gesetzt und neue Motivationsfaktoren, ggf. Motive berücksichtigt, die als „interkulturelle Orientierung“ und daraus resultierende „interkulturelle Motivation“ bezeichnet werden. Aspekte, denen in den bisherigen Ansätzen der L2-Motivationsforschung weniger oder kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde, sind in erster Linie mit den Postulaten des interkulturellen Ansatzes in der Fremdsprachendidaktik verbunden, vor allem mit dem Erwerb interkultureller Kompetenz (IKK). Obgleich die sozialpädagogischen Konzepte auf Motivationen und Motivierungen eingehen, die durchaus auf ihre Korrelation mit interkulturell orientierten Lern- und Lehrzielen (oder ihrem Mangel) geprüft werden können, nimmt man an, dass potentielle Motive verbunden mit dem Erwerb der „interkulturellen Kompetenz“, Reflexionen über die eigene Kultur einschließend, zu wenig oder ggf. kaum Berücksichtigung finden. Damit wird keinesfalls unterstellt, dass derartige IKK-bezogene Motive die Lernbereitschaft und die Leistung der Fremdsprachenlernenden wesentlich beeinflussen. Es wird lediglich nahegelegt, dass im Kontext der steigenden Rolle von soft skills etwa im Berufsleben, aber auch angesichts der immer häufigeren und intensiveren Interaktionen mit fremdsprachigen und fremdkulturellen Personen, eine solche Motivation, die im Folgenden „interkulturelle Motivation“ genannt wird, insbesondere bei Erwachsenen als bewusster Prozess durchaus auftreten kann. Die interkulturelle Motivation ist als (potentieller) Teil des Motivationskomplexes zu verstehen, der sich aus breiter verstandenen kulturellen und nicht nur sprachlichen, Unterschieden zwischen der Kultur des Lernenden (K1) und der Kultur des Zielsprachenlandes (K2) speist, wobei die Unterschiede, zwecks effizienter Kommunikation und Unsicherheitsreduzierung, wahrgenommen, reflektiert und ggf. bewältigt werden. 80 Maciej Mackiewicz 45 (2016) • Heft 2 Bei der interkulturellen Motivation spielen die kulturelle „Vorprogrammierung“ des Lernenden, sein eigenes soziokulturelles Umfeld, die kulturelle Spezifik der fremden Zielsprachenkultur und deren Wahrnehmung eine besondere Rolle. Das Wechselspiel zwischen Kultur K1 und Kultur K2 (und dessen Bewusstwerden bei dem Lernenden) ist demzufolge grundlegend für die interkulturelle Motivation. Diese Art von Motivation kann in verschiedenem Grade (Intensität) neben oder gar anstelle der instrumentellen Motivation lernfördernd sein. Sie kann sowohl zum Erwerb sprachlicher und interkultureller Kompetenz veranlassen oder mitveranlassen bzw. das bereits im Gange begriffene Fremdsprachen- und Kulturlernen fördern. Die interkulturelle Motivation wird als ein komplexes Konstrukt aufgefasst, das sich aus einer Reihe von Motiven zusammensetzt, die auf verschiedene Komponenten der interkulturellen Kompetenz hinauslaufen und insgesamt als „interkulturelle Orientierung“ bezeichnet werden können. Die interkulturellen Motive, die kognitiver, affektiver oder konativer (verhaltensbezogener) Art sein können, werden in einem der drei Hauptbereiche subsumiert: (a) Wissen; (b) Haltungen; (c) Fähigkeiten. Damit werden die interkulturellen Motive in engem Zusammenhang mit der zu erwerbenden interkulturellen Kompetenz betrachtet, was allerdings keinen zwangsläufigen und pauschalen IK-Kompetenzerwerb bedeutet. Je nach Relevanz oder Irrelevanz des jeweiligen Motivs für den Lernenden und je nach Intensität seiner Bemühungen, das Ziel zu erreichen, kann von verschiedenen Stufen interkultureller Motivation gesprochen werden. Es wird dabei angenommen, dass die interkulturellen Motive zu den expliziten Motiven gehören (vgl. S CHMALT / L ANGENS 2009: 102f.), die auf der Grundlage des bewussten Selbstkonzepts Verhalten steuern. Da Selbstkonzepte bewusst sind, können explizite Motive direkt durch Fragebögen erhoben werden (ebd.: 102). 3. Forschungsmethodischer Ansatz Die empirische Untersuchung geht folgender Fragestellung nach: Inwieweit beeinflussen kulturspezifische Faktoren, unterschiedliche bildungs-, kultur- und geopolitische sowie historische Faktoren und unterschiedliche Bezüge zu der Zielsprachenkultur die Motive zum Erlernen von Deutsch als Fremdsprache? Vor allem: Wie wirken sich diese Faktoren auf die interkulturelle Motivation der Deutschlernenden in unterschiedlichen Ausgangskulturen aus? Der Vergleich von jeweils für Polen und die USA separat erhobenen Daten soll zur Antwort auf die Frage hinführen, ob die Gesetzmäßigkeiten im Kontext der (vor allem interkulturellen) Motivation zum Deutschlernen eher einen universellen, kulturübergreifenden Charakter haben oder ob sie doch in höherem Grade von kulturspezifischen Faktoren abhängig sind. Bei der Untersuchung der interkulturellen Orientierung und Motivation von polnischen und US-amerikanischen DaF-Lernenden handelt es sich um eine Querschnittstudie. Obgleich im Falle der L2-Motivationsforschung, wie auch generell in der Fremdsprachenforschung, eine longitudinale Studie von besonderem Vorteil sein könnte, weil Interkulturelle Motivation im Vergleich: DaF in Polen und den USA 81 45 (2016) • Heft 2 sie dem Fremdsprachenerwerb als einem dynamischen Prozess gerecht wird (vgl. A GUADO / R IEMER 2001: 255), wäre eine derartige Datenerhebung im Falle dieser breit angelegten und zwei Länder umfassenden Untersuchung kaum möglich, weil einerseits kooperierende Dozenten an polnischen und US-amerikanischen Hochschulen mit einer von ihnen abverlangten intensiven und langwierigen Hilfeleistung nicht belastet werden konnten, und zum anderen, weil eine große Fluktuation der Kursteilnehmer nach jedem Semester das Verfolgen der Deutschlernerfahrungen der einzelnen Studierenden erheblich erschwert hätte. Dieser Mangel wurde in einer, die hier dokumentierte Studie ergänzenden qualitativen Teilstudie (Sprachbiographien) zumindest teilweise aufgefangen. 1 3.1 Die Stichproben Die Stichproben bestanden jeweils aus Studierenden, die zur Zeit der Befragung Teilnehmer studienbegleitender Deutschkurse an polnischen bzw. US-amerikanischen Hochschulen waren. Dabei wurden Studierende ausgeschlossen, die in Polen Germanistik studierten bzw. in den USA ihren Major in „German“ anstrebten, da bei ihnen quasi ex definitione besondere Kulturinteressen oder interkulturelle Motive zu vermuten waren. Streng genommen handelt es sich bei diesen Probanden nicht um repräsentative Stichproben, weil sie kein „Abbild“ der interessierenden Population „im Kleinen“ sind (S TAPF / S TROEBE / J ONAS 1986: 58). Es war kaum möglich, die Befragten so auszuwählen, dass sich die wichtigsten Merkmale in der Stichprobe prozentual genauso verteilen wie in der Population, d.h. in der Gesamtheit der an Deutschkursen teilnehmenden Studierenden in Polen und den USA. Dennoch wurde versucht, ein möglichst hohes Maß an Repräsentativität zu erreichen, indem in beiden Ländern Hochschulen berücksichtigt wurden, die verschiedene Typen, Größen und geographische Regionen vertreten. Auch eine breite Palette der vertretenen Studienfächer wurde gewährleistet. Da nur einige Kriterien der Repräsentativität erfüllt wurden, gilt die Studie demnach rein formell als quasi-repräsentativ. Für die Untersuchung wurden 1009 polnische und 671 US-amerikanische Probanden herangezogen. 3.2 Fragebogen Als Erhebungsinstrument wurde ein elektronischer Fragebogen eingesetzt, der von den Probanden online ausgefüllt wurde. Die Fragen und Items der quantitativen Erhebung sind in beiden Teilstudien, der polnischen und der amerikanischen, weitgehend vereinheitlicht worden. Nur bei wenigen Fragen sind geringe, aus der Spezifik des jeweiligen Bildungssystems resultierende Unterschiede zu verzeichnen. Eine Standardisierung der Fragen nach demselben Muster in beiden Varianten war unumgänglich, da eine Ver- 1 Die Ergebnisse der qualitativen Studie konnten in diesem Beitrag aus Platzgründen nicht berücksichtigt werden. Zur Auswertung der Sprachlernbiographien siehe: M ACKIEWICZ (2014). 82 Maciej Mackiewicz 45 (2016) • Heft 2 gleichsanalyse durchgeführt werden sollte. Die Pilotierung hat die Plausibilität der Fragen und Items belegt. Die Fragebögen wurden in polnischer und englischer Sprache ausgefertigt. Der Fragebogen besteht in beiden Varianten aus fünf Hauptteilen. Da der vorliegende Beitrag aber nur auf einige Aspekte der Studie fokussiert, wird im Folgenden lediglich auf ihre zwei Kernteile (III und IV) eingegangen. Im dritten Abschnitt des Fragebogens betreffen die Fragen die generellen Motive zum Deutschlernen. Zwei Multiple-Choice-Aufgaben sollten zuerst einen Einblick in die ursprünglichen und dann in die aktuellen Motive zum Deutschlernen gewähren. Beide Fragen enthalten eine Reihe von Antwortoptionen (Gründe bzw. Motive) mit möglicher Mehrfachauswahl. Darüber hinaus war es möglich, alternativ zu den Vorgaben auch eine eigene Antwort einzutragen. Wurde das jeweilige Motiv nicht gewählt, so musste die Antwort „trifft nicht zu“ angekreuzt werden. Eine der darauf folgenden Fragen im Single-Choice-Format betrifft die Bewertung der deutschen Sprache als einen „Schlüssel zum Verstehen von Kultur, Bräuchen und Mentalität der DACH-Bewohner“. Die letzte Frage soll bereits den ersten Hinweis auf die interkulturelle Orientierung der Probanden geben. Teil IV des Fragebogens wurde vollständig den interkulturellen Motiven gewidmet. Um den Befragten die Möglichkeit zu bieten, ihre eventuellen interkulturellen Motive detailliert zu reflektieren, wurden diese in Form von 20 Likert-Skala-Items operationalisiert. Der Begriffsbestimmung der interkulturellen Motivation folgend wurden drei Statement-Komplexe formuliert, die den drei Hauptbereichen der interkulturellen Motivation entsprechen (detailliert zu den Items siehe Abb. 2 [  S. 85f.]): Wissen (5 Items), Einstellungen und Haltungen (7 Items) und Fähigkeiten (8 Items). Jedes Item veranlasste die Befragten zu Reflexionen darüber, in welchem Grade sie interkulturell motiviert sind oder ob die genannten Motive oder Ziele überhaupt für sie von Bedeutung sind. Aus methodologischer Sicht war dies auch eine Gelegenheit, diese Ergebnisse mit den vorher zitierten Resultaten der Multiple-Choice-Fragen zur Motivation zu vergleichen und somit ihre Validität unter Beweis zu stellen. Die Probanden nahmen zu jedem der 20 Statements Stellung, indem sie eine von fünf Antwortoptionen wählten (vgl. D ÖRNYEI 2003: 37): stimme entschieden zu - stimme eher zu - neutral - stimme eher nicht zu - stimme entschieden nicht zu. Eine Stellungnahme war in jedem Fall obligatorisch. Zwecks der weiteren Datenauswertung mithilfe des Statistikprogramms SPSS wurden jeder der Antworten Bewertungspunkte zugeordnet: stimme entschieden zu (5) - stimme eher zu (4) - neutral (3) - stimme eher nicht zu (2) - stimme entschieden nicht zu (1). Der maximal erreichbare Wert betrug demzufolge 100 Punkte: Wissen - 25, Einstellungen und Haltungen - 35, Fähigkeiten - 40. Da die Items Nr. 5, 11 und 20 negativ verschlüsselt sind, mussten sie bei der Auswertung umcodiert werden (vgl. G ARDNER 2010: 130) in stimme entschieden zu (1) - stimme eher zu (2) - stimme eher nicht zu (4) - stimme entschieden nicht zu (5). Demzufolge zeigt ein hoher Wert eine stärkere und ein niedriger eine schwächere oder mangelnde interkulturelle Orientierung. Interkulturelle Motivation im Vergleich: DaF in Polen und den USA 83 45 (2016) • Heft 2 4. Motive und interkulturelle Orientierung von Deutschlernenden in Polen Die Untersuchung wurde im Winter- und Sommersemester 2011/ 2012 durchgeführt. An der Untersuchung nahmen 1009 Studierende an 11 Universitäten bzw. Hochschulen teil. 2 Nach den anfänglichen Gründen für die Aufnahme des Deutschlernens gefragt (als Multiple-Choice), konnten die Probanden eine Reihe von Antwortoptionen wählen und ggf. nicht vorgegebene Motive ergänzen. Aus den Antworten ergibt sich ein Bild, das in wesentlichen Zügen mit der Position von Deutsch als Fremdsprache im polnischen Bildungssystem übereinstimmt: Über 70% der Befragten mussten Deutsch in der Schule wählen. Es ist darauf hinzuweisen, dass für über 61% der Studierenden diese Sprache nicht die erste Fremdsprache ist. Deutsch ist somit die zweite Fremdsprache, die im Rahmen der Schulprogramme (z.B. an Oberschulen) als obligatorisches Fach von Schülern gelernt werden muss. Obwohl auch andere moderne Fremdsprachen in Frage kommen, wird vor allem Deutsch als Studienfach gewählt, weil an den meisten Mittel- und Oberschulen Deutschlehrer eingestellt werden, was für viele andere Sprachen nicht zutrifft (vgl. ORE 2013). Insofern ist die „Wahl“ des Deutschen in vielen Fällen ein „Muss“. Auf die Frage: „Was motiviert Sie zur Zeit am meisten zum Deutschlernen? “ wurden vor allem Antworten angekreuzt, die einerseits von eher instrumenteller Motivation zeugen, andererseits ist jedoch charakteristisch, dass die erste Option „Gute Note im Studienbuch/ auf dem Diplom/ positiver Abschluss des Kurses“, obwohl auch in den Ergebnissen an erster Stelle, nicht von einer absoluten Mehrheit gewählt wurde (siehe Abb. 1,  S. 84). Eine ausgeprägt instrumentelle und extrinsische Motivation, die nur auf erreichte Noten oder positiven Abschluss des Kurses ausgerichtet ist, wäre dann festzustellen, wenn keine der anderen Optionen gewählt worden wäre. Werden also die Daten entsprechend geordnet, um Probanden herauszufiltern, die ausschließlich dieses Motiv gewählt haben, so ergibt sich eine eher geringe Zahl, nämlich 139 Probanden (13,8%). 2 Akademia Pomorska (Słupsk) - N=72; Państwowa Wyższa Szkoła Zawodowa (Zamość) - N=113; Politechnika Śląska (Gliwice) - N=170; Politechnika Wrocławska (Wrocław) - N=83; Szkoła Główna Handlowa (Warszawa) - N=152; Uniwersytet im. Adama Mickiewicza (Poznań) - N=133; Uniwersytet w Białymstoku (Białystok) - N=43; Uniwersytet Ekonomiczny (Poznań) - N=43; Uniwersytet Jagielloński (Kraków) - N=36; Uniwersytet Warszawski (Warszawa) - N=30; Wyższa Szkoła Bankowa w Poznaniu (Poznań) - N=134. 84 Maciej Mackiewicz 45 (2016) • Heft 2 Motiv Probanden % Gute Note im Studienbuch/ auf dem Diplom/ positiver Abschluss des Kurses 439 43,5% Überzeugung, dass Deutschkenntnisse zur Allgemeinbildung gehören 419 41,5% Perspektive einer Erwerbstätigkeit im Ausland oder einer Arbeit in Polen, bei der Deutschkenntnisse erforderlich sind/ Aufstiegschancen am Arbeitsplatz 389 38,6% Wunsch nach effizienter Kommunikation mit Deutschsprachigen (mit bereits bekannten Personen oder in Zukunft) 348 34,5% Perspektive einer Auslandsreise (Tourismus oder Studium in den deutschsprachigen Ländern) 311 30,8% Gebrauch von deutschsprachigen Internetseiten 153 15,2% Der Wunsch, die deutsche, österreichische oder schweizerische Mentalität näher kennen zu lernen 105 10,4% Gefühl von „schön verbrachter Zeit“ beim Kurs und selbständigem Lernen (Deutschlernen zum Spaß) 102 10,1% Anerkennung seitens der Eltern/ Familie/ Bekannten 97 9,6% Der Wunsch, Literatur, Film und Kunst im Original zu erleben 88 8,7% Kontakt mit (einer) deutschstämmigen Person(en), die in Polen lebt/ leben 44 4,4% Ich tue das Beste für meinen Lehrer/ meine Lehrerin. Seine/ ihre Meinung über mich ist mir sehr wichtig. 31 3,1% andere Motive 48 4,8% Ich bin demotiviert. 44 4,4% Abb. 1: Gewählte Antworten auf die Frage: „Was motiviert Sie zurzeit am meisten zum Deutschlernen? “ (Polen: N=1009) Die Top-Nennungen, die auf eine instrumentelle Motivation schließen lassen, aber nur selten ausschließlich auf gute Leistungen im Kurs eingeschränkt sind, zeugen von komplexeren Haltungen der Studierenden, die die Rolle des Deutschen im Geflecht verschiedener pragmatischer Faktoren sehen. Für diese Probanden zählen vor allem berufliche Perspektiven, die evtl. mit Deutschkenntnissen in enger Verbindung stehen können, aber auch Urlaubs- oder Studienaufenthalte, wo Deutsch zur Kommunikationssprache wird. Einen beachtlichen Rang genießt allerdings ein Motiv, das nicht instrumenteller Natur ist, sondern mit der Anerkennung des Deutschen als der Sprache des gebildeten Menschen verbunden ist. Dies könnte in Anlehnung an A PELT (1992: 88) als von 41,5% der Studierenden deklariertes „Prestigemotiv“ identifiziert werden. Bei den zwei Multiple-Choice-Fragen, in denen direkt nach Motiven zum Deutschlernen zu Beginn und in der aktuellen Phase gefragt wurde, sind die Indizien für eine instrumentelle Motivation symptomatisch. Auch die aktuellen Motive, obgleich verschiedenartig, sind weitgehend instrumenteller Art und die Erschließung der Zielsprachenkultur erscheint als ein deutlich zweitrangiges Motiv. In der separat gestellten geschlossenen Frage „Betrachten Sie die deutsche Sprache als Schlüssel zum Verste- Interkulturelle Motivation im Vergleich: DaF in Polen und den USA 85 45 (2016) • Heft 2 hen von Kultur, Bräuchen und Mentalität der DACH-Bewohner? “ wird dieser Sachbestand bestätigt: Mit „nein“ antworteten 54,6% der Studierenden, mit „ja“ - 45,4%. Die interkulturellen Motive und somit die interkulturelle Orientierung wurden mithilfe von 20 Likert-Skala-Items geprüft. In Abb. 2 wird für jedes Item jeweils der Mittelwert angegeben, der innerhalb der Probandengruppe erreicht wurde. Damit wird deutlich, welche Bedeutung dem jeweiligen Motiv im Durchschnitt beigemessen wurde. Die Werte schwanken zwischen 1 und 5 Punkten, wobei die Regel gilt: je höher der Wert, desto größer die interkulturell ausgerichtete Orientierung. Item Mittelwert Polen (max. 5) Mittelwert USA (max. 5) 1. Durch den Deutschkurs möchte ich die Gesellschaft der deutschsprachigen Länder (DACH-Länder) mit ihrer Alltagskultur und dem sozial-politischen System kennen lernen 3.3 4.1 2. Durch den Deutschkurs möchte ich die Mentalität, das Wertesystem, Kulturstandards etc. der DACH-Einwohner kennen lernen 3.4 4.1 3. Durch den Deutschkurs möchte ich die Hochkultur der DACH-Länder kennen lernen. 3.3 4.0 4. Durch den Deutschkurs möchte ich historische und aktuelle politische und kulturelle Beziehungen zwischen Polen/ USA und z.B. Deutschland kennen lernen. 3.1 4.0 5. Das einzige Wissen, das ich im Deutschkurs erwerben möchte, ist die Kenntnis des Wortschatzes und der grammatischen Regeln. 2.9 2.9 6. Im Deutschkurs möchte ich DACH-Länder und ihre Einwohner aus verschiedenen Perspektiven betrachten, nicht nur aus der polnischen/ amerikanischen. 3.4 4.1 7. Durch den Deutschkurs möchte ich mein Bild der polnischen/ amerikanischen Kultur, der Polen/ Amerikaner selbst und deren Normen und Wertesysteme „auffrischen“, relativieren und eventuell modifizieren. 3.0 3.5 8. Durch den Deutschkurs möchte ich mich selbst aufs Neue betrachten und beurteilen, wie stark die Bindung an meine eigene Kultur ist. 2.9 3.2 9. Entwicklung der Toleranzhaltung gegenüber Vertretern anderer Kulturen ist für mich ein wichtiges Ziel des Deutschunterrichts. 3.3 3.4 10. Der Deutschkurs kann mir helfen, polnische/ amerikanische Stereotype und Vorurteile gegen Deutsche, Österreicher und Schweizer zu verifizieren. 3.3 3.6 11. Ich bin nicht an einer Änderung oder Verifizierung meines Bildes der DACH-Länder und ihrer Einwohner interessiert, ich möchte nur die deutsche Sprache beherrschen. 3.0 3.6 86 Maciej Mackiewicz 45 (2016) • Heft 2 12. Ich möchte die Denkweise und das Wertesystem der Deutschen (ggf. der Österreicher oder Schweizer) als die eigenen übernehmen. 2.2 2.8 13. Durch den Deutschkurs möchte ich Empathie entwickeln sowie die Fähigkeit, die fremdkulturelle Perspektive zu verstehen. 3.3 3.8 14. Ich möchte lernen, mich an verschiedene, kulturell unterschiedliche Situationen und Erwartungen der deutschsprachigen Gesprächspartner anzupassen. 3.5 3.7 15. Die Übersetzung einer Aussage des deutschsprachigen Gesprächspartners ins Polnische/ Englische ist für mich zu wenig, wichtig ist deren adäquate Interpretation, um die Intentionen des Gesprächspartners zu verstehen und effizient zu kommunizieren. 3.9 3.9 16. Ich möchte nicht mit allen dasselbe Deutsch sprechen: Ich muss mich an die Situation, die Gesprächspartner, ihre Stellung und Bildung anpassen, sowie den entsprechenden Stil und Wortschatz wählen. 3.9 3.9 17. Die verbale Sprache ist nicht alles, ich möchte die Körpersprache und Gesten der deutschsprachigen Gesprächspartner verstehen. 3.7 3.9 18. In mehrdeutigen, schwer zu interpretierenden interkulturellen Situationen muss ich darüber mit dem deutschsprachigen Partner sprechen können und dadurch die Spannung und meine Verunsicherung entladen. 3.6 3.6 19. Mir ist es wichtig, nicht in (inter)kulturelle „Fettnäpfchen“ im Kontakt mit Deutschen, Österreichern oder Schweizern zu treten. 3.4 3.1 20. Zur Entwicklung der außersprachlichen Kompetenzen brauche ich den Deutschkurs nicht, dazu habe ich andere Gelegenheiten (Vorlesungen, Seminare, Bücher, Filme, Internetquellen etc.). 3.2 3.3 Insgesamt (max. 100 Pkt.) 65.6 72.5 Abb. 2: Interkulturelle Motive; Mittelwerte für Polen und die USA (Polen: N=1009, USA: N=671) Augenfällig ist, dass das Item Nr. 12, das Akkulturation in der deutschsprachigen Gesellschaft bedeutet, im Durchschnitt den mit Abstand niedrigsten Wert erreichte. Dieses Motiv könnte auch als ein ausgeprägt „integratives“ betrachtet werden und als solches wurde es von einer überwältigenden Mehrheit sowohl der polnischen wie auch der amerikanischen Probanden abgelehnt. Vergleicht man die gesamten Statement-Komplexe, also Wissen (Items 1-5), Haltungen (Items 6-12) und Fähigkeiten (Items 13- 20), so sind unter den polnischen Studierenden stärkere interkulturelle Motive im Bereich der Fähigkeiten zu verzeichnen. Relativ stark vertreten sind z.B. die mit dem Interkulturelle Motivation im Vergleich: DaF in Polen und den USA 87 45 (2016) • Heft 2 Erwerb der soziolinguistischen Kompetenz und mit der Entwicklung der Ambiguitätstoleranz verbundenen Motive. Nach der Addierung aller 20 Werte ergibt sich der Index der interkulturellen Orientierung, der im Durchschnitt 65.6 Punkte beträgt. Fast 80% der Probanden erreichen Werte zwischen 51 und 80 Punkten, damit kann die interkulturelle Orientierung der polnischen Probanden als mittelmäßig bewertet werden. 5. Motive und interkulturelle Orientierung von Deutschlernenden in den USA Die Durchführung der quantitativen Untersuchung in den USA erfolgte in den beiden Semestern des Studienjahres 2011/ 2012 sowie im Wintersemester 2012/ 2013. Die Spezifik der US-amerikanischen DaF-Landschaft, d.h. eine viel geringere Anzahl der Deutschlernenden als in Polen, wirkte sich auch auf die Probandenzahl aus, die niedriger als in Polen war. An der Befragung in den USA nahmen 671 Studierende an 12 Universitäten bzw. Colleges teil. 3 Die Multiple-Choice-Frage „Was waren die Gründe, mit dem Deutschlernen zu beginnen? “ veranschaulicht, wie verschieden die Hintergründe für den Deutscherwerb der Probanden in den USA und in Polen sind. Die Notwendigkeit, Deutsch in der Schule zu wählen, überlagert in Polen praktisch alle anderen anfänglichen Motive und illustriert die spezifische Stellung von Deutsch als zweiter Fremdsprache an polnischen Schulen, für die es oft keine Alternative gibt. Die amerikanische Studie zeigt deutlich, dass die Wahl von Deutsch in der Schule einen viel freieren Charakter hat als in Polen. Diese Freiheit in der Wahl des Deutschen als Schulfach und das allgemeine Interesse an den deutschsprachigen Ländern und an Europa generell werden von den amerikanischen Probanden am häufigsten genannt. Abgesehen vom Faktor „Interesse an Europa“, der nur im amerikanischen Teil der Studie berücksichtigt wurde, sind diese Top- Antworten in den USA nur von marginaler Bedeutung in Polen. Auch wenn die effiziente Kommunikation in deutscher Sprache als anfängliches Lernziel etwas seltener genannt wird (allerdings häufiger als in Polen), so ist festzustellen, dass das Interesse an den Zielsprachenkulturen als solchen sowie der Wunsch, in dieser Zielsprache effizient zu kommunizieren, die Entscheidung zum Deutschlernen wesentlich beeinflussen. Nicht zu übersehen ist der Faktor, der von einem Drittel der Befragten als mitentscheidend bei der Wahl des Deutschen genannt wird: die deutsche Abstammung. Hält man sich den hohen prozentualen Anteil der Deutschamerikaner an der Gesamtbevölkerung der USA vor Augen, so wundert dieses Ergebnis kaum. Für unsere Untersu- 3 Arizona State University (Tempe, AZ) - N=24; Bates College (Lewiston, ME) - N=42; Central Connecticut State University (New Britain, CT) - N=54; Columbia University (New York, NY) - N=122; Georgia Institute of Technology (Atlanta, GA) - N=37; Purdue University (West Lafayette, IN) - N=23; Texas State University (San Marcos, TX) - N=115; University of California (Berkeley, CA) - N=16; University of Minnesota (Minneapolis, MN) - N=41; University of Mississippi (Oxford, MS) - N=17; University of Missouri (Columbia, MO) - N=137; University of Utah (Salt Lake City, UT) - N=43. 88 Maciej Mackiewicz 45 (2016) • Heft 2 chung ist allerdings von Bedeutung, dass alle diese Probanden Englisch als ihre erste Sprache erworben haben. Deutsch ist für sie nicht einmal die zweite Sprache, sondern eindeutig eine Fremdsprache, die von über 83% maximal seit fünf Jahren gelernt wird. Fast die Hälfte dieser Befragten lernt Deutsch seit einem Jahr oder kürzer. Es handelt sich also innerhalb dieser Gruppe ausschließlich um Personen, die nicht in einem deutschsprachigen Umfeld sozialisiert wurden. Demnach kann in diesem Fall vom „Nostalgiemotiv“ gesprochen werden (vgl. A MMON 1991: 475). Antworten auf die folgende Multiple-Choice-Frage (siehe Abb. 3,  S. 89), die bereits einen allgemeinen Überblick über die aktuellen Motive bzw. Motivationsfaktoren bieten, legitimieren die Feststellung, dass die Unterschiede in der Motivation der amerikanischen und der polnischen Probanden, trotz einiger Ähnlichkeiten, eher groß sind. Was die beiden Gruppen gemeinsam haben, ist das von jeweils ungefähr einer Hälfte vertretene extrinsische Motiv, verbunden mit der zu erreichenden Note oder der zu erbringenden Leistung im Kurs. Dennoch wird das Kommunikationsmotiv von den amerikanischen Studierenden noch häufiger genannt. Die Angaben liegen bei nahezu 60% in den USA und stehen in deutlichem Kontrast zu den ca. 34% in der polnischen Studie. Symptomatisch hoch wird von amerikanischen Probanden der „Spaßfaktor“ bewertet, der zum Deutschlernen motiviert. Es ist naheliegend, dass die starke Position dieses Motivs mit der zuvor erwähnten Freiheit in der Wahl dieser Sprache in engem Zusammenhang steht. Hier fehlt weitgehend der „Zwang“, der charakteristisch für Deutschkurse an Hochschulen in Polen ist. Nicht ohne Einfluss auf diesen Sachbestand mag auch die Tatsache sein, dass die Sprache selbst von amerikanischen Deutschlernenden gemocht und geschätzt wird, was die Auswertung der (hier nicht näher erörterten) Frage nach Assoziationen mit der deutschen Sprache deutlich belegt. Das pragmatische Motiv bezogen auf die Berufskarriere und den eventuellen Einsatz der deutschen Sprache am Arbeitsplatz spielt ebenfalls eine besondere Rolle: Dieses Nützlichkeitsmotiv nennen fast 42% der Probanden, was ein etwas besseres Ergebnis als in Polen darstellt. Es sind jedoch nicht pragmatische Motive, die die Motivation der amerikanischen Studierenden auf eine besondere Weise auszeichnen und von den polnischen Probanden unterscheiden, sondern Motive, die das Kulturlernen bzw. Kulturerlebnisse betreffen. Im Gegensatz zu den Deutschlernern aus Polen ist der Zugang durch die Sprache zur Hoch- und Popkultur der deutschsprachigen Länder für einen beachtlichen Anteil der amerikanischen Befragten (fast 40%) dermaßen wichtig, dass sie dadurch zusätzlich zum Deutschlernen motiviert werden. Auch der Wunsch, die deutsche, österreichische oder schweizerische Mentalität durch den Deutschkurs näher kennen zu lernen, ist wesentlich größer als in Polen. Diese Angaben können als Symptome einer stärkeren interkulturellen Motivation ausgelegt werden und sind, ähnlich wie im polnischen Teil der Studie (wo zuerst vor allem instrumentelle Motive identifiziert wurden), ein interessanter Ausgangspunkt für eine detaillierte Untersuchung der interkulturellen Motivation. Interkulturelle Motivation im Vergleich: DaF in Polen und den USA 89 45 (2016) • Heft 2 Motiv Probanden % Wunsch nach effizienter Kommunikation mit Deutschsprachigen (mit bereits bekannten Personen oder in Zukunft) 395 58,9% Gute Note im Studienbuch/ auf dem Diplom/ positiver Abschluss des Kurses 364 54,2% Gefühl von „schön verbrachter Zeit“ beim Kurs und selbständigem Lernen (Deutschlernen zum Spaß) 285 42,5% Perspektive einer Erwerbstätigkeit im Ausland oder einer Arbeit in den USA, bei der Deutschkenntnisse erforderlich sind/ Aufstiegschancen am Arbeitsplatz 281 41,9% Wunsch, Literatur, Film und Kunst im Original zu erleben 262 39% Wunsch, die deutsche, österreichische oder schweizerische Mentalität näher kennen zu lernen 218 32,5% Perspektive einer Auslandsreise (Tourismus oder Studium in den deutschsprachigen Ländern) 183 27,3% Überzeugung, dass Deutschkenntnisse zur Allgemeinbildung gehören 89 13,3% Ich tue das Beste für meinen Lehrer/ meine Lehrerin. Seine/ ihre Meinung über mich ist mir sehr wichtig. 88 13,1% Gebrauch von deutschsprachigen Internetseiten 79 11,8% Anerkennung seitens der Eltern/ Familie/ Bekannten 78 11,6% Kontakt mit (einer) deutschstämmigen Person(en), die in den USA lebt/ leben 77 11,5% andere Motive 39 5,8% Ich bin demotiviert. 7 1,0% Abb. 3: Gewählte Antworten auf die Frage: „Was motiviert Sie zurzeit am meisten zum Deutschlernen? “ (USA: N=671) Diese in den USA und in Polen verschiedenen Herangehensweisen an die Wechselbeziehung „Sprache und Kultur“, die eventuell die Motivation beeinflussen können, werden auch in der Frage deutlich, ob die deutsche Sprache als Schlüssel zum Verstehen von Kultur, Bräuchen und Mentalität der DACH-Bewohner betrachtet wird. Positiv antworteten 88% der amerikanischen Probanden, was von einem fast allgegenwärtigen Bewusstsein der sprachlichen und kulturellen Zusammenhänge unter den amerikanischen Studierenden zeugt. Die Mittelwerte für die einzelnen interkulturellen Motive sind Abb. 2 (  S. 85f.) zu entnehmen. Generell ist festzuhalten, dass die meisten Items relativ hohe Werte erreichen, was als Indiz einer eher starken interkulturellen Orientierung zu interpretieren ist. Besonders symptomatisch ist das Ergebnis innerhalb des Statement-Komplexes „Wissen“ (Items 1-5), da die ersten vier Items besonders hohe Werte von 4.0 und 4.1 Punkten erreichen. Allerdings mag in diesem Kontext der Wert des fünften Items überraschend niedrig vorkommen (2.9), was Fragen nach der Validität dieser Likert-Skalierung aufwirft. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass die generelle Validität der Untersuchung von interkulturellen Motiven mithilfe von Signifikanztests geprüft 90 Maciej Mackiewicz 45 (2016) • Heft 2 wurde. Auch in der polnischen Teilstudie ist der Unterschied in diesem Fall nur gering, was also eher andere Ursachen für diese Abweichung vermuten lässt. 4 Der Index der interkulturellen Orientierung beträgt im Durchschnitt 72.5 Punkte. Beachtlich viele Deutschlernende erreichten einen Index zwischen 71 und 80 Punkten. Betrachtet man die Indexwerte zwischen 61 und 80 Punkten, so werden damit fast 70% der Probanden erfasst. Selbst die sehr hohen Werte von 81 bis 90 Punkten wurden von einer bedeutenden Gruppe erreicht, was also insgesamt auf eine starke interkulturelle Orientierung schließen lässt. 6. Schlussfolgerungen Der polnischen und der US-amerikanischen Probandengruppe ist gemeinsam, dass jeweils ca. die Hälfte der quantitativ Untersuchten das extrinsische Motiv der im Kurs zu erbringenden Leistung nennt. Auch pragmatische Motive bezogen auf die Berufskarriere und den Gebrauch der deutschen Sprache am Arbeitsplatz erscheinen in der quantitativen Untersuchung in beiden Ländern als eher wichtig. Dennoch sind die Unterschiede in der Motivation der amerikanischen und der polnischen DaF-Lernenden eher groß, wobei in Polen vor allem instrumentelle Motive und in den USA neben den instrumentellen auch interkulturelle Motive ziemlich stark präsent sind. Generell spielen in Polen extrinsische Motive eine größere Rolle als in den USA. Dem Kommunikationsmotiv wird in den USA eine größere Bedeutung als in Polen beigemessen, was angesichts der direkten Nachbarschaft und reger Kontakte zwischen Polen und Deutschland überraschen mag. Andererseits wird das vom Pragmatismus des Kommunikationsmotivs eher entfernte Spaßmotiv auch von amerikanischen Studierenden öfter erwähnt. Die starke Position dieses Motivs in den USA hängt vermutlich mit der größeren Freiheit in der Wahl dieser Sprache zusammen. Auch wenn die Sprachanforderungen an einer Hochschule (Language requirement) bei mehreren amerikanischen Studierenden als ein gewisser Zwang empfunden werden können, so ist der durch polnische Bildungsstandards ausgeübte Druck, eher die erste, seit mehreren Jahren gelernte Fremdsprache auch im Rahmen des Hochschulstudiums zu wählen, beachtlich größer. Wurde bereits im Gymnasium z.B. Deutsch als erste Fremdsprache gelernt, so entscheiden sich spätere Studierende auch meistens für den Deutschkurs, um den Anforderungen bezüglich des Sprachniveaus gerecht zu werden. Der für das DaF- Lernen in Polen weniger zutreffende „Spaßfaktor“ ist wohl auch auf die negativere Einstellung zur Sprache selbst zurückzuführen. Deutsch wird von amerikanischen Lernenden lieber gemocht und mehr geschätzt als von den polnischen Probanden. 4 Möglicherweise hat eine etwas verkürzte und kompaktere Form dieses Items in der englischsprachigen Version zur teilweisen Entstellung der Antworten beigetragen. „I just want to learn vocabulary and grammar“ heißt es in der amerikanischen Variante der Umfrage, was u. U. nicht so ultimativ wie im polnischen Fragebogen (oder in der deutschen Übersetzung) klingt und von einigen Probanden nicht ganz präzise verstanden worden zu sein scheint. Interkulturelle Motivation im Vergleich: DaF in Polen und den USA 91 45 (2016) • Heft 2 Was die Motivation der amerikanischen Studierenden auszeichnet und von den polnischen Probanden deutlich unterscheidet, sind Motive, die das Kulturlernen bzw. Kulturerlebnisse betreffen. Bereits den bei der Multiple-Choice-Frage gewählten Motiven ist zu entnehmen, dass die deutsche Sprache in den USA geradezu überwältigend öfter als in Polen als Instrument zur Erkundung und zum Erleben der Hochkultur oder Popkultur (Literatur, Film, Kunst) der deutschsprachigen Länder dient. Dadurch lassen sich die amerikanischen DaF-Lernenden viel stärker motivieren als polnische Studierende. Derartige Motive spielen in Polen nur eine marginale Rolle. Das Motiv, durch den Deutschkurs die deutsche, österreichische oder schweizerische Mentalität näher kennenzulernen, ist für amerikanische Probanden ebenfalls viel relevanter. Die beiden intrinsischen, auf das Kulturlernen und den Erwerb interkultureller Kompetenz bezogenen Motive kann man als Indiz einer stärkeren interkulturellen Motivation betrachten. Auch die Wahrnehmung der deutschen Sprache als eines Schlüssels zum Verstehen von Kultur, Bräuchen und Mentalität der DACH-Bewohner ist in den USA dermaßen stark präsent (88% der Probanden gegenüber ca. 45% der polnischen Befragten), dass von einem höheren Bewusstsein der sprachlichen und kulturellen Zusammenhänge unter den amerikanischen DaF-Lernenden gesprochen werden kann. Diese Ergebnisse, die auf eine stärkere interkulturelle Orientierung in den USA hindeuten, wurden mithilfe der Likert-Skalierung validiert. Die Gesamtergebnisse bestätigten eine deutlich größere Bedeutung interkultureller Motive für amerikanische Studierende. Die interkulturelle Orientierung der Deutschlernenden in Polen ist als mittelmäßig zu bezeichnen. Ein direkter Vergleich zeigt, dass amerikanische DaF-Lernende mit einem Messergebnis von mehr als 70 Punkten mit Abstand stärker vertreten sind. Damit wird die Frage beantwortet, ob die geographische Distanz zum Zielsprachenland eine Rolle bei der interkulturellen Motivation spielt. Im Falle Polens, eines direkten Nachbarlandes Deutschlands, ist die interkulturelle Orientierung schwächer als in den so weit entfernten Vereinigten Staaten. Die geographische Nähe impliziert also nicht zwangsläufig eine stärkere interkulturelle Motivation. Die geographische Distanz allein erscheint demnach nicht als wesentlicher Motivationsfaktor. Vergleicht man die einzelnen Statement-Komplexe (Wissen, Haltungen, Fähigkeiten) in den beiden Studien an, so liegen auch charakteristische Unterschiede vor. Unter den polnischen Probanden sind interkulturelle Motive im Bereich der Fähigkeiten bedeutender als andere. Motive verbunden mit dem Erwerb der soziolinguistischen Kompetenz und mit der Entwicklung der Ambiguitätstoleranz werden dabei in Polen besonders oft hervorgehoben. In den USA erreichen die meisten Items generell hohe Werte, dennoch sind die Mittelwerte innerhalb des Statement-Komplexes „Wissen“ besonders hoch, was auf einen größeren Stellenwert interkultureller Motive kognitiver Art zu schließen erlaubt. Bildungspolitische Dokumente, die die fremdsprachlichen Curricula jeweils in Polen und in den USA mitbestimmen, wie etwa der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen oder die National Standards for Foreign Language Learning, fördern den kommunikativen und interkulturellen Ansatz in der Fremdsprachendidak- 92 Maciej Mackiewicz 45 (2016) • Heft 2 tik. Eine andere Frage ist aber, was die Erwartungshaltung der Lerner ist und wie die Lerner zu interkulturell orientierten Zielsetzungen des Deutschunterrichts stehen. Die Erforschung der Motive und der interkulturellen Orientierung vermag die Perspektive der DaF-Lernenden etwas näher zu beleuchten, was wiederum zur Neugestaltung von didaktisch-methodischen, lernerzentrierten, aber auch interkulturell ausgerichteten Konzepten verhelfen kann. Literatur A MMON , Ulrich (1991): Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin/ New York: de Gruyter. A GUADO , Karin / R IEMER , Claudia (2001): „Triangulation: Chancen und Grenzen mehrmethodischer empirischer Forschung“. In: A GUADO , Karin / R IEMER , Claudia (Hrsg.): Wege und Ziele. Zur Theorie, Empirie und Praxis des Deutschen als Fremdsprache (und anderer Fremdsprachen). Festschrift für Gert Henrici zum 60. Geburtstag. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 245-257. A PELT , Walter (1992): „Motive - Motivation - Motivierung“. In: J UNG , Udo O. H. (Hrsg.): Praktische Handreichungen für Fremdsprachenlehrer. Frankfurt/ M.: Lang, 85-93. 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Eine komparative Studie zu Deutsch als Fremdsprache in Polen und den USA. Frankfurt/ M. [u.a.]: Lang. N EUNER , Gerhard / H UNFELD , Hans (1993): Methoden des fremdsprachlichen Unterrichts. Eine Einführung. Berlin [u.a.]: Langenscheidt. ORE (2013): Powszechność nauczania języków obcych w roku szkolnym 2011/ 2012. Warszawa: Ośrodek Rozwoju Edukacji. P FEIFFER , Waldemar (2000): „Möglichkeiten und Grenzen der interkulturellen Sprachvermittlung“. In: Glottodidactica 28, 125-139. S CHMALT , Heinz-Dieter / L ANGENS , Thomas A. ( 4 2009): Motivation. Stuttgart: Kohlhammer. S TAPF , Kurt H. / S TROEBE , Wolfgang / J ONAS , Klaus (1986): Amerikaner über Deutschland und die Deutschen. Urteile und Vorurteile. Opladen: Westdeutscher Verlag. 45 (2016) • Heft 2 © 2016 Narr Francke Attempto Verlag Y UAN L I * Motivation zum Lernen des Deutschen als zweiter Fremdsprache in China Abstract. This article compares two motivational studies from 2003 and 2015 concerning Chinese students learning German. The two studies with a time span of 12 years are based on surveys of students learning German as a foreign language at Zhejiang University in Hangzhou. The aim of this study is to capture the change of the target groups regarding motivational structures and to try to trace this change back to the concrete modified anthropogenic and socio-cultural conditions within the Chinese society. 1. Einführung Das Interesse am Deutschlernen unterliegt in den letzten Jahrzehnten Verschiebungen. In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts wies weltweit die Bedeutung der deutschen Sprache eine rückläufige Tendenz auf. Die Zahl der Deutschlernenden war zwischen 2000 und 2005 von 20,1Mio. auf 16,7 Mio, also um 17 %, gesunken (vgl. A MMON 2009). Jedoch ist Deutsch in den letzten Jahren, nach Ammon, „wieder deutlich attraktiver geworden“ (F ASEL 2015). 2015 gibt es nach der aktuellen Erhebung weltweit rund 15,4 Mio Deutschlernende. Damit ist die rückläufige Entwicklung gestoppt, die bis 2010 (14,7 Mio.) zu beobachten war (A USWÄRTIGES A MT 2015: 6). Demgegenüber sind die Lernendenzahlen in Deutsch als Fremdsprache in China seit den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen, in den letzten Jahren numerisch sogar rasant. Gegenüber vier Universitäten in den 1950er Jahren (vgl. I NSTITUT FÜR H OCHSCHULBILDUNG 1993: 32) konnte Germanistik im Jahr 2000 an 28 Universitäten (vgl. Y IN , zit. nach A MMON 2002) studiert werden. Heutzutage beläuft sich die Zahl der Germanistikabteilungen auf 105 (vgl. C UI 2015: 73). 2000 lernten 19.190 1 Chinesen Deutsch (S TÄNDIGE A RBEITSGRUPPE D A F 2000: 19). Diese Zahl beträgt 2015 laut Statistiken des Auswärtigen Amts 117.487. Deutsch wird nun an 327 Hochschulen 2 , 123 Schulen, 23 DaF-Erwachsenenbildungseinrichtungen- und Goethe-Instituten ge- * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Yuan L I , Institute of German Studies, Zhejiang University, H ANGZHOU 310058, Volksrepublik China. E-Mail: liyuan_hz@msn.com Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktik, Diskurslinguistik, Zweitspracherwerb. 1 Statistiken der S TÄNDIGEN A RBEITSGRUPPE D A F (2000): DaF-Lernende in Schulen: 600 (S. 11), DaF- Lernende in Hochschulen: 12.800 (S. 19), DaF-Lernende in Erwachsenenbildung: 5.790 (S. 27). 2 Gemeint sind hier sowohl Hochschulen mit Germanistikabteilungen als auch Hochschulen mit Deutschkursen.