eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 45/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2016
452 Gnutzmann Küster Schramm

L2-Motivation und „Possible Selves“

2016
Mostafa Maleki
L2-Motivation und „Possible Selves“ 47 45 (2016) • Heft 2 im Folgenden gezeigt werden wird - zu bestimmten instrumentellen Zwecken gelernt und gelehrt. Basierend auf den Ergebnissen einer Vorstudie inkl. der Pilotierung des für den DaF-Kontext adaptierten und weiterentwickelten Fragebogens im Rahmen meines Dissertationsprojekts über die Motivation von Deutschlernenden im Iran berichtet der vorliegende Beitrag über die wichtigsten Motivationsfaktoren von iranischen DaF-Lernenden. Mithilfe von vorhandenen Datenanalysen zur Erforschung des L2MSS im iranischen EFL-Kontext wird dabei versucht, einen Vergleich der beiden Sprachlernkontexte Englisch und Deutsch in Hinsicht auf die Relevanz des Konzepts des L2MSS zu präsentieren. Da es sich hier v.a. kulturell und sprachlich um einen spezifischen Lernkontext handelt, scheint es angebracht, vorab nicht nur die neueren theoretischen Ansätze in der L2-Motivationsforschung, sondern auch die situativen Grundlagen des iranischen Englisch- und Deutschunterrichts zu skizzieren. 2. Überblick über die L2-Motivationstheorie und L2-Motivationsforschung Die L2-Motivationsforschung ist durch unterschiedliche Phasen gekennzeichnet: „periods overlap and theories are not simply replaced in the consecutive stages but are built on and modified, thereby causing subtle interactions“ (vgl. B OO / D ÖRNYEI / R YAN 2015). Die von G ARDNER und L AMBERT eingeführte Unterscheidung zwischen der instrumentellen und integrativen Motivation (vgl. G ARDNER / L AMBERT 1972) sowie das von G ARDNER (1985) entwickelte socio-eductional model haben als bahnbrechende Theorien die Erforschung der L2-Motivation seit den 1970er Jahren geprägt. (Positive) Einstellungen gegenüber der Zielkultur und -gesellschaft, also die Idee von integrativeness, sind der Kern dieses Zugangs zur L2-Motivation. Die Bedeutung dieser Theorie wurde zunächst für französischlernende Kanadier nachgewiesen, sie war aber kaum aussagekräftig für Lernkontexte, in denen kein oder wenig (direkter) Kontakt mit Muttersprachlern besteht. Für EFL ist außerdem häufig unklar, welches genau die Zielkultur ist, mit der sich der Fremdsprachenlernende identifizieren könnte. Die Rolle des Englischen als Global English, die nicht mehr einem bestimmten Kontext zugehörig oder mit einer bestimmten Gemeinschaft zu assoziieren ist, führt zu einer Ambiguität bezüglich der ursprünglichen Auffassung von integrativeness und verlangt eine weiter gefasste Klassifikation von integrativer Motivation. In den frühen 1990er Jahren fand auch aus diesem Grund eine rege Diskussion um die Erweiterung des G ARDNER schen Modells statt, die sich an Entwicklungen der kognitiven und pädagogischen Psychologie orientierte und als „cognitive-situated period“ der L2-Motivationsforschung bezeichnet wird (D ÖRNYEI 2005). Stand die Variable ‚Wunsch, in eine andere Kultur- und Sprachgemeinschaft integriert zu werden‘ anfangs in der L2-Motivationsforschung im Fokus zahlreicher Studien, sieht man heute auf der aktuellen Forschungsagenda zahlreiche Untersuchungen zum Wunsch des Lernenden, die Kluft zwischen seinem jetzigen Stand der Entwicklung des Selbst und der idealisierten Vorstellung des Selbst 48 Mostafa Maleki 45 (2016) • Heft 2 als Sprecher einer Fremdsprache zu reduzieren. Diese neue Phase geht auf D ÖRNYEI s Theorie des L2 Motivational Self System (L2MMS) zurück, die sich in den letzten Jahren in einer Reihe von Studien als richtungsweisend erwiesen hat. D ÖRNYEI (2005) zog erstmalig das Konzept der „possible selves“ nach M ARKUS und N URIUS (1986) heran und schlug vor, das Konzept der integrativen Motivation durch eine andere Variable zu ersetzen, nämlich durch das „Ideal L2 Self“. Das L2MSS beinhaltet kognitive, affektive und soziale Aspekte der L2-Motivation (vgl. M AC I NTYRE / M ACKINNON / C LÉMENT 2009). Die Motivation setzt sich laut dieser Theorie aus drei Komponenten zusammen (vgl. D ÖRNYEI 2009: 29): 1. „Ideal L2 Self“ (promotion focus), z.B. Antrieb durch den Wunsch des Lernenden, ein Sprecher der Zielsprache zu werden; 2. „Ought-to L2 Self“ (prevention focus), welches die Rolle der sozialen Umgebung hervorhebt und auf Verhinderung von Nachteilen und Sanktionen zielt; 3. „L2 Learning Experience“, also die positiven Erfahrungen des Lernenden beim Umgang mit der Fremdsprache. Die Bereicherung des Selbstkonzepts im L2MSS mit und in einer Fremdsprache - hier Deutsch und Englisch - findet innerhalb eines Prozesses statt, der stark von der jeweiligen Lernsituation und dem jeweiligen kulturellen Kontext abhängt. Die Entscheidung für das Erlernen einer Fremdsprache impliziert die Auseinandersetzung mit Ideal- und Soll-Einschätzungen, z.B. dem Wunsch nach einem besseren Status in der Gesellschaft, nach einer beruflichen Karriere oder das Streben nach einer „internationalen Identität“. Dabei handelt es sich weniger um eine Ablehnung des jetzigen Zustands als vielmehr um eine Weiterentwicklung und Bereicherung des Selbst. Die beiden instrumentellen und integrativen Orientierungen unterstützen sich dabei gegenseitig und helfen dem Fremdsprachenlernenden, sich seinem gewünschten Zustand anzunähern. Es gibt verschiedene „possible selves“ bei den Lernenden. Der Wunsch, die Diskrepanz zwischen dem „ideal self“ und „current self“ zu verringern, macht aus der Sicht des L2MSS die Motivation der L2-Lernenden aus. Der Lernende befindet sich in einer Situation, in der die Harmonie zwischen dem Selbstkonzept und der Umgebung/ Gesellschaft gestört worden ist, ausgelöst u.a. vom Druck von Gesellschaft und Familie und den wachsenden Wertschätzungen, die im Zusammenhang mit der Notwendigkeit des Erlernens einer Fremdsprache stehen. In solch einer Situation muss man sich bewegen, um die Harmonie wiederherzustellen - in der Konsequenz entscheidet sich die betroffene Person u.a. für das Erlernen der Fremdsprache. Die Zielsetzung des Fremdsprachenlernens besteht dann darin, die Visionen der Lernenden und (un-)realistisch-bildhafte Vorstellungen über ihre Zukunft mit und in einer Fremdsprache einer möglichst realistischmachbaren Selbstvorstellung anzunähern. Im Prozess des Fremdsprachenlernens aus einer motivationalen Perspektive laufen Vorgänge auf einer Mikro- und Makroebene ab, die miteinander interagieren. Auf der Makroebene befinden sich die langfristigen Ziele sowie die zwei ersten Komponenten des L2MSS, nämlich das Ideal L2 Self und das Ought-to L2 Self, da diese sich auf die meist verinnerlichten identitätsbezogenen Ziele und Selbstvorstellungen in der Zukunft L2-Motivation und „Possible Selves“ 49 45 (2016) • Heft 2 beziehen. Auf der Mikroebene befinden sich kurzfristige Motivationen u.a. mit der Funktion, die Visionen auf der Makroebene aufrechtzuerhalten. Auf dieser Ebene sieht sich der Lernende mit den bisher gemachten Lernerfahrungen im Fremdsprachenunterricht und außerhalb desselben konfrontiert, darunter Lehrwerk, Lehrer und auch Mitlernende. Dieser dritte Faktor des L2MSS, die L2 Learning Experience (fremdsprachliche Lernerfahrung), bezieht sich auch auf (meta-)kognitive Prozesse im Umgang mit Aufgaben, Lernschwierigkeiten und Lernstrategien. 3. Studien zum Deutsch- und Englischlernen im Iran 3.1 Kontextrelevante Lernbedingungen Aufgrund der seit Jahrhunderten bestehenden Kontakte zwischen Deutschen und Iranern besitzt die deutsche Sprache eine große historische und bildungsrelevante Bedeutung im Iran. Deutsch wird - hauptsächlich erst nach der Schule - an fünf Universitäten im Iran mit unterschiedlichen Schwerpunkten als Studiengang angeboten, und zwar in Bachelor-, Master- und PhD-Programmen. Der größte Teil der Interessenten lernt aber die deutsche Sprache außerhalb des akademischen und schulischen Bereichs an vielen Sprachinstituten, z.B. am Deutschen Sprachinstitut Teheran (DSIT). Mit ca. 9.000 Einschreibungen im Jahr 2014 und langen Wartelisten gehört das DSIT zu den größten Sprachkursbetrieben des Goethe-Instituts weltweit. Unter den Kursteilnehmenden sind diejenigen Studierenden stark vertreten, die einen weiterführenden Studiengang in Deutschland anstreben. Die Situation für die englische Sprache ist eine andere. Aus gesellschaftlicher Sicht wird die Kenntnis des Englischen als eine soziale Leistung und teilweise als Kennzeichen eines hohen Bildungsstandes und beruflichen Erfolgs wahrgenommen. Bilinguale Kindergärten werden immer populärer, Eltern besorgen zweisprachige Kinderbücher und englischsprachige Kinderfilme - das Englischlernen der Kinder ist mittlerweile bei vielen Familien, besonders in den Großstädten im Iran, in Mode gekommen. Englischangebote gehören außerdem zum festen Bestandteil des Curriculums im Primar-, Sekundar- und Tertiärbereich sowohl der staatlichen als auch der privaten Bildungssektoren, häufig ist Englischunterricht an der Schule und Universität obligatorisch. Auch wenn in der Schule Englisch als ein Schulfach erst ab der siebten Klasse angeboten wird, werden meist außercurriculare Sprachprogramme in der Schule organisiert. Im außerschulischen Kontext lernen Kinder ab dem 5./ 6. Lebensjahr an zahlreichen Sprachschulen, besonders in den Großstädten. Obwohl (noch) selten englischsprachige Studienprogramme an iranischen Hochschulen angeboten werden, sind im akademischen Bereich zertifizierte Englischkenntnisse, sei durch IELTS, TOEFL oder iranische Tests wie TOLIMO 2 , Voraussetzung für den Zugang zu manchen Master- und Promotionsstudiengängen. Es gibt zudem zahlreiche Studiengänge zur Vermittlung und Pflege der englischen Sprache an iranischen Universitäten. Außerhalb des akademischen Be- 2 The Test of Language by the Iranian Measurement Organization. 50 Mostafa Maleki 45 (2016) • Heft 2 reiches ist die englische Sprache die dominante und meistgelernte Fremdsprache an zahlreichen Sprachinstituten. Abb. 1 fasst die Situation der Vermittlung der englischen und deutschen Sprache in unterschiedlichen Lernkontexten im Iran aus einer motivationalen Perspektive zusammen. Gezeigt wird, dass die Notwendigkeit zum Erlernen der beiden Sprachen unterschiedlich ausgeprägt ist. Die individuenspezifische Motivation außerhalb des universitären Kontextes zeigt am Beispiel des DSIT, dass sich die Lernenden oft zielorientiert und (hoch-)motiviert zu Deutschkursen anmelden. In solch einem Kontext ist zu erwarten, dass die instrumentelle Orientierung bzw. die funktionale Relevanz der deutschen Sprache dominiert. Es wird aber auch angenommen, dass sich die integrative Motivation und der Wunsch, sich der deutschen Kultur und Gesellschaft anzunähern, v.a. in Form der Bereicherung des Selbstkonzepts niederschlagen kann. Muttersprache In der Familie/ bei den Eltern Meistens Farsi als Erstsprache Emotionale Bindungen, Selbstverständlichkeit eines andauernden Erwerbs Notwendigkeit: kommunikative Bedürfnisse mit und in der Umwelt Fremdsprache In der Schule Außerhalb der Schule Englisch und Arabisch als Schulfach Sehr wenig Anwendung der Fremdsprache Deutsch nur an fünf Schulen in Teheran als Zusatzqualifikation Notwendigkeit: u.a. Zwang des Stundenplans, Leistungsdruck Englisch Fortentwicklung des kommunikativen Kontexts und demzufolge des eigenen Registers Sehr wenig Anwendung der Fremdsprache Notwendigkeit: Wertschätzung in der Gesellschaft, Eltern usw. An der Hochschule Außerhalb der Hochschule Viele Fremdsprachen als akademische Disziplinen Zahlreiche Studiengänge im Fach Englisch Deutsch an fünf Hochschulen Kaum zielgerichtete Motiviertheit Notwendigkeit: u.a. gruppencharakteristische Ziele, Arbeit, Abschluss und Studium Diverse Fremdsprachen, v.a. Englisch, an zahlreichen Sprachschulen Deutsch am Beispiel des DSIT: (Hoch-)motiviert mit klaren Zielen Kommunikationsbedürfnis im Iran selten „Funktionale Relevanz“ der Sprache Notwendigkeit: eher individuenspezifische Ziele, Studium und Beruf in Deutschland, Auswanderung usw. Abb. 1: Situativ-hypothetische Annahmen zur Motivation für DaF und EFL im Iran 3.2 Studien zum L2MSS im iranischen EFL-Kontext Die Erforschung der Motivation für das Deutschlernen im Iran ist ein bisher unerforschtes Feld. Die Motivation für EFL wurde hingegen umfänglich empirisch erforscht und wissenschaftlich diskutiert: Eine positive Korrelation zwischen der Einstellung zum Englischlernen im Allgemeinen und besonders gegenüber den betreffen- L2-Motivation und „Possible Selves“ 51 45 (2016) • Heft 2 den Zielkulturen und -gesellschaften und der Motivation gehört zu den Ergebnissen der Studie, die D ASTGHEIB (1996) bei einer Befragung von iranischen Medizin-Studierenden durchgeführt hat. Diese positiven Einstellungen seien aber oft mit persönlichen Vorteilen verbunden. Die instrumentellen und integrativen Orientierungen stehen dabei außerdem in einer hoch signifikanten Relation zueinander. Für Englisch als akademische Disziplin an der Universität hat u.a. V AEZI (2008) eine Studie durchgeführt, die zeigt, dass iranische Englischstudierende in instrumentellen und integrativen Kategorien hoch motiviert sind. Karrieregedanken, das Kennenlernen anderer Menschen und die effektive Nutzung des Internets waren die Hauptgründe für sie, Englisch studieren zu wollen. ‚Wissenserweiterung‘ und ‚Beruf‘ haben jeweils die höchsten Werte der instrumentellen Motivationsprofile bei einer weiteren Befragung erhalten. M ATIN (2007) hat festgestellt, dass bei einer integrativen Orientierung das Interesse für die englische Sprache selbst höher als die positive Einstellung gegenüber der Zielkultur und -gesellschaft ist. Bei einer Erhebung im Bachelorstudium der Englischdidaktik wurde herausgefunden, dass integrativ orientierte Studierende bessere Erfolge beim IELTS-Test erzielten als die instrumentell orientierten (S ADIGHI / M AGHSOUDI 2000). Erfasst wurde außerdem in dieser Studie, dass die EFL-Lernenden akademische und soziale Ziele verfolgen. Auch wenn die Erforschung der Motivation für EFL im Iran traditionell von G ARDNER s Unterscheidung zwischen instrumenteller und integrativer Motivation geprägt ist, wurden (z.T. parallele) Studien zur Untersuchung und Operationalisierung des L2MSS im Bereich EFL durchgeführt. In den iranischen EFL-Kontext wurde das L2MSS v.a. durch die empirischen Untersuchungen P API s eingeführt. Nach Befragung von mehr als 1.000 iranischen Englischlernenden in der Oberschule zeigt er (2010) die ersten Beweise für die Validität des L2MSS im iranischen EFL-Kontext. Er erstellte ein theoretisches Modell, in dem alle drei Komponenten des L2MSS einen positiven Einfluss auf die intended efforts (Lernmühe) haben, deren Auswirkung auf L2 Anxiety aber unterschiedlich ausgeprägt ist: Während das Ideal L2 Self und die L2 Learning Experience die Angst eher mildern, ist L2 Anxiety unter den Lernenden mit hohen Werten beim Ought-to L2 Self größer. In einer weiteren Studie wurden signifikante Relationen zwischen dem Motivationsverhalten und den von den Lehrkräften eingesetzten Motivationsstrategien im schulischen EFL-Kontext beobachtet (vgl. P API / A BDOLLAHZADEH 2011). Feststellbar war außerdem, dass eine wenig motivierte Gruppe von Studenten geringere Werte des Ought-to L2 Self aufweist, während hoch und wenig motivierte Lernende keine signifikanten Unterschiede beim Ideal L2 Self zeigten. Dies entspricht der Annahme, dass das Erlernen der englischen Sprache in direktem Zusammenhang mit dem Grad der Wertschätzung seitens der Familie und der Gesellschaft steht. Der Einfluss der Umgebung bezieht sich im schulischen Lernraum auf den Zwang im Studienplan oder auf Leistungsdruck. Außerhalb der Schule lässt sich die starke Motivation ausgehend vom Ought-to L2 Self hauptsächlich mit dem großen Wert, den v.a. Eltern auf die Englischbeherrschung ihrer Kinder legen, erklären. Basierend auf der Unterscheidung zwischen promotional und preventional (vgl. H IGGINS 1998) unterscheidet D ÖRNYEI (2005) zwischen instrumentellen Faktoren mit 52 Mostafa Maleki 45 (2016) • Heft 2 Blick auf einen individuellen und zielorientierten Ausgang (promotion) und denjenigen instrumentellen Motiven, deren Ursache im Druck der Umgebung und Gesellschaft zu finden sind (prevention). Eine weitere empirische Untersuchung (vgl. P API / T EIMOURI 2012) wurde in drei unterschiedlichen Lernkontexten im Iran, nämlich Gymnasium, Oberschule und Universität, durchgeführt. Auffallend war in dieser Studie, dass die promotion-focused Variablen, darunter Ideal L2 Self, Einstellungen zur L2 Community und Instrumentalität (promotion) mit dem Alter steigen. Gleichzeitig lässt sich eine absteigende Tendenz mit zunehmendem Alter bei den prevention-focused Orientierungen feststellen. In diesem Zusammenhang zeigen die empirisch basierten Ergebnisse von T AHMOURESI / T EIMOURI / P API (2013), dass Englischlernende mit promotionfocused Orientierungen qualitativ besseres motivationales Lernverhalten zeigen. Das Ideal L2 Self stärkt danach die Bereitschaft zur Kommunikation mit Muttersprachlern und führt zu einem immer stärker verinnerlichten motivationalen Lernverhalten. In einer komparativen Studie untersuchen T AGUCHI / M AGID / P API (2009) die Wirksamkeit und Generalisierbarkeit des L2MSS in anderen Lernkontexten, die u.a. durch wenige Kontakte mit Muttersprachlern gekennzeichnet sind. Die Untersuchung stellt eine Weiterführung der Studien dar, die D ÖRNYEI / C SIZÉR / N ÉMETH (2006) in Ungarn durchgeführt haben: China, Japan und Iran waren Lernkontexte der Untersuchung zur Erläuterung der Integrativeness im Zusammenhang mit dem L2MSS. In einem Fragebogen mit 76 Items, bestehend aus 10 unterschiedlichen Dimensionen, lag der durchschnittliche Korrelationskoeffizient u.a. für das Ideal L2 Self und Integrativeness bei 0.50. Der Interpretation der iranischen Daten folgend beinhalten diese Motivationen u.a., einen guten Job zu finden und einen besseren sozioökonomischen Status zu erlangen, um Familie besser planen zu können und den Eltern Ehre zu bereiten. Diese verstärken das Ought-to L2 Self und zeigen den Einfluss der sozialen und familiären Umgebung auf diese Entscheidung. Verweisend auf die hohen Werte des Items „I study English in order to keep updated and informed of recent news of the world“ wird das Ergebnis auf das Ideal L2 Self und soziales Prestige zurückgeführt. Die positive Korrelationen zwischen Attitudes regarding the L2 community, Promotion Instrumentality und dem Ideal L2 Self zeigt, dass die Englischlernenden im iranischen Kontext ein auf die L2 bezogenes Selbstkonzept anstreben, das „both personally agreeable and professionally successful“ ist. 2014 wurde an iranischen Schulen eine weitere Studie zur Motivation für das Englischlernen durchgeführt. Anhand einer Cluster-Analyse identifizieren P API / T EIMOURI (2014) fünf unterschiedliche Gruppen bei mehr als hundert Englischlernenden, unter diesen promotionvs. prevention-orientierte Lernende (vgl. H IGGINS 1998). Dabei wurden die Items in Bezug auf das L2MSS übernommen, die bereits in anderen Lernkontexten wie Ungarn (vgl. D ÖRNYEI / C SIZÉR / N ÉMETH 2006), Japan und China (vgl. T AGUCHI / M AGID / P API 2009) verwendet wurden. Hier wurde festgestellt, dass eine Gruppe in allen Bereichen der Motivationsvariablen hohe Werte aufweist, nämlich die promotion-orientierte Gruppe mit hohen Werten für Ideal L2 Self, L2 Learning Experiences und Instrumentality Promotion sowie Einstellungen gegenüber der L2 Community als Indikator von Integrativeness. Unter dem Ideal L2 Self werden außerdem integ- L2-Motivation und „Possible Selves“ 53 45 (2016) • Heft 2 rative und intrinsisch-instrumentelle Orientierungen zusammengefasst (vgl. C SIZÉR / L UKÁCS 2010; T AGUCHI / M AGID / P API 2009). Die untersuchten Länder weisen insgesamt viele Gemeinsamkeiten in diesem Zusammenhang auf, jedoch handelt es sich beim Iran um ein offiziell islamisches Land. Im Vergleich mit den anderen Lernkontexten leben im Iran, u.a. aufgrund von Spannungen in den politischen Beziehungen mit englischsprachigen Ländern (v.a. den USA und Großbritannien), sehr viel weniger englische Muttersprachler. Trotzdem gilt Englisch als die erste und meist gelernte Fremdsprache in und außerhalb von Bildungseinrichtungen und Sprachinstituten. Ein angestrebtes Studium an angesehenen Universitäten in englischsprachigen Ländern wie den USA, Kanada und England gilt als instrumentelle Motivation für die intensive Beschäftigung mit der englischen Sprache. 3.3 Eigene Studie zum L2MSS im iranischen DaF-Kontext Der Sammelband „Identität und Fremdsprachenlernen, Anmerkungen zu einer komplexen Beziehung“ (B URWITZ -M ELZER / K ÖNIGS / R IEMER 2013) und v.a. der Beitrag R IE - MER s (2013: 223ff.) heben die Relevanz zukunftsorientierter Aspekte des Selbstkonzepts für die Fremdsprachendidaktik hervor. Das L2MSS wurde zwar erst kürzlich in einzelnen Studien im Bereich DaF untersucht (vgl. B URGHART et al. 2011; O KU - NIEWSKI 2012), man findet aber bisher keine bedeutenden Argumente, die darauf hindeuten würden, dass diese Theorie für DaF anwendbar ist. Neben den theoretischen Konzeptualisierungen scheint auch die forschungsmethodologische Herangehensweise an die L2-Motivation im Wandel begriffen zu sein. Die Abkehr von rein quantitativen zu qualitativen Forschungsansätzen, bekannt als „narrative turn“, zählt zu den aktuellen Tendenzen in diesem Zusammenhang (vgl. E LLIS 2003). Das derzeit laufende Dissertationsprojekt, eine Pionierarbeit mit etwa 400 Befragten, bedient sich dennoch eines quantitativen Forschungsdesigns, nicht zuletzt deswegen, weil damit konzeptuelle Rahmenbedingungen und grundlegende Datensätze für weitere (qualitativ ausgerichtete) Studien untersucht werden sollen. Angenommen wird im Allgemeinen, dass das beobachtbar große Interesse für das Deutschlernen im Iran außerhalb des universitären Bereiches auf die vier folgenden Motivationsfaktoren zurückzuführen sind: ‚Studium‘, ‚Beruf‘, ‚Familienzusammenführung‘ und ‚Auswanderung‘. Der Fragebogen umfasste in seiner Pilotversion vier Teile: a) soziodemografische Daten, b) Motivationskonzepte, c) Kontaktmöglichkeiten und Häufigkeit der Kontakte sowie d) direkte Fragen zur Motivation. In einem ersten Schritt wurde anhand von theoretischen Überlegungen und Items bereits vorliegender Instrumente für jede Motivationsdimension ein Itempool gebildet: 115 Items bilden 22 Dimensionen des Motivationskonstrukts ab, die auf einer siebenstufigen Likert-Skala mit einer Abstufung von 1 („trifft überhaupt nicht zu“) bis 7 („trifft vollständig zu“) beurteilt werden. Die Items zur Operationalisierung des L2MSS wurden direkt von bestehenden Fragebögen (vgl. T AGUCHI / M AGID / P API 2009) übernommen. Im Folgenden wird über die Ergebnisse der für das Dissertationsprojekt durchge- 54 Mostafa Maleki 45 (2016) • Heft 2 führten Pilotstudie mit 50 Befragten berichtet, an der Deutschlernende von drei unterschiedlichen Lernstufen - Anfänger (A2/ 2, N = 16), Mittelstufe (B2/ 2, N = 15) und Oberstufe (C1/ 1, N = 15) - teilnahmen. Ebenfalls erfasst wurde die Prüfungsnote (1 = beste Note und 5 = schlechteste Note; vgl. dazu auch Abb. 4). Faktor Mittelwert SD A2/ 2 B1/ 1 C1/ 1 A2/ 2 B1/ 1 C1/ 1 Beruf 5.07 6.36 5.25 .61 .31 .66 Studium 5.71 6.27 5.00 .64 .55 .73 Familienzusammenführung - 1.55 1.58 - .45 .49 Migration .29 .36 - .12 .15 - Abb. 2: Hauptfaktoren der DaF-Motivation Auf eine direkte Frage nach dem Hauptmotiv für das Deutschlernen („Warum lernen Sie Deutsch? “) konnten die Probanden bis zu drei Gründe auswählen. Die meisten Teilnehmer wählen ‚Studium in Deutschland‘, wobei die Anzahl der männlichen Befragten (N = 26, M = 5.25), die ein Studium in Deutschland anstreben, fast genauso hoch ist wie die von weiblichen (N = 24, M = 5.64). Die vermutete Kategorie ‚Familienzusammenführung‘ wurde nicht oft ausgewählt. Auf die Aussage „Ich lerne Deutsch, weil meine Partnerin/ mein Partner in Deutschland lebt“ antworten nur vier Personen mit „das trifft vollständig zu“. Die Mittelwerte für die Faktoren ‚Beruf‘ und ‚Studium‘ sind so hoch, dass man von einer stark instrumentellen Orientierung ausgehen kann (s. Abb. 2). Auch wenn mit dem Ziel, in Deutschland zu studieren, ein längerer Aufenthalt in Deutschland einhergeht, wird ‚Auswanderung/ Migration‘ selten als Grund angegeben. Der Grund kann einerseits darin liegen, dass in der iranischen Gesellschaft diese Begriffe oft mit sozialpolitischen Empfindlichkeiten in Verbindung gebracht werden. Diese Sensibilität führt deswegen oft dazu, dass von „studentischer Auswanderung“ gesprochen wird. Die vorhandene Vorstellung unter DaF-Lernenden, dass Auswanderung nicht als Grund für die Beantragung des Viusms erwähnt oder erahnt werden darf, führt außerdem dazu, dass der Begriff weniger auftaucht. 3.4 Weitere Ergebnisse der DaF-Pilotstudie und vergleichende Auswertung der L2MSS-Daten für DaF und EFL Abb. 3 gibt einen Überblick über die Korrelationen, die in der Pilotstudie zur Untersuchung der Motivation von iranischen DaF-Lernenden festzustellen sind. In den Daten der Pilotstudie (N = 50) korreliert (p = 0 < 0.01, r = 744 ** ) der Faktor Integrativeness (M = 5.39) hoch signifikant mit dem Faktor Ideal L2 Self (M = 5.54). Als criterion measures können generell die Intended Efforts, also die Mühe bewertet werden, die sich die Lernenden im Lernprozess geben. In den DaF-Motivationsdaten sind die Korrelationen (p = 0.001 < 0.01, r = 442 * ) zwischen den Faktoren Ideal L2 Self L2-Motivation und „Possible Selves“ 55 45 (2016) • Heft 2 und ‚Lernmühe‘ hoch signifikant. Außerdem weist die Dimension Integrativeness ähnliche Werte wie der in dieser Studie erstmalig untersuchte Faktor Ideal L2 Self auf. A B C D E F G A- Ideal L2 Self 1 .399 * .420 ** .411 * .683 ** .747 ** .442 ** B- Ought-to L2 Self .399 * 1 .367 * .623 ** .458 ** .158 .150 C- L2- Learning Experience .420 ** .367 * 1 .239 .477 ** .351 * .374 * D- Instrumentell (Prevention) .411 * .623 ** .239 1 .622 ** .125 .290 E- Instrumentell (Promotion) .683 ** .458 ** .477 ** .622 ** 1 .335 .435 * F- Integrativeness .747 ** .158 .351 * .125 .335 1 .643 ** G- Lernmühe .442 ** .150 .374 * .290 .435 * .643 ** 1 Abb. 3: Korrelation der Motivationsfaktoren (DaF-Pilotstudie) Dieses Ergebnis weist auf eine höhere Wahrscheinlichkeit hin, dass das Ideal L2 Self und somit das L2MSS als relevanter Faktor für die Lernmotivation für DaF im Iran gelten kann. Man darf dabei aber nicht außer Acht lassen, dass auch die Relation zwischen den Faktoren ‚Lernmühe‘ und Integrativeness (p = 0 < 0.01, r = 643 ** ) eine deutlich signifikante ist. Für die Lernmühe und den Lernerfolg scheint Integrativeness eine große Rolle bei iranischen DaF-Lernenden zu spielen (vgl. auch die moderate Korrelation zwischen Integrativeness und Leistungsnote in Abb. 4). Ein besonderes Augenmerk sowohl bei DaFals auch EFL-Lernenden liegt aber offensichtlich auf den instrumentellen Orientierungen. Bei den Deutschlernenden im DSIT zeigen sich auch integrative Orientierungen. Diese sind aber (u.a. wegen der fehlenden Kommunikationsmotive) stark mit instrumentellen und pragmatischen Anreizen verbunden. Man kann deswegen zu dem Schluss gelangen, dass die Rekonzeptualisierung von Integrativeness innerhalb des Ideal L2 Self in solch einem Kontext die Relevanz der instrumentellen Motivation betont. Nicht zuletzt deswegen korrelieren instrumentelle Motivationen und das Ideal L2 Self positiv (r = .411, .683 ** ), welche aber nicht mit Integrativeness in einer signifikanten Relation (r = .125, .335) stehen. Instrumentalität ist bei DaF-Lernenden im Vergleich zu EFL-Lernenden verhältnismäßig stärker ausgeprägt. A B C D A Integrativeness 1 .747 ** .643 ** -.494 ** B Ideal L2 Self .747 ** 1 .442 ** -.606 ** C Lernmühe .643 ** .442 ** 1 -.479 ** D Leistungsnote -.494 ** -.606 ** -.479 ** 1 Abb. 4: Korrelation L2MSS und Lernmühe (DaF-Pilotstudie) 56 Mostafa Maleki 45 (2016) • Heft 2 α Item M SD Ideal L2 Self .73 6 5.54 .922 Ought-to L2 Self .84 6 3.08 1.67 Learning Experience .59 9 5.37 1.2 Abb. 5: L2MSS-Werte (DaF-Pilotstudie) Die Bedeutung der Prevention Instrumentality ist im Kontext EFL auf das vorhandene Bewusstsein und die Überzeugung in der Gesellschaft und Familie zurückzuführen, dass englische Sprachkenntnisse eine unabdingbare Notwendigkeit für eine Karriere unterschiedlicher Art (akademisch, beruflich usw.) in und außerhalb der iranischen Gesellschaft sind. Die höheren Werte bei Promotion Instrumentality für DaF zeigen aber klare Ziele, die die Lernenden mit dem Deutschlernen zu erreichen versuchen. Diese lassen sich damit begründen, dass bei dem weitaus kleineren Kreis von DaF-Lernenden die Anwendbarkeit des Deutschen in den allermeisten Fällen nur außerhalb des Irans möglich ist und oft mit der (studentischen) Migration und dem (Studenten-)Visum verbunden ist. Ein längerer Aufenthalt in Deutschland erfordert aber eine genaue Planung. Die Konzentration auf diese Planung bedeutet, dieses Ziel hartnäckig im Blick zu behalten. Hingegen sind für EFL auch im iranischen akademischen und beruflichen Raum Anwendungsmöglichkeiten vorstellbar. Aus den Analysen geht klar hervor, dass die Lernmotivation für DaF im iranischen Kontext hohe Werte in Bezug auf das L2MSS, v.a. bei den Komponenten Ideal L2 Self und L2 Learning Experience haben (s. Abb. 5). Die vergleichsweise niedrigeren Mittelwerte beim Ought-to L2 Self bestätigen in der Tat die oben dargestellten Argumente in Bezug auf die starke instrumentelle Motivation unter iranischen DaF-Lernenden. Sowohl für Englischlernende (vgl. P API / T EIMOURI 2014: 511, Table 5) als auch für Lernenden der deutschen Sprache mit promotion-instrumentellen Orientierungen lassen sich hoch signifikante Zusammenhänge mit den Komponenten des L2MSS feststellen. Während die Korrelation der Intrumentality Promotion mit dem Ought-to L2 Self für EFL eher mäßig ist, zeigt sich diese Relation im DaF-Bereich (r = .45 ** ) statistisch hoch signifikant (s. Abb. 3). Das lässt den Schluss zu, dass sich DaF-Lernende Deutsch mit klaren Zielsetzungen aneignen möchten. Dabei ist im Hinblick auf die hoch signifikante Korrelation zwischen instrumenteller Motivation (prevention) und Ought-to L2 Self (r = .62**, s. Abb. 3) zu berücksichtigen, dass den DaF-Lernenden u.a. die Wichtigkeit guter Noten und das Bestehen der Sprachprüfungen bewusst ist, um etwa die nötigen Sprachzertifikate (z.B. mindestens B1 für die Beantragung des Visums) für einen deutschsprachigen Studiengang in Deutschland oder die Aufnahme einer Berufstätigkeit in Deutschland zu erwerben. Das Fragebogen-Item 59 zur Dimension ‚instrumentelle Orientierungen, prevention‘ („Ich muss Deutsch lernen, da ich keine schlechten Noten bei Deutschprüfungen bekommen möchte.“) korreliert statistisch hoch signifikant mit der Lernmühe (r = .464 **) . Das motivationale Lernverhalten korreliert auch in fast allen bisherigen Untersuchungen zu EFL mit L2 Learning Experience L2-Motivation und „Possible Selves“ 57 45 (2016) • Heft 2 (vgl. C SIZÉR / K ORMOS 2009). Die Analyse der Daten ergibt einen statistisch signifikanten Effekt (r = .42 ** , s. Abb. 3) für idealisierte Selbstvorstellungen seitens der positiven Lernerfahrungen im und außerhalb des Fremdsprachenunterrichts. Zusammenfassend kommt die DaF-Pilotstudie zu dem Ergebnis, dass tendenziell höhere Werte bei Komponenten des L2MSS mit positiven Effekten unterschiedlicher Intensität auf die Lernmühe einhergehen. Es ergibt sich insgesamt die in Abb. 6 zusammengefasste schematische Darstellung der Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Motivationsvariablen. Abb. 6: Schematische Darstellung der Zusammenhänge (DaF-Pilotstudie) 4. Deutschlernen im Vergleich zum Englischlernen und das ‚deutschsprachige Selbst‘ In Bezug auf die unter Abschnitt 2 angeführte Verortung der drei Komponenten des L2MSS auf der Makro- und Mikroebene kann man die idealisierten Selbstvorstellungen in und mit der deutschen Sprache zusammen mit den Soll-Einschätzungen auf einer Makroebene und die Lernerfahrungen im und außerhalb des Unterrichtsraums auf einer Mikroebene darstellen. Auffällig ist, dass die idealisierten Selbstvorstellungen stark von instrumentellen Motivationen mit einem promotion focus (z.B. Studium in Deutschland) unterstützt werden. Dies entspricht der Annahme, dass viele DaF-Lernende ihr ideales Selbstkonzept u.a. am Bild eines internationalen Studierenden, der an einer deutschen Hochschule einen deutschsprachigen Studiengang studiert, orientieren. Die Stärkung der idealisierten Selbstvorstellungen durch positive Lernerfahrungen ist u.a. dadurch zu erklären, dass die Lernatmosphäre am DSIT die Möglichkeit bietet, in einer freundschaftlichen Atmosphäre über die Zukunft und Vorstellungen der Lernenden zu diskutieren. Instrumentell (Promotion) Lernerfahrungen Instrumentell (Prevention) Idealisierte Selbstvorstellung Leistungsnoten Lernmühe Soll-Einschätzungen .47** .44** .60** .68** .45** .42** .44** .41** .62** 58 Mostafa Maleki 45 (2016) • Heft 2 Von besonderer Relevanz sowohl für das Deutschals auch das Englischlernen im Iran scheint die soziokulturelle Umgebung zu sein: Das grundsätzliche Bedürfnis nach Beherrschung des Deutschen und Englischen kommt im iranischen Kontext weniger unmittelbar aus der Lebenswelt der Lernenden selbst als vielmehr aus einer Motivierung von außen. Die sozialen Faktoren aus der Umwelt, wie etwa die Möglichkeit von Kontakten zu Muttersprachlern, die Wertschätzung seitens der Familie sowie der Bildungsstand und das Vorhandensein der Fremdsprachenkenntnisse im Elternhaus, spielen hier eine große Rolle. Eine wesentliche Rahmenbedingung für das Deutschlernen (und auch für das Englischlernen) stellt der Mangel an Interaktion dar: Außerhalb des Fremdsprachenunterrichts findet kaum Interaktion mit Muttersprachlern statt. Auch wenn die Daten der DaF-Pilotstudie eine positive Einstellung gegenüber den Zielkulturen und -gesellschaften zeigen, lässt sich dies kaum als realitätsbezogene Einschätzung interpretieren. Der Grund liegt weniger darin, dass es selten Möglichkeiten für direkte Kontakte mit deutschen Muttersprachlern gibt, als vielmehr in einer sehr stark instrumentellen Orientierung, die nur wenig Raum für weitere Motivationsvariablen lässt. Das Motiv ‚Studium in Deutschland‘ impliziert einerseits eine Instrumentalisierung der Motivation und das Studium ist andererseits selbst ein Instrument zur Förderung der deutschen Sprache; weitere Motive sind die hohe Anerkennung erworbener Bildung und beruflicher Qualifikationen in Deutschland. Viele entscheiden sich für Deutschland als Studienstandort, nicht zuletzt deswegen, weil Deutschland attraktive Studienmöglichkeiten bietet, die vergleichsweise qualitativ gut und kostengünstig sind. Auch Motive der Berufsausübung in Deutschland sind hier zu benennen. Die Berufsmotivation ist teilweise Ausdruck der Auffassung unter den Lernenenden, dass die erworbenen Kenntnisse und Qualifikationen in und mit der deutschen Sprache eine weltweite Bedeutung haben. Obwohl es viele englischsprachige Studiengänge in Deutschland gibt, ist den Deutschlernenden bewusst, dass eine berufliche Karriere in Deutschland ohne die deutsche Sprache wenig vorstellbar ist. Nicht wenige Deutschlernende erwägen auch englischsprachige Studiengänge in Kanada, den USA oder ostasiatischen Ländern wie Malaysia. Ein weiterer Punkt ist, dass in Deutschland mittlerweile etwa 6.000 Studierende aus dem Iran studieren. Zu den kontextspezifischen Faktoren gehört außerdem, erfolgreichen Freunden und Bekannten nachzueifern. Mit der Weiterentwicklung des Selbstbilds geht in den allermeisten Fällen ein beabsichtigter Ortswechsel einher, hauptsächlich zum Zweck des Studiums und der beruflichen Karriere in Deutschland. Deutschlernen wird dabei nicht zum Selbstzweck, sondern ein Weg zum Ziel. Bemerkenswert ist, dass ein ‚deutschsprachiges Selbst‘ in den meisten Fällen im Zusammenhang mit der Zielgesellschaft bzw. dem Zielsprachenland steht. Gerade dies deutet darauf hin, dass eine soziopsychologische Perspektive für die iranische DaF-Motivationsforschung weiter von Gewinn sein könnte. Betrachtet man die Ergebnisse im Detail, so deuten die Motivationsprofile und deren Analyse darauf hin, dass die Unterschiede zwischen EFL und DaF nicht groß sind, was die Ausprägung des L2MSS für beide Sprachen angeht. Das Übertragen dieses Theorieansatzes auf DaF erfordert aber noch weitere Studien. Die Datengrundlage L2-Motivation und „Possible Selves“ 59 45 (2016) • Heft 2 der Vorstudie mit 50 Teilnehmenden liefert in erster Linie Hinweise auf einige Besonderheiten, die in der weiteren Diskussion zu beachten sind. Auf der Basis der Pilotstudie kann man nun argumentieren, dass es für Deutschlernende im Iran (objektiv) wichtig und (subjektiv) wünschenswert ist, Deutsch zu lernen bzw. sich für Deutsch als Fremdsprache zu entscheiden. Die Objektivität dieser Entscheidung zeigt sich in klaren Zielen und instrumentellen Motivationen (Studium, Job usw.). Die Subjektivität lässt sich damit begründen, dass die Probanden trotz fehlender Kontakte mit der Zielgesellschaft und -kultur auch integrative Motivationsprofile aufweisen. Die (instrumentelle) Wichtigkeit von Deutschkenntnissen für ihre zukünftige Karriere ist den iranischen Deutschlernenden im DSIT wohl bewusst. Sie sehen aber das Deutschlernen auch als ein Mittel, sich eine bessere Bildung zu verschaffen - eine Erweiterung des Selbstkonzepts mit klaren Zielen und dabei soziokulturellen Intentionen. Die deutsche Sprache ist etwas Besonderes im Iran, genauso wie Deutschland selbst. Deutschland genießt einen guten Ruf in der iranischen Bevölkerung. Der Nützlichkeitsaspekt des Deutschlernens ist kombiniert mit der durchweg positiven Einstellung gegenüber den unterstellten Grundcharakteristika deutschsprachiger Menschen. Ein ‚deutschsprachiges Selbst‘ kann im iranischen DaF-Kontext durch verschiedene Orientierungen von ebenfalls unterschiedlicher Natur bestimmt sein. Die DaF-Lernenden versprechen sich zumeist von ihren deutschen Sprachkenntnissen persönliche Vorteile, die stark nach instrumentellen Motiven ausgerichtet sind. Das entwickelte Selbstkonzept mit und in der deutschen Sprache beruht auf idealisierten Selbstvorstellungen (Ideal L2 Self) und steht in Harmonie mit den gesellschaftlichen Anforderungen (Ought-to L2 Self), v.a. beruflich und akademisch erfolgreich zu sein. Das neue bzw. sich erweiternde Selbstkonzept wird durch positive Einstellungen gegenüber der Zielgesellschaft gefördert und von positiven Lernerfahrungen unterstützt. Dies ist für iranische DaF-Lernende aber oft nicht allein mit dem Deutschlernen, sondern mit der (erwogenen) Auswanderung nach Deutschland verbunden. Die räumliche und gesellschaftlich-kulturelle Verortung des neuen Selbstkonzepts (hauptsächlich wegen der „Studierendenmigration“) stellt daher eine Besonderheit in der Diskussion über die Operationalisierung der L2MSS im iranischen DaF-Kontext dar. 5. Schlussfolgerungen Deutsch und Englisch unterscheiden sich im iranischen Lernkontext zwar erheblich hinsichtlich der Zahl der Lernangebote und Lernenden voneinander. Bezüglich der L2- Motivation zeigen sich jedoch teilweise ähnliche Verhältnisse. Die englische Sprache wird zwar in der iranischen Gesellschaft und v.a. im Bildungskontext als eine international und instrumentell sehr wichtige Sprache wahrgenommen, darf aber weniger als eine Welt- und Kommunikationssprache innerhalb der iranischen Gesellschaft bezeichnet werden. Es fehlt an direkten Kontakten mit der Zielsprache und -gesellschaft. Aus dem gleichen Grund ist die deutsche Sprache im Iran keine Kommunikationssprache, die u.a. zur Identifizierung mit einer anderen kulturellen und sprachlichen Gemein- 60 Mostafa Maleki 45 (2016) • Heft 2 schaft gelernt würde. Nicht zuletzt deswegen lässt sich eine stark instrumentelle Orientierung zum Erlernen der deutschen Sprache nachweisen. In dem im Vergleich mit EFL für DaF eher kleinen Lernkreis lassen sich aber auch Motivationsprofile feststellen, die auf eine weltweit relevante Funktion der deutschen Sprache zielen, z.B. deren Relevanz für eine internationale berufliche Karriere. Die allgemein wohlwollende Einstellung gegenüber Deutschland und den Deutschen in der iranischen Gesellschaft, der gute Ruf der deutschen akademischen Landschaft und der beruflichen Karrieremöglichkeiten und viele familiäre Bindungen an Deutschland finden ihren Ausdruck in der Motivationsfülle der iranischen DaF-Lernenden. Im Vergleich mit den Daten aus der EFL-Motivationsforschung machen die Befunde der ersten Befragung unter DaF-Lernenden bei aller gebotenen Vorsicht darauf aufmerksam, dass der Begriff Integrativeness im iranischen DaF-Kontext durch den Begriff der idealisierten Selbstvorstellungen (Ideal L2 Self) in und mit der deutschen Sprache ersetzt werden kann. Während sich die Items in gängigen Fragebögen zum L2MSS speziell auf die englische Sprache beziehen, sind diese verhältnismäßig allgemein auf den DaF-Kontext übertragbar. Eindeutig klar wird aber hier die Notwendigkeit einer inhaltlichen Differenzierung. Es scheint daher angebracht, auf die oben hervorgehobenen Besonderheiten des Deutschlernangebots und des Deutschlernens im iranischen Kontext hinzuweisen, die insbesondere die Bedeutung von sozio-ökonomischen Gegebenheiten in der Ausgangs- und Zielkultur hervorheben. Gerade in instrumentellen Motivationsprofilen können sich Verschiebungen hinsichtlich der Motivationsarten in Änderungen in der wirtschaftlichen und beruflichen Lage in den Ausgangs- und Zielgesellschaften begründen. Literatur B OO , Zann / D ÖRNYEI , Zoltán / R YAN , Stephen (2015): „L2 motivation research 2005-2014: Understanding a publication surge and a changing“. In: System 55, 145-157. 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The data analysis of several studies reveals a twofold motivation; first, learners consider language skills as an add-on qualification; and second, learners see proficiency in another language as part of their identity and personal development. The findings are discussed in the Australian context and it will be argued that globalisation increases the need for multilingual speakers even if their L1 is English. The article concludes by discussing some of the study’s implications for curriculum design. 1. Einleitung Heutzutage wird in vielen Ländern für Deutsch als zweite Fremdsprache nach dem Englischen geworben (vgl. R OGGAUSCH 2009: 7), weshalb sich die Frage stellt, welche Bedeutung Deutsch in Ländern mit Englisch als dominanter Erstsprache hat. Mit welchen anderen Fremdsprachen konkurriert Deutsch, und welcher Nutzen wird Fremdsprachenkenntnissen überhaupt beigemessen? Wenn noch hinzukommt, dass sich das Land geografisch weit entfernt von den deutschsprachigen Ländern befindet, ergibt sich nicht nur eine komplexe Situation, sondern auch ein interessanter Forschungsgegenstand für die L2-Motivationsforschung. Dieser Artikel beschäftigt sich mit ebensolcher Ausgangssituation, indem er die Motive für das Fremdsprachenlernen in Australien untersucht. Während der Schwerpunkt auf dem universitären Sprachenlernen liegt, wird auch auf allgemeine sprachenpolitische Entwicklungen sowie auf das Sprachenlernen im Sekundarbereich eingegangen. Nach einem allgemeinen Überblick über den Stellenwert von Fremdsprachen in Australien im zweiten Teil werden relevante Studien zur L2-Motivationsforschung im australischen Kontext vorgestellt. Im vierten Teil werden dann neuere Daten zur Motivation zum Sprachenstudium in Australien präsentiert. Abschließend wird erörtert, welche Schlussfolgerungen sich aus den Ergebnissen für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen in Australien ergeben. * Korrespondenzadresse: Dr. Gabriele S CHMIDT , Australian National University, School of Literature, Languages & Linguistics, Baldessin Precinct Building 110, C ANBERRA ACT 2601, Australien. E-Mail: Gabriele.Schmidt@anu.edu.au Arbeitsbereiche: Fremdsprachen im Hochschulbereich, L2-Motivationsforschung, Deutsch in Australien.