eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 37/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2008
371 Gnutzmann Küster Schramm

Qualität durch Bildungsstandards ?

2008
Eynar Leupold
Lothar Bredella
37 (2008) Pro Pro Ungläubigkeit und Neugier mischten sich bei meinem französischen Kollegen, als er mich fragte: „Stimmt es wirklich, das Ihr jetzt länderübergreifende Bildungsstandards habt? “ Ungläubiges Staunen mag sich auch heute noch bei Kolleginnen oder Kollegen einstellen angesichts der bildungspolitischen Veränderungen als Konsequenz aus nationalen und internationalen Lernstandserhebungen. Aber Faktum ist: Bildungsstandards gibt es, und es macht keinen Sinn, diese politische Setzung und die daraus für die Unterrichtspraxis folgenden Neuorientierungen zu ignorieren. Natürlich kann man rückblickend Zweifel anmelden und fragen, ob Bildungsstandards die richtige Reaktion auf PISA waren, man kann das Konzept der Standardisierung und einzelner Beispielaufgaben in den vorliegenden Bildungsstandards kritisieren, und man kann feinsinnig Hypothesen formulieren, welche negativen Folgen möglicherweise von der Standardorientierung auf den Fremdsprachenunterricht in Zukunft ausgehen. Cui bono? Um die positive Wirkung der Bildungsstandards zu verstehen, reicht es einerseits, im Fremdsprachenunterricht regelmäßig zu hospitieren und zu erfahren, wie stark die qualitativen Schwankungen von Unterricht sind. Andererseits ist es hilfreich, über die eigene Disziplin hinauszublicken und sich zu vergegenwärtigen, in welchem Maße ein öffentliches Interesse an und eine Diskussion zu Fragen von schulischer Bildung und Unterricht durch diese Dokumente ausgelöst wurden. Das Aufzeigen der Bildungssituation in Deutschland durch einen nationalen Bildungsbericht, das Nachdenken über das Konzept von Bildung heute (vgl. Jürgen B AUMERT : „Was soll man unter Bildung verstehen? “ In: Die Deutsche Schule 1 (2008), 16-21), und die Frage nach dem Bildungsauftrag, den fachspezifischen sowie fächerübergreifenden Bildungszielen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einführung von Bildungsstandards. Und ist es nicht die durch die Bildungsstandards ausgelöste Debatte zum Anspruch schulischer Erziehung und Ausbildung, die maßgeblich zum ernsthaften Nachfragen zur Qualität von Schule (vgl. Peter F AUSER / Michael S CHRATZ : „Was kann man von guten Schulen lernen? “ In: Die Deutsche Schule 2 (2008),151-165), zur Bedeutung von Schulkultur, zu Überlegungen zur Lernkultur (vgl. Jngo K OLLAR / Frank F ISCHER : „Was ist eigentlich aus der neuen Lernkultur geworden? “ In: Zeitschrift für Pädagogik 1 (2008), 49-62) und zur Rolle der Aufgaben im Unterricht geführt hat? Mit der Implementierung von Bildungsstandards wurde explizit der Anspruch erhoben, zusammen mit anderen Maßnahmen die Unterrichtsqualität zu sichern und zu steigern. Andreas H ELMKE [et al.] („Qualität von Unterricht: Aktuelle Tendenzen und Herausforderungen im Hinblick auf die Evaluation und Entwicklung von Schule und Unterricht“. In: Pädagogische Rundschau 5 (2007), 527-543) zeigen aber, dass das Konstrukt „Unterrichtsqualität“ komplex ist und dass die Wirkungs- und Kompetenzorientierung nur eines von zehn Merkmalen darstellt. Damit wird deutlich, dass sich Qualität im Unterricht - positiv oder negativ - nicht mittels Standardisierung allein sondern im Zusammenspiel mit anderen Faktoren positiv oder negativ ergibt. Führen Bildungsstandards dazu, dass der Unterricht auf die Inhalte reduziert wird, die sich präzise messen lassen und somit Interkulturelles Lernen sowie die Ausbildung von Lernkompetenzen von der Lernlandkarte verschwinden? Aus den Bildungsstandards selbst lässt sich eine solche Entwicklung nicht ablesen. Aber in dem Zusammenhang ist es höchste Zeit, dass die Fachdidaktik einen konstruktiven Dialog mit der Bildungsforschung aufnimmt und die Vorgaben der Bildungsstandards zu den schwer messbaren Kompetenzbereichen konstruktiv weiter denkt, so wie dies Katharina M AAG M ERKI („Lernkompetenzen als Bildungsstandards - eine Diskussion der Umsetzungsmöglichkeiten“. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 7 (2004), 537-550) beispielhaft für Q u a l i t ä t d u r c h B i l d u n g s s t a n d a r d s ? Pro und Contra 313 37 (2008) den Bereich der Lernkompetenzen getan hat. Und es gilt, bei den Unterrichtenden einerseits eine Akzeptanz für die Bildungsstandards herzustellen und sie andererseits zu ermutigen, ihre professionelle Lehrkompetenz für einen lernerorientierten, motivierenden und lernintensiven Unterricht zu erweitern und einzusetzen. Qualität durch Bildungsstandards: Ja, aber nicht auf den ersten Blick. Freiburg E YNAR L EUPOLD Contra Contra Kritik an der Outputorientierung der Bildungsstandards: Das Überprüfen sprachlicher Fertigkeiten ist völlig legitim. Die Bildungsstandards sind jedoch problematisch, weil sie den bildungsfeindlichen Begriff der Outputorientierung in den Mittelpunkt rücken. So wird gesagt: Der Output, der prinzipiell mit Hilfe von Testverfahren erfasst werden soll, wird „zum entscheidenden Bezugspunkt für die Beurteilung des Schulsystems und zur Verbesserung und Weiterentwicklung“ (B UNDESMINISTERIUM FÜR B ILDUNG UND F ORSCHUNG : Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Bonn 2003, 12). Mit welcher Berechtigung wird eine solche These aufgestellt? Wie immer man Bildung definiert, sie lässt sich nicht in das Prokrustesbett des Output pressen. Für Robert S PAEMANN (Moralische Grundbegriffe. München: Beck 2004: 36 f) besteht die zentrale Aufgabe der Bildung darin, „für etwas zu interessieren“ und damit ein Wertgefühl für bestimmte Inhalte und Gegenstände bei den Lernenden zu erzeugen. Für outputorientierte Bildungsstandards sind jedoch Inhalte und Gegenstände gleichgültig. Sie richten sich nach einem Modell der Erfolgskontrolle bei Waren (daher auch die Ablehnung der Diskussion über Bildungsziele als bloße Ideologie vgl. BMBF 2003: 62). Das hat verhängnisvolle Konsequenzen, weil das sich bildende Subjekt mit seinen Wertvorstellungen und Sichtweisen ausgeklammert wird und zu befürchten ist, dass nur noch gelehrt und gelernt wird, was sich mit Tests outputorientiert erfassen lässt (teaching to the test). Was bei der Outputorientierung verloren geht, will ich an der Interaktion zwischen Text und Leser im fremdsprachlichen Literaturunterricht wenigstens andeuten. Leser müssen ihre Wertvorstellungen und Sichtweisen in die Interaktion einbringen, um den Text zu verstehen. Dabei setzen sie sie auch aufs Spiel, wenn der Text sie von anderen Wertvorstellungen und Sichtweisen überzeugen will. Bildungswirksam ist an diesem Prozess, dass sich Leser von dem Text ansprechen und herausfordern lassen und auf ihn antworten. Dazu gehört auch, dass sie sich im Unterrichtsgespräch mit den Deutungen anderer auseinander setzen und eine gemeinsame Sprache entwickeln. Bildung umfasst hier die Fähigkeit, sich in andere zu versetzen und die Welt mit deren Augen zu sehen (Empathiefähigkeit) und zu den eigenen und fremden Deutungen in Distanz zu treten und sie zu bewerten (Urteilsfähigkeit) (vgl. Lothar B REDELLA : Literarisches und interkulturelles Verstehen. Tübingen: Narr 2002; Lothar B REDELLA , Eva B URWITZ -M ELZER : Rezeptionsästhetische Literaturdidaktik mit Beispielen aus dem Fremdsprachenunterricht Englisch. Tübingen: Narr 2004). Outputorientierung verfehlt Bildung, weil sie übersieht, dass der Mensch ein Wesen ist, das sein Verhalten und das der anderen interpretiert und bewertet. Die Bildungsstandards ignorieren diese reflexive Einstellung, die Selbstbestimmung ermöglicht, und missachten das Wertgefühl für bestimmte Inhalte und Gegenstände, um die Vergleichbarkeit der outputorientierten Tests zu garantieren. Das ist für die Erfolgskontrolle von Waren angemessen. Für das Verständnis von Bildung ist es das nicht. Sie lässt sich nicht auf outputorientierte Standards reduzieren. Gießen L OTHAR B REDELLA