eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 37/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
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Narr Verlag Tübingen
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2008
371 Gnutzmann Küster Schramm

Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts – was kann die Lehrerausbildung beitragen?

2008
Birgit Schädlich
* Korrespondenzadresse: Birgit S CHÄDLICH , Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Romanische Philologie, Humboldtallee 19, 37073 G ÖTTINGEN . E-mail: B.Schaedlich@amphibi.de Arbeitsbereiche: Didaktik der romanischen Sprachen, Deutsch als Fremdsprache, Literaturdidaktik, Qualitativempirische Unterrichtsforschung, Hochschuldidaktik, Lehrerausbildung. 1 Aus Gründen der Lesbarkeit setze ich nur die maskuline Form. Gemeint sind stets Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen etc. 37 (2008) B IRGIT S CHÄDLICH * Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts - was kann die Lehrerausbildung beitragen? Abstract. This article discusses models of teaching French literature in university contexts and the impact of these models on the pedagogical behaviour of future teachers in their literature classrooms. The analysis of teaching and learning practices in French literature seminars provides a basis for the argument that a shift to active learning is required, as is a closer connection between language learning and the use of literary texts. Das Bemühen um eine Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ist unmittelbar an die Frage gebunden, wie zukünftige Lehrer 1 in ihrer Ausbildung auf den Umgang mit fremdsprachigen literarischen Texten vorbereitet werden. Der folgende Beitrag wird diese Frage diskutieren und dabei verstärkt die Perspektive des Französischunterrichts akzentuieren. Den Hintergrund der Überlegungen bildet eine qualitativ-empirische Studie, die universitäre literaturwissenschaftliche Seminare - also jene Veranstaltungen, in denen zukünftige Lehrer sich mit Literatur auseinandersetzen - beschreibt und analysiert. Die Ergebnisse dieser Studie legen die Vermutung nahe, dass das Potenzial literaturwissenschaftlicher Veranstaltungen für die spätere Unterrichtstätigkeit kaum erkannt oder angemessen methodisch-didaktisch transformiert wird. An dieser Stelle sei die Frage aufgeworfen, inwieweit Hochschullehrende fachwissenschaftliche Anteile der Lehrerausbildung stärker berufsfeldorientiert gestalten sollten: Ich plädiere für eine Veränderung der Hochschullehre, die sich an Ansätzen wie Kompetenz- und Handlungsorientierung ausrichtet sowie literarisches und fremdsprachliches Lernen direkter aufeinander bezieht als dies bisher der Fall ist. 1. Reliterarisierung des Fremdsprachenunterrichts zwischen fachdidaktischer Forschung und Bildungsstandards Seit den 1980er Jahren interessiert sich die fremdsprachendidaktische Forschung wieder verstärkt für die Arbeit mit literarischen Texten. Zahlreiche, teilweise auch empirische Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 299 37 (2008) Studien untersuchten die Rolle des Lesens für den Spracherwerb und bestätigten die These, dass Lesen - und vor allem das Lesen (altersangemessener) literarischer Texte - einen durchweg positiven Einfluss auf den Spracherwerb hat (vgl. B RUSCH 2007: 9): Literatur bietet Sprechanlässe und eignet sich daher in besonderem Maße für eine Verbindung mit schülerorientierten Verfahren (vgl. B REDELLA / L EGUTKE 1985). Der kreativproduktionsorientierte Umgang mit literarischen Texten (vgl. C ASPARI 1994) erscheint in der Lage, kognitive und wertende Kompetenzen sowie Empathiefähigkeit auszubilden, so dass literarische Texte nicht zuletzt zur Identitätsbildung beitragen. D ELANOY (1996) schreibt dem literarischen Arbeiten ein emanzipatorisches Potenzial zu, K ÜSTER (2003) nennt es einen Beitrag zur „pluralen Bildung“ und der Ansatz von B REDELLA (2002) verbindet bereits begrifflich literarisches und interkulturelles Verstehen. Ein solches Potenzial dürfte für den Französischunterricht von herausragendem Interesse sein, wird doch gerade hier häufig kritisiert, der Unterricht sei „verkopft, philologisch und wenig handlungsorientiert“ (R AABE 2003: 537). Die aktuellen Entwicklungen im Kontext der Bildungsstandards scheinen diese Probleme jedoch kaum auffangen zu können: N IEWELER (2007: 2) hält zwar eine „Neuorientierung auch für den Französischunterricht als zweite Fremdsprache“ für möglich, betont aber gleichzeitig, dass gerade die Lehrer dieses Fachs von den Veränderungen durch Bildungsstandards „bislang noch wenig betroffen“ seien, fehlten doch beispielsweise Standards für Französisch als zweite Fremdsprache - was den Normalfall der schulischen Sprachenfolge ausmacht. Auch T ESCH (2007) sieht in den Bildungsstandards eine Chance in erster Linie für die Förderung leistungsschwacher Schüler, problematisiert jedoch ihre methodisch-didaktische Umsetzung: Hier fehle jeglicher Hinweis auf die Art des intendierten Unterrichts (vgl. T ESCH 2007: 9), der zur Ausbildung der entworfenen Kompetenzen beitragen solle. Überraschenderweise spiegelt sich das in den 1980er Jahren nicht nur erwachte, sondern auch empirisch untersuchte Interesse am literarischen Text nur marginal in den Bildungsstandards wider: Diese scheinen an einem fremdsprachendidaktischen Grundverständnis festzuhalten, das den literarischen Text weiterhin eher ausklammert, statt ihn (wieder) verstärkt zu berücksichtigen (vgl. B URWITZ -M ELZER 2006). In den Aufgabenbeispielen der Bildungsstandards für Französisch (mittlerer Schulabschluss) spielt Literatur bereits bei der Textauswahl so gut wie keine Rolle, und über das informationsentnehmende Verständnis gehen die Beispielaufgaben selten hinaus. Bei einer Analyse von Lehrplänen stellt C ASPARI (2005a) jedoch fest, dass sowohl literarische Texte - entgegen ihrer ‚Missachtung‘ durch die Bildungsstandards - als auch Methoden der Textarbeit hier noch stärker favorisiert werden. Generell positiv ist auch anzumerken, dass in jüngster Zeit in Zeitschriften wie Praxis Fremdsprachenunterricht oder Der fremdsprachliche Unterricht Französisch zahlreiche Unterrichtsvorschläge zur Arbeit mit Kinder- und Jugendliteratur entwickelt worden sind (vgl. M INUTH 2007; H ÖRBERG 2007), die sich zum Teil auch ausdrücklich in den Kompetenzmodellen der Bildungsstandards verorten. Für die Lehrerausbildung entsteht durch die Kluft zwischen fremdsprachendidaktischer Forschung und bildungspolitischen Vorgaben folgendes Problem: Gegenüber den Universitäten und jenen Hochschullehrern, die Lehramtsstudierende ausbilden, setzen die Bildungsstandards ein missverständliches Signal: Bei Vertretern der universitären Litera- 300 Birgit Schädlich 2 Ich beziehe mich auf die Lehrerausbildung an den Universitäten, wie sie in den meisten Bundesländern üblich ist. Auf die Modelle der Pädagogischen Hochschulen gehe ich an dieser Stelle nicht ein. 37 (2008) turwissenschaft könnte der Eindruck entstehen, Literatur spiele an der Schule keine Rolle, bleibt sie doch in Papieren wie den Bildungsstandards weitestgehend unsichtbar. 2. Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik in der universitären Phase der Lehrerausbildung An den Universitäten 2 stellen linguistische und literaturwissenschaftliche Veranstaltungen als fachwissenschaftliche Anteile nach wie vor den Schwerpunkt lehrerausbildender Studiengänge in den Sprachenfächern dar. Im Zuge der Umstrukturierung von Lehramtsstudiengängen (vgl. B AUSCH / K ÖNIGS / K RUMM 2003) verändern sich momentan die Curricula der einzelnen Disziplinen grundlegend. Ziel ist auch eine Veränderung der Lehre, ohne dass jedoch transparent wäre, was diese momentan überhaupt ausmacht: Die Praxis, an die die Neuerungen ‚angedockt‘ werden sollen, ist dabei nur schwer deskriptivanalytisch zu fassen, ihre Kenntnis bildet jedoch die Voraussetzung für das Gelingen der Implementierung neuer Curricula und Lehr-/ Lernformen. In einer qualitativ-empirischen Studie (vgl. S CHÄDLICH 2004) habe ich literaturwissenschaftliche Seminare aus der Perspektive von Lehrenden und Studierenden dargestellt und auf diese Weise versucht, jenen status quo der hochschuldidaktischen Praxis zu rekonstruieren, an dem die Reformen ansetzen werden. Obwohl diese Studie nicht repräsentativ ist, werden in den Schilderungen meiner Interviewpartner folgende Probleme der Hochschullehre im Fach Romanistik leitmotivisch formuliert: C die Seminarorganisation nach dem Modell der ‚traditionellen Referateseminare‘; C die starke Fokussierung auf rezeptive fremdsprachliche Kompetenzen („Wir lesen Texte auf Französisch, reden aber auf Deutsch darüber“); C Probleme beim Transfer ‚erlernter‘ Methoden auf unbekannte Texte einerseits, in schulische Kontexte andererseits. Diese Aspekte sind nur bedingt spezifisch für die Lehrerausbildung; vielmehr handelt es sich um generelle Probleme, die Lehrende und Studierende in Veranstaltungen der Romanistik wahrnehmen. 3. Eine veränderte Lehrerausbildung erfordert eine veränderte Hochschullehre: Über welche Kompetenzen müssen Hochschullehrer verfügen, die Lehrer ausbilden? Für die Lehrerausbildung sind im Reformdiskurs momentan zwei Ebenen relevant: Die erste Ebene betrifft die Frage der spezifischen Kompetenzen von Fremdsprachenlehrern. Während hier bereits einige Profile vorliegen (vgl. C ASPARI 2008), bleibt jedoch meist die Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 301 37 (2008) Frage offen, wie zukünftige Lehrer diese während des Studiums ausbilden sollen und welche Hochschullehrer ihrerseits über die nötigen Kompetenzen verfügen, diesen Lernprozess anzuleiten und zu gestalten. Diese zweite, hochschuldidaktische Ebene findet momentan erst mäßige Beachtung, obwohl doch beide Ebenen als interdependent erscheinen: Eine veränderte Lehrerausbildung kann nur durch eine Veränderung auch der hochschuldidaktischen Praxis derer, die Lehrer ausbilden, realisiert werden. Dabei stellt sich die Frage nach der Qualität akademischer Lehre auch unabhängig von der Lehrerausbildung, was an dem gesteigerten Interesse deutlich wird, das momentan hochschuldidaktischen Weiterbildungen entgegengebracht wird (vgl. IZHD 2004; B REN - DEL [et al.] 2004). Zudem weisen politische Versuche, das Image der Lehre aufzuwerten, in eine ähnliche Richtung, wie beispielsweise die Etablierung von Lehrprofessuren (vgl. W ISSENSCHAFTSRAT 2007) oder die geplante Exzellenzinitiative für die Lehre. Es schließt sich die Frage an, ob es - wenn man Ansätze für die Veränderung der hochschuldidaktischen Praxis sucht - einen spezifischen Unterschied zwischen allgemein hochschulischer und Lehrer ausbildender didaktischer Praxis gibt oder geben sollte. Aus meiner Perspektive würde ich diese Frage negativ beantworten, denn bei der Auseinandersetzung mit alternativen Gestaltungsformen für die hochschuldidaktische Praxis sind deutliche Überschneidungen der Diskurse allgemeiner Hochschuldidaktik und der Lehrerausbildung erkennbar. Es scheint mir besonders wichtig, diese Überschneidungen und gemeinsamen Bezugspunkte zu benennen, um die Forderung nach einer veränderten Hochschullehre von vornherein gegen den möglichen Vorwurf zu schützen, die Lehrerausbildung ‚diktiere‘ fortan Inhalte und Methoden der fachwissenschaftlichen Lehre und untergrabe deren Autonomieanspruch als von der Lehrerausbildung unabhängige Disziplin. Die Tatsache, dass momentan mit hochschuldidaktischen Alternativmodellen auch in disziplinären Kontexten experimentiert wird, die unabhängig von der Lehrerausbildung sind, sowie darüber hinaus die Bezugnahme von Hochschuldidaktik, Lehrerausbildung und Fremdsprachendidaktik auf ähnliche lerntheoretische Grundannahmen, auf ähnliche methodisch-didaktische Ansätze, auf ähnliche Formen von Evaluation und Qualitätssicherung, rechtfertigen es, diese Ansätze gemeinsam heranzuziehen, wenn nach neuen Praxismodellen für die Gestaltung von literaturwissenschaftlichen Seminaren gesucht wird. Der vorliegende Beitrag setzt an diesem Punkt an und akzentuiert dabei weniger inhaltliche Fragen der Neuausrichtung von Lerninhalten und Kanones, sondern untersucht Möglichkeiten einer methodisch-didaktischen Erweiterung der Hochschullehre. Dass den meisten Hochschullehrenden und Studierenden instruktive Vermittlungsformen wie Referate und Lehrervorträge vertrauter erscheinen als lerner- oder handlungsorientierte Verfahren, hat weniger etwas damit zu tun, dass es sich hier um die ‚natürlicherweise‘ angemessene Präsentation der Fachinhalte handeln würde. Vielmehr spielen für die Wahrnehmung der methodischen Gestaltung von Lehr-/ Lernsituationen die eigene Lernerbiografie und die lernkulturellen Traditionen der Fächer eine Rolle: Als normal wird vor allem das wahrgenommen, was der Erfahrung der eigenen Lernerbiografie entspricht und daher als didaktische Transformation überhaupt nicht mehr sichtbar ist. Das Vorgehen ist zum impliziten Handlungswissen geworden, ohne dass es noch lerntheoretisch expliziert werden müsste. Dass solche impliziten - und daher als gewisser- 302 Birgit Schädlich 37 (2008) maßen natürlich wahrgenommenen - Handlungsmodelle einen deutlichen Einfluss auf die Ausbildung des Habitus zukünftiger Lehrer haben, ist in verschiedenen Studien zur Professionsforschung gezeigt worden (vgl. S CHOCKER - V . D ITFURTH 2001: 88). Auch die Auswertungen meiner Interviewstudie legen die Vermutung nahe, dass die subjektivemotionalen Wertungen von in der eigenen Biografie erfahrenen unterrichtsmethodischen Ansätzen in Konkurrenz zu theoretisch erlernten fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Ansätzen treten können. Für die Lehrerausbildung folgt daraus: Die Vermittlung didaktischen Handlungswissens vollzieht sich im Lehramtsstudium auf zwei Ebenen. Die erste ist die explizite Ebene der Vermittlung fachdidaktischer und erziehungswissenschaftlicher Inhalte in den entsprechenden Veranstaltungen der Lehrerausbildung. Die zweite ist die implizite Ebene des Handlungsmodells aller an der Lehrerausbildung beteiligten Hochschullehrer. Das realisierte Modell von Lehre, das Studierende beobachten und in das sie als Lernende eingebunden sind, trägt in erheblichem Maß zu ihrer Professionalisierung, zur Ausbildung ihrer Lehrkompetenz bei. Solche Grundannahmen fließen aktuell bereits in Lehrerausbildungsmodelle ein: So sehen beispielsweise die Leitlinien für eine Reform der Fremdsprachenlehrerausbildung der DGFF die Auseinandersetzung mit der eigenen Lernerbiografie sowie das Konzept des reflektierten Modelllernens (vgl. DGFF 2003: 9-10) für Curricula der Lehrerausbildung vor. Es lässt sich nun folgende These aufstellen: Eine veränderte hochschuldidaktische Praxis der Literaturwissenschaft wird sich über Anteile des Modelllernens positiv auf die Ausbildung von Lehrkompetenz im Umgang mit literarischen Texten auswirken und stellt somit einen unmittelbaren Beitrag zur Berufsfeldorientierung von Lehramtsstudiengängen dar: Je vielfältiger die methodisch-didaktischen Handlungsmodelle sind, denen Lehramtsstudierende in ihrer Ausbildung begegnen, desto vielfältiger wird ihr Handlungsrepertoire, das sie aus der Hochschule in schulische Kontexte transferieren und desto situations- und themenadäquater werden ihre unterrichtlichen Entscheidungen ausfallen. Diesen Ansatz verstehe ich als mögliche Konkretisierung einer Forderung aus den Empfehlungen zur Zukunft der Lehrerbildung in den Hochschulen: „ [ … ] eine neue Qualität wird die Lehrerbildung in den Hochschulen erst erreichen, wenn auch zielorientierte Curricula, neue Lehr- und Lernformen und bessere Formen der Praxisorientierung die Studiengänge so bestimmen, dass mit einer Einlösung der Vorgaben gerechnet werden kann, die in Kompetenzmodellen und Bildungsstandards für die Lehrerbildung inzwischen vorliegen bzw. erarbeitet werden“ (HRK 2006: 12; Hervorh. d. Verf.). Ähnlich wie S TEINBRÜGGE (2008) die Opposition von spezifisch schulischen und spezifisch universitären Lerninhalten problematisiert, gehe ich davon aus, dass keine grundsätzlichen, sondern allenfalls graduelle oder prioritäre Unterschiede zwischen schulischen und universitären Lernzielen im Umgang mit Literatur bestehen. Zwar gibt es unterschiedliche Gewichtungen, Interessen und fachdisziplinäre Traditionen, Unterschiede in der Verarbeitungstiefe und Komplexität, strukturell überwiegen jedoch die Ähnlichkeiten. Vergleicht man unter diesem Aspekt Kompetenzmodelle zum literarischen Arbeiten an Schule und Hochschule, lassen sich Schnittstellen und Parallelen sehr viel deutlicher erkennen als dies beim alleinigen Vergleich rein thematischer Curricula Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 303 37 (2008) (Lehrbuch versus Literaturgeschichte) der Fall wäre. Ich verdeutliche dies durch eine kurze Gegenüberstellung fremdsprachendidaktischer mit zwei akademischen Kompetenzmodellen: Das eine findet sich in einer Einführung in die Anglistik (N ÜNNING / J UCKER 1999), das andere auf den Internetseiten des Romanischen Seminars der Universität Bonn (Iß LER 2006). In beiden Profilen werden neben sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen die Aspekte übertragbaren Handlungswissens, literaturwissenschaftlicher Methodenkompetenz sowie allgemeiner Darstellungskompetenz betont. Aus der Perspektive der schulischen Fremdsprachendidaktik werden strukturell ähnliche Kompetenzen entworfen. Die von N IEWELER (2007: 6) genannten Kompetenzen wie „Umgang mit Fiktionalität“ oder „Umgang mit fremdkulturellen Anspielungen“ lesen sich beispielsweise als Differenzierungen von „analytischer Denkkompetenz“ und „rhetorische und darstellungstechnische Kompetenz“ bei N ÜNNING / J UCKER (1999: 226) sowie von „fachwissenschaftlicher Methodenkompetenz“ und „Sensibilität für andere Kulturen“ bei Iß LER (2006). Parallelen finden sich ebenfalls zu den Modellen von C ASPARI (2005b) und B URWITZ - M ELZER (2006). Hier lassen sich neben einer deutlichen Fokussierung auf das interkulturelle Arbeiten („interkulturelle Kompetenzen fördern“; „Fähigkeit zur Perspektivübernahme“) vor allem sprachproduktive („eigene Textproduktion“; „selbständiges Anwenden von Texterschließungsstrategien“) und wissenschaftspropädeutische Ansätze („Recherchekompetenzen“) erkennen, die sich mit den Angaben wie „Interkulturelle Kompetenz“ und „Sprachkompetenz“ (Iß LER 2006) sowie „Problemlösekompetenz“ und „Bibliografische Kompetenz“ (N ÜNNING / J UCKER 1999: 226) in den akademischen Profilen decken. Vor diesem Hintergrund erscheint es möglich, Ansätze der (schulischen) Fremdsprachendidaktik in struktureller Vergrößerung auch auf die akademische Praxis zu übertragen, fehlt es doch bislang an einer hochschulbezogenen Fachdidaktik. 4. Ansätze für einen hochschuldidaktischen Beitrag der Lehrerausbildung zur Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts Bei der methodisch-didaktischen Umsetzung von Standards oder Kompetenzprofilen stellt sich grundsätzlich die Frage, welche unterrichtlichen Verfahren geeignet sind, entworfene Kompetenzen auch tatsächlich auszubilden. Dass diese Frage alles andere als umfassend geklärt ist, macht die aktuelle Diskussion um die Aufgabenapparate der Bildungsstandards deutlich: Hier formuliert N IEWELER (2007) berechtigte Bedenken bezüglich des Verhältnisses von Kompetenzorientierung und Unterrichtsgestaltung, wobei er die Partialisierung von Kompetenzen als Hauptproblem beschreibt. Genaue Definitionen und Kannbeschreibungen isolieren stets nur Teilkompetenzen im Sinne ihrer Operationalisierung. Dieses für die deskriptive oder diagnostische Ebene des Fremdsprachenunterrichts sinnvolle, auf Transparenz, Vergleichbarkeit und Evaluierbarkeit zielende Vorgehen (vgl. B ERGFELDER 2007: 13) gerät jedoch massiv mit fremdsprachendidaktischen Ansätzen in Konflikt, die Sprachenlernen als ganzheitlichen und integrativen Prozess begreifen, der mehr umfasst als die Summe partikular ausgebildeter Teilkompetenzen. Das Problem wird 304 Birgit Schädlich 37 (2008) dadurch verstärkt, dass nicht alle Kompetenzen eindeutig operationalisierbar sind: Literarische und interkulturelle Kompetenzen sind schwer messbar und entziehen sich daher per se ein Stückweit der Operationalisierung und eindeutigen Evaluation. Trotz dieses generellen Problems erscheint mir der Ansatz, im Rahmen kompetenz- und handlungsorientierter Modelle stärker lernerorientierte Verfahren in die Lehre zu integrieren, lohnenswert. Ausgehend von den oben skizzierten Problemen (vgl. Abschnitt 2) der aktuellen Lehre werde ich nun drei Leitfragen für die Planung und Durchführung literaturwissenschaftlicher Veranstaltungen in der Fremdsprachenlehrerausbildung formulieren. 4.1 Das traditionelle Referateseminar - oder: Wie bilden Studierende einen forschenden Habitus aus? Der Anspruch, durch Referate und anschließende Plenumsdiskussionen finde ein Einstieg in das wissenschaftliche Arbeiten statt, wird in der Praxis vieler Lehrveranstaltungen nur bedingt erfüllt: Studierende klagen über ‚langweilige‘ oder schlecht recherchierte Beiträge, Lehrende bemängeln kaum vorhandene Präsentationskompetenzen der Referenten und beobachten, dass der Rest der Gruppe sich nicht ausreichend auf das Thema vorbereitet habe, so dass die anschließende Plenumsdiskussion häufig zäh und ohne nennenswerte Erkenntnisse bleibe. Einen forschenden Habitus im literaturwissenschaftlichen Arbeiten entwickeln, heißt zunächst einmal, dass Studierende in die fachwissenschaftlichen Diskurse eingeführt und in (kleinen) Forschungsarbeiten dazu angeleitet werden, sich mit ihren eigenen Interessen in diesen Diskursen zu verorten. Speziell für die Lehrerausbildung bedeutet ein forschender Habitus zweitens eine Herangehensweise, die es Lehramtsstudierenden ermöglicht, Fragen und Probleme, die sich aus der Perspektive der schulischen Arbeit mit fremdsprachigen Texten und Medien ergeben, unter Zuhilfenahme (auch) fachwissenschaftlicher Theorien und Methoden zu bearbeiten. Methodisch ist dies meiner Ansicht nach vor allem durch unterrichtliche Ansätze zu erreichen, die im Sinne des Entdeckenden Lernens (vgl. B RUNER 1961) strukturiert sind und Studierenden die Möglichkeit bieten, sich an der Lösung ‚echter‘ Forschungsfragen zu beteiligen. Projekt- und Fallorientierung schlagen auch die Standards für die Lehrerbildung vor, die die KMK für die bildungswissenschaftlichen Anteile der Lehrerausbildung bereits 2004 veröffentlicht hat. Ich gehe davon aus, dass diese Ansätze nicht spezifisch für die Bildungswissenschaften sind. Sie orientieren sich vielmehr an lerntheoretischen Prämissen, die weitestgehend fachunabhängig und daher auch in andere Disziplinen übertragbar sind. Zusammenfassend können diese Grundannahmen als „shift from teaching to learning“ beschrieben werden, wobei laut B ERENDT (2005) eine solche Umorientierung in der hochschuldidaktischen Praxis erst sehr langsam Fuß fasst. Zugrunde liegt den genannten Ansätzen ein Grundverständnis menschlichen Lernens, das Lernen nicht zwangsläufig als Nebeneffekt oder Folge von Lehre begreift. Vielmehr muss Lernen in gestalteten Lehr-/ Lernszenarien ermöglicht und unterstützt werden. Lerner- und Handlungsorientierung sind hierbei entscheidende Bezugsgrößen, so beispielsweise das Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 305 37 (2008) Anknüpfen an Vorwissen und subjektive Erfahrungen. Auch die Verbindung neu vermittelter Wissensanteile mit konkreten Fällen oder ihr Transfer in variierende Kontexte verweisen auf ein Verständnis von Lernen, das weniger auf eine ausschließlich fachsystematische, instruktive Darbietung deklarativer Wissensbestände setzt, sondern vielmehr auf eine ‚verankerte‘ Vermittlung, die den handelnden Umgang mit dem Wissen in subjektiv relevanten Kontexten (Fälle, Probleme) bereits einschließt. Wissensbestände werden nach diesem Verständnis von Lernprozessen mit Problemlösestrategien verknüpft, ‚totes‘ Wissen wird in dem Moment verlebendigt, wo es - um ein Phänomen zu durchdringen oder einen Fall zu lösen - handelnd gebraucht wird. Ich nenne hier einige methodische Ansätze, die mir im Sinne der Handlungsorientierung, des Entdeckenden Lernens und der Reflexion des eigenen Lernprozesses gerade für die literaturwissenschaftliche Lehre angemessen erscheinen. Dabei handelt es sich zum Teil um Verfahren, von denen Hochschullehrende im Rahmen der Interviews meiner Studie berichten. C Das Prinzip Lernen durch Lehren wird als differenzierte Erweiterung des ‚traditionellen Referateseminars‘ eingesetzt: Die Grundannahme der Methode - Studierende lernen, indem sie selbst eine Lehrsituation vorbereiten - wurde von M ARTIN (1994) mit besonderem Fokus auf die Französischdidaktik theoretisiert. Auch hier stehen die Vermittlung neuer Wissensinhalte und deren Diskussion im Mittelpunkt des Seminargeschehens. Die Moderation vor allem der anschließenden Diskussion wird jedoch systematisch geplant, beispielsweise durch die Formulierung von Leitfragen oder Thesen. Im Planungsprozess spielen Absprachen mit der Lehrperson eine entscheidende Rolle. Bei S KINNER (1998) finden sich weitere Konkretisierungen der Methode für kulturwissenschaftliche Lehrveranstaltungen, die projektbezogen und forschungsorientiert angelegt sind. C Referate sind zeitlich beschränkt, und ihnen werden differenzierte Funktionen im Seminargeschehen zugeschrieben: Kurzreferate stellen innerhalb von fünf bis zehn Minuten Begriffe oder Kurzbiografien vor, es handelt sich bei solchen Impulsreferaten um ein ‚Nachschlagen für die Gruppe‘. Für die Arbeit mit ergänzenden Sekundärtexten gilt grundsätzlich: Alle lesen alles, einzelne Seminarteilnehmer übernehmen jedoch Patenschaften für bestimmte Texte: Die Paten stellen ihren Text nicht nur einmal als Referat vor, sondern knüpfen ihn im Verlauf des Semesters immer wieder in unterschiedlichen Kontexten an die neu entwickelten Fragestellungen an. C H ERMES (1998) setzt in universitären literaturwissenschaftlichen Seminaren so genannte Learning Logs ein. Dabei handelt es sich um tagebuchartige Aufzeichnungen, die von den Studierenden veranstaltungsbegleitend angefertigt werden. Sie dokumentieren sowohl den Prozess der subjektiven Textrezeption als auch die im Seminar erarbeiteten Analyseansätze. Dieses Instrument trägt zur Planung und Bewusstmachung des eigenen Lernprozesses bei und dokumentiert gleichzeitig den Austausch mit den anderen Seminarteilnehmern. C D EHARDE (2007) entwickelt in einer schulischen Unterrichtsreihe zu Les loups et les hommes Aufgaben, die als Konkretisierung der oben genannten Kompetenzen „Anwenden unterschiedlicher Texterschließungsstrategien“ (C ASPARI 2005b: 12) sowie „eigene Textproduktion“ und „Recherchekompetenz“ (B URWITZ -M ELZER 2006: 116) gelten können. Am Ende der Reihe entsteht ein gemeinsam erstelltes, großformatiges Buch, zu dem jeder Schüler eine Seite gestaltet. Auch dieser Ansatz ist ‚strukturell vergrößerbar‘ in dem Sinne, als ein gemeinsam erstelltes Produkt - ein Reader für die Seminarbibliothek, eine Lesung mit Podiumsdiskussion oder eine Ausstellung - einmal als alternative Zielsetzung einer literatur- oder kulturwissenschaftlichen Veranstaltung angesetzt werden könnte. 306 Birgit Schädlich 37 (2008) 4.2 Texte auf Französisch lesen und auf Deutsch darüber sprechen - oder: Wie können fremdsprachliches und literarisches Lernen integrativ gestaltet werden? Die Rolle der Fremdsprache ist einer der strittigsten Punkte für die Lehrerausbildung. Während aus der Perspektive von Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung die Vermittlung zielsprachlicher Kompetenz als prioritäres Lernziel der Lehrerausbildung formuliert (vgl. DGFF 2003) und dies methodisch unmittelbar an die Forderung, die universitäre Lehre selbst in der Zielsprache zu gestalten, gekoppelt wird, halten die fachwissenschaftlichen Veranstaltungen häufig am Deutschen als Wissenschaftssprache fest: Die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Disziplin findet - entsprechend dem Usus der Scientific Community - in der Muttersprache statt. Zwar sprechen sich in den Interviews meiner Studie die Lehrenden durchweg für eine - zumindest phasenweise - Integration des Französischen in literaturwissenschaftliche Lehrveranstaltungen aus. Ihre Erfahrungen mit entsprechenden Versuchen schildern sie jedoch meist als ernüchternd: Studierende hätten sprachliche Hemmungen und Defizite, so dass Diskussionen in der Fremdsprache häufig kaum möglich seien. Die hochschuldidaktische Praxis eines Seminars in Romanistik oder Anglistik unterscheidet sich dabei kaum von der einer Germanistikveranstaltung: Textverständnis wird vorausgesetzt, das Problem ‚Lesen in der Fremdsprache‘ wird in die Lehre kaum integriert. Dennoch ist davon auszugehen, dass die fremdsprachliche Lesekompetenz weit hinter jener in der Muttersprache zurücksteht. An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Fremdsprachendidaktik, wo beispielsweise B URWITZ -M ELZER ein detailliertes Modell für fremdsprachliche Lesekompetenz entwickelt hat. Diesem liegt ein „holistisches Verständnis von Förderung der Sprachkompetenzen“ (B URWITZ -M ELZER 2006: 117) zugrunde, das literarische, fremdsprachenerwerbliche und interkulturelle Lernziele als interdependent versteht und sie entsprechend formuliert und operationalisiert. Die Integration von sprachlichem und literarischem Lernen setzt den Umgang mit der Fremdsprache in allen Kompetenzbereichen (mündlich und schriftlich sowie rezeptiv und produktiv) voraus, so dass auch verstärkt Lehr-/ Lernszenarien gestaltet werden sollten, in denen produktive Kompetenzen in der Zielsprache geschult werden. In diesem Zusammenhang plädiere ich nicht nur für eine stärkere Integration der Fremdsprache in die mündliche Seminarkommunikation, sondern darüber hinaus für die Ausweitung der schriftsprachlichen Textproduktion; in der Fremdsprache gleichermaßen wie im Deutschen - denn auch hier berichten Hochschullehrende, dass Studierende Probleme hätten, sich angemessen auszudrücken. Ich vermute, dass Unterrichtsgespräche und Hausarbeiten als Orte sprachlicher Produktion quantitativ nicht ausreichend sind, einen forschungsorientierten Umgang mit Literatur zu üben. Produktionsorientierte und kreative Ansätze integrieren in der Fremdsprachendidaktik Text- und Spracharbeit, wie ich zu Beginn dieses Beitrags dargestellt habe. Auch hier eignet sich das Verfahren ihrer strukturellen Vergrößerung für Kontexte der Hochschuldidaktik. C In einer Reihe zu einer Geschichte des Petit Nicolas (H ÖRBERG 2007) werden Arbeitsweisen entworfen, die Kompetenzbeschreibungen wie „Erwartungshaltungen aufbauen“, „eigene Textproduktion“ (vgl. B URWITZ -M ELZER 2006: 116) und die „Fähigkeit zur Perspektivübernahme“ (C ASPARI 2005b: Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 307 37 (2008) 12) an konkrete Aufgaben koppeln. Wenn H ÖRBERG beispielsweise Schüler einen „inneren Monolog“ (H ÖRBERG 2007: 30) verfassen lässt, der die Gedanken des ängstlichen Petit Nicolas beim Zahnarzt versprachlicht, so handelt es sich durchaus um ein Verfahren, das Empathie voraussetzt und Schüler zu Perspektivwechseln einlädt. In hochschuldidaktischen Kontexten können solche Verfahren beispielsweise als konkretisierende Übung zu einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Inneren Monolog oder anderen Erzählformen eingesetzt werden. S CHABERT (1991) schlägt ähnliche Transformationsübungen für die Anglistik vor und schreibt der Methode textproduktiver Perspektivwechsel ausdrücklich einen literaturwissenschaftlich relevanten heuristischen Wert zu: Als Beispiel nennt sie das Verfassen von Parallelgeschichten zu einer Vorlage aus veränderter Gender-Perspektive, um auf diese Weise geschlechterspezifische Besonderheiten des Ausgangstextes deutlich werden zu lassen. C Auch erscheint eine Stärkung essayistischen Schreibens (vgl. G RIESHEIMER 1991) sinnvoll, da diese Textsorte gleichermaßen „Erziehung zum Selbstausdruck“ ermöglicht, sich zur „Anverwandlung des Gegenstandes“ (G RIESHEIMER 1991: 33) eignet und zugleich das Moment angemessener sprachlicher Gestaltung akzentuiert. Der Essay stellt zudem eine Form des Wissenstransfers zu einem nichtphilologischen Publikum dar, was nicht nur für den schulischen Kontext relevant ist: In den Interviews meiner Studie hat beispielsweise ein Hochschullehrer die Notwendigkeit betont, auch Kompetenzen für Tätigkeiten im außeruniversitären Literaturbetrieb (Feuilleton, Literaturkritik) auszubilden. C Das Kompetenzprofil der Uni Bonn nennt „allgemeine Sprachkompetenz“ und „Fremdsprachenkompetenz“ (Iß LER 2006) als Ziele des Romanistikstudiums. Dieser zweisprachige Anspruch könnte ergänzt werden durch die systematische Integration von Mehrsprachigkeit in das universitäre Lehrgeschehen, beispielsweise nach Modellen für thematische Unterrichtsreihen, wie sie in der Interkomprehensionsdidaktik (vgl. A LTMANN / V ENCES 1999) entwickelt wurden. Hier liegt ein besonderes Potenzial gerade des Französischen und der romanischen Sprachen, das jedoch in den bislang noch vornehmlich nationalphilologisch ausgerichteten universitären Disziplinen kaum Berücksichtigung findet. Die Stärkung schreibproduktiver Aufgaben in der literaturwissenschaftlichen Lehre möchte ich nicht als Ersatz für wissenschaftliche Hausarbeiten oder den Versuch, Studierende zu ‚kleinen Schriftstellern‘ auszubilden, missverstanden wissen. Dass jedoch Lesen und Schreiben für den Verstehensprozess unmittelbar abhängig voneinander sind, hat P AEFGEN (1996) für die Deutschdidaktik herausgestellt: Sie versteht Schreiben als problemlösendes „Lese-Produkt“ (P AEFGEN 1996: 23) das den literarischen Lernprozess nicht nur abbildet, sondern gleichsam auch gestaltet. Je variantenreicher das Textsortenangebot ist, in dem Studierende - im Deutschen und in Fremdsprachen - selbst Texte produzieren können, desto wahrscheinlicher erscheint es mir, dass sie eine Sensibilität für die Machart und Interpretationsebenen der behandelten Literaturen entwickeln und gleichzeitig Sprachkompetenzen erwerben. 4.3 Transferprobleme - oder: Kompetenzen im Umgang mit unbekannten Texten Ein Problem der aktuellen Lehre ist die häufig fehlende Transferkompetenz der Studierenden: Verfahren der Textarbeit können nicht zwangsläufig auf fremde Texte übertragen, begriffliche Instrumentarien nicht immer angewandt werden, und die Relevanz von Literaturtheorien für die Entwicklung von Fragestellungen an Texte wird selten erkannt. Eine solche Transferkompetenz erscheint jedoch notwendig, nicht nur für das fachwissenschaftliche Arbeiten selbst, sondern in verstärktem Maße auch für die Schnittstellen 308 Birgit Schädlich 37 (2008) zwischen schulischem Literaturunterricht und universitärer Lehre: Mit N ÜNNING (2004) spreche ich mich für die unmittelbare Relevanz literaturwissenschaftlicher Theorien für den schulischen Fremdsprachenunterricht aus, die hier gerade nicht als Gegenpart zu einer (wie auch immer definierten) Praxis fungieren, sondern als deren unhintergehbare Basis: Wenn das Prinzip der Schülerorientierung ernst genommen wird, müssen Lehrer in der Lage sein, Schülern wissenschaftliche Anknüpfungspunkte für das anzubieten, was diese in ‚Spontanphasen‘ der Textbegegnung formulieren: Je mehr Kenntnis Lehrer über die unterschiedlichen Perspektiven möglicher literaturwissenschaftlicher Ansätze im Studium erworben haben, umso differenzierter können sie die Interessen der Schüler mit dem wissenschaftlichen Diskurs verbinden und ein fachlich relevantes Wissen über den behandelten Text vermitteln. Eine solche Anbindung und Kontextualisierung stellt sich jedoch nicht von alleine ein. Die Hochschullehre muss hier Lernräume bieten, in denen gleichermaßen Überblickswissen vermittelt, Transfer geübt und die Relevanzfrage gestellt werden kann, die folgendermaßen formuliert werden könnte: „An welcher Stelle im schulischen Fremdsprachenunterricht kann diese oder jene Theorie oder Methode hilfreich für den Lernpozess der Schüler sein? “ An diesem Punkt beziehe ich mich auf S TEINBRÜGGE (2008), die das Verhältnis von Fachwissenschaft und Fachdidaktik als komplementär beschrieben und ein alternatives Verständnis von didaktischer Transformation entworfen hat: Sie entlarvt zunächst die „Illusion zu glauben, es gäbe eine feststehende Hierarchie zwischen Höherem und Niederem oder einen objektiven Maßstab für Kompliziertes und Elementares“ (S TEINBRÜGGE 2008: 14). Vielmehr kann dem, was als fachdisziplinär grundlegend gilt, in der Schulpraxis eine nur geringe Bedeutung zukommen, umgekehrt jedoch finden elementare Themen des Fremdsprachenunterrichts häufig kein Pendant in der romanistischen Forschung. Berufsfeldbezug des Lehramtsstudiums definiert sie als den Vorgang, „Bausteine des Wissens in schulpraktischer Perspektive neu zusammenzusetzen“ (S TEINBRÜGGE 2008: 14), der sich entlang zweier Achsen vollzieht: Die erste Achse entspricht dem ‚traditionellen‘ Verständnis didaktischer Transformation - fachwissenschaftliche Inhalte werden für schulische Kontexte ‚brauchbar‘ gemacht. Entlang der zweiten Achse entwickeln sich Fragen aus der schulischen Praxis und der Fremdsprachendidaktik an die Fachwissenschaft, die auf diese Weise Spezifizierung und Erweiterung erfährt. 5. Ausblick Häufig gehen Vorstellungen zum Literaturunterricht von der Annahme aus, erst müssten sprachliche Grundlagen vorhanden sein, dann erst - auf einer ‚höheren Stufe‘ - könnten sich Schüler mit Literatur beschäftigen. In dieser Vorstellung ergibt sich folgendes Problem; die Annahme nämlich, es seien verschiedene Sprachebenen eindeutig voneinander zu trennen und entsprechenden Vermittlungszeitpunkten zuzuordnen: Die Ebene pragmatischer Alltagskommunikation einerseits, die Ebene des ästhetisch und stilistisch markierten literarischen Textes andererseits. Störungsfreie Kommunikation - deren Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 309 37 (2008) Funktionieren stets unterstellt wird - soll in den ersten Lernjahren zur Bewältigung des Alltags in der Zielsprache geübt werden. Aspekte, die über manifeste Botschaften hinausgehen, auf rhetorische, symbolische oder selbstbezügliche Merkmale von Sprache verweisen, haben in diesem Ansatz kaum einen Raum. Dabei sind auch sie nicht nur in literarischen, sondern auch in Texten der Alltagskommunikation vorhanden und sollten vom ersten Lernjahr an berücksichtigt werden. In der Unterrichtspraxis ist dies bereits häufig der Fall - wenn beispielsweise jüngere Schüler comptines oder Lieder lernen, für Klangspiele und Lautmalereien sensibilisiert werden oder wenn ältere Schüler selbst Reime und komplexe Geschichten verfassen. Im Gegensatz zum generellen Leseverstehen, wie es momentan in den Bildungsstandards umrissen wird, betont N IEWELER (2007) das Surplus literarischer Texte und nennt Momente wie die Entwicklung von Wertvorstellungen, Kenntnisse über Figuren-, Raum- und Zeitdarstellungen, den Umgang mit Fiktionalität, mit Metaphern und Symbolen - also spezifisch literarisch-ästhetische Textmerkmale, die über die „Dekodierung der manifesten Botschaften“ (N IEWELER 2007: 6) hinausgehen. Solche sprachimmanenten und ästhetischen Aspekte müssen nun auch systematischen Eingang in die Bildungsstandards finden und explizit an entsprechende Kompetenzbeschreibungen aller Niveaus gekoppelt werden. Das Kompetenzmodell von B LUME (2007) bildet hier einen Ansatz, doch auch hier werden implizite Textebenen, metaphorische Felder und Stilmittel erst sehr spät (ab dem C1-Niveau) in die Textarbeit integriert. So besteht die Gefahr, genau jenes Sprachverständnis zu zementieren, das gerade durch die Auseinandersetzung mit literarischen Texten überwunden werden kann. Das Desiderat an die Fachwissenschaft lautet an dieser Stelle, die fachsystematischen Bezugspunkte des ‚spezifisch Literarischen‘ so zu formulieren, dass sie auch in den Bildungsstandards sichtbar gemacht werden können. Literatur A LTMANN , Werner / V ENCES , Ursula (1999): „Fächerübergreifende Textarbeit im Spanischunterricht am Beispiel von Las Casas y los derechos de los indios“. 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