eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 37/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
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2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2008
371 Gnutzmann Küster Schramm

Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern

2008
Emer O'Sullivan
* Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Emer O’S ULLIVAN , Leuphana Universität Lüneburg, Institute of English Studies, Fakultät Bildungs-, Kultur- und Sozialwissenschaften, 21332 L ÜNEBURG . E-mail: osullivan@uni-lueneburg.de Arbeitsbereiche: Komparatistik, Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft, Translation Studies. 1 Ich verwende im Folgenden die mit den maskulinen Formen identischen generischen Formen und verbinde dies mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass männliche und weibliche Repräsentanten jeweils gleichrangig gemeint sind. 37 (2008) E MER O’S ULLIVAN * Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern Abstract. Children’s literature has, for a variety of reasons, long been ignored by foreign language and literature departments at university level, despite both the recent broadening of the canon and the immediate and obvious relevance of this branch of literature for future school teachers. This article argues that children’s literature should play a more prominent role in the university curriculum and, using examples, shows how its potential can be explored in literature courses with and without an exclusive focus on children’s literature, and in seminars on didactics. 1. Kinder- und Jugendliteratur und der Kanon der Fremdsprachenphilologien Die Zahl der literarischen Texte, mit denen Fremdsprachenlehrer 1 während der Ausbildung konfrontiert werden, ist schon aus zeitlichen Gründen zumeist geringer als die ihres muttersprachlichen Gegenstücks, da im Gegensatz zum Erstsprachen-Fach - z.B. Deutsch in Deutschland -, in dem die Studierenden sich auf Sprach-, Kultur-/ Literaturwissenschaft und Didaktik konzentrieren können, bei einem Fremdsprachen-Fach zumindest noch landeskundliche Elemente hinzutreten und je nach Stellenwert der Zielsprache im schulischen Curriculum eines Landes auch noch unterschiedlich viel Zeit für den Spracherwerb budgetiert werden muss. Seit mit der Modularisierung im deutschen Universitätssystem die Arbeitsstunden für den Spracherwerb offen gelegt werden müssen, ist damit zumindest bei den Fremdsprachen, die nicht traditionell bis zum Abitur geführt werden, ein größeres Konfliktpotenzial bezogen auf die Zeitaufteilung zwischen Fach- und Sprachunterricht angelegt, das, produktiv gewendet, dazu führen könnte, dass Fach- und Sprachunterricht auch auf der universitären Ebene stärker als bisher miteinander in Verbindung gebracht werden (vgl. dazu z.B. R ÖSLER 2006). In der deutschen Diskussion hat trotzdem auch in den Fremdsprachenphilologien der Kanon spätestens in den letzten zwei Jahrzehnten eine Erweiterung erfahren; über die klassische ‚Höhenkamm‘-Literatur hinausgehend sind z.B. für das Fach Englisch Erweiterungen festzustellen im Hinblick auf Teilbereiche wie Fantasy, Science-Fiction und 198 Emer O’Sullivan 2 Vgl. zum Nicht-Vorhandensein der KJL in der Anglistik in Deutschland P ETZOLD (1997: 75). Die Lage im Bereich der Erstsprachenphilologien ist nur wenig anders, aber immerhin gibt es im deutschsprachigen Bereich einige Professuren, die sich literaturwissenschaftlich mit diesem Gegenstand beschäftigen und mehrere didaktisch ausgerichtete Professuren, die den Bezug zur Kinder- und Jugendliteratur ebenfalls als Teil ihrer Denomination haben. In der Erstsprachenphilologie hervorzuheben ist das Institut für Jugendbuchforschung an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt/ M. 3 Vgl. dazu ausführlicher O’S ULLIVAN (2000: 110 ff). 4 Zu den Ausnahmen gehören die frühen anglistischen ‚Einzelkämpfer‘ Dieter P ETZOLD (1972) und Erhard D AHL (1990) [in der Bibliographie 1986], in letzter Zeit haben auch Christiane B IMBERG und Thomas K ULL - MANN sich der KJL angenommen (vgl. B IMBERG / K ULLMANN 2006). Im Bereich der Amerikanistik aktiv ist Reinhard I SENSEE (2003). 37 (2008) andere Formen der Unterhaltungsliteratur (vgl. z.B. die Beiträge in P ETZOLD / S PÄTH 1990 und 1998). In diese Kanonerweiterung kaum einbezogen ist jedoch die Kinder- und Jugendliteratur (KJL). Weder ist sie systematisch in die literaturwissenschaftlichen Curricula integriert, noch sind in den Fremdsprachenphilologien Professuren mit speziell auf KJL bezogenen Denominationen vorhanden. 2 Diese Abwesenheit gerade der KJL auch im erweiterten Kanon hat zum einen einen quantitativen Grund: Auch der Erweiterung sind Grenzen gesetzt. Gewichtiger scheint mir jedoch der systematische Grund. Während die oben erwähnten Erweiterungen des Kanons Erweiterungen innerhalb des literarischen Systems sind, steht die KJL, die immer gleichzeitig und zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedlich stark ausgeprägt Teil des literarischen und des pädagogischen Systems ist 3 , unter dem Verdacht, nicht wertvoll genug zu sein, um literaturwissenschaftliche Aufmerksamkeit zu verdienen. Darauf hat zuletzt wieder C ASPARI hingewiesen: Das zentrale Hindernis scheint mir in der fehlenden Anerkennung von KJL als ‚echter‘ Literatur zu liegen. Während sich andere literarische Subsysteme wie Unterhaltungsliteratur oder Internet- Literatur zumindest zeitweise der Aufmerksamkeit der Literaturwissenschaft erfreuen durften, scheint KJL von der deutschen Romanistik noch nicht wahrgenommen worden zu sein. (C ASPARI 2007: 14) Diese auf die Romanistik bezogene Einschätzung gilt auch für die englischsprachigen Literaturwissenschaften. 4 Nun könnte man durchaus argumentieren, der literaturwissenschaftliche und der kinderliteraturwissenschaftliche Diskurs seien eben zwei unterschiedliche, das Ignorieren des einen durch den anderen sei also nicht zu beklagen. Diese Position ist m.E. zumindest mit dem neuen kulturwissenschaftlichen Selbstverständnis eines Teils der Literaturwissenschaft nicht ganz in Einklang zu bringen, da gerade das Befassen mit KJL unter kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten sehr produktiv sein kann. Auf jeden Fall problematisch ist aber die Ausgrenzung der KJL aus dem Lehrkanon für angehende Fremdsprachenlehrer, zumindest dann, wenn es richtig ist, dass sie für den Fremdsprachenunterricht an deutschen Schulen eine Rolle spielt. Denn wenn die Beschäftigung mit KJL für angehende Fremdsprachenlehrer von Bedeutung sein sollte, dann stellt sich natürlich die Frage, warum Institutionen, die auf der Ebene der Lehre ihre Existenzberechtigung hauptsächlich aus der großen Zahl der bei ihnen studierenden Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern 199 5 Dass diese Diskussion ebenfalls eingebettet werden müsste in die Diskussion der Frage, warum man überhaupt mit literarischen Texten im Unterricht arbeiten sollte, kann hier nicht thematisiert werden. Vgl. dazu die Gegenüberstellung der Argumente in K OPPENSTEINER (2001). 6 Es nimmt weder die große Breite der Adressaten des kinder- und jugendliterarischen Angebots - von Krabbelkindern bis hin zu jungen Erwachsenen - noch die der Gattungen und Formen, die zum Korpus der KJL gehören, noch die unterschiedlichen ästhetischen Ansprüche von kinderliterarischen Texten wahr. 7 Diese Argumente, die sich aus der Wertschätzung von Alltagsorientierung und Dialogizität im kommunikativen Ansatz herleiten, sind selbst im Hinblick auf ihre Angemessenheit als Kriterien für den Einsatz von Literatur im Unterricht zu hinterfragen. Vgl. dazu O’S ULLIVAN / R ÖSLER (2002: 78). 37 (2008) Lehramtsstudenten herleiten, dieses literarische Teilkorpus in der Fachwissenschaft derart ignorieren können. 2. Warum sollte Kinder- und Jugendliteratur überhaupt Gegenstand in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern sein? Die fremdsprachendidaktische Diskussion zur Verwendung von KJL im Fremdsprachenunterricht ist in O’S ULLIVAN / R ÖSLER (2002) ausführlich dokumentiert worden, im Folgenden sollen nur noch einmal stichwortartig die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst werden. Argumente für und gegen den Einsatz von Kinder- und Jugendliteratur 5 : Gegen die Verwendung von KJL im Fremdsprachenunterricht wird ins Feld geführt, bei der im Unterricht zur Verfügung stehenden Zeit sei es nicht akzeptabel, dass ein Text aus diesem Korpus einen kanonisierten Text verdränge, die kinderliterarischen Texte seien ästhetisch für den Einsatz in der Schule nicht angemessen. Dieses Argument geht von der KJL als von einer Einheit aus. 6 Das breite Spektrum der Kinder- und Jugendliteratur mit ihren unterschiedlichen Graden an Komplexität und ästhetischen Ansprüchen macht es problematisch, von ‚der Kinder-‘ oder ‚der Jugendliteratur‘ oder gar von ‚der Kinder- und Jugendliteratur‘ zu sprechen und ihr als Gesamtheit Charakteristika zuzuordnen, die nur einen Teil betreffen. Gegen das Argument der ästhetischen Unangemessenheit wird für den Einsatz der KJL ins Feld geführt, dass sie eine doppelte Brückenfunktion habe (Brücke zur Erfahrungswelt der Jugendlichen und Brücke zur Lektüre ‚richtiger‘ Literatur). Mit der Verwendung von KJL könne man früher als mit anderen literarischen Texten mit einer Ganzschrift im Unterricht arbeiten und von daher der Langeweile der Lehrbuchwelt entgegen arbeiten. Kriterien für die Auswahl von Kinder- und Jugendliteratur: Als übergeordnetes Kriterium fordert K RUMM (2001: 26), auszuwählende Texte sollten Anknüpfungspunkte an die Interessen und Erfahrungen der Lernenden bieten und eine kontrollierte Überforderung darstellen, eine, die Neugier und Entdeckerlust entstehen ließe. Weitere häufig ins Feld geführte Kriterien sind Merkmale der KJL wie ein hoher Anteil an Dialogen und eine authentische Alltagssprache. 7 Die Texte sollten Lebensweltbezug herstellen und Sprechanlässe bieten, zum Lernziel interkulturelle Kommunikation und zum Fremdverstehen beitragen. Eher selten, aber m.E. nicht unwichtig, ist ein von B URWITZ -M ELZER 200 Emer O’Sullivan 8 Dort bezogen auf Reime und Lieder, Bilderbücher, Adoleszenzromane, bilinguale Texte, auf unterschiedliche Lernbereiche wie Landeskunde und interkulturelle Themen, auf unterschiedliche Vorgehensweisen wie die Lektüre von Ganztexten oder die Verwendung von Ausschnitten, auf lernerrelevante Aspekte wie die Identitätsproblematik, auf Projektarbeiten und Medienwechsel, sogar den Einsatz der digitalen Medien, und auch bezogen auf ganz handfeste traditionelle didaktische Fragen wie Wortschatzarbeit oder Fertigkeitsbezug (nicht nur auf das Lesen, sondern ebenso auf das kreative Schreiben und das Hören). 37 (2008) (2000) angeführtes Argument: Der Text müsse auch dem Lehrer selbst gefallen, er müsse schließlich damit umgehen. Original oder Adaption? Es gibt eine große Anzahl von vereinfachten Lektüren, Easy- Readers, und weniger stark textuell eingreifenden Adaptionen, die stärker die Funktion eines Wortschatz und Landeskunde erklärenden Apparates annehmen. Gegner von Adaptionen wie R ÖNNQVIST / S ELL (1994: 64), für die nur ungekürzte Texte in Frage kommen, in denen nichts geändert wurde, was das Lesevergnügen reduziert, gehen offensichtlich von der Annahme aus, dass Adaptionen automatisch die ästhetischen Qualitäten und das Vergnügungspotenzial der Texte zerstören. Die spannendere Diskussion hier ist wohl die der Frage, was Kriterien für eine gute Adaption sind. Gute Adaptionen müssen ein früheres Lesen eines Textes möglich machen, ohne die ästhetischen Qualitäten des Ausgangstextes unangemessen zu reduzieren. Inwieweit dies überhaupt möglich ist und inwieweit der Nutzen des frühen Lesens die Nebenwirkungen der Eingriffe wettmacht, wird am Beispiel von durch Autoren selbst vorgenommenen Adaptionen für den Bereich Deutsch als Fremdsprache in O’S ULLIVAN / R ÖSLER (demnächst) diskutiert. Die Anzahl der in der Bestandsaufnahme von O’S ULLIVAN / R ÖSLER (2002) dokumentierten didaktischen Arbeiten zur Verwendung von KJL 8 und besonders die Vielfalt der handlungs- und produktionsorientierten Vorschläge zur Arbeit mit KJL zeigen, dass es nicht das Problem der aktuellen Diskussion zum Einsatz von KJL ist, dass man zu wenig über originelle Vorgehensweisen im Fremdsprachenunterricht weiß. Das tatsächliche Problem lässt sich durch zwei Fragen charakterisieren: Wie kommen zukünftige und praktizierende Fremdsprachenlehrer zu einem Überblick über vorhandene Primärtexte, wenn sie sie weder als Teil ihrer eigenen Sozialisation kennen gelernt haben, noch ihnen als Teil des fachwissenschaftlichen Studiums begegnen? Und wie kommen zukünftige und praktizierende Fremdsprachenlehrer an Kenntnisse und Erfahrungen über den didaktischen Umgang mit KJL, wenn diese nicht in systematischer Weise Gegenstand der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern sind? Dies soll im Folgenden beschränkt auf den Bereich der englischsprachigen KJL diskutiert werden. 3. Wie kommen zukünftige und praktizierende Lehrer zu Kenntnissen über kinderliterarische Texte des zielsprachlichen Bereichs? Da nicht davon auszugehen ist, dass Anglistiklehrstühle in großer Zahl umgewidmet und Module zur KJL in die ohnehin verknappte fachwissenschaftliche Ausbildung von Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern 201 37 (2008) zukünftigen Fremdsprachenlehrern integriert werden, gibt es außer dem traditionellen Vertrauen auf die autonomen Lehrer, die sich das, was sie benötigen, selbst beschaffen, m. E. zwei institutionell mögliche Wege. Der eine besteht darin, dass es zumindest im Bereich der Lehrerfortbildung verstärkt zu Veranstaltungen kommen kann, die entweder nur Primärliteratur erschließen oder in Verbindung mit fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Fragen die Diskussion von Vorgehensweisen im Unterricht zusammenführen mit einem größeren Anteil an Lektüre von Primärtexten. Da derartige Veranstaltungen zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem nicht mehr die normsetzenden Instanzen der Hochschule den Lektürekanon bestimmen, sondern Lehrer Auswahlentscheidungen nach ihren Praxiserfahrungen treffen können, wäre eine Fokussierung auf KJL in ihnen eher möglich als in einem vergleichbaren Seminar, das sich auf die Vermittlung des literarischen Kanons beziehen würde. Der andere Weg besteht darin, dass auch in der Ausbildung zumindest eine Basis für die Beschäftigung mit KJL gelegt wird, sei es, dass das eine oder andere Seminar tatsächlich diesem Literatursystem gewidmet ist, sei es, dass in Seminaren, die einen bestimmten thematischen Fokus haben, kinder- und jugendliterarische Texte wie selbstverständlich Teil des zu analysierenden und zu interpretierenden Korpus sind. Eine derartige Inklusion führt automatisch zur Exklusion anderer - und damit in den Augen vieler Lehrender ‚hochwertigerer‘ - Titel, so dass sie nicht immer auf Gegenliebe stoßen wird. Trotzdem scheint mir dies der noch am wenigsten unrealistische Versuch zu sein, kinder- und jugendliterarische Texte auch über die wenigen Klassiker wie Peter Pan, Alice in Wunderland usw. hinaus im Lehramtsstudium bekannt zu machen. Wie das geschehen könnte, wird nun in Kap. 4 anhand einiger Seminarkonzepte diskutiert. 4. Die Integration von Kinder- und Jugendliteratur in fachwissenschaftliche Seminare Die Integration kann auf zwei Weisen geschehen: a) das Seminar hat einen erkennbaren kinderliterarischen Fokus oder, b) das Seminar hat keinen erkennbaren kinderliterarischen Fokus. In Seminaren des Typs a), der im Folgenden an drei unterschiedlichen Beispielen aus der Praxis - The Picturebook, The Harry Potter Novels und Childhood and children’s literature around 1900 - illustriert werden soll, ist wichtig, dass es dabei zwar zur Lektüre einer Reihe von neuen kinderliterarischen Texten kommt, dass die Seminare aber gleichzeitig im literatur-/ kulturwissenschaftlichen Anspruch nicht hinter vergleichbare auf kanonisierte Texte sich beziehende Seminare zurückfallen. Ein Seminar zu Bilderbüchern muss also Theorien der Text-Bild-Interaktion und der Intermedialität selbstverständlich ebenso behandeln wie dies in anderen Seminaren, die sich mit Interaktionen von Geschriebenem und Visuellem befassen, der Fall sein würde. Abb. 1 [ ( S. 202] zeigt einen Ausschnitt aus einem Seminarplan des Sommersemesters 2007, in dem nach gattungstheoretischen und -historischen sowie thematischen Sitzungen aktuelle theoretische 202 Emer O’Sullivan 37 (2008) Ansätze des Bilderbuchs behandelt und gleichzeitig die Studierenden in eine Vielzahl ihnen unbekannter Primärtexte eingeführt wurden. Abb. 1: Auszug aus einem Seminarplan ‘The Picturebook’ Primärtexte wie die sieben Harry Potter-Bände haben wahrscheinlich noch am ehesten eine Chance, auch über den kinderliterarischen Diskurs hinaus zur Kenntnis genommen zu werden, da sie ein aktuelles kulturelles Phänomen darstellen, das auf verschiedenen Ebenen diskutiert werden kann. So findet man in einer dänischen Seminarankündigung die folgenden Ziele eines Seminars zu Harry Potter: The aim of this course is three-fold: it introduces you to a particular literary genre and its theories (children’s fantasy fiction); it teaches you how to academically approach a literary text in context from a cultural studies point of view; and finally it gives you a chance to work with a contemporary literary and cultural phenomenon whose impact has been immense. (P EDERSEN 2007) Zu allgemein relevanten Fragestellungen wie gender (vgl. z.B. F RY 2001 oder H EILMAN 05.06.07 Postmodern devices in picturebooks I: Deconstructed fairytales. Cole: Princess Smartypants (1986) Scieszka/ Smith: The true story of the 3 little pigs. By A. Wolf (1996) Trivizas/ Oxenbury: The three little wolves and the big bad pig (1993) Wiesner: The three pigs (2001) Preparation for all: Look at all four books, focussing especially on one. Session: Student presentation and general discussion. Literature: Seifert 1999, Lewis 2001 Ch. 6. 12.06.07 Interculturality and picturebooks Preparation for all: Read Jianghong, Chen Tigerprinz (2004) and Ellabbad: The Illustrator’s Notebook (2005). Session: Brief student presentations on and general discussions of a) The books of Jianghong, Chen, esp. Tigerprinz. Literature: Thiele 2005, Platthaus 2006, Mattenklott 2007. b) Ellabbad: The Illustrator’s Notebook. Literature: Pantelo 2003, Stryjak 2004. 19.06.07 Postmodern devices in picturebooks II: Intertextuality and Metafictionality Ahlberg/ Ahlberg: Each Peach Pear Plum (1978) Ahlberg/ Ahlberg: The Jolly Postman (1986) Browne: Voices in the park (1999) Scieszka/ Smith: The stinky cheese man and other fairly stupid tales (1992) Preparation for all: Look at all four books, focussing especially on one. Session: Student presentation and general discussion. Literature: Seifert 1999, Lewis 2001 Ch. 6, Stephens 1991, Wyile 2006, McMillan 2003. Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern 203 9 Im hier beschriebenen Seminar handelt es sich um Studierende der Studiengänge Angewandte Kulturwissenschaften, Informatik und Wirtschaftsinformatik, Ingenieurwissenschaften (Bau-Wasser-Boden), Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen, Umweltwissenschaften, Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftspsychologie und Wirtschaftsrecht. Vgl. zum Konzept des Studiengangs http: / / www.leuphana.de/ index.php? id=11773. 37 (2008) 2003), racism and national identity (vgl.z.B. H EILMAN / G REGORY 2003 oder W HITED 2006), literary traditions (fantasy, school story, gothic novel) (vgl. z.B. K ING 2000 oder A LTON 2003), translations (vgl. z.B. L ATHEY 2005 oder J ENTSCH 2006) und marketing, fan culture etc (vgl. z.B. T OMKOWIAK 2003 oder N EL 2005), die sich mit den Romanen verknüpfen lassen, liegt auch eine ausreichend umfangreiche Sekundärliteratur vor, die Ersteinstiege in den kinderliterarischen Diskurs erleichtert. Ein für mich besonders interessanter Versuch, kinderliterarische Texte in ein weitergehendes Konzept einzuordnen, fand nicht in einem sich ausschließlich an Lehramtsstudenten richtenden Seminar statt, sondern in einem Seminar des ersten Semesters des Leuphana Bachelors der Universität Lüneburg, das fächerübergreifend Studierende unterschiedlicher Disziplinen zusammenbringt. 9 Die Grundkonzeption der Veranstaltungen eines der Module dieses Semesters sieht vor: Es geht in diesem Modul nicht um ausgesprochene Fachkompetenz, sondern um eine allgemeine Kompetenz des wissenschaftlichen Arbeitens und um die Erweiterung der Allgemeinbildung in der Geschichte der Wissenschaften, Techniken und Künste. Es sollten erste Grundschritte in historisch-philologischer Quellenkritik, in Text-, Bild- und Musikhermeneutik erklärt werden. Ein besonderer Schwerpunkt sollte auf das wissenschaftliche Lesen und Schreiben gelegt werden. Für das Seminar zum Thema Childhood and children’s literature around 1900, das als Teil dieses Moduls angeboten wurde, wurden die folgenden Ziele festgelegt: The aim of this seminar is to provide students with an understanding of ways in which childhood and youth have been represented in literature, to introduce them to some representative turn-of-the-century children’s texts and to enable them to analyse these closely for cultural constructions of childhood. It also aims to enable students to see the link between the history of children’s literature and the agendas of the adults who write, produce, and buy books. Texte wie Oscar W ILDE s fin de siècle Kunstmärchen The Happy Prince and Other Tales (1888), das Bilderbuch The Tale of Peter Rabbit (1902) von Beatrix P OTTER and J. M. B ARRIE s Theaterstück Peter Pan, or The Boy Who Wouldn’t Grow Up, das 1904 uraufgeführt wurde, trafen auf historische, juristische und sozialwissenschaftliche Fragestellungen wie die in Abb. 2 [ ( S. 204] wiedergegebenen, die der Anlass für studentische Rechercheaktivitäten waren. 204 Emer O’Sullivan 10 Vgl. als eine frühe theoretische Auseinandersetzung mit dieser Frage, die gleichzeitig ein großes Korpus englischer und deutscher Primärliteratur zu Tage förderte, O’S ULLIVAN (1989) und (1990). 11 So z.B. eine Gegenüberstellung von B ADWIN (1973), eine für Kinder und F RAYN (2002) eine für Er- 37 (2008) Abb. 2: Rechercheaufgaben für Experten im fächerübergreifenden Seminar Diese Recherchen lieferten wiederum die Basis für die Diskussion der Primärtexte, bei denen die jeweiligen ‚Experten‘ ihre neu erworbenen Kenntnisse einfließen ließen. Wenn man sich das Engagement und das Interesse der Studierenden bei dieser Art der Arbeit mit kinderliterarischen Texten und die Qualität der im Seminar erstellten Arbeiten ansieht, käme man nicht auf die Idee, dass es sich bei diesen Primärtexten um solche handelt, die für Studierende ‚unter Niveau‘ sein könnten. Kinderliterarische Texte interagieren hier mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen in einer Weise, die sowohl für Studierende anderer Fächer als auch für die der Anglistik relevant sein könnte. In Seminaren des Typs b) - Seminare ohne erkennbaren kinderliterarischen Fokus kann KJL neben andere Literaturformen treten. Bei einem Seminar über das Deutschlandbild in der britischen Literatur werden zu einer Beschäftigung mit der komparatistischen Disziplin der Imagologie (vgl. B ELLER / L EERSSEN 2007) und damit mit der Rolle von nationalen Stereotypen in literarischen Texten 10 konkrete Gegenüberstellungen treten können zur Funktionsweise von Bildern von einem anderen Land in unterschiedlichen Medien wie Buch und Film oder z.B. in Spionage- oder Kriegsromanen für Erwachsene und Verarbeitungen des gleichen Themas in kinderliterarischen Texten. 11 Die Auseinan- 26.11. and 03.12.07 Childhoods 1870-1910: socio-cultural, educational, legal issues Session: Brief presentations on selected issues by pairs of Experts (either 10 minute PowerPoint or poster presentations). The issues of ‘gender’ and ‘class’ are not listed separately as they should be borne in mind when looking into each of the issues. The literature in brackets is a starting point, you will find plenty of material in the library (Seminarapparat), in the Course Material and in the websites listed at the end of the schedule. Look especially at Galbraith 1997 for an account of schooling and reading, at Hendrick 1997 for different constructions of British Childhood from 1800 on and at the three websites on Victorian social and cultural history. Please remember to name the sources you use. % Physical care of babies (Robertson 1974, 408-414) % Home and Family Life (Robertson 1974, 421-420) % Children at school: Educational legislation (Galbraith 1997, Ch 6 and Ch 8) % Reading matter (Galbraith 1997, Ch. 2) % Children at work: Labour laws (http: / / www.victorianweb.org/ history/ hist8.html) % Discipline (Robertson 1974, 414-420) % Crime and punishment (Hendrick 1997, http: / / www.learningcurve.gov.uk/ snapshots/ snapshot25/ snapshot25.htm) % Clothes and fashion (Higonnet 1998, 46-56, Weber-Kellermann 1979, 100 ff, http: / / www.victoriaspast.com/ ChildrenofVicParents/ revisitthepast.html) % Games (Behnken/ du Bois-Reymond 1991, Weber-Kellermann 1979,192 ff) % The Child Study movement (Hendrick 1997) Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern 205 wachsene verfasste Geschichte von kindlicher Spionage und Verrat während des Zweiten Weltkriegs in Großbritannien. 12 Vgl. dazu ausführlicher O’S ULLIVAN / R ÖSLER (2005). 37 (2008) dersetzung in diesem Seminar mit dem Deutschlandbild generell und ein theoretischer Einstieg - sozialpsychologisch zu den Stereotypen und literatur- und kulturwissenschaftlich zur Funktion von Images - erlaubt es, die Auseinandersetzung mit kinderliterarischen Texten zu verschiedenen Entstehungszeitpunkten auf eine literaturwissenschaftlich angemessene Ebene zu stellen und gleichzeitig die Lernenden auch mit einer großen Anzahl von kinderliterarischen Texten vertraut zu machen, die für ihre zukünftigen Schüler von besonderem Interesse sein könnten, da Texte in der Fremdsprache, die das Bild des Eigenen behandeln, auf gesteigerte Aufmerksamkeit treffen können. Ein derartiges theoretisches Seminar ist also in hohem Maße anschlussfähig an didaktische Seminare, die sich mit dem Spiel von Eigen- und Fremdbild befassen. Darauf wird in Kap. 6 eingegangen. 5. Fokus auf die Vermittlung Während also in literatur-/ kulturwissenschaftliche Seminare Primärtexte ‚eingeschmuggelt‘ werden können, muss in literaturdidaktischen Seminaren zur KJL stärker als in denen, die sich auf kanonisierte Literatur beziehen, KJL selbst zum Gegenstand gemacht werden. Sie müssen aber gleichzeitig a) die Aufmerksamkeit auf die vorhandene Vielfalt von didaktischen Vorschlägen lenken und b) das kreative Potenzial der Studierenden wecken und ihre didaktische Phantasie beflügeln. (a) erreiche ich in einem didaktischen Seminar z.B. dadurch, dass ich relativ weit am Anfang einen sogenannten ‚Markt der didaktischen Möglichkeiten‘ vorsehe, auf dem die Studierenden ihren Mitstudenten in Posterpräsentationen ganz unterschiedliche Vorgehensweisen präsentieren. In einem Seminar im Sommersemester 2007 sah dieser Markt z. B. so aus (vgl. Abb. 3 [ ( S. 206]: (b) lässt sich wohl am ehesten durch eine Art reflektiertes Erfahrungslernen erreichen. Die Studierenden erleben im Seminar selbst die Lernsituation der Schüler und machen sie zum Gegenstand des Nachdenkens über didaktische Vorgehensweisen. Dies funktioniert sowohl als Teil einer Lehrveranstaltung in der Ausbildung als auch als ca. 2bis 4stündiger Block in Fortbildungsveranstaltungen. Ich habe dies an verschiedenen Orten z. B. mit einem interkulturellen österreichischen Bilderbuch Das Land der Ecken (U LITZKA / G EPP 1993) und dem deutschen Bilderbuch Die Englandreise (S ALZMANN 1995) durchgeführt. 12 206 Emer O’Sullivan 13 Die Ausführungen in diesem Kapitel stellen eine stark gekürzte Wiedergabe der ausführlichen Beschreibung des Einsatzes dieses Buches im Englischunterricht, im DaF-Unterricht, in transnationalen Projekten und in der Lehrerbildung in O’S ULLIVAN / R ÖSLER (erscheint in Kürze) dar. 14 In O’S ULLIVAN / R ÖSLER (1999) ist die Bedeutung dieser Beschäftigung mit Stereotypen im Rückwärtsgang ausführlich diskutiert worden. 37 (2008) Abb. 3: Markt der Möglichkeiten in einem KJL-bezogenen didaktischen Seminar 6. Die Englandreise als Beispiel für reflektiertes Erfahrungslernen zum Themenkomplex Arbeit mit Stereotypen im Rückwärtsgang 13 Eine Auseinandersetzung unter didaktischen Gesichtspunkten mit Heterostereotypen über die eigene Kultur in den zielsprachigen Texten ist schon früh thematisiert worden (vgl. O’S ULLIVAN 1987, H USEMANN 1984 und 1987 und N ÜNNING 1994). Ihre Relevanz für ein landeskundliches Lernen, das diese Bilder nicht nur wahrnimmt, sondern anhand der Auseinandersetzung mit dem Bild, das die anderen vom Eigenen haben, gleichzeitig einen kognitiven Zugang zur Funktion von Stereotypen überhaupt erreicht, ist deshalb nicht nur unter landeskundlichen, sondern auch unter allgemeinbildenden Gesichtspunkten von besonderer Bedeutung und fördert speziell die Bildung von interkultureller Kompetenz. 14 08. and 15.05.07 Market of teaching ideas Session: Poster presentations and short oral reports on the following articles: % Burwitz-Melzer, Eva: „Mit Literatur verbinden: Bilderbücher in den Klassen 3 bis 6“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch, 38, H. 69 (2004), 15-21 % Rönnqvist, Lilian: „Secondary-level EFL. Melina Marchetta’s Looking for Alibrandi“. In: Sell, Roger D. (ed.): Children’s Literature as Communication. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins 2002, 315-331 (Sek I) % Baumgarten-Millington, Claudia: „Let’s write our own children’s book. Englischunterricht und Gruppenarbeit in einer 9. Realschulklasse“. In: Englisch 30.3, (1995), 81-91 % Brusch, Wilfried / Heimer, Doris: „The Power of Reading: Extensives Lesen und kreatives Schreiben mit Hilfe der Bücherkiste“. In: Englisch 35.2 (2000), 48-57 (Klasse 5-7) % Reisener, Helmut: „Poems-poems-poems“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 3, 1998, 27-42 (Klasse 5-7) % Funk, Karin: „Humpty-Dumpty. Vom authentischen Rhyme zum Storytelling“. In: Fremdsprachen Frühbeginn 2, 2001, 44-53 (Klasse 3-4) % Hesse, Mechthild: „Hoffnung im amerikanischen Ghetto: ein multikultureller ‚community garden‘“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 36, H. 59 (2002), 14-18 (9. Klasse) % Diehr, Bärbel: „Wo drückt der Kinderschuh? Beobachtungen, Überlegungen und Vorschläge zum Problem des Lernfortschritts im Englischunterricht der Grundschule“. In: Englisch 38.3 (2003), 96-104. (3. Klasse) Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern 207 37 (2008) In dem Buch Die Englandreise. Eine wahre Geschichte von Christine S ALZMANN trifft der Leser auf Lisbeth, eine Ratte, die ein großer England-Fan ist. Im ersten Teil des Buches stellt sie sich vor, wie es wäre, wenn sie nach England fahren würde. Sie würde eine echten englischen Lord treffen, eine wunderbare Gemäldesammlung besuchen usw. Das Buch ist in Doppelseiten gegliedert: Auf der linken Seite befindet sich der Text, z.B. „Wenn sie sich verlaufen würde, könnte sie einen der freundlichen englischen Polizisten nach dem Weg fragen“. Die rechte Seite liefert dann ohne Text das Bild eines freundlichen englischen Polizisten. Im zweiten Teil fährt Lisbeth tatsächlich nach England, und tut all die Dinge, die sie sich vorgestellt hatte. Der Text hält diese Tatsachen in einfachen Sätzen fest, er ersetzt die Konjunktivformen der Wunschphase mit Indikativ-Konstruktionen, z.B. „Als sie sich verlaufen hatte, fragte sie einen der freundlichen englischen Polizisten nach dem Weg“. Die Bilder auf der rechten Seite der Doppelseite sind mit den ursprünglichen Bildern der Traumsequenzen fast identisch, sie unterscheiden sich nur in Nuancen, die die Szenen weniger positiv erscheinen lassen. Die nach oben gezogenen Mundwinkel des freundlichen Polizisten hängen nun leicht nach unten und obwohl der körperliche Abstand zwischen Lisbeth und ihm gleich geblieben ist, zeigt seine Körpersprache (z.B. offen ausgestreckte Hände), dass er ihr keine große Hilfe sein wird. Der schöne, sonnige Park ist in der Realität vom Regen überschwemmt, usw. So weit stellt das Buch eine klassische Gegenüberstellung von ‚Realität‘ und Stereotypen dar. Die Überraschung erfolgt am Ende. Auf der Rückreise schaut Lisbeth aus dem Fenster ihres Zugs, die wirklichen englischen Ratten - z.T. angezogen wie Punks - ignorierend. Der Text dazu lautet „England ist genauso, wie ich es mir immer vorgestellt habe, dachte Lisbeth glücklich“. Der Text sieht zunächst so aus, als passe er perfekt zum Thema ‚Konfrontation von Stereotypen mit der Realität‘. Da sich Lisbeths Vorstellungen durch die Begegnung mit der Realität nicht verändert, sondern sich für sie bestätigt haben, ist die Verwendung des Textes für das Thema doch eher auszuschließen. Stattdessen können die Lernenden in eine Diskussion um das Wesen und die Funktionen von Stereotypen verwickelt werden. Was kann man mit diesem Buch im Englischunterricht anfangen, vorausgesetzt man ist überhaupt bereit, ein deutschsprachiges Buch in den Englischunterricht hineinzulassen? Relativ einfach wäre es, die Geschichte auf Englisch erzählen zu lassen, zumindest wenn die Gruppe schon if-clauses beherrscht. Eine Alternative wäre, die Englandreise einer Ratte schildern zu lassen, die in den Köpfen der Lernenden entsteht. Vorgeschaltet sein könnte aber eine andere Überlegung: Was wäre, wenn eine englische Ratte namens Lizzy sich wünschte, nach Deutschland zu fahren? Hier wird es der Klasse leichter und gleichzeitig schwerer fallen, eine Liste von positiven Reisefantasien zusammen zu stellen. Wenn man beim Blick auf den deutschen Ausgangstext verstanden hat, dass hier stereotype Bilder bevorzugt werden, wird zuerst eine Reihe von Autostereotypen aktiviert. Vielleicht geht die Diskussion aber bereits weiter und es werden die bei den Engländern vermuteten Heterostereotypen produziert: Lizzy will aufs Oktoberfest, Lizzy wartet am Bahnsteig auf einen pünktlichen Zug usw. In welche Richtung die Diskussion bezogen auf einen Deutschlandbesuch der Ratte Lizzy 208 Emer O’Sullivan 37 (2008) auch immer verläuft, sie kommt nicht darum herum, sich mit der Frage auseinander zu setzen, was repräsentative Bilder für einen bestimmten kulturellen Kontext sind, wie repräsentativ diese Bilder denn eigentlich sind und wie irreführend. Bei dieser Umkehrung der Situation des Buches kommt es auf der Ebene der Textproduktion für den Englischunterricht zum Verfassen eines Textes in englischer Sprache. Bei den Inhalten hat man es dagegen nicht mit zielkulturellen, sondern mit eigenkulturellen Gegenständen zu tun, und auf der Ebene der Reflexion geht es um eine Auseinandersetzung mit Eigenbild und Fremdbild und um die Funktion von Stereotypen und damit unmittelbar mit einem Bereich des Erwerbs von interkultureller Kompetenz. Eine Seminarsitzung oder Fortbildung mit diesem Buch könnte mit einer Plenarsitzung beginnen, die zunächst das Buch analysiert und danach die obige Aufgabe folgen lässt, bei der die Teilnehmer die Rolle der Schüler im Klassenzimmer übernehmen, schreiben und zeichnen. Danach könnten sie sowohl ihre Produkte als auch die Bedeutung dieses Vorgehens für interkulturelle Lernziele diskutieren. Durch diese Art von reflektiertem Erfahrungslernen wird nicht nur fremdsprachendidaktische Ausbildung betrieben. Die Arbeit mit dem kinderliterarischen Text führt, wenn sie als erfolgversprechend eingeschätzt wird, vielleicht auch dazu, dass man sich der Relevanz der KJL für den Fremdsprachenunterricht und des eigenen Unwissens im Hinblick auf die Vielfalt möglicher Primärtitel bewusst wird. Und dies führt evtl. dazu, dass man sich fragt, warum diese denn eigentlich nicht Teil der Ausbildung waren. Literatur Primärliteratur A HLBERG , Janet / A LBERG , Alan (2004): Each peach pear plum. 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