eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 45/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2016
451 Gnutzmann Küster Schramm

Jing HUANG: Autonomy, Agency and Identity in Foreign Language Learning and Teaching. Bern [etc.]: Lang 2013 (Linguistic Insights), 400 Seiten [91,80 €]

2016
Lutz Küster
138 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 45 (2016) • Heft 1 Jing H UANG : Autonomy, Agency and Identity in Foreign Language Learning and Teaching. Bern [etc.]: Lang 2013 (Linguistic Insights), 400 Seiten [91,80 €] China öffnet sich für den Weltmarkt und damit zugleich für die Welthandelssprache Englisch, die an Primar-, Sekundar- und Hochschulen einen wahren Boom erfahren hat. Folge hiervon ist ein steigender Bedarf an universitärer Lehrerausbildung, die ihrerseits Anschluss sucht an die Forschungskontexte der Applied Linguistics. Die vorliegende Arbeit stammt aus diesem Bereich. Der Autor, Jing H UANG , war selbst Englisch-Lehrer an einer namentlich nicht genannten chinesischen Universität, zu der er auch während seiner PhD-Studien an der Universität von Hong Kong den Kontakt behielt und an der er im Rahmen von fünf field trips die im Buch dokumentierte Untersuchung durchführte. Wie Phil B ENSON in seinem Vorwort (S. 15) schreibt, nahm die ca. 1990 einsetzende Forschung zum „chinesischen Lerner“ in einer ersten Phase ihren Ausgang bei der Wahrnehmung einer mangelnden Passung zwischen westlichen Unterrichtsmethoden und den Lernstilen chinesischer Studierender an westlichen Universitäten. In der Folge sei die Forschung zunehmend dazu übergegangen, stereotype Bilder von passiven und autoritätshörigen Lernern zu relativieren. Eine maßgeblich von Forschern in China selbst vertretene Richtung habe schließlich zu einer dritten Phase geführt, in der die Übertragung westlicher Methoden auf chinesische Settings zunehmend kritisch betrachtet werde. Dass in der Zweit- und Fremdsprachenforschung gegenwärtig die Bedeutung soziokultureller Kontexte stark zugenommen hat, führt Benson u.a. auf derartige Infragestellungen einer scheinbar universellen Gültigkeit fremdsprachendidaktischer Postulate zurück wie z.B. jenen, die zum Konzept der Lernerautonomie entwickelt wurden. Ausgehend von der Einschätzung, dass Autonomieentwicklung als langwieriger Prozess durch punktuelle Erhebungen nur ungenau zu erfassen sei, führte Jing H UANG unter den Englisch-Lehramtsstudierenden seiner Heimatuniversiät über die gesamte Dauer des vierjährigen BA-Studiengangs eine Longitudinalstudie durch. Deren Ziel war es, die Entwicklung individueller Einstellungen zum sprachlichen und berufsbezogenen Lernen zu rekonstruieren. Geleitet von der Überzeugung, dass Lerner- und Lehrerautonomie einander bedingen, dehnte er seinen Forschungshorizont auf die Sicht auch von Lehrenden aus. Als konzeptuelles Fundament dient ihm die im Titel genannte Trias von Autonomie, agency und Identität. Damit deutet sich bereits an, dass neben strikt lernbezogenen Aspekten auch solche der persönlich-professionellen Selbstfindung in den Blick genommen werden. Methodologisch folgt die Untersuchung einem qualitativ-interpretativen Ansatz. Sich auf die grounded theory berufend, erhebt sie den Anspruch, den theoretischen Rahmen weniger von vornherein zu definieren, als vielmehr aus den gewonnenen Daten heraus näher zu entwickeln (vgl. S. 97f.). Neben einer Fülle von Kleingruppeninterviews mit Studierenden und einer kleineren Zahl von Einzelinterviews mit Lehrenden setzt sich das gesammelte Material aus autobiographischen Lernertexten sowie einem Forschertagebuch und Beobachtungsnotizen (field notes) zusammen. Das Buch gliedert sich in neun Kapitel. Nach der Einleitung arbeitet es knapp den Forschungsstand zu den Leitkonzepten auf und legt dar, wie diese miteinander verflochten sind. Die Rahmenbedingungen der Erhebung und die Forschungsmethodologie bilden den Gegenstand des nachfolgenden Kapitels, bevor die Untersuchungsergebnisse vorgestellt werden, gegliedert nach Aussagen zur individuellen Autonomieentwicklung (Kap. 4), zur Beziehung zwischen Studierenden und Lehrenden (Kap. 5), zur universitären Lernumgebung (Kap. 6) sowie zu den professionsorientierten Studienanteilen (Kap. 7). Es schließt sich eine gebündelte Auswertung der Ergebnisse an, bevor in Kap. 9 der Ertrag und die Grenzen der Untersuchung im Forschungskontext beleuchtet, weitere Forschungsbedarfe aufgezeigt und Empfehlungen für die Weiterentwicklung chinesischer Englischlehrerausbildung formuliert werden. Der Anhang umfasst neben Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 139 45 (2016) • Heft 1 der Bibliographie und einem Schlagwortverzeichnis detaillierte Angaben zu Art und Menge der im Verlaufe der Untersuchung erhobenen Daten. Im theoretischen Grundlagenteil knüpft Jing H UANG an gängige Autonomiedefinitionen an, vor allem an B ENSON s Fokussierung von Kontrolle über Lernen und Leben und an dessen Modell zur Messung von Autonomie (vgl. S. 31ff.). Auf der Basis eines Dreiecksrasters intendiert dies, konkretes Lernerverhalten situationsspezifisch in gradueller Zuordnung zu den Polen „No control“, „Student control“ und „Other control“ beschreibbar zu machen. Für den eigenen Untersuchungskontext mit seinen stark asymmetrischen Machtverhältnissen sieht H UANG letzteres Merkmal als besonders aufschlussreich an. Entgegen den vielfachen Zuschreibungen eines Konfuzianischen Erbes als Ursache für ein vermeintlich passives Lernerverhalten geht der Autor davon aus, dass unterrichtsbezogene „Subkulturen“ wie Sprachlerntraditionen, akademische Lehr-Lernkulturen etc. einen vergleichbar größeren Einfluss auf Lernereinstellungen und Lernerverhalten haben (vgl. S. 42). In der konzeptuellen Grundlegung seiner empirischen Studie stützt sich Huang wesentlich auf den agency-Begriff, da dieser im Vergleich zu ‚Autonomie’ stärker die Entwicklung konkreter Ziele und Handlungspläne betreffe und daher besser operationalsierbar sei. Gleiches sieht der Autor auch für den Identitätsbegriff gegeben, dessen Diskussion in aktueller Zweitsprachenerwerbsforschung er aufgreift und auf fremdsprachliches Lernen überträgt. Die Auswertung der Daten ergab, dass vor allem zwei Ereignisse den Ausbildungsgang der Studierenden wesentlich prägten: der zentrale Englisch-Test im zweiten Studienjahr und das Unterrichtspraktikum im vierten. Während im ersten Lernjahr bei den Studierenden eine Verunsicherung über den vergleichsweise geringen äußeren Leistungsdruck bei gleichzeitig starker Lenkung des privaten Alltags auf dem Campus vorherrschte, verlieh der Zentraltest dem Lernen eine klare Struktur. Damit wuchs bei den Studierenden die Wahrnehmung von agency und mit ihr die Lern-Zufriedenheit. Jing H UANG spricht hier in Anlehnung an L ITTLEWOOD von „reaktiver Autonomie“. Ansätze einer proaktiven Autonomie, die sich über die Verfahren des Lernens hinaus auch auf dessen Inhalte richten, erkennt er durchgängig weniger im Bereich sprachlichen Lernens als im Feld professionsgerichteter Identitätsentwicklung, welche erst im dritten und vierten Studienjahr auf der Basis curricularer Verankerung berufsbezogener Ausbildunginhalte einsetzt. Vor allem im Praktikum gewinnen die Studierenden durchweg an Selbstbewusstsein und vollziehen einen Wandel von der Lernerzur Annahme einer Lehrerrolle. Allerdings führen sie dort gesammelte Erfolgserlebnisse weniger auf den Einfluss des Studiums als auf extracurricular auf dem Sprachenmarkt gewonnene Lehrerfahrungen zurück (vgl. S. 259ff., 291f.) - mit der Folge, dass im Anschluss ihre Bereitschaft zum Besuch der didaktischen Seminare spürbar gesunken sei. Eine gewachsene Unabhängigkeit manifestiere sich überdies im Umgang mit der Hochschulhierarchie. Geschickt machten die Studierenden sich vielfach deren Rhetorik zu eigen, um eigene Interessen besser durchzusetzen, was ihnen wiederum den Eindruck größerer Handlungsautonomie vermittle (vgl. u.a. S. 158). Der Autor sieht diese Entwicklung überwiegend positiv. Dem steht jedoch entgegen, dass seine Daten eine gewisse Autoritätshörigkeit auf Seiten der Studierenden offenbaren, welche sich in hohen Erwartungen an externer Steuerung und Kontrolle (vgl. S. 211) manifestiert. Diese erfüllten viele Dozent/ inn/ en offenkundig ebensowenig wie die an fachliche Kompetenz und persönliches Engagement (vgl. S. 230). Auch die Institution erscheint in schlechtem Licht, so wird insbesondere eine unprofessionelle und unehrliche Praxis von Leistungsüberprüfungen beklagt (vgl. S. 232ff.). Im Einklang hiermit attestiert H UANG der Administration einen autoritären Arbeitsstil und eine Missachtung studentischer Interessen, was in seinen Augen z.T. ursächlich für die noch unbefriedigende Autonomieentwicklung bei Lernenden und Lehrenden ist (vgl. S. 248ff.). An Zielen der Autonomieförderung hält er nach wie vor fest, plädiert im Ergebnis seiner Studie jedoch bezogen auf den chinesischen Kontext für 140 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 45 (2016) • Heft 1 ein differenziertes Verständnis des Leitkonzepts, das pro- und reaktive Ausprägungen gleichermaßen berücksichtigt (vgl. S. 342-347). Die Stärke des Werks liegt eindeutig in der empirischen Ausrichtung. Die theoretischen Fundierungen hingegen fallen eher überblicksartig aus und werden im Lichte der Untersuchungsergebnisse nicht näher modifiziert. Kritisch sei zudem vermerkt, dass Redundanzen in der Darstellung oftmals ermüdend wirken. Gleichzeitig weist die Studie bestimmte „Leerstellen“ auf. Dass Gender-Fragen ausgespart werden, benennt der Autor explizit, andere Begrenzungen hingegen thematisiert er nicht. So bleibt er Angaben zu den Inhalten und Verfahren des universitären Sprachunterrichts wie auch der didaktischen Ausbildungsanteile schuldig, was das Verständnis der untersuchten Lernersichten erschwert. Ferner erscheint mir die Wertschätzung, die H UANG der berufsbezogenen Autonomieentwicklung der Studierenden entgegenbringt, angesichts deren primärer Orientierung an einem vorwissenschaftlichen Erfahrungsschatz höchst fragwürdig. In diesen Vorbehalten mag sich eine typisch „westliche“ Sicht spiegeln, dies schmälert jedoch nicht ihre Berechtigung als zu diskutierende fachliche Positionierung. Den genannten Monita zum Trotz ist es unbestreitbar ein Verdienst des Buches, der internationalen Fachöffentlichkeit einen empirisch gestützen Einblick in die universitäre Englischlehrerausbildung in China zu vermitteln. Dies kann dazu beitragen, dass wir uns hierzulande die kulturelle Determiniertheit eigener didaktischer Normvorstellungen intensiver vergegenwärtigen. Berlin L UTZ K ÜSTER Sabine H OFFMANN , Antje S TORK (Hrsg.): Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik. Festschrift für Frank G. Königs zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr 2015 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 394 Seiten [68,00 €] Festschriften sind bei Verlagen nicht sehr beliebt. Die Verkaufszahlen - so ist zu hören - lägen in der Regel deutlich unterhalb derer von thematisch klar konturierten Sammelbänden. Im vorliegenden Fall liegen die Dinge jedoch anders. Denn den Herausgeberinnen ist es gelungen, eine thematische Kohärenz des Buchs über eine Gliederung in vier Inhaltsbereiche herzustellen, die ihrerseits durch das im Titel genannte Prinzip der Lernerorientierung miteinander verbunden sind. Die Themenfelder entsprechen bedeutenden Forschungsschwerpunkten Frank G. K ÖNIGS ’ und sind wie folgt betitelt: „Mehrsprachigkeit“, „Kompetenzen ausbilden, prüfen und erforschen“, „Methodik der Fremdsprachenvermittlung“ und „(Aus-)Bildung von Fremdsprachenlehrenden“. In einem fünften Hauptteil dokumentieren die Herausgeberinnen den akademischen Werdegang des Jubilars und über ein 24 S. langes Schriftenverzeichnis sein forscherisches Schaffen. Seine hohe Reputation in der scientific community spiegelt sich in der Zahl von 29 Beiträgen. Angesichts dieses Umfangs wird sich die vorliegende Rezension im Wesentlichen darauf beschränken müssen, die Aufsätze in ihren Gegenständen und Tendenzen überblicksartig vorzustellen. Gleichwohl sollen der Leserschaft im Rahmen einer summarischen Wertung Orientierungen für eine mögliche Kaufentscheidung vermittelt werden. Innerhalb der einzelnen Themenbereiche sind die Beiträge alphabetisch nach Autorennamen geordnet. Dies impliziert zwar einen Verzicht auf thematische Subgliederungen, angesichts der Tatsache, dass Sammelbände in der Regel eher selektiv gelesen werden, ist dies jedoch gerechtfertigt. Im ersten Teil („Mehrsprachigkeit“) fällt auf, dass nur einige der Beiträger/ innen sich spezifisch mit der von Ihnen in universitärer Lehre vertretenen Sprache beschäftigen. Zu ihnen zählen in erster Linie Claus G NUTZMANN in Bezug auf das Englische in der Wissenschaftskommunikation, Wolfgang T ÖNSHOFF mit didaktisch-methodischen Grundsatzüberlegungen zu einem