eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 45/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
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2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2016
451 Gnutzmann Küster Schramm

Zur Einführung in den Themenschwerpunkt

2016
Gabriele Blell
Carola Surkamp
45 (2016) • Heft 1 © 2016 Narr Francke Attempto Verlag G ABRIELE B LELL , C AROLA S URKAMP * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Filme sind in den meisten Bundesländern für die Fremdsprachen Englisch, Französisch und Spanisch sowie für das Fach Deutsch als Unterrichtsmedium und -gegenstand in den Kerncurricula verankert. Zahlreiche Publikationen der letzten Jahre aus den verschiedenen Fachdidaktiken sowie bildungspolitische Initiativen haben diese Entwicklung stützend mit vorangetrieben. Jedoch gibt es bisher keine einheitliche Verständigung darüber, welche Kompetenzen durch die Beschäftigung mit Filmen im Fremdsprachenunterricht ausgebildet werden können und sollten und zu häufig wird die Arbeit mit Filmen im Fremdsprachenunterricht auf die Förderung des sog. Hör-/ Sehverstehens reduziert. Vielleicht auch aus diesem Grund spielen die Fremdsprachen bei fächerübergreifenden Konzeptionen zur Entwicklung einer umfassenden Filmkompetenz (wie z.B. im Freiburger Modell von bei F UCHS et al. 2008 oder im Sphärenmodell nach S PIELMANN von 2011) bislang so gut wie keine Rolle: Eine reine Instrumentalisierung des Filmeinsatzes für die Ausbildung kommunikativer Fertigkeiten trägt nicht zur allseits geforderten Medien- und Filmbildung an deutschen Schulen bei, die aus Mangel eines eigenen Schulfaches zum Thema fächerübergreifend erfolgen muss. Dabei greifen sprachliches und filmisches Lernen, wie im Beitrag von G ABRIELE B LELL und C AROLA S URKAMP ausführlich dargelegt wird, eng ineinander. Im Rahmen der Tagung „Film in den Fächern der sprachlichen Bildung“, die im Frühjahr 2014 an der Universität Göttingen stattgefunden hat und an der auch einige der am vorliegenden Themenheft mitwirkenden Autor/ innen beteiligt waren, sind aus den Perspektiven verschiedener Sprachfächer erstmalig gemeinsam umfängliche Überlegungen zur Filmbildung in den sprachlich orientierten Fächern angestellt worden. 1 Wichtige Fragen, die diskutiert wurden, betreffen die Konturierung von Kompe- * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Gabriele B LELL , Leibniz Universität Hannover, Englisches Seminar, Didaktik des Englischen, Königsworther Platz 1, D-30167 H ANNOVER . E-Mail: gabriele.blell@engsem.uni-hannover.de Arbeitsbereiche: Literatur- und Kulturdidaktik, Film- und Mediendidaktik, Interkulturelles Lernen sowie Lehrerbildung. Prof. Dr. Carola S URKAMP , Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Englische Philologie, Fachdidaktik Englisch, Käte-Hamburger-Weg 3, D-37073 G ÖTTINGEN . E-Mail: carola.surkamp@phil.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik, Leseförderung, dramapädagogische Ansätze im Fremdsprachenunterricht, Filmdidaktik, interkulturelles Lernen, Lehrerbildung. 1 Die Tagung war Teil eines größeren niedersächsisch-norddeutschen Initiativforschungsprojektes zwischen den Fachdidaktiken Deutsch (M ATTHIS K EPSER , Universität Bremen), Englisch (G ABRIELE B LELL , (Fremd-)Sprachlernen mit Film 4 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 tenzfeldern insbesondere für den mutter- und fremdsprachlichen Filmunterricht, die Formulierung von Teilkompetenzen innerhalb dieser Kompetenzfelder, die Entwicklung eines Filmcurriculums für die Sprachfächer sowie die Konzeptualisierung von Lernaufgaben für die Sprach- und Filmbildung. Insbesondere die Entwicklung von Lernaufgaben, die beispielhaft für verschiedene Sprachfächer und Jahrgangsstufen zeigen, wie mit Filmen zur Entwicklung sprachlicher und filmischer Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht gearbeitet werden kann, haben sich als großes Desiderat erwiesen. Das Themenheft „(Fremd-)Sprachenlernen mit Film“ verfolgt insbesondere zwei Zielsetzungen, die in der bisherigen Diskussion zu filmdidaktischen Fragestellungen in den Fremdsprachendidaktiken noch nicht hinreichend berücksichtigt wurden: 1. Es soll skizziert werden, durch welche Kompetenzfelder sich eine (fremd-)sprachlich orientierte Filmbildung auszeichnet und welche (Teil-)Ziele im fremdsprachlichen Filmunterricht angestrebt werden sollten. U.a. sollen hier erste Ergebnisse aus dem oben genannten niedersächsisch-norddeutschen Forschungsprojekt präsentiert werden (vgl. B LELL / S URKAMP im vorliegenden Heft). 2. Die zugleich fachspezifische und fächerübergreifende Entwicklung von Filmkompetenz erfordert auch die Konzeption von Lernaufgaben. Kompetenzaufgaben im Kontext der Filmbildung lösen idealerweise aufgrund möglichst authentischer Lerninhalte komplexe Interaktions- und Aushandlungsprozesse aus, die - weil sie in der Fremdsprache zu bewältigen sind - gleichzeitig die fremdsprachlichen kommunikativen Kompetenzen der Lernenden schulen. Im Themenheft sollen in allen Beiträgen ausgehend von den zuvor konturierten Kompetenzfeldern beispielhaft solche Lernaufgaben für die Filmarbeit in den Fremdsprachen vorgestellt werden. Ziel ist es insgesamt, Perspektiven zur Filmbildung aus verschiedenen fremdsprachendidaktischen Fächern zusammenzuführen und sie dahingehend kritisch zu reflektieren, welche Möglichkeiten und Herausforderungen, aber auch Hürden sich mit fächerspezifischen und -übergreifenden filmdidaktischen Zielen, Aufgabenformaten sowie Lehr- und Lernformen verbinden. Zu diesem Zweck sollen im Themenschwerpunkt sowohl unterschiedliche Sprachfächer (Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch als Fremdsprache) und Zielgruppen (Schüler/ innen der Grundschule sowie der Sekundarstufen I und II) als auch audiovisuelle Formate und Genres (Animations-, Kurz- und Spielfilme, touristische Werbefilme sowie eine Fernsehserie) in den Blick genommen werden. Es sollen Lernarrangements und Aufgaben für den Englisch-, Französisch-, Spanisch- und Deutsch als Fremdsprache-Unterricht vorgestellt werden, die Teilbereiche der Filmkompetenz, d.h. i.w.S. fremdsprachige Handlungskompetenz, entwickeln und fördern. Universität Hannover und C AROLA S URKAMP , Universität Göttingen) und Französisch/ Spanisch (A NDREAS G RÜNEWALD , Universität Bremen). Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 45 (2016) • Heft 1 Im ersten Beitrag von G ABRIELE B LELL (Universität Hannover) und C AROLA S UR - KAMP (Universität Göttingen) wird zunächst die Frage erörtert, wie sprachliches und filmisches Lernen im Fremdsprachenunterricht Hand in Hand gehen können. In einem weiteren Schritt werden vier Kompetenzfelder für den fremdsprachlichen Filmunterricht konturiert: ‚Filmbezogen sprachlich handeln‘, ‚Film analysieren‘, ‚Film kontextualisieren‘ (jeweils sprach- und kulturspezifisch) und ‚Film gestalten‘ (vgl. B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP 2016b). Diese vier Bereiche werden als didaktisch relevante Handlungsfelder sowie als genuine Kompetenzbereiche der sprachlichen Filmbildung verstanden. Durch ihre Konturierung soll nicht ausschließlich der Film als Unterrichtsmedium oder -gegenstand im Mittelpunkt stehen, sondern der Fokus soll auf das gesamte kulturelle Handlungsfeld ‚Film‘ und die dafür anhand der Rezeption und Produktion von Filmen zu erwerbenden Kompetenzen gelegt werden (vgl. ebd.). In einem zweiten Teil des Beitrags werden die theoretischen Grundlagenüberlegungen in ein kompetenzorientiertes Aufgabenmodell überführt. Am Beispiel einer Lernaufgabe zu Jim J ARMUSCHS Night on Earth (1991) werden die Überlegungen dann exemplarisch für den Englischunterricht in die Praxis umgesetzt. Die weiteren versammelten Beiträge reflektieren die Diskussion, indem sie Aufgaben für konkrete Filmbeispiele entwerfen: Englisch als erste Fremdsprache im Primarbereich (Carmen B ECKER , Jana R OOS ) und in der Sekundarstufe II (Sonja L EWIN ), Französisch (als zweite Fremdsprache) in der Sekundarstufe I (Andreas G RÜNEWALD , Meike H ETHEY ), Spanisch (als zweite/ dritte) Fremdsprache in der Sekundarstufe II (Janina V ERNAL S CHMIDT ) und Deutsch als zweite Fremdsprache nach Englisch (DaFnE) an polnischen Schulen (Camilla B ADSTÜBNER -K IZIK ). C ARMEN B ECKER (TH Braunschweig) und J ANA R OOS (Universität Paderborn) zeigen anhand des Animationsfilms The Gruffalo (2010), einer Verfilmung des im Englischunterricht häufig eingesetzten Bilderbuchklassikers, wie schon in der Grundschule mit einem audiovisuellen Text gearbeitet und wie dabei neben fremdsprachlichen Kompetenzen auch erste filmbezogene Kompetenzen angebahnt werden können. Bei der Beantwortung der Frage nach der Eignung des Films für die Grundschule orientieren sie sich an einem von ihnen bereits entwickelten Kriterienkatalog (und testen ihn gleichzeitig), der neben schüler-, film- und sprachbezogenen Kriterien auch solche zur Kompetenzentwicklung enthält (B ECKER / R OOS 2016, i.V.). Im vorgestellten dreischrittigen Lernszenario werden Aufgaben entwickelt, die bereits auf dieser Lernstufe sprachliches und filmisches Lernen verbinden können. Im Beitrag von A NDREAS G RÜNEWALD und M EIKE H ETHEY (beide Universität Bremen) steht die Arbeit mit zwei aktuellen Kurzfilmen im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I im Mittelpunkt. Die Autoren argumentieren, dass sich gerade Kurzfilme zu einer kombinierten Förderung von kommunikativen und filmästhetischen Kompetenzen eignen, da diese Filme aufgrund ihrer Kürze mehrfach angeschaut werden können und ähnlich wie Kurzgeschichten in sehr verdichteter Form erzählen, so dass sich Einsatz und Wirkung filmspezifischer Mittel an ihrem Beispiel sehr eingängig beobachten lassen. Werden zudem zwei Kurzfilme sehr unterschiedlicher Machart einander gegenübergestellt - wie im vorliegenden Beitrag La Fugue 6 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 (2013), in dem es um die Bemühungen eines jungen Sozialarbeiters um eine straffällig gewordene Jugendliche geht, und der Animationsfilm Lettres de femmes (2013) über die besondere Bedeutung von Feldpostbriefen für die französischen Soldaten im Ersten Weltkrieg -, können die cineastischen Besonderheiten jedes Films durch die Kontrastierung besonders klar herausgearbeitet werden. Der Beitrag von J ANINA V ERNAL S CHMIDT (Leuphana Universität Lüneburg) für den Spanischunterricht der Sekundarstufe II plädiert für einen kulturwissenschaftlichorientierten Filmunterricht und die Verknüpfung von Filmerleben und Filmverstehen. Am Beispiel des Films Dr. Alemán (2008) kann sie zeigen, dass durch den gezielten Einsatz von Aufgaben die Weiterentwicklung von Kompetenzen in den Bereichen ‚Film analysieren‘ und ‚Film kontextualisieren‘, hier insbesondere im Hinblick auf das interkulturelle Lernen, initiiert und gesteuert werden kann (z.B. die Bereitschaft und Fähigkeit zur Perspektivendarstellung und -übernahme im Rahmen kulturell aufgeladener Situationen). Der Beitrag gewinnt zusätzlich dadurch an Bedeutung, dass die entwickelte Filmaufgabe die unterrichtliche Arbeit mit dem Film steuert, gleichzeitig aber auch Forschungsinstrument der begleitenden Studie ist. Damit werden die angestellten theoretischen und unterrichtspraktischen Überlegungen gleichsam einer empirischen Überprüfung unterzogen. Im fortgeschrittenen fremdsprachlichen Filmunterricht (auch auf universitärer Ebene) ist der Beitrag von S ONJA L EWIN s (Göttingen) zu sehen. Die Autorin erschließt ein für den Fremdsprachenunterricht neues Genre, die fan fiction, quasi ein Subgenre der Fernsehserie, das mehr und mehr an Beliebtheit gewinnt und aufgrund seiner Anschlussfähigkeit an verschiedene kulturelle Handlungsfelder (z.B. Macht, Gender, Gewalt) ein überaus reiches Erkundungspotenzial für den ‚Fernseher‘ und Fremdsprachenlerner in der Sekundarstufe II bietet und verschiedene Kompetenzentwicklungen anregen kann; ein früherer Einsatz verbietet sich durch die große Komplexität der Texte sowie auch durch zuweilen gewalttätige Inhalte. So kann die Autorin zeigen, dass z.B. die intertextuelle Verbindung von fan fiction zum Kanontext (der Fernsehserie) lernerorientiert genutzt werden kann, um Aspekte einer Fernsehserie (z.B. rätselhafte Seriencharaktere) über sie zu erschließen. Andererseits können Lernende in fanfics wiederum auch neue Refigurierungen oder neu inszenierte Uneindeutigkeiten erkennen. Am Beispiel von Alan B ALL s Serie True Blood (2008-2014) wird skizzenartig gezeigt, wie sich die konzeptionellen Überlegungen an einer Vampirserie praktisch umsetzen lassen. Der Beitrag von C AMILLA B ADSTÜBNER -K IZIK (Universität Poznań) widmet sich einem innerhalb der Fremdsprachendidaktik bislang so gut wie nicht behandelten Thema: In einem anderen Kontext als der deutschen Schullandschaft setzt sie sich umfassend mit der Frage nach den Chancen und Grenzen filmproduktiver Kompetenzaufgaben im Unterricht Deutsch als Fremdsprache in Polen auseinander. Dabei beleuchtet sie nicht nur die filmindustriellen, bildungspolitischen, institutionellen und unterrichtspraktischen Rahmenbedingungen, derer es für das Gelingen eines kompetenzorientierten Filmunterrichts in der zweiten Fremdsprache nach Englisch bedarf, sondern zeigt auch sehr anschaulich auf, wie Filmbildung im Zusammenspiel Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 45 (2016) • Heft 1 zwischen muttersprachlichem Unterricht, Englischunterricht und Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht integrativ erfolgen kann. Obwohl in allen Beiträgen ganz unterschiedliche Genres, Lernstufen und didaktische Kompetenzfelder in den Blick genommen werden, ist erkennbar, dass für die Entwicklung von Lernaufgaben auch immer Überlegungen zum sprachlichen scaffolding angestellt werden (müssen). Sprachliches und filmisches Lernen sind nicht trennbar im Fremdsprachenunterricht oder anders gesagt: Das ‚filmbezogene sprachliche Handeln‘ ist eine Art Alleinstellungsmerkmal für die Filmarbeit in den Fächern der sprachlichen Bildung. Literatur B ECKER , Carmen / R OOS , Jana (2016, i.V.): „Film im Englischunterricht der Grundschule: Kompetenzentwicklung durch Lernaufgaben“. In: B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP (Hrsg.) (2016a, i.V.). B LELL , Gabriele / G RÜNEWALD , Andreas / K EPSER , Matthis / S URKAMP , Carola (Hrsg.) (2016a, i.V.): Film in den Fächern der sprachlichen Bildung. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren (Reihe Film Bildung Schule). B LELL , Gabriele / G RÜNEWALD , Andreas / K EPSER , Matthis / S URKAMP , Carola (2016b, i.V.): „Film in den Fächern der sprachlichen Bildung: Entwurf eines sprach- und kulturübergreifenden Curriculums für Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch“. In: B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP (Hrsg.) (2016a, i.V.). F UCHS , Mechthild et al. (2008): „Freiburger Filmcurriculum: Ein Modell des Forschungsprojekts ,Integrative Filmdidaktik (Pädagogische Hochschule Freiburg)‘“. In: Der Deutschunterricht 3, 84- 90. S PIELMANN , Raphael (2011): Filmbildung! Traditionen - Modelle - Perspektiven. München: kopaed.