eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 40/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2011
402 Gnutzmann Küster Schramm

Sind Fehler für die Bewertung out?

2011
Bernd Tesch
Markus Bohnensteffen
40 (2011) • Heft 2 S i n d F e h l e r f ü r d i e B e w e rt u n g o u t ? Die vielleicht bedeutendste Leistung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen: lehren, lernen, beurteilen war es, einen positiven, entwicklungsorientierten Umgang mit Lernerperformanz zu vermitteln. Dieser Ansatz war 2001 beileibe nicht neu, doch durch den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen wurde er weiterverbreitet und zu einem Kernelement der Kompetenzorientierung. Was also steht hinter dem gelegentlich zu vernehmenden Ruf von der Basis, wieder zum Fehlerquotienten zurückzukommen? Blicken wir noch einmal zurück: Hinter der magischen Wunderformel „Fehler mal hundert geteilt durch die Anzahl der Wörter“ stand eine Bewertungspraxis, die aus der Sicht der Lehrenden zweierlei versprach: Bewertungsökonomie und juristische Absicherung. Aus der Sicht der Lernenden bedeutete sie auf der optischen Oberfläche einer schriftlichen Leistung mitunter ein Blutbad roter Tinte und ein Kerbholz an senkrechten und waagerechten Strichen am Seitenrand. Gekrönt wurde das Ganze nicht selten durch ein Zahlenwerk am Ende einer schriftlichen Arbeit, das dem einer komplexen Mathematikaufgabe nicht unähnlich war und ein apodiktisches Ergebnis, sprich: Note, ergab. Dann allerdings fing für beiden Seiten der Kampf erst richtig an. Es gab nämlich nicht nur ganze, sondern auch halbe und manchmal sogar viertel Fehler. Da wurde akribisch nachgerechnet. Aber was ist eigentlich ein Fehler? Hat nicht Lisa dasselbe Wort falsch geschrieben, dafür aber keinen Fehler bekommen, während Felix einen ganzen Fehler dafür angestrichen bekam? Und bei Tobias zählte der nur halb … Und was zählt man eigentlich als Wort? Im Französischen mit seinen ausufernden Verbindungen wie qu’est-ce que wird es linguistisch gesehen sehr spannend. Ein Fass ohne Boden! Die vermeintliche Bewertungsökonomie und juristische Sicherheit konnte zum Alptraum werden. Dabei lohnt es sich, über „Fehler“ intensiv nachzudenken, verbergen sich hinter dem Phänomen doch wichtige Informationen über die interlanguage, die Lernersprache. Fehler sind in der Regel normabweichende Sprachhypothesen, oft kreative Analogiebildungen, deren Strategien in einem modernen Konzept von Sprachlernkompetenz explizit werden sollten. Warum habe ich ein Wort/ einen Satz/ einen Text so gebildet? Inwiefern weicht er von der Norm ab? Mit welchen Mitteln kann ich die Abweichung selbst feststellen? Was sagt mir die Abweichung über meinen Lernstand? Welche Ziele stecke ich mir als nächstes? Genau genommen ist der Autor gerade dabei, für die Aufwertung von Fehlern zu plädieren, allerdings nicht als Instrument der externen Evaluation, z. B. für die Notenfindung, sondern vielmehr im Hinblick auf die Förderung von Sprachbewusstheit und Sprach(en)lernkompetenz. Hier ist lern- und unterrichtsmethodisch gesehen ihr Platz, hier ist ein Ansatzpunkt auch für Selbst- und Peerevaluation, die zu einer vertieften Sprach- und Lernreflexion führen können. Fazit: Wertet Fehler auf, aber lasst sie aus der Bewertung raus. Fehler gehören in ein kompetenzorientiertes positives Förderkonzept. Fehler sind die Basis zum Weiterlernen. Berlin B ERND T ESCH Pro und Contra 135 40 (2011) • Heft 2 Es ist kein Ziel von modernem Fremdsprachenunterricht, native speakers ‚auszubilden‘. Nach heutigem Verständnis besteht ein wichtiges Ziel von Fremdsprachenlernen vielmehr im Erreichen einer interkulturellen Kommunikationsfähigkeit, was u. a. auch dazu führt, den Stellenwert des Fehlers neu zu denken. Welchen Beitrag könnte die Herausnahme sprachlicher Fehler aus der Bewertung dazu leisten? Insgesamt lässt sich feststellen, dass Fehler als notwendige Elemente des Fremdsprachenerwerbsprozesses and folglich als Lernfortschritte auf dem Weg zu fremdsprachlichen Handlungskompetenz angesehen werden. Im Laufe der letzten sechzig Jahre hat sich die Einstellung zu sprachlichen Fehlern zum Positiven gewandelt. Dennoch muss die im Titel stehende Frage mit einem deutlichen NEIN beantwortet werden. Man kann sprachliche Fehler trotz sinnvoller didaktischer Begründungen nicht vollständig aus der Bewertung herausnehmen, weil schulischer Fremdsprachenunterricht immer mit Leistungsbewertung einhergeht. Amtliche Vorgaben sehen die Bewertung der sprachlichen Leistungen vor, zu der u. a. auch die Bewertung der sprachlichen Richtigkeit zählt. Es wäre geradezu kontraproduktiv, sprachliche Fehler nicht in die Bewertung zu nehmen. Wer würde denn über Fehler nachdenken und sie - im optimalen Fall - als Chance zum Weiterlernen nutzen, wenn sie keine Bedeutung mehr hätten? Es ist wohl eher eine Binsenweisheit zu glauben, dass eine Bewertung ohne sprachliche Fehler Lerner motivieren und sie in ihren Lernfortschritten fördern würde. Es lässt sich leicht vorstellen, wie es aussehen würde, wenn sprachliche Fehler nicht mehr Bestandteil der Bewertung wären. Sprachliche Willkür wäre die Folge, und ihr die Tür zu öffnen würde bedeuten, die sprachliche Norm und die sprachlichen Gesetzmäßigkeiten einer Sprache nicht mehr zu respektieren, was auch nahe legen würde, seinen Sprachanwendern den notwendigen Respekt und die notwendige Höflichkeit zu verwehren. Eine Sprachproduktion ist gekennzeichnet durch die Wechselwirkung von Inhalt und Form. Nur durch das Zusammenspiel von Inhalt und Sprache kann eine Kommunikation funktionieren. Es kommt niemand auf die Idee, inhaltliche Aspekte aus der Bewertung herauszunehmen. Dies geschieht nicht ohne plausiblen Grund: ohne Inhalt bleibt Sprache bedeutungslos. Ohne ein gewisses Maß an sprachlicher Richtigkeit kann aber auch kein Inhalt angemessen vermittelt werden. Dies trifft besonders für die schriftliche Kommunikation zu, für die die formale Richtigkeit eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Es liegen Ergebnisse einer empirischen Studie vor, die belegen, dass sowohl die befragten Schüler als auch die Englischlehrer durchaus dafür plädieren, Englischklausuren nach Möglichkeit fehlerlos zu verfassen. Die befragten Englischlehrer sprechen sich aber dafür aus, mit Fehlern tolerant umzugehen. Fazit: Es kann also nicht um die Frage gehen, ob sprachliche Fehler aus der Bewertung zu nehmen sind. Die sprachliche Korrektheit sollte nach wie vor ein - nicht das (! ) - Qualitätsmerkmal sprachlicher Kommunikation sein. Es muss daher vielmehr darum gehen, wie mit sprachlichen Fehlern umgegangen wird. Paderborn M ARKUS B OHNENSTEFFEN