eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 44/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2015
441 Gnutzmann Küster Schramm

Annette BERNDT (Hrsg.) (2013): Fremdsprachen in der Perspektive lebenslangen Lernens. Frankfurt/M. [etc.]: Lang, 231 Seiten [44.95 €]

2015
Karen Schramm
140 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 44 (2015) • Heft 1 Annette B ERNDT (Hrsg.) (2013): Fremdsprachen in der Perspektive lebenslangen Lernens. Frankfurt/ M. [etc.]: Lang, 231 Seiten [44.95 €] Der 231-seitige Sammelband ist der erste einer neuen Buchreihe zum Thema Fremdsprachen lebenslang lernen, die ebenfalls von Annette B ERNDT , Professorin für Deutsch als Fremdsprache an der Technischen Universität Dresden, herausgegeben wird. Das Buch ist Torsten S CHLAK gewidmet, der im Frühjahr 2012 unerwartet verstarb. Torsten S CHLAK war nach vielfältigen wissenschaftlichen Aktivitäten im In- und Ausland zuletzt an der Technischen Universität Berlin als Universitätsprofessor am Institut für Sprache und Kommunikation und als Wissenschaftlicher Leiter der Zentraleinrichtung Moderne Sprachen tätig. Sein umfangreiches wissenschaftliches Oeuvre umspannt ein breites Themenfeld, das u.a. von den Lernerfaktoren Alter, Motivation und Sprachlerneignung über Fragen der Grammatikvermittlung und der Fehlerkorrektur bis zum autonomen Sprachenlernen und zu digitalen Medien im Fremdsprachenunterricht reicht. Um die empirischen Forschungsleistungen und die wissenschaftliche Innovationskraft des verstorbenen Kollegen zu ehren, bereichern die Autor/ innen dieses Sammelbands die von Torsten S CHLAK bearbeiteten Themenfelder Alter, Motivation und Autonomie mit theoretischen und empirischen Arbeiten sowie auch Praxisberichten. Der gemeinsam mit Torsten S CHLAK begonnene und von Rüdiger G ROTJAHN abgeschlossene Eröffnungsbeitrag bietet einen aktuellen, äußerst differenzierten und in seinen Zwischenfazits lobenswert klaren Forschungsüberblick zum Zusammenhang von Alter und Fremdsprachenlernen. Er stellt das Konstrukt einer biologisch basierten kritischen Phase unter Einbezug vielfältiger Faktoren und methodologischer Aspekte der diskutierten Befunde umsichtig in Frage. Die hier angesprochenen Fragen werden in dem empirischen Beitrag von David S INGLETON und Romana K OPEČKOVÁ zu einer kritischen Phase beim L2-Phonologie-Erwerb polnischer Englischlernender in Irland und in dem Überblicksartikel von Karin A GUADO zu sensiblen Phasen bezüglich des Erwerbs von L2-Chunks vertieft; beide Artikel gelangen ebenfalls zu einer skeptischen Einschätzung der Hypothese der kritischen Phase. Auch Stefanie H ABERZETTL , Christine D IMROTH , Nadja W ULFF und Christine C ZINGLAR betonen in ihrer syntaxorientierten L2-Erwerbsstudie mit Grundschulkindern, dass „[d]ie Schule [...] sich nicht mit einem Hinweis auf die kritische Phase des Spracherwerbs aus der Verantwortung entlassen [kann]“ (S. 158) - denn der Mehrzahl der von ihnen untersuchten Kinder im Grundschulalter gelang der Erwerb der deutschen Satzstruktur im Vergleich zum einfachen und doppelten Erstsprachenerwerb sowie auch zum sehr frühen Zweitsprachenerwerb „wie im Zeitraffer“ (S. 158). Eine weitere empirische Untersuchung von Gemma A RTIEDA und Carmen M UÑOZ zur Bedeutung von Alter und Literalität für das Englischlernen spanischer Erwachsener ergänzt diesen Themenbereich; allerdings können die der statistisch ausgewerteten Studie zugrundeliegenden Operationalisierungen von Literalität in Form von Cloze-Tests und Diktaten sowie von Lernerfolg in Form von Schulnoten nicht voll überzeugen, sodass der Hinweis der Autor/ innen auf die Bedeutung des Faktors Literalität m.E. mit Vorsicht zu rezipieren ist. Einen zweiten Schwerpunkt des Sammelbands bildet das Thema Sprachlernmotivation unter der Perspektive lebenslangen Lernens. Stephen R YAN und Zoltán D ÖRNYEI gehen in ihren Ausführungen zum L2 Self der Bedeutung von Selbstentwürfen für das Sprachenlernen nach, wobei sie „language learning motivation as a form of self-development or self-realisation“ (S. 92) konzipieren und den langfristigen Charakter der Entwicklung des L2 Self hervorheben. Sie deuten, wie auch Annette B ERNDT in ihrem Beitrag zum lebenslangen Sprachenlernen, das Erklärungspotential eines Zugangs über die Theorie dynamischer Systeme an. In einem vorrangig theoretischen Beitrag erörtert Andrea M ENTEL -W INTER das Konstrukt des (Fähigkeits-) Selbstkonzepts und beklagt u.a. dass „Förderprogramme zur Steigerung des Fähigkeitsselbstkonzepts und Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 141 44 (2015) • Heft 1 gezielte motivationsfördernde Trainings [...] an Bildungseinrichtungen für erwachsene DaZ-Lernende nicht bekannt“ sind (S. 187). Sie betont die auch von Stephen R YAN und Zoltán D ÖRNYEI akzentuierten Vorstellungen von möglichen und idealen L2-Konzepten u.a. im Zusammenhang mit dem (leider oft sehr begrenzten) Mitbestimmungsrecht von Integrationskursteilnehmenden. Der dritte Themenschwerpunkt der Autonomie unter der Perspektive lebenslangen Lernens wird von Michael M C G ARRY und Barbara S CHMENK kritisch dahingehend beleuchtet, dass der Autonomiebegriff in einem neoliberalen Kontext zur Verschleierung der Tatsache genutzt wird, dass Sprachlernende Ziele verfolgen (sollen), die ihnen Institutionen von außen vorgeben, und dass Autonomie somit zu Gehorsam oder Komplizenschaft (S. 68) reduziert werde. In Anlehnung an O LSSON (2006) 1 problematisieren sie vor allem folgenden Aspekt des Diskurses um das lebenslange Lernen: „using education as a mechanism of socializing subjects to become successful entrepreneurs of their autonomy who learn predominantly as a means of preparation for engagement in the marketplace of human capital“ (S. 69). Im Gegensatz zu dieser kritischen Annäherung an den Diskurs um das lebenslange Lernen erkennt Günther S CHNEIDER im Sprachenportfolio als Evaluationsinstrument und Lernbegleiter lebenslangen Lernens durchaus das Potential, selbstbestimmtes, reflexives Lernen zu fördern, und arbeitet unter dieser Perspektive insbesondere die altersspezifischen Schwerpunkte verschiedener Umsetzungen des europäischen Sprachenportfolios heraus. Als Forschungsdesiderate benennt er mit Blick auf das lebenslange Lernen vor allem die Einstellungen von Sprachenlernenden beim Übergang von einem ersten zu einem zweiten oder dritten Sprachenportfolio sowie auch die longitudinal zu erforschende Wirkung der Portfolioarbeit auf die kommunikative Kompetenz und die Sprachlern- und Sprachbeurteilungskompetenz (S. 116). Ein vierter Themenschwerpunkt liegt beim Sprachenlernen von Senioren. Diesbezüglich zeigt Robert S OBOTTA auf, dass das marktwirtschaftlich ausgerichtete Konzept des Goethe-Instituts Dresden bezüglich spezifisch auf ältere Menschen zugeschnittener Deutschkurse nicht aufging. Aufschlussreicher erscheint der Verfasserin dieser Rezension das als „Plädoyer für betreutes Sprachenlernen“ überschriebene Essay von Albert R AASCH , das nach einer Ausdifferenzierung der Zielgruppe Spezifika des Sprachunterrichts mit Senioren genauer bestimmt. Darüber hinaus werden in diesem Sammelband auch weitere Aspekte des lebenslangen Lernens angesprochen wie die Mehrsprachigkeit (Franz-Joseph M EIßNER ) und die (interkulturelle) Erwachsenenbildung (Ekkehard N UISSL und Bettina T HÖNE -G EYER ). Der sorgfältig editierte Sammelband ordnet die Beiträge in einer m.E. nicht an allen Stellen nachvollziehbaren Reihenfolge. Das Gesamt-Ensemble ergibt jedoch ein differenziertes Bild auf das Fremdsprachenlernen in der Perspektive lebenslangen Lernens, wobei nach der anregenden Lesereise durch die diversen Forschungsgebiete eine Zusammenführung der in Theorie, Empirie und Praxisberichten angesprochenen unterschiedlichen Ansätze und Konstrukte wünschenswert erscheint. Wien K AREN S CHRAMM 1 Mark O LSSON : „Understanding the mechanisms of neoliberal control: Lifelong learning, flexibility and knowledge capitalism“. In: International Journal of Lifelong Education 25.3 (2006), 213-230.