eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 41/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2012
412 Gnutzmann Küster Schramm

Binationale Integrierte Studiengänge

2012
Jochen Hellmann
© 2012 Narr Francke Attempto Verlag FLuL 41 (2012) • Heft 2 J OCHEN H ELLMANN * Binationale Integrierte Studiengänge: Akademischer Mehrwert durch Bilingualität und Bikulturalität am Beispiel der Studiengänge der Deutsch-Französischen Hochschule Abstract. The article examines the defining features and unique characteristics of binational integrated degree programmes. It also explains what sets them apart from other forms of internationalised university instruction, in particular, ERASMUS-like student exchange, international degree programmes, which were unilaterally created for the purpose of “getting international students to come to our country”, and so-called “export degree programmes”, which function well with partners in the partner country, but are not based on academic equivalence. The article describes the special added value which comes with binational integrated degree programmes, particularly for acquiring intercultural competence and helping graduates achieve multilingual proficiency in non-philological subjects. Using the example of various German-French degree programmes at the Franco-German University (DFH), the article highlights both the opportunities, as well as potential pitfalls, of systematically providing students with a binational and multilingual university education. 1. Einleitung Binationale Integrierte Studiengänge (in der Folge abgekürzt als BIS) sind Studiengänge, die über ein integriertes Curriculum verfügen und gemeinsam von Hochschulpartnern in zwei verschiedenen Ländern durchgeführt werden. Die Deutsch-Französische Hochschule unterhält ein Netzwerk von ca. 140 Studiengängen, die zu diesem Typ gehören. 1 Es geht im Folgenden vor allem darum, diese Studiengänge genauer zu beschreiben und im Hinblick auf den Zusatznutzen der Mehrsprachigkeit sowie auf den Erwerb interkultureller Kompetenz zu untersuchen. Wer sich im Kontext der deutschfranzösischen Hochschulkooperation auskennt, weiß um die erstaunlich großen Unterschiede hinsichtlich der Lehr- und Lernkultur zwischen beiden Ländern. Auch entwickelt sich die Sprachkompetenz, was die Kenntnis der Sprache des jeweiligen Nachbarn betrifft, bekanntlich angesichts der Dominanz des Englischen in beiden Ländern * Korrespondenzadresse: Dr. Jochen H ELLMANN , Generalsekretär der Deutsch-Französischen Hochschule, Villa Europa, Kohlweg 7, 66123 S AARBRÜCKEN . E-Mail: hellmann@dfh-ufa.org Arbeitsbereiche: Wissenschaftsmanagement, Internationalität von Hochschulen, Bologna-Prozess. 1 Die DFH fördert auch eine Reihe trinationaler Kooperationen. Dieser Aspekt soll hier jedoch, um das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren, vernachlässigt werden. Binationale Integrierte Studiengänge 85 FLuL 41 (2012) • Heft 2 nicht gerade dynamisch. 2 Kann unter diesen gar nicht so einfachen Bedingungen die besondere Studiengangsform der BIS in einem Sprachpaar wie Deutsch-Französisch wirklich gedeihen, und welches ist der spezifische Mehrwert solcher Studiengänge? Diesen Fragen soll in der Folge nachgegangen werden. 2. Binationale Integrierte Studiengänge (BIS) Bevor der Untersuchungsgegenstand, die Binationalen Iintegrierten Studiengänge, genauer unter die Lupe genommen werden kann, muss der Klarheit halber zunächst abgegrenzt werden, wovon hier nicht die Rede ist. 2.1 BIS und „ERASMUS“ Seit Ende der Achtziger Jahre, als das ERASMUS-Programm seinen Erfolgslauf begann, hat dieses Austauschmodell an den europäischen Hochschulen, und sogar darüber hinaus weltweit, Furore gemacht und wurde zum Grundmodell für den internationalen Studentenaustausch schlechthin. Hochschullehrer verschiedener europäischer universitärer Einrichtungen „vernetzen“ sich untereinander, beantragen über die Vermittlung einer „Nationalen Agentur“ 3 europäische Fördermittel, die überwiegend als Mobilitätsbeihilfe an mobile Studierende ausgezahlt werden, und können sich dabei auf eine je nach Hochschule mehr oder minder gut ausgebaute institutionelle Infrastruktur stützen, die die einzelnen Programmverantwortlichen bei der unvermeidlichen Bürokratie, aber oft auch bei der Vorbereitung der „outgoing students“ und Aufgaben wie der Unterbringung und Betreuung der „incoming students“ entlastet. Dieses Schema wurde seit 1987 nicht grundsätzlich verändert, jedoch immer wieder angepasst und verfeinert. Das „ERASMUS-Schema“ 4 konnte ein so großer Erfolg werden, weil alle an einem solchen Mobilitätsprogramm Beteiligten sich als Gewinner sehen können: • Die Studierenden werden in die Lage versetzt, ohne mühsamen Papierkrieg schwierige individuelle Studienplatzbeantragung und meist auch ohne allzu viel Zeitverlust ein Semester oder Studienjahr im Ausland in ihr Studium „einzubauen“; die Relation Aufwand-Ertrag ist günstiger und studierendenfreundlicher als bei der Realisierung rein individuell organisierter Auslandsprojekte. Zudem ist ERASMUS ein „Massenprogramm“ in dem Sinne, dass es quantitativ ehrgei- 2 Freilich sollte die Lage auch nicht dramatisiert werden. Die Hinwendung zur „Trendsprache“ Spanisch ist real, bedeutet aber nicht, dass die Zahl der Französisch-Lerner an deutschen Schulen zurückgegangen wäre. „In Französisch erhöhte sich die Zahl von 1 643 961 Schülern der Sekundarstufe I im Jahr 2002/ 03 auf 1 694 173 Schüler im Jahr 2009/ 10 […]. Im Spanischen ist der Anstieg bei 151 692 Schülern im Jahr 2002/ 03 auf 337 297 im Jahr 2009/ 10 um 122% am bedeutendsten“ (C HRIST 2011: 9). 3 In Deutschland nimmt der DAAD für das BMBF diese Funktion seit 1987 wahr. 4 Hier wird der Begriff ERASMUS verwendet als pars pro toto und schließt alle Mobilitäts-Förderungsmodelle ein, die nach demselben Grundprinzip konzipiert sind. 86 Jochen Hellmann FLuL 41 (2012) • Heft 2 zig ausgebaut wurde und insofern längst nicht nur für eine kleine und exzellente Minderheit die Chance zum Auslandsaufenthalt bietet. 5 • Die Hochschullehrer und -lehrerinnen können aufgrund der institutionellen Infrastruktur - fast überall existiert ein ERASMUS-Büro oder eine entsprechende Arbeitseinheit im Akademischen Auslandsamt - sowie aufgrund des eingespielten, beinahe ritualisierten Austausch-Verfahrens ohne allzu erheblichen Energieeinsatz an einem internationalen Austauschprogramm teilnehmen. • Die Hochschulen selbst sehen im oft sehr eindrucksvollen Netzwerk, das quer über alle Fakultäten nicht selten den Kontakt mit Dutzenden renommierter internationaler Hochschulen verbürgt, einen wichtigen Nachweis erreichter Internationalität und somit internationaler Attraktivität. Bei allem Respekt vor der fraglos eindrucksvollen Leistung von ERASMUS, dessen Name auch in der breiteren Öffentlichkeit als Chiffre für studentische Internationalität verwendet wird, muss dennoch in Abgrenzung zum Modell der Binationalen Integrierten Studiengänge, der BIS, auf einige potentielle Defizite hingewiesen werden, die dazu führen, dass ERASMUS-Aufenthalte gelegentlich etwas geringschätzig als Auslandserfahrung minderer Ordnung aufgefasst werden. Diese Geringschätzung ist als solche ungerecht 6 , aber auch in diesem Vorurteil liegt ein kleiner „wahrer Kern“: • Die häufig nur vierbis sechsmonatigen ERASMUS-Studienaufenthalte erlauben meist kein vertieftes Eintauchen in Landessprache und Landeskultur. • Die Kehrseite der multilateralen Netzwerk-Infrastruktur ist gelegentlich eine Art „Über-Organisation“ des Austausches; große multinationale Gruppen von ERASMUS-„incomings“ leben zusammen in Wohnheimen und integrieren sich nicht in das einheimische Studentenleben, im schlimmsten Fall entstehen sogar nationale Untergruppen, was dann in der Folge auch den Spracherwerb erheblich reduziert. • Die Kehrseite des unkomplizierten Austausches ist mitunter eine mangelnde Sorgfalt im Hinblick auf die Vorbereitung der eigentlich obligatorischen Anerkennung der im Ausland erbrachten Studienleistungen. Da die Curricula selbst zwischen den beteiligten Partnern nicht abgeglichen werden müssen, soll ein 5 „Fast drei Millionen Frauen und Männer haben dank des EU-Bildungsprogramms in den vergangenen 25 Jahren einen Studienaufenthalt oder ein Praktikum in einem anderen europäischen Land absolvieren können. 4.000 Hochschulen in 33 Ländern beteiligen sich heute an ERASMUS […].“, stellt das DAAD-Online-Magazin, Ausgabe 27.02.2012, fest. 6 Als ein Beispiel der öffentlichen Wahrnehmung mag der SPIEGEL-Online-Beitrag vom 16.04.2012 dienen, in dem es heißt: „Doch häufig haben Hochschüler in der Ferne dabei mehr Kontakt zu anderen Austauschstudenten als zu einheimischen Kommilitonen. Man feiert viel zusammen, spricht Englisch statt der Landessprache. ‚Man bleibt in einer Blase‘, sagt Jule Türke vom International Office der Universität Frankfurt am Main“. Symptomatisch im Ton freundlicher Harmlosigkeit ist auch folgendes Zitat aus dem Beitrag eines online-Portals: „Wer ein Auslandssemester absolviert, will auch Spaß haben und neue Leute treffen. Häufig bleiben Austauschstudenten dabei aber unter sich. Um wirklich etwas von Land und Leuten zu sehen, sollten Hochschüler in der Ferne früh Kontakt zu Einheimischen suchen“ (rp-online vom 29.04.2012). Binationale Integrierte Studiengänge 87 FLuL 41 (2012) • Heft 2 vorab zwischen den Beteiligten abgeschlossenes „learning agreement“ im Prinzip für ausreichende Sicherheit sorgen; in der Praxis funktioniert dies aber nicht immer. Für viele ERASMUS-Studierende war das Auslandssemester dann im Nachhinein ein interessantes und sicher horizonterweiterndes Intermezzo, das aber nicht zu einer intensiven forschenden Teilnahme an der Gast-Wissenschaftskultur genutzt und entsprechend weder in anerkannte Credits umgemünzt werden konnte, noch zu einer nachhaltigen Verbesserung der Sprachkenntnisse geführt hat. Die BIS sind im Grunde die Antwort auf diese Unzulänglichkeiten. Sie sind ein Versuch, das generell wertvolle ERASMUS-Schema um eine „Variante für Fortgeschrittene“ zu ergänzen, die die genannten Einschränkungen und potentiellen Defizite nicht mehr enthält: Das Kernelement ist dabei das gemeinsame Curriculum, das dafür sorgen soll, dass eine Unterscheidung zwischen „Gast-Studierenden“ und „Einheimischen“ gar nicht mehr sinnvoll entsteht, da ein gemeinsamer Studiengang an verschiedenen Standorten studiert wird. Freilich bedeutet dies, dass bei allen Teilnehmern Kenntnisse der Unterrichtssprachen auf dem Niveau der Studierfähigkeit schon bei Vorlesungsbeginn vorhanden sein müssen. 2.2 BIS und „Internationale Studiengänge“ „Internationale Studiengänge“ sind eine Kategorie von Studiengängen, die in der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre, also ein Jahrzehnt nach ERASMUS, en vogue kamen (H ELLMANN / P ÄTZOLD 2005). Hier ging es darum, der damals heiß diskutierten „mangelnden Attraktivität des Studienstandortes Deutschlands“ (so die damals allgemein verwendete expression consacrée) etwas entgegenzusetzen. Die „Internationalen Studiengänge“ sollten so konzipiert werden, dass internationale, insbesondere auch nicht-europäische Studienbewerber den „Studienstandort Deutschland“ als attraktive Alternative zum Studium in anglophonen Ländern entdecken würden. Dazu gehört vielfach, neben besonderen Betreuungsformaten, Propädeutika und anderen speziell auf internationale Kundschaft zugeschnittenen Angeboten, die damals revolutionäre - und erwartungsgemäß umstrittene 7 - Besonderheit, dass die Unterrichtssprache nicht Deutsch, sondern Englisch sein sollte. Zur Abgrenzung vom Untersuchungsgegenstand, den BIS, kann also festgehalten werden, dass die „Internationalen Studiengänge“ nicht auf Reziprozität aufbauen und im Grunde ohne internationale Partner auskommen. Sie stehen in tapfer angenommener Konkurrenz zu Studienangeboten, die Studierende aus Asien, Lateinamerika und anderen Regionen ins Vereinigte Königreich, in die USA und nach Australien ziehen. Die Entscheidung für Englisch als Unterrichtssprache wird manchmal durch eine gemäßigte „Lockvariante“ modifiziert, bei der nur zu Beginn Englisch unterrichtet wird, um dann beispielsweise vom zweiten Jahr an, nachdem studienbegleitende Kurse in der Landes- 7 Zur Diskussion um die englischsprachigen Studiengänge vgl. M OTZ (2005). 88 Jochen Hellmann FLuL 41 (2012) • Heft 2 sprache besucht wurden, sukzessive in diese auch als „language of instruction“ überzugehen. Es geht hier nicht um eine Neuauflage der Diskussion um die Legitimität einer solchen „Sprachpolitik“, für und gegen die manches anzumerken wäre und mehr als genug auch in hitzig geführten Debatten angemerkt wurde. Auch die Frage, inwieweit das Englische, das als Sprache der Forschung seine dominante Stellung längst erkämpft hat, diesen Sieg insofern vervollkommnen kann, als es zugleich allgemein die Sprache der Lehre wird, muss hier unbeantwortet bleiben. 8 Es geht vielmehr um die Abgrenzung der „Internationalen Studiengänge“ vom Konzept der BIS. Dieses zeichnet sich aus durch eine binational-partnerschaftliche Studienstruktur, in der es nicht in erster Linie um „Brain Gain“ geht, sondern in der Bilingualität und interkulturelle Kompetenz als über die fachliche Ausbildung hinausgehendes zusätzliches Lernziel zur eigentlichen raison d’être werden. In den BIS werden in der Regel die beiden Sprachen der beteiligten Institutionen zu gleichberechtigten Unterrichtssprachen; wenn allerdings Partner aus sehr „kleinen“ Sprachen involviert sind, wird natürlich mitunter auch hier auf das Englische ausgewichen. 2.3 BIS und „Transnational Education“ im Sinne von Studiengangs-Export Eine wiederum andere, ebenfalls dem Internationalisierungsziel verpflichtete, aber von den BIS abzugrenzende Variante sind die Studiengänge, die in andere Länder „exportiert“ werden; hier wird zwar mit einem dortigen Hochschulpartner kooperiert (vgl. C LAUSEN / S CHINDLER -K OVATS / S TALF 2011), von echter Reziprozität kann aber auch bei diesem Typus nicht die Rede sein. 9 Von ihrer Anlage her sind diese Studiengänge vor allem dazu geeignet, Studierenden in Entwicklungs- und Schwellenländern selbst dann zu einer qualitativ am deutschen bzw. europäischen Studienkonzept orientierten Hochschulausbildung zu verhelfen, wenn ihre finanziellen Mittel nicht reichen bzw. ihr Lebensplan es nicht vorsieht, zum Studium in ein hochentwickeltes Land zu „migrieren“. Die exportierende Hochschule sieht ihr Interesse darin, ihre eigene internationale Marke auf dem weltweiten Hochschul-Bildungsmarkt zu etablieren 10 , an Prestige zu gewinnen und das eigene internationale Netzwerk engmaschiger zu knüpfen. 8 W ÄCHTER / M AIWORM (2008: 91) haben bei ihrer Untersuchung hierzu folgende Feststellung getroffen: „Yet, despite the steady growth, in no country are English-taught programmes anywhere near challenging the survival of the domestic language. […] English-medium education will have its place in European higher education, a smaller or larger one depending on the country we are talking about. Not more, but also not less“. 9 „In most degree export programmes the foreign partner essentially provides its infrastructure and, together with the German home institution, elaborates curricula, a system of shared teaching, and student services; the German partner, meanwhile, is responsible for the academic and the remaining administrative contents and necessities“ (C LAUSEN / S CHINDLER -K OVATS / S TALF 2011: 4). 10 „Any transnational degree programme should convey a special and unique national profile that facilitates recognition by the potential partner and by prospective students and helps create a brand for the university“ (ebd.: 15). Binationale Integrierte Studiengänge 89 FLuL 41 (2012) • Heft 2 Die BIS können im Gegensatz zu diesem Ansatz nur zwischen Partnern konzipiert werden, die akademisch auf Augenhöhe miteinander kooperieren und vor allem bestrebt sein müssen, gemeinsame gemischte Studierenden-Kohorten zu bilden, was sowohl für die Frage der Sprachverwendung im Unterricht als auch für das Lernziel „Interkulturelle Kompetenz“ vollständig andere Voraussetzungen erzeugt. 3. Die Studiengänge der Deutsch-Französischen Hochschule Ca. 140 integrierte Studiengänge sind unter dem Dach der Deutsch-Französischen Hochschule 11 zusammengeschlossen und werden von der DFH nach ausgiebiger Qualitätskontrolle auch mit Zuschüssen unterstützt. Betrieben werden sie aber dezentral von den jeweils verantwortlichen Hochschulen in Deutschland und Frankreich, die als Mitgliedshochschulen der DFH ihre jeweiligen Studiengänge mit dem direkten Kooperationspartner im jeweils anderen Land ausgestalten. Die 140 Studiengänge sind sehr heterogen, und zwar im Hinblick auf das sehr breite Fächerspektrum, auf den Hochschultyp, auf die Form des Abschlusses (Licence/ Bachelor, Staatsexamen, Master etc.), den Umfang der Studierendengruppe und die Modulstruktur. Alle diese ganz unterschiedlichen Studiengänge besitzen jedoch einige Gemeinsamkeiten, die den Kern des Konzeptes der DFH darstellen 12 : • Die Absolventen erhalten nach erfolgreicher Beendigung des Studiums, das idealerweise zu gleichen Anteilen an beiden Partnerinstitutionen stattgefunden hat, Abschlusszeugnisse sowohl der französischen als auch der deutschen Partnereinrichtung. • Das Curriculum ist „integriert“, d.h. die im Partnerland absolvierten Module sind nahtlos in den gemeinsam beschlossenen Studienplan eingefügt, und es bedarf daher keiner besonderen Verfahren zur Anerkennung, wie dies bei ERASMUS der Fall ist, wo die im Ausland erworbenen Credits bzw. Leistungsnachweise ja 11 Ausführliches zur DFH, zu ihrem Aufbau und ihren Förderprogramm findet sich bei H ELLMANN (2010). Eine deutsche (und natürlich auch eine französische) Fassung dieses Aufsatzes („Die Deutsch-Französische Hochschule. Modell für ein Netzwerk bilateraler integrierter Kooperationen“) ist auf den Seiten der DFH abgelegt und kann eingesehen werden unter: http: / / www.dfh-ufa.org/ de/ ueber-die-dfh/ deutsch-franzoesische-hochschulpolitik/ die-deutsch-franzoesischehochschule-modell-fuer-ein-netzwerk-bilateraler-integrierter-kooperationen/ 12 Vgl. hierzu die „DFH-Grundsätze der Antragsbewertung und Qualitätssicherung für Studienprogramme“, die sog. „Evaluationscharta“ der DFH. In der Präambel heißt es: „Die Exzellenz der Studien- und Forschungsprogramme der DFH ergibt sich aus den Prinzipien der Integration und der Komplementarität der Studieninhalte und Lehrmethoden beider Seiten. Eine hohe fachliche Qualität wird darüber hinaus mit der Ausbildung sprachlicher und interkultureller Kompetenzen auf hohem Niveau verbunden. Der innovative Mehrwert der Programme und Studiengänge der DFH liegt somit in der Vermittlung einer erweiterten fachlichen Qualifikation, der Mehrsprachigkeit und einer auch über den deutsch-französischen Rahmen hinaus anwendbaren interkulturellen Kompetenz.“ Die „Evaluationscharta“ ist auf den Seiten der DFH einsehbar (http: / / www.dfh-ufa.org/ uploads/ media/ dfh_evaluationscharta_ studienprogramme.pdf). 90 Jochen Hellmann FLuL 41 (2012) • Heft 2 gleichsam in einer fremden Währung ausbezahlt werden, die nach Rückkehr in die einheimische Währung zurückgetauscht werden muss. • Die Studiengänge haben, wenn sie in den DFH-Verbund aufgenommen zu werden beantragen, über den Anspruch an hohe fach-inhaltliche Qualität hinaus auch den Nachweis zu erbringen, dass die zusätzlichen Lernziele Mehrsprachigkeit und Interkulturelle Kompetenz ebenfalls erreicht werden. In Fächern, die das Thema Sprache und Kultur nicht selbst zum Gegenstand haben, also ganz besonders in technischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen, ist ein solcher das Fach-Inhaltliche transzendierender Ansatz nicht ohne weiteres mit dem traditionellen curricularen Aufbau vereinbar. Hierdurch entsteht dann für die Verantwortlichen (aber auch die Studierenden) sogar eine doppelte Herausforderung: Die in Deutschland und Frankreich divergierenden Fachtraditionen müssen bilateral in Übereinstimmung oder doch zumindest in einen kompatiblen Studienplan gebracht werden, und noch dazu muss der unorthodoxe Ansatz einer „Explizit-Machung“ der interkulturellen Differenz im Curriculum seinen Niederschlag finden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es nicht genügt, allein darauf zu vertrauen, dass das Lernziel Interkulturelle Kompetenz en passant erreicht wird, wenn nur die Lernumgebung hierfür geeignet ist. Die gemischten deutsch-französischen Studierendengruppen sowie die abwechselnde Immersion in deutsche und französische Sprache und Unterrichtstradition bieten natürlich eine ausgezeichnete Grundlage für einen einschlägigen Kompetenzzuwachs, der im „normalen“ Hochschulalltag kaum denkbar wäre. Dennoch ist es erforderlich, das Thema Interkulturalität und die in beiden beteiligten Ländern abweichenden Verhaltensmuster, Lehrmethoden, Erwartungshaltungen, Rollenerwartungen, Präsentationstechniken etc. nicht nur nebenbei zur Kenntnis zu nehmen, gelegentlich eben in interkulturelle Fettnäpfchen zu treten und sich dann schon seinen eigenen Reim auf den Vorgang zu machen, sondern es ist sinnvoll, auf einer Metaebene die interkulturelle Situation zu reflektieren und dies zum curricularen Bestandteil zu machen. Es dürfte zugleich auch deutlich geworden sein, dass ebenso in ERASMUS-artigen Mobilitätserfahrungen - so sinnvoll und fruchtbar sie sein mögen - aufgrund fehlender Integrationstiefe nur selten eine vergleichbare Lernerfahrung erzielt werden kann: Der Gast-Status des Austauschstudenten lässt das Beobachten zwar zu, aber es ist etwas anderes, als Mitglied der Gruppe mit gleichen Rechten und Pflichten der anderen Sprache und Unterrichtskultur „ausgeliefert“ zu sein. 13 Auch erschwert die kulturelle Multilateralität der ERASMUS-Erfahrung die Chance zur kontrastiven Bewusstwerdung von interkulturell beschreibbaren Vorgängen immer dann, wenn die multinationale Beobachtergruppe sich nur über die Besonderheit bzw. Unzulänglichkeit der Gastgeber- Kultur einig werden kann, im Sinne von „Die spinnen, die …! “. 14 In den DFH-Studien- 13 Hierzu aus einem internen Studierendenbericht die Aussage des Teilnehmers an einem DFH-Studiengang: „Besonders gefällt mir die Idee, in Frankreich zu 100% als französischer Student und in Deutschland zu 100% als deutscher Student behandelt zu werden“. 14 Bei K UMBIER / S CHULZ VON T HUN (2008: 34 ff) wird hierfür der Begriff „Obelix-Verzerrung“ eingeführt. Binationale Integrierte Studiengänge 91 FLuL 41 (2012) • Heft 2 gängen (wie überhaupt in den BIS) ist der nächste Erkenntnisschritt erleichtert durch die Spiegelung der Erfahrung von Abweichung vom Gewohnten, indem die andere Hälfte der Gruppe ja gerade dasjenige als ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig ansieht, was einem selbst bisher als das „Normale“ erschienen war. Die BIS besitzen ein weiteres wichtiges Merkmal im Hinblick auf die „language of instruction“ und den Spracherwerb. In den Studiengängen der DFH ist die Unterrichtssprache in der Regel die L1 der jeweiligen Lehrenden; dies ist zugleich die L1 eines Teils der Studierenden. Beim Wechsel in die Partnerinstitution ist die bisher „bevorzugte“ Gruppe dann die „benachteiligte“, was innerhalb der Gruppe zu insgesamt ausbalancierten Erfahrungen führt. Zugleich entfällt der Nachteil, der leicht entstehen kann, wenn die Lehrenden nicht in ihrer L1 unterrichten. 15 4. Deutsch-Französische Missverständnisse In einem aufschlussreichen Aufsatz (K ÜHNEN / V AN E GMONT / H ABER / K USCHEL / Ö ZEL - SEL / R OSSI 2009) wurden kürzlich die Ergebnisse einer Untersuchung präsentiert, die durch Befragung der sehr multikulturell zusammengesetzten Studierendenpopulation und auch der Lehrenden auf dem Campus der Bremer Jacobs University unterfüttert wurde. Die Ergebnisse wurden interpretiert im Kontext eines angenommenen Dualismus von „sokratischer“ und „konfuzianischer“ Lehr- und Lerntradition. Der sokratischen Orientierung wird der Begriff „mind“ zugeordnet, der konfuzianischen demgegenüber „virtue“. 16 Den Lehrenden wurden einschlägige Fragen gestellt: „Professors were asked how much they valued certain class-room behaviors among students, such as displaying critical thinking, challenging the professor on content matters or formulating their own ideas“ (ebd.: 33). Die genannten “behaviors” werden natürlich der “sokratischen” Lerntradition, im Gegensatz zur “konfuzianischen”, zugeordnet. Ohne hier gegen den besagten Dualismus polemisieren zu wollen, der ja auch ohne Zweifel etwas Reales abbildet, muss doch im Lichte der Erfahrungen der deutsch-französischen BIS darauf hingewiesen werden, dass nahezu alle ursprünglich im deutschen Bildungskontext sozialisierten Studierenden der DFH (also unsere „Deutschen“) bei der Erstberührung mit dem Unterricht in der französischen Partnerinstitution mehr oder weniger erschrocken das weitgehende Fehlen der genannten „behaviors“ („critical thinking“ etc.) festzustellen pflegen. Der eine oder andere mag dann - soweit in Kenntnis des be- 15 Vgl. hierzu W ILKINSON (2011: 8). Es ist dort u.a. die Rede von „Reduced nuances, Less humour, Reduced idiomatic expression, Reduced ,accuracy‘“. Vgl. auch z.B. T RABANT (2005). Dort wird allerdings das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Hinausgehend über die durchaus realistische Beschreibung der Schwierigkeiten, in einer fremden Sprache zu unterrichten, erscheint bei T RABANT die Lehre in einer Sprache, die nicht die L1 des Lehrenden ist, als von vornherein zum Scheitern verurteilt. 16 „In the socratic tradition, the central tenet of education in not behavioral reform of the student, but on the development of mental functions to understand the world, develop personal skills and realize personal goals“ (ebd.: 29). Für chinesische Lernende hingegen, im Sinne der konfuzianischen Lernkultur, „the learning process is a lifelong pursuit of developing oneself morally and socially, of achieving mastery of the material to be learned, and of contributing to society“ (ebd.: 30). 92 Jochen Hellmann FLuL 41 (2012) • Heft 2 grifflichen Dualismus zwischen konfuzianischer und sokratischer Lernorientierung - maliziös anmerken, dass dann ja wohl die französische Hochschule der konfuzianischen Tradition zugeordnet werden muss, in Anbetracht der geringen Wertschätzung, die Lehrende und Lernende dem kritischen Diskutieren und Hinterfragen des Lehrstoffes im Unterricht entgegenbringen. Allein hieran lassen sich die Grenzen der begrifflichen Unterscheidung sokratisch vs. konfuzianisch zeigen. Welchen Sinn macht es, dem Land von Descartes und somit des kartesianischen Denkens par excellence ausgerechnet den Begriff des Konfuzianischen zuzuordnen? Und doch, es kann nicht bezweifelt werden, dass die deutschen Studierenden zu Beginn in Frankreich meist einen Kulturschock erleiden, der allerdings in der umgekehrten Reiserichtung keineswegs geringer ausfällt: Während die Deutschen zunächst verstimmt auf einen Unterricht zu reagieren pflegen, den sie als lehrerzentriert und frontal empfinden, ohne Raum für kritische Erörterung und auf das Auswendiglernen von Fakten hin ausgerichtet, sind junge Franzosen oft zunächst alles andere als begeistert, wenn in Deutschland die Zumutung an sie herangetragen wird, selbst in das Gelingen des Lernprozesses zu investieren, durch einen Grad an Selbstbestimmtheit, der auch als Beliebigkeit bzw. Orientierungs- und Führungslosigkeit, sowie durch aktive Teilnahme, die auch als Überforderung erlebt werden kann. Etwas vereinfachend auf den Punkt gebracht ließe sich feststellen, dass in Frankreich und im französischen Lehr- und Lernsystem das „Wissen“ einen besonders hohen Stellenwert einnimmt, während umgekehrt in Deutschland - zumindest in den Jahrzehnten, die die DFH-Studierenden, aber auch ihre akademischen Lehrer geprägt haben - das Handeln mit Wissen, der kommunizierende Umgang mit Wissen im Vordergrund stehen. Wobei anzumerken wäre, dass viele französische Lehrende sich des Eindrucks nicht immer erwehren können, dass das glatte Kommunizieren bei entsprechender Übung auch ohne solide Faktengrundlage praktiziert werden kann, eine Technik, die sie ihren Studierenden ungern durchgehen lassen. Die französischen Studierenden wiederum empfinden die Neigung ihrer deutschen Kommilitonen zum Sich-Melden und Mitdiskutieren nicht selten als streberhaft und anbiedernd, während die Deutschen umgekehrt das - wie sie es empfinden - kritiklose und unhinterfragte Mitschreiben der Franzosen für Unterwürfigkeit halten. Diese auf unterschiedlichen Lerntraditionen basierenden gegenseitigen Vorwürfe lassen sich vielleicht am besten in der Form des „Kulturquadrats“ nach Schulz von Thun darstellen und veranschaulichen 17 : 17 Vgl. z.B. K UMBIER / S CHULZ VON T HUN (2008: 37 ff). Binationale Integrierte Studiengänge 93 FLuL 41 (2012) • Heft 2 Franzosen Deutsche Vorwürfe Der Vorteil der BIS, wie das Beispiel der DFH-Studiengänge zeigt, besteht darin, dass durch das „integrierte“ Curriculum, die Intensität der Auslandserfahrung, die Notwendigkeit zur Anpassung (niemand kann sich auf die Rolle des beobachtenden Gastes zurückziehen! ) und die Vorgabe der reflektierenden Interkulturalität zumeist die gegenseitige Vorwurfshaltung mit der Zeit einer differenzierten Sicht auf die Vor- und Nachteile beider Systeme Platz macht. Deutsche DFH-Absolventen haben in aller Regel den Wert gründlicher Faktenkenntnis genauso schätzen gelernt wie ihre französischen Studiengenossen die Vorteile des kommunikativen Seminarstils. 5. Der Mehrwert aus Sicht der Absolventen Die DFH analysiert gründlich die Erfahrungsberichte ihrer Studierenden, deren Einreichung obligatorisch ist, wodurch Jahr für Jahr ein recht aussagefähiges Corpus zustande kommt. Natürlich kann den subjektiven Eindrücken der Studierenden nicht der Rang objektiver Erkenntnis zugesprochen werden; die Studierendenberichte stellen aber für die DFH dennoch ein wichtiges Instrument der Qualitätssicherung dar. Ein wiederkehrendes Moment zahlreicher Berichte ist die Feststellung der abweichenden Lehr- und Lernmethoden in beiden Ländern und die daraus abgeleitete Chance, die „eigene“ Methode kritisch zu überdenken: „Être conscient de la façon dont travaillent nos voisins allemands ne peut que nous faire réfléchir sur la façon dont nous travaillons et nous permettre d’améliorer notre propre système“ (zitiert aus einem der genannten Studierendenberichte, in diesem Fall aus einem geisteswissenschaftlichen Studiengang). Die Feststellung abweichender Methodik wird in vielen Berichten verknüpft mit kritischen Bemerkungen über abweichende Verhaltensnormen: „[…] sehr unterschiedliche Arbeitsmethoden (mémoire und dissertation ohne ausreichende Vorbereitung, kulturell unterschiedliche Standards/ Erwartungen v.a. bei dem mémoire) und Dozent- Student-Verhältnis geprägt von „soumission“, gewisse Verhaltenscodes, die ich zu Beginn nicht kannte [….]“ 18 ; hier findet sich die bei vielen deutschen Studierenden typi- 18 Zitiert wird aus Studierendenberichten verschiedener Studiengänge. Die Berichte stammen aus der Zeit zwischen 2009 und 2011. Kommunikationsorientierung Unseriöses „Gelaber“ Faktenhuberei Wissensorientierung 94 Jochen Hellmann FLuL 41 (2012) • Heft 2 sche Reaktion auf einen als „soumission“ empfundenen hierarchischen Abstand zwischen Lehrenden und Lernenden. Oft wird später dann der Wert der zunächst als Mangel erfahrenen Differenz erkannt: „Es war wertvoll, die unterschiedlichen Herangehensweisen […] kennenzulernen. Ich habe […] viel gelernt. Gerade auch Dinge, die in Frankreich zunächst frustrierend, unverständlich und sinnlos erschienen, sind dennoch als kulturelle Erfahrung und als Wissen darüber, wie Ausbildung in Frankreich (nicht) funktioniert, wertvoll.“ Betont wird von vielen Studierenden der zusätzliche Aufwand, die besondere Belastung und auch die hohen Anforderungen, die an die Sprachkompetenz der Teilnehmer gestellt werden: „Geeignet für Leute, die wissen, wie es an französischen Universitäten zugeht und die in der Sprache absolut sicher sind. Auch sollte man unbedingt schon mal in Frankreich gelebt haben. Dieser Studiengang ist nichts für Frankreich-Anfänger, sondern man muss sich sofort zurechtfinden und bereit sein, viel für die Uni zu arbeiten.“ Solche Aussagen müssen natürlich nicht unbedingt zum Nennwert genommen werden. Es ist aber zweifellos richtig, dass viele BIS, und darunter auch einige der DFH, ein so hohes Maß an Sprachkompetenz von Beginn an voraussetzen, dass nur ein eingeschränkter Kreis potentieller Teilnehmer überhaupt zur Verfügung steht. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die Abbrecherquote in den Studiengängen der DFH sehr gering ist. Vermutlich lassen sich aber auch nur überdurchschnittlich leistungsbereite Studieninteressenten auf eine Herausforderung ein, die über das Übliche hinausgehende Anforderungen an die Studierenden stellt. Hinzu dürfte allerdings noch kommen, dass durch die besondere Gruppenstruktur und die identitätsstiftende „Besonderheit“ des Ansatzes sich unter den Teilnehmern oft eine Art verschworene Gemeinschaft herausbildet, in der Durststrecken leichter verkraftet und individuelle Schwierigkeiten eher überwunden werden können. Dem Spracherwerb kommt eine solche der Vereinzelung entgegenwirkende Gruppenidentität natürlich ebenfalls zugute. 6. Bilingualität ist eigentlich Trilingualität Ein letzter Aspekt sollte noch berührt werden: Die Studiengänge der DFH 19 erzeugen insofern meist de facto eine trilinguale Lernumgebung, als das Englische aus der Lehre in den meisten Fächern gar nicht hinwegzudenken ist. Ein nicht geringer Teil der Unterrichtsmaterialien (Fachbücher, Publikationen, didaktische Hilfsmittel) liegt nur auf Englisch vor; Gastdozenten aus Drittländern tragen auf Englisch vor; bei Begegnungen mit internationalen Forschern und Studierenden bei Sommerschulen und Fachkonferenzen ist die zumindest passive Beherrschung des Englischen unabdingbare Voraussetzung. Hinzu kommt, dass die Teilnehmer von BIS - und die Studierenden in den DFH-Studiengängen stellen da keine Ausnahme dar - ihre berufliche Zukunft in einer globalisierten Arbeitswelt sehen und insofern keineswegs begrenzt auf das engere Ge- 19 Das gilt übrigens auch für andere BIS innerhalb eines Sprachpaares ohne Beteiligung des Englischen. Binationale Integrierte Studiengänge 95 FLuL 41 (2012) • Heft 2 biet der beiden beteiligten Länder. 20 Ihnen ist daher klar, dass die Beherrschung von Deutsch und Französisch allein nicht genügt; das Englische muss dabei sein, um die Voraussetzungen für die erfolgreiche Teilhabe an der globalen Arbeitsgesellschaft zu erfüllen. Im Hinblick auf den interkulturellen Mehrwert der besonderen Ausbildungsform BIS ist diese „Triangularität“ aber auch unbedingt wünschenswert. Eine gewisse Gefahr gerade im jahrzehntelang gut eingeschwungenen deutsch-französischen Spezialverhältnis besteht nämlich darin, dass bei manchen Akteuren des „Franco-Allemand“ eine Neigung zur fixierenden Absolutsetzung des deutsch-französischen Dualismus besteht, eine Haltung, in der alles und jedes mit dem interkulturellen Unterschied zwischen diesen beiden Ländern erklärt wird. 21 Hier können Studien- und Forschungsaufenthalte in Drittländern und auch die Beschäftigung mit einer Drittsprache sehr heilsam auswirken. Gar nicht wenige Studierende der DFH, auch aus nicht-philologischen Studienrichtungen, lernen sogar noch eine Viertsprache, da sie das Englische als Selbstverständlichkeit, als Zivilisationstechnik, ansehen und durch die Erfahrung des BIS bei ihnen die Neugier auf Sprachen und interkulturelle Erfahrungen nun einmal geweckt worden ist. Da ließe sich dann sagen: Mit dem Essen kam der Appetit. Literatur B ERNINGHAUSEN , Jutta / G UNDERSON , Connie / K AMMLER , Eva / K ÜHNEN , Ulrich / S CHÖNHAGEN , Renate (Hrsg.) (2009): Lost in Transnation. Towards an Intercultural Dimension on Campus. Bremen: Kellner. C HRIST , Ingeborg (2011): „Auf dem Weg zum ‚Lernziel Mehrsprachigkeit‘“. In: Die Neueren Sprachen Jahrbuch 2, 6-20. C LAUSEN , Anne / S CHINDLER -K OVATS , Beate / S TALF , Nina (2011): „Transnational education ,made in Germany‘: an introduction“. In: Journal of the European Higher Education Area 1.4, 1-20. H ELLMANN , Jochen (2010): „The Franco-German University (DFH)“. In: Supplement 6 for the Handbook Internationalisation of Higher Education (2010), Stuttgart: Raabe. H ELLMANN , Jochen / P ÄTZOLD , Mathias (2005): „Internationale Studiengänge: Wer braucht so etwas? Überlegungen zu einem Trend, der sich fortsetzen wird“. In: MOTZ (Hrsg.), 17-29. K ÜHNEN , Ulrich / V AN E GMONT , Marieke / H ABER , Frank / K USCHEL , Stefanie / Özelsel, Amina / R OSSI , Alexis (2009): „Mind and virtue - The meaning of learning across cultures“. In: B ERNINGHAUSEN / G UNDERSON / K AMMLER / K ÜHNEN / S CHÖNHAGEN (Hrsg.), 27-37. 20 Die DFH hat 2011 eine Absolventenstudie angefertigt. Sie kann auf den Seiten der DFH eingesehen werden unter http: / / www.dfh-ufa.org/ alumni/ absolventenstudie/ . In der Auswertung der Daten heißt es: „Die aktuelle Arbeitsstelle von rund 32% der DFH-Absolventen hat einen direkten deutsch-französischen Bezug. Unter den Umfrageteilnehmern, die nicht im deutsch-französischen Bereich arbeiten, ist über die Hälfte (53%) in einem international ausgerichteten Arbeitsumfeld tätig“. Dies zeigt deutlich, dass der Arbeitsmarkt den akademischen Mehrwert von BIS im Hinblick auf den Einsatz im internationalen Kontext insgesamt, und eben nicht nur im engen Bereich des betreffenden Länderpaares zu schätzen weiß. 21 Vgl. hierzu auch den Beitrag „War das nun ein interkulturelles Missverständnis? Von der Gefahr, vor lauter Kultur die Person aus dem Blick zu verlieren“ (W IECHELMANN 2006). Dort wird u.a. der Begriff der „Kulturifizierung“ verwendet (S. 331). 96 Jochen Hellmann FLuL 41 (2012) • Heft 2 K UMBIER , Dagmar / S CHULZ V ON T HUN , Friedemann (Hrsg.) (²2008): Interkulturelle Kommunikation: Methoden, Modelle, Beispiele. Reinbek: Rowohlt. M OTZ , Markus (Hrsg.) (2005): Englisch oder Deutsch in internationalen Studiengängen? Frankfurt/ M.: Lang N IES , Fritz (Hrsg.) (2005): Europa denkt mehrsprachig. Tübingen: Narr. T RABANT , Jürgen (2005): „Der eigenen Sprache bedürftig“. In: N IES (Hrsg.), 63-70. W ÄCHTER , Bernd / M AIWORM , Friedhelm (2008): English-Taught Programmes in European Higher Education. The Picture in 2007. Bonn: Lemmens. W IECHELMANN , Sarah (2006): „War das nun ein interkulturelles Missverständnis? Von der Gefahr, vor lauter Kultur die Person aus dem Blick zu verlieren“. In: K UMBIER / S CHULZ V ON T HUN (Hrsg.), 323-335. W ILKINSON , Robert (2011): „What can we learn from practice about changing the instructional language? Impacts and teaching techniques“. In: Supplement 10 for the Handbook Internationalisation of Higher Education (2011). Stuttgart: Raabe.