eJournals Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 35/1

Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik
0171-5410
2941-0762
Narr Verlag Tübingen
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2010
351 Kettemann

Werner Habit zum 80. Geburtstag

2010
Wolfgang Riehle
AAA - Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik Band 35 (2010) Heft 1 Gunter Narr Verlag Tübingen Werner Habicht zum 80. Geburtstag Werner Habicht feierte vor wenigen Monaten seinen 80. Geburtstag. Er studierte Anglistik und Romanistik in München, Baltimore (Johns Hopkins University), Paris und Bristol, legte 1954 das Staatsexamen ab, promovierte 1957 und habilitierte sich 1965. Er kann auf ein höchst erfolgreiches akademisches Wirken in Heidelberg (1966), Bonn (1970) und Würzburg (1978 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1995) und als Gastprofessor an den Universitäten in Austin/ Texas, Boulder/ Colorado; Columbus/ Ohio; Nikosia/ Zypern) zurückblicken. Die ihm entgegengebrachte Hochschätzung spiegelt sich auch in der ordentlichen Mitgliedschaft bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Werner Habicht begann seine Forscherlaufbahn noch bei Levin L. Schücking mit einer ebenso einsichtsvollen wie ergiebigen Dissertation über die ‘Gebärde in englischen Dichtungen des Mittelalters’, die Schücking bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zur Drucklegung einreichte (1959). In profunder Kenntnis alt- und mittelenglischer Literatur - und lange vor dem heutigen Interesse an der Semiotik von Gesten und Gebärden - bietet diese Arbeit eine Typologie der Gebärdenvielfalt in narrativen Texten und fragt nach ihrer Bedeutung für Szenenaufbau, Handlungsverzahnung und dramatische Spannung. Zugleich verrät sich dadurch bereits Habichts großes Interesse an der Performanz, dem wir später wichtige theaterorientierte Beiträge aus seiner Feder verdanken. Da Habicht noch einer Tradition von Anglisten angehört, von denen die Vertretung des Faches in seiner gesamten Breite erwartet wurde, wandte er sich für seine Habilitation bei Wolfgang Clemen dem Übergang vom Mittel- Wolfgang Riehle Wolfgang Riehle 4 alter zur Renaissance zu und wählte das vorshakespearesche Drama, auf das Shakespeare als sein Hauptgebiet folgen sollte. In seinem Werk ‘Studien zur Dramenform vor Shakespeare. Moralität, Interlude, romaneskes Drama’ (1968) hat er eine enorme Fülle von dramatischen Texten in einen geordneten, typologisch gegliederten und spannend zu lesenden Zusammenhang gebracht. Indem er vor allem aufzeigte, wie in dieser experimentierfreudigen Zeit dramatische Mischformen erprobt wurden und sich das spezifische romaneske Drama allmählich herausbildete, hat Habicht den Weg zu einem wesentlich vertiefteren Verständnis dramatischer Literatur geebnet, an die Shakespeare anknüpfen konnte. Trotz des äußerst umfangreichen Materials wirkt die Arbeit nie überladen, sondern repräsentiert die spezifische Qualität des Wissenschaftsstils ihres Autors: “immense scholarship lightly worn” (Peter Holland). Es zeichnet Habicht weiter aus, daß er sich bei seiner anschließenden Konzentration auf das Werk Shakespeares auch sehr die Shakespeare- Pflege einer breiten Öffentlichkeit angelegen sein ließ und sie entscheidend zu fördern suchte. Dazu bot ihm seine Präsidentschaft der Deutschen Shakespeare Gesellschaft (West) von 1976 bis 1987 reichlich Gelegenheit. Vor allem suchte er die internationale Profilierung der deutschen Shakespeare-Forschung, die sein Lehrer Wolfgang Clemen geleistet hatte, durch beeindruckend vielfältige Aktivitäten zu erweitern und zu vertiefen, von denen speziell seine intensive Mitarbeit bei Planung und Gestaltung der Tagungen und Kongresse der International Shakespeare Association und der Shakespeare Association of America zu erwähnen ist. Als Folge davon wurde ihm die Ausrichtung des Shakespeare Weltkongresses in Berlin in Jahre 1986 übertragen - ein glanzvollen Höhepunkt seiner Arbeit für die Deutsche Shakespeare Gesellschaft (West). Dafür wurde er in sehr verdienter Weise durch die Würde eines Honorary Vice President der International Shakespeare Association geehrt. Größte Arbeitsbelastung nicht scheuend, fungierte er während der letzten sechs Jahre seiner Präsidentschaft auch als Herausgeber bzw. Mitherausgeber des Shakespeare Jahrbuches (West). Er hat diese Tätigkeit unter der neuen Präsidentschaft Dieter Mehls bis 1995 weitergeführt und zur Bewältigung der schwierigen Phase der Wiedervereinigung der beiden Shakespeare-Gesellschaften mit Sitz in Bochum und Weimar und zur “Verschmelzung” der Shakespeare Jahrbücher im Jahre 1993 mit großem Einsatz und Geschick beigetragen. Auch seine Verbundenheit mit der Shakespeare Bibliothek München mit ihren zahlreichen Symposien sind hier speziell zu nennen, an deren Erfolg Habicht maßgeblich beteiligt war, vor allem durch die Herausgabe (mit Ina Schabert) eines vielbeachteten Symposium-Sammelbandes ‘Sympathielenkung in den Dramen Shakespeares.’ Ein solcher Zugang setzt die heute immer mehr schwindende Bereitschaft zu intensiver Einlassung auf einen Text voraus, über die Habicht in hohem Maße verfügt und der wir auch Werner Habicht zum 80. Geburtstag 5 zahlreiche, äußerst gründliche und stilistisch brillante Werkinterpretationen und Einzeluntersuchungen, insbesondere auch zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, verdanken. Dies erklärt ferner sein intensives Engagement für literarische Lexikographie in dem acht Bände umfassenden Literatur-Brockhaus, an dem er als Mitherausgeber und Mitautor wesentlich beteiligt war (1986; 2 1995). Sodann sorgen bei Habicht immer wieder besondere “Spotlights” für Überraschung, wenn es ihm etwa in einem recht originellen Ansatz darum ging, Texte in ihre unmittelbaren Kontexte zu stellen (‘Texte und Kontexte der englischen Literatur im Jahr 1595’). Habichts Verständnis von Wissenschaft als Dienst am Text schlägt sich auch in seiner texteditorischen, neue Wege beschreitenden Arbeit nieder So war er 1974 Mitbegründer (mit Ernst Leisi und Rudolf Stamm) der ‘Englisch- Deutsche[n] Studienausgabe der Dramen Shakespeares’, in der mit Hilfe einer neuartigen Prosaübersetzung eine größtmögliche Erfassung des Originals in semantischer und topographisch-zeitgeschichtlicher, kultureller Hinsicht gegeben wird und in der ein fortlaufender Szenenkommentar der dramatischen Kunst gewidmet ist. Habicht selbst hat die Ausgabe von A Midsummer Night’s Dream übernommen und sie, wie man hört, inzwischen fertiggestellt. Da sie ihm ein besonderes Anliegen ist und er an ihr mit größtem Einsatz gearbeitet hat, darf man auf sie besonders erwartungsvoll gespannt sein. Mit der Sammlung, Übersetzung und Kommentierung von im Besitz der Folger Shakespeare Library (Washington, D.C.) befindlichen Briefen deutscher Gelehrter nahm sich Habicht eines allzu lang vernachlässigten Forschungsgegenstandes an. Dieses Material für Shakespeare-Studien öffentlich zugänglich zu machen, ist eine ebenso selbstlose wie sehr verdienstvolle Leistung, für die künftige Benützer Habicht sehr dankbar sein werden. Zu seiner editorischen Innovationsbereitschaft gehört sodann seine Aufgeschlossenheit gegenüber den neuen Möglichkeiten, die die elektronische Textverarbeitung und das Internet gerade auch für eine Edition der Werke Shakespeares bieten. Da diese Ausgabe wesentlich erweiterte und verfeinerte Mittel für die Forschung und Textanalyse bereithält, ist er an dem großen Projekt der ‘Internet Shakespeare Editions (ISE’) beteiligt. Wollte man sich für einen Begriff entscheiden, der einen Großteil von Habichts wissenschaftlicher Aktivität auf einen knappen Nenner bringt, so ist es sein Interesse an der vielfältigen ‘Vermittlung’ Shakespeares durch ‘Translation’ und ‘Rezeption’ besonders im Hinblick auf den deutschen Sprachraum. Er suchte beispielsweise Antwort zu geben auf Fragen wie: “How German is Shakespeare in Germany…? ”, oder worin besteht eigentlich das Romantische des Schlegel-Tieck-Shakespeare? Noch weiter ausgreifend suchte er zu eruieren, worin überhaupt die befruchtender Funktion Shakespeares für die deutsche Romantik und die “German Imagination” zu sehen ist (Shakespeare and the German Imagination, 1994; International Wolfgang Riehle 6 Shakespeare Association Occasional Paper, 5). So versteht sich gleichsam von selbst, daß Habicht sich auch an dem großen Projekt der Erarbeitung der Geschichte der deutschen Shakespeare-Übersetzungen im 19. Jahrhundert beteiligt. Doch auch aktuelle Aufarbeitungsbemühungen unserer jüngsten Vergangenheit kommen bei ihm nicht zu kurz, stammt doch etwa von ihm ein Artikel zum Thema: ‘Shakespeare und der deutsche Shakespeare-Mythus im Dritten Reich’. Zudem ist sein Blick auch auf die globale Rezeption Shakespeares und die nationalen Identifikationsversuche mit dem Barden gerichtet. Auch dieses Thema darf Aktualität beanspruchen, gehört es doch zur Begegnung der Kulturen, einem Aspekt, der für das erhoffte Zusammenwachsen Europas von großer Relevanz ist. Habichts Interesse an der ‘Vermittlung’ erwies sich indes schon in seiner bereits 1968 erfolgten Gründung der English and American Studies in German (EASG): Summaries of Theses and Monographs. A Supplement to Anglia. Es ist dies ein Organ, das sich zum Ziel setzte, den wissenschaftlichen Ertrag einer auf deutsch verfaßten Monographie durch ein englisches Summary der internationalen ‘academic community’ zur Kenntnis zu bringen. Jede Anglistin und jedem Anglisten ist diese äußerst nützliche, ja dringend notwendige ‘Institution’ bestens vertraut. Es ist nicht übertrieben zu sagen, daß Habicht damit einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des Deutschen als Wissenschaftssprache geleistet hat. Wir gratulieren Werner Habicht von Herzen und wünschen ihm eine gedeihliche Fortsetzung seiner vielfältigen wissenschaftlichen bzw. kulturellen Aktivitäten bei guter Gesundheit. Mögen uns sein eindrucksvoller Elan, seine ungetrübte Blickschärfe und sein kritisches Bewußtsein noch lange erfreuen und bereichern. Wolfgang Riehle (Graz)