eJournals Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 41/1

Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik
0171-5410
2941-0762
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2016
411 Kettemann

Werner Wolf, Walter Bernhart und Andreas Mahler (eds.), Immersion and Distance: Aesthetic Illusion in Literature and Other Media. (Studies in Intermediality 6). Amsterdam/New York: Rodopi, 2013.

2016
David Klein
Rezensionen AAA Band 41 (2016) Heft 1 84 beschriebenen Dynamiken gerade jenseits der Inhaltsebene plausibel greifbar zu machen. Nicht zuletzt in diesen Lektüren wird jeweils schön deutlich, was schematisierte Ansichten der Literatur sein könnten - und warum dieses Buch einen gewinnbringenden Ansatz zu Literatur, Literaturtheorie und Phänomenologie liefert und zugleich zur unabdingbaren Reflexion über die Methoden und Funktionen der Literaturwissenschaft auffordert. André Otto Institut für Englische Philologie Freie Universität Berlin Werner Wolf, Walter Bernhart und Andreas Mahler (eds.), Immersion and Distance: Aesthetic Illusion in Literature and Other Media. (Studies in Intermediality 6). Amsterdam/ New York: Rodopi, 2013. David Klein Was geschieht, wenn wir uns beim Lesen so sehr in die Lektüre vertiefen, dass wir das Buch nicht mehr aus den Händen legen wollen? Warum klammern wir uns im Theater oder im Kino vor lauter Spannung fest an die Armlehnen oder rufen dem Protagonisten, der in Gefahr geraten ist, im Stillen zu, er möge sich in Sicherheit bringen? Wie kommt es, dass wir beim Hören einer Sonate ins Träumen geraten und die Welt um uns herum vergessen? Und warum ist diese Erfahrung mal mehr und mal weniger intensiv? Warum lässt uns das eine Bild desinteressiert vorbeigehen, während das andere unseren Blick ganz für sich beansprucht? Warum verlassen wir bei der einen Inszenierung gelangweilt das Theater, während uns eine andere noch auf dem Nachhauseweg beschäftigt? Und welche Mechanismen sind am Werk, wenn die eine Erzählung alle Gedanken an das Hier und Jetzt verdrängt, während die andere uns kaum ins Bewusstsein tritt? Fragen wie diesen spürt der sechste Band der Studies in Intermediality systematisch und aus unterschiedlichen Blickrichtungen nach. Im Zentrum der dreizehn Einzelartikel steht dabei der Begriff der ‚ästhetischen Illusion‟ (aesthetic illusion), wie er im umfangreichen einführenden Artikel („Introduction“, 1-63) von Werner Wolf entwickelt wird. Ästhetische Illusion wird zunächst als ein lustvoller mentaler Zustand gefasst, der die Rezeption von solchen Artefakten kennzeichnet, die der Repräsentation dienen (6). Mit dieser basalen Definition sind bereits die wesentlichen Parameter gegeben: ‚Lustvoll„ ist der Zustand, insoweit er angenehm ist oder der Unterhaltung dient. So ist ästhetische Illusion auch bei der Rezeption von solchen Artefakten möglich, die Niederes oder Abscheuliches zum Inhalt haben, wie beispielsweise Hor- Rezensionen 85 rorfilme. 5 ‚Mental„ ist ästhetische Illusion, insoweit sie emotionale und kognitive Involviertheit bedeutet. Reaktionen auf Artefakte wie Filme, Bücher oder Theateraufführungen können sich zwar in konkreten Handlungen wie Zwischenrufen zeigen, dies ist jedoch für gewöhnlich der seltenere oder gar sanktionswürdige Fall. 6 Ästhetische Illusion bedeutet demnach vor allem „activation of the imagination“ (7, Herv. im Original). Die imaginative Teilhabe an einer repräsentierten Welt, ihre ‚Rezeption„ untersteht der Steuerung durch ein ‚Artefakt„. Artefakte sind kulturelle Objektivationen, die etwas repräsentieren - eine Welt, einen Gedanken, eine Geschichte, ein Ding. Um den Rezipienten möglichst effizient an ein solches Artefakt zu binden, muss dieses bestimmte Eigenschaften aufweisen. Wichtigste sind für Werner Wolf Extension, Komplexität, Ernsthaftigkeit, eine gegenüber den repräsentierten Inhalten unauffällige Materialität, Heteroreferentialität, Zugänglichkeit, eine naturgetreue Form der Darstellung (‚life-likeness„), Konsistenz sowie die Konzentration auf die Inhaltsebene. Das Zustandekommen von ästhetischer Illusion hängt darüberhinaus weder davon ab, ob eine Repräsentation faktual oder fiktional, narrativ oder deskriptiv ist, noch, von welchem Material sie getragen wird. Ästhetische Illusion ist somit transmodal, transgenerisch und transmedial. Sie wird von Texten genauso ausgelöst wie von Theateraufführungen, performances, Bildern, Gebäuden, Filmen, Computerspielen und Musik. Gleichwohl ist ästhetische Illusion kein absoluter Zustand. Zwar laden Artefakte oder Repräsentationen den Rezipienten dazu ein, das eigene Hier und Jetzt auszuklammern, um sich in den repräsentierten Welten neu zu verorten, „to become recentred in them in our imagination” (11; Herv. i.O.). Es bleibt dabei jedoch das aktive Bewusstsein darüber, dass die Identifikation mit diesen Welten rein imaginativ ist. Repräsentierte Welten werden im Modus der ästhetischen Illusion nur mehr analog zu konkreten Erfahrungen von Wirklichkeit gesetzt, nicht aber vollständig mit ihnen verrechnet: „In a state of aesthetic illusion“, so fasst es Wolf zusammen, „we may, in our imagination, temporarily be ‚recentred‟ in another world and thus are ‚out of our (normal, reality-focused) minds‟, but we are still in our ‚right minds‟ and able to ‚read‟ a representation as such“ (14). Ästhetische Illusion ist also nicht mit einer absoluten Täuschung gleichzusetzen, da sie stets von variabler Intensität ist (cf. 52). Je deutlicher Artefakte die oben angeführten Eigenschaften aufweisen, desto stärker die imaginative Rezentrierung innerhalb der vom Artefakt vorgeschriebenen Perspektive. Umgekehrt gilt: Je weniger ausgeprägt die entsprechenden Eigenschaften eines Artefakts, desto größer die Distanz zu dem, was repräsentiert wird. Transmedialität als grundlegende Eigenschaft ästhetischer Illusion steht im Zentrum des Bandes und gibt zugleich das Gliederungsschema der einzel- 5 Ästhetische Illusion steht damit in enger Beziehung zu dem, was Immanuel Kant als „desinteressiertes Wohlgefallen“ dem Kunstgenuss allgemein attestiert (Kant 1790/ 1952: 289). 6 Andreas Mahler eröffnet seinen Beitrag mit einer von Stendhal entlehnten Episode über eine Aufführung von Othello im Jahr 1822, die im fünften Akt jäh vom diensthabenden Wachsoldaten unterbrochen wird, als dieser auf die Bühne springt, um den Titelhelden gewaltsam am Mord seiner vermeintlich untreuen Geliebten zu hindern (151). Rezensionen 86 nen Beiträge vor. So widmet sich die erste Gruppe der Untersuchungen der ästhetischen Illusion in der geschriebenen Literatur („Aesthetic Illusion in Literature“). Die zweite Gruppe untersucht das Phänomen in den bildenden Künsten („Aesthetic Illusion in the Visual Arts“), während sich die dritte Gruppe der Beiträge mit ästhetischer Illusion in unterschiedlichen anderen Medien wie dem Film, der Architektur, Computerspielen und Musik auseinandersetzt („Aesthetic Illusion in Various Other Media“). Vorangestellt ist den Einzeluntersuchungen, neben der definitorischen Einführung von Werner Wolf, ein ausführlicher theoretischer Teil, in dem in vier Artikeln konzeptionelle Aspekte mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen betrachtet werden („Aesthetic Illusion - Theoretical Perspectives“). Den theoretischen Teil eröffnet Katja Mellmann („On the Emergence of Aesthetic Illusion“, 67-88), die dem Begriff der imaginativen Teilhabe an Repräsentationen einen anthropologischen oder gar biologischen Hintergrund („biological prerequisites“, 72) attestiert, der sich in der menschlichen Fähigkeit zum Spiel zeigt. Als mentaler Zustand artefaktgebundener und artefaktgelenkter Aufmerksamkeit trägt ästhetische Illusion - so die zentrale These - die wesentlichen Charakteristika des Spiels. Als lustvolle Tätigkeit ist das Spiel, ganz wie die ästhetische Illusion, entpragmatisiert und dennoch in der Lage, Aufmerksamkeit zu binden und zu lenken. Auch eignet dem Spiel das spezifische Restbewusstsein darüber, dass seine Regeln und sein Ernst allein innerhalb eines eigens dafür gesetzten Rahmens gelten. Die Fähigkeit, das Spiel als Spiel wahrzunehmen und daran zu partizipieren, ist vor allem bei den Säugetieren, insbesondere aber dem Menschen zu beobachten und geht auf die kognitive Kapazität zurück, Metaierungsprozesse zu erkennen, oder anders gewendet: zwischen Spiel und Nicht Spiel zu unterscheiden (73) sowie Dinge als Zeichen für andere Dinge zu nehmen. Eng verbunden damit ist die (fast zwanghafte) Eigenschaft des Menschen, Artefakte nicht nur zu genießen, sondern auf einen weiterführenden Sinn hin durchschaubar zu machen. Diese biologisch verankerte Neigung zum Zeichengebrauch ermöglicht für Mellmann zugleich, zwischen dem Spiel als normaler oder alltäglicher Bindung von Aufmerksamkeit und der ästhetischen Illusion als deren besonderer symbolischer Ausprägung zu unterscheiden. Stellt erster Fall für Mellmann einen nicht-symbolischen Modus des Spiels dar, so beschreibt letzterer als symbolischer Modus des Spiels Phänomene, die dem Bereich der Kunst zufallen. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wirft der letzte Abschnitt des Beitrags eine breite phylowie ontogenetische Perspektive auf einige Stationen menschlichen Kunstschaffens (oder symbolischen Spielens). Einen ähnlichen Weg gehen Richard J. Gerrig und Matthew A. Bezdek („The Role of Participation in Aesthetic Illusion“, 89-111). Ausgehend von der Beobachtung, dass Zuhörende kognitiv oder emotional an Gesprächen teilhaben können, die nicht an sie adressiert sind, stellen Gerrig und Bezdek eine Taxonomie von mentalen Reaktionen („mental contents“, 93) auf, die sich im Rahmen einer (bloß) teilnehmenden Kommunikation ereignen, wie sie auch die ästhetische Illusion kennzeichnet. In einer Versuchsanordnung wurden ProbandInnen dazu aufgefordert, ihre unmittelbaren Gedanken zu äußern, die ihnen beim Ansehen einer spannenden Szene aus einem Hitch- Rezensionen 87 cock-Film durch den Kopf gingen. Auf diese Weise konnten Gerrig und Bezdek sieben Reaktionsmuster mit je gesteigertem Abstraktionsgrad unterscheiden, angefangen bei (1) emotionalen Reaktionen, die quasi automatisch kommen und nicht darauf schließen lassen, dass der Rezipient ein Geschehen planend oder beeinflussend mitverfolgt, über solche Reaktionen mit höherer Abstraktionsstufe, wie beispielsweise (3) Problemlösungsvorschlägen bis hin zu (7) evaluierenden Reaktionen, in die Wertvorstellungen und Prognosen mit einfließen. Den Aspekt des Spiels greift erneut Kendall L. Walton auf („Pictures and Hobby Horses - Make-Believe beyond Childhood“, 113-130) und wendet sich ästhetischer Illusion (oder make-believe, wie er dies nennt) vor dem Hintergrund des Unterschieds visueller und sprachlicher Kodes zu. Ohne expliziten Rückgriff auf die Wolf‟schen Kriterien unterstreicht der Beitrag die Grenze zwischen einer Bildwelt und einer Spielwelt: „A child playing [...] belongs to the world of her game [...]. But the spectator of a picture does not belong to the world of the picture. Real people can and do get inside make-believe worlds. But all we can do with picture worlds is observe them from outside” (117). Das Maß der Partizipation scheint hier ausschlaggebend zu sein. Gleichwohl stellt Walton fest, dass die Teilhabe an game worlds und picture worlds imaginativ ist, der Partizipation hier wie dort jedoch unterschiedliche Grenzen gesetzt sind, die mitunter Sache der verwendeten Materialien und Medien sind. Mit den Grenzen ästhetischer Illusion befasst sich eingehender und systematischer Marie-Laure Ryan mit ihrer Untersuchung zu unmöglichen Welten („Impossible Worlds and Aesthetic Illusion“, 131-148). Im Zentrum stehen nun nicht mehr die Rezipierenden, sondern das Artefakt. Die Frage, die Ryan beschäftigt, lautet: Wie viele Widersprüchlichkeiten und Verstöße gegen ontologische oder epistemologische Gesetze kann eine Repräsentation beinhalten, ohne dabei die Rezipierenden vor den Kopf zu stoßen und ästhetische Illusion unmöglich zu machen? Und welcher Art können diese impossibilities in fiktionalen Welten sein? Ryan unterscheidet derer fünf und beginnt (1) mit dem Widerspruch („contradictions“, 132) als solchem, der sich in einem fiktionalen Text dann einstellt, wenn eine Tatsache oder Wahrheit sowohl als gültig als auch als nicht gültig präsentiert wird. Derartige Widersprüche können sich auf Geschichtsebene zeigen und zwar im gleichwertigen Nebeneinander unterschiedlicher Handlungsverläufe, aber auch auf Vermittlungsebene in der polyphonen Überlagerung unterschiedlicher Sprechweisen von Figuren und Erzählstimme. Lesende müssen sich in beiden Fällen Strategien zu Recht legen, um den Text zu verstehen, was kognitive Kapazitäten herausfordern und die Partizipation somit steigern kann. Eine weitere Form des Widerspruchs betrifft (2) ontologische Konzepte, die im Rahmen der literarischen Inszenierung vor allem dann ins Wanken geraten, wenn sie mit Alternativen konfrontiert werden, wie dies bei der narrativen Metalepse geschieht. Eng verbunden damit ist die dritte Form des Widerspruchs in fiktionalen Texten: (3) der unmögliche Raum, wenngleich Ryan einräumt, dass Räume, wie die eines M. C. Escher, in der Literatur selten sind. (4) Unmögliche Zeitstrukturen begegnen dem Leser dort, wo Chronologien umgekehrt oder Rezensionen 88 durcheinandergebracht werden, während (5) unmögliche Texte, also solche, die in der Welt, wie wir sie kennen, nicht existieren können, allenfalls Gegenstand anderer möglicher Texte sind. Als Beispiel dient Ryan das Libro de arena aus der gleichnamigen Kurzerzählung von Jorge Luis Borges, dessen Seiten unendlich dünn sind und somit einen unendlich langen und unerschöpflich vielsagenden Text produzieren. Was nun die Rolle der ästhetischen Illusion in solchen Texten betrifft, die unmögliche Welten zum Gegenstand machen oder Widersprüche auf eine der genannten Arten inszenieren, so bleibt zunächst festzustellen, dass derartige Texte grundsätzlich im Verdacht stehen, gegen einige der von Werner Wolf vorgetragenen Prinzipien ästhetischer Illusion zu verstoßen, wie zum Beispiel dem der Konsistenz, der naturgetreuen Darstellung oder der Heteroreferentialität. Schwierige oder widersprüchliche Texte lenken die Rezipierenden von der Inhaltsebene auf das Material und erschweren so die emotionale oder kognitive Teilhabe. Als Weg aus diesem Dilemma schlägt Ryan das vor, was sie „Swiss cheese ontology“ (145) nennt. Hier sind Widersprüchlichkeiten oder Unmögliches solange zu goutieren, wie sie - gleich den Löchern in einem Schweizer Käse - in eine Rahmenstruktur (den Käselaib) eingelassen sind, die Anschlussstellen („accessability relations“, 132) an die nichtrepräsentierte Welt des Rezipienten erlaubt. Unmögliche Welten werden so auf einer Meta-Ebene möglich. Dass Ryans impossible worlds ästhetische Illusion in dieser Form jedoch nicht nur potenziell gefährden, sondern auch steigern können, wird am Ende ihrer Überlegungen zwar nicht mehr deutlich expliziert, ergibt sich aber zwangsläufig aus der Feststellung, dass die imaginative Partizipation an Widersprüchlichem kognitive Kapazitäten freisetzt. Dass metafiktionale oder metadramatische Strukturen zu einer Steigerung ästhetischer Illusion führen können, steht im Beitrag von Andreas Mahler im Zentrum („Aesthetic Illusion in Theatre and Drama: An Attempt at Application“, 151-181). Denn die dramatische Kommunikationssituation ist nach Mahler per se gekennzeichnet durch einen fundamentalen Widerspruch. Dieser ergibt sich aus der Überlagerung zweier deiktischer Systeme, eines internen (desjenigen der Figuren, die Intradiegese) und eines externen, an dem das Publikum emotional oder kognitiv partizipiert. Die Doppelstruktur der dramatischen Kommunikationssituation ergibt sich zudem aus der Überlagerung zweier für gewöhnlich getrennter Bereiche. Denn im Drama sprechen reale Sprechende (die SchauspielerInnen) über fiktive Dinge (die Welt der Figuren, vgl. 162). Die rezipierendenseitige Anerkennung eines (bloß) fiktiven Bereichs oder einer (bloß) repräsentierten Welt ist also eine nötige Voraussetzung für das Zustandekommen ästhetischer Illusion. Die Doppelstruktur dramatischer Kommunikation wird in der Frühen Neuzeit insbesondere bei Shakespeare selbst zum Gegenstand des Theaters (vgl. 163). Das Verfahren ist auch hier wieder die Metaierung, die als Stückim-Stück umgesetzt wird. Als Beispiel dient Mahler A Midsummer Night‟s Dream. Die metadramatische Inszenierung von Pyramus and Thisbe auf hypodiegetischer Ebene erlaubt es, die Doppelstruktur der dramatischen Kommunikationssituation (und damit zugleich die Mechanismen ästhetischer Illusion) zu reflektieren. Denn das Metadrama, die hypodiegetische Inszenierung Rezensionen 89 also, bedeutet zunächst einen Verstoß gegen die Wolf‟schen Kriterien: Da (im Stück-im-Stück) Dinge inszeniert werden, die bereits bekannt und damit nicht mehr spannend sind, steht die Inhaltsebene nicht länger im Zentrum der Aufmerksamkeit. Stattdessen fällt der Fokus auf das Material der Inszenierung, sprich: die fiktiven SchauspielerInnen, die fiktiven Theatermachenden und ihr fiktives Stück. Bei den Problemen, auf die die wenig theatererfahrenen Figuren stoßen, wird auch die Ernsthaftigkeit auf die Probe gestellt. Zugleich verweist das Stück-im-Stück als Gegenstand der Rahmenhandlung ständig autoreferentiell auf sich selbst. All dies bewirkt eine Schwächung ästhetischer Illusion. Zugleich geht damit jedoch eine Steigerung ästhetischer Illusion einher, da sich die Zuschauer nun verstärkt der Illusion hingeben, SchauspielerInnen und Theatermachenden bei der Arbeit zuzusehen. Mag dann eine der hypodiegetischen Schauspielerinnen im Rahmen der Intradiegese schlecht sein, so ist die Darbietung der realen Schauspielerin zwangsläufig gut, da sie ja gut ist, wenn sie schlecht ist: „While the […] play-withinthe-play […] is no longer central, the intradiegetic one of (badly) presenting a play […] seems to be taken for granted by us in all its ‚extension„ and ‚complexity„“ (169). Während die Hypodiegese (das Stück-im-Stück) nicht zwangsläufig im Zentrum steht oder sich selbst als Theaterinszenierung ausweist, so wird die Inhaltsebene der Intradiegese stillschweigend als gültig vorausgesetzt. Sie verweist ihrerseits nicht auf sich selbst, ist also hochgradig heteroreferentiell, ernsthaft und somit eine naturgetreue Darbietung guter oder schlechter TheatermacherInnen. Ein solches Verfahren vermag die Doppelstruktur dramatischer Kommunikation spielerisch zu reflektieren, während es ästhetische Illusion schwächt und zugleich stärkt. Zudem dient das Verfahren der Verhandlung gültiger und prekär gewordener Vorstellungen über Welt und Wirklichkeit. Denn das Sprechen über (bloß) fiktive Dinge ist erst dann legitim, wenn alternative Welten und alternative Realitäten gegenüber gängigen Vorstellungen von Welt und Wirklichkeit (insbesondere aus dem Kontext der Religionen) zumindest auch teilweise und im Modus ästhetischer Illusion Wahrheitsanspruch für sich geltend machen dürfen (vgl. 162). Ästhetische Illusion, so Mahler, trägt somit stets auch die historische Signatur einer wie auch immer gearteten Säkularisierung. Neben der dramatischen Kommunikationssituation unterscheidet Mahler noch eine weitere gedoppelte Variante, die ebenfalls ästhetische Illusion ermöglicht: die erzählende Literatur oder Narrativik. Spricht im Drama eine reale Sprecherin über fiktive Dinge, so spricht in der erzählenden Literatur eine fiktive Sprecherin (die Erzählinstanz) über vorgeblich reale Dinge (die erzählte Geschichte). Beide Modi der Kommunikation eignen sich gleichermaßen für ästhetische Illusion. Wie sieht es jedoch mit der lyrischen Sprechsituation und ihrer Beziehung zu ästhetischer Illusion aus? Dieser Frage wendet sich erneut Werner Wolf („Aesthetic Illusion as an Effect of Lyric Poetry“, 183-233) zu. Ausgangspunkt bildet die Beobachtung, dass die Lyrik neben denjenigen Künsten, die eine besonders hohe Eignung für ästhetische Illusion aufweisen wie Drama, Film, Malerei und die erzählende Literatur, eine Sonderstellung einnimmt. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass die lyri- Rezensionen 90 sche Sprechsituation sich weder mit der dramatischen noch mit der narrativen sinnvoll vergleichen lässt, wohl aber beider Charakteristika in sich aufnehmen kann. Lyrische Texte weisen zudem in der Regel besondere materielle Eigenschaften auf, die für das Zustandekommen von ästhetischer Illusion eher hinderlich sind. Es sind dies eine deautomatisierte Sprachverwendung, Reime und Versifizierung, Polysemantik, besondere Markierungen der akustischen oder oralen Seite der Rede, der Hang zur Subjektivität in der Sprechsituation sowie Kürze (auch im Sinne einer semantischen Unbestimmheit). Allein aus der Kürze erwächst nach Wolf ein besonderes Potenzial im Hinblick auf ästhetische Illusion. Denn semantische Unbestimmtheiten oder Leerstellen (als Effekte von Kürze; vgl. Iser 1970/ 1975) erzeugen erhöhte interpretatorische Aktivität, ähnlich der Widersprüche und Rätsel in den Überlegungen Marie-Laure Ryans. Den insgesamt dritten Teil des Bandes zu den Bildenden Künsten führt Götz Pochat mit einer Untersuchung zu Mechanismen ästhetischer Illusion in der Malerei an („Aesthetic Illusion and the Breaking of Illusion in Painting“, 237-261). Pochat liefert zunächst einen schlaglichtartigen Abriss der Geschichte ästhetischer Illusion seit der Frühen Neuzeit und konstatiert in dieser Entwicklungslinie sodann zwei Brüche: Gingen die Bemühungen anfänglich in Richtung einer konsequenten Verbesserung illudierender Maltechniken (Zentralperspektive, Oberflächenbehandlung), so zeichnet sich in der holländischen Malerei seit dem frühen 18. Jahrhundert ein erster Wendepunkt ab, der im verstärkten Experimentieren mit trompe-l‟œil-Effekten greifbar wird. „A trompe-l‟œil [...] is metareferential in that it intends to lead the beholder astray by a perfect imitation of reality. The significance of this is deliberately played down in order to reveal the constructedness of the deception. Thus the beholder also becomes aware of the processes at work in aesthetic illusion.” (255 f.) Was dem Drama das Stück-im-Stück ist, das übernehmen in der trompe-l‟œil-Malerei bestimmte Techniken wie der vor die dargestellte Szene gemalte Vorhang in Rembrandts Heiliger Familie (1645, Staatliche Gemäldegalerie Kassel) oder die Pinnwand (1703) von Evert Collier, an der die dargestellten Objekte fixiert scheinen, bis sich herausstellt, dass selbst die Lederbänder, die der Befestigung dienen, aufgemalt sind. Den zweiten Wendepunkt erkennt Pochat am Anfang des 20. Jahrhunderts in der konsequenten Auflösung traditioneller illusionsbildender Verfahren durch den Impressionismus, den Kubismus und die übrigen multiplen ‚Ismen‟ avantgardistischer Kunst, die - so die Schlussfolgerung - zugleich mit einer Abkehr illusionsbrechender Verfahren verbunden sei. Es spricht also einiges dafür, dass ästhetische Illusion eng mit besonders naturgetreuen Modi der Darstellung zusammenhängt. Was geschieht aber, wenn diese Techniken soweit entwickelt werden, dass entsprechende Artefakte die Realität an Detailgetreue übertreffen? Dieser Frage widmen sich Katharina Bantleon und Ulrich Tragatschnig mit einem Beitrag zur ästhetischen Illusion im Spannungsfeld von Malerei, Fotografie und digitalen Visualierungstechniken („Wilful Deceptions - Aesthetic Illusion at the Interface of Painting, Photography and Digital Images“, 263-292). Hyperrealistische Techniken - angefangen bei der barocken Deckenmalerei (trompe-l‟œil), wei- Rezensionen 91 ter über die US-amerikanische photorealistische Malerei ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, über die Diorama-Photographien von Hiroshi Sugimoto bis hin zu ultra-hochauflösenden Computer-Grafiken - produzieren durch die Überbietung einer naturgetreuen Darstellung (durch ihren larger-than-life- Charakter) Effekte, die ästhetische Illusion zwar ermöglichen, in der Geste der Überbietung jedoch den eigenen Kunstcharakter hervorheben. Einerseits vermag die Anwendung neuerer und neuester Technologien also solche Darstellungen in den Schatten zu stellen, die sich älterer Techniken bedienen. Andererseits aber birgt die Verwendung modernster Technologien das Risiko, dass das larger-than-life-Erzeugnis nicht mehr als Kunst, sondern als künstlich abgenommen wird. Man könnte sich in diesem Kontext also fragen, ob das, was Walter Benjamin die Aura des Kunstwerks genannt hat, im Wechselspiel von technischer Innovation und Gewöhnungsphasen an neue Darstellungs- und Produktionsweisen seinen Ort hat. 7 Dass möglichst naturgetreue Darstellungsweisen ästhetische Illusion besonders gut auslösen können, darüber herrscht in den Beiträgen zu den Bildenden Künsten jedenfalls Einigkeit. Demzufolge eignet sich auch der Film für ästhetische Illusion, obgleich er ähnliche illusionsbildende und illusionsbrechende Verfahren ausbildet, wie sie auch im Theater zur Anwendung kommen. Dies zeigt Jocelyn Cammack („Aesthetic Illusion and the Breaking of Illusion in Ambiguous Film Sequences“, 295-313) am Beispiel von Code Inconnu - récit incomplet de divers voyages (2000) des österreichischen Regisseurs Michael Haneke, in dem die Episode einer Schauspielerin gezeigt wird, die zu einem Casting geladen wird, das sich als Falle eines Serienmörder herausstellt und/ oder als Casting, in dem die unerwartete Begegnung mit einem Serienmörder nur geprobt wird. Anhand fehlender Hinweise wie dem „‚Action„ call (302)“ besteht zu keinem Zeitpunkt Klarheit darüber, ob die Reaktionen der Darstellerin gespielt oder ungespielt sind. Ähnlich jener optischen Illusionen, die eine Vase und/ oder zwei Profile zeigen, wohnen die Rezipierenden dem bei, was Cammack „bistable aesthetic illusion (303)“ nennt und einmal mehr die Möglichkeit bietet, den Mechanismus ästhetischer Illusion im Modus ästhetischer Illusion zu erkunden. Dass bistable aesthetic illusion im optischen Medium besonders gut funktioniert, ist gewiss kein Zufall. Schließlich lässt sich die naturgetreue Darstellungsweise hier in jedem Fall bewahren, so dass komplexere und selbstreflexive Experimente mit ästhetischer Illusion nicht Risiko laufen, die Aufmerksamkeit der Rezipierenden zu verlieren. Demgemäß sind es auch in der Architektur vor allem wiedererkennbare und bekannte Formen, wie die Skylines des in Las Vegas nachgebauten PARIS oder Venedig (THE VENETI- AN), die sich für ästhetische Illusion eignen. Laura Bieger nennt das architektonische Programm der bekannten Las Vegas-Hotels aus diesem Grund „material fictions“ („Architectures of Immersion - The Material Fictions of the ‚New‟ Las Vegas“, 315-338). Zwar sind derartige architektonische Formen komprimierte Nachbauten ihrer Originale oder gar „daring optimizations of [their] referent model[s]“ (322). Eine solche immersive Architektur bedient 7 Vgl. die Überlegungen zur technischen Reproduktion bei Winkler 2004. Rezensionen 92 sich allemal traditioneller illusionsbildender Verfahren und deren konsequenter technischer Steigerung, wie Bieger am Beispiel der Innenausbauten des VENETIAN näher hin zeigt. Wie sieht es jedoch mit weniger naturgetreuen Darstellungsverfahren aus? Sind auch abstrakte Bilder in der Lage, einen mentalen Zustand auslösen, der es verdient hätte, ästhetische Illusion genannt zu werden? Anders gefragt: Wenn ein Artefakt eine in sich kohärente, extensive und komplexe Welt abbildet, genügt es dann, wenn sich diese Welt aus Farben und Formen zusammensetzt, deren Kohärenz, Extension und Komplexität nicht in Bezug auf einen Referenten, sondern allein werkintern generiert werden? Diese Frage betrifft nicht nur die Funktionsweisen ästhetischer Illusion in der abstrakten Malerei, sondern vor allem auch in bestimmten Computerspielen mit schmucklosen graphischen interfaces sowie in der Musik. Erstere Artefaktsorte behandelt Christian Wessely („Columns of Figures as Sources of Aesthetic Illusion: Browser-Based Multiplayer Online Games“, 339-364) am Beispiel des Online Multiplayer-Games Die Stämme. Bemerkenswert im Hinblick auf ästhetische Illusion ist die Beobachtung, dass ein Spiel wie Die Stämme ein besonders hohes immersives Potenzial besitzt, wie die Daten zu Nutzerzahlen und Spielverhalten nahelegen. Graphisch oder optisch aufwendig aber ist die Benutzendenoberfläche, gemessen an anderen Computerspielen, nicht. Im Vordergrund stehen hier schmucklose Inventarlisten über Rohstoffe, Waffenarsenal und dergleichen mehr (vgl. die Abbildung auf S. 350). Das offensichtliche Potenzial des Spiels im Hinblick auf ästhetische Illusion ist mit einer besonders naturgetreuen Darstellung also nicht zu erklären. Für Wessely ist es stattdessen das gesteigerte Maß an Interaktion, das ein Computerspiel wie Die Stämme für ästhetische Illusion geeignet macht. Multiplayer-Games bilden soziale Strukturen im Als-ob-Modus ab und bieten so Wege, Mechanismen sozialer Rollenbildungen modellhaft zu erkunden und/ oder kompensatorisch zu genießen. An die abstrakten, nicht ikonischen Formen der instrumentellen Musik und ihr Verhältnis zu ästhetischer Illusion wagt sich zuletzt Walter Bernhart („Aesthetic Illusion in Instrumental Music? “, 365-380). Musik, so stellt Bernhart zu Beginn klar, verfügt über keinen semantischen Kode und erfüllt so kaum eines der Wolf‟schen Kriterien ästhetischer Illusion. Instrumentalmusik repräsentiert nichts, und sie bietet keine naturgetreue Simulation lebensanaloger Erfahrungen. Dass sie dennoch so etwas wie Erfahrungen modelliert, zeigt Bernhart mit der Einführung der Unterscheidung von game-world und work-world (373 f.). 8 Sind die Elemente einer work-world klar vom Artefakt vorgegeben, so werden die Elemente einer game-world auf Grundlage artefaktseitiger Suggestionen vom Rezipienten reproduziert. Musikalische Formen und das Beziehungsgefüge, das sie konstituieren, sind für die Rezipierenden also bloße Impulse, die dennoch eine Fülle von imaginativen Tätigkeiten befördern. Ob diese Tätigkeiten nun ästhetische Illusion genannt werden können, muss mit einem Seitenblick auf die Wolf‟schen Kriterien verneint 8 Die Unterscheidung geht zurück auf den Beitrag von Kendall Walton; vgl. auch Walton 1990. Rezensionen 93 werden. Denn ästhetische Illusion wird ausgelöst durch „perceptions of concrete representational artefacts“ (Wolf 2009: 144) und nicht, wie Bernhart hinzufügt, „by emotional suggestions“ (376). Dennoch ist die Nähe einer durch das Formenspiel der Musik suggerierten ästhetischen Illusion mit derjenigen kaum zu übersehen, wie sie die Lyrik kennzeichnet. Denn auch hier liegt der Fokus auf Formen, und auch hier geht es in besonderem Maß um bloße Erfahrung unabhängig von erfahrenen Inhalten, also um das, was Wolf „experientiality“ (Wolf 1998: 257) nennt. Die ebenfalls mit der Musik geteilten Eigenschaften, wie eine Tendenz zum Subjektiven sowie die Unmittelbarkeit und oft rätselhafte Bedeutungswelt, „may even constitute a strong incentive for readers to feel relocated in the fictional world of a poetic text.“ (Wolf 1998: 269) Es ist für Bernhart also gerade die Ungegenständlichkeit der Musik und der Lyrik gleichermaßen, die ästhetische Illusion hier wie dort in Gang setzen kann. Eine systematische Auseinandersetzung mit der Funktion ästhetischer Illusion in der Instrumentalmusik erscheint damit geboten. Der sechste Band der Studies in Intermediality ist klug konzipiert, die Einzelbeiträge antworten einander und scheuen die Reibung nicht. Die methodische Vielfalt und die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen ermöglichen ein breites Panorama auf ein komplexes Begriffsfeld. Und auch die Einbettung des Konzepts der ästhetischen Illusion in unterschiedliche Gattungen und Kunstrichtungen schärft den Blick dafür, was es bedeutet, einen wissenschaftlichen Begriff aus unterschiedlichen Perspektiven zu erfassen und sinnvoll zur Anwendung zu bringen. Auf diese Weise treten zum einen Schwachstellen des Wolf‟schen Konzepts zu Tage, wie beispielsweise dessen enge Bindung an den Repräsentationscharakter des Artefakts. Zugleich werden dabei jedoch weitere Verlaufs- und Perspektivlinien der wissenschaftlichen Debatte erkennbar. Zu kurz kommt allenfalls der Begriff der Intermedialität. Zumal sich die einzelnen Aufsätze je anderen Gattungen, Kunstrichtungen und Materialien widmen, hätte ein Beitrag, der ästhetische Illusion im Spannungsfeld intermedialer Überschneidungen systematisch und im Hinblick auf Erkenntnisse der Intermedialitätsforschung untersucht, den dialogischen Charakter des Bandes noch steigern können. Der materiellen Verbreitung hätte ein kostengünstigeres Einbandkonzept gut getan, wenngleich das markante Material dem Argument auch über die Inhaltsebene hinaus gut tut. Literatur Iser, Wolfgang (1970/ 1975). „Die Appellstruktur der Texte: Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa“. Rainer Warning (Ed.). Rezeptionsästhetik: Theorie und Praxis. UTB 303. München: Fink. 228-252. Kant, Immanuel (1790/ 1952). Kritik der Urteilskraft. Raymund Schmidt (Ed.). Die drei Kritiken in ihrem Zusammenhang mit dem Gesamtwerk. Stuttgart: Kröner. 281-385. Walton, Kendall (1990). Mimesis as Make-Believe: On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, MA: Harvard UP. Rezensionen AAA Band 41 (2016) Heft 1 94 Winkler, Hartmut (2004). Diskursökonomie: Versuch über die ‚innere Ökonomie‟ der Medien. Suhrkamp: Frankfurt am Main. Wolf, Werner (1998). „Aesthetic Illusion in Lyric Poetry? “. Poetica 30: 251-289. Wolf, Werner (2009). „Illusion (Aesthetic)“. Peter Hühn, John Pier, Wolf Schmid & Jörg Schönert (Eds.). Handbook of Narratology. Berlin/ New York: de Gruyter. 144-159. David Klein Institut für Romanische Philologie Ludwig-Maximilians-Universität München Pascal Klenke, Laura Muth, Klaudia Seibel und Annette Simonis (eds.), Writing Worlds: Welten- und Raummodelle der Fantastik (Beiträge zur Literaturtheorie und Wissenspoetik 1). Heidelberg: Winter, 2014. David Klein Ein Diktum Ernst Cassirers aufgreifend, demgemäß der “ästhetische Raum [...] [als] echter „Lebensraum‟ [...] aus den Kräften des reinen Gefühls und der Phantasie aufgebaut ist” (Cassirer 1931/ 2006: 499), schickt sich der erste Band der jüngst beim Universitätsverlag Winter begonnenen Reihe Beiträge zur Literaturtheorie und Wissenspoetik an, genau dieses Verhältnis von Raum und Phantasie (oder literarischer Phantastik) systematisch zu erkunden. Ausgangspunkt des Buchs, das zugleich Beiträge der 4. internationalen Tagung der Gesellschaft für Phantastikforschung (Wetzlar, September 2013) versammelt, bildet die These, dass sich “die welterzeugende und raumkonstruierende Ausrichtung, die [...] zu den Grundzügen literarischer Fiktionen überhaupt zählt” (9), besonders deutlich im Modus des Phantastischen artikuliert. Das Phantastische, so die Überlegung, macht sichtbar, dass und inwieweit (vorgestellte) Weltordnungen immer auch Raumordnungen sind oder zumindest einer räumlichen Logik gehorchen. So gesehen, erkundet das Phantastische also weder imaginierte Räume noch imaginierte Welt- oder Wissensordnungen, sondern das Verhältnis zwischen den beiden. Phantastik erzählt, was Raum und Welt zusammenhält. Mit insgesamt 19 Einzelbeiträgen, die nach fünf Schwerpunktsetzungen gegliedert sind, bietet der Band ein breites Panorama dessen, was derzeit dem Bereich der Phantastikforschung zufällt. Neben systematisch-theoretischen Perspektiven sind dies zum einen Texte, die der Vermittlung neuer naturwissenschaftlicher Paradigmen im Modus des Phantastischen dienen, zum anderen phantastische oder Fantasy-Filme, wie sie im Kino seit den 1990er Jahren einen neuen Boom erlebt haben, zudem Texte, die gleichermaßen in den Kanon der modernen und postmodernen Literatur hineinfallen, und schließlich auch Videospiele, graphic novels oder gar antike Werke, die neuerdings nach Elementen literarischer Phantastik befragt werden. Das thematische Spektrum