eJournals lendemains 37/146-147

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Narr Verlag Tübingen
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2012
37146-147

Anmerkungen zum institutionellen Rahmen des George-Mallarmé-Kolloquiums

2012
Elke Uhl
ldm37146-1470074
74 Dossier Hans Manfred Bock (ed.) Stefan George und Stéphane Mallarmé. Perspektiven des Vergleichs und Transfers Elke Uhl Anmerkungen zum institutionellen Rahmen des George-Mallarmé-Kolloquiums Die hier versammelten Beiträge über Stefan George und Stéphane Mallarmé sind aus einem Kolloquium hervorgegangen, das vom Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) der Universität Stuttgart im Sommer vergangenen Jahres veranstaltet wurde. Dieses Zentrum, eine zentrale Einrichtung der Universität Stuttgart, wird von drei Fakultäten getragen: der Fakultät für Architektur und Stadtplanung, der Philosophisch-Historischen Fakultät und der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Vor allem aus diesen Fakultäten kommen die Anregungen und Initiativen für fächerübergreifende Projekte, die das Ziel verfolgen, die Wechselwirkungen von kulturellen Formationen und technologischen Innovationen historisch, systematisch und im interkulturellen Vergleich zu erforschen. Projekte wie „Denken des Raums in Zeiten der Globalisierung“, „Der Krimkrieg als erster europäischer Medienkrieg“, „100 Jahre Futurismus. Kunst, Technik, Geschwindigkeit und Innovation zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ oder „Materialität und Taktilität im Informationszeitalter“ - um nur einige zu nennen - stehen exemplarisch für das Programm: Sie sind an den Schnittstellen zwischen den einzelnen Wissenschaften und Wissenschaftskulturen angesiedelt und gehen Fragen nach, die in fachspezifischer Perspektive allein nicht mehr beantwortet werden können. Dabei sieht sich das IZKT in einer Tradition, die bis zur Gründungsgeschichte der Universität Stuttgart zurückreicht. Obwohl die Geisteswissenschaften im Vergleich zu den technischen Disziplinen über bescheidene Ressourcen verfügten, wurden sie über die Zeiten hinweg durch eine Reihe außergewöhnlicher Wissenschaftler vertreten, z.B. Friedrich Theodor Vischer, Käte Hamburger, Fritz Martini, Max Bense, Golo Mann, August Nitschke, Eberhard Jäckel. Sie haben zusammen mit herausragenden Konstrukteuren und Architekten wie Theodor Fischer, Paul Bonatz, Fritz Leonhard und Frei Otto die kulturelle Bedeutung der Stuttgarter Universität stets aufs Neue unter Beweis gestellt. Mit seinem Programm will das IZKT auch in Zukunft den Innovationsimpuls nutzen und selbst tatkräftig befördern, der sich dem Zusammentreffen von geistes- und sozialwissenschaftlichen mit technisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen unter spezifisch Stuttgarter Bedingungen verdankt. Zugleich sollen die 75 Dossier Projekte des IZKT den in Zeiten zunehmender Verschränkung von Wissenschaft und Gesellschaft immer wichtiger werdenden Wissenstransfer in die Öffentlichkeit intensivieren. Eingebunden in ein Netz städtischer, regional und überregional bedeutsamer Institutionen suchen sie in vielfältigen Formen wie Vortragsreihen, Ringvorlesungen, Diskussionsforen, Workshops und Tagungen einen Beitrag zum Public Understanding of Science zu leisten. Es gehört zu den Alleinstellungsmerkmalen des IZKT, seine internationalen Forschungs- und Vermittlungsaktivitäten in Form regionaler Schwerpunkte institutionalisiert zu haben, deren bedeutendster der Frankreich-Schwerpunkt ist. Der Frankreich-Schwerpunkt des IZKT der Universität Stuttgart stellt eine deutschlandweit einmalige Partnerschaft zwischen einer staatlichen Hochschule und einer privaten Stiftung zur Förderung des deutsch-französischen Austausches in den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie in der Architektur dar. Seit 2002 fördert die DVA-Stiftung, eine unselbstständige Tochter der Robert-Bosch-Stiftung, den von ihr initiierten Frankreich-Schwerpunkt am IZKT, der die gemeinsame Arbeit koordiniert und nach außen darstellt. Geleitet wird der Frankreich-Schwerpunkt vom Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta. Das Büro des Frankreich-Schwerpunktes informiert über alle auf Frankreich bezogenen Aktivitäten an der Universität Stuttgart und gibt jeweils zu Beginn des Semesters die Broschüre „Deutschfranzösische Wechselwirkungen“ heraus. In jedem Sommersemester lädt der Frankreich-Schwerpunkt eine Gastprofessorin oder einen Gastprofessor zu einem Forschungsaufenthalt an die Universität Stuttgart ein und bereichert damit das Fellowship-Programm am IZKT. Die Studierenden ziehen von der Anwesenheit der Gäste unmittelbar Nutzen, denn diese nehmen nicht nur an Forschungsprojekten teil und stellen ihre Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit vor, sondern unterbreiten auch ein zusätzliches, umfangreiches Lehrangebot. So bietet der Frankreich-Schwerpunkt den Studierenden die Möglichkeit, mit französischen Wissenschaftlern eng zusammenzuarbeiten und vom jeweils avanciertesten Kenntnisstand zu profitieren. Die letzten DVA-Gastprofessuren hatten der Historiker Nicolas Beaupré, der Philosoph Gérard Raulet, die Politikwissenschaftlerin Sylvie Strudel und der Landschaftsarchitekt Marc Pouzol inne. Daneben fördert der Frankreich- Schwerpunkt des IZKT wissenschaftliche Projekte aus den genannten Fachrichtungen. Jährlich findet ein deutsch-französisches Graduierten-Colloquium statt, das jungen Forschern unter Anleitung eines paritätisch besetzten, ausgewiesenen Wissenschaftler-Duos die Möglichkeit gibt, ihre Arbeiten in einem interdisziplinären Kontext zu diskutieren, wichtige Anregungen zu erhalten und sich zu vernetzen. Bisherige Themen des Graduierten-Colloquiums waren u.a.: „Die Bürger und ihr Staat: Repräsentation, Partizipation und Vertrauen in Frankreich und Deutschland“, „Politische Kommunikation: Von der klassischen Rhetorik zur Mediendemokratie“, „Mobilität: von den Ursprüngen der Reiselust bis zu ihrem Ende in der vermessenen Welt“, „Arbeit in Frankreich und Deutschland: philosophische, literarische und soziologische Perspektiven“. Im Rahmen der Vortragsreihe „Deutsch-französische Wechselwirkungen“ lädt der Frankreich-Schwerpunkt zudem herausragende fran- 76 Dossier zösische Wissenschaftler zu einem Vortrag in die Stadtbibliothek Stuttgart ein. Dadurch erhalten nicht nur die akademischen Kolleginnen und Kollegen, sondern auch die frankophilen Bürger der Landeshauptstadt die Möglichkeit, am französischen Geistesleben teilzunehmen. Höhepunkt ist der jährliche Elysée-Festvortrag, der an die Unterzeichung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages am 22. Januar 1963 erinnert. 2010 sprach Jean Bollack darüber, was Deutsche und Franzosen voneinander lernen können und welche Rolle dabei das Nicht-Verstehen spielt, 2011 zeichnete Klaus Harpprecht die deutsch-französischen Beziehungen „Von der Erbfeindschaft zur Kernfreundschaft“ anhand persönlicher Erfahrungen nach, und 2012 analysierte Günter Nonnenmacher die deutsch-französischen Beziehungen in Zeiten der Krise. In dieses reichhaltige Programm des Frankreich-Schwerpunktes ordnete sich das Kolloquium „Stefan George in Frankreich - Aspekte einer komplexen Wirkungsgeschichte“ ein, zu dem das IZKT George-Forscher wie Ernst Osterkamp, Thomas Karlauf und Ute Oelmann und Komparatisten wie Hans Manfred Bock, Gunilla Eschenbach und Martin Urmann ins Literaturhaus geladen hatte. Ausgangspunkt war das in den letzten Jahren auffällig gewachsene Interesse an Leben, Werk und Wirkung Stefan Georges, das sich in einer Reihe teilweise sehr kontrovers diskutierter Veröffentlichungen manifestierte. Die preisgekrönte Monographie Ulrich Raulffs (Kreis ohne Meister, 2009) rekonstruierte, wie die Wirkungen und Fernwirkungen des George-Kreises die deutsche Kultur des 20. Jahrhunderts durchzieht. Thomas Karlaufs Biographie (Stefan George. Die Entdeckung des Charisma, 2007) beschrieb George als einen Erfinder des Charisma und warf so erneut Fragen nach den politischen Wirkungen einer auf Exklusivität, Pathos und Ausnahmezustände aller Art abzielenden Ästhetik auf. Gegen Vereinfachungen, die das George-Bild bis heute zu prägen scheinen, hatten Ernst Osterkamp mit einer eingehenden Interpretation des lyrischen Spätwerks Georges (Poesie der leeren Mitte, 2010) und Ute Oelmann u.a. mit Untersuchungen zur Rolle der Frauen um George Einwand erhoben. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Robert Norton hatte diese innerdeutschen Prozesse der Selbstverständigung wiederum einer kritischen Analyse von außen unterzogen. All diese Debatten zeigten, dass es sich bei der Frage um Georges Wirkung nicht nur um ein philologisches Detail, sondern um eine Diskussion über zentrale Weichenstellungen in der deutschsprachigen Kultur des 20. Jahrhunderts handelt. Darüber debattierten auf einer abendlichen Podiumsdiskussion der Berliner Literaturwissenschaftler Ernst Osterkamp, die Leiterin des Stefan George Archivs in der Württenbergischen Landesbibliothek Stuttgart, Ute Oelmann, sowie der Autor Thomas Karlauf mit dem Stuttgarter Kritiker Joachim Kalka und Gerd de Bruyn vom IZKT. Da die neue Kulturgeschichtsschreibung das Paradigma einer allein national ausgerichteten Sichtweise erfolgreich hinter sich gelassen hat, lag es nahe, im Fall George auch nach den Wechselwirkungen zwischen den Kulturen zu fragen. Das Stuttgarter Kolloquium ließ sich von der These leiten, dass die vermeintlich rein deutsche Selbstverständigung nur durch den Rückgang auf ihre deutsch-französischen Quellen 77 Dossier angemessen zu verstehen ist und konzentrierte sich auf die Frage, inwiefern sich Stefan George in formaler Hinsicht wie auch im Hinblick auf Selbstinszenierungsstrategien des Künstlertums von der französischen Moderne, insbesondere dem französischen Symbolismus Mallarmés hat inspirieren lassen. Aus dieser Diskussion sind die vorliegenden Beiträge hervorgegangen. Unser Dank gilt der DVA-Stiftung, namentlich ihrem Geschäftsführer Peter Theiner, für die großzügige Förderung des Projektes am Frankreich-Schwerpunkt des IZKT. Danken möchten wir auch unserem Kooperationspartner, dem Literaturhaus Stuttgart unter Leitung von Florian Höllerer, und - last but not least - den Herausgebern des vorliegenden Bandes, ganz besonders Hans Manfred Bock, der mit seinem Beitrag nicht nur dem Stuttgarter Kolloquium wertvolle Impulse verlieh, sondern auch die vorliegende Publikation ermöglichte.