eJournals lendemains 42/166-167

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Narr Verlag Tübingen
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2017
42166-167

La langue véhiculaire – die deutsche Sprache in Hélène Cixous’ Poet(h)ik

2017
Brigitte  Heymann
ldm42166-1670056
56 Dossier Brigitte Heymann La langue véhiculaire - die deutsche Sprache in Hélène Cixous’ Poet(h)ik Hier bin ich. Ich bin da. (Cixous, Hyperrêve) Mais elle parle allemand… (Théâtre du Soleil, Une chambre en Inde) Die Fülle des Namens Wer die Autorin beim Namen nennt, der befindet sich im selben Moment, gleichsam auf wundersame Weise, mitten im Ursprung ihres Schreibens, das in der lebendigen Erfahrung der Sprache fortwährend seinen Anfang nimmt und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einer Fülle von Laut- und Bedeutungsmaterial formt und vergegenwärtigt. Cixous’ Vorname entbirgt in der Differenz zwischen Laut und Schrift jenes Gleiten der Signifikanten, dessen Kraft und Dynamik die poetische Fülle ihrer Texte bestimmt. Der Buchstabe ‚h‘ initialisiert die Poetik von Cixous als Poiesis gleich in mehrfacher Hinsicht: Hélène, der Name, der im Französischen mit einem stummen Laut beginnt, wird im Deutschen, der Sprache der Mutter - und in diesem Sinne auch der Muttersprache Cixous’ (Cixous/ Wajsbrot 2016: 59) - mit einem behauchten Anlaut ausgesprochen, mit „Souffles de l’Est“ (Cixous 1976: 115) zum Leben erweckt. 1 Er markiert eine Gründungsdifferenz, von der aus sich die poetische Sprachwelt der Lebensschrift Cixous’ erschließt. Wird der verschwiegene Buchstabe im Französischen benannt, verschiebt sich die Bedeutung vom Eigennamen hin zur Geschichte und eröffnet dem Schreiben seine dringliche existenzielle Notwendigkeit. Einmal ausgesprochen wird die Letter im Alphabet zur Axt, zum Damoklesschwert, dessen semantische Aufladungen die Biographie der Autorin ebenso verheißungsvoll wie bedrohlich berührt: „Son nom au-dessus de sa tête, tantôt promesse tantôt menace, et la promesse est elle-même la menace. À cause de cette Hache qui luit au Nord d’elle“ (Cixous 1990: 93). 2 Das große ‚H‘ im Namen führt die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts mit sich - „l’Histoire avec sa grande hache“ (Perec 1975: 13) - und evoziert im Nordosten Europas jenen Pol der geographischen Koordinaten der weit verzweigten jüdischen Familiengeschichte, der das Biographische mit den historischen Traumata verschränkt. Von der ersten appellation an, in und mit ihrem Namen, entfaltet die deutsche Sprache in Cixous’ französischen Texten jene semantisch vielstrahlige, immer ambivalent wirkende poetische Potenzialität, die von ihr im Begriff der Myriade (Cixous 1988: 331) ebenso elementar wie mythisch beziffert wird. Das ‚h‘, das im französischen Namen an- und abwesend zugleich ist, gleicht den Phantomen und Gespenstern, die gleichermaßen die Erinnerung der Autorin bevölkern, wie sie diese Doppelnatur mit allen fiktiven Figuren gemein haben und insbesondere mit jenen, die als Doppelgänger, Wiedergänger und Dämonen durch die 57 Dossier Welt der textes fiction geistern. In diesem Sinne fungiert das ‚h‘ als Chiffre des Unheimlichen, einem der konzeptuellen Schlüsselbegriffe, den Cixous im Anschluss an Freuds Lektüre von E. T. A. Hoffmanns Sandmann immer wieder aufruft und mit dem sowohl die Gleichzeitigkeit des vertraut Heimeligen und des furchteinflößenden heimlich Verborgenen als auch die besondere Erinnerungs- und Wiederholungsstruktur der Heimsuchung durch das Fremde im Eigenen verbunden ist (cf. Freud 1999). Die stimmliche Behauchung des Anfangsbuchstabens führt im Sinne der magischmystischen Universalie des flatus vocis performativ den Beginn des Lebens und zugleich über die mehrfache Wortbedeutung von Aspiration Begehren, Streben, Anspruch und Ziel mit sich. Darüber hinaus zeigt im Französischen der eingeschriebene, unaussprechbare Buchstabe ein Verbot an, das Cixous mit der Formel des Verschweigens - „Il ne faut pas le dire“ - idiomatisch in verschiedenen Texten wiederholt und im Untertitel von Benjamin à Montaigne (Cixous 2001) schließlich emblematisch exponiert. Die zweisprachige Dualität des Buchstabens im Namen erweist sich als „Vere dictum“ (ibid.: 3), das „[c]omme sous l’autorité d’un verdict dont le veridictum, dont la vérité exigera d’être dite […]“ (Derrida 2003: 53) die Wahrheit durch das Verbot hindurch zur Sprache bringt. Dieser Doppelcharakter impliziert die Notwendigkeit der Überschreitung und die Freiheit der List, welche im Kern der Poetik Cixous’ die Strategien des Anders-Sagens, des Sprachspiels und der diskursiven Subversion jener Formen und Strukturen begründet, die das ausschließende Gesetz der monolingualen Sprachnorm hervorbringen und reproduzieren. Der Name hat auch eine verzweigte Geschichte, in der die verschiedenen biographisch familiären und literarischen Genealogien der Autorin ineinander wirken: In ihm lebt ihre Urgroßmutter, Helene Jonas, geb. Meyer, „l’archidivinité de la famille Jonas“ (Cixous 2016: 29), und mit ihr das „Hochdeutsch“ fort, das deren Tochter und Cixous’ Großmutter 1938 nach Algerien gebracht hatte, wo es auf die anderen Sprachen der Kindheit der Autorin, Französisch, Spanisch und Arabisch, traf. Auf der väterlichen Seite der Vorfahren der Mutter hielt das Deutsche als Verkehrssprache die jüdische Familiengeschichte des europäischen Zweigs der Familie zusammen, die sich im geographisch, kulturell und sprachlich weit gespannten Reich der Österreichisch-Ungarischen Monarchie auf Deutsch zwischen den Ländern bewegten und verständigten: Et tous ces Juifs si différents, qui étaient Hongrois, Autrichiens, Tchécoslovaques, Roumains, Polonais, etc… tous - comme Kafka - avaient une langue véhiculaire générale qui était l’allemand, à laquelle ils ajoutaient la langue du pays où ils demeuraient (Cixous 1994: 186). Im Unterschied zu der in der Familie der weiblichen Linie verwurzelten deutschen Sprache folgte diese Praxis nicht dem Identitätsschema der Muttersprache, sondern einer konstitutiven Mehrsprachigkeit, die gegenüber der ererbten Einsprachigkeit immer schon die mehrfach gespiegelte Erfahrung des Anderen in sich einschloss, die sich wiederum in ihrem Namen selbst verrätselt: 58 Dossier Entre quelles langues m’adresse-elle les silences qui ne me ratent pas? Entre l’ellement et l’anglais, dans les craintes du français, en l’angoisse, entre l’hélénigme et la langue fondamentale, en jewgreek, entre les grand-mères mourantes et les mortes maintenues vivantes (Cixous 1976: 79). 3 Der myriadische Name, der im Moment der Nennung der Person, die ihn trägt, anstelle einer Identitätsrelation Differenz und Vielheit ausstellt, ist auch in seiner Verbindung mit dem Nachnamen zum Namen der Autorin nicht arretiert: Im Theaterstück Tambours sur la digue (2002) tritt Cixous als alter und berühmter chinesischer Dichter Hsi Xou auf. Im Wortspiel spiegelt sich das Verhältnis zwischen Autorin und Text als entwurzelte, ursprungsdifferente und zugleich spielerische Relation der Alterität, deren identifikatorische Zuschreibung durch die Zuschauer_innen/ Leser_innen auf der Glaubwürdigkeit des ‚Als ob‘ der Fiktion beruht. Jene hielten diesen Hsi Xou für einen chinesischen Schriftsteller, den die Autorin nur übersetzt habe (cf. Cixous 2002). Der Name führt nicht nur biogeographisch zu den Sprachen und Orten der verzweigten Familiengeschichte, sondern gewissermaßen in die Urgeschichte der Literatur, die ebenso schriftlich versichert wie variantenreich überliefert ist: Helena, die man schon in Sparta als Vegetationsgöttin verehrte, wird entweder als Tochter von Zeus und Leda aus einem Ei geboren zum Inbegriff weiblicher Schönheit, der Halbschwester von Klytaimnestra oder - ebenfalls ei(n)geboren - als Tochter von Nemesis und Zeus von Leda zusammen mit ihren Brüdern, den Dioskuren, aufgezogen. Ihre Geschichten, namentlich der Raub Helenas durch Paris, gehören seit der Antike zu den häufig gestalteten ikonographischen Motiven. Literarisch führt der Name von seinen mythologischen Filiationen über alle Figuren, die ihn tragen, durch die gesamte Kulturgeschichte von der Antike bis zur Moderne und zu allen Gattungen. So birgt der Name eine ganze Bibliothek, die Epen, Tragödien, Gedichte ebenso wie Komödien umfasst und in der Werke von Homer, Hesiod, Aischylos, Horaz, Ovid und Vergil über Shakespeare und Ronsard ebenso verzeichnet sind wie Goethes Faust, aber auch Jacques Offenbachs Oper Die schöne Helena und die Fromme Helene, eine jener Bildergeschichten Wilhelm Buschs, von denen Fipps der Affe (Cixous 1997: 175 sqq.) und die sieben Streiche von Max und Moritz zu den erklärten Kindheitslektüren der Autorin gehörten (Cixous/ Wajsbrot 2016: 35). Diese ineinandergeschobene Struktur von Sprache, Name, Geschichte, Genre / Gender und Figur hat Cixous von ihren frühen Texten an vielfach fortgeschrieben. In Souffles (1975) entsteht der Text als Maieutik seiner selbst, die in der tastend suchenden Sprachbewegung der An- und Aufrufung von Goethes Helena aus Faust II diese in dem Moment zum Sprechen bringt, in dem ihr die Sinne schwinden, und die in ihren Worten, mit denen sie das unergründliche Geheimnis ihrer Schönheit eingesteht, zugleich auch die Rede Helenas aus Homers Odyssee mit sich führt: „Selbst jetzo, welche denn ich sei, ich weiss es nicht“ (Cixous 1975: 9). Die in Goethes Faust darauf folgenden Worte Helenas, „Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich. Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst. Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol“ (V. 8879sq.), implantiert Cixous zuerst fragmentarisch ins Französische 59 Dossier übersetzt in ihren eigenen Text, „C’était un rêve, les mots l’ont dit“, bevor sie die deutschen Worte formelhaft wiederum erst bruchstückhaft, dann den ganzen Vers auf Deutsch und in französischer Fassung gleichsam programmatisch im Echoraum zwischen den Sprachen wiederholt (cf. Cixous 1975: 20, 78). So wie der Name der Person in der écriture eine schier unermessliche poetische Potenzialität eröffnet, mal als Maske für Fiktion und Rollenspiel dient, mal als Sprachmaterial Erinnerung generiert, so zerspielt eben diese Mannigfaltigkeit die in ihm zugesagte Identität, kippt die Verheißung von Sinn in Sprache ins Nichts, wird im Französischen in der Doppeldeutigkeit des Wortes aus der Bezeichnung der Einheit der Person ein Anonymus: „Mais en écriture, on n’aime personne. Ou plutôt on aime personne. Niemand“ (Cixous 1994: 120). Hélène ist Erkennungs- und Verkennungszeichen in einem, „nom de rien […] nom de personne, cendre“ (Derrida 1986: 74), ein unaussprechlicher chiffrierter Name, der als Losungswort die Szenerie jener Passagen zwischen Leben und Tod aufschließt, die Cixous’ Schreiben motiviert. 4 Passagen Hélène Cixous ist polyglott, aber keine mehrsprachige Autorin im aktuellen Begriffsverständnis literarischer Globalisierungserfahrungen. Die affektiv besetzte Mehrsprachigkeit ihrer Herkunft, die neben dem Französischen und Deutschen auch Spanisch und Arabisch umfasst, wird durch das Englische gleichsam neutralisiert und stabilisiert. 5 Während die anderen Sprachen in den literarischen Texten Cixous’ kaum vorkommen - auch das Englische, das von Vivre l’orange. To live the orange (1979) abgesehen eher sparsam verwendet wird - entfaltet das Aufeinandertreffen des Deutschen und des Französischen in ihnen eine Fülle poetischer Sprachformen. Diese Spracharbeit erzeugt écriture - ähnlich der im Namen der Autorin aufgezeigten Potenzialität einer konstitutiven différance - nicht mehr nur als Stil, sondern als unverwechselbares Idiom der Autorin, das die ästhetische und ethische Inkommensurabilität ihres Werkes ausmacht: cet idiome d’une signature, comme la génialité qui consiste à se laisser caresser par un génie de la langue qui n’en revient pas de sa surprise absolue, d’une touche inopinée qui vient l’affecter et qui rompt avec la filiation génétique qu’elle respecte et cultive et enrichit pourtant, tout en la trahissant (Derrida 2003: 31). Das Deutsche ist in den französischen Texten je nach Genre in unterschiedlichen Formen, die von Lauten, Worten, Redewendungen bis zu Zitaten reichen, und mit verschiedenen Funktionen und Wirkungen präsent. Während in den textes fiction deutsche Worte weniger ein Repräsentationsverhältnis zur außerliterarischen Realität vermitteln, als die Texte fremd-sprachig motivieren, d. h. ihre Bedeutungen in Bewegung setzen, dekonstruieren und wieder synthetisieren, bekommen sie in den späteren explizit autobiographischen Texten, wie in Photos de Racines (1994), Osnabrück (1999), Benjamin à Montaigne. Il ne faut pas le dire (2001) und zuletzt in 60 Dossier Gare d’Osnabrück à Jérusalem (2016), eine bezeichnende, bewahrende und historisch mahnende Funktion und erlangen in der Verschränkung von Familien- und Weltgeschichte - darin den Theaterstücken ähnlich - eine episch politische Dimension. Immer aber, so scheint es, ist die deutsche Sprache nicht mehr und nicht weniger als ein Vehikel. Deutsche Worte dienen punktuell eingesetzt in das französische Sprachgewebe der Texte, mal im französischen Begriffsverständnis als sprachliches Transportmittel von Bedeutungen, mal dem deutschen Verständnis nach eher als metaphorischer Behelf des Anderssagens. Die langue véhiculaire funktioniert gleichsam pneumatisch wie der Name der Autorin, „par son échelle qu’elle passe, d’un souffle, d’une langue à l’autre, du silence à l’éclat de rire“ (Cixous 1990: 92sq.). Die Verfahren der poiesis sind bei Cixous der Arbeitsweise des Unbewussten im Traum nach Freud verwandt: Durch Ersetzen, Verschieben und Verdichten von Bedeutungen schafft die poetische Sprache Passagen zwischen Sprachen, Kulturen, Gefühlen und ihren Ausdruckszeichen. Im Blick auf eine solche Durchlässigkeit der Sprachen in Cixous’ Texten erscheint das Schreiben als Praxis perpetuellen, in der Schwebe der Mündlichkeit gehaltenen Übersetzens, das der Situation des Simultandolmetschens ähnlich ist: „traduction simultanément manuelle, linguistique, corporelle et bisexuelle“ (Cixous 1976: 207). Deutsch ist für Cixous Muttersprache, insofern sie die Sprache der Mutter und Großmutter war, die sie nicht im Sinne einer Verwurzelung in ihr geprägt, sondern sie ihr Leben lang wie im vorsymbolischen Stadium des Kindes als Klangraum von Signifikanten umgeben hat: „Cet allemand-enfant, cette première saveur, j’en ai joui: tous les mystères de la langue entendue avant la lettre, la pré-langue […].“ (Cixous/ Wajsbrot 2016: 59). Die „trame sonore idiomatique“ (ibid.) war an die physische Anwesenheit der Sprecherinnen gebunden immer von deren Sterblichkeit bedroht. Die Tonspuren ihrer Präsenz hat Cixous deshalb medial - schriftlich festgehalten und auf Tonband aufgenommen - im absoluten Präsenz der ewigen und kontingenten Zukunft des Archivs übereignet: „Ces cassettes où cascade la voix de ma mère, pas un instant je n’imagine qu’un jour viendrait où je les réécouterais Alors qui les écouterait? Personne de la famille Personne n’a jamais écouté personne n’écoutera jamais“ (Cixous 2001: 218). Die Verwendung der deutschen Worte, Redewendungen und Zitate in Cixous’ Texten aber folgt weder einer weiblichen Genealogie des Schreibens - „Ma mère ne m’a jamais écrit en allemand“ (Cixous/ Wajsbrot 2016: 66) -, noch dient sie dem Zweck der Kommunikation. 6 Vielmehr entspringt die poetische Aktivierung des Deutschen der besonderen mehrsprachigen Kultur der Familie, deren Mitglieder in der Fülle verschiedener, gleichzeitig gesprochener Sprachen und mit der Lust an Sprachspielen jenseits normativer Grenzen kommuniziert haben. Neben der Sprachbegabung der Mutter führt Cixous vor allem den artistischen Sprachwitz des Vaters (ibid. 67sq.) als besondere auf sie übergegangene Gabe an, dessen Humor wie eine dritte Sprache über die Schwierigkeiten der Verständigung hinweghalf. Der zu früh Gestorbene, dessen Signatur „Totote“ (Cixous 1999: 51) Cixous aus dem 61 Dossier französischen ‚tôt‘ und dem deutschen ‚tot‘ trauernd klagend und zugleich bizarr formt, ist für die Autorin die Schlüsselfigur zum eigenen sprachspielerischen Umgang mit dem Deutschen, der über Joyce literarisiert und analytisch vermittelt die transgressive Poetik ihres literarischen und akademischen Diskurses in einem begründet: Il jouait de tout, des membres de la famille, des situations, et surtout des signifiants. C’était l’enchanteur. L’univers était légèrement traduit. Il avait épousé une Allemande et il avait une maison où on parlait allemand parce que ma grand-mère Omi était arrivée chez nous et ne parlait presque pas le français. Mon père avait donc forgé, à la Joyce, tout un système de plaisanteries sur la langue allemande qui étaient passées dans l’idiome de la famille (Cixous 1994: 199). Transparenz Die écriture Cixous’ gibt dem Klangraum der verschiedenen Sprachen ihrer Kindheit eine gleichermaßen ästhetische wie ethische Form, deren materiale Präsenz die subversive Kraft der poetischen Sprache lesbar macht. Cixous spielt mit den Sprachen, indem sie den lautlichen Differenzen der Worte nachspürt, sie konfrontiert, ineinander fügt und auf diese Weise ein sprachliches Drittes freisetzt, in dem das Deutsche und das Französische sich gegenseitig aufnehmen, einander gleichzeitig Gast und Wirt sind. 7 Als Emergenzphänomen entbirgt sich in ihm nicht allein die Schönheit der anderen in der eigenen Sprache, sondern es - das Poetische, das Neutrale, das Unbewusste - spricht sich buchstäblich im Wortlaut gegen monolinguale Sinn-, Identitäts- und Herrschaftsansprüche aus. Sprachphilosophisch lässt sich die Tragweite dieser Spracharbeit mit Walter Benjamins Begriff der „Sprachfügung“ (Benjamin 1977: 55) und seinem an Schlegels Utopie der progressiven Universalpoesie orientierten Übersetzungskonzept ermessen. Die Übersetzung schafft einen gemeinsamen Raum der Sprachen, in dem sie einander nicht mehr fremd sind. Zu diesem dringt der Übersetzer, resp. die Autorin, mittels Verfremdung einsprachiger Entfremdung vor: „Jene reine Sprache, die in die fremde gebannt ist, in der eigenen zu erlösen, die im Werk gefangene in der Umdichtung zu befreien, ist die Aufgabe des Übersetzers“ (ibid.: 60). 8 Auf diese Weise entsteht in Cixous’ Texten jene besondere sprachliche Transparenz, deren spektrale literarische Transformationskraft die Wahrheit der Texte zum Vorschein bringt. Wie Cixous diesen Effekt durchscheinender Fülle im Differenzraum der Sprachen poetisiert, zeigt das Beispiel ihres Namens. Doch die Vielfalt der Verfahren, die sie in ihren Texten entwickelt, lässt sich weder systematisch noch umfassend darstellen. Die produktive Sprachmagie performativer Mündlichkeit, des zwei- oder mehrsprachig verschränkten Schreibens, das fremde Wortlaute implantiert und auf diese Weise beide Sprachen deformiert und reformuliert, bestimmt von den ersten Texten an Cixous’ Poetik des hörenden Ver-Schreibens: „On écrit avec les oreilles“ (Cixous 1994: 73). 9 In der Rückschau bilden die deutschen Worte in Cixous’ Texten ein autobiographisches Sprachband, das diese zum Werk verbindet. Im Innern dieser Kontinuität 62 Dossier geht insbesondere in den späten Texten eine entscheidende Veränderung vor sich. In der seit den 1990er Jahren zunehmend auch von außen an die Autorin herangetragenen autobiographischen Rückkopplung des Deutschen an die Familiengeschichte vollzieht sich mit dem Genrewechsel vom long poème zur Erzählung auch ein Statuswechsel der deutschen Worte. Im Unterschied zu ihrem spielerischen Gebrauch in den textes fiction haben sie nun auch eine referenzielle und historisch dokumentarische Funktion, die sie in die Tradition Victor Klemperers einzigartiger Sprachstudie LTI - Notizbuch eines Philologen (1947) stellt: Et ce mot, tu le connais: Entjudung? La déjuivation. La désinjuivation Ô douce langue allemande, flexible amie des poètes, on t’a traitée comme un judéocobaye de camp de concentration, on a greffé sur ton tendre corps de chatte des fragments de crocodile, on t’a implanté des crocs dans les mots (Cixous 2016: 72). Der Zivilisationsbruch der Shoa hat das Deutsche nicht nur in eine monströse Sprache transformiert, sondern er ging auch von ihr aus, deren gefährlich klingenden Laute wie eine ansteckende Krankheit in der deutschen Sprache unheilbar nachhallen, „surtout les mots en -ung […] -dung, -tung (prononcer oung, guttural, comme ang, dans angoisse, ungoisse, oungoisse), -bung, -rung“ (ibid.: 69). Diese Worte und Namen tragen die Signatur Osnabrück, sie entfalten keine poetische Kraft, lassen sich nicht zerlegen und neu zusammensetzen, ihre Bedeutung kann nicht versetzt, verschoben, übersetzt oder dem Französischen aufgepfropft werden. In Gare d’Osnabrück à Jérusalem ist diese essenzielle Unübersetzbarkeit in sieben Wörtern ausgestellt und durch Pierre Alechinsky ikonographisch so umgesetzt, dass diese als Unmöglichkeit der Worte selbst zur Anschauung kommt. Während die Übersetzungen ins Französische die Worte sprachlich richtig wiedergeben und doch ihren Sinn verfehlen, werden in der Abfolge der Zeichnungen die affektiv in unterschiedlichen Kontexten schwer beladenen deutschen Worte aus den krakligen Gesten der wankenden und doch entschiedenen Striche zwischen Bild und Schrift erst nach und nach lesbar: ‚Kristall‘, ‚Erinnerung‘, ‚Hiob‘, ‚Ekelhaft‘, ‚Zuckerkrönchen‘, ‚Arisierung‘, ‚Vertreibung‘ zeichnen sich wie Inschriften auf einer Mauer ab. An ihrem möglichen real religiösen Ort, der Klagemauer in Jerusalem, werden sie, wie die Autorin bekennt, nicht abgelegt, sondern sie sind wie Kryptogramme in den Text eingelassen, die dazu auffordern, aufmerksam betrachtet, entziffert und erinnert zu werden. In diesem historischen autobiographischen Kontext stellen die deutschen Worte im französischen Text nun auch die immer schon anklingende Erfahrung der gewaltsamen Vertreibung der Familie aus Deutschland und ihrer Vernichtung explizit als Verletzung aus, durch die das ganze Buch, „mon livre de chair“ (Cixous 2001: 75), zum „hématome causé par le choc qui s’est produit entre la Ville et moi […]“ (Cixous 2016: 139) wird. Die unübersehbaren Zeichen dieses Verlusts und die Erfahrung der Unmöglichkeit von Heimat sind intus et in cute (Cixous 2007: 56), als die Cixous ihre Spracherkundungen in Anspielung an Rousseaus Confessions deklariert. Sie sind die Sprachmale eines anderen Wissens, das „les apprentis hématologues-heimatologues“ (Cixous 1994: 130; Cixous/ Wajsbrot 2016: 60) gegen die 63 Dossier Illusionierung einer heilen nationalen Welt im deutschen Schulfach Heimatkunde hervorbringen. Doch auch in den späteren autobiographischen Texten sucht und entfaltet Cixous jene Poetizität einzelner deutscher Wörter im Französischen, die in den textes fiction überwiegt und in unterschiedlichen Verknüpfungen vielfältige Bedeutungen evoziert, über die Sprache jenseits ihres Ausdrucksmodus zur ästhetischen Erfahrung wird. Einen solchen Differenzraum eröffnet auf besondere Weise die affektive Sprache familiärer Selbstverständlichkeit in Namen, Worten und Redewendungen, die - wie ‚Omi‘ und ‚Mutti‘ 10 - zugleich auch zum Sprachgebrauch der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeneration zählen, zu der Cixous zwar durch ihr Alter und die Geläufigkeit der Worte gehört, der sie zugleich aber eben nicht angehört, weil sie von dem kollektiven Heimat-Narrativ, das jene Begriffe bilden, ausgeschlossen ist. Cixous bedarf nicht nur dieser Gemeinschaft nicht, sondern sie durchkreuzt sie im Worttransfer vom Deutschen ins Französische, durch den sie ihre unteilbare, enge emotionale Bindung an die Großmutter, genannt Omi, anagrammatisch „un peu m,o,i“ (Cixous 1994: 185) auf unvergleichliche Art formuliert. Cixous kultiviert semiotische Differenzen, indem sie die Worte in ihre lautlichen Bestandteile zerlegt, sie buchstabiert und auf diese Weise ihre Bedeutung wie Spelzen - etymologisch im englischen to spell enthalten - von ihnen ablöst. Diese Bedeutung verschiebt sie lautlich über Homophonie in einen mythologischen Raumbegriff, der ihre poetische Arbeit topologisch mit dem Unbewussten verschränkt: My speleologist’s ears. […] Mes oreilles de spéléologue. Qui écoutent pousser la poésie quand elle est encore souterraine, mais lutte lentement dans le sein pour se porter à incantation du dehors, jouit et souffre de n’être que la respiration de la matière. […] et le mot spelaïon, parce qu’il est en lui-même une gourde pleine de voix, une oreille enchantée, l’instrument d’une musique continue, une espèce d’orange ouverte, sans fond (Cixous 1989: 18sq.). 11 Solche akustische Höhlenkunde führt sie jenseits der gesetzgebenden Semiotik des Symbolischen in die emotionalen Tiefen des Sprachgedächtnisses. Dort, in den ausbuchstabierten deutschen Koseworten, findet Cixous die Zisch- und Verschlusslaute des Deutschen, mit deren Klang sie - gegenläufig zum Sprachideal des Französischen - emotionale Geborgenheit und Zärtlichkeit verbindet: Mais j’aime aussi - et je ne sais pourquoi - le chuintantes, les chp sprache si peu fréquents en français, les mouvements archaïques de l’organe langue. J’aimais bien qu’Omi m’appelle mein Spatz. Chpa. Je n’ai découvert (l’ai-je jamais d’ailleurs compris? ) que bien tard que ce doux son voulait dire ,moineau‘ (Cixous/ Wajsbrot 2016: 62). Zu diesem Klangfeld gehören noch andere, emotional positiv besetzte Worte, wie ‚weich‘, ‚Schwärmerei‘, ‚Das ist schön! ‘. In der Lautbildung selbst vollzieht sich physiologisch das Kippen vom positiven Affekt in sein Gegenteil: Frikativlaute entstehen durch Verengung, und sie erlangen, wie im deutschen Wort Angst, bei Cixous gleich in zweifacher Weise emotionale Bedeutung. Während der Buchtitel Angst (1977) 64 Dossier sich auf die lateinische Etymologie des Wortes angustus (Enge, Beengung) bezieht und diese psychoanalytisch fortschreibt, bezeichnet das Wort im konkreten autobiographischen Sinne die körperlich beklemmende Erfahrung der Anwesenheit des Unheimlichen in der deutschen Sprache selbst: „J’ai tant vécu dans Angst, le pays où vivent les étranges feux follets“ (Cixous/ Wajsbrot 2016: 23). In den Worten kippt Nichts Böses Um Gottes Willen Unglücklicher Weise ins Gräßliche, Gräßliche Sache. Gegen dieses helfen alltags die „colères allemandes“ (Cixous 2016: 151) der Großmutter, deutsche Worte der Wut, wie ‚verrückt‘, ‚meschugge‘, ‚schlimm‘, ‚ekelhaft‘, ‚grässlich‘, ‚widerlich‘, ‚unverschämt‘, ‚Schade‘, ‚Hass‘, ‚Schreck‘, ‚Qual‘, ‚Um Gottes Willen‘, deren Expressivität im Gefühlsausbruch des Abscheus „ YGGIT, IGGIT IGGIT “ (Cixous 2001: 29) 12 kulminiert. Cixous’ Vorliebe für diese kraftvollen Lautmalereien führt zur Lektüre ihrer Kindheit, zu Max und Moritz und deren listenreichem Treiben gegen die autoritäre Macht der Erwachsenen, für das Wilhelm Busch ein Lautarsenal an Interjektionen verschriftlicht, Namen, Reime und Redewendungen kreiert hat, die in den Wortschatz der gesprochen deutschen Sprache mehrerer Generationen übergingen und zugleich als signifiants sans signifié ebenso allgemeinverständlich wie unübersetzbar blieben: ‚Autsch‘, ‚ratsch‘, ‚Puff‘, ‚Ruff‘, ‚Knacks‘, ‚Schwapp‘, ‚Rabs‘, ‚Zapperment‘, ‚Rickeracke! Rickeracke! Geht die Mühle mit Geknacke‘, ‚Ach herrje, herrjemine‘, ‚Schneider, Schneider, meck, meck, meck! ! ‘ 13 Diese deutsche Lautwelt verschmilzt zur ewigen Welt der Kindheit, in der Cixous gemeinsam mit ihrem Bruder wie die Paare bei Busch - Max und Moritz, Peter und Paul, Plisch und Plum - eins sind „Hélène-et-Pierre“ (Cixous 1994: 203), sich gar zu einem Wort, „hélènetpierre“, verbinden (Cixous 2001c: 17). Eine besondere, elementar vertraute Sprachwelt bildet auch jener deutsche Wortschatz, den man als das deutsche Küchenlatein der Autorin bezeichnen könnte, ihr „allemand-de-la-maison“ (Cixous/ Wajsbrot 2016: 27), das eine Art Glossar, ein Zungeninventar deutscher Speisen und Zutaten darstellt und auf das verlorene Bei uns (ibid.: 22) verweist und dieses zugleich in den Wort-Speisen erinnert - „La Mémoire est dans la langue […] Il faut manger pour se souvenir“ (Cixous 2001: 99sq.): ‚Sahnetorte‘, ‚Schlagsahne‘, ‚Zwiebel‘, ‚Kartoffelpfannkuchen‘, ‚Frühstück‘, ‚Domtorte‘, ‚Sauergurken‘, ‚eingelegter Hering‘ … Die Texte nehmen die Worte der deutschen Gerichte der Mutter gewissermaßen auf die Zunge, wo sich gelegentlich das Französische und das Deutsche vermischen, oder aber vom Französischen wie unverdauliche Brocken schmerzlich abgestoßen werden: „Je vais écrire le livre qui s’appelle Coliques Germaniques“ (ibid.: 109). Auf diese Weise funktionieren die französischen Texte wie ein „dictionnaire analogue“ (Cixous 1997: 172), das die Vielzahl der Bedeutungen der deutschen Worte im Französischen und umgekehrt im Moment ihrer Artikulation, im lautlichen Zustand avant la lettre festhält und im gleichen Zug bereits transformiert, ebenso fortschreibt wie imperativ erinnernd an die Szene ihrer Genealogie zurückbindet: „Je suis redescendue dans la cuisine, tous nous avons la bouche pleine d’oiseau […] Dans l’escalier j’entendais sonner haut leurs vélaires allemandes. Komm! tapait la glotte de ma mère. Komm! “ (Cixous 2001: 56) Die vertrauten Laute liegen in Cixous’ 65 Dossier Erinnerung schwirrend in der Luft, entstehen diesseits der Sprachgrenzen, gerade noch unartikuliert schlürfend, formen sie schon ihr Wissen auf der Schwelle zur Idiomatik: „Elle lappe, craque, aspire, suce, mâche, fchehfcheh, clac […]. Lappe lappe, plapplaptch, clac, FchFFF […]. Elle lèche lampe lappe ffchuit. […] Mancher lernt’s nie“ (Cixous 1999: 115-119). Fremdworte sind Glück(s)sache Die in den französischen Texten versprengt ausgesäten deutschen Worte sind darin Fremdwörter und als solche Einzigartigkeiten, deren Gebrauch ihre Unübersetzbarkeit ebenso anzeigt, wie sie als Zeichen der Unabweisbarkeit des Deutschen funktionieren: „Fremdwörter, dit ma mère, tu connais ça. Il n’y a pas plus allemand que ce dicton, il n’y a pas plus allemand que ce mot composé allemand Fremdwörter Mots étrangers“ (Cixous 2006: 92). „Fremdworte sind Glücksache“, zitiert Cixous ihre Mutter (Cixous 2001c: 15) und schreibt darin eine kaum hörbare Differenz ein, die aus dem Spruch ein besonderes Passwort werden lässt. Das fehlende ‚s‘ kappt die Verbindung zwischen den Wörtern und zeigt zugleich die Passage zwischen Sprechen und Schreiben, zwischen sprichwörtlicher und wörtlicher Bedeutung an. Der getilgte Buchstabe bestätigt die Spruchweisheit, die der geglückten Wortwahl einen Erkennungswert beimisst, indem er sie zur différance verkehrt: Der feine Unterschied, der kaum hörbar nur in der Schrift sichtbar wird, stellt gleichzeitig den konstitutiven Identitätsbruch der Sprache und die Möglichkeit poetischer Immunisierung gegen diesen aus. Cixous kreiert immer wieder solche defekten Worte, Sprüche oder Zitate, die ein Arsenal an Schibboleth bilden. Das geheimnisvolle, vieldeutige Wort, das im Hebräischen wie auch Aramäischen, Phönizischen und Syrischen vorkommt und das ‚Ähre‘, ‚Strom‘, ‚Ufer‘ und ‚Olivenzweig‘ bedeuten kann, ist ein besonderes Passwort. Anders als ein gewöhnliches Losungswort funktioniert es als Testwort, das Identität als Differenz zu hören gibt. Im Unterschied zur konspirativen Funktion eines Passworts dient Schibboleth nicht der Kennung einer solidarisch verschwiegenen Gemeinschaft, sondern ist Performanz von ‚Zugehörigkeit‘, die sich im gesprochenen Wort ereignet. Was ‚richtig‘ oder ‚falsch gesprochen‘ ist, entscheidet sich in der Szene der Passage als je momentane Akzeptanz bzw. Ablehnung der individuellen Nuance der Abweichung durch die dem Einzelnen gegenüberstehende Gemeinschaft. In der Szene des Schibboleth ist das Identische der Bedeutungsidentität von Sprache eingeschlossen, gewissermaßen lebendig begraben. Als wissensunabhängiges Vermögen wird das Passwort zur Chiffre, die einerseits für das Fatum des Gegebenen und die Kontingenz des Erbes steht und die andererseits in ihrer speziellen Sprachlichkeit totale, irreversible Abkopplung von Bedeutendem und Bedeutetem signalisiert. Schibboleth ist der Inbegriff eines vorgängig Singulären, einer Inschrift ohne Spur, der Lesbarkeit ohne Verstehen. Als Passwort erschließt es Grenzsituationen in Sprache und anderen bedeutungsgenerierenden Systemen, 66 Dossier doch es führt nicht über die Grenze, sondern markiert sie als Barriere; es macht selbst keinen Sinn. 14 Die dem Schibboleth innewohnende différance muss, auch wenn sie diskursiv entfaltet ist, wiederholt vorgetragen werden: „j’ai relu Schibboleth, autrement dit le livre qui revient chanter ce qui revient à se marquer comme l’unique fois. Un livre que je connais par cœur et que j’oublie par cœur également“ (Cixous 2006: 65). Für diese essenzielle Performativität findet Cixous ein Wort, ‚Zugehör ‘ (Cixous 2001: 140sqq.), das selbst Schibboleth ist. Das ‚beschnittene Wort‘ befreit die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von der ihm innewohnenden Unterwerfung durch ‚Hörigkeit‘, nähert sich der instrumentellen Bedeutung Zubehör - einem notwendigen Accessoire oder aber einem Vehikel - an, kann das sensible Hörorgan lebendiger Angehörigkeit, aber auch die praktizierende Bewahrung ihres Materials sein: Je ne sais pas ce qui m’attend: ce sera, je l’espère (je ne veux pas craindre), une façon de continuer le Zugehör en faisant résonner sa sagesse unique, son économie spirituelle et domestique, dont je n’ai pas du tout hérité mais que je vénère. […] Je suis dépositaire d’une petite partie de ce Zugehör (Cixous/ Wajsbrot 2016: 45). Die deutsche Wortprobe rekurriert wie eine Mutprobe auf ein vorsymbolisch erworbenes Vermögen, das bestenfalls künstlerisch, täuschend echt simuliert werden kann, als solches aber dem Wissen unverfügbar bleibt. Ein Schibboleth eröffnet, wenn es ‚richtig‘ gesprochen, gehört und gelesen wird, jene Angehörigkeit, die Cixous mit dem von der Mutter übernommenen Wort Zugehör meint. In diesem Sinne der zugehörenden Hörbarkeit gebraucht Cixous deutsche Worte in unterschiedlich abweichender Form, die in der Situation der Lektüre gesprochen ihr Bedeutungspotenzial vergegenwärtigen: „Ne va pas à Dresse“ (Cixous 1976: 76) löscht in der Verschriftlichung der französischen Aussprache des Städtenamens Dresden den Buchstaben ‚d‘ und verschiebt lautbildnerisch die Bedeutung zu „Aresse“ (ibid.: 81), durch die der Satz zur Untersagung wird, deren Rätselhaftigkeit - es geht anfangs im Bedeutungszusammenhang der écriture féminine darum, Raffaels Sixtinische Madonna in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister anzusehen - sich erst über eine weitere Semantisierung, bei der „à Dresse“ Adresse bedeutet, schließlich in der biographischen und historischen Rückkopplung auflöst und die Stadt nun bei ihrem Namen genannt wird. In der Geschichte der Mutter wird Dresden als letzte „Meldeadresse“ in Deutschland zum Erinnerungstopos ihrer Vertreibung: „Car pour l’éternité elle fut déclarée sortie d’Allemagne par la porte de Dresden, signalée juivesortie“ (Cixous 2016: 71). Vor diesem Hintergrund bringt die immer mitlaufende Ambivalenz gegenüber dem Deutschen bei Cixous eine besondere Achtsamkeit mit sich. Die Worte könnten sich als ‚falsche Freunde‘ erweisen, die die hospitalité der anderen Sprache missbrauchen, wie das homophone Wortpaar ‚Mal‘/ ‚mal‘, das in der deutsch-französischen Synchronisierung aus affektiv unmarkierter Mehrdeutigkeit in Schmerz umschlägt: „,Mal.‘ Le mot me fait soudain, enfin, si affreusement mal! “ (Cixous 1975: 145). 67 Dossier „Please! Speak german! “ 15 In der Verschränkung von deutschen Worten und französischer Sprache verschmelzen Leben und Text bei Cixous, werden Werk und Autorin eins, so wie Montaigne und seine Essais, ein „Livre consubstantiel à son autheur“ (Montaigne 2007: 703) bilden. Auch wenn ihr fortlaufendes Schreiben in einzelnen Büchern arretiert ist, bilden diese doch einen Text, der sich als Subjekt seiner selbst in einem beständigen Prozess der écriture fortschreibt, überschreibend verschreibt, weiterschreibt und dabei die Grenze zwischen Gegenstand und Form aufhebt: Les limites passeraient ici entre la littérature et ses autres, entre la littérature, Toute-puissance-autre, et ses autres, et le non-littéraire, entre le matériau et la forme, le privé et le public, le secret et le non-secret, le déchiffrable et l’indéchiffrable, le décidable et l’indécidable (Derrida 2003: 34). Die deutschen Worte und Textfragmente sind in diesem anwachsenden Text netzartig miteinander verbunden und bilden ein filigranes, brüchiges Sprachgefüge, ein „tissu cicatriciel“ (Cixous 1997: 129), das Verletzung und Heilung hör- und lesbar macht und das zugleich in anderen Worten schwer fassbar bleibt: „Ce que l’œuvre d’Hélène Cixous fait arriver à ces codes est une tempête si imprévisible et si intolérable qu’il est hors de question qu’elle y fasse école“ (Derrida 2003: 65). Aus der ausgesprochenen Differenz der Sprache entsteht jener Sturm, der die Texte, wie Benjamins Angelus Novus, „der Vergangenheit zugewendet“ (Benjamin 1977: 255), in ihre Zukunft treibt: „Les langues sont des anges à mémoire“ (Cixous/ Wajsbrot 2016: 67). Die poetische Schönheit der écriture Cixous’ entfaltet gegen literarische Kommunikations- und Informationsansprüche eine besondere ethische Kraft, die für Deleuze das Wesen künstlerischer Schöpfung ausmacht: Or quel est cet acte de parole qui s’élève dans l’air pendant que son objet passe sous la terre? Résistance. Acte de résistance. […] L’acte de parole de Bach, c’est la musique qui est l’acte de résistance, lutte active contre la répartition du profane et du sacré. Cet acte de résistance dans la musique culmine dans un cri. Tout comme il y a un cri dans Woyzeck, il y a un cri dans Bach: ,dehors! dehors! allez-vous en, je ne veux pas vous voir! ‘ […] L’acte de résistance a deux faces. Il est humain et c’est aussi l’acte de l’art. Seul l’acte de résistance résiste à la mort, soit sous la forme d’une œuvre d’art, soit sous la forme d’une lutte des hommes (Deleuze 1991: 173). Im Schrei kulminiert bei Cixous jene Differenz, die im Atemhauch des ausgesprochenen ‚H‘ in ihrem Namen einsetzt, und auf der Schwelle zwischen Affekt und Sprache die Negativität von Erinnerung als Klage und Kampf zu Gehör bringt: „souffle H. […] crie H. […] Aïe, Aïe, Aïe! […] C’est H. qui tape du pied. Aïe, Aïe, Je me tais! Sors de mon livre! elle crie. Je me dissipe dans le papier. Faites comme si je n’avais rien chuchoté“ (Cixous 2016: 128). Der Exzentrizität des Schreis und des Weinens korrespondiert das Lachen, das in den Theaterstücken Cixous’, aber auch in den Prosatexten sprachspielerisch performativ ausbricht. Unter den Worten, die nach und nach, Stück für Stück aus der 68 Dossier Erinnerung hervortreten, befördert Cixous besondere Fundstücke aus dem Wortschatz der Mutter zutage, insbesondere ihren Wortwitz, der im Deutschen heute kaum noch lebendig ist: Drei Gespen sterchen Saßen… et puis sortait. Une sorte de ‚madeleine‘ en mots witzig. Finalement, après plusieurs jours de pêche et de prières, hop! le po-ème est sorti d’un coup. Drei Gespen sterchen Saßen an einem Klappfen sterchen Und assen Puff -Ärmelchen. Il est donc revenu, avec le timbre, la cadence, la voix de ma mère. Ouf! Et puff! (Cixous/ Wajsbrot 2016: 55). Und ganz wie von selbst erinnert Cixous gleich im Anschluss den in Vergessenheit geratenen Zungenbrecher Mähn Äbte Heu? und bringt uns wie Kinder zum Lachen, wenn wir die Worte der Mutter im Text lesend hören und sie unweigerlich selbst wieder und wieder laut vortragen: Mähn Äbte Heu? Äbte mähn niemals Heu Nie mäh’n Äbte Heu? Äbte mäh’n Gras (ibid.). Wir erfreuen uns an dieser Gabe, genießen sie und wünschen uns von der Autorin mehr davon. Benjamin, Walter, Illuminationen. Ausgewählte Schriften 1, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 1977. Cixous, Hélène, „Hélène Cixous présente son livre Prénom de Dieu“, in: Lectures pour tous, 07.06.1967, http: / / www.ina.fr/ video/ I14287231/ helene-cixous-presente-son-livre-prenom-dedieu-video.html (letzter Aufruf am 10.10.2017). —, Souffles, Paris, des femmes, 1975. —, LA, Paris, Gallimard, 1976. —, ANGST, Paris, des femmes, 1977. —, Manne aux Mandelstams aux Mandelas, Paris, des femmes, 1988. —, L’Heure de Clarice Lispector, Paris, des femmes, 1989. —, Jours de l’An, Paris, des femmes, 1990. —, Photos de Racines, Paris, des femmes, 1994. —, OR les lettres de mon père, Paris, des femmes, 1997. —, Osnabrück, Paris, des femmes, 1999. —, Le Jour où je n’étais pas là, Paris, Galilée, 2000. —, Benjamin à Montaigne. Il ne faut pas le dire, Paris, Galilée, 2001. —, Portrait de Jacques Derrida en Jeune Saint Juif, Paris, Galilée, 2001 (2001b). —, „Fremdworte sind Glücksache“, in: Actes sud, 2 (5-6), 2001, 14-22 (2001c). —, „La Voix étrangère, la plus profonde, la plus antique“, in: Rue Descartes, 37, 2002, 111-119. —, Hyperrêve, Paris, Galilée, 2006. —, Si près, Paris, Galilée, 2007. 69 Dossier —, Gare d’Osnabrück à Jérusalem, Paris, Galilée, 2016. Cixous, Hélène / Wajsbrot, Cécile, Une autobiographie allemande, Paris, Christian Bourgois, 2016. Decout, Maxime, „Standing apart/ beinig a part: Cixous’s fictional Jewish identities“, in: Jewish Culture and History, 14, 2013, 78-86. Deleuze, Gilles, „Qu’est-ce que l’acte de création? “, in: Écrits, images et sons dans la Bibliothèque de France, Textes et images réunis par Christian Delage, Paris, IMEC Éditions, 1991, 167-173. Derrida, Jacques, „Des Tours de Babel“, in: Joseph F. Graham (ed.), Difference in Translation, Ithaca/ London, Cornell University Press, 1985, 165-207. —, Schibboleth pour Paul Celan, Paris, Galilée, 1986. —, Genèses, généalogies, genres et le génie. Les secrets de l’archive, Paris, Galilée, 2003. Freud, Sigmund, „Das Unheimliche“, in: id., Gesammelte Werke, Bd. XII: 1917-1920, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 1999, 228-268. Montaigne, Michel de, Les Essais, ed. Jean Balsamo / Michel Magnien / Cathérine Magnien- Simonin, Paris, Gallimard, 2007. Perec, Georges, W ou le souvenir d’enfance, Paris, Gallimard, 1975. 1 „Et comment mesurer le mystère d’avoir un nom aussi étrange que celui de l’auteur qui s’appelle Hellia, Hellia avec un h. Un nom avec l’unique lettre muette dans notre langue. Mais dans la langue de sa mère elle est tout le contraire: lettre de l’aspiration. Éteinte en ce pays, hélante en l’autre. […] Ce qu’il jure dans une langue, il l’abjure dans l’autre“ (Cixous 1990: 92sq.). 2 „Et le futur, à la hache, tout ce que je devais faire avec mon père pendant quarante années, à la hache, les années“ (ibid.: 69). 3 Zum Aspekt jüdischer Mehrsprachigkeit bei Cixous cf. Decout 2013. 4 So Cixous in einem der frühesten Dokumente der Selbsterklärung anlässlich des Erscheinens von Prénom de Dieu in der Sendung Lectures pour tous (Cixous 1967). 5 „La langue anglaise - l’Angleterre: grâce à ma mère, la langue, je l’ai eue à la bouche quand j’avais treize ans, donc assez tôt pour qu’elle devienne ma langue seconde. Je me parle souvent en anglais, je me sens protégée, accompagnée par cette langue, nous échangions quelques phrases en anglais, naturellement, tous les jours, ma mère et moi“ (Cixous/ Wajsbrot 2016: 89 sqq.). Cf. Cixous 2001: 45. 6 Zugleich verweist Cixous immer wieder darauf, dass die Mutter sie mit der deutschen Literatur vertraut gemacht hat, mit Kleist, Goethe, Nietzsche, Hölderlin, Büchner, Hesse, die durch Kafka, Celan, Hesse, Rilke, Freud, Bernhard, Bachmann, Benjamin, Adorno u. a. ergänzt so etwas wie die deutsche Abteilung ihrer Bibliothek bilden, wo die Texte in engster Nachbarschaft zu Shakespeare, der Bibel, Joyce, Pasternak, Lispector, Tsvetaeva u. a. mit ihrem Schreiben verbunden sind und nur in diesem komplexen intertextuellen Raum zu untersuchen wären. 7 Derrida bezieht den für ihn zentralen Begriff der hospitalité auf den Zusammenhang von Cixous’ Sprachpoetik und der Übergabe ihrer Manuskripte an die BNF als Formen von bedingungslosem „don, d’hospitalité ou d’amour dignes de ce nom“ (Derrida 2003: 99). 8 Zu entfalten wäre diese sprachphilosophische Perspektive im Kontext von Derridas Aufsatz „Des Tours de Babel“ und Cixous’ Benjamin à Montaigne und Une autobiographie allemande. 70 Dossier 9 Der in dieser Formel aufbrechende Gegensatz zu Derridas Schriftkonzept, aber auch die wechselseitige Anregung beider wäre genauer zu untersuchen. Derridas Arbeit mit Wörtern verfolgt zumeist in einem ersten Schritt die Spur ihrer Etymologie, die eine Filiation der Lesbarkeit anderer Bedeutungen entfaltet. In den Texten, die er mit oder über bzw. zu Cixous geschrieben hat, lässt sich eine Anverwandlung an Cixous’ Schreibweise beobachten, so namentlich schon im Titel von Genèses, généalogies, genres et le génie. Les secrets de l’archive (2003). Auch Cixous kombiniert beide Verfahren in ihrem Portrait de Jacques Derrida en Jeune Saint Juif (2001). 10 „Omi dit ma mère qui a toujours appelé sa mère grand-mère (c’est-à-dire Omi) […] je ne pouvais m’empêcher de penser que par ma naissance Omi avait été promue grand-mère ou bien démue ayant cessé du matin au soir d’être Mutti pour être reléguée plus haut dans la hiérarchie maternelle“ (Cixous 1999: 137). 11 Das Wortfeld umfasst im Französischen épeler, to spell im Englischen, die deutsche Spelze und wird zum griechischen spelaion (Grotte, Keller, Abgrund) verschoben. 12 Der lautmalerische Ausruf „igitt, igittigitt“ als Ausdruck von Abgestoßensein und Ekel nimmt eine Zwischenstellung zwischen einer Redensart und einer Interjektion ein und markiert lautlich eine Schwelle zwischen Sprache und Schrei. 13 „Et puis, quand j’avais sept ans, elle s’est mise à traduire Wilhelm Busch, pour notre plus grande joie. D’ailleurs je pense que Wilhelm Busch était pour elle le modèle de la langue parlée, sarcastique, malicieuse“ (Cixous/ Wajsbrot 2016: 68). 14 Derrida (1986) entwickelt Schibboleth in seiner Celan-Lektüre als Differenztheorem. Auch Freud verwendet das Wort, dessen Bedeutung er auf die Grundthesen seiner Lehre und die sich daran scheidenden Anhänger und Gegner appliziert. Für Freud hat das Unbewusste den epistemologischen Status eines Schibboleths. 15 Cixous 2016: 151. Die Anspielung der Formulierung an den Titel der Autobiographie Vladimir Nabokovs - Speak, memory - liegt im Kontext der Erinnerungsarbeit, die Cixous mit der deutschen Sprache verbindet, nahe.