eJournals lendemains 35/140

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2010
35140

C. Defrance: Sentinelle ou pont sur le Rhin?

2010
Katja Marmetschke
ldm351400139
139 Comptes rendus CORINE DEFRANCE (AVEC LA COLLABORATION DE CHRISTIANE FALBISANER- WEEDA), SENTINELLE OU PONT SUR LE RHIN? LE CENTRE D’ETUDES GERMA- NIQUES ET L’APPRENTISSAGE DE L’ALLEMAGNE EN FRANCE 1921-2001, PA- RIS, CNRS EDITIONS, 2008, 333 S. Seit dem Beginn der 1980er Jahre entstand eine Reihe französischer Forschungsinstitutionen, die sich aus zumeist disziplinübergreifender Perspektive mit Deutschland befassen und das Ziel verfolgen, die deutsch-französische Wissenschaftskommunikation zu verdichten. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, daß 2001 mit dem Centre d’Etudes Germaniques in Straßburg eine Institution ihre Pforten schloß, die auf eine über 80jährige Tradition interdisziplinärer Deutschlandforschung zurückblicken konnte und im Zeitraum ihres Bestehens eine umfangreiche Bibliothek, eine Deutschland-Dokumentation sowie eine Fachzeitschrift aufgebaut hatte. Die Pariser Historikerin Corine Defrance, eine ausgewiesene Kennerin der deutsch-französischen Beziehungen seit dem Zweiten Weltkrieg, hat nun in Zusammenarbeit mit Christiane Falbisaner-Weeda auf der Grundlage eines sorgfältigen Quellenstudiums die wechselvolle Geschichte dieses Zentrums nachgezeichnet, dessen Entwicklung aufschlußreiche Einblicke in die verschiedenen Bedingungsfaktoren französischer Deutschlandforschung vermittelt. Die Gründung des Centre d’Etudes Germaniques (CEG) 1921 in Mainz ging auf die Initiative des französischen Hochkommissars für das besetzte Rheinland zurück. In Kooperation mit der Straßburger Universität schuf das Hochkommissariat eine in dieser Form einmalige Ausbildungseinrichtung, die Beamten der Besatzungsverwaltung, Offizieren der rheinischen Armee sowie Studierenden französischer Universitäten offenstand. Im Zentrum der Lehre, für die namhafte Professoren verschiedener Straßburger Fakultäten nach Mainz kamen, stand die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Deutschland der Gegenwart. Mit diesem klaren Fokus auf der „civilisation“ fügte sich das Zentrum exemplarisch in die Neuausrichtung der Germanistik der Zwischenkriegszeit als „science de l’Allemagne“ ein, deren Vertreter in Straßburg einen wichtigen außeruniversitären Resonanzboden für ihre Vorstellung einer Wissenschaft im Dienst von Politik und Öffentlichkeit fanden. Während der Locarno-Ära indes erwies sich dieser Impetus als Hemmschuh für den vom CEG angestrebten Brückenschlag über den Rhein: Bei den deutschen Universitäten stieß das Kooperationsanliegen des CEG auf taube Ohren. Im Zuge der Rheinlandräumung zog das CEG 1930 nach Straßburg, wo es dank seines interdisziplinären und aktualitätsbezogenen Zuschnitts frühzeitig und scharfsichtig die Anfänge und die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus analysierte. Obgleich die Publikationen des CEG nur einem kleinen Adressatenkreis zugänglich waren, kamen aus seinen Reihen bedeutende Widerstandskämpfer wie Henri Frenay, René Capitant und Edmond Vermeil hervor, für die das Studium und die Lehre an dieser Institution einen Grundstock für ihr aktives Engagement gegen das „Dritte Reich“ gelegt hatte. Während des Zweiten Weltkrieges war das Zentrum gezwungen, zusammen mit der Straßburger Universität den Rückzug nach Clermont-Ferrand anzutreten. Es firmierte nunmehr unter dem Namen „Centre d’Etudes Européennes“ und erstreckte sein Ausbildungsangebot kurzzeitig auch auf andere Länder. Nach dieser Zeit des „Identitätsverlusts“ (107) kehrte das Zentrum 1946 nach Straßburg zurück, nahm seinen alten Namen wieder an und bezog seine Legitimität als Ausbildungszentrum für 140 Comptes rendus die Zivilbeamten und Offiziere in der französischen Besatzungszone. Das Ende der Besatzungszeit und der Ausbruch des Indochina-Krieges führte das CEG, das seit 1948 als Institut an die Universität Straßburg angegliedert war, in eine Phase der Unsicherheit, die sich erst auflöste, als sich das Militär entschloß, die „privilegierte Partnerschaft“ (127) fortzuführen und in den Jahren 1955-1966 jährlich eine Kohorte junger Offiziere an das CEG zu entsenden. Die deutschlandspezifischen Lehrinhalte in den 1950er Jahren spiegeln, wie Corine Defrance anhand der Veranstaltungspläne belegt, in bezeichnender Weise eine generelle Tendenz in der französischen Nachkriegsgermanistik wider: Die Germanisten zogen sich auf das vermeintlich sichere Terrain der „Ideengeschichte“ zurück und delegierten die Kompetenz für das Deutschland der Gegenwart an Juristen, Ökonomen, Politikwissenschaftler und Geographen. Eine stärker universitär-forschungsorientierte Ausrichtung erhielt das Zentrum erst Ende der 1960er Jahre. Als sich das Militär 1966 aufgrund fehlender universitärer Anerkennungsmöglichkeiten des erworbenen Diploms nahezu komplett aus dem CEG zurückzog, vollzogen sich unter dem Direktor Roger Bauer (1966-1969) weichenstellende Umstrukturierungen. 1968 wurde das CEG zum „laboratoire associé“ des CNRS, als wissenschaftliche Kommunikationsplattform des Zentrums wurde 1969 die Zeitschrift Revue d’Allemagne ins Leben gerufen (deren Redaktionssekretärin seit 1990 Christiane Falbisaner-Weeda ist). Im gleichen Jahr entschied sich das CEG nach der Aufspaltung der Straßburger Universität für seine Anbindung an das Institut d’Etudes Politiques in Straßburg III und nicht an das germanistische Institut der Universität Straßburg II. Diese starke Akzentuierung historischer und aktuell politischer Themen fand seinen Niederschlag ebenfalls in der Forschungstätigkeit des Instituts, das unter seinem dynamischen neuen Direktor Georges-François Dreyfus (1969-1985) eine Blütezeit erlebte. Das CEG baute eine umfangreiche Deutschlanddokumentation und - bibliothek auf, es suchte die Zusammenarbeit mit dem DAAD und dem DFJW und bot Ausbildungsseminare für Führungskräfte und Multiplikatoren an. Konsequent berücksichtigte der Institutsleiter nicht nur die Entwicklungen in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR, in die sogar Studienreisen organisiert wurden. Obgleich das CEG damit ein „Quasi-Monopol“ (281) in der interdisziplinären Erforschung des deutschen Nachbarn hatte, gelang es ihm nicht, seine Stellung in der sich ab den 1980er Jahren wandelnden deutsch-französischen Forschungslandschaft zu behaupten. Als auf politische Initiative hin die Gründung eines französischen Deutschlandinstituts - als Pendant zum Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg - angeregt wurde, machte sich das CEG aufgrund seines Erfolgsausweises größte Hoffnungen auf die Beherbergung dieser Institution, das schließlich als Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine en France 1982 in Paris eröffnet wurde. Mit der Gründung des Centre Marc Bloch 1992 in Berlin und des Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne 2001 in Paris entstanden weitere Koordinierungszentren deutsch-französischer Forschung, deren Aktivitäten und Zielsetzungen sich teilweise mit denen des CEG überschnitten. Parallel zu dieser Entwicklung stellten auch die politischen Umbruchprozesse Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre das Straßburger Institut vor neue Herausforderungen. Unter seinem Direktor Jean-Paul Bled (1989-2000) erweiterte das CEG seinen Länderfokus und rückte die historisch-politische Beobachtung mittel- und südosteuropäischer Staaten in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit. In den Evaluierungen des CNRS wurde seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend die mangelnde Forschungsdynamik 141 Comptes rendus des CEG und fehlende Öffnung gegenüber anderen Institutionen angemahnt. Als das CNRS 2001 seinen Vertrag mit dem CEG nicht verlängerte, bedeutete dies das Aus für die Institution. Ein Teil der Dokumentations- und Zeitschriftenbestände wurde vernichtet, die Bücher wurden in die Straßburger Universität übergeben. Die Revue d’Allemagne konnte dank einer Statuten-Änderung ihr weiteres Erscheinen sichern. Corine Defrance bietet mit ihrer klar aufgebauten und präzise argumentierenden Studie weitaus mehr als einen Überblick über die Geschichte des CEG. Indem sie die disziplingeschichtlichen Entwicklungen der französischen Germanistik, die wandelnden politischen Konstellationen im deutsch-französischen Verhältnis, die jeweilige Anbindung an unterschiedliche Förderinstitutionen und Adressatengruppen, die Veränderungen in der deutsch-französischen Wissenschaftslandschaft sowie schließlich auch institutsinterne Prozesse berücksichtigt, verschafft sie einen erhellenden Einblick in die verschiedenen Bedingungsfaktoren, die auf die Entwicklung und Dynamik des Zentrums einwirkten. Ihre Arbeit ist somit ein wichtiger Baustein zur Geschichte der französischen Deutschlandforschung, die in mustergültiger Weise die Spannungsfelder untersucht, innerhalb derer Wissen über ein anderes Land gesammelt, produziert und verbreitet wird. Katja Marmetschke (Austin, Texas) SAULO NEIVA (ED.), DECLIN & CONFINS DE L’EPOPEE AU XIX E SIECLE, TÜBIN- GEN, NARR, 2008 (= ETUDES LITTERAIRES FRANÇAISES, 73). Das Epos, ein bereits im 19. Jahrhundert oft als sterbend betrachtetes, wenn nicht bereits totgesagtes Genre, darf als sehr reizvolles Forschungsobjekt bezeichnet werden - vor allem, wenn der Untersuchungszeitraum eben jene Epoche umfasst, in welcher vermehrt Kritik an der Gattung geäußert wird, die einst an der Spitze des literarischen Kanons stand. Gleichzeitig mit der Infragestellung der epischen Literatur im Zeitalter der anbrechenden ästhetischen Moderne beginnt jedoch auch die Zeit der Experimente. Kann die Heldenliteratur eine erfolgreiche Wandlung vollziehen? Welches sind ihre neuen Merkmale, welches ihr Prestige und welche Rezeption erfährt sie? Die sich mit diesen Fragen befassende Sammelschrift ist der chronologisch erste von drei parallel erscheinenden Bänden, die sich unter der Koordinierung von Saulo Neiva (Univ. Clermont II) der Veränderlichkeit oder gar der Abnutzung (usure) der epischen Literatur widmen. Während dann die Désirs & débris de l’épopée au XX e siècle 1 die Reflexion ins folgende Jahrhundert verlängern, beschäftigen sich die Avatars de l’épopée dans la poésie brésilienne 2 mit einem Teilbereich lateinamerikanischer Nationalliteratur. Die vorliegende, im Rahmen eines Forschungsprogramms entstandene Publikation vereint zweiundzwanzig Beiträge, die sowohl den Majores als auch einigen Minores der Weltliteratur Augenmerk schenken. In ihren drei Teilen sollen sukzes- 1 Bern, Lang, 2008. 2 Saulo Neiva, Avatares da epopéia na poesia brasileira do fim do século XX, Übersetzung Carmen Cacciocarro, Recife, Massanga/ Ministério da Cultura, 2008.